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IN COMMEMOR^VTION OF THK VISIT OV
HIS KOYAI. HIGHNESS
PRINCE IIENRV OF PRl 8S1A
MARCH SLXTII.I90X
ON HE HALF OF IIIS MAJESTY
THE GEKMAIV EMPEHOR
PRESENTKDBYARCIllLLVLD i^-MCC CiH^AlH^.K PH.
ASSISTANT PROKKSSOR OK IIISTOHY
Google
ARCHIV
DER
„BRANDCNBUR8IA''
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
Unter lUtwlrkiiiig des MXrkisehen ProTinzlal-Miiseuiiig
herauBgogeben
vom
GkMllflohaftg -Vorttands.
5. Band.
liorlin 1899.
Druck und Verlag von P. Stnnkinwicz' Bachdruckerei,
Beraborgerairaase 14.
Han'ard College Library
Hohenzoilcrn Coliection
Gift of A. C Coolidge
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Festschrift,
dem
VII. ünternationalen Seographen-Ksngres^ in Bsrhn
dargeboten dareh den
Vontand der »Braiidenbiirgia^
Gesellschaft für Helmatkimde zu Berlin.
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Vorwort.
In dem gewaltigen Gebiet der beschreibenden Erkunde nimmt die
Helmatkande, als Untergruppe der Landeskunde, einen bescheidenen aber
sicherlich nicht unintcK .ssuntt'n imd bodeutuii^slosen Teil ein. Denn aus
Teilen setzt sich das Ganze zusammen, und nur bei eiuem kleineren Ab-
schnitt desselben ist es angesichts des Standes unserer jetugen Erkenntnis-
mittel und der ▼erhältnismä.sRig grossen Zahl der Mitarbeiter möglich,
die phy.sikalischen und kulturelluu Erschoiuuugcn, deren Ergründung und
Beschreibung das eigentliche Wesen der Erkunde aosmacht, wenigstens
in annähernder YoUst&ndigkeit und Übersichtlichkeit darzustellen.
Dürfen einei-seits diese Umstände genügen, um die Darbietung der
vorliegenden beiden wissenschaftlichen Arbeiten zu rechtfertigen, so hoffen
vrir andererseits, dass selbst ein so ansehnlicher Kongress hervorragen-
«ler Gelehrter es nicht verschmähen wird, eine Huldigung von Seiten der
Braudenburgia, als derjenigen wissenschaftlichen Gesellschaft entgegen-
zunehmen, welche berufen ist und es sich als Ziel gestellt hat, gerade
den deutschen Landesteil zu erfoi*schen, in welchem die Versammlung
tagt und aus welchem die Hauptstadt Freussens und die deutsche
Reichshanptstadt hervorgegangen ist
Wie die OemeindebehGrden der letztem es mit Recht für angezeigt
erachtet habeu, dem VII. Interuationaleu Geographeu-Kougress einen
topographischen Führer durch Berlin zu widmen, so sei uns vergönnt,
zwei Abhandlungen zu überreichen, von denen die eine, im Gebiet der
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— VI —
l)}i>sikaliscben Erdbeschreibnng, den fftr das Oberflächen-Relief der
Provinz bedeutsamen Landstrich zu beiden Seiten der Spree vom
Scbwieloch-See abwärts bis zum Berliner Thal, die andere, im
Qebiet der knltarellen Erdbeschreibmig, das märkische Banernhaas
umfasst.
Wir schliessen mit den herzlichsten Wünschen für den Erfolg des
Kongresses und das Wohlgedeihen der geographischen Wissenschaften.
Berlin im September 1899.
Vorstand der Brandenburgia, Gesellschaft für Heimatkunde.
Im Auftrage:
Ernst Priedel,
Stadtrat von Berlin, Geheimur Regierungsrat.
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Die Bauernhäuser In der Mark
Mit 88 Abbilduugeii.
Von
Robert Mielke.
«
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I
Einleitung zu „Bauernhäuser in der Mark''.
Diese Schrift üImt das iiiärkisclu' Bauernhaus hat bereits eine
Vorg&ngeriD, die in den Schriften der GeseUschaft fär Heimatkunde der
Hark Brandenbarg erschienen ist. Sie nnterscheidet sich jedoch von-
derselben nicht nnwesenflich. Teils ist der Stoff anders geordnet nnd
dnrch neue Forschungen erweitert, teils sind auch seine Grenzen dnrcb
die Kapitel üher die Kunstformen und über die Hausiiischrit'ten ge-
waciisen. Gern hätte ich auch eine Zusanunenstelhini; aller in der Mark
vorkommenden, auf den Hausbau bezügliclien, Ausdrücke hinzugefügt;
doch fehlen mir dafSr noch einige sehr wichtige Eiigänzungen. Wenn
ich daher dieses Kapitel aufgelöst nnd in den Text mit hineingeflochten
habe, so konnte ich das am so eher thnn, als hoffentlich der letste Ge-
danke, der den Altmeister Märkischer Forschung, W ilhelm Schwartz,
beschäftigte, ein märkisclies Idiotikon zu ermöglichen, mit seiiii'iii 'l'ode
nicht begraben sein wird. Ferner habe ich, abweichend von moiner
früheren Schrift, mich darauf beschränkt nur Tbatsächiiches zu bringen;
wo ich wie bei dem ostdeutschen Hanse auf verwandte Beziehungen
hinweise, geschieht es mit der Znrfickhaltung, die bei solchem auf nur
persönlicher Anschanung erlangten Urteil geboten ist
Berlin, den 14. August 1899.
Robert Mielkc.
Digi.L.Lo i.y Google
Inhalt.
Seit«
1. Geographische Verbreitung der Arten 1
•2. Der Wirtachaftahuf 3
3. Die einzelnen Arten 5
A. Das sächsische Haus und seine Abwandlungen 5
a. Der reinsachsiscbe Typus 5
h Dn« mflrkiHphf» Diplpnliflii« . . , ■ . . . 7
c. Das Hans der Nutho Nioplitz Niederung • . . 9
B. Diis frttnkischo Haus und seine Abwandlungen 13
a. Dbs rfiinfritnkisclu» Hans 13
b. Daa wendischn Hans 18
C. Das ostdeutsche Haus 20
4. BflUBtoffe und Kunstformen ■ 24
ft. Hausinschriften 'M
fL I.itteratnr » . 88
1. Geographische Verbreitung der Arten.
Das Verhältnis der einzelnen Grupiion ist nur annähernd zu 1)P-
stiinnu-n, da sie einerseits sich liier und dort derartig^ vennischen, dass
von dem Vorwiegen des einen Typus keine Rede sein kann, und auch
andrerseits das tränkische Haus heute Gebiete besetzt hat, die einst vou
anderen eingenonnnen waren. Im allgemeinen können wir — um hei
den einmal üblichen liczeichnuniicn zu bleiben — für die Mark den
sächsischen und den tränkischen Ty|ms beanspruchen, denen >ich
jedoch einzelne Abwandlungen und der ostdeutsche anschliessen.*)
Das sächsische Haus, in allen seinen charakteristisi In ii Ziigen,
ist noi'h heute im Westen und an den nördlichen Kiindern der i'rie^.niitz
vorhanden, von welchem Gebiet allerdings ein erheblicher Teil in den
Bezirk der Lenzer Wische (Lenzen, Seed(.)rf, Mödlich, Gross-
Wootz, Kietz) fallt. Südlich der Linie Lenzen, Pritzwalk, Freien-
stein scheint es heute nicht mehr vorzukommen, wahrend sich nördlich
neben noch vorhandenen (Warnow, Tellschow, Krempendorf)
wenigstens das einstige Dasein (Mansfeld, Frehne) hat feststellen
lassen. Dahingegen ist der südliche und mittlere Teil der Mark von
einem Hause durchsetzt, das sich als eine Abwandlung des sächsischen
Urspmngshaoses erweist. Es stosst im Süden an den Fläming, wird
dstiteh znnächst von der Nnthe, dann von den gewaltigen Niederungen,
die sich von Trebbin bis an den Teltower See hinziehen, begrenzt, und
verliert sich nördlich von Berlin in ungewissen Linien; doch schdnt es die
Linie Berlin— Joachimsibal-'Prenzlan und nach Norden Prenzlan— Rheins-
beiig nicht zu überschreiten. Es tritt auch nicht über die Oder, sondern
bleibt dem Flnsslanf noch erheblich fem. Ehemals wird dieses Haus
das eben umgrenzte Gebiet mit Einschlnss Berlins vollends ausgefüllt
*) leh vemMidB hier den ?<m Hemüng und Meiteen betonten ZutinunenhMig
mit den nordfichen Hana^ tun hier mOgUdut die Ortilchen Verbindnngsiflee her-
nurteUen.
1
2
Robert Mielke:
liaben, honte muss es indesseu die Herrscliaft mit dem fränkischea
nicht nur teilen, sondern es weicht vor ihm steti^^ zurück.
Das fränkische Haus steht an Ausdehnung allen anderen voran;
es hat sicli überall einj^enistet und den Zusammenhaiig der übrii^eu
gesprengt. Dafür fehlt ihm aber selbst der Vorzug einer freschlosscneu
Lage. Selbst da, wo es am weiiiusten von anderen Typen durchsetzt
ist, in dem Strich zwischen ßrandcFiburg uud Berlin und seiner Fort-
setzung nach Frankfurt a. O. zu, sind die BnutcTi nicht von nltertüm-
licheni Gepräge. Es scheint nach allem, als ob der friinkist he Typus
erst später eingewandert sei als der sächsische. Im Süden, im Anschluss
an die Hesiedelungsverschiebuog der Provinz Sachseii, ist er allerdings
schon sehr früh aufgetreten; hier liat sich jedocli sein Äusseres, wenn
auch mit BeibelialUing der fiiiukischen Eigent liinlichkeiten, zu einem
neuen fremdartigen Gebilde herausgestaltet: dem Haus der wendiscli-
lausitzschen Bevölkerung, dem aber augenscheinlich von dieser Bevölkerung
auch eigene Elemente beigemischt wnrden. Die Grenze dieser Abart
verläuft westlich von Zahna über Jüterbog - Teupitz—Storkow— Fürsteu-
walde— Frankfurt— Drossen-^Limdsberg a. W. — Woldeuberg nach Neu-
stettm bin. Östlich ist die Ansdehnung nicht festgestellt; sie scheint sich
hier in schwer zu verfolgenden Linien in den ostdeutschen Typus sn
verlieren. Für die Mark ist der ostdeutsche Typus der dritte, welcher
in Betracht kommt, wenngleich er auch weniger zahlreich sich erhalten
hat als die anderen. In mehrfacher Anzahl sind Häuser dieser Art nur
noch in einzelnen Oderddrfem <Rädnitz bei Grossen, Blessin, Güste-
biese, Alt-Lietzegöricke, Z&ckerick) vorhanden. In anderen (Alt-
RQthnick) sind sie noch vor Menschengedenken benutzt, aber durch
Brand vernichtet oder durch Umbau uokenntlich geworden. Doch
haben sich vereinzelte Exemplare noch über die ganze Neumark hin bis
in das südliche Pommern und in dem westlichsten Zipfel ^Stranz) West-
preussens*) erhalten, um den Zusammenhang mit dem östlichen Stil-
gebiet zu belegen. In der Neumark drängen sich die Orte mit diesen
Hänsern enger zusammen (Nahausen und das benachbarte aber pom-
mersche Roderbeck, Jädickendorf, Butterfelde, Gross-Wubiser,
Zorndorf), um von hier aus westwärts durch die Uckermark (Nieder-
Finow, Liepe, Hohenkränig, Parstein, Neu - Künkendorf,
Zichow, Gerswalde, Alimsmühle, Stolzenhagen, Brodowin,
Lüdersdorf, Lünow) bis in den Ruppiner Kreis (Rüth nick,
Linum) und in die Nähe Berlins (Schönfliess, Giesendorf) sich
vorzuschieben.**)
*) lu Straiiz hörte ich von einem er. 30jälir. Knecht, dass sein Grossvater solche
Httnser vielfacb noch gelMnt habe, „weil er eigentlich aodere nicht bauen konnte".
**) Man bat) weil in diesen durch eine nichtige Lanbe atugeseichneten Häusern
heute vielfach eine Gastwirtschaft betrieben wird, geltend gemaebt, dass die Laoben*
Die B«neiiihiiiMr in dir Hark.
3
Aach die Nfthe Berlins bat auf die tunliegende Bauart dadurch ein-
gewirkt, daas das fränkische Wohnhaas einen mehr städtischen Charakter
erhalten liat, zu dem nicht selten eine vorgelegte massive Treppe bei-
trägt. Diese in ihren ältesten Vertretern etwa erst 3 Jahrzehnte alten
Baulichkeiten scheiden hier jedoch ans, da sie sich zu einer voiks-
tüMili( luMi Eigenart bisher nodi nicht entwickelt, vielmehr Willkür and
Mode die letzten Keste einer solchen hinweggespült haben.
Wo von einem regelrechten Wirtschaftshof die Rede sein kann,
d. h. überall, wo sich nicht das sächsische Haus in anveränderter Gestalt
erhalten hat nnd wo für bestimmte Zwecke auf einen solchen verzichtet
worden ist, da folgt derselbe dem bekannten fränkischen Vorbild (Abb. 1, 2).
Nach der Strasse zu der mit grosser und kleiner Einfahrt versehene Zaun
oder das Thorhaos, parallel zu ihm die öchemie, links mit dem Giebel
der Strasse zugekehrt das Wohnhaos and rechts ihm gegenüber der Stall.
Wenn sich in der SteUnng des Wohnhauses fiberhanpt ein bestimmter
Unterschied verfolgen lässt, dann scheint dasselbe in dem n5rdlich«i
käuBer erat spät und aus gewerblichen Bcdürlnissen eotätanden seieo. Dagegen
^pveehen vendiledene TbAtaaehen: 1. Dm VorliBodfiauialii in bo vielfacher Amabl
imiMrbalb eb und dewelben Oites (in Zlckeriek nech vor 4 Jahren 7 Httiuer); 2. die
Giebelfigar, welche niemals aus gekrenaten Windlatten Bondern aus einem sc nkrL chten
Brett entwickelt ist; 3. dasa bei markischen Gasthöfen fränki^< i . r Art « benfiilLs » ine
Laobe hantig mt — aber an der Langseite. Ich schhesse vieluicbi, daäs gerade, weil
die Laabfl idch geeignet erweist füi den Gasthof, so viel einzelne Exemplare sich
innerhalb einer gana anderen Umgebung gehalten haben.
2. Der Wirtschaftshoi
1. Dallgew.
Digiii^uu by G(.)0^1c
4
TM
JDet Jrt t m st I .
8. Beichow.
Teil der Ihlark meistens auf der linken Seite, im südlichen, in der
wendisch-lansitziscben Gegend, auf der anderen Seite zn stehen. Dabei
ist fast immer die Anordnung im Quadrat beliebt; Abweichongen, durch
einen Graben oder eine spätere TeQung des Hofes hervorgerufen, sind
selten und von den verschiedensten Zufälligkeiten abhängig. Ver-
einzelt kommt das Wohnhaus mit der Langseite parallel zur Borfetrasse
vor, dann aber ist der Hof meistens erst ans der Yergrösserung des
landwirtschaftlichen Betriebes entstanden. Ursprünglich nur ein kleines
Anwesen, in dem der Stall unter dem Wohnhausdach sich befond, ist
der Hof durch Zuban entwickelt worden. Namentlich hat die Nähe
Berlins, die auch kleinere Wirtschaften mit der Zeit sehr ertragföhig
machte, auf die Entstehung solcher Wirtschaftehöfe eingewirkt
Vor der Giebelseite des fränkischen Wohnhauses ist fast immer
ein kleiner Hausgarten, der — wenn er auch hier und da nur fQr
Gemüse angelegt ist — in den weitaus
meisten Fällen auch für Ziersträucher
Raum hat. Selbst bei kleinen Eossäten
fehlt dieser Garten nicht. Ist nicht ein
schmaler Streifen vor der Langseite dazu
bestimmt, so fehlt er wenigstens nicht
rechts oder links vom Hause. Auf dem
Hofe befindet sich die Dnnggrube, meistens
nur eine schwache Vertiefung, bisweilen
aber mit Spundwänden regelmässig ein-
gefasst In diesem Falle läuft ein regel-
rechter Fusssteig am Stall und an der Scheuer vorbei (Reichow, Abb. 8).
Für die Brnnnenanlage lässt sich nur schwer eine bestimmte Anordnung
nachweisen; es sei denn, dass sie in mdglichste Nähe des Hauses gerückt
ist. Nur im Osten, im Süden und vereinzelt in der Priegnitz ist der
grosse hebelartige Brunnenbaum beliebt, um das Wasser aus dem mit
Bohlen bekleideten Senkschacht heraufzuwinden; man begnügt sich in
den anderen Teilen der Mark mit einer einfachen Stange. Die Nähe
Berlins hat dann auch diese urwüchsigen Brunnenanlagen durch Schwengel-
brunnen, seltener durch Abessinier, verdrängt.
Auch das sächsische Haus hat sich diesem fränkischen Gehöft zu-
meist anbequemt. In der Priegnitz, wo sich noch am häufigsten der
rain sächsische Typus erhalten hat, geschieht dies noch zögernd unter
Betonung des alten Sachsenhauses als Wohngebäude. Die Scheuer steht
dann rechtwinklig in der Tiefe des Hofes zu diesem und der Stall ihm
gegenüber. Nur der Pferdestall ist häufig dem Wohnhause derart vor^
gebaut, dass er das alte grosse Einfahrtsthor auf der einen Seite flankiert
(Gross-Wootz, Mödlich). Vereinzelt wird allerdings auch ein neues
Wohnhaus, und dann mit der Langseite der Dorfstrasse zugewandt, er-
L/iyitizuü by Google
Die Bauernimuser üi der Mark.
5
richtet, und das alte in Ställe iim^owandelt (WarnoNV, Krt' ni i»en(l()rf).
In der Mittelinark hat sich das säclisische Haus zu oiruMu, wie nocli
ausgefiilirt werden wird, ganz örtliclien S(»ndertypus der Mark um-
gestaltet, hei dem das Kleinvie]i hier und (hi noch unter dem Wolmhaus-
dach geblieben ist, für die andereu Erfordernisse jedoch alle Bauten
dem fränkischen Vorbilde folgen.
3. Die einzelnen Arten.
A) Das sftehsisehe Hans und seine Abwandlungen.
a) Der rein sächsische Typus.
Von der urw üchsigen säclisischen Art mit Diele, Stall und Wohaungen
unter demselben Dach sind nocli ganze Dörfer in dem äussersten nord-
westlichen Zipfel der Mark, der sich in den von Elbe und Löcknitz ge-
bildeten Winkel hineinschiebt, vorhanden. Wir finden hier Uäa8er(Abb.4-6),
i. MOdUoh. 6l M «dliflli. 9. WurDOw.
die noch aus dem 17. Jahrhuudt'rt stauimen (Haus des Mertens in
Mödlich lf)26), die also noch alle Bedingungen einer verhalt nisin;is>ig
frühen Entwirkeiun": an sich haben. Der Herd ist allerdinf4> luuitig ver-
ändert, wie aiK Ii die Stalle /umeist einn:esclir;inkt sind: aber noch vor
wenigen Jahren zog der Rauch durch d;is fjanze llnus, aMes mit einem
dicken Russ l»elegend und :ius dem Rauchlocli, dem „Ulenlorh -, ent-
weichend, oder schauten die Rinder in die Diele. Die erste und durch-
greifendste Änderung ging mit dem Herde vor, der an die Rückwand
üigiiizeü by Google
6
Bobert Mielke:
gerflckt wurde und zwei oben rnodbogig geecblosBene Settenmanern
erhielt, wobei der hier und da vorhandene «Speck wiem" flberflfissig
wurde. Der Rauch wird durch eine obere Öffnung in denSchomstoin geleitet
Diesen allgemein als „Schwibbogen** (Abb. 7) gekannten kaminartigen
Herd, findet man auch im benachbarten Hannover und Mecklenburg, wo ich
ihn bis in die Nähe von Wamemfinde verfolgt habe; seine Ausbildung muss
also wohl schon sehr frühe erfolgt sein. Hin ond wieder hat er auch einen
kleineren, ebenso gestalteten Nachbar, der för die Alt-
sitzer bestimmt ist. Ein alter niedriger, steingemauerter
Herd war noch vor einem Menschenalter ib einem Möd-
licher Hause; er musste wie viele seiner Art weichen,
weil die Dorfstrasse nach der anderen, dem Deiche zu-
gewandten, Seite der Häuser verlegt wurde. Dadurch wurde
7. sohwibbogaa. ^.^ mittlere Stube zu einem Durchgang gemacht»
dem auch der Herd zum Opfer fallen musste. Der Herdraum, das
«Fl et**, dessen Namen ich übrigens für die Mark nicht belegen kann,
ist mit der Schaffung des «Schwibbogens** zum Teil zu einem Küchen-
räum geworden, der bisweilen eine Seite für eine Stube hat hergeben
müssen (Warnow). In dem Hanse des Fehrmann in Mödlich, 1793
erbaut, ist er noch durchgängig, an anderen Stellen (Seedorf) ist auf
einer Seite ein alkovenartiger enger Verschlag, der «Butz*,*) eingebaut,
der zum Schlafen dient. Auch in den Stuben ist ein solcher Schlaf-
alkoven an älteren Häusern noch in Gebrauch (Warnow).
Das Bestreben, die Stuben auf Kosten der Ställe zu erweitem, hat
auch den Tennenraum in der Weise vielfach umgestaltet, dass die einst
offenen Wände nach der Diele zu geschlossen wurden, dass sie selbst
soweit in die Diele hineingezogen worden sind, um hier nur noch einen
breiten Gang übrig zu lassen. Dadurch ist die spätere Entwickelung,
die ich das «märkische Dielenhaus" nennen möchte, schon in ihren
Grundzügen eingeleitet. Nur der Pferdestall behauptet noch zähe die
alte Dachgemeinschaft; wenn es nicht anders ging, auch in der
hannoverschen und oldenbui^schen Form, dass das Walmdach
beiderseits von der Dielenthür heruntergezogen und durch Fachwerk-
wände gestützt ist (Gross-Wootz). Dadurch hat der Eingang des
Hauses einen offenen Vorplatz, «den Vorschuer**, erhalten, der auf dem
gesamten Gebiete des sächsischen Hauses nicht fremd ist. Als letzte
Entwickelung tritt dann der Pferdestall als selbständiges, mit be-
sonderem Dache versehenes, Vorhaus auf, das aber noch durch eine
Thür von dem Haupthanse aus zu betreten ist (Gross-Wootz).
") Kin Wort, das t*l»enso in Braunschwei;:, im ])cnftLiibarten hannov. Wi-ndlando
Mrie in Friesland wiederkehrt. Vgl. Andr^, Braunschw. Voikskonde S. 110, Hennig,
HaoDovv Wendland S. 86, Lanns, Das friesifche Baoerobaiui S. 7.
biyitizeü by Google
Die BatMmhftuser in <lur Mark.
7
Das Korn wird noch anf dem offenen Gebälk der Diele unter-
gebracht, wenn nicht, was allerdings sehr häufig, eine besondere Scheune
errichtet ist Auch bei dieser ist das Dach bisweilen anf beiden Seiten
der Schennenthfir heruntergezogen, um die Kornspeicher zu erweitem.
Eine abgesonderte Entwickelung vom sächsischen
Hause scheinen die grossen Schafställe genommen su
haben, die man anf den weiten Wiesen der nord-
brandenburger Luche antrifft. Es sind nicht mehr
viel vorhanden; sie sind aber darum vielleicht sehr
beachtenswert, weil sie zeigen, wie das Sachsenhaus
für einen ganz bestimmten Zweck umgebildet worden
ist Den Hanptranm des zwischen Friesack und
Na ekel gelegenen Stalles (Abb. 8) nimmt der Schaf-
stall ein, dessen für Futter bestimmter Dachranm von
2x3 Stielen getragen wird. Die Wohnung, bestehend
aus 2 Wohnräumen und der Herdstelle, liegt am
anderen Ende des Hauses und hat noch einen besonderen Vorflur, von
dem ans der Stubenofen geheizt wurde. Das nicht mehr benutzte Ge-
bäude stammt etwa aus den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts.*)
1 y..H*/mf
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8 Vrimek*
b) Das märkische Dielenhaus.
Wie srhon erwähnt (Mtullicli: Fchrniaiin 1703, Mertens ir>iMl)
strebte die Entwiekelung »ics sächsischen Hauses darauf hin, die Ix ider-
seit,s der Diele gelegenen Ställe zu \V<»hnziiuniern und diese zu einem
Gange zu verringern. Welclu' w. iteren Unistiiude dazii beitrugen, die
Wobnräunie selbst nach dei- (iiclu'lscite zu verlegen, ob, wie in den
Dörfern der T^enzer Wischt', die Änderung der Dorfstrasse oder die Er-
wcitcruiiij dieser zu »'iucin grossen Handels- und Ileerwege hier die
Eutwickt'lung beeinllu>stcn,**) sei dahingestellt; jedenfalls haben wir bei
einer und zwar zum Teil sehr alten Abart des Dielenhauses clie Er-
«choiming, dass sowohl das Thor zur Thüre, die Diele zum Gange
zusannnengeschruiiijtfeii, und die Wohnstube nach der Strassenseite verlegt
ist. T>ass auch die Dreiteilung ih'S Grundrisses, die ja von fast allen
S< hilderei-n des sächsischen Hauses hervor^ hohen ist, nicht verwischt
wird, kann ebeufalls nicht ohne JJedeutung sein.
*i Nach mi'iner Kenntnis halten <lie Scliafr^Uillo «ler I.iuieburj;tr Hci.Ie niflit
die^e Ausbildung; ich will aber dabingestellt sein iusscu, wiu weit wir es liier mit einer
beBonderen bnuidenboiger Fonn za thnn haben.
**) Anffallend ist es iintnerhiii, das« die hier in Betracht kommenden Dörfer fast
durcbgohends an den alten Strassen liegen, die von Sachsen einerseits übrr Branden-
t>urg, an'lrf rsrits über Berlin gingen, sich bei Nauen wieder vereinigten und nurdwttrts
nach Uauiburg zustrebten.
8
Itobert llfidke:
1 H,//-, 1
& Robrbeck.
In dem Dorfe Rohrbeck bei Spandau, das einst nnr solche Häuser
besass, sind heat noch awel vorhanden (vor 10 Jahren noch 5)^ die.
dnrch Jahreszahlen fflr 1744 und 177? gesichert sind (Abb. 9).
Beide lassen besonders die Dreiteilang des Grundrisses
deutlich erkennen; nnr sind die Ställe zu Wohnr&nmen
gemacht nnd der Herd nach der vorderen rechten Ecke
des Flnres gezogen, um die benachbarten Stuben mit zu
erwärmen. Koch aber lässt sich hei dem älteren dnrch
einen sonst ganz unverstandlichen Wandvorsprong und
einen darauf lagernden mächtigen Balken erkennen, dass
gerade der hintere Teil des Hauses einschneidenden Ver-
änderungen unterworfen wurde. Hier ist also von dem
quergelegten Herdraum nichts mehr vorhanden, sondern er selbst zu
einem Teil des durchgehenden Langflures geworden.*)
Ein anderes älteres Haus hat sich in dem Dorfe Herzberg bei
Neu-Ruppin erhalten, das vermutlich in den Anlang des 18. oder das Ende
des 17. Jahrhunderts zu setzen ist (Abb. 10, 11). Da die hinteren Anbauten
Tenne und Ställe, nach Aussage des Besitzers 1779 errichtet sind, dis
Haus aber sicher älter ist, so scheinen auch an dieser SteUe einst
andere Räume vorhanden gewesen zu sein. Die Eingangsthür ist nur
klein, der in der Mitte gelegene Flur, zu dessen Seiten Je eine Stube liegt^
ist kurz und fährt in die grosse Küche. Einst bat sie wohl den ganzen Raum
zwischen den Langwändeu eingenommen, heut ist die eine Seite zur Ejunmer
ah^ct I < Mint und eine solclie auf der anderen aussen angehängt. 1 >er
H»'id ist wiedri wio >>pi dem Kohrbecker Ilau.so nn die der Wohnstube
iM'nnchharte Wand geriickt. In Herzberg i.st ein grösserer Stall vor-
iianden, der in Rohrbock, einem kleinen, abseits gelegenen Dorf von
nur wenigen Feuerstellen, in dem Hauptliause nicht mehr zu erkennen
ist. Vermntlieh k;un bei ihm von vorn liureni der frUnkiselie Wirtsrhafts-
hof in Betracht, den es, wenn auch in bescheidener Weise besitzt
*) Das erinnert an dne dtnchana entspTeehende, aber aas anderen GrOnden benror*
g^ngene Verttndening des säcb^chen Hauses, wie ich sie an kleineren städtischen
Häusern Xiederdentscblands, z.B. in Delmenhorst gesehen habe, wo auch der drei-
gliedrige Grundriss ^'cblielx ii war, bei welchem rechts und links Stuben, aaf dem
durchgehenden Flur jedoch Schränke, Truhen u. s. w. untergebracht waren.
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Die Bauernhäuser in der Mark.
9
Ao8 diesen Übergangsformen ist wohl das eigentliche „märkische
Hans' (Abb. 12) hervorgegangen, das in seinem ganzen Aufbau von dem
Herd besw. dem Schlot abhängig ist. Der erstere bildet die Mitte des
ganzeo fast quadratischen Baues nnd steht in einem viereckigen massiven
Raum von dorcbscbnittlich 2 m Länge auf jeder Sdte, der sich nach oben
zn einem noch immerhin mächtigen Schlote verengt. Eiserne Krammen
oder Leisten mit Zacken dienten früher ffir das Bänchem^ das immer
mehr abkommt, weil dieser alte Herd nur noch in AnsnahmeföUen und
an seiner Stelle der häufig neben ihm erbaute kleine Sparherd benutzt
wird. Vor diesem Herdraum nun liegt eine kleine
Diele, fast quadratisch, von der rechts und links
je eine Thür in zwei Yorderstuben und eine schmale
Stiege in einer Ecke auf den Boden fahrt. Von den
Stuben ist häufig noch eine Kammer abgetrennt,
die bisweilen auch mit dem Herdraum durch
eine Thür in Verbindung steht Von dem letzteren
gelangt man durch eine andere Thür in den rück-
wärts gelegenen Stall, der die ganze Breite des
Hauses einnimmt und durch eine Seitentbür mit
dem Hofe verbanden ist Als Stall wird der Raum hent nur
noch selten benutzt, daün sind die Kühe aber mit dem Kopf der
Wand zugekehrt. Abweichungen kommen nur durch die Fortlassung
deg hinteren, dem Herdraum folgenden Flures vor, oder es ist der Stall
durch Anbau vergrössert.
"ZI
An/n
—4—1
la PfnidMi.
c) Das Haus der Nuthe-Nieplitz-Niederung.*)
Besonders gross und von einem ehemals hohen Besitzstand zeugend
ist das märkische Dielenhaus in der von der Nuthe und Nieplitz durch-
flossenen Niederung zu finden, wo es — wie noch in einem der folgenden
Abschnitte des Weiteren ausgeführt werden soll — einen Höhepunkt in
der bäuerlichen Baukunst der Mark darstellt. Diese Niederung gehört,
obwohl sie nur wenige Mellen südlich von Potsdam gelegen ist, zu den
am wenigsten bekannten des Brandenburger Landes. Zum Teil durch
grosse Sümpfe von den umgebenden Gebieten getrennt oder von solchen
durchzogen, hat sich hier ein landwirtschaftliches Stillleben heraus-
gebildet, das auch heate noch anhält, weil der alles gleichmachende
Verkehr noch nicht über die örtlichen Bedürfnisse hinausgewachsen ist.
Was an städtischen Gemeinden der Niederung zuzuzählen ist, liegt alles
an der Grenze, die durch die Oi-tschaften Sarnnind, Trebbin, Lucken-
walde, Jüterbog, Treuenbrietzen, Brück and Beizig bestimmt wird.
•) Die diesem Ab?:rhnitt b»'ijjeg«'Henen AbMWnngen sind z. T. der Redaktion der
Baugewerks-Zeitang zu verdanken. S. auch den Abschnitt Uber die Literatur.
. j . > y Google
10
Robert Hielke:
t
Je
Auf diesem för eine volkBtamliche Übertragung so überaus günstigen
Boden hat sich das Dielenhaus in allen Dörfern nicht nnr er-
halten, sondern anch innerhalb grosser frankischer Gehöfte künstlerisch
selbstständig behaupten können. Die Vergrösserung des Rinder« und
Pferdebetriebes durch die Entwässerung mancher Lache wies schon in
den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts dahin, den alten Stall aufzu-
geben und grössere eigene
Stallbauten auf dem Hof zu
errichten. Daher sind die nach
18S0 erbauten Wohnhäuser
nicht mehr mit diesem ver-
sehen, wohl aber ist der alte
rirundriss beibehalten und nnr
Wolmzimmer sind da von vorn
herein angelegt, wo in älteren
Häusern der Stall in solche
erst umgewandelt werden
mnBSte. Doch findet man noch
genng nnveran(l(»rte in don
alten Gebäuden (Bardenitz,
Hen nickoTi dorf a. d. J. 1751,
zumeist Flur genannt, führt
und von diesem eine solche
\ .1 II*
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J_L
I.J
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IS. H«nBlekend«rf.
Abb. 13). Von der kleinen Diele, hier
eine Treppe in ein oheres Stockwerk
in den Bodenraum. Früher soll das obere Stockwerk zum Trocknen
14. KenmitB.
df's IToucs und zum Kiiut Ihm ii benutzt woidcn sein, was vielleiciit liifi*
iiii.l d(»rt noch ueschicht, gvgensvartig wird es mehr und mehr zu
Kammern uuigciunhM t.
Zu dieser einht illichen Anlag*» lind«'t sich bei vi«'!»'n, aher nicht
bei allen, Häusern ein Vorl)au, der als ein kleineres Giebelhaus das HauS
nach der Strasse hin verlängert (Abb. 15). Nur die Räckseite Steht mit der
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■
Die Bauernhäuser in der Mark. X\
des Huupthauses iu einor Linie, die vordere Langseitc ist soweit zurück-
gezogen, da.ss sie den Eingang freigiebt, diesen dann aber oft noch
durch einen vorragenden oberen Teü schützend. Auch quergesteUt
findet man bisweilen diesen Torban, für den als Zweck Altsitzerwohnnng
angegeben wird. Der Anban, der anch als Remise benutzt wird, ist eine '
Sonderbildang des ganzen Striches zwischen dem hohen Fläming nnd
der Neisse, taucht bald, wie in der Nothe-Kicplitz-Niederung, in ge-
schlossener Vielzahl, bald, wie in der Lausitz, vereinzelt auf, bald an
QlUBem sächsischer, bald an solchen fränkischer Art Seine eigentliche
Heimat wird der Osten sein, weil hier derselbe mit dem Haaptbau einen
architektonischen Organismus bildet, und auch die Überlieferung diese
IBk Frjink«niBfid«>
16 a. BokTurbiB^vng.
Fnwkwifsrd*.
Häuser als älteste bezeichnet. Bei dem " tri Müschen Hause wird darauf
noch einmal zurückzukommen sein. Daiiingegen ist der Vorbau an der
Nnthe nicht immer mit dem Wohnhaus fest ver-
banden, sondern bald durch einen kleiiien n, b;il<l
grösseren Abptnnfl von demselben getrennt. In
Frankenfördc (Abb. Hö) tin<let er sich an
dem nltostan, noch aus dem vorigcf! Jahrhundert
stammenden Bauernlinns, dns nls ciiizi^ps einon
vor Jahrzehnten statl|;cfiiii(l(MU'n I)t>rt Itnind über-
dauert hat, so \V(»it Zill ikkgerürkt, da.<> seine VordtTM'ite mit der
Rückseite des Wohnhauso niiuälu'ind in einer Linie steht. Er dient
hier als Pferdestall nnd ist sein Futter bergendes Obergeschoss mit
einem Tianfcrnne' vorsehen.
Die Tiierkwürdige Ersclioinung, dass wir eine Abwandlung des
sUchsisclien Hauses in eine snnst rein friinki-clie IIiif;inl;me liineingebaut
finden, gehört zu einer weiteren Eigentüuili« hkeit der NutiH'-Nie|)litz-
Niederung. Nur in der Stellung der Scheune ist insofern eine Ab-
weichung zu bemerken, als diese bisweilen als Thorhaus errichtet ist.
ij , i.y
Google
12
Robert Mielkei
In der Kegel wird der Hof nacli der Strasse von einem Plankenzaan
abgeschlossen, des^m l'furte und Einfalirt zu sehr hübschen Verzierangen
Veranlassung gegeben haben (Abb. 10, 17). In dem ältesten Hans in Kem-
nitz, dem sogenannten Xitchtwächterhaus, ist an Stelle der grossen Durch-
fahrt ein hohes bretterbekleidetes Fachwerkhaus getreten, das nach der Uof-
la, 0«iliOft«i]if ADV (K«mnli«). 17. OehAftotosmng (K«miiite).
8oit*' riiieii ortVnen LauheDp;aup^, nach derStrassonscito einen ebensolchen von
(lo[)pt'lt('r Tit't'i' hat, dessen äussere Seite jedoch teils init Fachwerk, teils
durch die kleine bezw. grossen Thüreu abgeschlossen ist. Die ächeune
Uk Lttlisdorf.
ist hier noch im Hintergmnd des Gehöftes. In ähnlicher Weise, nur mit
einem offenen Lanbengang nach der Strasse zn, ist es an einem anderen
Gehöft desselben Dorfes zu sehen (Abb. 14}. Zur Scheune geworden ist
das Thorhans ebenfalls in Kemnitz an einem aus dem vorigen Jahr-
hundert stammenden Gebäude, doch scheint diese Scheune Junger als
die übrigen Baulichkeiten zu sein. Eine offene Stelle zwischen der
oiy ii^uo uy Google
IMe BanenibAiuer in der Mwk.
13
Scheaoe und dem Wolmhans ist dabei durch eine Maaer geschlossen, so-
dass der Eintritt in den Hof nnr durch die grosse Einfahrt der ersteren
oder durch die den Toigarten des Wohnhauses nach der Strasse ab-
sehliflssende Pforte und das Haus selbst erfolgen kann (Abb. 86).
Während eine Lanbe am Thorhans häulig und an dem Stall bis-
weilen und dann immer an der Giebelseite sich bandet, ist der letztere
Doch durch einen künstlerisch schön entwickelten Futtergung ausge-
felchnet. Ffir den zweiten Fall lässt es sich schwer nachweisen, ob die
Laabe aus dem Organismus des Hauses hervorgegaogeu, oder ob sie aus
äusserer Veranlassung, durch Entlehnung drasselben hinzugefügt ist.
Jedenfalls dient sie heute zum Aufbewahren von Ackergeräten, zum
Ausfähren kleinerer landwirtschaftlicher Arbeiten wie Dengein u. a.,
nicht aber zum Unterfahren beladener Wagen, wie es an einem noch zu
besprechenden Hause der Neumark fibllch ist. Dagegen spricht schon
ihre Kleinheit und das Vorkommen am Stailgebäude. Vereinzelt scheint
sie dadurch entstanden zu sein, dass man den oberen Futterboden nach
der Dorfstrasse nachträglich erweitert hat; denn sie erscheint stets an
der Giebelseite und tritt dann h&u% Aber die Fluchtlinie des Gi-und-
stäcks hinaus (Lühsdorf). Die Vorliebe fflr eine Laube bat auch das
Wohnbaus mit einer solchen versehen, bei dem sie teils in Gestalt einer
kleinen Hanslaube vor der Thür, bald aber an dem erwähnten kleinen
Vorbau, dem Altsitzerhäuschen, erscheint, wo sie sich aus der Über-
tragung gewissermassen von selbst ergab (Abb. 15). Auf den dem Stalle
eignen Futtergang wird sich bei dem folgenden fränkischen Hause
Gelegenheit finden zurückzukommen, da er nicht allein der Nuthe-Nieplitz-
Niedemng eigentümlich ist, in der er aber eine besonders künstlerische
Ausbildung erfahren hat
B) Das fränkische Haus und seine Abwandlungen.
a) Das reinfränkische Uaus.
Wir haben in der Bfark nur wenige Häuser, die älter als ein Jahr-
hundert sind. Es ist dabei auch fraglich, wie weit wir in der Zu-
vM'lässigkeit aller Angaben über die noch vorhandenen Bauten gehen
dftrfen, da diese doch mancherlei Umbauten unterworfen worden sind.
Nur das eine tritt auch an den märkischen Häusern deutlich in den
Vordergrund: das ist die Wertschätzung der Feuerstätte und die sich
daraus ergebende Gruppierung der angrenzenden Räume mit ihren
gesonderten Feuerungen. Die alte Einteilung in zwei Haupträume,
welche durch den das Haus quer durchschneidenden Gang hergestellt
wird, ist zwar noch nirgends verwischt, aber beide Hälften sind jetzt
zu Wohnräumen umgestaltet und der Herdraum durch eine Wand von
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14 * Bobttt Mi«lke:
dem Flur geschieden. Das tritt schon an einem Haus auf, über dessen
Veränderungen urkundliche Belege vorhanden sind, die bis zum Jahre 1671
zurückgehen, das Hans selbst aber in eine noch frühere Zeit zurück ver-
legen lassen. Es ist das im Jahre 1898 erst abgebrochene Pfarrhaus in dem
Dorfe Dallgow bei Spandau (Abb. 19,^0). DieVermatnngist gerechtfertigt,
dass es immer seinem ursprünglidien Zweck gedient hat, weil der
Wirtschaftshof für einen rein bäuerlichen Betrieb zn klein erscheint; es
ist aber auch so gut wie sicher, dass es uns du Bild der bäuerlichen
Wohnung des 17. Jahrhunderts zeigt, wenn wir das durch den ZwcTck
gebotene obere Stockwerk fortdenken. Dieses zweigeschossige Wohnhaus
war, wie sich aus der Lage der Dachsparren erkennen liess, in späterer
Zeit auf beiden Seiten mit Anbauten und, wie sich ans der dnrch-
Uk PftUgow. 90. Dullgow.
gehenden gemeinsamen Fundamentschwelle erwies, auch nach hinten mit
einer Verlängerung versehen worden. Es bleibt also, wie es der Gmndriss
erkennen lässt, eine verhältnismässig einfache Anlage übrig. Vom Flnr
aus gelangte der Eintretende in die durch eine dünne Wand (ob immer
vorhanden gewesen?) getrennte gewaltige Küche, in deren rechter
vorderer Ecke sich der aufgemauerte breite Herd erhob. Der Rauch
zog durch einen gemauerten Schlot ab. Zu beiden Seiten von dem Herd-
ranm führten Thüren in die nach der Strasse gelegenen beiden Stnben
und, wenn man sich die später in den Stall eingebaute Kammer fort-
denkt, unmittelbar in den Stall. Es entspricht die Einteilung also dem
von Meitzen abgebildeten Hause Tafel I Fig. 2 und von den Henning ge-
gebenen Grundrissen Fig. 2 und 3.
Ein diesem an Alter vermutlich noch voranzustellendes Hans be-
findet sich in Krempendorf in der Priegnitz, von dem die Überlieferung
erzählt, dass in drän dreissigjährigen Kriege der Bewohner desselben
allein übriggeblieben wäre aber flüchten musste. Als er nach 6 jähriger
Abwesenheit zurückkehrte, war ein Fliederbanm durch die Wände ge-
wachsen und die sich sehr vermehrten Hnnde hatten sich als die ein-
zigen Bewohner eingerichtet Leider ist das Haus durch Einrichten für
2 Familien derart verändert, dass es für eine alte Form nichts mehr
beweisen kann; wohl aber befindet sich zwischen den Wohm^nmen nnd
dem Dachboden noch ein niedriges Zwischengeschoes, das ^^Hill*^, wie
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Die Banernblaeer in der Mtrk.
15
1 >kit9* \ X*m
1
tt.. Zol«how.
es sowohl bei Henning in Fig. 1 als anch grösser in Dallgow yorhanden
ist. Onrcli Anbau einer „Afsiet** ist der Grondriss dann noch weiter
verändert worden.
Ein alte Anlage, aber noch mit Betonung des Flures als einen der
Hianptteile des Hauses» lässt sich ans dem sehr veränderten Fischerbaus
in Zolchow (Abb. 21) bei Werder herausschälen. Die beiden äussersten
rechten Räume scheinen nachträgliche Anbauton
zu sein. Danach ergeben sich rechts zwei
Stuben, von denen die grössere den alten von
der Küche aus heizlKu-cn Oft-n liaf\ links sind der
ehemalige Stall, der heut in Wohnräume um«
gewandelt ist und in der Mitte der Flur, in den
die Herdstelle als ein massiver Schlot unnnauert
ist. Dem Hintertlui' hat man noch eine Kannner abgewonnen und den
vermutlich früheren Durchgang in den mit Treppen versehenen Vorflur
vermanert, um für die Heizung der aus dem Stall gebildeten Stuben
einen Anschluss an den Sehlot zu gewinnen. Das Haus ist anscheinend
aas dem vorigen Jahrhundert, vielleielit aber auch viel älter.
Zu einer inerkwüidigen Ausbildung des fränkischen Wohnhausos
hat man es in (in- l'rignitz «z^cbrncht, iruliMU mwn bei £rrössorpn Wirt-
schaften für Altsitzer und den Ibitbesitzer gx'sondfrtf Ihiiiscr erbaute,
beide jedoch durch einen grossen Tli'»i\vi'^ mit einander in Verbindung
brachte fG ross-Werzien). Das so entstandene Tiaiiirlians ist aber
nicht, wie man annehmen sollte, ans dem 'riuirliaiis liei'aus eiitwickelt,
obgleich dieses für sich zu einer /.iemlicli geia innigen Anlai;e «geworden
ist, sondorn ist einem Vorbild gefolgt, das sich für kleinere Kossäten
£;ebildet hat. In Warnow (Abb. sind noch )\ lieisi»iele, die ans
• lein Anfange dieses .lahrhunderts stannneu, aber noch echte Uauchhuuser
sind, da der iiauch durch eine Offrning
über der Thür entweicht, di«' durch
wiigerechte Scheite geteilt ist. Zu Seiten
der gemeinschaftliclien r>iele ist je ein
gesondertes Auweseu unter demselben
Dache, bestehend ausStube und Kammer,
und nach der Doristrasse zu Kuhstall
Qud Küche« letztere anch zugleich Diele,
also eine Übertragung des fränk. Urhanses auf kleinere Terhältnisse, bei
der unbewusst der alte Rauchflnr mit seinem Herde den Kern bildet
Eine solche Vereinfachnng ist anch in anderen Teilen der Mark
bekannt; sie ist eigentlich der Typus aller kleineren frankischen Anhigen,
bei dem das Wohnhaus mit der Langseite der Dorfstrasse zugekehrt
und dem höchstens auf dem Hofe noch ein gleichgestelltes Hof- und
Scheunenhaus zugesellt ist. Gerade als Kätnerhaus hat diese Form
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16
Bob«rt Mi«]ke:
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2B. Diedersdorf.
sich so ausserordentlich verbreiten und den fränkischen Typus zu einem
die Mark beherrschenden machen können. Da es sich auch häufig in
ehemaligen Fischcidot fi i u, in den Kietzen und in von grossen Verkehrs-
adern abgelegenen Ortschaften findet, so dürfte es auf die Gestaltung der wen-
disclieu Abart nicht unwesentlich eingewirkt haben.
Es beschränkt sich auf die notwendigsten Wohn-
gelasse; ein kleiner Flur führt auf die kleine Küche,
wenn nicht beide vereint sind, während beiderseits
die wenigen Stuben und Kammern liegen (Abb. 23).
Vorschub ist der weiteren Verbreitung dadurch geleistet, dass das-
selbe sowohl den Landbaumeistem Friedrichs des Grossen als Vor-
lage gedient hatte (Diedersdorf^Nen-
Wu s 0 w), als der König die vielen trocken
gelegten Niederungen derOder und anderer
Flösse mit Siedelungen besetste, als es
auch von den grossen Grondherrea für
die von ihnen abhängige Qutsbevdlkemng,
Gesinde und Pächter, bevorzugt worden
ist Zur Unterlage mag das sogenannte
Fischmeisterhans in Wichmannsdorf i. U. (Abb. 24) dienen, das noch
dem vorigen Jahrhundert entstammt
Thorhäuser kommen zumeist in der Friegnitz vor; neben dem Nnte-
Nieplitz-Hans auch in der Lausitz. Zu einer besonderen Würdigung
ist es auf dem östlichen Ende des Fläming, wo schon wendische Elin-
flüsse hineinspieleu, dadurch gelangt, dass es den ganzen Raum zwischen
dem Wohn- und Stallhaus ausfüllt und auch in gleicher Frontlinie mit
beiden steht Nur ein schmaler Gang bleibt in diesem Falle zwischen
den Mauern stehen, der bisweilen auch noch zugebaut wird, so dass
9L WtchniBBMctort
'^j. Mellen.
aö. Oersdorf.
dann das Thorhaus mit den beiden oder einem der Nachbarhäuser
zusammenwächst, eine nm so befremdlichere Bildung, als sie an das in
Dänemark vorkommende Gehöft und den bayrischen oder österreichischen
Einödhof erinnert, ohne dass man jedoch an eine Beeinflussung denken
darf (Mellen, Görsdorf, Abb. 25, 26, 27>
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Die BauemliäuMr in der Marie.
17
Mit besonderer Liebe und die Zinieif^uug des Märkers zu seiiu'ui
Vieh bezeugend, ist diis Stalli^cliäude heliandelt. Urs|triniglieli ist man
wohl davon ausge«4;iui<;en, den Futterboden dunli llervoikiagung nacli
der Hofseite zu erweitern (Mellen, Al>b, eine in der Mark ganz
allgemein übliche Konstruktionsweise, die sich wahrscheinlich durch
ganz Mitteldeutsclilaud verfoli^en
las.st. Sie scheint aucii schon
früh bei uns ai)m'\vaiidt zu sein,
denn auf dem von >[erian ge-
zeiciiueten Pros[»ekt des Amtes
Zehden(Abb. "JU) ist sie bereits
vorhanden. Iiier und dort, be-
sonders wieder in der Nuthe-
Niejditz-Xiederung und im Spree-
waldgebiet, ist der vorgekragte und erhöhte Teil der Mauer ei'st durch
teiiweises, dann gänzliches Fortlassen des Füllwerks zu einer otieneu
91. CMrsdorf.
9& MeUen.
2». Zchden.
Galerie gewoitien', hinter der dann eine neue zweite Mauer diese zu
einem „Futtergang'' macht (Abb. In der Kegel ist dei- Gang bis zur
Mitte mit einer Brustwehr versehen, welche nach t oder c) Gelachen von
aa Z«Uin«rtdorf: Bl. Bnchlioli.
einer ganzen Öffnung durchbrochen ist. Auch bei neuen Hauten
(Bachholz, Abb. 31) hat man diesen Futteruanir nicht autVem ben,
sondern ihn — ein gewiss irntes Beisjtiel von der Tiefe der vojkstinnliclien
Kunstüberlieferuug in Norddeutschland — höchstens bei dem schwereren
Mauerwerk entsprechend voller gestaltet.
2
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18
Bobert MiellEe:
b) Das wendische Hans.
Als ein Untcrtypiis des lV;mkischcn stelli'U sich dio vcrscliiedenen
Alten des märkischen Wendenhausc-; dur, «!!•• Im-I der künstlerischen
Anlage der Wenden zu einer eip:enen Form gelangt sind, unter dei- sich
jibor noch Spuren einer ganz nrsj)rünglichen Anlage des fränkischen
Hauses verbergen. In seiner stilistischen Gel>und(>iilieit hebt sich dieses
Haus als eine besondere Abart hervor, die viim eingehendere Scbilde-
ruug verdient.
Auch bei ihm liegen die unterscheidenden Merkmale in der Ver-
teilung der Räume und ihrer Abhängigkeit von dem Herd, gleichviel ob
das Haus allein steht oder Glied eines >Yirt-
pZ.:,"^ ] ^\ [• schaftshofes ist, da das Wohnhaus in diesem Falle
l:r./.^;,"X:ij , ^"^ auf denselben Ursprung zurückgeht (Abb. 112).
Es ist ein langgestreckter, immer einstöckijjer
Bau, der in seiner frühesten Entwickehing
I ^1 j
Qi. Wo&dilohM Haos Wolingidasse und Stall unter demselben Dache
hat . was jetzt nur bei kleineren Betrieben,
dann aber auch noch mit llinzunahme der Scheune, der Fall ist. Der
Grundrkss ist dersell>e wie bei dem altlrii iikischen. Der Flur liegt in
der Mitte, auf dei- oineii Seite der Wohnraum, auf der anderen
Seite der Stall. St» zeigt ihn ein Haus an der märkisch-sächsischen
Grenze, in Theisa (AM». das obwohl verwaltungsrechtlich zu
Sachsen, aber doch so nahe iler Grenze liegt, dass ich es hier um
SO eher anführen darf, als es durch eine Jahreszahl für 1I)5S, möglicher-
weise für KuiS bestimmt ist. Der Wohnraum ist noch immer der grosse
Einheitsraum, der nur durch einen hinteren
Mmmtf /:i«*«>»»lwilw. •! Anbau erweitert ist. Eine Zwischenwand
scheidet den grossen Flur von dem Herd-
lauin; aus ersterem führt eine schmale
Stiege in den Dachraum. Der nach hinten
gelegene ehemalige Stall ist durch Zu-
m. Th«i8A. mauern der Stallthfire und durch Er-
weiterung der alten Luke zu einem Fenster
heute eine Kammer geworden. Er ist jedenfalls sammt dem Flur nicht
so alt wie die Wohnhälfte, da diese aus Blockbalken, jene aber als
Fachwerk errichtet sind. Das wird auch durch den Herdraum belegt,
der in altei'tümltcher Form vorhanden ist
Sehr altartige Häuser sind in den Dörfern zwischen Kalau und
Triebel erhalten, von denen Ogrosen und Strado genannt seien. Bei
diesen ist der Herd in einem von allen vier Seiten ihn umgebenden
festen Schlot umgeben, der sich nach oben zu einem Schornstein ver-
engt und nach der Eingangsseite des Hauses mit einer Thür versehen
. ,j . .-Lo Google
Die BAnerahloBer in der Mark.
19
ist (Abb. 34.) Eine Seite wird von einer, Stabe und Flnr trennenden,
Brandmaner gebildet; die anderen 3 Seiten stehen frei inmitten des
Flores, der dadurch in zwei, vordere and hintere, dorch einen Gang
in Verbindung stehende, Hälften getrennt wird. Die benachbarte
Stabe, von der rückwärts eine kleine Kammer abgetrennt ist, enthalt
neben dem Ofen noch einen kleinen Wandherd, die beide in den Herd-
Schlot münden. Yon dem Flnr gelangt man darch die von 4 Ständern
M. Stntao.
"V
\
\
1
li,.4-A
Kam.
Flur 1
i
86. JeiiMhkc.
konstruktiv getrennte, alter von Hlockbalken aosgefuhi'te, Wand ver-
mittelst einer kleinen Thüre in den Stall, der zwar nicht mehr in Benutzung
ist, den man aber noch an anderen Bauernhänsern voi-findet.
Eine andere und in der Lausitz sehr verbreitete Art schliefst sich
den für die Nuthe - Nieplitz - Gegend gekennzeichneten Vorbau-Häusern
an. Bei ilir ist aber der Vorbau ursprünglicli nur als alkoven-
artia:o Erweitcrunc: der Wohnstube aufzufassen, da ihm bäuüg jedes
Fenster fehlt, odei es höclistens auf
eine Luke eingeschränkt ist. l>as ab-
gebildete Haus aus dem abgelegenen,
wälderumgebeneu Dorf Jerischke ist sehr
altertiinilich (Abb. %^). An der Rück-
wand der Stube sind durch Abschläge,
2 Schlaf-Alkoven gebildet. Der Tliir mit
dem Ilerdraum ent.sjiricht dem des vorigen
Grundrisses; dagegen ist der Stall noch in Benutzung, in dem die Kühe
mit den Krjpfen der Wand zugekehrt stehen. Die Scheuer steht hier
rechtwinklig zu deiii Wolnihaus(> und enthält ausser dieser noch eine
Remise und einen Kaiiiii iVir das Kleinvieh.
Neben diesen im Kali inen des Wirtschaftshofes stehenden Wohn-
häusern giebt es einfachere, die, der inneren Natui- des wendischen
Hauses nach, sich mehr oder weniger dem allgemein fränkischen Typus
der Mark nähern. Das Wesentlichste ist, dass sich neben den 3 Urräumen
WohngelasSi Flur und Stall die Gliederung durch Etnschiebung oder
Abtrennung der Scheune und wohl auch noch des Schuppens fortsetzt
Bei ganz ärmlichen Anlagen fallen auch diese Bäume noch fort, so dass
Flnr, Küche und Stube bez. Kammer übrig bleiben, die dann so an-
geordnet sind, dass von dem Mittelflur ein fierdraum abgetrennt ist
2*
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20
oder beide Stuben, nur diircli eine Wand geschieden, liabeu eineu mit
der LäDgswand gleiclüaut'euden Vorraum, der in Flui*, Küche, Speise-
rauni u. dergl. g^liedert ist, doch so, dass der erstere in der Mitte der
Vorderseite zu liegen kommt und mit der Hiickseite auf die Stubenwand
stösst. (Abb. 36, 87.) Für das Vieh, in deu meisten Füllen eineZit ge, S(^hweiil
und ein paar Hühner, ist neben oder liinter dem Wohnhause je nach RaitlD
and Lage ein kleines Häuschen errichtet oder am WoJinliaus augehängt,
das sich iu selteneren Fällen — gewissennassen als Anfang eines Wirt-
schaftsbofes — va einem, dem Wohnhause parallel gebauten, Stall- und
Scheunengebäude erweitert (Tauern).
\cm don Geitäuden eines wendischen Bauernhofes ist das Thorhaus
iu moglirli^t grossen Verhältnihscii aufgeführt, so diiss es nicht mir eine
ahiretrennto Kanniier für Wirtscliafts^eräte liat, sondern auch noch eiuen,
bi'lbät uiehrcip Wagen schützend aiifnehinen kann. Ja es kommt auch
vor, dass ihm nocli ein oIhtcs (icschoss aufgesetzt und dem unteren
ein hoi'/bnrcr Wohnraum abm'wonnen ist (Kt'ichovv). Der zwciilügeligö
Durchgang ist iu der Mitte oder an der Seite und hat einen kleinen
Nebeneingang, für den bisweilen auch der schmale Raum zwischen dem
Thorhaus und dein Wohn- bezw. Stallgebäudc ausgenutzt ist. Der Stall
ist fast durchgeliends mit dem Lanfgang malerisch geschmückt, der bald
eine einfache, bald eine reich prohlicrte Brüstung hat.
Neben dem sächsischen und fränkischen Haus haben wir in der
Mark Brandenburg noch eine dritte Art, die weder mit diesem noch mit
der wendischen zusammenhängt, sondern einen selbständigen Kern
zeigt, der a1>er vielleicht auf den letzteren in eiiun* bestimmten Beziehung
eingewirkt hat. Jiei <lieser Hausart ist die Giebelseite meistens der
Strasse zugekebi-t, häufig zweigeschossig,' und es wird der weit vor-
springende obere Teil des Giebels derartig von Pfeilern oder Pfosten
gestützt, dass hier eine räumlich ganz bedeutende Vorlaube entsteht^
M. 8iiry«K>X»upeii.
87. Bug«r-Kaiitp«B.
C) Das ostdeutsche Haus.
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IX« Baaerobfloser in der Mark.
21
unter der sich» bald ia der Mitte, bald an der Seite, der Eingang be-
findet Letzterer öffnet einen Gang, der geradenwegs zn dem grossen
Herdraam fährt. An den Seiten des letzteren and des Ganges liogea
Kammern nnd Stuben. Der sich an den Herdraam schliessende Stall
ist dnrch das ganze Haas qaergelegt and von ersterem durch eine Thfir
zngäDglich. Der Herdraam selbst, wie alle älteren der Mark, verengt
sich nach oben in einen mächtigen Schlot, der häufig nur ans Holz
besteht nnd in einen gemauerten Schornstein endigt.
Wegen Fenergefahrlicbkeit und > seines Holzverbraaches
ist der alte Herd nicht mehr im Gebrauch; man hat
dann neben ihm einen neueren errichtet oder auch eine
benachbarte Sammer in eine Küche umgewandelt Der
Stall, durch Abteilungen für Pferde, Rinder und Schweine
bestimmt, ist hente aber vielfach in Arbeits- oder Wohn-
räume umgewandelt, da auch diese alte Hausart dem
fränkischen Gehöft zustreV)t und dmcli Scheuern und gesonderte Stall-
baoten den im Woliniiiiiise beiindlicliea überflössig macht (Abb.
Dass der Viehbetrieb einst beträchtlich gewesen sein moss, bezeugt die
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88. Li«iw
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SB. ZMk«riek.
40. Zio1t6ri«li.
GnVssf» des Stalles: in dein abgebildeten il:iu>e aus Ziickerick waren
ni( ht wcniirer als 10 Kühe, tlie mit dem Ivupf nach der Wand standen,
initeixebr:ir1it ( \\)h. 4ü, 41). Die Laube ist jetzt vielfach abgerissen,
noch hautiger indessen zugehaut, wodurch
das an und für sicli schon in sehr grossen
Verhiiltnissen angelegte Haus noeli ausge-
dehnter erscheint, (ieradr (lies«> für einen
haiiswirtschaftliclien ( i ('brauch sich voizuglich
eignende: iirüsse im Verein mit dei' gt;iäumigen
Vorlaul>fi ist wohl die Ursaclie, »lass ua<;h
dem allgemeinen HiickLrarig dicsei' ßauweise
der Typus für ( Jastwirt^ehaften festgehalten wuido. P«*r 7Aveck der
Lauben, der „Lawinge*" oder „Löwinge", wird \uu d.ii lieutigen
Bewohnern verschieden" gedeutet: teils sidlea >u; zum riiterlahren der
Wagen gedient luiben, teils nutzt man sie lieute zum Trocknen der
Tabaksblätter (in den Dörfern des Oderbruches) aus.
41. Zilckorick.
22 Robert Mielke:
Wo ist min die Urform diesos Hauses zu suchen? Sächsisch ist
sie siclu'i- iiiclit: dvim sonst niüssto die Laube auch an den Häusern
auf .siich.si.sclu'm Btjdeii vorkoinmon. Wie aus dem Nuthehaus hervor-
irelit, tritt die Laube hier nur am Stall und am Thorhaus auf, nie aber
am Wohnhaus. An fräiikischt'n Ursprung ist auch niclit zu denken, denn
tlie hier vorliandenen Laul»en siml an der Langseite und ganz anderer
Art. Wold aber giebt es in l'uunnern, Posen, West- und Ostpreussen
ein Haus, das eine gewisse Ül»ereinstinnnung des Grundrisses mit
unserem miirkischen Hause aufweist und das bis Russisch Polen und
Galizien hin verbreitet ist. Auch bei ihm erhält das Äussere durch die
mehr oder minder freie Laube sein charakteristisches Au.^sehen; auch
bei ihm sehliesst sich an den Herdraum der Stall an, nur dass nach
Osten hin Herd- und Wohniaum zusannneid'allen. Ist die Laube zu-
g«'baut, wie jetzt häulii» bei uns, so entstehen vor dem Herde neue
Woliinanme, so dass wir also eine «Ireifache Entvvickelung verfolgen
können: Im Osten Laube, Herd- und Stallraum, westlicher die erstere
in StiilK'ii umgewandelt und in der Mark unter Beibehaltung der Laube
eine Ei-weitening dui < h Hiueinsehiel)en von Stuben und Kammern
zwischen Herdraum und Laulie, Je weiter wir also nach Westen, in
die Mark komnien, um so mehr bedingen die wachsenden Kultur-
bediirlnisse einen Zuwachs an Kauinlichkeiten , dem schliesslich die
Laube zum Opfer fiel, was natürlich eine innner grössere Entfremdung
von dem Urbild einschliesst. Diesen Voi'gaug können wir schliesslich
auch in der Mark in weniger grossen Sprüngen sich vollziehen
sehen.
Wir haben hier zunächst ein Haus in Kädnitz bei Crossen
(Abb. 42), das äusserlich und in der Grundrissanlage an das von
Mt'itzen Taf. VI H. \) abgebildete Posensche und an
das von IL'uniii- Abb. 4*.) dargestellte hinteri)ommer-
sche erinnert. Obgleich es mit ilem Giebel der Strasse
/umkehrt steht, hat es — wohl unter den Einwir-
kuMiicu der >i( Ii hcrausgestaltenden Hofaulage, die weder
Meitzen noch Henning anführen — den Giebeleingang
verloren: doch ist die halbgeschlossene Vorhalle noch
\urhanden. An sie sehliesst sich — aber ohne direkte
Verbintiun;; — die grosse Stube nnt dem von der
Küche heizbaren Ofen. Die letztere selbst ist dem vom
Hofe aus zugänglichen Flur abgewonnen und durch eine
4S. Bftdalts. (^nert eilung nochmals verkleinert worden. Auf der
hinteien Seite des Flures folgen Pferde- und Kuhställe,
von denen der letztere nicht ursi»rünglich ist. Vor diesem die Dung-
grube, im llinb'igruiid ilie Scheune und auf der anderen Seite 2 kleine
Wirt.'icluiftshäuser vervollständigen das Gehöft.
biyitizeü by Google
Die Baaernhäuser in der Mark.
28
48. Ziehow.
aluT »las Fcst-
Solcher Häuser giebt es in diesem. Dorf und in dei* Nachbarschaft
eine ganze Reihe. Die Küche ist lediglich ein in den Dachraum hinein-
ragender Schlot. Von grösster Bedentiiog erscheint die der alten Laube
abgewonnene Kammer, die veriiiiitlicli dfu Ausgangs i)unkt des für
(iio Xutlie-Nieplitz-Niederang uiid fttr die Lausitz cliarakteristischen
Vorliausos geworden ist und bezengt, wie dfi' Austausdi von Osten
und Westen ein gegenseitiger war: dei- eine erfand da-^ Voj-luius, der
andere führte dagegen den fränki.schen Grundriss ein. Für dies(Mi
Ursprung dop Vorlianses spricht auch, dass es ebensowenig wie die
älteren Beispiele desselben mit Fenstern verstehen ist.
Eine bedeutend höhere Eutwickelungsstufo nehmen schon die nörd-
licheren Laubenhäuser ein, wenngleich hier das Festhalten an der vollen,
uneingeschränkten Laube eine gowisseruiassen ältere
Ep"( Iie anzeigen sollte. Dass sie jedoch den nächsten
5*chritt, die T>anbenhalle zuzubauen, nicht nun-ht, liei^t
wohl zum Teil an der Beteilignnu des deutxhen Kin-
wohnerelement.s an der I'eiuitzniii;. In Jiid ickenil «>i f,
das .schon in dem Beivich des Odci brn« lies lieiit, i^I
einem llau.se zwar die Laube lieut nicht mehr soiluinden.
halten des Stalles beweist ('lM'n>-<i wie in dem benaciiburteu Butter-
felde, dass die Enlwickeluug nicht -j»rnng\vi'ise
s«mdei-n allmählich vor sich gegangen ist. Auch
die Häuser in Zäckerick, die schon inehrfacli
veröifentlicht sind, gehören dieser Entw i( kclnngs-
.-^tufe an, die im Fortschreiten dann den Stall durch
Einbauten und schliesslich, wie in dem ucker-
maikiscIuMi Zic how (Abb. 48), (hirch Fortlassen
verliert. (V<»n zweifelhafter Herkunft scheint mir
fin Haus in Wichmannsdorf zu s«'in ^Vbb. 44},
das ans dem neumärkischeu Laubenliause hervor-
gegangen .sein kann, möglicherweise jedoch als
vereinzelter Vorposten de.s märldschen Dielcn-
hauses anzusehen ist.) Mit dem Herauwaclisen des Hofes wird das
Hinfiberleiten in den fränkischen Typus beschlossen, und nur die hier
nnd dort ans änsserlicher Veranlassung noch festge-
haltene Laube dentet den vorausgegangenen Umwandinngs-
prozess an. ^
Dass wir es wirklich mit einer alten Ban- Über-
lieferung zu thnn haben, bezengt nns auch Merian, der 45. AmswaM«.
ons in seiner ca. IHoO erschienenen märkischen Topographie
ein solches Hans ans Arnswalde im Abbilde (Abb. 45) erhalten
bat, das auch durch seinen Standort nach dem Osten hinweist.
4-
An
hmu.
m
■f.
U. Wicbmunaftdorf.
Digiii^iüu by Ljt-Jiv.'v e^
24
Bob«rt Midke:
4« Baustoff und Kunstformen.
Nebea dem Ziegel und Kols kommt der Granit als einbeimischer
Baustoff nur wenig in Betracht Zwar nennt unser märkischer Chronist
Ticu tingor in seiner Topographia unter den Stof1V>n seiner Zeit auch
liruchsteine, aber er wird sich wohl nur auf stadtist lio Bauten bezogen
haben. „Die Häuser der Keicheu baut man aus Ziegeln oder Bruch-
steinen, Mörtel und Holz; letztere auch niedriger. In der Mittelmark
deckt man sie mit Ziegeln oder Schiefer, sowohl des besseren Aus-
sehens, als der geringeren Feuersgefahr halber; in der Lansitz und im
Krosseuschen mit Schindeln, was in letzterer Hinsicht weniger sicher
ist. In der Uckermark, sowie in der alten und neuen Mark sind Stroh-
dächer die Regel". Mit diesen -Worten schildert derselbe Schriftsteller
die Bauten seiner Zeit, die ein uoclt lunite zutrelVendes Bild ihrer «»rtlichen
Vertcilunu ireben. I )en Bruchstein als BaustntV fiir den Hauernhof anzu-
wenden, ist erst der CJegeuwart vorbehalten geblieben, die nicht Selten
die Wirtschaftsgebäude, vereinzelt auch Wchnf^ebändo, aus Findliugeu
»•rrichtet. (Jühnsdorf bei Zossen, Krummensee bei Bernau, Ruten-
berg bei Lycheu.)
«. Orttnfold. 47. QccM-Wooti.
Der Backstein hat seit Mitte dieses Jahrhunderts eine steigende
Verwendung gofnmien. Auf einzelnen Ddifem des Fläming, in der
Wiesenburger Gegend, dann in der Nähe Berlins und im Norden an der
mecklenburgischen Grenze, ohne jedoch zu einer besonderen künstlerischen
Reife gelangt zu sein. Der Backstein als FuUmaterial in dem Fach-
werk ist bei älteren Bauernhäusern nur vereinzelt anzutreffen (Lenzer
\V!>< lie, Fläming) und scheint nidit olin>' Beziehung zu gewissen
Kolonisationsbewogimgen zu stehen (Abb. 47). Auch Luftziegel, die
IHe Bftuernbttuser in der Hark.
25
48 Stwaberg.
im Hansbetriebe gefertigt wurden, sind hier nnd dort als Füllmaterial
verwendet worden, die daneben aach an Herden, besonders In wendischer
Gegend (Sternberg, Abb. 48) angewendet wurden.
Das wirklidi dauernd angewandte Material des Landes ist das
Holz: in der ältesten Zeit der Eiche, seit Anfang des vorigen Jahr-«
hundert« der Kiefer. In seiner Anwendnog zeigt sich aber ein grosser
Unterschied nach den Landesteilen und dementsprechend
auch in der konstruktiven und künstlerischen Fonnbehand-
lung. Wie schon in der angeführten Stelle des Leutiuger
gesagt ist ^Lehm und Holz'*, so ist diese Anwendung dieselbe,
die noch heute grossenteils vorzufinden ist und wahrschein-
lich schon seit den Anfängen des Hausbaues üblich war.
Ihr gegenüber steht die Technik des reinen Holzbaues in
der Form des Block- und Schrotbaues, die sich in ihrem
Verbreitungsgebiet mit der des oben angegebenen Gebiets der wendischen
Haustypen deckt, wodurch sich aiicli gewisse Eigenarten dorsrlbcn
erklären. Was nic ht in dieses Gebiet fällt ist mit Ausnahme der Halb-
laubenhäuser von Rüdnitz dem Fachwerk zuzurechnen, das seiner-
seits wieder die Gestaltung des fränkischen und sächsischen Hauses be-
einflusst hat. Allerdings mischt sich auch auf wendischem Gebiet das
Facliweilv stark mit dem Bl*>ekhai! , doch ist es wulil erst s|)at ein-
gedrungen und niHcht sich zunächst nur an kleineren Häusern geltend,
hat hier aber gleich Veranlassung zu eiuem Zierinotiv gegeben, das echt
wendisch und soweit mir be-
kannt, auch nur in ehemals
slavischen Gegenden vor-
kommt. Die Gefache sind iu
deutschen wie slavischen
Gegenden derart gefüllt, dass
zwischen den Pfosten und
Riegeln des Fachwerks roh
bearbeitete Holzscheite senk-
recht eiogenutet werden, die
mit Stroh gemischten Lehm
aufnehmen nnd*in seiner Lage
erhalten. Diese Lehmfläche wird auf deutschem Gebiet fast allgemein
nnd auf wendischem häufig geweisst, bisweilen auf letzterem aber durch
ein mehrzinkiges Gerät mit geraden oder wellenförmigen Linien-
Systemen ausgeschmfickt (Bruck Abb. 49, Reiche w Abb. 50), die an
das charakteristische Wellenornament der slavischen Vorzeit erinnern.
In dem Verhältnis dieser beiden Bauarten hat sich nun schon seit
langer Zeit eine kleine Verschiebung bemerkl>ar gemacht, indem sich
die Konstruktionsmotive zn ornamentalen Äusserlichkeiten verflächten.
4a Brttok.
So. Beiobow
2t>
Bobert Mielke:
(1. SpxMwaMliA«i.
68. Hcnnigidorf.
DftB Spreewaldlians (Abb. ol) ist noch ein «achter Blockbau, der, je
weiter wir ihn westwärts veifolgen, seinen Charakter immer mehr
vorltei't und sich mit firetterverschalnog hegnOgt Diese ist also als
Überbleibsel des ehemals ganz aus
Holz gefertigten Hauses ans der Kon-
struktion hervoigegangen , wiilireiul
die Bretterverkleidung, die sich in
reindeutsclien Gebieten findet, sich
tungekelirt uns omamentalen Gründen
entwickelt hat, wenn auch ursprfmg-
lich bestimmte technische Gedanken
wie Schutzbretter u. a. vorlagen. Es s:eht dies daraus hervor, dass bei
dem deutschen Hanse die Bretter nii-iit schleclitweg ganze Manerwände,
sondt in nur Teile derselben verdecken,
wäliiend sie am wendischen Hanse die
ganze Wand bekleiden. Je mehr man
westwärts in ohonials von Wenden be-
wohnte ( lt'i;t'inlt'ii ut'laniit, Hin so hiiiiliErer
tritVt Jiian aiirli ßirrtcrvrrkU'idiino:, dir
die Wände bedcckcii. Zuerst w ird noch
die ganze Langtront odei- der dh i 1
(Hennigsdorf Aldj.ö-J) <iaiiiit bekleider
daim alicr nur noch der obere Teil desselUen, bei dem dio ßretter .senk-
recht unmittelbar auf das Fachwerkgi iüst j>,>iiaffelt weiden. Auch im
Spreewald, wo der Dachrauia ebent'ulls
für den Luttdiirchzug hergerichtet ist,
sind die Giebt UIreiecke bei sonst gimz
(hncliirttidirtem Blockbau mit der
Brettnverkleiduiiti iü tiiiei' charakte-
i'isiisclu'ii Weise ausgeschmückt. Bis
zur Mitte desselben stehen die Bretter
.senkrecht, die oberen und unteren Ah-
schlusslinien werden dann durch schräge
Schutzdächer hervorgehoben und die
obere Hälfte mit, mit d'en Dachlinien
gleichlaafenden, Brettern benagelt, die
in der Mitte aufeinanderstossen. Es
entsteht so ein sehr geschmackvolles
Linienornamenty das durch die, auf die Fugen genagelten, Leisten noch
wirkungsvoller wird. Dieses so eigenartig ausgestaltete Giebeldreieck
kehrt fast überall wieder, wo einst Wenden gewohnt haben und zeugt
dann, nachdem Sprache, Sitte und Tracht längst geschwunden sind,
noch immer von ihrem einstigen Dasein (Abb. 58).
ISa Lobd«.
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Diu Baueruhüuser iu dvr Mark.
27
Bei (li'iii de utschen Baiieniliause licp^t der Sriisv eipuiikt dtT künstle-
rischen Wirkunu: in dem Facliwerkgerüst, das liiintig dnrch eine rote
Farbe von dem licliteii Filllvverk hervorgehuhea \vii<l. Die Anwendnng
<les Holzes ist am Faclnverk selbst ukht gerade spai*sani, doch
64. Hau« dM Hertdiu, Uödlicb.
6& Bttckwiti.
macht sich auch keine Yerschwendung geltend. Fast überall sind der
oder die oberen Schwellbalken dnrch reiche Profilierung hervor-
gehoben, die sich auch häufig auf das obere Gesims erstreckt. Bei
67. LUbvdorf.
alteien sächsischen Hiuii>eru liudet mau wnlil auch über der Oberschwelle
ii(.( h srhräo:e Fussbänder (Mödlich, Abi). 54), die das Dachgest liu.-^s
ebenso wirkuufisvoll von dem unteren Kaum abheben wie die leise Uervor-
kragnng desselben auf der Cxiebelseite.
Stilistisch zusammenhängend sind <Ianu
J» rner die Bauernhäuser des Kuppiiier
Landes (Abb, 55), die fast iUuchgehends
mit einem bewohnbaren Obergeschoss ver-
sehen sind und zu der, ei?u^n Hol/iibertluss
verratenden, Nuthe-Nie|ilit/.-Grup|K! (Abb.5f)) hinüberleiten. Was Kübnlieit,
Festigkeit und Sidierlieit des Fachwerkverbandes (Abb. 57, 58) angehen, so
ist dies hier vielleicht mit einer seltenen Vollendung geulückf. wie es sich
namentlich aus der Mannigfaltigkeit der Konstruktionen und der Trolilie-
^ ^ ( |f ^
W. Oabtlltproilte.
Natb«<lli»pUti*Ni«deninK.
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28
Roberfc MieDte;
raDgea (Abb. 59) ei^ebt, die an den Lauben nnd den Futterg&ngen der Stalle
ausgeführt sind. Auch die vielfachen Abwandlungen der Vorlaube, die, bald
eoi. OobwriU.
61. SohOnow.
tiS. Borntt&dt.
6i3. Butgidorf.
aus dem Organismus des Hauses hervorgehend wie bei den Läwingen, bald
nur äusserlich angehängt, eine ganze Reihe vielgestaltiger Mdglichkeiten
kennt (Abb. 60, 61 , 62, 63), sind bemerkenswert
Schutzdächer sind sowohl dem wendischen
wie dem deutschen Hause eigen; sie sind
nicht nur an den Giebeln, sondern oft auch
über den Fenstern angebracht. Letstere
werden auch durch Laden geschützt, die von
aussen zuzuklappen, in ihrem oberen Teil
ein Lichüoch in Gestalt eines Sternes oder einer konventionellen Tulpe
haben. Konstruktionen, wie sie das Mödlicher Haus hat, sind nur in
der Wischegegend üblich (Abb. 64).
Gegenüber dieser deutschen Bauweise
tritt in der wendischen ein Unterschied schon
in dem Überwiegen reiner Holzkonstruktionen
auf, die sowohl Block- wie Schrotbau umfassen.
Der Blockbau beschränkt sich auf das Wohn-
haus, der Schrotbau auf die Wirtschaftshäuser,
namentlich auf das Thorhaus. Die einfachste
Art von Blockbau, bei der die viereckig be-
hauenen und geschichteten Hölzer in ihrem
Ereuzverband (Abb. 65, 66) derart ineinander-
geblattet sind, dass ihre Enden etwas übereinandergreifen, findet sich vor-
wiegend an einzelstehenden Wohnhäusern, selten aber bei solchen eines ent-
wickelteren Grundrisses. In diesen über-
aus häufigen Fällen stehen vor der Block-
wand der Giebelseite mehrere aufrechte
Pfosten, je einer an den beiden äusseren
Ecken und je nach Bedarf einer oder zwei,
selbst drei in der Mitte, die einen wage-
fl&Thtiift. 66. TteMok«doff. rochteu Querbalken tragen, mit dem sie
61. MödUob.
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Die BraenihliiBer in der Hark.
29
durch schräge and ansgeschDittene Kopf bänder verbunaen sind (Abb. 53
0.67). In dieser Bauweise, die ein so prachtvolles Motiv des wendischen, aber
auch in Thftringen, Böhmen, Masaren, selbst In Schleswig vorkommenden,
Hanses abgeben, möchte ich ein Kompromiss zwischen der von Dentschen
getragenen Fachwerktechnik and der nationalen Blocktechnik der Wenden
67. Stradoi.
eSt TMbMdudorf.
erkennen (Abb. liS), bei dem vielleicbt die Erinnerung an die östlichen
Laubenhäaser (Rädnitz) mitwirkte. Dass wir es in der That mit einer
Yt rsclnnelzung des fränkischen Fachwerkhauses mit dem urwüchsigen
Blockbau zu thun haben, bezeugen die vielen Wirtschaftshäuser, Ställe,
68 Stranpiti. (Thorhaiu.)
7a B«iohow. (Tborbana.)
fiemisen, Thorhäuser, bei denen ein vollständig entwickeltes Fachwerk-
gerOst, das auf einem Steinfundament steht, vorhanden ist, dessen
Fällungen bald mit Schrotholz bald mit diesem und dem üblichen Lehm-
stakenwerk hergestellt sind (Straupitz Abb. 69). Nicht selten ist auch
einem massiven Unterbau ein luftiges Fachwerk aufgesetzt, das schon
durch die Stallarchitektur mit ihren Lanfgängen eine solche Entwickelung
gewissennassen vorzeichnete (Abb. 70).
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Bobert Hi«ttce:
Leidur kommt man in der Lausitz von dem reizvollen Holzbau
mehr und mehr zurück; man schiimt sicii fast der altüberkommenen
Bauweise uiul versucht, den Hol/Avänden durch Übermörtcluii^ und
Woipson ein anderes Aussehen zu geben. Und doch hat man es garnicht
niAv^, dii'sp Kunst zu vorleugiien, die auch da noch ihre Vortrefflichkeit
zeigt, wo mau schou gauz zu dem Fach werkbau übergegaugeu ist
71. Ofpeonn. Ii. Lehdsb n. Thtiia.
(Abb. 71, 72, 78). In dem Reichtum des Kiegelwerkes (Abb. 74), diu«;
der sparsamen Ver\von<hinf; im Westen der Mark entgegengesetzt ist,
in der Verankerung durch BhikIim- und Rt festie^uiig <lurch Holzdübel,
Niia<'l und in der p^eschickttMi L berblattuug konnnt sie unwillkürlich
wieder zum Vursclieiu (Werchau Abb. 75). Die Enouerimg an alto
74. Radensdorf. 75. Oross-W'ercbau. 7Ö. Reichow.
Fonnen ist ü1*ei liau[>t nicht so leicht zu ertöten und wird noch lange
in verblassten Zügen festgehalten, wenn der ursprüngliche Aasgang ver-
gessen ist. Nur aus der ehemaligen Cicl.clverschalung ist es zu er-
klären, dass es in der Lieberoser und Schiepziger Gegend Häuser
giebt, bei denen, trotzdem sie vollständig aus Backsteinen erbaut sind,
nocii immer die oberste Spitze des Giebeldreiecks mit Brettern be-
kleidet ist
Ebenso zögernd treuut man sich auch von den alten märkischen
Strohdächern, die sich namentlich wieder an den sächsischen Häusern
Üigiiizeü by i^üOgle
Die Bftnerohinfler in der Mark.
31
in ihrer nnvermiiiderteD Grösse erhalten hahen. Der Walm ist hier
allgemein noch fiblich, wenn er anch unter Benntznng des Dach*
geschosses zu Wohnzwecken etwas zusammensohrompft (Gr. Wootz
Abb. 77). Die dem Winde allzu sehr ausgesetzten Angriffspunkte sind
TT. GroM-Woots.
TBL Beiahow.
«lurdi ^Wlndiatten" geschützt orler aucli wie in der Lausitz durch eine
Art Strohummantelung, bei der Hohlziegel offenbar als Vorbild dienten
(Heichow Abb. 78). Besondere Sorgfalt erheischt natürlich
die Firstbindung (Abb. (>9 u. 7*.l), die von wagerechteu Latten
und sorgfältig ^t l>uudenen Strohschaaben erzielt wird, die
aber häufig durch kreuzweis mit einander verbundenen Holz-
kloben in wenig kunstreicher (Itstalt (Abb. 11, "JOj 27,t28u.5'J), TO, ThefM.
oder auch durch einen zweiten aber verkürzten Strohniantel er-
setzt wird. In zierlicher Weise ist dieses Bindungsprinzip in Mödlich durch
flu Gestpll von IlnlzklaTTiinern erreiclit worden, die teilö mit wagerediten
Latten, teils mit einer den ganzen First begleitenden
oberen Ab.sehlu.>^slatte in \'erbiiuiuug stehen (Abb. tiüj. i\f
Tn wendischen Ge^endrii ist, wie schon Len-
liiiger hervorhebt, das Scläudehluch einheimisch,
das jedocli dem Ziegeldadi fast gi'widien ist. Nur
au den Kirciien trifft mau uorli finzeliie Ucste dieser ^ „. .
80( HAolieli.
urwüchsigen nnd bodf'nständiycn Kunst. Nach diesen
zu ni'teilen, bevorzugte mau in der Mark ein kleineres Format als in
Midlu lieren, sächsisclien und schlesi.scheu, Strichen, ileut ist ilas alte
Wendenhaus last durchgehends mit Stroh gedeckt. Was Leutinger von
dem Schiefer er/iihlt, kann man mir auf städtische Hänser }>«^ziehen, da
mir Id der ganzen Mark nicht ein einziges altes Bauernhaus mit dieser
Dachdeckung vorgekomnieu ist.
Die Formen der Giebelverzierungeu können unschwei' in zwei
Gruppen untergebracht werden. Bei der einen, die durch zwei ge-
kreuzte Wiudlatten entstanden ist wie bei der anderen» hauptsächlich in
der Nenmark und hier auf Laubenbäusem stets, auf anderen wechselnd,
vorkommenden Art, welche von einem senkrechten Brett gebildet wird,
ist der technische Hergang derselben Art (Abb. 81 n. 82). Das, bezw.
die Bretter werden je nach der Form ausgeschnitten, so dass ein
geleimtes, genageltes oder überliau[)t ein zusammengesetztes Giebelzeichen
32
fiobert MiaDce:
Mum<So rfm,a. Xüy*tnJUiun. ZiejtUi AaaeK Btfhlt qukrt. ß^forxMitAle,
iTd dt'cktfiJorj'. t/äcUckttiolejf. tJa<iicktndofJ'. lufolttudoffmUtrlin. Woltertctoi^.
^lAeriek. X£r^trtrA* X^'fAtru^, XifHrifk. AiH-l^»tf9W,
81. Qi»lwli»i«hn.
j - -d by Google
Die Ban nbloMr in der Muk.
33
vennieden wird. Während aber im fibrigen Deutschland bestimmte Bilder
in örtlichem Znsammenhange vorlcommen, haben wir in der Marie eine
ganze Reihe von Bildzeichen, die wahrscheinlich auf nnr wenige Urformen
zorQckgehen, die sich aber im Laufe der Zeiten zn unbestimmten
omamentalen Gebilden verflfichtet haben. Der Pferdekopf, im west-
lichen und nördlichen Deutschland so h&ufig vorkommend, ist bei uns
1. Qross-Olieoick« bei Potadam. 2. Deagleioben. 3. Li»pe bei Oderbarg. i. Lieberoaa. 6. Raaea.
H Smtcb b«i Lsffow. 7. « 8 MMlicb. 9.mttUa(Pxigait«.) iatt.U.lUdlielu 18 Hmii|idotf ».H.
L V. 2. Orönz (Uckerniark ;v Zil^kerifk ii. n i Pertikow ^Uckermark). 5. Falkenhagen (ürkor
auwk). tx Sobwaneberg (Uckermark). 7. Stenzig bei Droaaeu. 8> Oranow bei DroMen. 9. Lagow
b«i DroMtB. 10 bte U. DmIimI b«l Landsb«rg ». W. IL 0«a»li«i«a b«i Ttltow. W. Falkmtnild«
fVelMmSfit). 17. Hfttilel.pn irrliprmnrk). 19. nertikow (IVkermnrk). 90 bia 22. Kuhz 'rckWMWk)*
ABl Borger-Kaapeu läpreawald). -M. ijelohüw bei Lagovr 86. bia 'JSi. Zorndori.
9 Ut 80k Wraehew (N«am»*lK)>
an den ])rignitz.sclien Dieleiihäusern zu üuden. Nur zweimal lialio
icli ihn südlicher nacliweisen können, an der Rauener Ziegelei bei
Fiir.^tenwalde und — wunderliarei- Weise wie bei JUeriien die Köpfe nach
innen einander zugekehrt — in Hennigsdorf a. II. Zahlreicher sind
andere liildungeu, unter denen besonders zwei Typen hervortreten: der
Hall nun köpf vorwiegend an den Häusern des Spreewaldes und ein
ä«hr stilisieiier, den mau seiner heutigen Erscheinung uadi vielleicht
j _ d by Google
34
Robert Mielke:
als Hasen- oder Hundskopf deuten kann; wenif^tens lassen die bis-
weilen herausgearbeiteten Füsse auf einen Vierfüsser schliessen. Daneben
konmieu rein ornamentale Bildungen vor, denen man irgend einen
»3. RAtlnitz. (S. Abb. 44.)
tierischen Ursprung nicht mehr ans<'heii kann, die aber doch wohl nur
als Verkümmerungen solcher Formen aufzufa.^sen sind, wie es sich durch
84. Zichow. (S. Abb. 43.)
eine Reihe von Übergängen ergiebt. Nicht selten trit^'t man auch zwei
verschiedene Sinnbilder, von denen das eine wohl eine ungenaue und
nachträgliche Ergänzung ist. Die andere, senkrecht stehende Gruppe
der Giebelfiguren geht nicht auf Tiervorbilder zurück, sondern i.<t eines-
teils aus Blumen, teils Symbolen, wie dem Kreuz, entwickelt; viel-
' Google
Die Bauembäiiser in der Mark. 35
leicht ist auch ein llauszeichen hier uud dort uuter der Form ver-
borgeu.*)
Zum Schluss dieses Abschnittes sei auch der Farl)e noch gedacht.
Dass das Fachwerk im Norden der Mark vielfach rot gestrichen wird,
Sö. Frnukenf'örtle i.«. S. Iii.
86. Kemoiti (b S. 18).
ist bereits erwähnt. Früher soll man dazu Ochsenblut, das übrigens auch
bei der Zubereitung der Dreschtenne keine unwesentliche Rolle spielt,
•) Bei Ziegeldächern fallen die Giebelzeichen natürlich fort. Doch kann man
sich von den Vorstellungen, dass hier eine Figur fehle, nicht ganz frei machen, uud
j Google
36
Robert IGelke:
gebraucht habea* Heute, wo man nicht mehr so farbenfreudig ist,
zieht man, wenn überhaupt, ein gedämpftes Braun vor. Die Füllungen
werden übereinstimmend weiss gestrichen; nur vereinzelt wird eine
gelbliche Farbe angewandt Im Umkreise Berlins scheint vor einigen
Jahrzehnten sich auch eine bläuliche Farbe vorübei^hend eingefübi;^
zu haben.
m. Bei«bow.
5. Hanslaschrifteii.
Nicht alle IIaii.siiisclirifti>n koDiicu liier vPvöflR'ntlicht werden, sondern
nur i'inzolno, dio durch die darin ausgcspruc In no Anschauuu«; i'iiio
volkstünilicbe (.1 nimlcinpfiiKhiiii; Itekiiiidon. Diu Heimat dor Tnselirit't
ist w ieder da.s Gebiet des Sa( iihaiises, die Frignitz, in ilt i sie von deru
Bauernhaus schon sehr früh in die städtische Architektur gedrungen ist
(Wilsnack, Kyritz, Wusterhaaseu, Perleberg, aus dem 15. Jahr-
hundert). Wo sie die Greiizi n dieser T.niidscliaft überschreitet, ist sie
schon vollends als Moiunnentalschril'i auf ilie öflentliche Architektur
überge;;a Ilgen (l'reuzlauer Gerichtsgebäude: Irae Malurinii Svnt —
MDCCXX — Laudes Justitiae; oder Strassburg i. U. Rathaus: Wer
kann es machen überall, duss es jedermann gefall?) Nur inj Süden der
Mark, in der Lausitz» finden sich Spuren, dass die im Erzgebirge nicht
unbekannte Sitte auch nach Norden sich verloren habe; sie schränkt
sich jedoch auf Namen und Jahreszahl ein. In der Mittel- wie Neu-
mark habe ich bisher Reste irgend einer Hausinschrift nicht entdecken
können.
Die Insihi'il'i bdindet sich über dei- 1 »iflriitliiii- uder, wenn sio an
einem trankischüu llaubu ersciieint, Uber dem grossen Thor und ist
so ißt man uianchmal auf wunderliche Gedanken geraten, um doil irgend etwas anzu-
bringen. So ftm>\ ich einmal einen iroschnitzten Vo;,'el, ein anHer Mal einen aus Blech
geschnittenen Keiter luid Pferd, einuml Bogiir iu der Niederlausitz die Gipsbüste
ansei« alten Kftiaert Wilhelm anf der GiebekpitceL
^ kj i^uo uy Google
Dia Baucrnbäaser in der Mark.
37
iiu'ist in llaeher, t'rlialn'ucr latcinisclit'i- (»dci' uotisr-litT Sdirifl ge-
•stliriitzt. Ab und zu sind aiuli AnfariL; und Endo mit einer Kusette
oder suiistigem Ornament verziert (AM». '~^^^).
Ursprünglich mag: sie wohl, wie an andrer
Stelle aus<iefiilirt ist,*) wie das (1 it'helzeiclien
ein Schutzzeiehen f^ep^en Scliaden jeder Art
gewesen sein; davon fi;el»eu aus der Mark je-
doch nui- wenige Kunde, die an der erwähnten Modiiob.
Stelle augefiiiiii; sind. Meistens sind sie dem
Gesangbuch oder der Bibel entnommeD and können als Geleitwort des
Erbauers gelten, der seinen wie seiner Ehefrau Namen und den Tilg
ihrer Ehe genaa angegeben hat. Zu den gebräuchlichsten gehören:
In Gottes Namen fang ich an, was mir zu thun gebühret» mit
Gott wird alles wohlgethan und glücklich au^L< fuhrest.
Mödlich 1796.
oder:
Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verriebt das Deine nur
getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei
Dir werden neu; denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt,
den verlässt er nicht. Mödlich 1820.
oder:*
Gott macht die dürren Borge nass, er kleidet Blumen, T^aub und
Grass; für seine Müh' ist nichts zu klein, er w ird auch mein
Versorger sein. Mödlich 1703.
Auch bekannte Sprüche, in denen eine Anspielung auf Bauen ent-
halten ist, sind nicht selten:
Ich gründe meine Zuveröiciit auf dich, o Gott, und wanke nicht.
Seedürf 171)7.
Wir haben gebaut auf festen Grund Gott lasse uns noch lange
gesund. Wer riott vertraut hat wol gebaut im Himmel uml
auf Erden. Wer sich verlasst auf Jesu Christ, der kann nicht
zn Schanden werden. Lenzen 1732.
Wo Gott die Hand dir reget, zur Arbeit Grund selbst leget, da
fügt er Segen bei, wenn er davon sich wendet, wird uiclit das
Werk vollendet, ob noch so klug der Meister sei.
Tacken 1857.
Auch direktes Auiufeu Gottes ist nicht selten:
Gedenke mein, mein Gott in vesten. Amen.
Seedorf 1792.
*) Moiutahefte der Ges. f. Ueimatk. d. Muk Brandenburg, 1H98, 8. 28«.
^ ij . .-Lo Ly Google
38 Robert Mielke:
oder:
Der Herr segne und behate Dich vor allem Unglnck und UbeL
Mödlich 1626.
oder:
Gott sieh Auf Dieses Hans In Gnaden Bewahr es vor allem
Schaden. Mödlich 1784.
Dann kommen auch kurze Sinnspiüche vor wie:
Tracht stets danach was recht Obs schon nicht lobet jeder-
mann. Seedorf 1799.
Oder es wird Bezug auf ein geschichtliches Ereignis genommen:
Was mich hat geniubt der liruud wird ersetz durch Gottes
Hand. Seedorf 1797.
Erbaue wass zerstöret und wass die Gluth verheret, Ersetze
diesen Brand, so wolh»n wir von neuem uns deiner Güte freuen
und ehren danckbar deine Hand. Gross-Wootz 1811.
Es Jiessen sicli diese Sprüclie fortsetzen, doch möge dirs wenige
genügen, du sie hier ja nur soweit in Betracht kommen sollten, als sie
für die Erscheinung des märkischen Bauernhauses von Wert sind.
6* Litteratur.
Eine eigene Litteratur über das märkische Banemhaas kann es
wohl nicht gut geben, doch wird das Haus hin nnd wieder von Schrift-
stellern erwähnt, bei denen man solche Erwähnung nicht vorweg ver^
mutet Erst in den letzten Jahren ist mit dem Wachsen der Gesamt-
litteratnr des Banernhanses auch häufig das der Mark in den Kreis der
Betrachtung gezogen; dämm ist eine Znsammenstellung dieser Orte
vielleicht an dieser Stelle nicht überflfissig:
Helmold, Chronik der Slaven: U* a. eine allgemeine Nachricht über
Fachwerk-Hütten der Shiven.
Leutinger, T(ipno;rajiliia. Gie]>t eine ziiticneiide aher wohl mehr das
städtische Wohnliaus berücksichtigende Uhiurakteristik des Ausseren.
Ideria n in seiner ca. 1650 erschienenen Topogi'aphie enthält brauchbare
Abbihlungen einzelner Häuser (Arnswalde, Boytzenburg, Fürsten-
walde, Wulfshagen, Frankfurt a. 0.)
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Die BanemhftoBer in der Hark.
39
Beckmann hat in dem 1. Teil S. 387 eine Reihe von Yerordnnngen
snsammengestellt, die Schornstein, Dach nnd Baumaterialien be-
treffen und einige nicht anwichtige Veründerongen einleiteten.
Dominikas, Ans dem siebenjährigen Kriege. Tagebach des prenssisdien
Masketier Dominikas. München 1891. Charakterisiert a. a. das
wendische Baaernhans.
Angnst Meitzen, Das deotsche Hans in seinen volkstümlichen Formen.
Berlin 1882. In dieser Schrift, die das Stodiam des Bauemhaases
in neuerer Zeit wieder einleitete, teilt der Verfasser für die Mark
nar einzelne Verbreitangshemerkangen mit.
Rudolf Henning, Das deutsche Haus. Strassburg 1882. Behandelt
die Marie nur insofern, als er ihre Heuser im Zusammenhang mit
denen der umgebenden Provinzen Pommern, Posen, Westpreussen
erwähnt.
Karl ^i'liiifor. Deutsclie 13auzt'itun<;. 188,']. Sp. 138. Abdruck eines
Vortrages, der zum ersten Male die technische Seite der Eiit-
wickelnng behandelt.
Bergan, Inventar der Bau- und Kunstdriikinrilcr der Mark Branden-
burg. Enthält AbbiUhmg eines Spreewaliilnm-t s und eines Tiauben-
hauses aus Linum, S. r)(H>, und einiger Bauernni(»l)el \<hi dort.
Zeitschrift des Vereins für Ethnologie, Anthropologie und
Urijesrbichte. In <len Verhandln nu-en ist das märkische
Bauernhaus oft und gründlich besprochen worden, zum Teil mit
Abbildungen.
W. V. d. Schulen bürg. 188(\ 8. 27— 2t>, 2iM. Lausitzer Wendenhaus,
.lentsch. 1884. S. 4:54— l^^P). Lausitzer Wendenhuus.
R. Virchow. 188(5. S. 42(» fg. 8ächsisches Haus der Lenzer Wisdie.
VV. V. d. Schulenburg. 1 ssi;. S. 12-' — 144. Lausitzer Wendeahaus.
M. Müschner. 1887. S. '.IS — 1(15. Lausit/.<'r \\ fiidenhans.
Alfred G. Meyer. 1890. S. ö27 — öJiU. Laubenhäuser des Oder-
bruches.
M. Plüsch ner. 18HI. S. )J2.'>. Lausitzer Wendenhans.
W. V. d. Schule nl.ii rg. 18')M. S. \4\K ( ;i(4M4liguren.
Jentsch. Korrespundenzblatt für Anthro|iul(>gie. lS',i;l. S. Vl4. Ergänzt
frühere Mitteilungen über das Wendenhaus der Niedei lausitz.
Hans Lutsch, Wanderung<'ii durch ( )st-I)eut>5rliland zur Erforschung
volkstüniliclier Bauweise. Mit d:? Holzschnitten. Berlin 18ö(). Bildet
ab und erwähnt u. a. ein T^aulieiduius ans Zichow.
Ernst Priedel. Bär. 1887. S. 0. Das letzte Bauernhaus mit Stroli-
dach in Berlin.
40
Robtrt Mielke.
Robert Mielke. Zeitsdurift des Temns fftr Yolkskonde. 1892. S. ia4bl8
141. U. a. das Äussere der sftcbsisclieit Häuser in Rohrbeck.
Ders. ArohlT der Cresellscbaft tSar Heimafknnde der Mark. Band I.
1893. S. 104^126. Versucht eine Schilderung und eine Entwickelung
des Bauernhauses der Mark zu geben.
Gustav Albrecht Bär XX. 1894. S. 492. (M. Abb.) Giebt ein
Bild Ton dem PfEurrhanse In Dallgow.
Ders. Berl. Neueste Nachr. 1896. No. 152. Über dasselbe Haus.
Robert Mielke. Yolkskunst. 1896. S. 53 n. f. Einzelne märkische
Baaemhäoser in Abbildungen.
Ders., Das Bauernhaus der Nuthe - Ni^pliiz - Niederung. Baugewerks-
Zeitung. 1898. S. 1376-1377. Mit Abbildimgeu.
Haus Lutsch, Neuere Veröffentlichungon über das Bauernhaus in
Deutschland, Österreich-Ungarn und in der Schweiz. Berlin 1S97.
Eine Zusammenstellung aller etwa in den letzten 10 Jahren er-
schienenen Veröffentlichungen. Daneben in der Einleitung eine sehr
beachtenswerte Übersicht der Punkte, die bei der Forschung zu
beachten sind.
Robert Mielke, Der Neidkopf. Monatsblati der „Brandenburgia".
18'.)8. S. 286—294. Im Zusammenhange mit anderem auch einzelne
Hausiuschriften aus der Mark.
Ernst Priedel. Kbda. 1898. S. 327—882. Ergäiizim-on dazu.
Ewald, Das Wendische Wohnhaus. Der Bär. 1899. 8.341. (M. 2 Abb.)
W. V. d. Schulenburg. Monatsblatt der „Brandenburgia". 1899. S. 27.
Schildert unter Bezugnahme auf die volkstünüiche Sprache die
Technik der Lehm-Fachwerke.
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Spuren tektonischer Kräfte
in dem Nicdcrlausitzer Vorlande.
Spuren tektonischer Kräfte
in dem Niederlausitzer Vorlande.
Von Eduard Zache.
Mit 2 Tftfelii, ; einer KtttenaldiM nnd einein Profil im Text.
Mit dem N;ii)i* u dos Niederlausitzer Vorlandes möchte ich deD
Abschnitt der Mark bezeichnen, welcher im Osten b^enzt wird von
dem Thalzuge der Neisse and Oder, im Norden von dem B(Tliner Thal,
im Süden von der Niedenmg dos OI»oren Spreewaldes nebst der De-
pression hinüber zur Neisse und im Westen von einem Streifen, welcher
den Unteren Spreewald sowie die Seeen um Storkow und die Einebnung
neben den Ranenschen Bergen umfasst
Gliederung der Landschaft
Ein Blick auf die Kartenskizze lehrt sofort die eigenartige Gliederung
dieses Abschnittes kennen. Fast durch die Mitte desselben zieht sich
eine Depression, welche das Thal der Spree oberhalb und unterhalb von
Beeskow und im Anschluss hieran nach Süden hin den Grossen Schwieloch-
See nebst einigen kleineren Seeen beherbergt Hierdurch entsteht auf
der östlichen Hälfte ein langer, breiter Rucken längs der Neisse und
Oder, während auf der westlichen Seite ein zusammenhängender Rücken
fehlt, da hier durch ein westöstlich gerichtetes Stück des Spreelaufes
ein grosseres nördliches und ein kleineres südliches Plateau heraus-
KBSchnitten wird.
Die grosse Nordsüdrinne setzt sich nicht bis zur Spreeniederung
nach Süden hin fort; daher bildet sich um den Grossen Schwielochsee
ein Becken, dessen Böschung auf der West^ und Südseite bis zum
*) Pie Tafeln sin ! atmeferti-'t nach FbotQgnphien des Obeiprimaoen des
•AndfMa-KealgjnniuuBiamB Max ärabski.
44
Eduard Zache:
Plateaurand, auf der Ostseite bis zur Wasserscheide des östlichen Rfickens
sich erstreckt und sich auf dem rechten Ufer der Spree auch auf der
Nordseite noch verfolgen lässt. Der Grosse Schwielochsee ist daher das
Sammelbecken für alle Fliesse, Bäche und Gräben dieser sfidlichen Hälfte.
Mit der Horizontalgliedemng hängt auch die Gestaltung der Höhen-
Verhältnisse zusammen. Die höchste Erhebung findet sich auf dem öst-
lichen Abschnitti dem Fnnfeichener Rucken, und erreicht in dem
Hutberge bei Fönfeichen 162 m Meereshöhe. Nach Süden flacht sich
das Gelände ganz allmählich ab und doch behält es in der Homoer
Spitze noch 102 m Meereshöhe. In diesem Abschnitt entwickelt sich
eine reiche Gliederung. Er beherbergt in seinem nördlichen Teil
das Schlaubethal, welches neben der Wasserscheide hinläuft und aa
seinen Rändern im mittleren Stück noch 100 m Meereshöhe besitzt.
Westlich daneben, parallol mit dem Schlanbethal, erstreckt sich noch
eine zweite Rinne, dci ou Kiinder im mittleren Lauf noch 80 in Erhebung
über dem Meercsspio^^'l haben, und endlich folgt im Ci runde die Spree,
iud)en welclicr der Plateanrand in der Höhe von J^eskow 55 bis 60 m
Meeresliölie l»esitzt.
Nach Südon llnclit sicli das Gelände allmählich ab, so dass in der
Wellniitzer Spitze auf der nüidlichen H<älfte über 100 m und auf
der südlichen wenig unter 100 m I']rhebuiig über dem Meeresspiegel vor^
banden sind. Die Wellmitzer Sjiitze findet nach Süden ihre natürliche
Grenze in einigen liiichen und Fliessen, welche Guben gegenüber in die
Keisse munden. Sie besitzt in ihrem Ilinterlande eine Anzahl von
zusamnienliiuii^enden Seeeii und eine licihe von Schluchten, welche an
ihrem Nord- und Südrande zum Oder- und Neissethal hinabführen,
während ihr mittlerer Teil und der Rand weuig zerrissen sind.
Nach Süden linifl der Mücken in die Hornoer S]>itze aus. Sic
ist £(:inz frei von S< lilucliten un<l Tiialern un<l besitzt zur \eisso hin
« ine deutliche Böscliuiig, wiihrend sie sich zum SpreetUai iu der Xauei-schen
i'urst ganz allniiililirli einebnet.
Auf der westlichen 8eite der Bee>ko\ver Spree liefet das Beeskow-
Fürstenwalder Blateau. Es wii'd ]iall»inselartig \on der Sju'ee uinflossen
und l)estelit in seiner Nordspitze aus einei* aussejiritL;ten llüi;*'lhiiid>chaft,
dem Kauen - Petersdorfer Tertiärkern. In ihm erreiclien dio
Ivauenschen Ber«;« 14S ni und die Dul>ero\v-J)ert;e 145,0 ni Meereshoho.
Diot's llüfi^idlaud dehnt sich imch Süden hin aus bis /ur Mitte devS
Scharuiiitzel-Sees. < »stlich devseltien trifft nniu Ilöheu Ins 120 m und
N\ est lieh bis 'J4 in, während der JSpicgel des Öchurniützel-See» 30 m
hoch lie^t.
Nach Süden schliesst sich hieian auf der Ostseite des Sees die
Buckower Stufe, ein mehr elienes (leinet ohne llinnenbildunp:, das
bei dem yeuauuten Dorfe So,6 m Meerebhölu! besitzt und .sich ganz ail-
uiyiiizeo Dy Google
Sporen toktoniseher Krifte in dem NiedeitMuitf er Vorlende.
45
mählich zom Spreethal abdacht, wo es bis anf 55 m ungeföhF ge-
fallen ist.
Auf der südlichen and westlichen Seite des Scharmützel-Sees legt
sich die Alt-Schadower Forst vor. Die höchsten Erhebungen finden
sich hier in der Umgegend der Seeenkette, welche die südliche Fort-
setsnng des Schannützel-Sees ist; hier treffen wir an einer Stelle KM) m
Meeresbölie and an einer anderen 1(M> m. An dem Yorspmng bei Alt-
Sebadow beträgt die Erhebung <)9,H m.
Den Abschluss eiKllicii naeli Sütli'ii bildet das Becken um den
Grossen Schwielocb - See. Während der Spiegel des Grossen
Schwieloch-Sces 42 m hoch liegt, steigt das Geliinde nach allen Seiten
hin ganz allinähiich au, so dass es am Westrande bei l'ret8chen 78 m,
im Marienberge bei Lübbeu liU ni, am Südraude im Straupitzer Wein-
bei^c 89 m, nach Osten in der Lieberoser Forst 112 und lüS m und
bei Reicherskreuz 1)8 m erreicht. Am Nordraiide des Beckens finden
sich bei Gross-Muckrow 123 m und uälier zur Spree bei Weichensdorf
61 m Meereshöhe.
Geologische Beschreibung.
1. Der FUnfeichenep Rfieken.
In dem schmalen Streifen zwischen der OI>eren Schlaubc und dem
Oderthal liegen die IxWli^ten Eihebuugen des uanzeii Abschnittes. Es
sind das ilie l(>2 m liuiieii Uutberge, von dent ii <l<'i' eine dicht bei Fiint-
eichen und der zweite km siidlich des Dorfes liegt. Die Abtlacliung des
Rückens zum Ran<le hin ist nach allen Seiten eine gleichmässig«'. Im
Osten hat der Plateaurand bei Schönfliesf? noch 12(1 m und im Norden
bei Riessen 85,8 m ^Sleereshöhe; ebenso vcrhiilt es sich mit der Neigung
zum Schlaubethal, denn an der Kante desselben sind in der Nähe von
BreuLsdorf noch 100 und 120 m fiber N.N. vorhanden. Nach Süden hin
flacht sich das Gdände ganz allmählich ab. Vor dem Nordostahhang
des Rfiekens liegt eine 3 km breite Vorstufe von ca. 40 m Meereshöhe.
Sie beginnt bei Läwitz, nnd ihr Ostrand zieht sich fiber Ffirstenberg,
\ugelsuug, Zlltendorf und Krebsjauche bis zur Sfidostspitze des
Lebnser Plateaus. Dieses Vorland schneidet überall mit einer deutlichen
Böschnng gegen das Oderthal ab, die besonders schrolf unterhalb Fürsten-
berg ausgeklagt ist. Das Oderthal hat in der Nachbarschaft dieser
Stadt eine Höhe von 28 m fiber N.N. Der Übergang des Plateaus zur
Vorstufe ist ähnlich ausgebildet wie fiberall sonst in der Mark, wo Höhe
46
Eduard Zache:
und Niederung aneinanderstossen. Das Plateaa endet in sanften, hall>-
kegelförmigen Kuppen, zwischen denen flache Schluchten hinabführen,
welche an der Grenze beider ihr Ende erreichen, so dass die Yorstnfe
ganz eben ist
Den gtM »lugischen Kern des Ffinfeichener Rückens bildet das TerÜftr-
vorkommen von Schönfliess. Durch die Grube j.Pr&sident*'*) sind hier
wichtige Aufschlüsse geschaffen worden, welche die Schichtenfolge vom
obersten Tertiär zum untersten Diluvium anschneiden. Es sind vier
Sättel im Brannkohlengebirge angetroffen worden, welche ein wenig
nördlich der Chaussee Fflnfeichen— Schönfliess beginnen. Die Sättel
gehen nach Norden etwas auseinander, so dass der westlichste beinahe
in der Richtung S. — ^N. mit geringer Abweichung nach O. und die
Profil Sattelt d«r Braunkoliltnfrvb« «FrAsfde&t*.
• NocdiaelM GtMhtoli« dweh Bi»iiB«iMaateia T«i]dtt«k; » wfawtr OUrnoMnand;
« BravBkohlwflfts; 4 L«tt«B| • FmmsMkd «ad Ltttaii.
Figur 1.
Übrigen in der Richtunj; SW. — NO. streiclien. I>er westliebste ist der
nmfangreiehste und flachste, während Nveiter na< U Osten die Aufrichtung
immer steiler wird. Cr am er**) sagt: »Die Ablagerung zeigt sich in
parallelen Faltungen in einem Stioiclu'u von NNO. in SSW. Das Ein-
fallen der bekannten Sattelflügel nach beiden Richtungen geht von 40 "
bis zur Saigerstellung und zum Üboi-schlag.** Das Profil (Fig. 1) geht
durch den westlichst»'n Sattel der östlichen Grupi)e und zwar in der
Richtung NW.— SO. Den Kern des Sattels bilden Formsande und Letten,
dann folgt das Brauukolilenflöz, welches von Letten eingeschlossen ist,
und über diesen lagert weisser Quarzsand, der von einer Schicht nor-
discher Gesclüebe, welche durch Braimeisenerz verkittet sind, bedeckt
wii*d. Der Brauneisenstein bildet über den Gesi lüebeu eine 30 cm starke
Schidit und besteht aus Kugeln von ungefähr 2 cm Dui'chmesser. Über
dem Brauneisensteinflös folgt ein heller, brauner, sandiger Thon. Die
* Herrn Berginspektor Krause danke ich hier nodli etiund ]i«nUcb fCür die
gOtige Fübruni: nu<l <lie ErklArmig »Kt Aufschlüsse.
*•) Cramcr, BtUrage xur Gescliichte des Bergbaus der Provini Brwdenbuig.
Y. Hell, a 61
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Sporen tdctookcher Krifto in dem Nlederlantitser VorUmde.
47
nordischen Geschiebe bilden ein dichtes Pflaster anf der Sohle des
Bnuineisensteins nnd bestehen aus grossen nnd kleinen Steinen. Dieses
Geschiebepfiaster mit dem Brauneisenstein ist an mehreren Stellen auf-
geschlossen nnd macht überall die Bewegungen der Flöze mit
Der braune Thon Aber dem Eisensteinflöz, der also Diluvialthon
ist, hat die Farbe des Geschiebelehmes; er ist weiter in einigen Ziegelei-
gruben am Ost^Rande des Fflnfeichener Rückens aufgeschlossen, z. B.
in einer Grube südlich der Chaussee Schönfliess— Fünfeichen dicht neben
dem Dorfe. In dieser Grube, hart neben der Kohlenbahn, streicht der
Thon von Ost nacli West und fällt nach Norden anter einem flachen
Winkel ein. Die Abhänge südlich der Chaussee bestehen bis zur Spitze
aas diesem Thon. An dem Eingang zur Grube wird er überlagert von
einein feinen weissen Sand, dessen Schichten dasselbe Einfallen haben.
Dieser Sand bildet die Nordabhänge der Sclionfliesser Schlucht. Südlich
der Chanssee, weni^^e hundert Meter ins Plateau hinein, befinden sich
noch andere Ziegeleigrnben in demselben Thon. In einer derselben,
deren Wand von Nord nach Süd \ erläuft, sind deutliche Stauchungen im
Thon zu erkennen. Dei'sdbe hellbraune Thon ist auch noch an der
Nordostecke des Plateaus bei der Pohlitzer Mühle aufgeschlossen.
Am nördlichen Eingang der Grube wird er von feinem weissen Sand,
der Glimmerplättclien enthält, unterlagert. Die Gi'enzschicht beider fällt
unter flachem Winkel nach Süd ein. Weiter ins Plateau hinein und in
einem höheren Niveau steht derselbe Thon in einer zweiten Grube zu
Tilge. An anderen SteHcn habe ich den Thon in f^iösscreni Umfange
nicht melir aufgeschlossen gefunden. Es ist aber wahrsdieinlicli, (hiss
»1er Rand südlich von Schöjifliess noch eine f^iüizf Strecke entlang aus
«liesem Material besteht. Jedenfalls niaclit es den Kindnick, als ob die
Gehänge der Schlucht, in wel( liei- die ( liaus.see Fürstenberg-Diehlü zum
Plateau hinaufführt, aus diesem Tlion j-icli aufbauen.
Auf dem Plateau bestellt der Hoden ans IVim in weissen Sand,
offenbar ist es derselbe Sand, welcher bei Scliontliess dfii Tlion bedeckte,
alst) Unterster Sand. Der Boden ist sehr arm, und es liegen grosse
Schläge brach. Die Steine fehlen auf dem Acker gänzlich. Das Gelände
ist hier 1 Ib m hoch. Diehlo liegt in einer weiten und tbu hen Mulde.
Nordwestlich des Dorfes hebt sich ein Hügelznir deiitlieli heraus, dessen
Südspitze, der Wonden-Berix, DU m Meereshühe besitzt. Seine Kujipe
ItesUlit aus grobem kiesigen Sand mit Steinen, während an der Böschung
abwärts sich die Steinbestreuung ganz allmählich verliert.
Der Weg von Diehlo nach Fünfeichen ist verhältnismässig fest, was
offenbar von dem feinen Korn des Sandes herrührt. Die Steinliestreuung
ist nur massig. An einer Stelle trifft mau in einem Wegeeinschnitt den
fernen Sand nnd an einer zweiten, in einer Depression, den braunen
Thon. Das Terrain ist fast eben und der Boden sehr nnfinichtbar. Erst
^ ij . .-Lo Ly Google
48
Bdiuupd Z«ch6:
kurz südöstlich vor Fünfeiclien wird die Steinbestreanog deutlich. Es
findet sich hier eine flache Gmbe im scharfen kiesigen Sand mit Steinen.
Die Terrainhöhe beträgt 148 m. Westlich von Fünfeichen ragt der mehr-
fach erwähnte Hutberg empor. Der südliche Ausläufer desselben ist
unbewaldet Wenn man sich ihm vom Dorfe her nähert, beginnt die
Steiubestreuung und der Weg führt dur« h scharfen Sand. Der llutberg
selber besteht aus feinem weiss« !! Sand imd trügt ein« 1 m starke Kappe
ans gelbem kiesigen Sand, der dicht p^espickt ist mit Steinen bis zur
Faustgrösse und der .s<> fVst verkittet ist, dass er eine senkrechte Wand
bildet. Östlich von Fünfeichen ist noch ein /weiter Aufschluss vor-
handen, es steht neben der Chanssee ein verfallenei- Ziegelofen und da-
hinter findet sich ein brauner Thon, welcher eine Kappe von Kies trägt.
Die näliere Frii gebung ist sehr steinreich, M Ülu i nd weiterhin feiner Sand
oline Steinbestieuung den Boden bihiet. £s ii»t also hier eine ähnliche
Ausbihlung der Kuppe wie im Wonden-lierge vorlianden.
Aus den Beobachtuiigoii geht hei'vor, dass in (hui sclinialen Sti-eifen
des Plateauraudes nöi-dlich und südlich von Schonfliess das Diluvium
bis auf die uiiteisteii Schichten, den Ti!on und Sund, weggewaschen
worden ist. Die Abtragung erstreckt sich abei- iim- auf die näcliste Uiii-
gel)ung der Störuni^^szone, deren Kein (luicli die l^ln/siittel bezeichuet
wii'd. Hieraus, sowie aus der Concordanz von Diluvium und Tettiiir
folgt, dass die Faltung sich eist am Knde der Eiszeit, jedoch
vor dem Kiutritt der Abschmelzperiode, zugetragen liaben
kann.
Nördlich von Fünfeichen auf dem Wei^e nach Uiesseu findet sich
kiesiger Sand mit guter SteinlMstieiumg. und am Weuc sind Gruben ini
kiesigen Sand angelegt. Sobald das Cleliinde >ich gegen die Schlucht
des l'lantliesses iiin zu senken beginnt, hört die Steiubestreuung so gut
wie gänzlich aut und es i!eri'scht feinei- weisser Sand. Weiter nordlich
in eint'!' Ilachen Senkung des (lelandes steht in einer Grube Geschiebe-
lehm zu Tage. Auf dem Acker daneben liefen mir wenige Steine. Erst
dort, wo das Gelände zum Hei-liiiei- Thal hin zu fallen anlTmgt, wird
die Steiubestreuung lebhafter. Ein We^eeiust Imilt l»ei der Hohe 1'21 m
geht durch scharfen, grauen Sand. Die Abdachung zum Berliner Thal
ist yanz allmählich, und die Schluchten sind weit und flach. Auch
hier steht noch einmal Geschiebelehm an, sonst herrscht scharfer,
gelber Sand.
Am nordöstlichen Abhang des Plateaus, kurz westlich vor Pohlitz,
findet man auf einem breiten und flachen Yorsprung des Plateaus in
einer Grube festen, gelben Geschiebelehm mit zahlreichen Steinen. Der
Nordeingang von Pohlitz fuhrt durch einen Einschnitt aus feinem,-
thonigem, gelbem Sand. Am südostlichen Ausgange dieses Dorfes ist ein
ü m hoher Sandberg angeschnitten mit scharfem kiesigen Sand. Die
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Spuren toktonischer Kräfte in dem Niederlausitzer Vorlande.
49
einzelnen Scliichten, wt^lclie sich durch ihr Korn und ihre Farhe deutlich
von einander abheben, stellen in dem ganzen Aufscliluss seukreelit.
Die Vorstufe neben dem Plateau besteht aus scharfem kiesigen
Sainl mit Steinen. In der Nnlie des Plateaurandes bei Schöntliess und
Polilitz ist der Hoden (lentlicli biaun gefärbt und etwas fester als weiter
ab. In der Umgegend der Pohlitzer Seeen und unterhalb derselben linden
sich Dünen, während oberhalb dieser Stelle der Bodeu ganz eben ist.
Die Unfruchtbarkeit dieser Vorstufe ist sehr gross.
Wenden wir uns nun der Betrachtnog des östlichen Schlaaberaudes
zn. Bei Miillrose dacht sich das Plateau ganz allmälilich zum Berliner
Thal ab. Die Ufer des MüUroser Sees sind niedrig. Der Boden des
MüUroser Vorsprnnges besteht aus Unterem Sand, der nur wenig Steine
trägt. Erst weiter nach dem Innern hin, etAva in ITöhe der Unter-
försterei, geht der Weg du ich festen Oberen (leschiebelehm, wodurch
sich auch die Steinbestreuung im Walde «'rklärt. Das Gelände ist eben.
Am Westausgango von Tschernsdorf führt der Weg durch scharfeil
Sand zur Höhe hinauf. Auf derselben bildet ein lehmiger Sand mit
Steinen die Decke, liei dem Dorfe ist eine Ziegelei im Betrieb, welche
den Geschiebelehm verarlieitet, wie er in einer flachen Grube zu Tage
tritt. Auch südiicii des Dorfes herrscht ein lehmiger Sand, in welchem
die Feldfrüchte gut gedeihen. In dem Walde südlidi von Tschernsdorf
fehlen die Aufschlüsse. Es liegen gi'osse Blöcke auf der Oberfläche,
und der Weg geht au einer Stelle durch Geschiebelehm, s<uist scheint
der Sanii vorzuherrsclien. Dieser Teil der Neuzeller Klosterforst (Block I)
ist ein prachtvidler Eichenwald.
Nördlich der Chaussee Fünfeichen — l^i-etnsdorf läuft das Planfliess.
Es ist das einzige umfangi-eiche Thal, welches zur Sc]daul)e hinabführt;
es ist tief ausgewaschen und besitzt steile Wände, an denen der Sand
blossgeh'gt ist Südlich desselben ist der Obere Gescliiebelehm an einigen
Stellen in ^lo-serem Umfange aufgeschlossen. So z. B. imrd westlich
von Fünfeichen, wo ihn der Weg nach Müllrose anschnei<let. Hier
wächst auch ganz ausgezeichnetes (letieide. Zwischen dem Planfliess
und dein Kl. Tre[>|H'l-See tindet sich auf dem Kücken auch Lehm. Der-
selbe ist am wcstlichcTi Ufer in heller Ausbildung angetrotfen weiden.
Die Ufer des Sees haben mehrere (Quellen, welche entwedei' eisenhaltig
sind oder einen weis.sen Schaum al»>t'izen. Am Seeufer geht der Lehm
uach unten bezw. nach Osten in blauen Thon über.*)
Zwischen Fünfeichen und Brenisdorf, sobald der Abfall zum Sehlaube-
thal begiuut, geht die Chaussee darcb festen Oberen Gescliiebelelim von
Nach gfltigen Angftben des Herrn Foritmeisten Reuter, wofflr ich hiermit
noch einmal danke.
4
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50
Kiluard Zache:
rötlich gelbi'i- Farln-, und dor Acker in der Nachbarscliaft ist sehr stoiii-
reicli. Am Nordausgange vom Bremsdorf, dort, wo der Weg durch einen
Einsclmitt aus der Senke mit dem Dorfe zur Höbe binauffulirt, ist der
Untere Sand angeschnitteD, es fst ein scharfer kiesiger Sand. Westlich
von Bremsdorf sber sind mehrere gaie Einschnitte im Oberen Geschiebe-
lehm vorhanden. Gleich hinter dem Dorfe läuft die Chanssee durch
festen, braunen Oberen Geschiebelehm mit Steinen. Sobald der Abfall
zum Schlaubethai deutlicher \drd, nehmen die Aufschlüsse im Geschiebe-
lehm eine noch grössere Länge an. In dem letzten Aufischluss, dem
Kranichberg, dicht vor dem Schlaubethal, bildet der Obere Geschiebe-
lehm die Kuppe des Berges und darunter liegt scharfer Unterer Sand.
Dieselbe Erscheinung, dass sich der Geschiebelehm auf der obersten
Kante neben dem Schlaubethal erhalten hat, zeigt sich auch bei der
Kieselwitz -Mühle. Nach dem Innern zu ist hier der Acker mit
Steinen dicht bedeckt Das Gelände ist neben dem Schlauberande
weithüglig bis eben und besitzt eine Erbebung von über 100 m
Meereshöhe.
Das Schlaubethal liegt auf der breiten, flachen westlichen Böschung
des Fünfeichener Ruckens, die sich gleichmässig bis zum Spreethal fort»
setzt. Infolgedessen treffen wir auf dem linken Ufer der Schlaube in
der Nähe des Randes von Nord nach Süd folgende llohenzahlen: OJ^, 70,
84, 91, 99, 100, 112. Nach Westen iViUt das Gelände ganz allmählich
weiter, bis es neben der Spree auf einige (30 m lieraligegangen ist.
Fikr die Gliederung der Landschaft von Wichtigkeit ist eine zweite
Rinne, welche in 3 kin Abstand westlich parallel mit dem S< lilaubethal
sich erstreckt. Sic beginnt im Süden mit dem Krüger-See bei Gross-
Muckrow uimI geht übci* ävn Schröder-, Möschen-, Chossewitzer und
Klinge-See durch das Ülse-Fliess zum Ölsener See, welcher sich nach
Norden hin in zwei Arme gal)elt. Der westliche Arm entlässt das Olse-
Fliess zur Spree und der östliche verliert sich nach Norden allmählich
in eine flache Rinne. Das Gelände zwischen dieser Rinne und der
S< hlaiibe liegt in der oberen Hälfte lUÜ m hoch und in der unteren
bU m.
Am Nordrande des Plateaus ist liier ein deutliches Vorgebirge uus-
geju'ägt. Es wird gebildet von dem S*),4 ni bnlien Dachsbergo und dem
|()1*,() m hohen Zeisig-Iii ige, während <)i< lif nelu n der Spree imcIi der
Scliwarze lieig mit TS m zu »lennen ist. Her Hoden dieser Berge ist
weisser Sand mit Stfinbestieuung. Doch schreilit Bergiiaus von den
beiden Dörfern Ragow und Merz: ^Ragow hat auf der Höhe leh-
mii^en Sandliodeii und Merz hat sandigen Tjehmboden, «larunter ^^ergel
und in dei- Niederung einen Ininiusreiclien, schwarzen, sehr ergiebirren
Boden". Bei Gruuow geht die Niederung ganz unmerklich in das
Plateau ül>er.
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SparsD tektoniicher Kräfte in dem NiederiaiudtBer Vorland«.
51
In (lor Umgegeinl von Grunow trifft man Geschiebelehm, so fiilirt
z. B. der Wog zur ( »Iseiior Mühle südlich des Dorf«»s durch Oberen
Geschiebelehrn ; dcrsellie steht auch in einer (Jrube auf dem Mühlberg
zu Tage, und weiter geht östlich des Dorfes die Chaussee zur Brems-
d<u-fer Mühle in einem langen, 2 m hohen AHf^;(•llhlss <lurch Oberen
Geschiebelehrn. Auch in <1<m- Umgegend von Damniend orf sind lichui-
lager voihanden und werden in Ii Ziegeleien ausgelieutet. Die Chaussee
nach Clruu(»w schneidet am Ostran<l der Si lducht, welche den (Usener
See nach Norden fortsetzt. Oberen (Jesciiiebelehm an, welcher von
Unterem Sand imterlagert wird. Endlich hat auch der westliche Aidiaug
des Schlaubethaies neben der Bremsdorfer Alüble eiueu Aufsclilusä im
Oberen Geschiebelehm aufzuweisen.
Die Abbaiige des Schlaultethales bestellen gänzlich aus Untei-eni
Sand, denn, obgleich im Grunde des Thaies Wege angelegt worden sind,
so haben dieselben doch nirgends den Unteren Geschiebelehm an-
geschnitten. Die Neigung der Gehänge ist oft sehr steil. Das Schlaube-
thal begiüDt oberhalb des Wircheu-Sees mit eiuem schmalen Wiesengruud,
dessen östliches Ufer steil und hoch ist. An dieser Stelle ist die west-
liche Böscbnng des Thaies angeschnitten, sie besteht ans scharfem Sand.
Neben der Böschung liegen zahlreiche Steine. Da die Abhänge des
Schlaubethales sowie dessen nähere Umgebung dicht bewaldet sind, so
fehlen weitere Anfschlfisse.
Erst der Anfang der Nachbarrtnne bietet solche dar. So s. B. der
Chossewitser See. Derselbe besitzt ein steiles östliches Ufer, während
das westliche fast ganz flach ist. Am westlichen Eingang des Dorfes,
das anf dem steilen Abhang neben dem See liegt, findet sich im An&tieg
der Geschiebelehm angeschnitten. Ein zweiter Anfschlnss ist am Sdd-
ansgang des Dorfes vorhanden. Hier ragt eine steile Wand ans (Geschiebe-
lehrn empor, welche bis zum Seespiegel hinabreicht. Auf der Höhe über
diesem Anfschlnss, östlich neben dem See, herrscht kiesiger Sand mit
zahlreichen Steinen. Diesen Lagerungsverhältnissen nach darf man den
Geschiebelehm wohl als Unteren Geschiebelehm ansprechen.
Yon dem Fünfeichener Kücken bleibt nnr noch der schmale Streifen
bis zur Spree für die Beschreibung übrig. Das Terrain flacht sich all-
mählich weiter ab und wird ganz eben, so z. B. in der Umgegend von
Reudnitz und Sclnu eberg, wo es 62 m Meereshöhe erreicht. Nördlich
hiervon breitet sich die weite Niederung des unteren Ölse-Füesses mit
47 m Meereshöhe aus. Sobald man östlich neben Beeskow das Plateau
erreicht hat, ist der Boden ein sandiger Lehm, und erst weiter nach
Osten, wo der Wald beginnt, wird der Boden reiner Sand, doch treten
auch in ihm noch lehmhaltige Partien auf, die als Acker dienen. In
einer Grube km westlich von lleudnitz steht scharfer kiesiger Saud
ZU Tage. Bei Kroüs Hof ist der Boden sehr sandig, und es ündeu sich
4*
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52
EdoMd Zaohe:
oinige Steinhaufen. In einer Grnbe nördlich von Olsen stellt ü^iit ge-
schichtetor scharfer Unterer Saml an. Gross- niifl K Icin-Hi icsoii
liegen in einer tlarhen Depression mit saiidi^oiii, aber doch fruchtiiarein
Boden, Südlieh der Dörfer gegen den Bahnhof Weiclieusdorf hin liiidet
sich eine dünne Tjehnidocke, wie eine fhu^he Grulu» leint. Die Feld-
frürlite stehen sehr ^ut, »iiid Itei dem Vorwerk Weicheusdorf werdeu
Zackerrübeu iu einem leliuiigeu Öande gebaut.
2. Die Wdllmltzep Spitze.
Die Grenze gegen den Fünfeichener Rürken beginnt liei iia\\ itz iwid
streicht nördlich von Möbiskrnge und südlich von Kobbeln V(n'bel über
Treppelu bis zum Anfang des Schlai»l)ethales. Nördlich dieser Grenz-
linie linden sich noch Höhen von 150 ni und südlich derselben nur noch
solche bis 12U ni Meereshrdie, obgleich sich auch noch einzelne Kii}H)en
darüber hinausheben, z. B. der Hutberg bei Ossendorf mit ltiü,(j m
Meereshöhe.
Nördlich von Läwitz ist die Stelle, wo das Fürsten berger Vorland
neben dem Plateau seinen Anfang nimmt Vom Lawitzer Grande aus
fuhrt nach Norden der Wog auf das Vorland hlnanf. Ülrar der Solile
des Lawitzer G-rondes steht neben dem Wege im Einschnitt Geschiebe-
lehm an. Er ist hart, hellbraon and mit Steinen gespickt. Über ihm
lagert ein gut gescliichteter Sand, welcher in seinen tieferen Schichten
Idesig ist nnd nach oben hin feiner wird. Dieser Sand bildet die Ober-
fläche des Vorlandes, das hier eine Meeresfaöhe von .50 m besitzt. Es
ist wohl kein Zweifel darüber möglich, dass wir es hier mit Unterem
Geschiebelehm nnd Unterem Sand zn thnn haben. Auf der westlichen
Seite des Hohlweges steigt das Platean empor; auch hier liegt an der
Basis Unterer G^chiebelehm nnd über diesem ein sehr sandiger, brauner
Thon bis znr Spitze der vordersten Bergknppe. Geht man nach Läwitz
hinein, so finden sich an der Böschung noch mehrere schöne Aufschlüsse.
Immer ist in ihnen in der Höhe des Thalweges der Untere Geschiebe-
lehm angeschlossen und unter ihm an einigen Stellen ein weisser Sand
mit Gllmmerplättchen. Über dem Unteren Geschiebelehm liegt ein ge-
schichteter, grol)er, rötlicher Sand. Der Untere Geschiebelehni, dessen
Unterkante wellenförmig gebogen ist, zeigt im Tunern Stauchungs-
erscheinungen. Ein zw« it. ]• selir schöner Aufschluss liinlet sich in dem
Hohlwege, welcher, etwa in der Mitte des Doifes beginnend, zum Weissen
Berge emporführt. Dicht hinter dem Dorfe nach einer geringen Erhebung
wird der Untere Ceschieljelehm angeschnitten. Derselbe ist sehr ungleich
ausgebildet, obwohl er Geschiebe führt^ treten in ihm doch Partien mit
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Bptaaea tekUmU>cher Kfftfte in dem Niederiausitaer Vori«nde.
53
deutlicher Schichtung^ auf, daneben finden sicli Nester aus Kies und
Gesdiiebeu, die sehr gestaucht erscheinen. Unter dem Gescliiebelehin
liegt ein scharfer kiesiger Sand, welcher in seinen Schichten '_r1i ii hfiiUs
Unruhe zeigt. Citer dem Unteren Geschiebelehui folo^t in dem Hohlweg
eine 10 cm starke Schiclit eines kiesigen Sandes und darüber V« m Thon,
der in thonigen Sand übergeht; dieser wird nach oben immer schärfer,
bis er echter Mauersand geworden ist. Ein solcher Maaersand bildet
den l)ei weitem grössten Teil der Biischung. An (U'r Phiteaukante wird
er unregelmiissig geschichtet und scliliesst Kiesnester und GenUlhaufen
ein. Auf äov S]»ifze, die den Namen „Weisser Berg" fülirt, herrsclit
weisser 8and mit Stcinbestreuung. Letztere ist namentlich auf dem Ab-
hang zur Sclilucht, welche nach Dielilo liinaufTührt, sehr ausgesprochen.
Vom Weissen Berge mit 83,H m Meeres liolie hat man einen prachtvollen
Eiubliek in die Landschaft, l^ange und gut ausgebildete Schluchten
schaffen reiche Abweclishmg in dein Plateau. Auf der Höhe l»ei Läwitz
ist die ganze Flur bestellt: (Tetreidi leider und Kartoffelschläge wechseln
miteinander ab, soweit tlas Auge reicht.
Die Thalgehänge der grossen Schlucht von Läwitz nach Diehlo
zeigen in ihren unteren Ti'ilen einen ausgesprochen Inaunen Faibent(»n,
während nach der Spitze hin di(> weisse Farbe sich einstellt. Diese
unteren Partien besteliiMi aus festem LelnnlMMlen mit guter Steinlx'streuung.
Aus dem VorlierrscluMi des Lehmimdens folgt wohl, dass tler Untere
Gescliiebelehin eine grosse Mächtigkeit besitzt: dieser Sclduss wird noch
bestiitigt durch die AulVclilüsse im Hohlwege. In diesem steht er an
bis zur Wegegabel Möbiskruge — Dieido. Und erst oberhalb dieser Gabel
tritt der scharfe Untere Sand auf, der dort, wo er kiesig ist, gut aus-
geprägte diskordante Parallelstniktor besitasi Sobald der Hohlweg fast
die Höbe erreicht hat, und er nur noch schwach eingeschnitten ist» be-
stehen dl6 Binder ans Oberen Geschiebelehm. Anch das Ackerland neben
der Strasse ist solcher, und auf ihm steht das Getreide sehr gut. Der
Obere Geschiebelehm hält sich hier anf der Höhe mit 102 m in einer
ziemlichen Ausdehnung und nur in der Nähe der Schlucht Möbiskruge —
Lawits wird der Boden sandig. Der Sand bleibt herrschend bis kurz
vor Möbiskruge, wo, ein wenig nördlich des Dorfes, der Boden lehm-
haltiger wird. Es treten hier in ihm zwei deutliche Solle auf. Guter
Gescbiebelehm steht in dem tiefen Einschnitt zu Tage» welcher von der
Höhe zum Dorfe im Thale hinabführt Anch in dem Wege Möbis-
kruge^Diehlo fiQhrt auf der Höbe ein Einschnitt durch Oberen Geschiebe-
lehm. Ober diesen eben beschriebenen Abschnitt bringt Berghaus*)
einige Notizen: „Im Neuzeller Stiftsgebiet finden sich einige Spuren von
heidnisdien Begrabnissen. So bei Nenzelle, Schlahe, Möbiskruge, Well-
*) Berghaas: Umdbncfa, 1. Bd. 8. IW,
54
Eduard Zacbe:
iTiitz, Brt'slai^k. Alle diese Orablifigel, deren es bei Bre^lagk ehemals
nicht mehr als 00 gab, sind mit grossen Steinen belegt Bn<l den* ganze
Landstrich, der den gebirgigen Teil der Niederlausitz ausmacht, ist ein
Fundort zahlreicher VersteincroDgen meist mit Kalk und Feuersteinen.
Möbiski'uge liegt in einem freundlichen Thal zwischen flachen Hfigel-
reihen, und diese Höhen sind sehr reich an Geschieben, ohne dass sie
ein eigentliches Lager bilden. Ebenso oft finden sich die Geschiebe im
Walde, wenn man den Hutberg übei*sch reitend, nach Kieselwitz und
dem Schlaubethal geht, und die Feldmark von Cobbeln, wcdche mit der
von Möbiskrage grenzt, ist ebenso steinreich als diese. Wie zahlreich
die Geschiebe gewesen sein müssen, lässt sich schon daraus ermessen,
dass man im Stande gewesen ist, auf der Feldmark Bresinchen die
meisten Feldwege und den Gubener Herweg über Gross-Breesen nod
Grunewald zu pflastern."
Westlich von Möbiskruge mündet der Cobbel-Grund in das Möbis-
kruger Thal. Es ist diis eine breite und tiefe Schlucht mit steilen
Rändern und kleinen Neben Schluchten, die sich weit nach Süden hinzieht.
Unweit der Ausmündung liegt neben dem Rande eine Ziegelei, welche
Oberen Geschiebelehm verarbeitet. Der Südrand der Möbiskruger Sciducht
ist schroft'er als der Nordrand. Unter den Kuppen, welche ihn l»e-
gleiten, ist der Hutber;^ 1 18 m hoch luid besteht aus Unterem Sand, der
mit Steinen dicht bedeckt ist. Am Sildansgange von Möbiskruge steht
im Thal in einer Grube feiner, thoniger, gut geschichteter Unterer Sand
an, der auch in dem Hohlweg nach Cnmro aufschlössen ist, wo er
in halber Höhe durch Oberen Geschiebelehm überlagert wiid. Auf dem
Plateau selbst herrsclit dagegen wieder der Sand. Derselbe hält sich
bis Cumro und wird gelegentlich auch steinig. In der Schlucht, welche
nacli Cumro hinabführt, stellt dersell)e feine Sand an. Er ist gut ge-
schichtet, und es wechseln in ihm dunkle und helle Streifen, von denen
die ersteren nur schwach sind. Dieser Sand erhält sich in der ganzen
Länge der Schlucht bis zum Dorfe hinab, so dass er sehr mächtig sein
muss. Erst am unteren Ausgang von Cumro, in der Höhe der Thal-
sohle, ist fester Unterer Geschiebelehm aufgeschlossen, der von Sand
imterlagert wird. Die Geschiebelehinwand ist 8 m mächtig. Noch weiter
thalwärts zwischen Schlaben und Neu-Zelle ist das Liegende des Unteren
Geschiebelehms, ein weisser Sand, aufgeschlossen. Untta* dem Geschiebelehm
ist zwischen diesem und dem Sand eine Übergangsstufe vorhanden, da unter
dem Geschiebelehm zunächst starke, hellbraune Thonschichten auftreten,
zwischen denen schmale Sandstreifen eingeschaltet sind, während tiefer
hinab die Thonschichten schwächer und die Sandschichten stärker werden,
bis die Thonschichten endlich gänzlich verschwunden sind. In Schlaben
ist der Untere Geschiebelehrn noch einige Male angeschnitten, ebenso an
einem Abhang zwischen Neu-Zelle und dem Bahnhof. An letzterer
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Spaten tdLtonischer Kittfle in dem Niederiaveitser Yoriande.
55
Stelle bildet er eine 6 m hohe Wand und liegt anf Sand, über dem auch
jene Zwischenstufe auftritt.
Sädwestlich von Mübiskruge fol^eu die Feldmarken von Oobbeln
und Treppein mit sehr sandigem Boden. Erst südlich von Treppein,
wo das Gelände ganz eben ist, \\ 'm\ I i Boden besser, und am Woge
liegen einige grössere Blöcke sowie Haufen von Steinen. No( Ii weiter
nach Süden ändert sich auch tüe Configuration der Laiidsc lial't. l]s lässt
sich eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Moräneulandscluift lierausfinden.
Der >fittelpunkt dieses Gebietes ist der Abschnitt zwischen Henzen-
dorf, Göhlen und Baliro. Schon in dorn Strich westlich von
Henzendoi-f tritt Geschiebelehm auf, and die Oberfläciie trägt reiche
Steiubestreuung. Am Nordausgange von Renzendorf steht in einem
tiefen Wegeeinsclinitt bis zur Oberkante 5 m mächtig Oberer Goschiebe-
lehra zu Tage. Auf der ge<;eiuiberliei?eiulen Böscliuni? ist gut geschiditeter
Sand angeschnitten. Das Dorf selber liegt sehr malerisch tief im <!i imdo
neben einem See. Die Gebäiido sind <»ft föi-inlicli iii den Bei'gabhang
aus Gescliiebelehni hineiiigebaut. Die Ställe und Scheunen bestehen aus
Feldsteinen. Gegen Bahro Inn herrscht wieder Sand nut Steiubestreuung.
Am Südeiiiiiange dieses D(»rfes verarb«'iti't eine kleine Ziegelei den Oberen
Ge^i liit'belelini, welcluu' in einer flachen Grul)t' ausfeilt, Audi nördlich
von Ossendorf ist dei- Boden ein harter Leliin, während der Hutberg
(lübjb ni) südlich des D<i|-fes aus Sand besteht.
Der Plateau-Rand südlich von Neu-Zelle biegt scharf nach Osten
vor und bildet bis Wellniitz genau die Foitsetzung des Oderrandes
auf dem rechten Ufer der Neisse. Die höchste Ki liebung ist der Ilutberg
südlich von Sti-eicbwitz mit DJ1),() ui. Während lii r Plateau-Uand in der
Um^-egeiul von Neu-Zelle durch tiefe Schluchten zerrissen ist, bleibt er
iu <ler Umgegend des Wellmitzer Vorwerkes arm an Schhu Ilten und
besitzt 6i{ m Meereshohe. Westlich von W'ellniitz breitet sich eine; freie
Hochfläche aus, deren Boden aus Oberen Gescliiebelehm bestellt. Östlich
vor Streichwitz hebt sich ein deutlicher Hfigelzng heraus, au dessen
Fuss weisser Sand zu Tage tritt, während nach dem Gipfel hin der
Weg doreh Greschiebelehm geht Die Steinbestrennng ist mässig. Die
Spitze des Grroske-Berges ist Geschiebelehm. Streich witz liegt am Hände
eines weiten Thalzuges, in dessen Grunde der Eahnkox)febach 'Ober
Schwerzko» Cumro, Schlaben und Neu-Zelle zur Oder flieset. Auf der
gegenüberliegenden Seite der Depression sieht man auf der Höhe
Ossendorf. Im Dorfe Streichwitz und südlich desselben auf dem Wege
nach Börnsdorf steht Oberer Geschiebelehm an. Der Hutberg neben
Streichwitz ist ein isolierter Kegel mit steiler Böschung aus festem
Oberen Geschiebelehro, und die Oberflache trägt reichlich Steiubestreuung.
östlich dicht neben ihm ragen einige niedrigere Sandberge empor. Nach
Süden Iftsst sich der Geschiebelehm bis Börnsdorf verfolgen und ist in
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56
Ediuurd Zache:
einigen Einschnitten sehr schdn anfgeechlossen. Die Steinbestrenang ist
mässig. Bei Börnsdorf beginnt mit einigen kleinen Seeen die Rinne,
welche nach Norden zur Oder bei Nen-Zelle nnd nach Sttden xnr Neisse
bei Gaben führt. Anch südlich von Börnsdorf ist noch Geschiebelehm
vorhanden, sobald aber die Heide beginnt, hört er auf und erscheint
erst wieder südlich derselben gegen Drewitz hin. In der Nachbarschaft
dieses Dorfes herrscht lehmiger Sand. An seinem Sfidausgang befindet
sich eine tiefe Grube im Unteren Sande. Auf der Höbe ist der Boden
wieder lehmiger Sand mit Steinbestrenang^ doch hält er in dieser Aus-
bildung nicht lange aus, nämlich nur bis zur Hälfte des Weges nach
Lauschitz. Im Inneren dieses Dorfes sowie an seinem Nordausgange
ist Oberer Geschiebelehm angeschnitten, und es ist ein grosser Haufen
von Blöcken aufgeschichtet. Auch die Umgegend von Sembten verrat
Geschiebelehm mit Steinbestreuung, derselbe tritt noch in der Umgegend
von Steinsdorf hervor und erst östlich des Dorfes, wo das Gelände
nach dem Rande hin zu fedlen beginnt, wird der Boden sandig.
3. Die Hornoer Spitze. *
Als die südliche Fortsetzung des Fünfeichener Rückens ist die
Homoer Spitze anzusehen. Die Erhebung über den Meeresspiegel hat
sich ganz allmählich auf 93, 89 und 80,5 m abgeflacht, und nur an der
äussersten Südspitze sind noch 102 m vorhanden. Die Oberflädie ist
ganz eben. Längs der Bahn Guben— Peitz zeigen die Einschnitte nur
scharfen kiesigen Sand. „Weiter an der Neisse,* sagt Berghaus,*)
„am linken Ufer des Flusses, ist die hochgelegene Gegend von Tauben-
dorf und Gries en bis gegen Homo der Fundort kleiner und grosser
Geschiebe, die hin und wieder kleine Lager bilden.** Die Spitze bd
Homo flacht sich nach Heinersbrück ganz allmählich ab, während sie
zur Neisse eine scharfe Böschung besitzt Westlich vor Homo, wo die
flache Böschung für eine kurze Strecke in eine energische übergeht,
steht Oberer Geschiebelehm an, der mässig Steine führt. Auch neben
dem nördlichen Ausgang von Homo findet er sich wieder und erstreckt
sich noch bis Griesen. Neben diesem Dorfe ist der Rand eingeebnet,
so dass er beackert wird, während der Steilrand, der sonst herrscht,
bewaldet ist. Nördlich von Griesen, wo das Gelände nur 80 m Höhe
besitzt, ist der Boden sandig, und in einer flachen Grube ist scharfer
kiesiger Sand aufgeschlossen. Nach Taubendorf hin erhält sich dieser
Sand. Es ist hier südlich des Dorfes wieder ein schroffer Yorsprung
vorhanden, während weiterhin die Böschung verschwindet, um noch
*) ik a. 0. 1. Bd., a 199.
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Spuren tektoaUcbur Kräfte in dem Niederluu^iuer Vorlaude.
57
einmal in Höhe von Kerkwitz steiler zu werden und zwar so schroff,
dass sie keinen Wald mehr trägt. In der Umgegend von Kerkwitz trifft
man wieder den Uotereu Sand an der Oberfläche. Derselbe bildet aach
bei dem Bahnhof Kerkwitz, m stark, die Decke eines Lagers von
DQnvialthon, welcher 6 m mächtig ist. In einer Tiefe von 2 m sieht
steh durch das Thonlager eine schwache schwarze Schicht, welche im
frischen Znstande zähe wie Pech ist nnd die beim Trocknen fest wie
Steinkohle wird. Das Thonlager hat eine grosse Ausdehnung, es erstreckt
sich bis unter den Bahnkörper nnd westlich noch ein Stflck ins Land
liinein. Unter dem Thon ruht wieder scharfer Sand. Die Tauern sehe
Forst ist ganz eben, und die Eisenbahn Peitz— Lieberose sdmeidet nur
seharfen, gelben Sand an.
4. Der Rauen-Petendorfer TertläPkeni.
Die Rauenschen Beige sind der nördlichste Vorsprung unseres
Gebietes und ihr höchster Gipfel liegt 147,7 m dber dem Meeresspiegel.
Die Rauenschen Berge schildert Girard*) folgendermassen: „Dieser
kleine Gebiigsstock hat seine höchsten Punkte, die sich bis circa 450 Fuss
erheben, in seinem nördlichen Rande nnd fällt von dort allmählich, in
vielen kleinen Wellen, nach Süden ab, während nach Norden zu, fast
ohne Absatz, die Berge gegen die vorliegende Ebene abschneiden. Deut-
liche Rficken, fortlaufende Thäler, wie man sie parallel dem Streichen
erwarten könnte, finden sich gar nicht, es sind nur kleine Mulden oder
Kessel und flach gewölbte Kuppen, die mit einander wechseln, selten
emen grösseren Höhenunterschied als 60—80 Fuss zeigend.**
Nördlich vor den Rauenschen Bergen lagert noch eine schmale
Terrasse nnd dahinter folgt erst das Spreethal. Diese Terrasse besitzt
aach nur eine ganz geringe Längsansdehnung. Am deatlichsten aus-
geprägt ist sie zu beiden Seiten der Chaussee Furstenwalde-Rauen. Die
Chaossee steigt hier ans dem Spreetlial auf einem Damm und durch
einen Einschnitt zum Plateau hinauf. Westlich neben der Chaussee ist
die Böschung auf eine kurze Strecke bcsnndcrs scliarf ausgeju'ägt.
Für die Gliederung des Geländes ist noch das Thal wichtig, welches
die Rauenschen Berge von den Soldaten-liergen (110 m) trennt und das
den Petersdorfer See beherbergt. Das Thal erstreckt sich vom Spree-
tlial bis zum Sc]iannütz(>l-S(M'. riirni d sagt an derselben Steile von
dicsom Thal: „Es ist niclit unwahrscheinlich, dass gerade diese be-
deutende Hebung jene Spalte, die bei Petersdorf beginnt und nach Süden
fortsetzt, sowie wahi scliemlich auch eine grosse Verwerfung der Schichten,
hervorgebracht hat."
Die Norddeutficiiü Ebene. Berlin 1865. 8. 178.
i^iijM^cj L,y Google
68
Eduard Z«ohe:
Der Kern der Raaenschen Beige ist das Braunkohlengebirge. Die
AafschlfiBse zeigen aber häafig gerade die Grenzschichten zwischen
Tertiär nnd Quartär. Beachtenswert scheint es zu sein, dass alle
nmfangreicheren Aufschlüsse auf der Östlichen, d. h. der Petersdorfer
Seite liegen, während die der westlichen unbedeutend sind.
Da die Berge dicht bewaldet sind, so fehlen im Innern die Anf>
Schlüsse. £8 sind dort nur ganz kleine vorhanden, wo der Bergbau
Einbrüclie veranlasst hat, und in ihnen steht scharfer, gelber Diluvial-
kies zu Tage. Auf der südöstlichen Abdachung sind einige neue Wege
angelegt woi*den, diese führen gelegentlich durch grobkörnigen tertiären
Qoarzsand, vorlierrschend ist aber dor |?raue Diluvialsand und nur ver-
einzelt lindtit sich auch Geschiebelehui mit zahlreichen Steinen. Grossere
Geschiebe triift man reiclilich. Am häufigsten sind die Aufschlü.sse
nördlich von Petersdorf. Iiier war bis vor kurzt-m eine grosse
Ziegelei im Betrieb, und noch jetzt sind zahlreiche Kies<,Mubeii dort zu
linden. In einer dersell)en liegt auf einem weissen Quarzsand mit
Glimmer ein groher Kies mit Geröll, der P/j m mächtig ist. Darauf
folgt ein thoiiiger Saud mit melireren 2 — 1 cm starken Lagen einer
Eisenscliale und hieiüber eine Schicht von feinstem Sand. An einer
anderen Stelle ragt unter einem Winkel von 45" eine Elli})se aus scharfem
Sand mit ring- imd wellenförmiger Lagerung der S(;lii(hten in eine
Partie aus Kies, Gerollen und Blöcken von nordischer Herkunft liinein.
Au der einen Seite hat sieh neben der Ellip.se in dei- Kies- und Geröll-
sehicht ein Stück festen Geschielu-lehms erhalten, der als Vorsin ung aus
der Wand der Grube hervorragt und nai h ohen hin allmählich in jene
Kies- und Geröllmasse übergeht. Das Auffallige aber ist, dass die
Geröllscliieht au einei' Stelle in einer fast senkrechten geraden Linie ab-
schneidet und hier an eine Partie von wohlgeschichtetem, feinem, gelbem
Sand stösst, welcher deutlielie diskordante Fluidalstruktur zeigt.
Die noch zu i)esclireibenden Auf.>clilüsse liegen wenig nordlich des
Mundloches des Petersdorfer Stollens. Hier findet sich ein Einschnitt,
in welchem zu unterst ein feinkörniger Glimmersand (Formsand) auf-
tritt> über diesen folgt Geschiebelehm und darüber kiesiger Sand.
Ganz in der Nähe dieses Auftchlosses ist ein zweites Profil frei-
gelegt. Die Längs wand der Grabe läuft ungefähr von SO. nach NW.
An der südöstlichen Ecke der Grube steht dicht über der Sohle ein
weisser, glimmerreicher Sand (Formsand) an. Derselbe schneidet nach
oben mit einer Eisenschale von 4 cm Stärke ab. Darüber lagert Concor-
dant ein grauer Diluvialthon, welcher die Verwerfung des liegenden
Sandes mitmacht, so dass er in der nordwestlichen Hälfte der Grrube
die Sohle bildet. Der DUuvialthon ist 6 m mächtig. Der Thon und der
Sand fallen unter ganz flachem Winkel nach Südwest ein. In der Sohle
der Grube iLann man auf eine ganze Strecke hin die Eisenschale ver-
Sptureo tektoiuBcher bifte in dem NiederUtwitzer Vorlande.
59
folgen. Die Decke des Diluvialthones wird gebildet von einer dünnen,
eisenschfissigen Eiesscbicht, und über dieser folgl noehmals 8 m xn&chtig
auf der südöstlichen Hälfte der Grabenwand ein Kies nnd auf der nord-
westlichen ein Sand, der nach oben hin immer feiner wird. Beide Boden-
arten schneiden in einer scharfen und senkrechten Linie nebeneinander
ab. AnflfoUend ist in diesem Au&chluss, dass die Verwerfungen des
liegenden Diluvialthons sich nicht in den hangenden Kies hindn ver-
folgen lassen, nnd dass aber aneh die Trennnngslinie swischen Eies und
Sand sich nicht bis in das Liegende fortsetzt
£ine dritte Grube zeigt baumknchenartigeu, braunen Formsand und
darüber Diluvialkies. Dieser Kies mit grobem Sand ist uiiregeliiiä.ssig
geschichtet und schliesst zahlreiche Geschiebe ein. Das grdsste der-
selben hat wohl einen Inhalt von 1 cbm.
Etwas liöher dt»n Abhang hinauf ist noch ein viertt-r Aufschhiss
vorhiiudeii. Auf der Suhle tritt Furiusand horvor und (hiiübiT laj^ert
Diiuvialthon, welcher von scharfem Sand bedeckt ist. Alii' Gebirj^s-
glieder fallen unter schwucliem Winkel nach W. ein. Auch in dieser
Grube ist eine deutliche Verwerfung zu erkennen, welche alle Schicht-
glieder durchsetzt. Die Spiiinghöhe derselben beträgt allerdings nur l m.
Während die eben beschriebenen Gruben, welche noch im Innern
der Kauen-Pett'rs(l(»rfer Bcrjj^i- liegen, vornehnilicli das Diluvium zeigen,
so dass die tertiären Sclueiden nur t'l»en ang»'sclinitten sind, ti'itt in den
rundlichen Aufschlüssen, die sich neben der l'etersdorfer Strasse linden,
das Tertiär fd)era]l zu Tage. Die Bergabhäuge über den Gruben be-
stehen aus kiesigem Sand mit Gerollen.
Kurz nördlich des Dorfes Petersdorf ist ein grosser Autsclduss
vorhanden. Die Grube erstreckt sicli ungt friln |taralb'l mit dem Petcrs-
dorfer See von SW. nach NO. Man orktMint di iiüich, dass hier ein
flacher Sattel abgebaut ist, der sicli in der Ivichtung der Grube erstreckte
und dessen Fliigcd nach SO. und NW. einlielen. An der nordöstlichen
Querwand der Grube sielit man die Kuppe des Sattels, sie bestellt aus
dem choknladonfarbigen Tertiär, das tlachwellenartig zusammengeschoben
ist. Auf den Wellenbergen des tertiiiren Kerns liegen zahlieiclie Ge-
schiebe, während auf dem östliciien Schenkel nach aussen liin die dihi-
viale Decke zuerst aus Kies, dann aus Sand und schliesslieli aus Thon
besteht. Bevor die (Jrube angelegt war, befand sich hier ein flaclier
Rücken, dessen Ausläufer noch zu erkennen sind. Auf dem nord-
östlichen Vorsprung des Rückens ist eine Grube im grollen Kies an-
gelegt, der hauptsächlich aus weis.sein Quarz besteht. Nicht weit von
dieser befindet sich eine zweite Grube, auch auf der Kuppe des Kückens,
in welcher fester Geschiebelehm ansteht. Auch dieser enth&U die weissen
Quarzite.
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60
Eduard Zaohe:
Dort, wo die Petersdorfer Strasse aus den Bergen heraustritt, steht
in der Höhe der Spreethalsohle das chokoladenfarhene, baamknchen-
artige Tertiär zu Tage und fällt nach W. ein, wenn anch etwas steiler
als an anderen Ortlichkeiten. Die Abdachung zum Spreethal zwischen
der Petersdorfer Strasse und der Petersdorfer Senke zeigt kiesigen Sand,
der in zahlreichen Graben angeschlossen ist Die Abdachnng ist eine
ganz aUmähliche, sowohl die zum Spreethal als anch die zar Peters-
dorfer Rinne. Nnr dort, wo das Dorf Petersdorf liegt, ist der Abhang
schroff. ^
Die Ausbildung des Geländes an der Vorstufe nOrdlich von Hauen
haben wir schon besprochen. Die dort erwähnte Terrasse besteht aus
Geschiebelehm mit sehr vielen Geschieben, wie ein Ackerstück zei^e,
auf welchem die „ausgebuddelten^ lagerten. An der Böschnng der
Terrasse neben einem Gehöft ist eine kleine 2 m tiefe Jielimgrube an-
galegt worden. Auch der Boden in der nächsten Umgebung des Ge-
höftes besteht aus Geschiebelehm. Nach Westen erstreckt er sich bis zur
Kauenschen Ziegelei. Unter dem Geschiebelehm tritt an der Böschung
lüos liervor, der bis zur Sohle des Spreethaies reicht. In der Nälie
der Ranenschen Ziegelei, wo die Terrasse schon im Abnehmen begriffen
ist, ist eine Kiesgrube im groben Kies angelegt, der gut geschichtet ist.
Unter dem Kies liegt ein weisser, scharfer Sand mit einzelnen Gliininer-
plättchen. Der Berichen-lierg westlich neben Rauen ist magerer scharfer
Sand. Das Dorf selber liegt in einem flachen Thale, in welchem der
Boden etwas lehmhaltig ist. Klöden*) hat die Ausliildung des Ge-
ländes und die Zusammensetzung des Bodens an dieser Stelle schon
beschrielien.
Auch in den Duberow-Bergen auf der östlichen Seite der Peters-
dorfer Senke finden sich Aufschlüsse. In einem derselben liegt auf
dem chokoladenfarbigen Förnisand eine 4 cm starke Schicht aus gelb-
braunem .scharfen Sand mit Feuersteinen und hierauf ruht ein V-j m
mächtiger, heller, sandiger Thon mit wenigen nordischen und weissen
l^iiarzkieseln, und darüber folgt endlich ein grauer, scharfer Sand mit
zahlreichen nordischen kleinen Kieseln. In einem zweiten Aufschluss
unweit des ersten fehlt die sandig-tliunige Zwischenschicht und es lagert
auf dem Tertiär eine Schicht grösserer Fiii(llin;;e im Kies und darüber
folgt alsdann der .scharfe Sand, doch nun ohne Steine. In eiiirm di-itton
Aufschluss endlich bildet ein Diluvialkies mit grösseren Blocken die
Decke des Tcrliiirs.
Die Abdachung dieser nöi-dliclien Kui>j)eii nadi Süden ist sandig;
doch tritt für eim«, kurze Strecke auf dem Wege zwischen Neu- und
Alt-Golm ein besserer Bodeu auf. In der nächsten Umgebung dieser
*) Beiträge V. Stck. 1832. S. 69 fl.
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Cfptnen tektonischer Krifte in dem MiederiauaitMr Voriande.
61
beiden Dörfer herrscht Sand, und bei Ait-Golm tritt Steiubestreuimg
hinzu.
Südlich von Alt-(iolni lieben sich die Lauseberij^e deutlicli heraus:
auch sie beistehen aus sehr unfruchtbarem Sand. Dieser sclüechte Unden
setzt sich fort Iiis in die Sandfichten und die Pieskowsclie Heide. Südlicli
der letzteren ist der Boden auf eine kurze Sti'ecke besser geworden,
doch tritt bald wieder oder Sand hervor.
Die Nachbai.schaft von WilnieisdcMi ist scharfer kiesiger Saud,
und erst nach der Grenze von Ilartennsdorf hin wird der Boden
lehinhaltiger und steinreich. Westlicli von ITarteunsdoif im Walde
herrscht öder Sand, und es liegen einige grosse Blocke neben dem Wege.
Auch in Hai-tennsdorf sind gro.sse Steinhaufen lu'ben der Dorfstrasse
aufgeschichtet. Westlich von Wilmersdorf ragen die xVlaunberge deutlich
aus dem Cli'Unide empor. An ilu'em O.stabhange linden sich einige
beachtenswerte Aufschliisse. Am i'ii^se des Berges ist eine Grube mit
gut geschichtetem kiesigen Sand vorhanden. Sobald der W'eg zu steigen
beginnt, tritt Geschiebelehni auf und ein rötlich brauner Kies. Sie
lagern neben braunem Tertiär. Dieses Tertiär bildet in Hohe der Stra.sse
eine Art Absatz. Darüber erhebt sich die Spitze des Berges, welche
aoB einer 12 m hohen Wand TOn OeBchiebelehm bestellt, der einen deut-
lichen Stich ins Schwarze besitsst
Iditten im Felde, 2 km östlich von Pieskow, ist eine Thongnibe
vorhanden. Es ist ein fetter, branner Thon, der bis zur Oberkante der
Grabe heranreicht Etwas näher an den Scharmtitzel-See heran, hart
an der Strasse Pieskow— Alt-Golm, ist eine Grube im Geschiebelehm
angelegt. Die Wände derselben sind 4 m hoch nnd bestehen aus festem,
hellbrannem Geschiebelehm mit grossen nnd kleinen Geschieben. Die
Terrainhdhe betragt hier ungefähr 61 m.
An dieser Stelle fQgt sich nun der Scharmützel -See in die
Landschaft ein. Er ist 10 Vs km lang nnd Vjt km breit, mithin 1575 ha
gross. Sein Spiegel hat eine Meereshöhe von 36 m, so dass bei einer
Tiefe zwischen 12 nnd 30 m hier eine Differenz von ca. 150 m zwischen
dem Seeboden des Scharmützel-Sees und der Spitze der ftauenschen
Beige vorhanden ist Er ist fast seiner ganzen Ausdehnung nach von
steil einfallenden Ufern umschlossen. Auf der westlichen Seite ist das
Steilufer deutlich ausgeprägt, während auf der (»stlichen neben dem Ufer
noch Platz für einige Dörfer ist. Ausserdem ist hier zwischen Pieskow
und Biensdorf eine niedrige Terrasse neben dem Seeufer vorhanden.
Grössere Schluchten und ])edeutendere Flie.sse, die zum See hinabfuhren,
fehlen gänzlich. Am Nordende des Sees befindet sich ein breiter
Wiesengrund, der Wierich, welcher mit der Petersdorfer Senke zusammen-
hängt Am ö.stlichen Ufer in der Nähe des Dorfes Pieskow liegt eine
verlassene Ziegeleigrube, deren Sohle und Wände ans chokoladefarbenem
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62
Edawrd Zache:
Tertiär bostchon, das von eiiitM' sc-hwaclu'ii Oih ki' aus fcsti-m. Itrannciu
Gf.schiebclclnn bedeckt wird. Bei Dit'Tis<l<»i'l' ist s:lt*icbfalls eine Ziegelei
iin Retrieb. llire (Jnibe befindet sicli ;iuf dein IMatoau, ein ansehnliches
Stück vom Ufer entfernt. Auch hier liefert das Tertiärgebirge das
Material für die Ziegelei. Die Schichten des Tertiiir.s sind sehr go-
«luetsciit und verschobe'ii. ( leh'<;(Mitlicli tiiidfii sich Linsen aus inilcb-
weisseu, erbsengrosseii Quaizkörnern. Die Decke des Tertiärs ist ein
2 ni mächtiger, fester Geschiebelehni, der auch sandig wird. Zahlreiche
Findling» liegen neben der Grube. Das Gelände ist hier ziemlich koapiert.
Nicht weit von der Grube eutferut, gegen den See hin, darchschneidet
die Feldbahn das Tertiär, das hier zn Tage ausgeht. Wiederum ein
Stück näher zum See heran wird von der Feldbahn brauner Eies mit
zahlreichen Steinen durchschnitten. Der Kies wird allmählich sandig.
Sobald das Gelände zum See hinab deutlicher zu fallen beginnt, erblickt
man in dem Einschnitt grosse Yerstanchnngen, an denen auch das Dilu-
vium beteiligt ist. Auf der Sohle des Durchstiches findet sich das
Tertiär, über ihm lagert ein heller Sand und zwischen beiden ein
schwaches Lager von gelbem Kies mit Geröllen. Die Decke endlich
bildet ein sandig - kiesiger Geschiebelehm, der nach oben hin rein
sandig wird. An der Böschung des Plateaus giebt es noch einen letzten
Aufschlnss. Auch hier sind grosse Störungen ausgebildet. Zu nnterst
liegt das Tertiär, und darüber folgt eine graubraune, gleichförmige, un-
geschichtete Masse, in welcher einzelne Kiesel stecken. Hierüber lagert
ein gelber kiesiger Sand, welche sackartig in das Liegende hineinragt.
Die Decke des Ganzen ist endlich ein Geschiebelehm, welcher seinerseits
an zwei Stellen sackartig in die Unterlage eingreift. Die Abdachung
zur Terrasse ist scharfer, kiesiger Sand mit Steinen. An anderen Stellen
des Abliniiges geht der Geschielx Idnii bis zur Krone des Absatzes
hinab. Wo die Pagewässer den ( iescinebelehm angegrififen haben, liegen
die Steine sehr dicht. Dort, wo die Terrasse nicht ausgeprägt ist, geht
der Geschiebelehm <loch bis zur Mitte der Böschung hinab. Hinter
Diensdorf, wo der Weg nach Harten iisdnrf in die Höhe steigt, steht
an der Böschung das Tertiär an und an der Obi>rkaute GeBchiebelcluo.
In einiger Entfernung vom Rande nach dem Innern zu besteht der
Boden aus chok(dadenfarbenem Tertiär.
Es finden sich nun auch auf dem westlichen Ufer einige Aufschlüsse,
in denen eine innige Verbind nnii: von Tertiär und Quartär zu bectbachten
ist. Den ersten Aufschlnss trillt man in der Sill)erberger Ziegeleigrube.
Die (irube liegt unweit des Doniiiiiums Silberberg auf einem flachen
Rücken, etwa öon ni westlich vom Seeufei-. l)ie (Irnlie eistreckt sich
in ihrt-r Liingsausdehnung von Ost nach West, und ihre Längs wände
zeigen das Tertiär. Es sind deiitlicln^ l'ioz«! vojhanden, die aber arg
zerrissen und zusammeugesckobeu siud. Kurz vor dem westlichen Ende
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Spuren tektonischer Krftfte in dem Niederlausitzer Vorlaade.
68
<l(»r (trübe hüvt das chokoladenfin I>eiu' Tortiiir an Ix-iden Längsseiten
ilor (irube iilöt/lich iicIuMi eiiici- srnkreclitt'n lAiuv auf (Tafel 1), und
liififtT dieser folirt das lielllti-aunc Diliivimii, so dass die westliche. Quer-
wand der Clrubt' aus diesem besteht. Das Dihivium bildet eine feste,
senkrechte Wand. Es ist ein sehr kiesiger und sandiger Gesehiebelelmi.
Die Wand ist hier an ihrer hüch.»;ten Stelle 7 — 8 ni hoch. Das Tertiär
reicht in dem ganzen Aufschlnss und auch nach dem See hin bis an
die Oboi*flädio des Geländes. Nur an einigen Stellen hal)en sicli in ih n
Falten des Tertiärs schwache Reste von Dihivium erhalten und zwar
sind dies rötblichbmnne, thonige Sande mit grossen und kleinen Steinen.
Die Yerwerfnng zwischen Tertiär und Dilnvium verläuft im magnetischen
Meridian, d. h. in Nordsüdrichtung mit einer Abweichung von lü« nach
West bin. «
Hart am Seerande, am Fnsse des Bullenberges, in der Hdhe von
Silberbei^i ist eine zweite Ziegelgmbe im Betrieb. Es wird hier ein
gat geschichteter Dilnvialthon von brauner Farbe gestochen. Die Sohle
der Grube liegt in der Höhe des Seespiegels. Die Zugehörigkeit des
Thons zum Dilnvium bestätigen einmal die kleinen Schmitzen von rotem
Manei*sand, die sich in ihm finden, und sodann die Oberreste von
Diluvialtieren, die auf seiner Oberkante gelegen haben. Über dem
Thon liegt ein gut geschichteter scharfer Sand. Die Schichten im Sand
und Thon laufen horizontal. An der östlichen Seite der Grube, parallel
mit dem Seeufer, hört der Thon plötzlich neben einer senkrechten Linie
auf, so dass der Abschnitt zwischen der Grube und dem See aus Sand
besteht. (Tafel II.) In der nächsten Nähe dieser Grenzlinie ziehen sich
die Thonschichten und auch die hangenden Sandschicliten ganz allmählich
ans der horizontalen Lage ein wenig nach unten lierab. Die Sandschicliten
in dem Abschnitt zwischen der Thongrube und dem Seeufer, die durch
einen Abzugsgraben aufgeschlossen sind, haben in der Nachbarschaft
der Thongnibe, etwa 2 m breit, eine hellchokoladenbrauue Farbe und
sind energisch gestaucht, während sie weiter ab von der Grube bis zum
Ufer hin völlig horizontal bis flach muldenförmig liegen. Auf der Ver-
werfungsspalte hat sich eine Eisenschale ausgebildet. Aber auch vor
der westlichen Wand der Grube schneidet der Thon mit einer scharfen
Linie neben dem Sand ab. In der Mitte der Grubenwand sind die
untersten Sandschichten über dem Thon durch eine Kluft unterhrochen,
die ungefähr 20 cm breit ist und mit ungeschichtetem Sand ansi;efüllt
ist. Die Sandschichten sind neben der Kluft leicht emporgewölbt und
sonst nicht weiter gestört, Autdi di»- liegenden Thonschichten sind
nicht verändert worden, ebenso wenig wie die Saudscliichten über der
kleinen Kluft.
Am Fusse des Da<hsberges, 2 km nördlich von Silberberg, ist
ein üacber Autäcliluä.s vorhanden, welcher das chokuiadeufarbene Tertiär
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64
Eduard Zache:
zi'igt. Aucli die Feldmark von Reichenwalde besitzt Ackerstück«,
die aus Tertiärgebirge bestehen.
Endlicli ist üocli ein letzter, grosser Aufschluss durch die Siiarower
Ziegeleigrube au der Nurdspitze des Schannützel-Sees geschaften worcb'n.
Auch in dieser wird das Tertiär ausgel>out('t. Man i^^clanst in die Grube
durch einen Einschnitt im diluvialen Sand«' mit dcutlicli ausgi'j»rägt('ii
horizontalen Schichten. In der Hölic der Wcusohle lic^t ciiu» Schiclit
ans Kit's und grösseren Gondlen. Der Weg läuft ungefähr von Ost
nach West, und die Grul>e stösst mit ihrer Längeuausdehnung leclit-
Nvinklig dagegen. An der östlichen Tiiingswaud der Grube erblickt maa
diclit über der Solile das Tertiär, kenntlich an einem schwachen Flöz;
darüber lagert ein liellgraner Thon und über diesem das Diluvium, ein
gelber scharfer Sand mit einzelnen grüsM ien und kleineren Geschieben
an der Basis. Das Diluvium macht alle Faltunm n des Tertiärs mit.
Die Schiciiten lallen unter 25'* nach Osten, d. h. zum See hin, ein. Auf
der westlichen Wantl der Grube tritt nur das Tertiär auf, in welclicni
niehrere Flöze au.sgebildet sind.
Ich halte die Linien in den Zigrli igruben (Tafel I u. II) für Ver-
werfungen und möchte hierau>, >o\vie aus dei" liolien Lage des Tertiär-
gebirges zu beiden Seiten des Sees den Schluss ziehen, da.ss der
Scliarmützel-See ein Graben ist, der durch die Schmelzwässer
des Inlandeises nur wenig erweitert worden ist.
Nördlich von Silberberg erreicht das Gelände 94 m Meereshölie.
W' stlich des Gutes findet sich eine flache Depression, hinter welcher
nach Westen gegen Reichenwalde zn das Gelände wieder bis 8() m
ansteigt Aof dem Keichcnwalder Abhang herrscht ein lehmiger Sand,
der ganz ausserordentlich steinreich ist. Je mehr man sich der Höhe
nähert, desto sandiger und steiniger wird der Boden. Auf der Höhe
ist der lleichtum an Steinen ganz überraschend gross. Unweit der
Strasse Silberberg — Keichenwalde ist eine Kiesgrube angelegt. Sie enthält
einen gelben Kies mit zahlreichen Steinen und unter diesen namentlich
Feuersteine. Auch der westliche Abhang der Kujipe ist thoniger als
die Spit/e. Der Sand mit den Steinen herrscht bis Kolpiu hin und
ebenso südlich bis Storkow.
Kurz nordöstlich vor Storkow lanfen zwei parallele HflgelzQge
hintereinander hin, die ans gleichförmigem Sand ohne Kies und Steine
bestehen, so dass sie ganz das Aussehen von DfinenzQgen haben, woftbr
auch der dürftige Forstbestand spricht.
Sparen tektonischer Kriffee in dem medeiUHuitacer Vorlande.
65
5. Die Buckower Stufe.
Ad das. soeben geschttderte Gebiet mit dem Tertlixkern schliesst
sich nach Süden ein flaches Gebiet, in welchem der Geschiebelehm in
grösserer Ansdehnang anfbitt IHe Grenze beider Sti-iche verlanft
ungefähr in der Linie Diensdorf, Wilmersdorf, Pfaüeiulorf, Sauen.
Einifi^ Aufschlüsse hat die Sanensche Ziegelei*) am Spreerande
geliefert. Die Ausschaclitunp^en gehen in der Richtung Nord— Süd in
das Plateau liinein. Es ist folgendes Profil freigelegt und in den Grund-
zfigen auch durch Bohrungen im Innern gefunden worden. Zu oberst
findt'n sich 5 — 8 m Oberer Geschiebelehu), darunter 2*/2 m Thon und
alsdann Sand und Kies. Der Thon beginnt am PhittMuraude als eine
wenige Centimefcer starke Scliicht und nimmt narh dem Innern hin an
Mächtigkeit zu, indem er bald stiirker, bald schwacher wird und niemals
!i' m übersteigt. Er ist ni< lit horizontal gelagert, sondern steigt und
fällt in mehreren Hachen Wellen, die senkrecht zum Plateaurand vor-
laufen. Au einigen Stellen ist der Geschiebelehm fast senkrecht f^cgcn
den Thon gepresst, oder der Thon ist in eine Anzahl kleinerer Falten
zusauHiiengedrüekt. Am Rand«' ist er sandig, im Innern wird er fetter
und besteht aus zwei deutlich erkennbar»'n Partien, einer schwarzen
oberen und t-iner braunen unteren. Auch diese beiden sind ineinander-
f^eschoben. Erst weiter im Innern boren die Staueiumgserscheinungen
auf. Der Sand unter dem Thon iiat alle Faltungen mitgemacht und
seine oberste Lage ist ein schwacher eisenhaltiger Sandstein. Der Obere
Geschiebelehm zieht sich in heller Ausbildung bis PfalVendorf. In den
Sclduchten ist er weggewasclu-n. Auf der Oberfläche lagern reichlicli
Blöcke. Der Obere Geschiebelehm lindet sich auch in der Nachbarschaft
des Dorfes Saiitri und südlich desselben bis über Görzig hinaus. Erst
kurz nördlich von (! ross-Kietz tritt der Untere Sand in dem Ministeilx'ig
in einer grossen Kiesgrul»e zu Tage. Der Acker ist in seiner Nachl»ar.>< huft
sandig nnd sein stiinreich. Auch Berghaus erwähnt, dass die Feld-
marken von Cunersdorf, Sauen, Hartensdorf, Görzig und Gro.ss-Rietz
mit Steinen dicht bestreut sind. Südlich und westlich von Pfaffendorf-
Lamitsch tritt Gesckiebeiehm auf, doch besteht Erachts Heide, welche
sieh ungefähr bis 4 km südlich von Lamitsch erstreckt, aus Sand, der
stellenweise Steine enthält Erst in der Nähe von Herzberg tritt der
Obere Geschiebelehm wieder auf und ist am Ostausgaug des Dorfes in
einem 2 m hohen Au&chluss angeschnitten. In dem Abschnitt zwischen
dem Scharmfitzel-See und Glien ike tritt Sand mit Steinbestreuung auf.
Im Dorfe steht an einer Stelle sehr kies- und steinreicher Oberer
*) Ich verdanke Ilerrn Ingenieur Ahrens und Herrn Betriebsfahrer Schamann
die wertvoDen Aoakflnfte.
5
66
Ediuad Zsehe:
Gösch iebelehin an, während sich an einer zweiten Stolle scharfer, gelber
Sand lindct. Das Terrain ist hier sehr eben. Die Schlucht, welche im
Herzberger See ihren Anfang nimmt, hat steile Ränder, und ein Wege-
einschnitt, der zu ihr hinabführt, zeigt Oberen Geschiebolehm. Derselbe
hält sich bis Ahrensdorf nach Süden, und es tinden sich hier sehr
viele Steine auf dein Acker. Auf der östlichen Seite der Schlucht bis
Herzberg herrscht Sand mit Kieslagern. Erst zwischen Ilerzberg
und Lindenberg findet sich Geschiebelehm mit Steinen. Zwischen
Tiindenberg, Buckow und Falkenl)er<> tritt der Geschiebelehm in
grösserem Uintange auf und beherbergt zahlreiche Steitie. Diese Dörfer
bilden den Mitteljuinkt des Abschnittes, und hier «'rreirht das (ieliinde
eine Meereshöhe von S()^9n m. Östlich von Herzberg ist der Boden
sandig mit guter Steiiil)estreuuug, während wieder westliefi von Klcin-
Rietz Geschiebelehni auftritt, so z. B. im (Juell-Berge. Auch bei dem
Amte Birkholz ist eine Grube im Olteren Geschiebelehni vorhanden.
Ferner spricht die ausgedehnte Weizenkultur in der Umgegend von
Bornow ebenfalls für die (liite des Bodens. Der Illing-Berg zwischen
liorntiw und lauclie besteht aus Unterem Saml mit Steiubestreuung.
Noch um Tauche herrscht der OI)ere Geschiebelehm und in einer
(trübe südlich des Dorfes ist er 3 m mächtig aufgeschlossen. In der
Wand der Grul)e tinden sich im Geschieljelehni Si luiiitzen von feinem
^(dbeu Saud bis zu Ii dm Stärke. Den Geschieln lL'hiii trifft uuiu noch
bis nahe zum Spreerund heran. So besteht der Boden südöstlich neben
der Chaussee Cossenblatt — Giesensdorf aus lehmigem Sand, und
auch südlich von Stremmen ist noch Geschiebelehni augeschnitten. Erst
in noch grösserer Nähe des Spreethals, z. B. in der Sabroder Forst,
femer bei Kohlsdorf und in der Umgegend von Beeskow tritt der
Untere Sand in grösserer Ausdehnung hervor.
6. Die Alt-Sehadower Porst.
Nach Westen schliesst sich an die Bnckower Stnfe ein ausgedehntes
Sandgebiet an. Es wird begrenzt im Norden vom Scharmfitzel-See nebst
den Storkower Seeen und im Sfiden von der Spree. Das Gebiet um-
fasst die Königlich Alt-Schadower Forst, die Schwenower Heide und
die Storkower BQrgerheide. Herrn Forstmeister Dieckhoff verdanke
ich die folgenden interessanten Angaben Qber dieses Gebiet: „Die höchste
Erhebung ist der Biockberg (III m). In der N&he des Spring-Sees
werden lüü m erreicht und nicht weit hiervon in der Nachbarschaft
des Wotzen-Sees 81 m. Am nördlichen Rande neben dem Grossen
Glubig-See ist das Gelände 71 m hoch; dieselbe Flöhe wird auch ungefähr
in den übrigen Teilen bewahrt. Die höchste Lage wird daher durch
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Spurea UkUsnSmikat Krkfbe in dem NiederUiuitier Toriande. 67
die Seeenkette ansgexeicluiet, denn im Osten bei Schwenow sind 62 m
und im Westen bei Bugk 64 m gemessen worden. Die Ufer des Spring-,
II elang- und Glnbig-Sees sind sehr steil, ansserordentUch steile Bösebungen
weisen ancb die Brächer auf, welche in dem Dreieck Spring-, Melang-
nnd Wotzen-See liegen, und eines anter ihnen, das Teofels-Lnch, hat
eine Böschung, welche z. T. 45o betrftgt. Der Boden in der Forst ist
fiberall Sand. Im Westen, östlich der Linie Krummer See, Lange See
und Lumpa-See ist derselbe äusserst unfruchtbar, nach Osten zu wird
der Sand etwas besser, frischer, hnmoser; Lehmlager sind bisher nur im
Norden, in dem Dreieck Grosser-Glubig-^ee, Oriesen-See und Schar-
mützel-See einige aufgefunden worden, im Süden davon bis Alt-Schadow
scheinen sie ganz zu fehlen. Der Wald liistelit ausschliesslich aus
Kiefern, im Westen von erbärmlichstem Wuchs, im Osten tu sser werdend,
und z. T. mit Wachholder- und Farnkraut-, Erd- und Heidelbeci imterholz.
Alte mäclitige Eichenstubben beweisen, dass früher hier den Kiefern
Eichen beigemisclit waren.'' Ein kleiner Aufschluss ist an der Nord-
spitze des Tiefen Sees ▼orhanden; es ist hier neben der CliauBsee an
mehreren Stellen ein brauner Kies mit Steinen angeschnitten worden.
In der Umgebung von Limsdorf ist der Boden unü'uchtbarer Sand.
Einen sehr wichtigen Aufscliluss habe ich in der Nälie von Schwenow
gefunden. Wo der Bhibber Grund in den Drobsdi-See mündet, ist die
Böschung vcrhältnisinässip: steil, und es Ist hier an zwei Stellen in der
Thalsohle ein Geschiobelelnii angeschnitten. Am Fusse des Hiiubcrberges
ist derselbe 4 ni niächtijj: blossgch-gt und über ihm liegt eine 10 cm
starke Schicht von Kies und (ieröll, die wieder von einer 1 m machtigen
Las^e von geschiehtetem Sand iM'deckt ist. Hinter dieser Stelle anl" der
H«ihe bis Cossenblatt hin herrscht Sand, der stellenweise lelunlialtig ist.
Es ist daher wohl kein Zweifel, dass jeuer Geselüebelelini Unterer
Gescliiebelehm ist. Die westlichen Ufer der beiden Cossenblatter Seeen
sind sehr flach, und kurz vor dem Dorfe ist eine Grube im gut ge-
schichtetem Unteren Sand angelegt.
Am Westrande der Alt-Schadower For.st liegt Körigk; das Gelände
erreicht hier 72,1 m Meereshöhe. Südlich vor dem Dorfe ist Oberer
Ge.schiel>elehni angeschnitten, der etwa 4 ni niäclitig ist und nach oben
in sandigen Lehm übergeht. Trotzdem besteht der Boden in der Um-
gegend des Dorfes aus scharfem Saud. Südlich vor Bugk fallt das
Gelände ganz allmählich zu der grossen Kette von Seeen in der Um-
gegend von Storkow, die in einer weiten Ebene liegen. Die Ufer der
Seeen sind ganz flach und der Boden ist sandig. In der Storkower
Bürgerforst herrscht derselbe unfruchtbare Sand ohne Steinbestreuung.
6*
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Edaard Zache:
7. Das Becken um den Grossen Schwieloch-See*
In dem Abschnitt westlidi neben dem Grossen Schwieloch-See
finden sich einige umfangreiche Niedemngen, z. B. die zwischen Ressen
und Mitt Weida, in welcher Torf gestochen wird, and die ausgedehntere,
welche sich westlich der Linie Biebersdorf - Krogan —Wittmannsdorf
erstreckt Letztere liegt 47 m hoch und wird vom Landgraben ent-
wässert Die beiden höchsten Erhebungen zwischen diesen Niedenmgen
sind der Grosse Finkarge bei Wittmannsdorf mit 79,6 m und der Grosse
Leuthnerberg mit 83,2 m. Aber auch westlich von der Niederung des
Landgrabens erhebt sich das Terrain neben Pr et scheu noch einmal
bis zu 77,6 m in dem Pretschener Weinberge. Hier hat sich auf einer
kurzen Strecke die Pretschener Spree ein Dorchbmchsthal zwischen
steil einfallenden Abhängen ausgewaschen.
Das Gelände auf dem rechten Ufer der Spree sudlich Gossenblatt
steigt allmählich in flachen Wellen an und zeigt östlich von Wittmanns-
dorf einen etwas konpierten Charakter, weil hier bis Wiese eine
Högelkette sich erstreckt, in welcher der Grosse Finkarge die be-
deutendste Erhebung ist Mehr nach dem Innern zu wird das Gelände
weitwellig. Es geht ganz allmählich in die Niederang über, so dass
die Grenze völlig undeutlich ist Der Boden besteht am Spreerande aus
scharfem, gelbem Sand ohne Steinbestrenung und ist sehr unfruchtbar;
die gfrauen Flechten haben ihn dicht überzogen und die schmächtigen
Elefern oft völlig eingesponnen, so dass viele abgestorben sind. Sobald
aber auf halbem Wege zwischen Cossenblatt und Wittmannsdorf der
Boden sich etwas hebt, wird er kiesiger und lehmhaltiger; auch Steine
stellen sich ein. In der Nähe von Wittmannsdorf ist der Acker gut,
und es steht in einem Wegeeinschnitt Oberer Greschiebelehm an. Ähnlich
verhält es sich mit dem Boden der Feldmarken Leuthen, Bfickchen,
und Gröditsch. Hierüber äussert sich auch Berghaus*) folgender^
massen: „Der Boden von Leuthen ist wellenförmig und sehr ungleich,
meist aber Mittelboden. Von gleicher Beschaffenheit sind die Feld-
marken von Bnckchen und Klein Leine, nur dass letzteres in einer ebenen
Fläche liegt mit einem kleinen See, der nach dem Orte genannt wird.*
Auf der anderen Seite der Niederung ist die merkwüidige Erhebung
bei Pretschen schon erwähnt, diese tritt deutlich von Süden her aus der
Niederung heraus; in dem tiefen Pass, welchen die Pretschener Spree
sich ausgewaschen hat, steht an den Gehängen bis 20 m mächtig ein
hellgelber, scharfer Sand zu Tage, der durchweg von gleichmässigem
Eom und gleicher Farbe ist Nach Nordwesten zum Neuendorfer See
flacht sich das Gelände in mehreren Terrassen ab und wird später ganz
*) Landbuch n. f. w., Bd. III, 8. 650.
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Sparen tektouiscUer Kräfte iu dem MiederlauaiUer Vorlaude.
69
eben. Immer aber herrscht der Sand, welcher in der Nähe des Sees zu
Danen angehäuft ist und völlig gleichiuässig im Koru und ohne Stein-
beatreaung ist
Während die eben besohriebene nördlklie Hälfte des Abschnittes
dnrch die Fliesse und Niederungen, welche zur Spree oder zom Grossen
Schwieloch-See f&hren, gegliedert erscheint, ist der ganze sfldliche Rand
ein einheitlicher; es liegen, wie schon angedentet, hier die höchsten Er-
hebungen nnd damit hiingt auch die bessere Beschaffenheit des Bodens
zusammen. Derselbe ist ein lehmiger Sand. Von Batzen sagt z. B.
Berghaas*]: ^Oanz anf dem Plateaa gelegen hat es nichts desto
weniger einen guten, ertragsfahigen Boden.* Der Straapltzer Weinberg,
welcher als ein deutiicher Kegel erscheint, ist gegen das Spreetfaal ganz
flach eingeebnet, während er nach Norden zu etwas steiler einfallt Im
allgemeinen ist der gesamte südliche Abhang ein ganz sanfter, und die
Schlachten sind flach und unbedeutend. Sobald man dagegen nach
Norden hin in die Niederung hinabsteigt, wird der Boden sandig. So
z. B. bei Sackro, hier steht an den Gehängen des Ressener Flieeses
scharfer, kiesiger, gelber Sand zu Tage. Die Steinbestreuung ist massig,
lind die Steine fehlen z. B. neben dem Wege gänzlich. Ein echtes Sand-
gebiet liegt siidlirh der Chaussee Gr. Leine — Sikadel, es ist hier ein
selir trauriger Boden, die Steine treten zurück, nur selten findet sich
ein Haufen derselben. Derartig bleibt der Boden bis Goyatz und zum
Gr. Schwielocli- See hinab. Südlich von Goyatz heben sich iit')M>n
dem See einige deutliche Sandhügel ab, und aucii das andere Ufer fallt
im Baben-Berg bei Jessern steil ein. Am westlichen Ufer findet sich
bei Zaue nocli ein besonders hoher und steiler Vorsprung, der das
Pfarrhaus und die Kiiche trägt, und etwas weiter nordwärts ein zweitor
in der Zauer Heide. Sonst sind die Ufer fladi, und stellenweise schiebt
»^icb ein \v»'itt's Vorland in den See hinein. Uberall herrscht in der Um-
gebuny^ des S(!es der Sand, und iioi" Niewisch auf <ieiii östlichen Ufer
hat bessereu Hoden. Der Se(^ selber besitzt eine j^anz aiisscK irdentlich
unregelinässige Gestalt mit zahlreichen Buchton und Ilalhiiiseln. Seine
IIaui)terstreckuDg gelit von Süden nach Norden, in dieser misst er S' a km,
während an der breitesten Stelle bei Zaue die Ufer 2' a km von ein-
niider entfernt sind. Nach von dem Borne**) ist er 118^ lia g^'oss
un<l nur 20 m tief. Die bedeutendste Depression S(dl iu dem südlichen
Zii>tel zu linden sein, welcher durch eine weit vorgeschobene T^andzunge
fii.-it ganz von dem Uauptsee abge.schnitten ist, so dass er beinahe einen
besonderen See bildet, welcher den Namen Bonnue führt. In dem
breitesten Teil tauchen aus der Wasseriläche einzelne flache Inseln empor.
*) a. a. O., Bd. III, S. m-2
**) Die Fisctierei- Verhält nisse des deutecbeu Reiclies. Berlin 1882. ä. 223.
70
Eduard Zache:
nnd mehrere Untiefen verraten sich durch das unter doni Wasserspiegel
hervorleuchtende Griin der Wasserpflanzen. Das Ackerland erstreckt
sich fast überall bis an den Wasserspiegel hinab, und es ist schon vor-
gekommen, dass bei plötzlichem Steigen des Sees die Getreidefelder
unter Wasser gesetzt worden sind. Vom Swiett-n-See aus steigt das
Terrain ziemlich scharf zu den Swieteii-Bergen an, auf denen der Boden
besser ist; weniger energisch fallen die Swieteu-Berge zum Spreethal ab.
Nach Westen schliessen sich hier die ausgedehnten Forsten der
Herrschaften Lieberose und Straupitz an, in denen die Oberfläche
sehr koupiert ist. In der Umgegend von Klein - Liebitz sind einige
bemerkenswerte Höhen festgestellt, so von UKl, 108 und 112 m. Der
Grospe und der Kleine Mocho-See haben niedrige aber steile Ufer. Erst
in der Nachbarschaft von Butzen wird der Boden mehr eben, und noch
weiter südlich liegt die Wasserscheide, da der Byhlner See nach Norden
zum Schwieloch-See entwässert. Eine hall)(! Stunde südlich von Liebe-
rose bei dem Dorfe Hohlbrunncn führt Girard*) eine Stelle mit einem
vortrefflichen Lehm an. Von H \ lilen sagt Berghaus**): „Die Felder
sind gleichfalls von guter Beschatlenheit." Byhleguhre, das schon
am Rande des Spreewaldes liegt, hat nach Berghaus „auf den Höhen-
feldmarken nur leichten ISorh n". Der ausgedehnten Forsten wegen fehlen
die Aufschli'isse, doch spricht die AafforstUDg wohl deutlich genug für
den geringen Wert des Bodens.
Der Strich östlich neben dem Gr. SchwieLoch-See ist der inter-
essanteste des ganzen Abschnittes; durch die grosse Zahl von Bäclien,
welche in den See flieesen, ist der Boden in zahlreiche kleine Plateaa-
inseln geteilt, welche von melir oder minder ausgedehnten Niederungen
umsäumt werden. Von den Bächen ist das Lieberoser Mühleafliess der
bedeutendste. In seinem oberen Laufe bildet es ein tief au^ewaschenes
Thal, welches von der Eisenbahn Frankfui't— Peitz in einem hohen
Damm überschritten wird. Hier ist es noch eng und besitzt steile
Ränder, bis Lieberose dagegen hat es sich schon derartig erweitert, dass
dieses Städtchen in ihm Platz hat; ausserdem ist es noch geteilt, so dass
es in seiner Mitte einen flachen Hügel einschliesst; die CM-liänffe sind in
diesem Teile völlig eingeebnet Östlich neben Lieberose ündet sich eine
Hohe von 98 m. Eine ausgesprochene Rinnenform zeigt auch der benach-
barte Schwansee. Er ist schmal und tief eingesenkt, und seine Fort-
setzung zum Gr. Schwieloch-See bildet das Möllener Fliess. Beide Thäler
nehmen ungefähr an derselben Stelle ihren Anfang. Diese eigentümliche
Herausbildung der Landschaft ist schon BergUans***) aufgefallen, denn
*) Die norddeutsche Ebene a. g. w. Berlin 1866. 8. 176.
*♦) a. a. O., Bd. III, S. 662.
♦••) a. a. O., Bd. III, S. 632.
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SpofMi lektoniBeher Krifte In dcp NiederiMiBitaw Voiltnde.
71
er schreilit: „Die Gegend um Ullersdorf ist bemerkenswert;» indem
hier tiefe Kesselthäler mit schmalen, steil eingesenkten, langgezogenen
Schluchten und pralligen H(>hen abwechseln, ähnliche Terrainfonnen nach
Mochlitz." Auch das Nordufer des Mochlitzer Sees ist selir steil und
hoch. Diese Ausbiiduni^ der Landschaft erklärt sich aus den H«»lien-
verhältnissen, aus denen hervorgeht, dass in der Abschnielzporiode hier
eine gi'osse Menge Wasser zusanimeiigeströnit sein niuss, denn die llölien-
zahlen steic;»'!! strahlenförmig in der Richtung der Rinnen an bis sie in
einem Nveiten Kreisl)<)gen das Maxiinnm erreichen. In der Umgegend
von Lieberose beträgt die Höhenhige einige 7ü ni. Nach Süden, Süd-
osten und Osten hin fällt die Wasserscheide etwa mit der Kreisgrenze
zu.sammen, es werden hier in der Staakuwsclu u Forst 1)0 und 98 m
erreicht, auch im Osten und Nordosten treten in der Pinnowschen Forst
98 m auf, während neben Reicherskreuz in dem Spitz-Berge 12)5,4 m
gemessen worden sind. Wie das Vorherrschen des Kiefernwaldes lehrt,
besteht hier der i^oden vornehmlicli aus Sand. Der flache Rücken im
Thale bei Lieberose bietet einen 15 m liohen Abhang dar aus scharfem
granen Unteren Sand mit guter Schichtung. Derselbe tritt in ganz iiim-
licher Ausbildung in den steilen Ufern des Schwansees zu Tage. Die
Aekorflächeii von Mochlitz und Leeskow zeigen ihn ebenfalls and fast
immer mit ausgeprägter Steinbestranung; in den genannten Dörfern ist
die grössere Zahl der Oebände aas Feldsteinen erbaat, und in der Dorf-
strasse liegen grosse Haufen von ihnen aufgestapelt oder begleiten die
Wege. Auf der Hälfte zwischen Lieberose und Mochlitz steht in einer ,
flachen Kuppe heller Oberer Geschiebelehm an. Zum Mochlitcer See
ist die Abdachung überall sehr aUmfthlich und besitzt ein breites Vor-
land neben dem See. Nur das Nordende des Sees hat, wie schon erwähnt,
an einer schmalen Stelle ein steiles und hohes Ufer. In der Umgebung
von Leeskow und Reicherskreuz ist der Boden sandig, steinreich
und eben, w&hrend sich erst nach Nordosten zu einige flache Hügel aus
dem allgemeinen Niveau herausheben; auch östlich von Reicherskreuz
gogen die Wasserscheide hin macht sich eine ausgeprägte Conpiertheit
bemerkbar. Im Süden, in der Staakowschen Forst, ist der Boden
ganz eben.
Das durch den Möllener Graben und das Lieberoser Mühlenfliess
herausgeschnittene kleine Plateau hat nur eine Höhenlage von ca. f)0 m.
Auf der Höhe deeselben, in der Mitte zwischen Lieberose und Trebitz
findet sich in einer Grubt- t»in sehr sandiger Oberer Geschiebeleiim mit
vielen Steinen. Die Grube liegt in einer Anschwellung des Bodens und
in der Naelibarschaft iierrscht scharfer Sand. Kurz neben dem Süd-
rande des Plateaus ist, ebenfalls in einer Anschwellung, eine zweite
Grube im Oberen Geschiebelehm vorhanden; derselbe ist .'i m mächtig,
von hellgelber Farbe und sehr fest Endlich ist in dem Einschnitt, in
72
welchem die Cliaussee in das Liebcroser Thal hinabführt, abermals
Oberer (Josehiebelehm (> m miU'htij? aufgeschlossen.
Zwischen dem M«illener Fliess liei Friedland und der Sjiree liegt
( in flaehes Plateau, da.ss in der Südspitzo 57 m erreicht. Es besteht in
.seiner ganzen Ausdehnung ans Sand und flacht sich .sowohl zur Spree
als auch zaiu Grossen Schwieloch-See ganz allmählich ab.
Eine kimt'tim' m'olot^ischo Kartierung des behandelten Gebietes wird
zu der vorstehendt ii Skizze eine gro.sse Anzahl von Berichtigungen und
Krganzungen bringen, deshalb erscheint es vielleicht gewagt, wenn ich
aus meinen Beobachtungen den Schluss ziehe, dass an dieser Stelle
tektonische Kräfte thätig gewesen sind und dass die Herausbildung
der Landschaft nicht einzig anf die Vergletscherung mit ihren manuig-
fiEUihen Begleit- und Folgeencheimmgen znrftckzaführen ial Ich will
hier nicht entBcheiden, welche der beechriebenen Störuugeu tektomsdien
und welche glazialen Ursprungs ist Am wahrscheinlichsten ist es, dass
beide derartig in einander gegriffen haben, dass eme scharfe Abgrenxung
ihrer Einflusssphären nnmöglich ist Überwiegend aber scheint mir der
Euifluss tektonischer Kräfte bei der Entstehung des ScharmQtzel-Sees
gewesen xn sein, denn die Verwerfnngslinie in der Ziegeleigrube bei dem
Dominium Silborbeig (Tafel I) gehdrt zu den schönsten, die ich ge-
sehen habe.
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Tafel I.
Verwerfung in der Zicgeleitrrulic auf der Höhe bei Silberberg
am Scharmützel-See.
a. Tertiär (Brannkobiengebirge). — b. Diluvium (Moränengebirge). — c. Verwe^^ung^linie.
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Tüf^'l Tl.
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ARCHIV
DBB
„BRANOEMBURGIA"
GESELLSCHAFT FÜR HEIHÄTKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
Zü
Unter MItwirkuiig des MärJüsdieii FroYinzial-Miueums
herausgegeben
vom
OtnUiöhaftt - Vontittdt.
6. Band«
Berlin 1899.
Druck lud Verlag Ton P. Stankiewicz' Baebdrackerei,
BembnrgeratrasBe 14.
Inhalt
Die Strausberger Stadtachnl« 1430—1818.
Seit«
r. Die Schule vor der Reformation fU.'iO — 154<>' 8 — 9
II. Die Schule uacb Emfülirung der Reformation bis zum Beginn des
aOjllulgeii Krieges (IMl—ieSM) 9-86
HL Die Schule wihiend des 80 jibiigan Krieges (1026—48) 86-42
IV. Verfall der Schule (1648-1740) A2—GS
y. Beformversuche. Neue Oiganisation der Schule (1740—1818) 09—113
Bhemalige Kammereigüter Strattsbergg.
I. Richardsdorf und KunekeDdofff 115—118
II. Kähnsdorf 118—144
III. Wolföüial 144—161
äachregister. — acht rag.
Digili^icu by ^<jy >\^L'^
Die Strausberger Stadtschule.
B^trilge rar Oesehichte des miridsdieii Bcliiilweseiui (1490—1818).
B. Seiffert
Die Straiwberger Rats- oder Stadtschale hat sich nicht, wie andere
städtische Anstalten, mit denen sie in früheren Jahrhunderten auf gleicher
Stnfe gestanden, zn einer Oelehrtenschule ausgebildet, vielmehr ist sie,
dem bescheidenen Bedürfnis der von je her mühsam erwerbenden Ein-
wohnerschaft entsprechend, eine einfache Bürger- oder Elementarschule
gewesen nnd geblieben ; keiner ihrer Rektoren hat sich in der Pädagoge
so hervorgethan, dass seiner in einer Geschichte derselben auch nur in
einer bescheidenen Fussnote hätte Erwähnung geschehen können, und
von all den Tausenden, die auf dieser Schule die ersten Früchte der
gelehrten Ausbildung gepflückt liabon, sind nur <^anz v(M*einzelte Persön-
lichkeiten in ihrem späteren Beruf zu oinci- <?t'\vissen Bedeutung gelangt.
Es könnte duher wohl etwas bedenklich erseheinen, vor anderen
als Lehrerkreisen die (leschichte einer solchen schlichten Lehranstnlt zu
entrollen, wenn nicht eben zugleich eine I'üUe interessanter Einzelheiten
sich einflechten Hesse, welche kennen gelernt zu haben für jedi-n Freund
der heimischen Geschichtsforschung die Mühe des T.cscns doch vielleicht
lohnt. Denn wenn irgend eine kommunale Einrichtung zn einem Riick-
schluss auf den in der joweiligon Verwaltung herrschenden Geist und
die allgemeine Gesinnung der Bürgerschaft einen l^erechtigten Anlass
und zuverlässigen Massstah giebt, s«» ist es die Schule, die durch TiCiter,
Lehrer und Zöglinge n:i( li beiden Seiten liln die engste Füidinig hat;
unter gunstigen Verhältnissen ui i leiht, uiitei- der l'ngunst derselben leidet
sie, ist bald Gegeiistand ;ill-eiti-er Fin-^orLie und Teilnnhme, bahl (h'r
bejammernswerte Zankapfel heltigen l';irteigetrielu'S , somit nicht bloss
von den äusseren S( Iiiek^nlen der Stadt at»liäny:ig, sondern aucli von
der iruieren Entwit klmit4 de^ ( iemeiinvesens, nnd insofern immerhin iln'e
spezielle Geschichte ein Stücklciu der allgemeinen Kulturgeschichte
*) Ot L. QMkio, Gesch. d. GymosBiiiiiia m Stendal, 8. VI. ~
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1
2
Man wird dieser Beliauptuug um so unbedenklicher beipflichten können,
als man in Räcksicht zu zielien )iat, das8 die sogenanuto „Uniformienuig'*
der vaterländischen Schulen seitens des Staates doch eigentlich erst seit
Beginn dieses Jalirliuiidci ts und nur ganz alhnählich in Angriff genommen
und durchgeführt worden ist; während heut die Scliulen einer Gattung
infolge der nivellierenden Staatsaufsicht sich gleiclien wie ein Ei dem
andern, mögen sie in grossen oder kleinen Städten, in Kultorcentren
oder fenial) von den grossen Verkehrsadern liegen, — bis zu dem ge-
* nannten Zeitpunkt hatten die G<'meinden einen relativ freien Spich aum
in der Ausgestaltung ihres Scliulwcscns, den ilinen weder Visitationen
noch R<'glenients einzuscliiäiiken vermochten, und daher erhielt sicli die
den lokalen Vcrliiiltnissen augt'|)asste Eigcnait einer Schule oft länger,
als im Interes8(^ ihrer Entwicklung lag. Aus eben diesem Grunde ist
es aber auch wünschenswert, dass überall, wo die Geneiüftheit städtischer
Behörden es gestattet, die alten Akten der Rathäuser nach solchen
Schulnacliricliten aus früheren Zeiten durchforscht werden; jede neue
Veröffentlichung kann dem Geschichtsfreund, wie dem Fachmann nur
willkommen sein. —
Die folgenden Blätter wollen und können keine lückenU>se Ent-
wicklungsgeschichte der Strausbeigei- Stadtschule darstellen, dazu reicht
das vorhandene Archivmaterial nicht aus: sie wollen vielmehi- nur alles
Wissenswerte über die Persönlichkeiten, die an ihr wirkten, iitx r die
Tnstituti(men, die in ihr Geltung hatten, und die Aenderungen, welche
im Laufe von vier Jahrhunderten mit ihr vor<>:ingen, lediglich unter
Zugrundelegung der l^uellen behandeln nnd dem Staube der Vergessen-
heit entreissen. Es wird darunter sich manches linden, was schon
anderwärts geschildert worden ist, vielleicht aber auch einiges Neue,
was der Beachtung wert erscheint, trotz der spezifisch-lokalen Färbung
allgepoeineres Interesse beanspruchen darf und als Beitrag zur Geschichte
der märkischen Schule gelten kann.
Um die benatzten Quellen genauer zn bezeichnen: die wdtaos
wichtigste ist ein Verzeichnis der Rektoren und Konrektoren
(Kantoren), welches mit dem Jahre 1548 beginnt nnd bis zum Jahre 1740
reichend, von der Hand des Diaconns Johann Andreas Hundert-
mark (Cmark)0 in lateinischem Text angefertigt nnd mit deutschen
Nachträgen versehen worden ist. Die Fortsetzung desselben bis 1825
rQhrt von dem Direktor Perlitz') her; was derselbe sonst in seiner
handschriftlichen Stadtbeschreibnng aber die Schule bringt, beschränkt
") War von 1737—41 in Strausberg, ging dann als ArchicUaconus nach Bernau,
WO er 1704 stojb. f'bcr seine goschiflitlichen .Sainnu'lfirhfiU-ii \<'rtrl F!sclih;u"h Tlist.
pol. Beytrüge 178:?, II. S. 301; ich worde auf ihn in eini r Kritik iler ytr;iusb< r^M-r
Historiographeu zurückkuuimen. — '*) Näheres Ober ihn s. Julihefl 1898 der Branden-
boxigi«, S. 114 Aom. 4 —
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Die Strauaberger Stadtschule.
8
sich auf einige Magistratsprotokolle aus der Zeit des dreissigj uhrigen
Krieges und eine Schilderung, wie dieselbe am 1835 beschaffen war.
Sternbeck, Beiträge mr Clescbichte der Stadt Strausberg (Abt.Kirche etc.X
hat gleichfalls das Verzeichnis TervoUständigt (bis 1878), den Hnndert-
markschen Teil jedoch ans Unkenntnis des Lateinischen mehrfach falsch
wiedergegeben; sonst befsMst er sich nnr mit den Elnkflnften der Eirchen-
bedienten genauer (S. 181 — 89), auch hierbei laufen ihm mancherlei
Irrtfimer unter. Bei Fischbach, Hist. pol. Be} träge: Diplomatische
Geschichte der Stadt Strausberg, Berlin, bei Unger 1788, II. Teil, habe
ich nur wenig gefunden, desgleichen in dem Beokmannschen Naoh-
lass ftber Strausberg, welcher im Geheimen Staatsarchiv aufbewahrt
wird. Alles, was sonst das städtisdie Archiv ttber die Schule enthalt»
ist von Perlits ebensowenig benutzt worden, wie von Stembeck, und
doch findet sich darin so vieles, was der Mitteilung werth ist: Urkunden,
Yisitationsabschiede, Zeugnisse, Bittschriften, Schulordnungen, Regle-
ments u. V. a.: ich habe dieselben, soweit ich sie verwertet, wort- und
scbriftgetreu wiedergegeben. In^eweit andere Arbeiten über Schul-
geschichten zum Vergleich herangezogen worden sind, ist aus den An-
merkungen zu ersehen.
L Die Stransberger Stadtschule vor der Reformation (1540).
Die Entstehuii«; der Sti ;iiisl)('r<»('i- Sta(lts( Imle lässt .sich in Er-
mangelung eines iirkiiii(llicli<Mi Nncliw oises an keim' bestimiiit»» .lalireszahl
knüpfen. Man kann hei dw iinini'ihin hefU'utcndfn Stellung, weh-ln?
Strausberg; während des 14. .lalu himderts innerhalb des Bundes der
inittelnüirkischen Städte einnainn, — es p^ehörte, soweit sich aus dem
Anteil an den genieinsaniou Pflichten und Lasten urteilen lässt, zu den
mittelgrossen Gemeiüdeu*) — sowie bei den maunigfaltigeii uahen Be-
ziehungen zu Berlin, dessen „incorporirtes membmm" es seit dem
15. Jahrhundert war, durchaus nicht ohne weiteres die Terrautung von
der Hand weisen, dass, wie in andern städtischen Dingen, so auch auf
dem Gebiete des Schulwesens der Rat dem Beispiele des grösseren Ortes
gefolgt sei und schon frühzeitig für das Bildungsbedürfnis, wenn auch
nur der Patrizierf'amilien, durch Gründung einer lateinischen Schule
gesorgt habe. Sehr zum Nachteil der älteran Stadtgvtschichte sind leider
viele Urkunden bei der Eroberung und Zerstörung der Stadt durch die
•Pommemherzöge und Dietrich von Qnitzow im Jahre 1402 vernichtet
worden oder abhanden gekommen^), so dass ich, um meine Vermutung
') Vgl. Eiedol, Cod. dipl. Braadbg. I, 11 S. OC No: 95. — *) Angelua, Aonal.
loL 179. —
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4
nur emigenDaBsen zu stfitsan, daranf famweisen will, daes seit 1254 ge-
lehrte Dominikanermönche in Strausberg angeseeaen waren, die aUdi
gewiss gern bereit gefunden haben, ihre Kräfte in den Dknst einer
solchen Lehranstalt zu stellen.
Aber auch wenn man diese Annahme nicht gelten lassen will, so
steht doch immerhin fest, dass schon mehr als hundert Jahre vor
Einführung der Reformation eine Schule in Strausberg wirklich
bestanden hat. Die Pergamenturkunde N(t: 87 des Ratsarchivs'), vom
24. Februar U.'id, laut welcher ein Priester Nicolaus Meltsack mit den
Einkünften des bereits 1419 gestifteten Roraten-Altars') belehnt wird,
bestimmt, dass bei der Abhaltung der diei l'tlichtmessen der Schnl-
meistor und die beiden Küster dem Priester helfen soUen, wofür ein
Schock Groschen nach Verhältnis an die (Jehülfen zu verteilen sei:
„Derne Sclioh'meystere To Strutzeherg^h sali man alle jar
ghewen dry Scliillinp^h ') giosscheu — vp wynaciiten. Dar de Schole-
mesteie vore To kore sollen sdiikken iille \v»'ke ghelik Twy<<e Ses scho-
lere, d»' Singhen kouen ,Cibiiiiit' des dumedaghes [von dem hüghen
lycliaiiio Christi], des Sunnauen«les ,Rorato' [myt aller werdicheyt des
gesaiif^hes]. Des dinstaglies Bcyde kostere Sollen singhen myt dem
Altaristen alleyne selmysse (To tröste allen Elenden seien vnd de dar
vorstoruen synt vt der Roraten Bruoderschap]."
Diese erste Erwähnung eines Schulmeisters und seiner Scluiler steht
also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gründung eines litur-
gischen Kirchenchors, der lv«»raten-Brüderscliaft, denn Mitglieder
„nicht van getwanghe noch gehorsam med werdidieit des sanghes dynti-n",
sondern „so oft ymand ynuycheit hadde."^) Aber uicht alle Schüler
werden beim Gottesdienst verwendet, sondern nur „die singen können**,
d. h. solche, die vermöge ihrer guten Stimme und musikalischen Be-
anlagung zur An^hruug derartiger liturgischer Wmshselgesänge geeignet
nnd braachbar waren: diese heraoszasuchen and anasnbilden nnd
wöchentlich zweimal in der Kirche za dirigieren geh(^rte zn den schal-
nnd kirchenamtlichen Obliegenheiten des Scholleiters. 0ass derselbe die
Besoldung für diese Th&tigkdt vom Bat als dem Patron der Kirche nnd
des Roratenaltars erhielt, mithin nicht im Dienst nnd Lohn des Altaristen
stand, verdient aasdrflcklich betont zn werden*).
') Bei Riedel a n. O. I, VI Strau«lM rg No: 44. — ») Pei^. ürk. Xo: ^3. Riedel
a. a. O. I 12 No: 32 iat an mehreren Stellen ungenau kopiert. — Scbilling = 12. —
*) Dafür gewtthrle Ihnen die OonflrmeUon des Biecbois St^baa von Brandenbnig einen
40tflgigen Ablese: Nichitomhias noe omnilms ChristifideHlnie vere eooleeslB et oontritis,
qui— missis de corpore christi in quinüs feriis, Rorate de best« virgine maria in sabbate
Et pro «It'fiinPt!!* in terriis feriis interftieriiit Easque devote audierint Ac intra rinaflibet
earundem quintjiie pater noster Et quinque Ave inaria devote dixerint, Quadragüita
dies indnlgenciaruni de omnipotentis de! misericordis conflsl miseilcoitttter indalgemas.
— ^ VgL dssn L. Qoetse «. s^ O. a at —
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Die StnuisbergAr SUdtsobole.
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Die nächstfolgende Notiz, welche Fischbuch ^) oft'eiibHr den Hundert-
markschen Excerpten entnommen hat, stammt aus einem verloren-
gej[^ngenen Kämmereibach nnd ist in die Zeit nach löl2 zu setzen:
^Nota, quod Rector Scholae annuatim habebit seuiit{uatuor Sexagenas')
grossorum ab anti [pliane] ,salve', «juae singulis diebus ab eo cum suis
debet decantari hora qnarta, similiter pro eisdem pccuniis deb«'t singulis
diebas dominicis praeter vesperas ab eo fieri circnitus pro animabus
cantando ,AbRolve' et post circuitum in choro dehct aiitiphuiie cantare
de corpore Christi ,0 sat ruui' et tandem singulis dominicis diebus sub
silencio summe misse debet ab eo decantari ,0 adoranda trinitas' com
ceteris versibas." Die hiernach nea hinzntrelendeB kirchlichen Gesänge
and Messen sind gleichfalls aof fromme Stiftangen smrflcksaflUiren, eine
sogenannte „Muriengilde', welclie sieh die fiiierliclie Ausstattung der
vielen lIurieBfeste besonders ssnr Aufgabe machte >X luul eine Messe von
der belügen Dreifaltigkeit ^ am Boratenaltar.
So gesduebt denn in der That in diesen ältesten imd ttnzigen
mftaindliohen Nacbricbten des Scbnlmeistm nur insoweit Erwfthninig»
als er mit smoem Sängercbor im Dienst der Kirche steht; hierans aber
folgern an wollen')^ dass »seine Fnnktionen recht eigeotiich kirchliche
waren nnd selbst der Unterricht, welchen er den Knaben erteilte, bei-
nahe nur auf das Einfiben lateinischer Gesänge gerichtet war^,*i8t denn
doch wohl ein verkehrter Standpunkt Wenn man anch angeben mflsste,
dass das kirohUehe Interesse zuerst die Grfindnng einer Schule verlangt
habe, — wie sollte man sonst geübte jugendliche Sänger haben be-
schaffen können? so stand doch Kirche nnd Schule nur durch diesen
Sängerchor allein in Verbindung, die Schar der übrigen Schüler dagegen,
die in dem Kiroheogesang untauglich waren, konnte nach dem WortLant
dar Stiftang keine Verwendung im Kirobendlenst finden; für diese fehlte
dann, wenn wirklich die Vorbildung zum litorgischen Gesang der „fast
einzige'* Endzweck der schulmeisterlichen Tbätigkeit gewesen wäre, jede
•) Biat. pol. BeytrUge 1783, U S. 370. — Ist entacbiedeu verecbrieben fflr
mMoB, SehSlmge, dem d«r Posten „3'/, schilL Salvengbengelt^ ist ftart In jedem
Jftlnsnig des KftmmenllMiches 1680—46 (KB. 1680) nndnrdsber. — *) Haeh Hntdert-
mark bei Fiachbach a. a. O, 8. 370: „Nba Orifti gebort vefftelnhondert vnd IUI .Tar
deas Mandages na Exaudi (20. Mai 1604) Gschin yss ynnigher Andechtigt-r vnd
wenligher Her, £r Simon Perlitx — beth vth ynnichbeit vnd vmme ssiner ssilen
HiUdMH to bedenchen gegewenn XII Sdioek to lawe vnd Em der Hemmel Konig-
kjnme masien, deee saUMghen gtydeiu» nemelieh vnaeer linen Fhnren ehi Anfngk
vnd anbewen to ssindfae" (ein Ratsprotocoll). — *) rerg.-lJrk. 49 vom 2. Mai 1512
(Riedel a. a. O. No: 79V ,,Tlio linlpp vnnd to troptlie Allen vorstom-enn guldebulcn
vnnd cristlowigen ssilenn Bssundorn yn niher lossbyiliinge nmd orwerdichheit gades
dess Almechtigenn, der hilligeun Driualdicheit, vnnd to cruu vnnd lawe sainer Bene-
digedeim Müder Maiism hebben wy — to vuneeem Roimten altaie 8 schock Jeriiges
tynsses — gegewen*^, um aUe Sonntage ehie Messe von der helKgen Dielfsltigkcit sb*
rabshon. ~- •) Wie Stembeek 8. 182 thnt —
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6
Yeranlassang, sich in die Lehre und unter die Zuchtrute eines Kirchen-
dieners zu b^ben, dem sie bei der Ausübung seines eigentlichen Berufes
doch nur lästig fallen mnssten. Nein, es ist ebenso selbstverständlich,
wie es auch durch die Notizen des ältesten Stadtbuches (1580-^) er-
wiesen wird, dass in der Schule ausser dem kirchlichen Gesang
religidser Hemorirstoff aller Art, soweit er für die Jugend und
die Laienwelt damals für zulässig erachtet ward, und mindestens Latein*
lesen und Lateinschreiben gelehrt wurde, vielleicht auch die Anfänge
der Rechenkunst; jedenfalls also verlangte der Rat von vornherein,
dass neben der religiösen Unterweisung auch den Anforderungen, die
das praktische Leben an den Menschen stellt, nach Möglichkeit UccImuTig
getragen wurde. Was könnte wohl dentlichn- dafür reden als die That-
sache, dass sofort bei der ErötTiiung der Frankfurter Universität (1506) vier
Strausberger Jünglinge dorthin zogen, um dem Studium obzuliegen, und
dass bis zum Jahre 1542 noch III andere ihrem Beispiel gefolgt sind?
Wo anders sullten diese ihre Vorbildung genossen haben als bei dem
Schulmeister der Stadt? (lenule denjenigen Familien der Stadt, :nis
denen sich das Katskollegiuni lUircli Kdojitation ergänzte, musst« vor
allem (hiran geleiten sein, dass die tolgcmlen (ienerationen zu dem künf-
tigen Amt die iirttii;i'ii Kenntnisse erwarlx-n, und daraus, dass auch nach
der Ket<»rÄiati(m dieser Zn<; zum aka<lenii.schen Studium noch lange nicht
erkaltete, ergiebt sich zur ( icwisshcit, dass nicht etwa ausschliesslich
die l)ümLnikaner[>atrcs, s(ni(i('rn, wenigstens nach 1542, einzig und allein
der Schulmeister die Anfangsgründe einer gelehrten Bildimg in die
jugendlichen Cieniiiter gepflanzt hat^).
') Ich habe als eine zur YerroUständigung der Schulgi sc-hicbte durchaus er-
forderliche Arbeit angesduM:, die Frankfurter rniversitiUsmatrikel t F.M ) (ed. Friedlaender)
nach dieser Richtunir hin iür Strausberu und (zuni ^'l'r^:leil•l^ i ff\r die umhegenden
Orte des Obür-Btuxum zu excurpiereu und bringe, da »ich eine zweckmässigere. Ver-
wertung des gewonnenen Materials kanm erwarten lAast, daher hier als Anhang daa
VeneiehniB der Stndoaten mit Bexnerkongrai Aber ihre Familie besw. ihre spätere
Launjabn. FM. 1500: Georgius Schinerer. Johannes Lintholtz [«ein Bruder Benedictus
war löJH iO rt i^ieretiiior Bürgermeister, die Familie angesehen und begütert, starb
aber nach dem aujalirigen Kriege aus}» Frater Mattheuä Krafft et Frater Martiuus
Bartholomei dedenint. ambo decem groosoa, alios remisi propter denm et aanctiun
Dominicum, quia Mendicantes. Amhrodns Martini. Martinas Carpentariiis [spltter
Altarist und zuletzt Stndtsohrelber in Strausberg, f 1540]. — 1508. pater Michael
Zcolner de FranrkfonUs, lector Monasterii Straussbergensis ordinis Predieatorum.
Nicolauä WuUisch. — 1510. Mattheua Schoubegk [später AltariHt in Str. und 1512
Geistlicher in Bukow], Petma Heines [Hans Hentse Bargenneister 1530—37]. — 1611.
Wdfgangos Smede [Merten Smed Batshenr 1680 if|. Mattheos Ebd [cf. Bekloren*Ver-
zeichnis sub 1]. —1517. Jacobus Heutz. lieburiuH Lindecke, — 1510. Andreas Sydow.
Matthias Schreter. — 15l'0. Petrus Neumnnn. — Nifohni« et .ToachimuR Lyntholt
fratres [Söhne des Bcnedictus. Nicolaus wurde r.iirL'er ui Wismar; Joachim, D. J. U.
starb 1571 als „Cb. G. zu Brandenburg Rath und Canzler im Geistlichen Ck>usistorio
sn OOln aa der Spree; cf. Angelus Ann. f. SIS], — 1628. fxiter Fabianns FvÜmjißt,
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Die Stransbeiger Stadtschule.
7
Die soziale Stelliinj? «Ics Scluilnit'isters war nun froilicli damals
in Stniusberg noch eine ehciiso traurige, wie dies aus andern Orten ge-
meldet wird^); uns ist es schier unmöglich, uns in diese Vorstellung
hineinzuversetzeu, dass der damulige .Tugendbildncr nielit viel anders
behandelt, nicht eben höher geachtet wurdf als ein fremd zuziehender
Gewerbetreibender, Meister oder Geselle, der gegen Wochenlohn arbeitet.
Un<l doch, die Art seiner Annahnu', die Dauer seines Dienstverhältnisses,
der luiulige Wechsel der Personen, deren Namen aufzuzeichnen man nicht
einmal der Mühe wert hielt, all die vielen kleinen Bemerkungen, wie sie
uns in dem alten Kämmereibuch (KB lö^O) so handgreiflich entgegen-
ttttten, lassen gar keine andere Deutung und Auffassung zu. Irgendwelche
Beamten-^nalität hatte er nicht, weder eines Staats- noch Stadtdieners,
▼eigebens wird man vntor den Ansgabetiteln dieser Zeit die Überschrift
«Dem Sehnlmeistor^ Sachen; w&farend die Stadtknechte, der Ziegelmeistor,
selbst Meistor Dietrich oder Hans, der Scharfrichtor, ihre mit dem voll-
ständigen Namen bezeichneton Rubriken ausfüllen, mnss man das, was
dem Schuimeistor gereicht wird, nntor den „gemeinen Aasgaben**
kümmerlich heraaslesen nnd zosammenstoUen.
Wird der Schnhneister zam Dienst angenommen, so verabfolgt ihm
der Rat ein Handgeld, nnd dann gilt der Vertrag auf ein Jahr abge-
schlossen. Nach Ablauf des Jahres wird ihm einfach der LaoQ^ass
gegeben, wenn er nicht schon vorher selbst den Staub der Stadt von
seinen Ffissen geschüttelt hat, oder er wird durch ein abermaliges Geld-
geschenk für ein weiteres Jahr verpflichtet Wenn die Stelle nicht gleich
wieder besetzt werden kann, behilft man sich auf einige Zeit mit dem
Oberknster und bewilligt ihm für „die Wartung der Schüler" eine ausser-
ordentliche Vei^utung. Dem Neuanziehenden schickt man einen Wagen
entgegen, am seine Habe anzufahren, mit dem Scheidenden begnügt man
sich geschäftemilssig abzurechnen^).
1629. JobamiM Uatholte [«sUurb ohne Weib and Kind«!** Angetus ebemd]. ^ 1685.
Andreas LinthoUz [erbte des Vaters Güter und war 1&55 der reichste Mann der Stadt:
Stfrnbeck S. 7. 1571 wurde er StadtHchrviber und Zieseuieißter, kam dann in den
Kat und starb löÖ7 als regierender Bürgermeister]. — 1538. Benedictus iSchmitli. —
1510. Gregoriufl Eb«L WShrend dessdbeik Zeitraum« studierten in Slnuikfart nie:
Alt-Landsbeis 1, Wrieaen 11 (?), Nenstadt-EbeiBwalde 0, Freienwalde 4, Buckow 6,
Bernau 32, Müncheberg 27, Seelow IH, WemeOCbeu 1; aus dvn Dörfern des Ober-
barnim ü; aus den adligen Gesclilecbtern derer v Rärins 1, v Pfuel 3, v. Tlaten 1,
V. Knhel 1. Die Greifswalder Matrikel (( JM.) nennt iu dieser Zeit aus: Strausberg 0,
Mflncbeberg 3, Bernau 3, Wriezen -J, i rciouwalde 3, Eberswalde 7, Buckow 1, Wer-
neachen 1. — *) s. B. Kflkelban, Beitrige sur Qeach. d. Kgl. BealpfogymnaaittmB
BO Otterndorf; Programm 1892. 8. 18. — KB. 1636: 4 gr dem Schwimeiater dranck-
gelt geben, der ist angenommen worden. 153.'.: '] pr. vortert, als man den scliule-
meistfr fnr lcr aniiiim. ir):?2: 1 Ü dem awerkoster dct In« ■lic Schiller pewardet, dieweil
men keinen scbulemester gebat. 1538: 12 gr dem fnreiuaune geben, der den Schule-
maiater von Buckow herfarte. 1587: 1 achock dedimoa dem Schulmeister vp nddiaelia
ala er abaogt vnd im ayn Teidinat gahr -voniagt das er Ein Ersamen rada bedanckt. — •
8
So niodrig seiue Stellunjj^, so kärglich ist sein Lohn. Der Rat
iK'Soldet iliii nur für seine Leistiinficon beim Messg^esanfi;', wie bereits er-
wähnt, mit i;ilirlieli gr: für seine Müliwaltuiig im Schulunterricht
müssen ilim die Si-luilknaberi jeder vierteljährlich einen (tr<>s<d!en Schul-
geld (Precium, Didac Ii um) mitl»i in^en, während der Hat genug zu leisten
glaubt, wenn er ihm das Schulliaus, welches, wie meist überall, in der
Nähe der Kirche und des Kirchhofs lag, zu Unterrichtszwecken und als
Wohnung, auch den winzigen „Schulgarten" zur wiitschaftlichen
Ausmitznng überlässt, die Baulichkeiten notdürftiii in Ordmmg hält*),
für Heizung soigt und allenfalls ihm eine ausnaliiusweise Beihilfe in
Gestalt eines Jahrmarktsgroschens, einer Axt zum llolzhauen u. a. ge-
währt^). Dass die Kirchenkasse dem Schulmeister in dieser Periode ein
festes Gehalt gezahlt hätte, wird nirgends ei'wäliiit, nur von den für
Taufen, Trauungen und lA-iehenbegangiiisse fallenden Accidenzieu
erhält er einen aliquoten Anteil. Es liegt klar auf der Hand, da^s hier-
von auch der bescheidenste Mensch nicht leben konnte, selbst 'wenn
etwa — das ist aber durch keine Nachricht bestätigt — schon damals
die Einrichtung eines Freitisches bei der Bfirgerschaft bestanden haben
sollte. So war denn der Schulmeister auf Nebeneinnahmen ange-
wiesen, gleichviel wodurch er sie verdiente, und er griff zd, wo sie zu
haben waren, ohne zu fragen, ob seiner Würde dadurch Abbruch ge-
schah oder nicht Zunächst sachte er seine Schreiblcunst zu verwerten;
wir finden ihn wiederholt erwfthnt als stellvertretenden Stadtschreiber,
dessen Einkflnfte, gegen die seinigen gehalten beinahe forstlich zu nennen^
ihm naturlich von dem ehrbaren Rate nicht vorenthalten wurden. So-
dann suchte er seine musikalischen Ffthigkeiten und den von ihm ge-
schulten Sängerchor auch ausserhalb des Kirchendienstes zur Greltong
und Verwendung zu bringen. Dazu boten wohl namentlich die Hoch-
zeitsfeierlichkeiten der reicheren Bflrger eine willkommene Gelegen-
heit; ob auch zur Entfaltung seiner geselligen Talente, ynH ich dahin-
gestellt sein lassen; wäre es ein Verbrechen gewesen, wenn er sich nach
wochenlangem Fasten auch einmal einen guten Tag gemacht hätte?
Femer war es feststehender Brauch, dass er alljährlich einmaldem
') KB iriiiO mul 1637 Au8l)esserung des Mauerwerks, ir>:U »les Padics, 1^:1 Be-
schaffung einer lafel, 1537 eines Tisches, 1637 und 1642 Eiusetzen nmicr Fenster,
1&35 Papier zu dentjelbeu, 163b neuer Kachelofeu, Weissen der Stube u. a m, —
*) KB 1680: 1 gr dem 8cb. »m gaden dinstag (dem Ostenn«^}. 1687: 4 ^94 vor
ein echs die der Stadtschreiber vberich gelobt dem seh. vfl der Schale. — *) AUe
Vierteljahr 2 Schock „Quartal-fjold", für jede Katssitzung 4 4 „Hausgeld", ausserdem
„dranckgelt von schössen, zisen, wulwage, kagein und 8tedegelt'' (in Summa jährUch
10—12 Schock). KB 1631: '/g ^ ^c^*- 8* h. Cise ward heuwegh gefuret.
1687: Va fl dem seh. Tom JHwMdel. 1630: >/, ü dem sch. geben von der OMtoe
Trinitatis. 47t dem sdi. sin Tordinat alM men dio lanth kawfllon hat anaagaben.
1682: 6 gr hanagdt dem Sch. voaeÜML —
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IMe Stnn^iger Skadtschole.
9
Rat mit seinen S&ngern «aufwartete*, nämlich bei „der depositio
dominornm oder der vorsettooge*'^ Wenn die JahresrechnnDg anf Triam
Ki'giim (6. Januar) geschlossen und dann vom Rat und den Yertretwn
der Bürgerschaft geprüft worden war, fand einige Woclien hernach die
offizielle Üborp:ab(3 der „ Regie ru 11 gsgeschäfte* an die bisher „ruhende*
Uälfte des Ratskolleginms statt; daran schloss sich allemal eine ebenso
feierliche wie opulente „Collation", deren Speisezettel aus einigen Jahren
erhalten ist und Zeugnis ablegt von dem verwöhnten Gaumen der ehr-
würdigen Herren und ihren gesunden Und weiten Magen Verhältnissen.
Bei der Festtafel im Ratssaal erschien regelmässig der Schulmeister mit
dem Schülcrclior , um das frohe Malil mit heiteren Weisen zu würzen;
dafür erhielt er zum Lohne einen ,Orth", d, h. 8 Groschen^).
Aber nicht nur auf Bestellnng machte er Musik;- auch ungebeten
kam er. Dreimal im Jahr-') zog er in der Stadt umher, von Thür zu
Thür (daher Ostiatiin-Sin^('Ti\ in Sturm und Kälte, Regen und Schnee;
:] bis 4 Tage lang mussten die bedauernswerten Schüler mittrotten und
singen, damit die Bürger sich ihres Lehrers erinnei-ten (daher Recor-
dation) und ihm ans Bannlierzigkeit eine milde (labe verehrten, eine
Zubusse zu .seinem kiirgliolien Lolm! Dies liettelsingeu ist wohl das
ti-aurigste nfficimn des damaligen Schulmeisters gewesen und — leider!
— Jahrhunderte laug eine erniedrigende Schmach des Lehrerstandes
geblieben. — —
Das wäre alles, was ich an Nachrichten über die Schule der katho-
lischen Zeit gefunden habe.
IL Die Schule nach BlnfAlunuig der Refennatioii tiie znm
Beginn dee 50)a]irigen Krle^ (1541—1626); die Kirchen- and
SehnlWeitationen«
Angelus (Hreviarium S, 135) berichtet über die Kinführung der
neuen Lehre in Strausberg: „Mittwochs nach Dorothea [{). Febr.] 1Ö41
ward zu Straussberg für einen Lutherischen Prediger angenommen Herr
Mattheus Schütze Strausbergeuöiä. Und dieser , war der erste, so die
*) Sterubeck, welcher in seinen Beiträgen zur Stadtgeachicbte S. 5B an den
„nnwiateiideifc*' Sebalnkdfteni jener Zeit kein gutes BSrcben läwt, sie „riatameieter
nif Hodwdten ond anderen Sdimana- and IMnkgelagien" achilt» lieet ans dem Worte
„Orth" die Bedeutung „Platz" heraas und meint : „Heut wfUrde man sapcn, «Kr Schul
meister hat iiiioh seiner Voralion das Recht, zu Neujahr mit dem liolicu Rathc si< h
toll und voll zu trinken, denn anders thaten s unsere guten Vorfahren nicht", .laja,
SO wird manchmal Lokalgeschichte geschriehenl — *) Auf Burchardi (11. October),
Martini (11. Norembei^ mid Neiijahr. Waim das Beeordieren aolgekoamien ist, Iftsst
sidi nidkt bostünnen. —
10
B. Seiffert:
Latherische Lehr allhie anfieng zu predigen in dfiSantlicher ▼enamlang''
Auf Gnmd der kumärkischeo Kircbenordnung fanden dann 1541 and
1542 Tisitationen der Kirchen- und SchulverhältniBse statt; beim ersten
Mal war der Bischof Matthias von Jagow persönlich zugegen die
Yisitatoren von 1543 werden nicht genannt, sind aber jedenfalls General-
snperintendent Jacob Stratner und Probst Georg Bnchholzer gewesen.
Man begnügte sich zunächst damit, die Einnahmen und Ausgaben der
Eirchenkasse zu fixieren, wie sie sich nach Einziehung verschiedener
Altäre und Stiftungen für die Zukunft zu gestalten hatten, irgendwelche
positiven Vorschläge zu Neueinrichtungen sind urkundlich nicht nach-
weisbar. Es findet sich nur eine ^Registratur gehaltener Visitation der
pfar, hospitalen und des klosters, auch aller andern lehen, bruder-
schafi'ten vnd guttvr zu Strausbergk sontags nach vincrula petri (6. August)
anno 1542'^, kein eigentlicher „Abschied*^ im Archiv Vor.
In dieser Registratur heisst es nun vom Schulmeister: „htit sein
behausung auff der schulen vnd 15 fl^ vom radt haus, das er die stadt-
Schreiberei vnd schule versorge, vnd dan alle accidenda, so von der
Stadtschreiberei, dem gericlit vnd der kirchen, auch den Jungen in der
scbulen [gefallen], vnd gybt ein jeder Junge alle ((uarthal 1 gr. In der
kirchen alter hadt e)ir von jeder tbudteu leicbe 3 gr. Vnd so vfit ehr
mit zu radt haus goliet, so bat [erj 4 ^ vnd jerlicb ein oi*tt in versett-
zung des radts**. Eine Antlening in don iMiikünften des Schulmeisters
ist hierin insofern zu bemerken, als das „SalveregineDgelt'' in Fortfall
gekommen ist — das Vermögen des Roratenaltars wurde von der Kirche
eingezogen oder richtiger der Kirche überwiesen — , dafür aber ein be-
^Mnnntcs (Jehalt für den Schulunterricht und die Stadtschreil)erdienste
aus der Käniinereikasse gezahlt werden soll : eine Besoldung aus der
Kircheiikasse frlilt auch hier noch. Diese Fi'stsetzung kann jedoch nicht
lange gegolten haben, da der bisherige Aitaiist Martin Zimmermaua^)
') Angelus irrt iu der Jahntubl, auch im Becktiinnnschen Naclilass steht
fälacblich 1541. Die ersten Ztihlangcn an den Diakonus Schatze wer lt n im Kit. 1540
verzeieliiR't. — •) Heinrich Scliinidt, knrtze Einleitung zur l'.raii'leiiburgisohen
Kuchi-ii- und Reformatiouähifitorie (Berhn lll>i} ä. 205; vergl. uuch „De» Kurf.
Joh. Oeoig vom Kudenboig Agende^ Viaitatioofl- und OonrätoriatordnuDg (Beiün
1648) EinL 8. IX — *) Kb. 1611: „den Bischof oftcb BerUn gefOrefc. 1542: 2 fl
vnd 20 gr Zu tranckgolde den Visitatoren vnd Secretario gegebenu. 8 gr dem
Bürgermeister linthult vor eyn pert die visitatores tofureii vp hiurenti \W. August).
— *) Kia fl ^ 32 gr. — Vou ihm heisst es bei Beckiuunn, Nachlass, Abschn.
Vm: „hat einen Aobati von atterband Begebenheiten bm dieser Stadt an mach^i
angefangen and anno 1648 Ooneept. Mariae (8. Decb.) dem damaligen Bath dedieiiet,
ist aber im ntiehäten Jahre 1649 an der Feste gestorben, und haben nach der Zeit
andre die.«e Arbeit einigormassen continuiret". Herr Oberlehrer Piper ^Berlin) und
ich stimmen in der Ansicht überein, dass dieser von Zimmermann begonnene, von
andern Stadtscbreibem fortgesetzte nAubats" identisch ist mit dem Cbronicon manu-
Di« Stnuud>ecger SUültecfaale.
11
den Posten des Stadtoclureibers noch 1542 aberoalun and bis zu seinem
Tode (r649) verwaltete, mifhin dessen Einkfinfte wieder in Abzug ge-
bracht wurden« Erst mit dem Jalire 1549 wird der Ausgabetitol „dem
Schulmeister* ein ständiger, es ist hinzugesetzt: „bekomt theilss vom
gemeinen kästen seyne besoldnng, theUss vom Rahthause seyn gewisses
jargelt zu hftliSi», auch (seit 1564) für das positiff zu schlahen*) — die
Cresamteinnahme schwankt zwisdien 2 und 6 Schock j&hrlich.
Dennoch bedeutet dieses Jahr einen entschiedenen Wendepunkt für
die Stransherger Schule: es brachte ihr einen zweiten Lehrer.
In dem bereite erwähnten Lehrerverzdchnis führt Hundertmark
(Spalte n, Baccalaurei aut si mavis Gantores) Folgendes aus: „Primi
Baccalaurei fit mentio in anno 1550. Non quidem nomen quod ei
fuerit adeo certus sum, Interim tamen me non erratumm arbitror, si ex
sequentibus libri ecdesiastici Nomen Marc! habuisse conjidam: 1 Schock
hat Andreas Eorte*) von wegen Marxs des Schueldieners empfongen
auff Natiuitatis Christi anno L. Nam per vocem Schueldiener hic non
alium quam Baccalaureum intoUigi ex se constat, quia Rectores dicnntur
Schulmeistere, nec vox Schüldiener ante dictum 1550 annum invenienda.
Quid? quod nomen Baccalaurei ipsum inter hujus anni expensas sit ex-
pressum; sine dubio autem erit Bartholomeus Wittstodc, qui in altero
Begistro ejusdem anni dicitur Locate, ad quod credendum eo magis
adducor, quia cum expensae Locati non exprimuntur, etiam Baccalau-
reoram nulla fit mentio. In libro Ecdesiae post R^ctoris expensius haec
leguntur verba: „Dem Locaten Baitliolmes Wittetock 1 Scli M k von
Ostern bis Joliauuis vernugt." Ab hoc Baccalauro usque ad Fuleman-
num 1556 nullius locati fit mentio.
In der Sache selbst hat Hundertmark Recht, Locat und Bacca-
lau reu s sind doppelte Bennennungen des zweiten Lehrers, des Gehülfen
för deu Schulmeister; nur hätte er auch das alte KäninuTeihuch nach
dieser Richtung hin befragen sollen, dann würde er gefunden haben,
dnss unmittelbar nac)i der K in ) len Visitation von 1542 ein solcher er-
wähnt wird ]rh glaube nicht fehlzugehen, wenn ich, statt eine auf-
follende plötzliche Mehrung der Schüler als Veranlassung zu dieser Er-
weiterung der Schulen anzusehen, vielmehr dieselbe auf eine dii-ekte An-
scriptum Str:tiiHbergensc, welchcH Mag. Angelus sowohl in seinem Broviariam, wie aaeh
in den Ainiuk'8 als (iuelle wiederholt citiert. —
') Nach dem Wochenbuch dos Gemfinenkastens (15'»3 — (!:'.) erhiüt er nln Ijidi
nioderator 9 Schock. — ») Der Nachfolger Martin Zimmermanns, noch 15t>8 im Amt. —
') Kb. 1543: 1 gr dem gesellen von der schulen (locaten) tom gotzHpemiingk [Gottes-
plennig, Handgeld oder Almoeen] 6 poat JhvocftTit [1& Febraar] and 1M4: 1 fl dem
locaten. — 6 fl dem bacchalirien gegeben vp §yu Ion ala Em Byn E. Badt i^abetb
hatb for ein iav. —
12
reguiig oder Anordnung der Visitatoren zurückführe, als die berufen
und verpflichtet waren, „die Schulen in allen Städt<'n und Murkteu
wiederum einzurichten, zu reformieren, bessern und notdüi'ftiglich zu
verseheil und erhalten", und eine Teilung der Schüler in zwei „Haufen"
als dringend erforderlich eiachteten Zunächst freilich ist der zweite
Lehrer nur eine vorübergehende Erscheinung gewesen, 1543, 44 und
1566, erst von 1564 an war seine Stelle regelmässig besetzt'). Sein
VerhältnisB znm Schalmeister moss in dieser ersten Zeit (bis 1574)
als ein untergeordnetes angesehen werden.
Unter dem 16. Oktober 1558 zeigte der Earffirst Joachim II dem
Rate an, dass die „ vorige Visüaiion m Strausberg Reyteriret* werden
solle: „Wie dan bemeltte vnsere visitatores Dinstags nach Blartini
[15. Novbr.] kegen den abendt bei ench ankommen, Ynd die folgende
tage Boichs also ausrichten werden, Begem demnach gnediglich wollet
ewrem Pfarrer, Caplan, Schnlmeistem ynd andern Kirchendienern, anch
den Torstehem des gemeinen Kastens bei ench dessto seitlicher vor^
melden, Ynd des vorwamen, neben ench gefost m sein, alle vnd Jede
Jrhe vnd der Kirchen, anch des Kastens gebrechen, Bechenschafit vnd
mangell Jnhen alssdan znberichten, vnd fnrtEnbriogen, domit sie die bei-
legen vne endern, Anch ferner Richtige ordnnng vnserm benheliche nach
darinne schliessen vnd machen, anch durch einen Abscheidt publidren
mögen . . ein solcher Abschied ist aber, wenn anch wirklidi die
Visitation stattgefunden haben sollte, im Archiv nicht mehr vorhanden.
Die nächste allgemeine Kirchenvisitation fand statt auf der Grund-
lage der Visitations- und Konsistorialordnnng von 1573; wie
dieselbe in Strausberg verlaufen, und was inbesondere betreffs der Schul-
Verhältnisse festgesetzt worden ist, davon giebt der vom Generalsnperinten-
denten Andreas Musculus und dem Secretarius Joachim Steinberch unter-
zeichnete Abschied vom 31. Oktober 1574 ausführliche Nachricht,
nämlich:
„Von der Schule.**
„Der Schulmeister soll zur jährlichen besoldnng haben 15 fl aus
dem gemeinen kästen, 5 fl vom Ratiie.
Vnd nachdem vnser gn. herr — — den Visitatoren auferlegt, weil
S. Gh. G. herr vater hochiöblicher Gedächtnis Michel Dameroes söhn
•) cf. Raumer, Gesch. der Pädagogik I 153: nach dem Schulplan in Mclanchthons
Visitationsbüchlein? — ■) Der Aii^;ftbetitel „dem Baccftlmuiiu'* etWM mehr als
8 Schock j&hrlich.
Die Straiuberger StadUchule.
13
dasgeiatlidie lehenErasmi*) zum Stadio Terliehen vod S. Ch. G. solches con-
iirmirt ynd bestätigt hatten, das- sie anstatt des wispels körn, so von
diesem lehen im gemeinen kästen aUUer geschlagen, 1 schock darein
verordnen sollton, da aber der kästen allhier dermassen arm, das sie
schwerlich einen Kirchendiener daraus besolden, viel weniger die
Kirchen, Schnlen vnd pfarr Leute tiinn können, die Vorsteher auch nicht
wissen, wo sie das Schock von den Besitsem des lehens erlangen sollten,
Also haben die Yisitatoren verordnet, das der Schulze m Gmnow oder
der besitser desselben hofes nnn hinfliro dem Schnlmeistor alhier
6 Sohelfel roggen anstatt des officianten geldes entrichten solle, darüber
aedi die poesessores desselbigen geistlichen lehens weiter nicht beschweret
werden soUen.
Dem Cantori 2 fl ans dem kästen, 16 fl von E. Erbaren Rath.
Das Precinm vnd andre accidentalia, so von den ftmeribns'),
hochzeiten vnd kirchgaoge der Sechswöchnerinnen gefalhni, item was sie
am 'abend Bnrchardi, Martini vnd nenen Jahrest!igt> ersingen sollen
sie wie bishero gebränchlich gewesen, gemessen und theilen.
Ynd soll der Rath, wie vor alters hergebracht, brennholtz zur
Schnlen geben vnd fthren lassen, damit sie deshalb keinen Maugel
haben mögen. V
YfkI weil den Schnldienern vermöge Revisionsordnung auf hoch-
zeiten zu gehen verboten '), soll ihnen vor die Brautniesse Thuler
gegeben vnd darüber soll von ihnen niemand beschweret werden''), es
Wörde denn Jemand ilmen aus gutem willen mehr geben.
') Ein altes Kirchlehen, das nach eiuer Urkunde Ludwigs des Älteren vom
10. Juni ISSii schon seit langer Zeit bestand [Biedel I 12 Straoeberg No. 7] and Ton
«inem MnwMbeiter Bttiser Johionea Tvebos mit 7 Sehoek weniger S'/i Sehilling üb
HelMngaD im Dorfe Gmnow fundiert war. [vgl. Karolingisches Landbuch ed. Fidicin
(1856) 8. 7d— 91, iiikI Finchbach, Stat. topogr. StH(lte}»es( hreibungen der Mark Branden-
burg (178C) I. 1 ö. 478.] Der Inhaber des Lehens bezw. der Altarist war gehalten,
von seinen Einkünften, die nach der oben angefahrten Registatur von zusammen
8 Wispel 8 8eheffd Boggen und 1 Wwp» SO Mhff. Hafer animaehten, 1 WitptU ak
■og. Offidantengeld an die Pmhwil'anBn abcafflhren. Um einen Tot«chlag su büsscn, trat
QeoigTrebus durch Urkunde vom 28. Juni 151.» [Riedel ebenda No. S()| das Patronat
flbpr den Krasmusaltar an den Kurf. Joachim I ;ib, welcher nach dem Tode des
letzten Altaristen Job. Schoner, das Lehen in eiu UiüversitÄtsstipendium umwandelte,
und die Höbe dee Ottiiantengeldee anf 1 Sehoek feeteetste. Iietsterea wnxde nach
^«neliiedenüielien Sbreiligiceiien aof Gmnd einee KammergerichtsabBchiedea von 1595
dmeh einmalige Zahlung von 25 Tld. an die Kirchenkasse abgelöst. — Dnmerow war Kurf.
Brandenbnrgischer Protonotarius. 8. auch Stembeck 8. 74. — *) V. u. K. Ordnung
(1816) S. 101. — *) Das. 8. 123. — *) Die allgemeine Unterhaltung der Schule wird
dem Rat lur PtUcht gemacht ehend. a 121. — *) Ebcod. a 123» wo ab Entechldl-
gnng ein Orte- ['/«] oder Thaler naeh Vermögen dee Brlntigama beetinmit wird. —
•) Sbend. a lOL —
uiyiiizeo Dy Google
14
B. Seiffert:
Der Magister vnd Cantor aljer soll sich vusei's giuidigstfii lieirii
cliristlicliori Kirrlifii- vnd \isir;iti<>?is-Onliiung orlmlten vnd die Jugeud
vpntni<,^c dtTsellicn zu (lottes t'rkeimtius.s vnd furcht vud zughdch in
hiti'iiiisclieii gesiingcn '), guten Künsten vnd .Sitten, mit allem treuen
fleisse erziehen vnd viiftTriclit vnd sich alh'r Secten uussscru vnd ent-
lialten, wie denn auch der ]d'arrer vnd Katii s(»nderlich darauf erkundi-
K^nn^ h'gen, vnd da es gespürt vdcv befunden, diejeuigeu von stund
liires Dinstes entsagt werden sollen
Vnd thun die Visitatores /u Insjtectoren dieser Scliule ver-
ordnen den {»farrer vnd caplan alliier, des^lficlitii die regierende Bnrger-
iiH'ister, etzliche des Raths vnd Stadlsclnvil)er, auch aus der gemeine,
so der pfarrer vud Ehrliare Rath vor tüclitig dazu erachten *), auf diese
Schule treulich zu sehn, das die Jugend fleissig institairt vnd
nicht mit verdächtiger lelir, auch bösen sitten corrumpirt
vnd depravirt, sondern in den fundamentis Theologiae, in
Göttlicher schrift gegründet, ohne Corrujiteln christlicli vnd
ehrl»arli( Ii erzogen werden, auch die lajteiuiöcheu Gesänge iu
der kirclien bleiben mögen.
Weichergestalt es auch weiter in dieser Schule zu lialten, sollen
sich die luspectores neben dem jifarrcr viui Schulenieister einer be-
ständigen Schulordnung ') Inhalts der Visitations-Ordnung vergleichen,
auch der Schulemeister vnd si ine gehülfen auf sol che Schul Ordnung
iu gelübde vnd pflichten genommen werden.
Von der Jungfern Schule.
Als auch v. g. Ii. in seiner Ch. Gn. Visitation» Or<liring*) von den
Jungfern Schulen, dieselben in S. Ch. G. städten anzurichten meldung^
vud befelilich gethan, soll alliier eine Jungfern Schule angerichtet
vnd die Scliulmeisterinne vom Erbarn Rath mit freier wohnong vnd
etlichen fudern ludtz aus gein(»inor Stadtheide versehen werden, damit
der armen sowohl als der reicln'n töchter darin zu Gottes furcht, zucht
vnd erbaikeit erzogen vnd mit dem juTcio uiclit übersetzt werden mögen,
die vermögenden sollen des winters aucli ein fuder lu)ltz geben vnd sich
sonst gegen der Schulmeisterimie nach geätalt ihres fleises mildiglich er«
zeigen.
Welcher gestalt vml mit was th-isse ilinen die Jugend in der Jungfern
Schule zu instituiren gebühret, das werden sie ans dem büchlein so
der Herr Su j>erinten d ens im I)ruck(' xcr fertigen lassen, ersehen,
wie dann flie Visitatures «icr Schulineistt rinn»' hicnnit thun auflegen, sich
in regirung der Jungfern Schulen des.selben büchleius endlichen zu vorhalten.
1) a lai tmd 122. >) 8. 12L — ") Ebeoao war auch die Scfanl-AnliiehtBb«-
hfirde in WriflMm a. 0. ztiHiunmengesetst cf. Büttger, das Sa1>conrectorat der Wrieiener
Schule. Frognunm 1891. — ') V. n. K, 0. S. m. — •) Eheud, 8. m
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Sbausboger Stedtaehnto. 15
»
Vom Oq^uusten.
Weü 96 albier ein Positiff der Kirchen hat, soll der Erbar
Rath deine, so daranff schlegt, j&rlich 6 fl geben, vnd die Vorsteher mit
der Zeit, wenne sich der kästen an einkommen mehret, anch etliche
golden nach ihrem yermdgen dasu legen, damit Gott sn ehren vnd der
Kirchen znr sier solche Orgel möge geschlagen werden.
Von den Palsauten.
Damit die Schüler in ihren Stndiis nicht mögen gehindert werdeu,
oder sonst keine geföbrlichkeit daraus entstehen möge, also sollen die
Vorsteher nach gelegeaheit des Kastens sich befleisigen, Polsanten zn
▼erordnen, die das lenten wie in andern Städten bestellen mögen'}.
— Wenn wir nnnmehr der Frage näher treten wollen, welche Be-
dentnng dieser Abschied ffir die Schule und ihre Lehrer hatte, so werden
wir hau|)tsächlich diei wesentliche Punkte hervorheben müssen. Der
erste derselben betrifft <Ias gegenseitige Verhältnis der beiden
Lehr«^r, der zweite ihre Stellung zu dem neugeschaffenon Schnl-
niifsichts-KoUeginm, der dritte die Begründung einer Mädchen-
schule.
Der Rektor (Magister) steht [hinsichtlich ssiner Gesamtbesoldnng
seitens des Rates und der Kirche fast auf gleicher Stufe mit dem Gantor»
wie der Baccalaureus fortan meistens heisst, well ihm der Gesangunter-
richt der Schalknaben and die Leitang des Kircheachors als spezielle
Amtspflicht Übertragen ist; von den Nebeneinkünften aas kircMichen
Funktionen und vom TvtMordieren ist ausdrücklich bestimmt, dass sie
unter beide geteilt werden sollen. Hierdurch dürfte offenbar angedeutet
werden, und spilteri» Vorgänge bezeugen dies zur Genüge^ dass beide
nicht im Verhältnis des Vorgeselzten zum Untergebenen stehen, — da*
von ist nuvh in dem Abschiede mit keinem Wörtchen die Rede, —
sondern dass beider Rechte und Pflichten dieselben sind (daher coUegae);
die unausbleibliche Folge davon musste sein, dass ein jeder von ihnen
in erster Linie nur für seine eigenen Interessen besorgt war und sich
um den andern nur insofi'rn kümmerte, als es eij^enen Nachteil zu ver-
hüten galt. Erst in viel s])äterer Zeit begegnen wir manchmal
einem gewissen Zusammenhalten (h'i- K<illegen. niid anch da nur
aus materiellen neweggriindt n : dazunuil al)cr ging ein jeder noch
seinen eigenen Weg nach seinem 'Jnf<hinken, unil das üliertrug sich auf
den Unterricht. Von einem eiuliuitiicUeu b>trcbeu nach einem gleichen
*) Auch zu Calcantendiciistcu wurden nicht grössere Leute, 8on*lcm bchulknaben
verwendet, wie am Kb. 1664 tn ersehen ist: „ 8 gr dem jungen, der die beige am
poaitttf hob, vff ein vierteljabr*'.
^ ij . .-Lo Ly Google
16
B. Seiffert:
Ziele war keine Rede'), jedem lag nur seine Klasse am Herzen, be-
sonders trug dazu bei die Institution des rrivatuutürriclits von dem
wir weiterhin noch h<»reu werden.
Bisher entbehrte dieStliulo jeder Kontrolle, waren die Lehrer jeder Ver-
antwortlichkeit über ihr Thun und Treiben in und uiisserliall) der Schule
überhoben, soweit sie nicht etwa mit den Bürgerstatuten in Konflikt
gerieten. Dieser Unordnung, die iii( ht ohne Rückwirkung auf die Schul-
zucht und die Gesittung der Siliuljugend bleiben konnte, sollte ein
Riegel vorges(rhoben werden. Wenn man nun auch die eigentliche
Quelle des Übels, die Terptliclitung der Lehrer und des Schülerchors
zur Teilnahme an Leichenbegängnissen, Hochzeiten und anderen Festlich-
keiten, bei denen oft genug die natürliche Achtung der Schüler vor
ihren Lehrern Schiffbruch gelitten haben mag-'), nicht imstande oder
nicht willens war zu verstojtfen, so war man wi'nigstens benitiht, die
Unregelmässigkeiten im Unterricht [iuih'ui der Nachlässigkeit und Ptlicht-
vergessenheit eines Lehrers die uralte Neigung der lieben Jugend zu
möglichst vielen Ferien auf halbem Wege bereitwilligst entgegenzukommen
pflegte] für die Zukunft nach Kräften einzuschränken. Zu diesem Zwecke
erfolgte die Einsetzung eines Kollegiums, welchem die Lehrer in ihrem
Unterricht and ihrem ansserarotlichen Verhalten^) zu über-
wachen und die Schüler in regelmässigen Zeitahschnitten auf
ihre Kenntnisse hin zu examinieren zur Pflicht gemacht und das
Recht verliehen wird, „die Schulgesellen ilires Arotes zu erinnern oder
desselben g&nzlich zu entsetzen"; zu dem gleichen Zweck wird die Ver-
einbarung einer „beständigen Schulordnung" dringend empfohlen,
auf welche jeder Schulkollege in Eid und Pflicht genommen werden
soll. Eine solche hat sich zwar nicht erhalten, doch kann man an-
nehmen, dass sich dieselbe gem&ss der Konsistorialordnung nicht allein
über die äusseren Schulverhältnisse, die Zeit des Unterrichts, das wohl-
anständige Verhalten von Lehrern und Disclpeln in Sitte und Kleidung,
sondern auch über Inhalt und Methode und Ziel der Studia des Weiteren
verbreitet haben wird -'^).
Die eigenfliche Seele dieser „Schulprovisoren*''') war natürlich der
Pfarrer, welchem deswegen der neue Amtstitel „Lispector** verliehen
wird, „damit er nicht allein auf seine Kirchendiener, sondern auch auf
die benachbarten pfarrer der dorffer, so allhier visitirt worden, fleisig
*) Vgl. dasn L. Goetse «. «. O. a 12t. — *) Deraelbe & 30. — *) L. CNotse a. a
0. S. 37—89. Die ViaitationsordBiug begründet das Verbot betrefliB der Teilnahme
Jer Lehrer an Hnrlizcitm fS. 1'23): „weil die Erfahrung gicbet, dass die Schulmeister
und ihre G»'scllen (hin h chis rancketiren in Hochzeiten und sonst <lie Jugoml nicht
wenig versäumen." — V. u. K. 0. S. 124. — *) Kbend. S. 121, 124 1. - *) Wie sie
Mch noch heisBen, cf. KllMhan a. a. O. SL 31. —
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StranslMvgttr BtadtBohde.
17
sdien vnd das Tngepührliclie ab^nden vnd verbaten helfen, damit sich
nicht widerwertige lehr ynd Secten einsdüeichen mögen.*' 0 hier-
dnrch dem Inspektor eine nngehenre, unberechenbare Waffe gegen ihm
missliebige Persdnlichkeiten in die Hand gegeben war, wird man nicht
ableagnen können; denn obgleich „die Schulmeister und ilire Gehülfen
liicht nadi Gunst, sondern wegen ihrer Geschicklichkeit und tauglichen
Wandels angenommen" werden sollten*), so lag doch die Gefahr nicht
so weit ab, pädagogist Ii tücliti«,^' Elemente gegen unbedingt Rechtgläubige,
die nur nötig hatten, ihre völlige Übereinstimmung mit dem herrschen-
den theologischen System durdi Unterschreiben der KonkordienformeL '}
zu bezeugen, sehr zum Nachteil des Schulwesens hintanzusetzen: der
Heuchelei und Liebedienerei ward Thür und Thor geöfiiiet, Streitigkeiten
zwischen Geistlichen und Lehrern infolge der Verschiedenheit des
religiösen StandpuJiktes konnten nicht ausbleiben.
Dio Errichtung einer Mädchenschule endlich ist als ein er-
freulicher Fortschritt im städtischen Schulwesen anzusehen, denn bis zu
diesem Zeitpunkt wuchsen die Mädchen ohne jeden öffentlichen Unter-
richt auf, nur die wohlhabenderen Familien konnten sich den Luxus
der privaten Unterweisung leisten. Dieselbe erscheint jedoch nicht als
ein an die Knabenschule angegliederter Bestandteil, sondern als eine
selbständige Anstalt, dem Bektor der Stadtschule stehen keinerlei Be-
fugnisse in derselben zu.
Der letzte grosse VisitationBabschied vom 26. Mai 1600, unterzeich-
net Ton „Joh. V. Eotteriz, Hof- und Eammergerichtsrath, Ghzist. Pelargus,
der Heyligen schrillt Doctor, Generalsuperintendent und Professor zu
Frankfurt a. 0., Joh. Koppen dem Jüngern, „D. L ü., Churf. Rath und
des GeisÜ, ConsistorU zu G61n a. d. Spree Priksidenten und dem Secretär
Erhardt Heyden'* enthält folgende auf die Schule bezfl^che Stellen:
*) Kaeh dam Abrchied. — >) V. n. K. O. 8. 121. - ') Im Jahr 1677 wnideii
elmllidie Oeistlidie md Lehrer sur Unteracbrifl der Konkordienfbrmol verpfliehtefc
0 CU OOtM a. a. 0. S. 23). Die Aoagabe der Fonnula Concordiae von Christ. Hcineccitts
(Leipzig 1708) bringt in einem besonderen Anhanpre die Namen der „Theologen, Kirchen-
und Schuldiener," welche dies gethau haben. Auf S. 25 heisst es: „In aede — d. i,
Inspektion (Superintendentor) — Stnoasberj^k; 1. Georgias Cmgerua [Pfturrer an der
St Haiienkfrdtel 3. Chrlatophoras Wulflos [KapeUan daselbst]. B. Petma Thiden
[Magister]. 4. David Schmidt [Cantor]. 5. Martinus Ilabenicht. 0. Gregorius Frölich.
7. Joannes Engel. 8. Sebastianus Redhch. 0. Georgin» Fiibor. 10. Henriens Zange,
11. Thomas SciiroederuH [1501 Cantor]. 12. Joaunea Wulffius. Franciacua Henckel.
14. Fabianufl Thiden [Pastor in Wegendorl, vorher 1572—76 ßektor in Str.J.
16. Jounes Stoebxttitis. 16. WencealAiifl Stephamw [6—16 Pastoren in den Dörfern
der DiOeese]. — et auch Angelus Aon. f oL 877.
A. S
^ ij . .-Lo Ly Google
ig' B. Seifflert:
„Itztgodachte herrn Visitatores seindt vnter andern') auch dieses
orts alhie in Stranssber^k ankommen, luiben die nienerell der Kirchen,
Schulen vnd Hospitals. Ix^ncbenst andern vorgehenden streiligkeittcn in
Ceremunieu vnd Keligionssachen für die liandt genommen, und dieselben
nach genügsamer verhoi- vnnd erkuudigung vorabscheidet.
1. Pünetiis Keligionis. — — — S. Cli. G. wollen, das — — die
reine vnuerfelschte lehr, des alleinn sehligmacheiulen worts Gottes, wie
es in denn prophetischen vnd apostolischen schrititcn, den drt^yen Syni-
bolis Apostolorum, Nicenischen, vnd Atliaiiasy in der Augspurgischen
Confession anno p. dreissigk Keyser Carolo dem fiinfVten zu Angspnrgk
vbergeben, der darauft' erfolgten Apologi, S('liinalkitl(li>( lien Artickeln,
Catechismo Lutheri, vnd den Ciiristlichen Coiu ordieu buch, ao. p. acht-
zigk publicirt, begriffen, aiift' dt-n Cantzeln, vnnd in den Schulen
ohne einigen fitapistischcu antinoniischen Caluinistischen, odci' andern
wiedrigen .Irrtliumb, gehandeltt, getrieben vnd gehandthabet werde:
Das auch eine iede geistliche Person autt" solche wabre reine Lehr — —
nicht allein von dem iiern Generali Superattendeuten zu Franckfurtt
an der Oder ordiuii-et, besondern auch S. Ch. G. vnd deeo Itodüoblichen
vorEltem Ezempell nach, di« Formolam Goncordiae, alss
YDsers ChriBtUchen glaabens mitt herts vnd mfindt Acceptiret vnd vnter-
sefarieben, damit vmb bo vidi mehr einhelliger Consens vndt einigkeitt
in Christlicher lehr erhaltten, vnd vmb so viell weiniger geczenck, vnd
Disputationen wieder die Augspurgische CSonfession vnnd schrifften des
tewren Mannes Lathen erroget werden mochten.
Aldieweill dan nach fleissiger besehener Examination vnd erknndi-
gung befunden, das der P£Bu*herr benebenst dem Diacono vnd Schul-
gesellen» wie auch alle Dorff Pfarren, zu dieser Inspection geborig,
benebenst dem Rath vnd gemeiner burgerschafiR; allhie, der vorbenanten
reinen lehr- — ~ ohne vorerwente oder andere Jrthume — — gleich-
förmig anhengig vnd zugethann, Der Pfarher auch sambt den andern
Kirchen vnd schuldienern der formulae Goncordiae mehren-
theilss vnterschrieben, vnd die, so es biss anhero noch nicht
gethan, Jtzo bei wehrender Tisitation ihre nominagleichfalss
pure et cathegorice .derselben gegeben. So seindt die Hern
Yisitatores der lehr halber allendthalben mit ihnen woll zufrieden ge-
wessn.
Soll derwegen an Gh. G. stadt E. E. Rath, auch dem Pfarhern
alhie hiemitt aufferlegt vnd befolen sein, ob solcher wahren reinen
lehr steiff vnd vest zu haltten, vnnd mit sonderm ernst dahin zu
sehen, das alle diener des Ministery nebenst den Schul-
') Ifl Wriecen wareu bie am April 1600; cf. Bdttger a. a. 0.
Die Strausberger SUdtachtüe.
19
gesellen ingi'saiiihtt vnd sonders bei derselben lehr bleiben,
dieselbe auff den Cantzeln vnd in den Schulen rein vnd vn-
uerfelscht mit vleis ohne einigen Jrthiimb treiben.
— — Soll die Epistell vnd das Euangeliuni tiuiu Altar deutzsch,
vnnd nicht mehr lateinisch, damitt es der gemeine mau verstehen
könne, abgesungen vnd gelesenn werdenn.
Zur fruhemetten soll hinfuhro alzeit vrab funff vhren eingeleatett,
viui wan nach dem Inuitatorio, commiiniter ein Psalm auf die Hohen-
festage gesungen, alssdan das Euang» Uuin deutzsch abgelesen werden,
vnnd daraufi' das Te Deum laudamus vom Organisten vnnd Schulern n
wechselsweise celebiii't, vnnd aufs sclileuigst alss muglich gekurtzt
werden. —
Zur Hohmesspredigt soll nach sieben vliren, etwan vrnb halb-
wege achten eingeleutett werdenn, vnd der Pfarher, nel»en dem Schul-
meister vnd Organisten ihre gesenge vnd Ceremonien ') sonderlich aber die
l>redigtt also anstellen, das vnib zeheu vhr, die gautze üuhmesspredigt,
mit der Communion volubracht sey. — —
"2. De Reditibüs Ecclesiasticis. Das ins patronatiis oder Kirchen-
lehen iüt allein v. g. h. dem Churfiirsten zu Brnndenburgk zu stendigk
— — Den Diatduuin aber, oder die Capelehne, wie anch die Schul"
gesellen vnd den Küster zu vociren, sti-het beim Rath vnd Pfar-
hern zugleich. Vnd weill in annehnmn^ sohMier Personen die priuat
aft'ectus vn<l fauor oftmals mehr, alss gutt, zu doniiniren pflegenn, dahero
dan kumbt, das mehrenteils vntuchtige vnd vriqualificirte Personen an-
genonuuen vnd bestellet werden, So soll der Rath hinführe mitt den
Pfarren, vnd der Pfarrer hinwie<lerinnb mit dem Rathe daraus
notturfftig zuuor conimuniciren, vndt nienumd ohne eines oder des
andern vorwissenn angenommen, Introduciret, oder aucli abgedauckt
werdenn. — —
— Sonsteu soll an Accidentien sich kein diener der
kirchen oder schalenn mehr sunehmenn Tnterstehenn, alss
wie die ▼eneidiiittsseiiQ beivorwartt aassweisenn,
,»Den Schnlmeisteni ist vernmge voriges Vis. Äbscheides vergounett,
dreimahl im iahr vor den Thfiren heramb so singen: alss aufs
new iahr, aoff Martini, vnd Borchardi, Jngleichen ist ihm anch von
ieder Brantmissenn zwo silbergrosohenn zum selben mahll gewOliget,
welches aber alles ein zeithero nicht gehaltten oder gegeben worden,
*) Dm Bingen Iftteinischer Ueder Ist, wie manche andere Qehianetw des kaibo*
KSdMB Ootteedieosteii noch huge fai Btranabeig beibehalten worden; erat in einer
kf. ConfirmatioD vom 19. März 1052 wird allgemein angeordnet, „daa anatadt des viel-
fältigen latein Bingens in den Kirchen des Sontags an denen Ctrtf^n, wo es noch L'obreuch'
lieben, leine TeuUsclie S&oge aus Doctor Luthers gesangbuch gesungen werden aollen.**
^ ij . .-Lo Ly Google
20
Baramb wollen die henm ytsitatoree diese Pnact hiemiit renonirt,
▼nd denn Schahneistern das ymbsingen, wie auch diebrandtmesseo vmb
Jtztbenanite gebuer biemitt vergönnet vnd zogelassen haben,
Was aber die Schule an ihm Selbsten betreffen tliut, ist dieselbe
mit zweien schulgesellen besatzt, die nuch zur zeitt, nach gelegeu-
heit, tur genugsanib erachtet werden,
Sollte aber die Schule kuufftiger Zeitt durch Gotte.s Segen au
Knaben zunehmen, So wirtt E. Erbar Ratli darauff verdacht sein, da-
mit diesen beiden ein tertius, der zugleich die Custerei in der
Kirchen mit bestelle, Adjuugiret würde.
Vnd weil das Examen bei der Jugendt viell nutz schafft, so soll
der Pfarher mit Zuziehung des Kadts i er lieh aufs wein igst zw ei mahl
Examen lialtten, vnd dahin sehen, dass die Jugendt recht vorgfeijangen,
die repetitiones vleissig getrieben, vnd dabeueben alle vnordjiung in der
schalen abgeschafft werden möge.
Wie dan die SchnlgeseUen hiemit auch ermahnet sein sollen, ihres
Ambtes vnd der schulen mit gebnerlichem vleisse abznwsrtten, der
Jogendt mit guten ezempeln vorzagehen, vnd sich sonsten kegen mennig-
lichen, alss ehrlichen lenten woll anstehet vnd gebueret, znueihaltton,**
Das beiliegende Verzeichnis der „Ordinary Einnahmen und Aus-
gaben des Kirchenkastens 1600*' bezeidmet als Besoldung des Schul*
meistere: ,»Auss der Kirchen 8 Schock vnd 2 fl wegen Dameross,
vonn Erbam Rath 4 gute fl. Die acddentia so gefallenn: Auff Bur-
chardi vnndt llartiniO vnib zu singenn bringet mehrer theils zu samen
30 sg zu zeitten auch ettwas mehr. Jedes vierteil Jahr gibt Jeder Knabe
1 sgr so viel Knaben sein, tregts gemeiniglich alle viertel Jahr 1
seindt dess Jahres 4 fl. Eine Leiche zubegraben 1 sgr Singet man tar
der Thuren 1 sg 6 ^ Vonn der finster Metten') zu singen 6 sgr Vom
Rath, auss der Kasten 3 sgr vnd Ein wachs Licht von 3 ViertelL
„Der Baccalanrius zu Straussbergk hatt Jerlich einkommea
wie folgett: 16 merckische fl vonn einenn Erbam Rathe, 2 merck. fl
auss der Kirchenn, 1 Merck, fl alle quartall predum,^) bissweilen auch
') Der diitte Recordationstcruiin, Neujalii, ist hier merkwürdigerweise aus-
gelassen, obwohl er im Abschied selbst crwilhm wird. — ■') Daraus ist zu bt-rechnen,
dass in jeder der beiden Klassen etwa 3ü ächUier gewesen sein mtissen; diese Zahl
«tlinmt sn den Perlituebeii Angaben tau dem Ende dea 18. Jahrirandeite, wo Stnrns
beig irieder etwa ebeneorid ]^wohner gehabt hat, wie vor dem SOJthrigen Krieg. —
*) Die Finstennette oder Dustenuette scheint ein Überbleibsel des vorreformatoriscben.
Salvesingens zu sein; nach der späteren Benennung' Passionsgeld (172]) kann man
Bchliessen, dass in den I'assiünswochen regeUuätmige Abendandachten stattfanden
(cf. Perlitx;^ besonders auch um Cbarfreitag. —
^ ij . .-Lo Ly Google
Die Stratubeiger StadtBchnle.
21
weiniger. 1 Tbl vngefelir auch woll weiniger iedes raalil, wenn man
auf Burchardi vund Martini ostiatim singett. 6 ggr vonn E. E. Rathe
Item 8 ögr anss der Kirchenii, Item ein Waclis Liecht von 8 Vierteil
auss der Kirclienn, wenn man die dustermettenn *) singett. G sgr venu
E. E. Rath vürsetzuuggelt. 2 sgr Jarmarcktgeldt, ') bissweilenn auch
wriiiiger, Weichs In die fuuffmahll im Jahr gesthicht, 1 sg 2 .f vom
funere, ^) wenn für der Thür gesungen wirdt, wenn aber nicht gesungen
wirdtt, Ein sgr,"
Da das Organistenanit in der Folge gewöhnlich vom Schuhneister
verwaltet wurde, seien aurli dessen Einkünfte erwähnt: „Dem Orga-
nisten auf jedes Vierteljahr Iii, von dem Borchwalde '') 1 fl 28 gr. vnd
von den Kawelen liiiider dei- lieideu 2 fl U gr" (jährlich also 8 fl ') gr). —
— Der Abschied enthält, wie man sieht, kaum etwas wesentlich
Neues ausser der Andeutung, dass der Rat bei waclisender Schülerzahl
noch einen Tertiaiius, einen dritten liehrer, anzustellen bedacht sein solle.
Diese Bemerkung ist dahin zu ergänzen, dass man bereits seit 1590 da-
mit Versuche gemacht hatte, wie aus dem Hundertmarkschen Lehrer-
verzeichuis und einigen Notizen der Kechnungsakten zu entnehmen ist;
1599 war die Stelle nicht wieder besetzt worden, erst lf)16/17, spätere
Versuche (nach 1740) scheiterten an dem Unvermögen der Bürgerschaft^)
Die übrigen Festsetzangen betreffs der Accidenzien, der Lehrer-
wahl und der Schulexaraina ') sind nur als „Renovation" der Bestim-
mungen von 1574 zu betrachten, welche infolge trauriger Zeiten, die
über die Stadt hereiugebrodieu waren, teilweise ausser Gewohnheit
■) Siehe Seite SO Amnerimiig 9, — *) Qemedi eehaint die VerpflichtoDg,
mit dem Slogercbor bei der Veticiaung «ifsawartm, mal den Cantor flbergegaageii
zu sein. — ') Dies hat spftter auch der Rektor erhalten — •) Nach dem Abschied fanden
die Begräbnisse „vmb xwolff vbren" statt, «las , teufen allezeitt vmb zwo vhr*'; die
Hochzeiten „gingen auff den Montagk Mittag an" und dauerten 2—3 Tage. — *) Das
iat ein alter BurgwaU «ot der WendeiiBelt^ der in der NIhe der SintimilUe svbdien
dem B6lieW' imd Flngeraee gelegen Ist und noch heut diesen Namen fObit.
*) Hnndcrttnark nennt folgende Tertiani: 1590 Gregorius Neuendorff. 1594 Petrus Jenger.
1595—7 Greg. Neuendorll. 1697—9 Martinus Schäfferus Bemoviensis, sustinuit can-
toriH pro^^nciam usque 1599. Dieser M. Sch. wurde von E. E. Rath wegen seines
Fleisiies reichlich beschenkt. Deinde usque ad 161G annum Munus Tertiani
veeatit 1616 Joh. HolEmaon, Tizit adhne hie 1618. 1616—17 Theod. Hoflmann,
de qao tempore Oflfdam Tertiani in totum vacavit. — Kb. 1500 erwähnt ^eidi>
falls einen Tertianus. ir)92: des Tertiani gcrethlein von Boyerstorf geholet. 1597
12 gr Gregorio Niegendorff dem T<>rtiano i ntrichtet wegen eines gesanges, so er dem
Rathe zugeschrieben. — Vgl auch Kükelhan a. a. O. S. 16. — ^) Eine einzige Notiz
dea Kh. 1M6 erwifant daa Scholezamen; „1 fl den bdden festem vnd den Schulge-
aeüen verebtt tnoetdiüMkent ale daa Examen in der adrale mit den acholem iat ge-
halten worden"; femer beschwert sich der Rat 1605 beim Konsistotiumi daaa der In*
qpektor Friedrich keine Schnleyamina abhalte. Stexnbeck & 32, —
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22
B. Seiffert:
kamen : ich meine die Pest von 1598. Über dieselbe berichtet ein un-
bekannter Chronist dessen An&eichnungen dem Beckmannschen Nach*
lass angeheftet sind:
„Anno 1598 erhob sich abermal aUiier in Strausberg eine grosse
Pest, \rorinnen zngleidi der weitberfihmte Chronologos M. Andreas Engel
den 9. Aagusti mit weggeraffet, obiit autem sine prole simnlqne tota ejus
femilia extincta est — [womit jedoch höchstens sein Gesinde gemeint
sein kann, denn die Witwe überlebte ihn] — lieget begraben znr rechten
im Gewölbe gegen Eingang des Schlklerchors, allwo sein Leicbenstein
anf hoher Ch* DchL Befehl ausgehoben und nunmehr fOrm Altar auf-
gerichtet steht Es sind aber durch diese pestUenzialische Gi£ft alhie
dahingerissen worden 825 Menschen und sind also auf den 13. Jnly vor-
gedachten Jahres öffentlich begraben worden 30 Personen, die andern,
so heimlich beerdigt, zu geschweigen/*
Ausser dem PfiEurer starb auch der Diaconus Wolff, so dass der
Schulmeister und Cantor allein eine Zeitlang den Gottesdienst und andre
kirchliche Funktionen verrichten mussten.*) Wie die Schale darunter
• gelitten haben mag, kann man sich leicht vorstellen, in solchen Pest-
zeiten ging eben alles drunter und drüber. —
Von anderweitigen SchnlDachrichten aus dieser Periode sind noch
zwei Punkte bemerkenswert, der Freitisch (h i Lehrer und die Auf-
führung von Schulkoinödien vor dem liohen Rat.
Wann die Sitte dos Freitisches oder der Reihenspeisung
d. h. der Brauch, dass die Lehrer bei den Eltern ihrer Schüler nach
einem bestimmten Turnus Mittagsgaste waren, sich in Strausberg ein-
gebürgert hat, kann deswegen nicht mit Sicherheit bestimmt werden, weil
weder in den Abschieden, noch sonst davon l»islier die Kedf war.
Aus eben diesem (irunde aber ijehort «Icr Freitisch au< Ii nicht zu den
Accidentien, wie das Recordations-, .Jahrmarkt- und Schulgeld, sondern
er muss zusniniiKMiliän^eii mit einer TjeistuiiL!: <U'r Lt'hrer, die ausserhalb
ihrer t'igentliclicii, tiltentlicln'n Schultliätigkcit lag und für die sie auf diesem
Wege entsclnulii^t sverdcn s(»llt»'n, un<l das war der Priv at u nterricht,
den sie — seit wann, ist el»enfalls unentschieden ) — einigen Kindern
nach dem öÖ'eutlichen Unterricht zu eiteileu pflegten, sowold Vormittags,
') Inspektor Pape, der 1710 f. (\&a Materiul für Beckmann sammelte, nennt ihn
einen alten verständigen Borger. — *) Nach Kb. IbUtS erhielt der Unterkapellan
[SebaatiMi FiiedricbJ 9 fl, Bmccalaureiis Hatth. Kind und Kantor Mtriin Sehftler je
2 Tbl., der Oigairiat 1 Tbl. „wegen dei Sterbens". Stembeck 8. 80 Anm. ~ *) L. Goetee
erwähnt S. 36 die scholae privatae gleichfalls erst nach 1000. — •) 1614: 3 fl 12 gr
dem Newen Cantor ehe er Tische bekommen verzert, Ißl8: 4 ü 9 gr Andreas Schnstor
[Richter und Stadtschreiberj das er deu Kector Ern:jt üertling neben seinen Jungen
[d. h. muHMT den FreitiadMO, die er für diaaen au gewähren hatte] )i2 Mahlzeiten jede
m 8Vi gr geapeiset — Stambeok 8. 182. —
Die Straosbeiser Stadtsdiol«.
28
als Nachmittags, wie wir noch sehen werden. Es waren das keineswegs
Nachhülfestunden nacli heutigem Be<?riff, sondern ein regelrechter Unter-
richt wie der öflfentliclie, mir dass eben eine beschränkte Zahl von
Kindern daran beteiligt war, eben die, deren Kitern bereit waren, den
Lehrern in gewissen Zwischenräumen Freitisch zu gewähreu; eine weitere
Vergütung in Geld ist erst später hinzugekommen.
Die ersten Notizen des Kämmereibuclis, aus den Jahre 1()14 und
n>18, bekunden aber zugleich, diiss von vurnherein den betreffenden
Eltern auch gestattet gewesen mu.ss, den Freitisch mit Geld abzulösen
und dass anfangs der Rat diese Gelder zu einem Fonds ansainuielle, um
in Notfallen, wie den untenangeführten, einzuspringen. Anfangs
scheint diese Ordnung beide Teile befriedigt za haben; bald jedoch
stelltien sich mancherlei Unzntrftgliehkeiten ein, su denen a]lerding> das
Betragen der Tischgaste, insofern es nicht immer den Regeln der Massige
keit und des Anstandes entsprochen haben mag, wohl die hanptsftch-
HcliBte Veranlassung gewesen sein dürfte, ausserdem anch der Unmut
Einzelner, denen die Speisepflicht lästig wurde.
Perlitz teilt folgende darauf bezügliche BatsprotocoUe mit:
„Am 16. November 1621 klagte die Bürgerschaft, dass die Schul-
gesellen beim Abspeisen sich gegen ihre Tischherren ungebührlich be-
trügen, worauf geschlossen, dass es der Rath vor diesmal überstreichen
will, sollen aber vermahnt sein, dass sie forthin beizeiten von ihren
Tischherm au&tehen und sich unstrafbar verhalten, widrigenfalls der
Remotion (!) gev^rtigen, indem der Rector [und das war gerade ein
geborener Strausberger] gestanden, dass sie sich vom Trunck fiber-
nehmen lassen.'*
„Am 1. Februar 1624 wurde auf geführte Beschwerde der Bürger-
schaft festgesetzt, dass die Speisung der Schulgesellen nachbarlich in
der Bürgerschaft herumgehen und die Fischer denjenigen, an wem die
die Speisung, Fisclie vor andern lassen soll. Die Schalgeselleu aber
sollen in der Sjjeisung keinen vorbeigehen."*)
„Am 8. Novemiter 1()24 wurde wegen der Schulgesellen die neue
Ordnung gemachet, dass ein jeder Bürger <|uartaliter statt der Si)eisung
2 gr 6 ^ geben soll; der sich hier wieder setzet, soll des Käthes Strafe
gewartig sein.
Das hatte aucli seine Sciiattenseite, da es anscheinend den Lehrern
überlassen blieb, sich das Krtstgeld von den Bürgern — offeid^ar nun-
mehr allen — selbst einzufordern,^) viele derselben sich aber weigerten,
und das mit Recht. So blieb denn die Frage vorläuüg in der Schwebe ;
wir werden ihr noch oft begegnen. —
*) D. h. nicbt muser der Reihe zu Tisch kommen. — ^) Kb. 1G25: 11 fl 17 gr
(lern Cantori Torgestreckt, weU «r von der BOfgemobaft das Kostgeld nicht eiswingm
können. — •
^ ij . .-Lo Ly Google
24
B. Seiffert:
Bezütclicli der Schulkomödien, welche in den Jahren 1560 bis
in den Rechnung;8akten erwähnt worden, steht nur soviel fest, duss
sie in der Fastnachtszeit vor dem Rate aufgeführt wurden; es wird
aber nur v'm einziger Titel genannt, aus wclclieni man auf den Inhalt
des Stückes schliessen kann, „das Spiel von Susanna'*;') der häufige
Wechsel der Lehrer, von denen sich nicht jeder zu solcher „Kuustleistnng"
eignen mochte, ermöglichte nur dann und wann eine Auffülirung; immer-
hin bleibt es charakteristisch für die Zeit allgemeiner Geuusssucht uud
PiracIlfUdbe, die sich bis in die untersten Schichten des Volkes verbreitet
hatte, dass selbst die Schule in diese Strömung einbezogen wurde und
die Schnlkollegen eine Ehre dareinsetzten, auch ihrerseits znr Ergotz-
lichkeit nnd Belustigung „eines hochedlen Patrons" beizutragen.^) Sie
stellten sich dadurch anf gleiche Stnfe mit allerhand fahrendem Volk,
das nach Ausweis der Akten dem Rate eben&lls solche Spiele „vor-
jdkeln*' oder „mit Figoren tractiren** mnsste. —
Ich komnu' mm zu den Persönlichkeiten der Lelirer selbst.
Sie sind, wie das Verzeichnis beweist, alle ohne Ausnahme studierte
Herren gewesen, Theologen, die nach Absdlvirung des Uni-
versitiitsstudiums einige .Iah i e dem Schulamt widmeten, bis ihnen
Glück oder Würdigkeit zu einer Pfarrstelle verlialf. Niclit als End-
ziel ihrer akademischen Ausbildung betraciiteten sie das
Rektorat und Cautorenamt, sondern nur als ein Übergangs-
stadium zum geistlichen Stande:^) diese Anschauung blieb bis in
das gegenwärtige Jahrhundert massgebend. Daraus erklärt sich znr Ge-
nüge die merkwflrdige Thatsadie, dass in der Zeit von-1542 — 1818, also
in 276 Jahren nicht weniger als 58 Rektoren und 54 Konrektoren amtirt
*) Kb. 1506: 2 Ü den Schuldieneru voreliret, wie sie dus 6pieil von SuBanna
gespielett hmben, Dinstags nadk Eitomihi (FaatDacht). 1572: 1 schock 4 gr TOr 1 Tonne
Mei, welche oMai dem 8chQ«]mei«ter geschenkt hat, das er ein «piel bi den faetd-
abenth gespielt hat. 158^S. 3 fl 11 i?r för 1 fas8 l)ier, so die Schulgesellen bekommen,
alss sie die Comedia gespii lft - ') Kin „Auszug Wass hv.y der Commission f<> Ao. inis
den 3 July Von Hern liuigemeister Strassburg Vndt Bg. Georg Jalmen jaus Berlin]
deliberiret worden" besagt zwar unter Funkt 21 ; „Soll die Zebrung bey der Versetz-
QQg gants abgeachaliet Vndt jeder Bathaperaon 12 gr in Ihren heaaeni lavoraehreo
gereidinet werden, die Schnlgesellen belangent, ihnen die Tbl. So Sie Vor diesem bey
der Vorsetzunjj gehabt wegen des geringen solari (Solds) noch ixcfoli^'ct werden;'* aber
schon Kb 1619 bemerkt: ..:! Tbl. den SchuelkoUegen auf der Cuiumedia von Susanna
am 31. Marty", auch IGJu „warten die SchuelkoUegen in der Versetzung (Iti. Februar)
mit den Schneiknaben auf* ao dass die etwaa scharfe Bemerlcnng dea Stadt*
schr^beia: „dass SSn Borge Ifetoter oder Rath dem Andorn nicht beiaen irird, sondern
es nur Vf selten der bürgere Vbel ableuft", ganz gerechtfertigt erscheint. — •) V||^,
L. Qoetse a. a. 0. S. 81. Fanlaen, Gesch. ü. gelehrten Unterrichts S. 891 u. 407. —
Die StniiMbeiger Stadtachide.
26
haben; von diesen sind 5 Rektoren und 8 Konrektoron im Amt ge-
storben, von 17 Rektoren und IH Konrektoren \visseu wir über itire
\v('it«*re Laufbalni nichts; somit verbleiben -l*'» Rektoren, von denen 'U zu
Ciei^>tli('hen befördert und in den Rat gi wählt wurdeD, and 26 Kou-
röktoren, von (ienen 10 zu «Mnem Pfarramt {^^elanm^ten.
Nach dem Archivniutcrial und den in der Vorrede erwähnten
Matrikeln liabe ich das Huiidei-tmark-Perlitzsche Verzeichnis verbessert,
wo es nötig war, und ergänzt, wo es anging, um ein möglichst voll-
ständiges biographisches Bild zu bieten; diese Zusätze sind eingeklammert.
Memoria Scholae Rectomm Cantornmqoe p08t ielicem
Dr. Latberi Reformationem, omni cura ex doonmentis qaae
asserjvantor im Curia eruta.
A. Rectores 1543-1622.
1. Mattliias Ebel, 1543—48, wahrscheinlich ein Verwandter des
Pfarrers an der St Marienkirche .Toliann Ebel [welcher, 1012 als Aliariat
des Roratenaltars genannt, sich bei Eiofübnmg der Keformation xar
neaen Lehre bekannte und 1547 starb].
2. Andreas Körte Stransbergensis, accessit auf Jobanais 1548,
war an der Schule bis im folgenden io4y. Jahr gewesen und zwar nacb
Estomihi [anfangs März] abgezogen. Er setzte hierauf seine Studia
weiter fort auf der Universität Frankfurt an der Oder und wurde laut
Academischer MatricuP) im gedachten 1549. Jahre daselbst inscribiret
[Noch in demselben .lalir oder 155Ü berief ihn dt'r l'at in die Stelle des
an der Pest verstorbenen Stadtschreibers Martin Zimmoi-maTin, welche
er bis zu seinem Tode bekleidete. Neben seinem Amt betrieb er einen
Handel mit Materialwaareii und ansehnliche Ackerwirtschaft. ^)]
I). Joachimus Reling, geboren zu Bernau, zi)g I54b auf die
Universität Frankfurt a. 0.') Auf Ostern des 154^). Jahres trat er hier-
selbst das Rektorat an, legte aber selbiges im folgenden .lahre wieder
nieder, promovirte zu Fraukturt in Magistrum pliiloso])hiae und wurde
darauf zum Prediger nach Radestock unter der Fraukfurtischen luspec-
tion berufen, wos»*lbst » r starb.
4. Jürgen Schenk 1551 — 2, scheint bereits 1550 Rektor gewesen
zu sein. Er wurde im 1552. Jahn' an des nach Berlin an S. Nicolai
Kirche vocirten Sjücgi'lbergs ■) Stelle zum liit-sigen Diacunat conliruiiret.
Er hört aber noch mit eben liiesem .lalir ;iuf, und weiss man niilit, ob
er gestorben oder aber zu weiterer Beförderung gehinget. ')
') Perg. Urk. 49 (Riedel I 12 No. 79\ F M 1511 nennt einen Mattbeuw Ebel
aus Strausberg. — ') F M l.'itO. — Sternbeck S. 17. — *) Zusammeu mit seinem
Bnider Thomaa. F M 1546. — ') Augustin Spiegelberg aus Potsdam, 1544 in Witten-
beig immatrikniiit (Hirk. FbvBcboogen XIV. 1878 „die mlikiflchen Studenten anf der
Unhreiritat znWittenberg" von L. Goetze. — ") F M 1569 erwähnt einen C brist. ipliorua
Fineenui Stranabfligenais, das konnte sein BnAui aein. — > Kb. 1669: Er Jnigen ecbenck. —
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0. Barthplomeas Peters er wirti vemnithlich der von
Forstenberg sein.*)
6. Erasmus Beier, 1553^54 auf Johannis Baptiste, dieser wd
wohl der Schulmeister von Zehdenick sein. Wurde von hier anno 1554
zom Predigts-Ambt nach der Inspection Neustadt-Ebersvalde berufen.
[Eb. 1563—54].
7. George Dreger Bernaviensis 1554 bis auf Estomihi 1555.
[F M 1552. Eb. 1555].
8. &f artin Gnewicko w Gransogensis [studierte mit seinem Bruder
Ertmannns snsammen F M. 1552] 1555 bis auf Estomihi 1557. Er kam
von hier zum Diaconat nach Belitz. Nachdem er einige .Tahie diiselbst
g^e Wesen, wnrdo er nach Absterben des ersten Evangelischeu Thumb-
Predigers zu Uavelberg, Herrn Dionysii Buchows, so ao. 1561 ange-
nommen war, an dessen Stelle erwelilet, welches Ambt er aucli noch
ao. 1")SS rühmlich verwaltet. In diesem Jahre hat er über das
Absterben Hei rn Christuphuri von der Schulenburg, Canonici und Yice
Senioris der StiÖ'ts-Kircheu zu Havelberg eine Leichen-Predigt gehalten,
so zu Berlin im grauen Closter durch Nicolaum Volten gedruckt und
ITeiiTi Küster wolverdienten Con — Rector sehen-) Gymnasii
(•oiiiiniiiiiciret er fast am End, wann er kurtz cherheit
sowol junger als alter dic^itMu Leben bestraftet, folgend — — —
gebraucliet: „In summa, spricht er, .sind anders nicht, als die
Hüner im K Schweine auf den Kotfen, deim — selbst
immer »'ins l)eini aiKhM ii — - — und wird doch gleichwol von den and
die essen immer für sicli wefj^, simr wol und p^uter dimr, bi.s die Neige
an sie körnet, auch in dieser Welt immer einer n:\ch den» andern
daliin gerückt, der eine sanft, der and und ist docli gleichwol
niemand, der es achtet, wenn einer zur Erden i»estetiget, so ist man
mals fröhlicher, als wenn er auf die Welt k^nibt." NB. Nach-
hero ist er von hier weg mich Broddin unter dem Havclbergisclion Dohm-
Capitul gezogen, woselbst er bey gelialtener Visitation die Formulam
Concordiae zum audermahl uutersehriebeu. [Kb. lööö].
9. Petrus Pulemann lö57 — Johannis l')!)!» [ein Strausberger,
war vorher Cautor. Nach Niederlegung des Lehi amtes scheint er Bürger-
nahrung getrieben zu liaben, das Scliü.ssregi.ster von 1Ö7Ö bewertet sein
Grundstück auf 141) Schock. Kb l.')",!].:»)
in.Thomas lleutz Fürsten\v;il(iensisir)r,0_Gl\ [F M l^i'Ar. Heintze.]
11. Martinus Bösicke Joliaiiuiö löl)2— 04. [aus Zerbst? Stern-
beck S. 119. Kb.
') K1> ir».'2. — ") An den punktirten Stellen i.'^t *1h8 Manuscript defekt. —
^) Ein LltuiM l'ulniaun wurde Bürgermeister. F M 1570 nennt einen Melchior F.,
1573 einen Matthaeus F., der mit Andreas Engel zugleich inscribiert wurde. — S. Cftll»
tovQn No: 1. — •
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Die Strausberger Stadtschule.
27
12. Augustin Wegenn Strausbergensis 1564—66. Patricias
natus Patre Jacobo Civitatis consule, qui nt in eius vita observavimus
in Oderam prope Sedimim snbinersus ibideniquo sppultus est. [Der
Vat«r heisst in den Kb. immer „olde jacub wedigt u''. AVo Augustin W.
stodirt hat, habe ich niclit ermitteln können. Er war musikalisch und
versah das Organistenamt.j -).
13. Thoraas Schmidt Spandoensis 1566—71. [FM 1560. Kb.l566].
14. Stephanas Klewitz 1571. [FM 1594: Balthasar El. Strana-
bergensU. Eb. 1671].
15. Fabian Thieden Rhefeldenais Mesomarchicas 1672'-76.
YocatuB e achola nostra ad mimas Pastoris in pago Wegendorff, coi
Qsqne ad mortem praefiiit, qaa occnbnit ao. 1600. yid. Notitia Pastomm
libro cnidam, qui asservator in templo Wegendorffiano, inscripta. [Als
solcher hat er, ^ie oben bereits bemerkt, 1577 die Eonkordienformel
unterschrieben, mrd er auch im Beokmannschen Nachlass erwähnt
Er masB der Lehrer des Mag. Andreas Engel gewesen sein. Eb. 1573].
16. Petras Tbiden Strausbergensis 1576—84. M. C. Gottschling
in Rebus Praeceptormn Neo-Brandenburgens. p. 10 et 11 de M. Petro
Thiden sequentia refert: IX. M. Petrus Thidenlns fhit Reotor ao. 1685—86.
Jam anno 1584 Patrononim beneficentia adjutus Magistri in Philosophia
titulo honorator: an vero Rector etiamtanc temporis ezstiterit, certo
afifiimare non possam. Aliqnotles posthac Senatorio dono ornatos legitar,
cum Discipulos actibus oratoriis pablice exercuisset. — Er kam von
hier nach der Newenstadt Brandenburg zum Rektorat, welches er auch
noch 1585 verwaltete; seine Ehefrau hiess Anna Beumichen, so annoch
1601 na( h seinem Absterben am Leben war. Er hatte dem Magistrat
im .Jahre lo8l3 ein Capital von 850 fl vorgestreckt^), worüber nach der
Zeit, alss solche Post der Kirche zu Brandenburg cessirt, viel wieder-
willen mit dem Hath hierst-lbst vorgegangen. [FM 1573. Er unterschrieb
während seines Strausber^er Rektorats die Konkordienformel. In den
Beiträgen zur Gescliichte derSaldria, Brandenburg habeich iim zu
meiner V'erwunderun^ verniisst. Er muss 1599 gestorben sein, denn
erst von da ab quittirt seine Witwe über den Empfang der Zinsen, nach
ihr der Brandenburger Rat].
17. Andreas Engel Strausbergensis Patricias 1584 — 86. Scholae
Neo-Brandenburg; Conrector ao. 1587 inauguratus. Conf. ( belehrten
Lexicon pag. 164. Schultz de claris Marchicis Dissert: Schlicht liorariun
Subsecivar: Part. I pag. 144 sqq. Güsterus in collectioue Opusculorum
*) Von defartigtD Arbdtmi Htnnderimaiks iit nielite im ArobiT ta fladen. —
") Kb. 1565: .,1 scliock 42 gr dem Schulemeister, das er das positiff an den beigen gebcflaeit
vfi'l ein ppgitter ilruinb gctiiarht lisift," — Steht in dem AiitenstOck „Kchnldonwerk
des Ratha" verzLnciinet -- Kin Petrus Tliitien, ytruusbergentiia, ist 1584 in Wittenberg
immatrikoUrt worden, (WM, ed. Friedländer U.) daa ist wohl sein Sohn gewesen? —
28
B. Seiffert:
Histo riain Marchicam illustr. P. 1 pg. 19. — NB. Er hat nacli seinem
selbstoigenen Zeugniss in Talmla Genetbliaca 0 Jahr lang an der Schule
zu Sti'aussberg und in der Neuenstadt Brandenbui'g gestanden. Ab
anno lö92Inspe( t()r Strausbergensis dioecesis, pe.ste obiit 1 598 d. 9. Augusti.
[FM 1573 depositus non iuratus, postea iuravit. Bevor er 1592 das
Strausber^er Pfarramt antrat, war er einige Monate als Hülfslehrer am
(Jymuasium zum grauen Kloster in Berlin thätig^). — Als 14 jahriger
Knabe verlor er Eltern und Geschwister durch die Fest und scheint
infolgedessen eine beträchtliche Erbschaft angetreten zu haben;
wenigstens gehörte auch er zu den Gläubigern des Rates, welchem er,
wie Thieden, 350 fl lieh. Über seine Persönlichkeit, besonders aber seine
Bedentang ids mftrkisoher Qironist wird eine dernnftchst in der Branden-
bnrgia efschüntnde Arbeit des Herrn Oberlehrer Pieper-Berlin sieb des
Mehreren verbreiten, welcher vorzugreifen ich keine Yeranlassong habe.
— Sein Grabstein steht rechts hinter dem Hochaltar, s. oben 8. 22.
18. Matthias Schlichthawer Lichensis 1586. [FM 1580
M. Schlichtoveros].
19. Joachimns Westphal 1587—91. (Stottinensis nach FM 1582].
Conf. Gelehrten Lexicon pg. 1522. NB. Im Jahre 1600 hat dner dieses
Nahmens als Prediger xn Voltskendorff und Polcho anter dem Alt Stetti-
nischen Arobte gestanden, welcher bey dem Leichbegängniss Herrn
Johann Friedrichs, Hertzogen in Ponmiem, mit za grabe gefolget, wie
die Leichpredigt beEenget*).
20. Elias Elettenberg Straasbergensis 1591—93. Natas patre
Jacobo Eoelesiae nostrae Diacono. [FM 1578 non inravit]^. Anno
1593 d. 21 Jnnii vocatnr ordinatnrqae Diaoonns Freyenwaldensis, id
quod docent Indices Ecdesiastici Berolin: ad Divum Nicolai de hoc anno.
Praefuit ibidem huic muneri nsqae ad annum 1598.
21. SebastiannsLnckow, Alagdeborgensis 159ä— 95. (FM 1590:
Lacke].
22. Mag. Hieronymus Schiukopff 1595 — 98. Gebühren zu
Gotha in Thüringen ao. 1565. Sein Yater war Hier. Schinkopff, ein
wolangesehener Bürger und Riemer daselbst. Er legte in dem Gymnasio
seiner Vaterstadt unter dem damaligen berülunten Rektor Wilken den
Grund zum Studieren und zog ao. 1587 auf die Universität Wittenberg,
woselbst er folgenden Jahres ölfentlich zum Magister Philosophiae creiret
wurde. Ab anno 1598 Joliannis diaconus. [Als solcher blieb er bis
lt)17, doch wegen heftiger Zänkereien mit dem Inspektor Andreas Püttius,
*) Heidemann, Gesch. des grauen Klosters zu Berliu S. 13] , nennt ihn unter
den KoUegen des Jahres 1691. — *) Kb. 1687: „des newen sebnhneigtera geretlein
Ton franckfurt geholet. " — ■) Sternbeck 8. 100 bemeriEt, dass nach dar Notis Kb. 1586
— die Rechnungsakten l^Tü— S'C fehlen jetzt — diesem Elias Kletteiibcrg eine Summe
Geldes zur Beförderung seines Studiums vom Batbe geschenkt worden sei.
Die 8tniiftb«rg«r Stadtiehnla.
29
die besonden um 1612 zn Beecbwerden nnd weiÜ&iifigeii Untersudiimgen
ffthrteii, legte er 1619 sein Amt nieder mid übernahm die Pforre in
Jahnsfelde bei Mfincheberg, wo er hochbetagt starb. Eine seiner Töchter
war mit dem sp&teren Rektor Winzerling verheiratet].
23. Martinns Campen Straosbergensis 1598—1604. [FBC 1583
depogitns, inravit 1592] postea 1609 in Magistratnm reoeptns, ab ao. 1610
jndBK, 1613 consnl, ao. 1627 obüt^.
24. Joachimns West hovins Perlebeigensis-HiarchicnB 1604—10.
Katns 1580, zog ao. 1601 anf die UniTersitat Frankfort [FM 1601], wo-
selbst ihm der Magistrat die Yocation zuschickte. Wurde 1610 zum
Fredigt-Ambt nach Grossen Macheno und Gramsdorff von denen Herrn
von Flanssen beruffen.
25. Ambrosias Hoppe Straosbergensis 1610-13 [FM 1590],
deinde pastor in pago vicino Kehfelde, wo er bald darauf starb
26. Laurentius Enstachius Palaeo-Landsbergensis 161B — 15,
deinde pastor vocatus in pagum Petersliagen et Eggersdorf usqne 1644,
quo morte abiit [d. 8. Januar*)].
27. Martinns Lisegan«: Spanduvionsis IfJIo [FM l()04; M. Leisen-
gangus Don inravit], desinit 1616. Anno [1616] ad munus Concionat:
in pago Wegendorff prope Palaeo-Landsberg vocatus, cui adhuc 1628
praefait.
28. Georgias Rülichius Teniplint'nsis 1616 [FM 16UI non inravit
per aetatem, dann 1615]. 1617 ad pastoris munus vocatus in pagos
Hohenlinow et Tornow.
29. Petrus Arn isaous sive Arent^jehe, \Vi itzijnsis 1617 [FM 1611],
\<>catus e schola Kuppiueusi, eodem anno munere se abdicavit. Kenuu-
ciatus hoc eodem ao. 1617 Pastor. [Wohin? Sterubeck S. IUI meint,
nach Wriezen].
30. Erne.stus Hettlingius 1618 [FM 16U1: David et Ernestus
Herlingk Mittenwaldeuses per aetatem non iurarunt] de sehola [»atria
Mittenwaldensi vocatus, die 20. Mart. introductiis ). Patriam atque
parentem ejus, Virura ibidem Consularem, Mag. Xitol. Ticutliinger ' )
Conimentar: üb. LYI praedicat sequenti: ,Mitteii\valduni, civita.s, nostris
studiis benigno at<[ne amice favens, in ((ua David Hettlingius Consul,
omnium studiorura Patronus et Mecaenas, ex antiqua et nobili Hetlingo-
') Siehe auch Ahschnitt III. — *) Perlitz: ,.Au8 diesem angehängten — ins kann
man ersehen, daas hier die Zeiten eintreten, wo man sich durch solche SUbenundung
ein gelehrteres Ansehen geben irollte''(l). — *) Ein Ratsherr Casper H. starb 1001. —
*) Kseh dem Aidisag des Bedcnuuinschen Nachlasses. FM 1682 nennt einen OhrisÜ*
anns Eustachius PalaeoIsadsberga-MarchicuH, non iuratua. — ') Eb. 1618 erwähnt
die .Tntroducirung des neuen Rectoris Annisaeus" und Hnttinpiiis. — Einem
Magister Balthasar L. verelirt der Hat nach Kb. 1595 ein Cieldgcschcuk, „das er dem
Käthe etwas gediuckts liatt zuguscliriebeu' . Solche Dedicationen regnete es damals
fOnnUch. — S. aodi S» 88 Anm. 4.
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B. SfliffurC:
mm in Helvetia famOia, cajos etiam Mnnstenis memimt, oriimdiis, cam
amplissimo Senatoram aetema lande dignissimonmi ordine hoc agit, at
Inntriiim effloreat in secnra felidtate, crescat in felici augmento, in
conaervata gloria persistat Semper ex omni parte beatnm et jnia Deo
grata atqne jncnnda dvibnsqne saintaria procedant. loc. eil pg. 53.
31. MarcuB Blesendorpb 1618—22. Natns in Praefectora —
anf dem Amt und Hansa -~ Wantskow sita in Dncatn M ecUenlnirgiGO,
Pfttre Georgio, Pastore animarom ibidem fidelissimo [FM 1602: Israel
et Marcüs Bl. Neobrandenbnrgenses fratree, pneri non iorarnnt]. Anno
1615 d. 29. Jnlii nomen sunra dedit Academiae Wittenbergensi in eaqne
stodiomm cnrsn feliciter absolute ad mimus Rectoris Straosberg: vocator,
quod cum per quadriennium fidelissime administrasset — desinit anf
Marien 1622 — [scheint er das Amt des kurfürstHchen Ziesemeisters
erhalten zü haben], in consulem Civitatis 1632 eligitur, 1635 camerarins,
1636 judex, 1639 consul dirigens, eodem anno obiit*)
[Von ihm sind noch folgende Schriftstücke im Archiv erhalten:
a. Gedruckte Bescheinigung des Rektors der Frankfurter
Universität Setsems fiber Biesendorfs anf Grund einer Prfifnng
erfolgte Immatrikulation:
Rector Academiae Francofortanae (Hiereroias Setserus,
Philosophus et j. a. Doctor, nec non Institutionum Imperialium
Professor Ordinarius p.) '•') Omnibus hasce lecturis et auduris [sie!]
salutem. Ut qnos ad laborem et periculum accipiunt castra, non
passim aut temere oblatos adsumunt, sed fastidiose legunt: sie
quos ad disciplinam et vitae hamanioris cultuni Musae sascipiunti
probari primum a Magtstris volunt: nt accepto indolis idoneae
et tolerantiae symbolo in namei*os Phoebeiorum militnm referan-
tur. Atque eo quidem consilio ritas initiationis sacroruni litera-
riorum non ea levitate, (pia plerique, nimis leviter ctnisent, a
sapicntissimis receptus, a gravissiinis probattis, a doctissiniis et
studiosissiinis iisuri)atus est, ut in nostra quidein Academia,
siciit fen' in (juihiisvis optime constitutis alijs, jura Universitatis
nemiiii per dcpositionis — ut vocant — exainen iion probato
cominunicontur. Cum vero apud nos etiam (Marcus Blesendorflf
Neo-Braii(lrliiirgüusis) examirii isti so subieei'rit, et non coutem-
nendum ini^vnij et doctrinae spccinifn pro aetatis couditione
ediderit, in civiuui uostrorum censuni ouni adscrijisimus: et jura
illi a .siimmis priucipibus concessa sciontos pi udentesque communi-
cavinius. Quod iudicio praesentium omnibus testastum cupimus:
*) Nach einem von Bürgermeister Andreas fijcbuflter (f mit dem Motto
„Supra crepidam sntor ne jodioei'' begonnenen YeneidiniB der ^MAapmmtm, weld^es
Perlita gerettet bat. — ^ Pm hi () Stehende ist geacfarieben. —
Die Stratiflbeiger Stadtodnde.
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quas pleniorU fidei causa Rectoratos nostri sigillo confirmanimas,
datas Francofiirti ad Viadram Mense (Maiüo) Die (20.) Anno
(1608)« »).
b. Matrikt'l von der Universität Wittenberg:
„Acadeniiao Wittcbei'gonsis Recton; Valeutino (iiiil; Forstero
J. U. D. et Protess; |»nh!ir(». Nomen suum lep:itinif iirofcssus,
nuinero disceutiuiii doctriimm coelest^m et artes Ilcclesiae vitae-
que hiinianae uecessarias, postqnani obedientiain legibus Acade-
• • miae sancte praestandam proinisisset, ad8crij)tus est (Marcus
Blesendorphius Neobrandeburgo - Megalopolit:) Id (|Uod literis
hisce Academiae sigillo pnblico nmiiitis testanuir, quae dabaiitur
Wittebergiae die 21) niensis Julij Anno a uato Christo MDCXV".
c. Ein Zeugnis, welches ilim der Rat über seine vierjährige
Wirksamkeit im Rektorat ausgestellt hat:
,,\yir Bürgermeister vndt Rahtmaone der Stadt Straussl>ergk
Geben mit entbietang vnser Schuldigen ynd geflissenen willigen
Diensten Allen ynd Jeden dieses offenen Brieffes Ansiehtigen,
woUmeineudt zuuernehmen, Das vor vns bey versambleten Rahtte
erschienen der Ehrbar Wollgelerter Ehr Marcus Biesendorff
itziger Zeitt vnser J^cliuelen Rector, berichtende, wie ihme zur
vorstehenden veihoHten gelegeidieitt srhrill'tlicher Schein seines
Wandels vnd verlialtens bey vns vonnötten, Denselben ihiiie vFiter
Vüseru Stadt Siegell mitzutheilen fleissiß: gebetten, Wau nun an
dehme, das wir vor vier .laiiren liey erledigtem Kectorat vnser
Schneien, wolbenanten Marciini Jilesendorff eines Pfarhern Sohn
zur Wantsche, auff voriienier Leiitte Commendatiou vociret, der
sich auch dazu bestellen vnd biss dato gel>rauchen lassen, seine
aubeuolene discipnlos mit reinem ( iotteswortte vnd in freien
Ktlnsten fleissig intbrmiret, sich •»fitere in Predigen Exerciret,
auch sonst fromb. Ehrbar vnd friedtsamb erwiesen, also das
mau sich vber ihme garnicht zubeschweren, sondern do es seine
gelegenheit were, Ihn lenger bey vnser Schneien, auch woU, wo
es nott, am Predigtampt gerne befördert sehen möchten, Der-
wegen weiU wir die vnserigeu, vornehmlich die wolbedienten,
SU ihren Besten subefordem so schuldig als geueiget, haben wir
ihme solch begehrte Testimoninm gönstiglich mitteilen wollen,
Gelanget demnach an alle vnd Jede Steude, erfönleriing
nach, so mit diesem vnserm offenem Schein ersuchet werden
möchten, vnser dienst vnd fleissiges Pitten, dieselben wolten
diesem vnserm Schein wahren glauben zustellen, Ihme vor.andem
'} Anch die Hatrikd fttr Beinen Bmder Inrael, v<m gleichem Datam, ist erhalteb.
^ ij . .-Lo Ly Google
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alle günstige befördemiig Vorschub yndt Aufüiahme erweisen,
Tnnd dieser vnser Intercessionsclirifi't ^) einpfindlicheD geniessen
lassen, Dasselbe wollen wir vmb einem Jeden in dergleichen
ynd andern fällen zaerwiedem geflissen sein,
Uhrkundtiicb . . . Aetom Siranssbevgk am 26.^ Septombris
Ao. 621. —
d. Eine Salvagnardia^ vom 6. November 1637 „f&r S. Ch, BchL
Ziesemeistem, wie anch Richtern der Stadt Stranssbeiffk Marcoss
Blesendorffen Man soll in bemeldtes Zlesemeisters ....
Behansnng kein Quartier, es geschehe anf wass Weise vnd vnter
wass praete3ct es wolle, nehmen, ihn anch mit vnreohtmässiger
Contribation, exaction, Brandschatsnng, Plaggerey, Plünderung,
Begehmng einiger An- vnd Yoispannnngen, viel wemiger Ab-
nehmnng der Pferde, Viehes, Getreydichs, vnd andrer Mobilien,
weder vor sieh selbst keinesweges beschweren, noch andern
solches zuthnn gestatten, sondern ihn vielmehr hierbei vnd damit
er die ihm anbefohlene dienste vnpertnrbiret vnd in Frieden be-
stellen möge, schützen vnd handhaben
B. Baccalaurei, Cantores 1566—1624.
1. Pt'trus Pnlmanu, 1556 vocatus auf Ostern, suocessit ao.
.se(iueuti Freitags nach Oatharinen Martine Gnewickow in Reotorata
[Bekt. %
2. Martin US Sieben Bernburgensis 1564 [FM 1552] desinit ao.
1566 Fest. Michael: conf. Gelehrten Lexicon pg. 1055. [Kb. 1564—66].
M. JacobusBrabaut 1566 Fest. Mich, vocatos desinit ao. seqn.
Fest. Mariae Annunc. [Kb. 1507], quem sequitor
4. Thomas Schroedcr Strausbergensis 1567 [FM 1561J qulFest
Job. huj. anni desiuit. Eodem tempore
5. Kr asm US .SchustfMMis löf')?, desinit 1572 [wurde dann 1573
Stadt^clireiber, trieb auch Braunahrung und versah 1574 noch das
Oi'ganistenamt') Kb. 1567—71].
6. Laurcutius Horn Pesnicensis [FM1Ö67] 1572 Simonis et Jude
accessit, ao. se»]. desinit. [Kb. 1572].
7. Jacob US Schwartzkopf f Bricensis [FM 1567] 1573 vocatus
Annune. Mar., desinit 1574 Fest. ann. Marie. [Kb. 1573].
S. Jacol)Us Dirberg 1574.
0. David Schmidt Nauwensis 1576. [FM 1574: non iuravit, dedit
nihil, pauper et miser; unterschrieb 1577 die Konkordienformel. Es ist
0 Fflrsprache, Empfeblungsbriet *) Schntsbrief, Geleitabriet — *) Kb. 1674:
„1^ fl fön Oigeböhlagen auf ein vierte Jahv Aamiis schiuteri ynMOg alter flehnele-
meister". —
Digiti^üG by Lj^jy-^L'^
DI« StaMubMgar Stedtoidniltt.
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nicht eruchfÜGb, ob er bis 1686 im Amt geblieben oder eine Vakanz
des Gantorats eingetreten ist].
10. Petrus Hoppe ADgermuDdensis 1586—93').
11. Bartholomaeus Andreas [Strausbergeiisis, FM lö',)l] lö^Ji,
desinit 1594 Crucis, quo anno Pastor Eccles. Gartziiieusis, Diacouu.s
Ecclesiap Strausbergeiisis postea 1603 Bucoviensis conatitutus est,
postea pastor ibidem et vixit adliuc lOlT.
12. Matthaeus Kindt Strausl).Mf?ensis[FM 159l>J 1594— 118. [Jm
Sterben" wurde er zum Subdiaconat befr»rdert, aber l)ereits IIUJÜ wegen
eines Exeesses beim Abendmahl seines Amtes entsetzt. Später bekam
er die Pfarre in Prädickow]
13. Paulus Wo de II 11 Solt vvcdelensis 1599 — KiUl. Er wurde von
hier nach Berlin als Baccalaureus des Gyninasii im p:raueu Closter be-
nifen, alwo er an die 30 Jahre gestanden und endlich ao. lliiiU d. 14. Juny
gestorl)en und daselbst in der Closterkirche begraben worden. S. Kirchen-
Register zu St. Nicolei, item Murt. Diterici Berlinische Kloster- und
ScUolhistorie pg. 359 [und lleidemann a. a. 0. S. 140].
14. Ambrosius Hoppe Strausbergensis [FM 1590] 1602—10»
deiade rector [Kekt. 25].
15. Joacbimus Hesse, natus Gardelegiae, vocatas e cantorata
Neostadio-Eberswaldensi bnc ad idem mnnns iöiO, mortans ao. seq. 1611
die 15. Jannarii.
16. Johannes Götzke Strausbergensis [FM 1602] 1611 [starb an
der Pest, Stembeck S. 104]«).
17. Georgine Willebrandt, Leontinos-Marchicns, accessit 1611
e Francoiurto, seq. ao. mens. Mari avocatos hinc Perlebergam.
18. Casparus N. 1612, eodem anno a mnnere remotos — ent-
mrlanbet — per Oonsnles.
19. Jacobns Bier, Boetzensis videtur, lölS-^H. Ist vielleicht
ein Sobn Joachimi zn Berlin 1596 oder Bartholomei, Predigers zu Stendal
and Borstel nnter Tangermünde 1600.
20. Ambrosius Müller, latme Mylius, Navena-Marchicus, lf)14,
abüt Joh. H)i7 Neoruppinum ad Cantoratum, cui et adhuc anno 1619
') FM 15-'^4 enväbnt nur einen Lucas II. ;uih AngerniHnJe. — *) AnfFallender
Weise fehlt B. Andreä in der Keibe der Strausberger Diucouen, sowohl bei Perlitz als
bei Btombeck ; auch Beckmanns Naclilasa nennt ihn nicht: ich möchte die Hundert-
nukadra NMluri<dit al« die snverlUaigere beibehalten, da Pmiits-Sterabeek ancb sonat
IrrlGmer in Peraoiialfragcn begehen. — •) Beckmanns Nachlass. — *) Seine !Matter,
die Witwe des Diaconas Gcoiirins Götzke B/Uzoviensis, dessen latciTiiscbe Onlinations
urkonde, Frankfurt d. 12. Is<)vl)r. 15^1, im Arehiv erhalten ist, scheint nach Strausbeig
dbergesiedelt zu sein. FM 1G09 führt einen Andreas G. aua Strausberg auf. — ■
A. 8
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euin pniefuisse docet Fridericus Baxe in labilaeo Ecclesiae re.sonant;
Scliola Kiiji|.imMis: ])i>; 211 § 14, immo adbuc ao. Iü27 superfuit, quod
probat cannen ab i|)SO confectiiin.
l^K Jobaiinps Wagnerus e scliohi l'(»ntaiia 1617 — -'2.
22. iJaiiicl Ii olle e scliola Buckowieusi 11)22 — 23 [war s])ater
Bositzcr (It's FiHMliaust's am Kloster iiiid hatte woj^oii der ihm aufge-
bürdeten l\ 1 i( uxlastcii viel Streit mit dem Kate. cf. Steriibeck S. lUö].
23. Barth uld US Brau dt iü23 — 24, vocatus ex Belitz.
Um einen Anhalt fär die Beurteilung der Frage zu gewinnen, ob
denn nnii die Sdiule dieser Periode etwas geleistet habe, lasse ich als
zuverlässigsten Massstab du Yerzeichnis der Strausberger Schfiler folgen,
welche nach beendigter Vorbildung in den Jahren 1544» 1626 auf die
Universitäten Frankfurt a. O. und Greifs wald gezogen sind.
1. Frankfurter Studenten aus Strausberg [nach FMJ 1544 — 1622.
1544: Joannes Seei^ei-. p. at-t. iuramentum n«m praestitit.
1549: Andreas Korthe [s. Hekt. 2, £in Hans Kouhe war 1^)37 Rats-
herr; der regierende Bürgermeister Paul K, starb 1549 an der
Pest].
1552: Joannes Boel. Steiihanus Strenger*) [nach Beckmanns Nachlass
lölil) — 77) Pastor in Rüdersdorf, wo er starbj.
ir)(')l: Thomas Schröder [Kant. 4].
löOO: .Toarhimus LevenVieri^k. Bartholomeus Klein.
1507: Petrus Schutte (wohl ein Solm des ersten lutherischen Diacoims
und nachherigen Pfarrers Matthäus Schütze, der 1563 starbj.
Blasius Bodicker.
15('>H: David Fabricius ])auper. Thomas Behi-ebohm.
1501): Martiuus Faltricius.
1570; Melchior Piilemann [s. Rekt. '.). Ein Johaini Pulinann war 151)5,
ein llans Fulmann 1575 — 151IH rej^iereiider Bürgermeister], l'etrus
Metkow. Beuedictus Wiprecht lEin Bürgerm. Mattheus Wiprecht
starb lljOlj.
1571: Otto Schutz, ])uer, iuiavil et cuniplevit prorectore Origano lOlKiQ
[Sohn des .Stadirichters Martin Schütze, der 1(jü8 als Bürgermeister
starb].
1593: Valentinus Henkel.
1573: Andreas Engel, non iuravit [Rekt. 17j. Augustinus Gorus.
Mattihaens Pulmannus. Petrus Thiden [Rekt. 16].
1574: Martinus Wiprecht Petrus Andraeas. Petrus Wernitins.
M Die FM bat die beiden Eamiliennamen, wohl Teraebentlich, mU einander
vertai}flcbtt —
Die Strausberger Stadtscbale.
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1575: Tliobias Andreas. Joachimus Lintholtz [Sohn des Bürgerinst
Andreas liintholz].
1577: Mattheos Dregerus [cf. Bekt. 7].
1578: Valentiiiiis Belendorf. Tobias Barne. Elias Elettenbergk, non
iuravit [Rekt. 20].
1579: Thomas Metsdorff. Ohristophorns Pincerna [s. zu Rekt. 4].
1581: LanrentiiM Vos. Jacobns Gericias [Walff Oerieke 1544—75 BOrger-
meister], iuravit 1591.
1582: NicolaDS Gericins [wurde 1603 Ratsherr, 1604 Bflrgermeister und
starb 1613].
1683: Martinfis Eumpen, iuravit ao. 92 [Rekt. 23]. Andreas Lam.
Jaoobns Hofman [s. auch oben unter Tertiani].
1584: Andreas Pauli. Abrahamus Geritins. Jonas Meizdorff.
1586: Wol^ngns Schrdtems [cf. Kant 4].
1587: Adamus Praetorius.
1588: Andreas Flotener.
1590: Ambrosius Hoppe [Kant 14. Rekt 25].
1591: Bariilolomeus Andreas [Kant. 11; die Familie Andreas war reich
und angesehen; Jeremias war 1596—99, Antonius 1599 — 1600,
Tiucas') 1004—14 Bürgermeister].
1592: Mattliaeiis Wiprecht Matthaeus Kindins [Kant 12]. Martinus
Geritius. Bartholomaens Liibenaw.
1593: Andreas Schmit. [Andreas Fabriciiis 1606 Ratsherr, starb 1626
als Bürgermeister]. Matthias Lindebergins. —
1594: Balthasar Klovitz [s. zu Rekt. 14]. Petrus Tragerus. Andreas
Grosskopf. Daniel Riitenig. Joachimus Tegeloffms.
1505: Georgius et Joannes Laiiib fratres [Job. Lambinus KUKJ Kämmerer].
1596: Petrus Hannovins. Matthaeus Roseuthal. Jacobos Schusterus
[Sohn des Krasmus Sch. Caut ö ?].
1599: Ertmaiiniis Kan.
Ifi(X): Jacobus Haube. Georgius Andreas.
lOOl : Christopliorus Schmidt.
16U2: Martiüus Ilencejus. Jacobus Mattheus. Joannes Götzke, complevit
et iuravit ao, 11)07 [Kaut. IB].
ir)ü3: Casparns Tliidenius, iuravit KJll [s. z. Rekt. Iß],
li){\4: Georgius Hasse. — KiUÖ; Erasmus Geritius, iuravit lt)i4.
1(>Ü8: Joachimos Spiegelbergias. Andreas Neander.
') Beckmaim NachL: „Dieser bat dem Inspector Sebastian Frlediielk viele imbes
tenebricoMS erwecket, anoh tanqaam importona Bana mit seinen aculeods ao Viperlds
Dicünncnlis endlich so weit gebracht, dass er 1607 ab ofAcIo ronioviret worden. Dem
Bürgermeister aber ist poena talinnis widt'rfahren , indem er wieder von seinem Amte
deg^adiret, und endlich sein Keichthum zerronnen und in grosser Armotli, da er sich
fast das Brot erbetteln müssen, gestorben''. —
8»
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B. Seiffert:
lß09: Andreas Götzke. — UilO: Jeremias ADdreas. — 1611: Joannes
Nicolaus.
1614: Petrus Ludicke, non iuravit propter aetatem. [1623—38 Diaoönns,
dann bis 1658 Pfarrer und Inspector. Sein BÜd hängt in der
Sakristei der Marienkirche mit der Inschrift: Est et erit in Deo
Christo spes et salns mea]. Joannes Setiems.
1615: Georgias Fabricius. Christiamis Fiibriiius, non iuravit [Rekt. 85].
Simon i'asclia. [Bendix Pascht', seit 1608 im Rath, starb 1615
als BürgernicistiT]. Bartholoinaeus Lange.
1618: Abrahamu.s SorodHi-us. [ßartliol. Schröder 161U Ratsherr, 1()2T
Bürfj^t'niu'istcr. |m st« obiit den [). Okt. 1687]. Joachiinus Liudow.
1611): Matthäus Kindt [s. zu 15H2]. — 1620: Abrahanius Golpius.
1621: Elias Lemmichius. Jacobus Fabricins [s. sa 1Ö93J. Thomas
Hulsekoppius.
1622: Matthaeos Dabercovius. Jobannes Scoltetus.
Im ganten 92 Studenten, die auf 80 Jahre zu verteilen sind, —
eine stattliche Zahl, ein Beweis ftir den Wohlstand vieler städtischen
Familien und das frische, freudige Streben nach Bildung, zu deren
Förderung die Lehrer an der Schule nicht wenig beigetragen haben
müssen >).
2. Greifswal der Studenten aus Strausberg.
Die Greifswalder UuiversitiitsinatrLkd nennt aus diesem Zeitraum
nur zwei Stiausberger-), 1()21: Martinus Abiahaiiius Goltze ^trutiuuion-
tauus und 1<>2I): Zacharias Schuitze Struutsbergensis, gratis iuscriptus
et quia puer, non juravit
in. Die Schule wUirend des SOjahrii^eii Krieges.
Die trübseligen, folgenschweren Zeiten des d reissitrjährigen
Krieges beginnen für StiMusWcig mit dem daiire ItiL'C). Welch grosses
Elend damit über die unglücklichen Einwohner hereingebrochen ist, lässt
sich mit ein paar Worten nicht schildern; um des Jammers ganze Grösse
') Wahrend dieser Zeit studierten dort ans: Bernau 225, Buckow fvO, Ncustadt-
Eberswalüe U3 — die Matrikel Itost aber nicht erkennen, wieviel davon auf Neu-
stadt «. D. und Neoatadt L 8cbL entbllen — Ereienwalde 48, Alt^Landsberg 6, Manche-
beig 97, Sedow 38, WiieMo — dnselü. Trcaeabri«tsea? — IM, den DOfllem dM
Oberbarnim 49, den adligen Familien v. Barfuss 0, v. Krummensee 6, Pfnal 14|
V. Röbel 11. — ') Aus Bernau 4, Wrieren 3, Freienwalde 6, den andern genannten
Orten p. keinen. — Die Wittenberger Matrikel I, l.")0-2-<in, nennt uu8 Benum 11,
Alt Landäberg 1, Müncbeberg 1, Wriexen 2, Bollensdort I, liruuow 1. —
uiyiii.ied by Google
Die Struisbeiger SUdtocholo.
87
zu verstehon, bedai-f os einor gründlichen Yertit'fung in das Aktoilr
material, das jenen traurigen .Jahrzehnten entstammt').
Infolije der ^erlitttMien vielfaltigen Durchziiere, Märchen, Einquar-
tierungen und Plünderungen, Contrihutionen und Exactionen" wuchs
die Not von Jahr zu .Tain', wurde der Verfall immer fühlbarer und
gewisser und die Bevölkerung zur Verzweigung getrieben. In Scharen
zogen die liürger fort, um den Kriegsgi'eueln und Kriegeslasten zu
entgehen, unter den Zurückbleibenden hielt die Pest wiederholentlich
eine grausige Ernte 2); die im Jahre ltj43 noch vorhandenen 27 Bürger
(die Ratspersonen mitgerechnet) gingen ernstlich mit dem Gedanken um,
satnt und sonders mit Sa( k und Pack, mit Weib und Kind von Haus
und Hof zu wandern und die wüste Stadt zu überlassen, wem sie ge-
falle. Betrng doch der Gesamtschaden von \i}'2^ — l'ö na( Ii einem „speci-
ficirten verzeigni.ss, was diesem Stetlein an Contributiouibus vnd andern
vielfeltigen gebens auftgcgangen, so kegen der Kriegs-Canzley ein-
geschicket", nicht weni^t r als 44 '27 8 Thl, und l()4)} stand an unbezahlten
Schössen und „wachenden Zinsen'' die anständige Sunnne von 24 U47
Thalern als Rest an. Dieser „elende und agonizirende Zustand des
armen, ausgemei'gelten Stetleios'' wurde allerdings von mehreren kur-
föntlicben Eommiflsarien gebührend anerkannt, — wer aber h&tte in
der Zeit der allgemeinen schweren Not wirksame Hülfe bringen kdnnen?
Es ist ganz selbstverständlich, dass anch die Schule unter den an-
gedenteten Drangsalen schwer zn leiden gehabt bat, dass, wenn die
kriegerischen Aktionen Freund oder Feind in die Mauern der Stadt
warfen und zusammendrängten und Kriegsrecbt und Landsknechts-
Übermnt alle Bande der Ordnung sprengten'), Wochen und Monate
lang der Schulnnterricht unmöglich gewesen ist; und doch — es ist zu
verwundern — hat die Schule mit ihren Lehrern ihr kümmerliches
Dasein währenddem gefristet, und nur in den Jahren 1638--42 war
weder ein Rektor noch ein Kantor vorhanden, vielleicht auch keiner zu
erlangen, so dass der Pfarrer Christian Faber in Wesenthal, ein geborener
Stransberger und von 1628^31 Rektor, sich der verwaisten Schulkinder
mitleidig erbarmte und die vices rectoratns et cantoratus während
dieser 4 Jahre versah. Einige zeitgenössische Aufzeichnungen mögen
zum Beweise dienen.
Stadtschreiber Kalle^), der einen „Aufsatz" über die Eriegsereig-
nisse 1626—28 im Archiv niedergelegt hat, erzählt von den Greueln,
') Dasselbe ist vm mir bereits vollständig vi i arbeitet und harrt mir der Druck-
legung in dieser Zeitschrift. — ") Von 222 Bürgern waren 1028 nur noch 9ü „im
Qaartier, 1G38 gar nur 2U Borger, „von dfliiai 7 mit der Pert infldret". — '/ „Aveh
der TogehoTBun abo vlrarhandt genommen, Dms Kdne Paritton mehr erfolgen tbatt".
— «) Er wurde 1647 Stadtschreiber, 1660 Bichtcr und starb 1679: aeine fleiaaigen
Arbeiten haben groesen Wert Ittr Stranaberga Oescbichte. —
^ ij . .-Lo Ly Google
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die gelegentlich der nülitärischeii Beitreibung eines Kriegssteaerrestes
durch ein Kommando d(>s Biirgsdorflfschen Regiments (Brandenburger!)
in den Teigen des 10. — 14. November 1026 begangen worden sind: „Was
diese Kerle in mittelst, weil sie hier gelegen, vor Übermutb und Muth-
willen verübet, ist k:iuiii zu glauben, denn sie bei dem worthaltenden
Bürgermeister Martin Gumpen dessen Ehefrau neuerlichen in fJ Wochen
kommen, ein solch Unfug mit Verf^iessung des Bieres, Fluchen und
Gotteslästern gi'triclK'ii, dass kein Mensch bey ihnen in der Stuben
bleiben dürfen. Da der Leutnant Clement, dem es geklaget, ihnen gemach
zu thun untersagen lassen, seiud sie fast ärger worden, hal>eii in der
Stuben ihre Musqueten geladen und gesagt: sie wolteu dem alten Schelm
— salva tarnen honoris ipsius — 3 Kugeln zii<^k'ich durchs J^üb schiessen,
dessen Concipient selbst gesehen und geh<>ret, ihm hernach, da noch so
viel erlauget, dass sie ander Quartier bckoniinen, auf den Abend die
Fenster ausgeschlagen. Von Bier, so sie vergossen, hats gleich in der
gantzen Stuben und Tisch und Banken übt-r und über geschwommen,
lu summa, es hat dieser eluliche, und um <lieser Stadt wolilverdiente
Mann von diesen Buben, weil er von ihnen bey der Nasen herumgetreckt^
grosse Schmach erlitten." —
Als Wallenstein zum zweiten Mal ("ilV-'* Juni IH'JR) in Strausberg
weilte''), — er zog dann weiter nach Stralsund, — nahm er selbst sein
Quartier beim liürgermeister Johann Ble.sendorf, einem Verwandten des
ehemaligen Rektors Marcus Biesendorf; aus seinem zahlreichen Gefolge^)
logierte ein Herr v. Vogadria bei „HaFis Ulrich Cantori" und des Herzogs
Vetter, Obrist v. Wallenstein, bei ,Martiu Lebmanns Witwe', der Mutter
des naehmaligen Cantors, der daanunal noch in Frankfurt stndierte.
Demnach wnrden die Lehrer, wie alle andern Bürger, mit
Einquartierung belegt.
„Den 13. Novbr. 1683*^, meldet Stadtschreiber Andreas Schuster»
„Ist Strausberg Von den Kayserlichen Soldaten vnd Sonderlich von des
Winsesi So zu Berkenwehrder bey S])ando burtigfc, sein Regiment —
Nachdeme die Bürger Sich znr Wehr gesets — erobert vndt 2 Tage
nach einander geplündert haben gantz Ynrnenschllch gehanset, franwen
vndt Juogfrawen geschendet, Viele Lenthe bis auf den Todt beschedigt,
die auch drum gestorben, wie sie dann weder Kirche noch Schalen
versehohnet, sondern alles, was sie gefunden, weggeraubetV-
') nOUm reotor BchoIae<<. Beckmanns NadblaM; «Dea 26. Decembiis m, 687
ist der Ehrcnveste und Wolgelnhrtc Herr Bflrgeniieister Martinus Gumpen, nachdem
er 18 Jahr im Raht gesessen, in dem Herrn sehlig entschlafen". — ') Zuerst am
7/8. November 1G27 auf der Eückreiäe nach Böhmen. — *) Uenau bei Beckmaim auf-
geführt. — *) Wie es dabei dem Pfarrer «md Inspector Andreas Pttttius ergangen,
schildert er sehr bewegUcb in einer Httschrifl an den Knrfaiaten d. ao. 1635: Well
dann Ich Tor sweyen Jahren von den Keyseilichen Orabaten viplOtsUch vbeiMien,
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Die Stratisbeiser Stadtschule.
89
Im Miliz l()^i7 bittet „Fridrich Aiulress, ( ■antor Schohie, bey diesen
Clagn<li''ii Zeiten inörbte ih'V ]h\t\\ seine besoidung dtM^h in etwas
ji!>trat;ou tlaniit vr Weib und Kinder eiiialten Ixöiine. Es seien ihm
zwar tViiif Tlialer versprociicii wordtMi, als er sie al)er „niifhebeu*' wollte,
seien .•-ie liereits zur Kontribution verwandt worden.
Der iieklur .Mattliäus S<-hreil»er verabscliiedet sich mit folgendem
Brief vom 20. Juli Ki.'JS: ^Sonsten ist es in allen Städten vnd auch hie
gebreuchlicli wie billij?, dass wen Ein ('(»lleu^a der Schuleii ablochet vnd
der Innterbliebeudo seine vices veriiclitet, auch sein Salarium lodert
gentzlicli. Vnd das würde mir in alle wege keine gerechtigkeit auch
nicht abschlagen, das ich iiemlich die IT Wochen nach des Herrn
Cantoris [des el»engena nuten Fridi-ich AndressJ Todt, da ich in der
Kiichen gesungen vnd aufgewartet, wie geziemet, dessen Salarium fodern
thete. Sölten die Herrn im Mangel sein, dann will ich mit der Hällfte
Geduhlt tragen, nur tlass sie mir wenigstens 4 Thl 10 gr zustellen
möchten, da ich in warheit nicht itzo eines Hellers Herr bin.
Und wünsche dieser Stadt vnd gemeine Schutz vnd Segen, teglich
sie aucli in meinen gebet mit einschliessend, ({ott wolle sie zu diesei'
gefehrlich bösen zeit für allen vnglück »ind weiteren ruin gnedig vnd
viitterlich bewahren. Dergestalt es wegen der pest nicht so ge-
fehrlich, ich mich in einer Valetpredigt liette schüldiger Ehren wollen.**
A. Rectores. 1622-l(j44i.
32. Jacobus ühle 1622— 24.
33. Clemens Lachmund 1(124 — 215, natus patre Adamo Pastore
Bergensi et inatre Anna Köpkeus. Anno l(>2r> pastor Richnoriensis*)
coDstitutus.
34. Johannes Styrius H)26— 27, Scholae antea Mittenwaldensis
Rector. Vocatus abhinc anno H)2T ad Dignitatem Pastoralem Zinndorf,
ubi de eo plura. adbuc anno 1035 fuit [und starb nach Beckmanns
Nachlass 1045J.
die Huaqoeten alsfort aalE die Bntt gesetst und 100 Rtbal. nntzion bcgcret, oder
mich auS der stelle ersehieaaen, oder gefangen hinwegfflhren vnd vbel tractiren
wollen ynd der Alhnochtige Gott, durch cim n Bfliger, niii h wimderbarHoli aus ihren
ben<1en errettet, Seiiul Sie in ineine i'fan wohnnni: mit luiulTen ein^'L-tuileii, Stmlier-
.stuben, Keller vnd Kamiuern autTj^ebrocbeii, Kist» ii vnd Kasten zerbawen, vnd zwey
tage uacheiiiander mir allen Vorratl» au Silber, yuld, Kleidung, leinen geriilhe, auch
8 Wiapel habero vnd l'/a Wsp. geraten binweggenoinmen, vnd dermaaeen atugeplnndert,
das nicht viel vbrig blieben, vnd Ich dahero in easaerater armuth geratben, leihen,
'borgen vnd kinder j^elder auft' Zins nenien müssen, vnd niicli in meinem alter, mit
niein<-m Wcibo vnrl funfT Siibnen, .so leb zur Sebule balle, weL^ n sotbaner nOnUcrung
vnd meiner geringen bcsuldung niebt notturlliiglich erhallen kann . . . ." —
*) Beekm. Maehl. erwtthnt einen Prediger Lachmund in Prädikow, der vor 1030
im Amt war. Tielleicbt ist dies derselbe Clemens L.
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40
B. Seiffert:
85. Christian US Faber alias Schmidt, Straiisher^^ensis [FM l(>ir)
Chr. Fabricius iion iuravitj 1028 — 31, post 1031 pastor in Wesendahl,
[cf. Rekt. 4ü].
86. Martin US Breslow, Quilitzeusis-Mesomarchious [FM 1615
M. Bre.sler c.x agru Quilitz put'r] lt)81 — 32, abhinc ad Dinconafum Buco-
vienseni anno \ihV2 vocatus est, quo vcro iiiunen' nitro relicto Pastor iu
Hermersdorf et Wulcko anno l()3ö cunstitutus il»i(kMn(int' biennio post,
uenipü anno 1037 peste confectus obiit cum omnibus domesticis. vid.
Christ. Colhardi Aram Enchar:
[Über ihn, sowie den gleiclizcitig amtirendon Kantor Martin Lehmann
beschwerte sich der Inspektor ITittins beim geistlit heu Konsistorium,
weil sie mit ihren Singsrhülern bis nacli Gusow, einem •") Meilen
von Strausberg entfernten Hinf, zu einem adligen Begräbnis ge-
wandert seien. Au und für sich scheint die holio Behörde gegen die
Sitte der Lehrer, mit dem Chor aucli auss« rluilb dvr Stadt zu wirken,
nichts eingewendet zu haben, nur um deswillen untersagt sie ihnen dies
Gebahren, „weil Gusow zur Inspektion Müncheberg gehöre", sie also
gewisseruiasscn über ihren Heziik hinausgegangen waren'). Gleichzeitig
— und das sind wohl die andei wt itigen gegen sie erhobenen Vorwürfe —
wird ihnen eingeschärft-), „in der Kirchen — darinnen der Kector
den Gantorem mit zu bestellen sich nicht entbreclien könne — zur An-
hörang der Predigt bis zünn Ausgang derselben zn verbleiben
nnd nicht vorher daraus sich hinweg zu machen, denn solches
gereichet zum Ärgerniss der andern Zuhörer, insonderheit der Knaben,
welchen sie billig mit gutem Ezen)pel vorzugehen nnd dieselben bevorab
unter der Predigt in guter Disciplin zu erhalten. — Bei den Tisch-
herren sollen sie sich nicht zn lange aufhalten und wider die
Gebuhr beschwerlich sein, sondern die Mahlzeit und das lange Sitzen
abbrechen und sich bei Zeiten wieder in die Schule begeben, damit d»-
von die Knaben nicht versäumt werden mögen, sie auch selbst desto
ftlglicher ihren Studiis und Meditationibus in ihrer Lection abwarten
können. — Und weil derselben Leute Kinder, bei denen die Schul-
GoUegen gespeiset werden, privatim und sonst viel gratis pflegen insti-
tuiret zu werden, so sollen sie es'aoch nachmals nicht anders halten
und von den Tisebherren wegen der Privat-Institution ihrer
Kinder nichts fordern'); Wörde aber Jemand ihnen aus gutem
Willen dahero etwas verehren, mögen sie solches mit Dankbarkeit wohl
annehmen und kann ihnen solches zu thun nicht verboten werden
37. Ludovicns Glasingius 1638, d. 11. April. 1634 mortem obüt
') über solche Landleichen s. Götze S, 185. — ») Bescheid vom 28. Februar 1639.
— •) Dadurch wird der oben näher begründete Zusainmeuhang swiBCbeo dea Frei*
tiflchen der Lehrer und dem sog. Privatunterrichte bestätigt —
üiyiiizea by
Die Stmoibeiger SUidtsehide.
41
38. Ghristianas Eil ertus BeesoovieiiBis 1635^87, deinde diaconns
Mfinehebeigeiisis. — Er erblickte das Licht dieser Welt za Bescköw den
]. July 1609. Sein Herr Vater war Johannes Eüertns, Prediger zu
Menendorff und Berckenbrfiok nnweit Ffirstenwalde, die Mutter hiess
Margaretha Dudeodea. Nachdorn er in seiner .Tngendt ileissig studiret,
so wurde er im 23. Jahre seines Alters, uehuilicli ao. Uh\2 zum Rectorat
zu MüJichebiTg vociret, welchem er auch bis 11)35 treulich vorgestanden,
da ihm von E. E. Rath hierselbst die Yocation zu eben dem Amt über-
schickt wurde, welches er aber länger nicht als 2 Jahr vorwaltet,
roassen er 1037 im Torgedachten Müncheberg zum Diaconat einhellig
berufen. Nachdem er solche Bedienung gantzer 30 Jahre rühmlich ver-
waltet, so wurde er nach AWsfcibon Herrn Jacobi Jüterbocks zum In-
spector daselbst conlinniret, starb Kilo Dom. Exaudi aet. Man
siehet annocli in der Kirclie zu Müncheberg neben dem Fenster hart am
Altare sein Portrait in Leln'nsgrüsso, da er in der rechten Hand ein
Buch und in der linken eine Citrone hält, über ihm stehen folgende
Worte: „Christiamis Eilertns Natus Rcseuviac^ anno KH)',) d. 1. July
Patre Johanne Eilerto Pastore aniniaruni Neodortii eis Fiirstenwaldiam,
Matre Margaretha Dudendea, educatns et institutus in scliola j)atria
Furstenwaldensi, Custrineusi, Spandov iensi et in academiaFranckl'urtana
Vücatus auuo 1()32 a Senatu Munchebergensi ad oftieiuui Rectoris Scholae,
Anno ll)3(i a Senatu Straussbergensi ad ideni Kec toris Scholae Officium,
Anno ir)37 a Senatu Munchebergensi ad Diaconatum et tandein ibidem
anno H)(j7 ad Pastoratum et luspectoratum. Ih-natus Muik licherg auuo
1675 die 10. Mai uftatis suae »iü. anno, cujus memoria in benedictione".
31^ Matthaeus Schreiber 1037-38.
4C). Interim 1638 — 4'J rectoi'atu fuugebatur pastor Wesendahleusis
Paber [Rekt. 35].
41. Matthias Ki.tlie Palaeo-Landsber-ensis [FM 1637] 1042-40,
sein Vater Petrus K. war Bürgermeister daselbst. 1046 nach Cöpenick
zum Rectorat, 1047 zum Prediger nach Wendisch Crossen berufen, circa
annnm 1653 Pastor fuit Stulpe.
B. Cantores. 1024—1044.
Zwischen 1024 und 1()27 scheinet noch ein andrer cautor gewesen
zu sein [wird Kl». 1(52") erwähnt].
24. Johannes Ulrich 1027-31 [FM 1011: ein J. Ulrich Wrie-
censis?], tum cantor Landsliergensis^).
2ö, Martinas Lehmann 1031, filius Martini Tj. Pastoris in
Petershagen fuit us<[uo 1035, quo anno vocatus abhinc ad Pastoratum
') Ich habe seinen Namen in FM nicht flnden können, — ^ (Tachde, Gesch.
der Stadt Alt Landsberg, Halle 18Ü7, S. 331 crwUhnt ihn noch 1045. — •') Nach Beck-
mum, Materialien im Nachlass, war dieser von 1518 bis 1615 im Amt und senior der
Stimuibeiger fiispeetion. Er starb 1616 in Wegendorf bei seinem Sehtdegersohn. —
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B. SeiffiBitt
Gonersdorffiensem sab Tnspcctione Writzensi. Erat Manchebergae natos
[Fhl I61<>]. vid. Dr. Colbardi catal. Patricior: Mfinchberg: doctoram.
26. FridericusAndreael63.5->B8[FM 1624:MQnchbef^n8i8] obüt.
Post mortem eins officium Cantoris Tidetor vacasse osque l<i42.
27. Nicolaas Valentini 1643^44. — 1644—49 vacasse videtur. —
Zar Universität Frankfurt gingen, nachdem 10 Jahi'e lang (1022
l»is H)3*2) kein Scliüler dorthin entlassen worden, in der Zeit von
bis 1(>48 nur U Strausbeiger, dann trat wieder eine Pause ein bis 1649.
Diese 11 waren nach der FM:
1632: Christophoms Eeroovins. Adamns Krause. Joachimns, Sanmel
und Andreas Pöttins [die Söhne des Inspectors] omnes non inra-
nint [die letzten beiden aber 1639].
1634: Martinas Schultz. Andreas Stackius.
1638: Andreas Sehuster [Solin des gleichnamigen Büi-germeisters].
l(^8^^: Christiamis i^reusnitz [Sohn des Pastors in Predickow?')].
1<)4(): Joacbimus Lelnnannus [Solm des Catitors?].
1643: Hieronymus Otto [Sohn des Apothekers Tobias 0 ; er wurde 1651
Cantor»)J.
IV. VeHall der Schule, 1648-1740.
Der „grosse Krieg" war zu Ende, der Friede weiiiiistens ofli/ii-U
verkündet. Doch noch lauire iiieht kehrte Ruhe un«l ( h inim^ ein, d;izii
waren die Wunden, aus denen (his Land hlutete, /u ^ellwer, und die
Obrigkeiten, welche berufen waren, „neues Leben aus d. ii Kuinen" zu
erwecken, hatten fast übermenschliche Aufgaben zu l»e\s altii;en. —
„Dofern aber der liebe Gott glück Vndt st iren Zum Stadt liegenient
geben soll, So Würde dass al lernoi iuste Sein, ilas Kirche Vndt
Schulen besetzt Vndt erhalten wiinlen'", so lautet eine Stelle aus
dem „ \ nvorgreiflliclieii Vfsatz, Wodurci» Die Stadt Straussberg Vndt dns
Kathaus in so hohen Scluildeu gerathen, Vnndt wie demselben ohne
') Peckiiiaiin Na^ liI erwilhnt finen solchen aus deni.srlben Jiihr. — Wahrend
des oOjähr. Krieges siudirleu in Frankfurt aus: Beraau L'l, I>uckow 0, Ncustaiit übers-
walde23(?), Freienwaide 21, Alt Landaber}; 2, MOncbeberg 10, SeelowT, WrietenSO^?),
den Dörfern des Ob. Baniim 4» Biesenthal 2, Oderberg 5, v. Barfaaa 2, t. Kninunen-
see 1, V, Röbel 4, V. Pfuel 12. — GM nennt nur 1 ans WrieziMi, ;> aus Froionwaldo.
j wird in den Prnzessakten v. Pfuel contra Hat zu J^tratissli. i.: l')44 — 47 be-
haui'tet, duöb tlie slreitiKC Obligation „nicht ihres Stadts<din-iher9 oder einziires Kat8-
herru, so daniahlst (lG'-'9) Vorbanden gewetseu, Sündern blons des von Pfuhlen Vatem
8eL sewesen pnecepton. oder Kinder Schalmeistera handt" gewesen eeL —
Di(ji> by e^
Die Stnmsbeiger Stadtschale.
48
gefahr in etwass wie<ler gehultfeii werden koiit«'**'). In einer Suppli-
cation von \i')^)2 khigt der Rat nocli, „dass wir keinen Capellan
halten vnnd viisere bediente, Kectorn, Organisten, Stadt-
8chreil)or u. a. viel Jahre hero nicht zu erhalten gewust";
docli als 1B54 die kurfürstlichen Kommissarien erschienen, um in drei-
tiigiji^er angestrt'rn^ter Arbeit die al)hrilfebedürftigen Mlssstiiude des Gemein-
wesens festzustellen und die Grundsätze der ferneren Stadtvenvaltung
zu bestimmen-), konnte bereits in den grossen Kecess aufgenommen
werden: „Mit den Schneien hat es eine zimbliche richtigkeit".
Ausserdem werden darin nur noch zwei Fra^^en erledigt, die Reihen-
speisung und die Mädchenschule, nämlich dahin: „Damit aber die
Schuolgesellen ihre Tische desto gewisser liaben, vnd ohne
Sawersehen ihnen der Bissen Brodt gereicht werden möge, wird die
desfalss angofange Ordnung ') hiemit coulinniret. — So viell die Mä-
dicbeu Schneie antrifft, ist dieselbige zue des Kunstpfeiffer*) Bartho-
lomaei Grünings besseren vnterhalt ihme aufgetragen worden, die Er,
laut bestallung vom 31. Marty 1653 mit fleiss vnd allen Trewen be-
obachten soll; vnd soll daMogegen Ghristiaii BehreDd seine Jangfero
Sehnle abschaflbn *'^), bey vormeidnog des Ralits willkfierlichen straff*'. —
Irgendwelche andere, auf den weiteren Ansbau oder die innere Um-
gestaltung der Stransberger Schnleinricbtung bezügliche Verordnungen
ans der Zeit von 1648—1740 oder auch nnr dahinzielende Bestrebungen
sind in dem Archiv nicht vorhanden; nicht einmal vom Könige Fdedrich
Wilhelm I., dessen praktische Fürsorge fSr das Tolksschnlwesen aus so
zahlreichen Erlassen [1719, 15, 17, 18, 22 und 1786] rfihmlichst hervor^
leuchtet, findet sUsh ein speziell auf Strausberg berechneter Erlass von
besonderem Interesse; in dem Rathäusslichen Reglement vom 2. August
1739, welches in die immer mehr verlotterte Ratswirtschaft wieder
etwas Zug und Ordnung brachte, heisst es nur mit dfirren Worten:
') Eine tachüge Arbeit des Bichtets Martin Schwanbeiuer und SUdtscbreibers
Kalle, wdche dem Reeeae von 1664/6 stellenweiee wOräich tu Grande gelegt worden
ist. — *) Die Revision fand am 29/31 Mflrz 1051 statt, der vom Grossen Kuifürsten
unterzeichnete Commissions-Recess ist vom "0. Novhr. lOi.Cy. Per*.' Vrk. No: 00
[Riedel T, 12 No: lOO], - ') Ans einem Bittgesuch vom \ \ AuKUbt liiiUi i^dit hervor,
dass, wer keinen lisch geben wollte, 4 gr an die Lehrer zahlen musstu. „Davon",
behaupten de, »können wir nicht leben". — S^e Töchter leiteten den ünteiricht
(nach dem obenangezogenen Entwurf}. — Der erste Kunatpfeifer wird Kb 1624 et-
wahnt, wonach demselben 8 Thl. „zu Instrument zu kauffen vorgesetzt" werden und
«eine Besoldung 15 11 beträgt. Zu Neujahr bläst er vr»r der Katsstnlie — ') Ein
Tendant zu solcher unbefugten Ausübung einea Amtes und Berufes erzahlt Beckmauns
KacUaaa: „daae rieh ein gewfeaer Zaehariaa Rautenhog nach dem 80 j. Kriege abeque
vocati<me fai Welaickendorf ala Pfarrer eetste, doch nach dem einstimmigen Urteil
alter Leute durch unordcntlichea Leben die Pfangdflbde verwahrlosete und sich
achlieaalich nach Schwedisch Pommern begab^.
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44
B. Seiffert:
„Soll das Magistrats Colk'gium der Kirchen und Schulen Bestes überall
observiren, zu gehöriger Zeit exainina anstellen, auch tüchtige Subjecta
jedesmal, da ihnea das jus Patronatos zustehet, sowol im Predigtamte
als in der Scholen erwählen'*. Eben diesem Mangel an obrigkeitUdier
Bevormuadung und Anregung muss man es zuschreiben, dass der Rat,
der ohnedies durch die llcgelung der städtischen Übelstände genug in
Ansprach genommen war, sich zufrieden gab, wenn er die Schule nur
in dem altgewohnten Gleise erhalten konnte, dass man eben alles
beim Alten liess, ohne der Frage näher zutreten, ob diese oder jene
Einrichtung nicht besserungsföhig und -bedürftig sei. Wenn die Be-
hauptung richtig ist, dass der grosse Krieg Deutschland um ein Jahr^
hundert in seiner kulturellen Entwicklung zurückgebracht hat, — auf
dem Gebiete des Schulwesens hat sie wenigstens Recht, sonst hätte man
mit der Beseitigung so manches vermorschten Brauches schon damals
gründlich vorgehen müssen. Kümmerlich und mühselig schleppte
sich die Schule, wie sie durch die Bestimmungen der Abschiede von
1574 und 1600 in ihrer äusseren und inneren Beschaffenheit festgelegt
Mar, ein ganzes Jahrhundert lang dabin'); in stumpfer Gleich-
gültigkeit verhielt sich die Bürgerschaft, die mit ihrer eignen Not zu
kämpfen hatte, gegen Scluile und Lelirer, sah wohl gar auf letztere wie
auf „überflüssige Manier, die nur von ihrem (der Bürger) Geld lebten**
mit Missachtung herab; der Magistrat konnte daher auf die Unter-
stützung derselben nicht rechnen, wenn er auch vielleicht die gute
Absicht gehabt hätti>, den billigen Vorstellungen der Lehrer um Besse-
rung ilirer kärglichen Besoldung Gehör zu geben: kurz, die Schule war
foi-tan das Aschenputtel der städtischen Verwaltung. Mit welchen Ge-
fühlen da mancher Lehrer an die Erfüllung seiner Amtspflichten ging,
die ihm bei den teuren Zeiten kaum das lii'be Brot einbrachte, das mag
man den ,, klassischen"' Bericliten Wiiizerliiii;s, Fliedersdorfs u. a. ent-
nehmen, die an Deutlichkeit und Draätik nichts zu wünschen übrig
lassen. —
Zuvor jedocli will ich, um zu zeigen, diiss selbst dringeiul not-
weiuiii^e Forderungen aus Mangel an Mitteln nicht erle<ügt werilen
konnten, mitteilen, wie beinahe ein neues Schuihaus gebaut
worden wäre.
Das Scliulhaus war schon seines liulien Alters wegen sehr baufällig,
hatte auch, wie die meisten (lebiiude infolge des Krieges arg gelitten.
Am 11. Au<;ust Kiin laste <«in fiirclitlfarer Nord\M st stürm -) mit Hagel-
>vetter über die Gegend hinweg, der grossen Scliudeu an der £rnte und
') Cf. L. Götze S. 114. — Dor Rektor David Winzerling hat denselben be-
schrieben und in Druck ausgehen lasseu, wie G. G. KUater Bibliotheca üibtor. Braud.
(1743j S. S19 f. berichtet. —
1
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Die StnuMborser Stadiadrale.
45
den Hausern anrichtete, „den man in vielon Jahren nicht verwinden
können, ja jedermann gemeinet, dass der Hüclisto mit seinem Gerichte
hereinbrechen werde, dafis also die Feder nicht vennöp^end, solchen
Sturm und Jammer f>enugsahm an den Tag zu lef»en". Da die kurfürst-
lichen Räte Gossel und v. Wedell persönlich feststellten, dass „die noch
übrige Ilauptkirche, Schule, Pfarr^ebewde und Kalitlinnss zum unter-
gange gautz geneidet, wozu der newlichst alda entstandene ungewöhn-
liche grosse Ilageistunn, wie der ohrten Landtkündig, nicht wenig ge-
holfl'en, in dem gleichs in andern gebewden auch geschehen, die Dächer
und fenster also verderbet, dass Sic eilende reparation vonnöliten haben
Und dann die Einwohm-re des vei niögons nicht sein, bey diesen Landes-
Itescliwerungen etwas herzugeben", geiieliniigte der Grosse Kurfürst am
5. Deceniber l()ö!), dass zu diesem Z\vc( k „nicht allein in der Kesiden-
tien in der Kirchen zur heyligen Dre\ faltigkeit und den aiulern Kirchen,
sondern auch in den andern Städten" eine Kollekte gesammelt wnrde.
Der mit einer Vollmacht zum Empfang der Gaben ausgestattete Bürger
Toliias Ludwig scheint aber nicht viel heinigelmicht zu haben, denn der
Bericht des Kammergerichtsadvokateu Paschasius Trüstedt über die bau-
lichen Zustäude in Strausberg vom Jahre KiTO schliesst ebenso trostlos:
„Kurz, in der ganzen Chur und Mark Brandenbarg ist kein so elender
Ort, als Straasberg) der endlich gar zu einem Steinhaafen werden möchte".
Wenn nun auch der Rat in dem Recess vom 23. Januar 1682 behauptet,
dass er „die von verkanflten Hftnsem, Äckern und Wflstangen anÖg;e-
kommenen Gelder zu reparimng der Pfan> nnd Schnel-Geb&wde mit
angewendet'' habe, so wird durch persönliche Aufzeichnungen der Lehrer
genfigend dargetban, dass man sich immer nnr mit der allerdürftigsten
Flickarbeit begnügen liess. Cantor Schwanh&user klagt in einer Zu-
schrift vom 14. August 1712: ,,£s hat der ungestQhme Wind schon vor
langer Zeit sich unternommen, eine freye passage durch eine mir an-
gewiesene Gammer zu nehmen, wodurch er mir bishero grosse incommo-
diteten Temrsachet, dass ich gewünscht, er nehme seine passage vorbey;
so muss ich leyder mit Augen ansehen, wie er dieselbe zu erweitem
suchet, und so weit um sich greiffet, dass es das Ansehn gewinnet, als
wolt er mir meine gantze reiterade (!) in Stube nnd Gammer, durch
EinreissuDg der Mauren, und Wegnehmung der alten Fenster, abschneiden,
und also mein gantzes, mir zugeeignetes, vormahls gewesenes Rector-
Logiament^) zu bewohnen, mir verl)ieten. Da nun aber der kalte Winter
heramuüiet, und ich vor mich keine andre Wolinung absehen, hier aber
auch unmöglich, wofern es nicht 'geendert wird, znmahlen auch der von
Uhr alten Zeiten her gestandene Offen seinen £infaU dräuet und mir
>) Der S«etor idiemt deswegen lieber eine Privatwohniing betogen nnd adne
Dienatwohnnag fflr den Konrektor sor Disposition gestellt sa haben. —
46
B. SeÜEert:
mit Bauch und Solimaaeh za plagen ^Tillens, l&nger wohnen kann: Als
. . . Da nnn zn gleicher Zeit anch die Predigerh&nser so hanfUlig
waren, dass ihre gänzliche Emeaerong für nnnmgänglich nötig erachtet
Würde, 80 unterhandelte man gelegentlich einer Revision der rathftas-
lichen Rechnungen durch königliche Kommissare mit diesen über eine
staatliche Beihfllfe zn diesen Nenbant^n. Punkt 11. der Resolution vom
24. December 1712 besagt darüber: «Nicht minder consentiren und
approbiren S. KgL MaJ., dass die Schule, worin zng^eidi anietzo des
Rectoris Wohnung und auf dem Kirchhofe gantz allein stehet, welches
aber gleichfals sehr alt und bauf&Uig ist, abgebrochen und dahingegen
das denen beyden Prediger Häusern nechst gelegene Hauss des Tuch-
machers Andreass Schusters angeschaflFt werde. Wann nun auf
sothanes angekaufiles Hauss die Schule mit einem bequemen auditorio
vor die studirende Jugend unten an der Erde, und zwar nicht nach der
Seite, wo die Prediger wohnen, sondern nach der andern seite angeleget,
darinnen auch vor dem rectore 2 Stuben und 2 Kammern, 1 Küche und
1 Speisekammer, wir auch 1 Keller, und vor dein cantore ebensoviel
bequemlichkeit angefertiget, auch der Hoft* und gartenplatz untor die
beyden gleich getlieilet werden mnss, So ist alsdan mit der bissherigen
alteu Schule, und der dabey liegenden ¥rüsteu Bürgerstelle, der Kiroh-
hoff zu erweitern, und darauf zu ewigen Zeiten nichts mehr zubauen,
sondern derselbe dergestalt regolair einzuschrenken, damit desto mehr
platz zu Beerdigung der Todten, und weil sonsten kein sonderlicher
Marcktplatz in der Stadt vorhanden, bey — Gott verhüte — ent-
stehender Feuersgefahr, gelegenheit seyn möge, wohin die Bürgerschafft
das ihre, so zu retten, in Sicherheit brinccen können. Damit auch I J.
der Magistrat, Kirche und Bürgerschafft zu solclieii consentirten aubau
derer rredigerhäuser sanibt Scliulc, rectoris und cantoris Wohnung,
desto eher gelangen, alss liaben S. Kgl. Maj. bey dem von ilinen an-
gezeigten unvermof^en allerguädigst gewillitjet, dass zu .solrlien Behuef
Einhundert Thl. auss der Straussbergschen Accise-Casse -) von dem
dortigen Eiiiiuhnier nach und nach, wie es der Gassen Zustandt leiden
will, bezahlet werden, nicht weniger auss denen Rüdersdorffscheu Kalck
Bergen der nühtige Kalck geschencket seyn solle, als wovon ein Über-
schlag zumachen und gehörig^'n olirts die ordre zusuchen".
Die Anweisung zu dieser lieihiilfe gesrliah nm 20. Januar 1718,
die Bitte um Erlaubnis zu einer Tiandeskollekte wurde dagegen abge-
schlagen; so hat sich denn der Mafcistrat mit (h in Bau Zeit gelassen,
erst 1720 sind die beiden Predigerhiiuser allein fertig geworden und das
') Das ahe Rathaus stand mitten auf dem Markti)latz [rf, AngeUis Ann. f. 311."|,
Ro da^a letzterer allerdin;;» nur sehr klein und beeiigt gewesen soin kAun. — *) Die
AcciBü wurde 1080 in ätrausberg eingeführt. —
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Stmuberger Stedtaehnle.
47
auch nur, nachdem man mit Genehmignnp; der Regienmp: „7 kurtze
Stücke Land servato juris ordine plus licitanti auf 2') Jahre wieder-
käurtich au heimische Bürger alieiiiret'', um die noch fohlenden "2()()
Thaler zu bekommen. Das Schalhaas aber ist uicht gebaut
worden.
Dies wird bestätigt (hirch des Pfarrrrs Fabricius Zeugnis aus dem
Jahre 1741: „Die Sciiule auf dem Kirc lihofe ist ein altes Ge-
bäude", sowie durch die Bittschrift des Konrektors Friderici vom
17. October 174'^, der folgende Scliilderung von seinei' Woluiung entwirft:
„Es sei nur ein Herd, eine einzii^^' Wohnstübe, deren Dielen die
Luft «lurclisti'eichen Hessen, deren Wainlc Ljanz löcherig seien: eine
Kaiunur sei nicht vorhanden, im niedrigen Alcoven könne niemand
sciilafen, weil dei^selbe nicht fest mit dem Hause verbunden sei, daher
der Schnee zur Winterzeit liandhoch dnrcbdrintre. Der Schornstein sei
schon melirmals ausgebrannt, also feuergetahi lieh. Wie sehr hätten
schon seines Vorgängers Kinder darunter zu leiden gehabt! Die älteste
Tochter habe den Fluss am Fuss, wt'kber alljährlich aufbreche, die
zweite sei beinahe ihres völligen Verstandes beraubt und könne, «d>wohl
schon 8 Jahre alt, noch nicht fertig reden; die jüngste liege beständig
siechhaft darnieder. „Das macht alles der Mangel der nötliigen Wärme
vor solche kleine Würmer. Woferne bey Küchlein ein erwünschter
Wachssthnm erfolgen soll: So muas hierzu die Wärme der Gluckhenne
das meiste bey tragen. — Ein Kind meines seeligen Antecessoris ist eins-
mahlen In einer Nacht in seiner Unreini^eit gantz eingefroren (!) aus
denen Betten herfürgezogen worden . . — Das Schnlhans moss also
zu dieser Zeit in einem schauderhaften VerfiiU gewesen sein.
Das Interesse f&r diese Periode wendet sich nm so lieber den
Persönlichkeiten der Lehrer zu^ über welche uns ausser dem
Hundertmarkschen Verzeichnis reichliches Aktenmaterial zur Verfügung
steht.
A. Kectoren lt>46— 174ti.
42. David Winzerling 1646—69, antea cantor In Münchebeig.
Er war ans Eyssleben gebürtig. Anno 1629 zog er auf die Universität
Leipzig. Anno 1633 wurde er zum Gantore der Mfincheberglschen
Schale vociret, welches Amt er auch in die 13 Jahre rühmlich verwaltet.
Doch ging es ihm eben allerdings nicht nach Wunsch und sonderlich
auf die letzt: denn er war im Ausgang des 164"). .Talires bereits zum
Prediger nach Heinerslorfl' wnrklich desii^nii vt; der dam ahlige Inspector
aber zn Mäncheberg, Herr Jacobus JüterlnK k, war ihm nun contrair
und brachte es soweit, dass ihm sein Sohn Godoiredns vorgezogen worde
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48
B> Scifbrts
und dieser gnto Mann zarückstehen mnsste, dahero er anch nicht länger
zu Müncheberg bleiben wollte, sondern die Vocation zu hiesigem Rectorat
im folgenden 1646. Jahre gantz gerne annahm. Hat seit 1646 bis 1650
die Yiccs Cantoris mit vorwaltet. Mit was Fleiss und Mühe er dieser
ihm übertragenen Bedienung vorgestanden, davon wollen wir ein mehreres
zu scirioin wolverdienten Ruhm in iinsonii unter Händen habenden wercke
anführen NH. Post obitnni ipsiiis vacavit Kectoratus. Seine Ehefrau ')
Anna war eine Tochter dos olienials hierselbst gewesenen, nachmalen
aber nach Jansfelde gezogenen Diaconi Herrn Mjig. Hieronynii Schin-
kopfs (s. Rekt. No: 22), mit welcher er am gedachten Orte ao. 16.']5
d. H. Juny öffentlich vertrauet worden und Kinder gezeuget, als Theo-
doram, Dorotlieani, Davidem, Mariam. Nachdem er in die 23 Jahre der
Schule treulich vorgestanden, starb er den 4. Novbr. lt)69. Er hat sich
durch verschiedene Schrifften bekannt goinacht, welclie wir zu seiner
Zeit am gehörigen Ort erzoidon wollen, ausser diesen hat er auch in
Manuscripto hinterlassen AEnigniata acroaniatica Sacra, d. i. ein geist-
liches Biblisches Riitzel Büchlein, darinnen die fürnehmsten Historien
und Biblischen Geschichten in 400 anmahtigen Ratzein oder Ratzel
Fragen vorgestellt'). Dieses Manuscr.: bat er kurtz vor seinem Tode
dem Ohurf. Rath Herrn Martin Friedrich Seideln zugesandt, dass er
es jemande snm Verlag recommendiren möchte, damit, es , zu seinem
Gedächtniss möchte gedruckt werden. Es hat sich aber Niemand ge-
funden, der es umbsonst thun wollen. Dannenhero gedachter Herr Seidel
solches ao. 1687 den 21. Octobr. seiner Bibliothec einverleibet, in deren
Gatalogo [Berlin 1718] es sub No: 9 Msctor. in 8^ recensiret ist: In
itzt angeführten Yolnmine sind nur 200 biblische B&taelfragen vorhanden
und 20 weltliche Rätsel, nebst einer Zugabe von 5 auch weltlichen
Rätseln. Die Inventiones sind gut, die Yerse aber nach art der damaligen
Zeiten beschaffen. — J. Phil. Jacobi kurtse Nachricht von gelehrten
liännem. ^
Winzerling giebt in einem Geendi an den Rat vom 5. Februar 1663
folgende höchst interessante Schilderung seiner traurigen
Lage:
„Ich liabe geduldt getragen und immer gehoffet, es werde einmal
besser werden ; es wird aber immer elender und kümmerlicher . . .
Ich will aber anfänglich solenniter protestiret haben, das Ich E. £. W. W.
Raht hiermitt nichts verweisen oder etwa schimpfflich fürgeworffen
haben will, sondern das Ich nur meinen Elenden und kümmerlichen
0 Dieselbe utuss eine Zeit lang die Mädcheusciiulo gehalten haben, wocn ihr
der Bat ein Hans flberwiefl, dessen Besttser während des 30 jlhr. Krieges verschwunden
war. Stembedc a. a. O. 190. — ') [nSO anstatt nnnfltser Oeschwfttie bey ehilieher
Lcate Zusammenkunfft xn gebraachen"]. Aach G. G. Kflster a. a. O. erwlhnt dies
Werk.
TK» BbMaAvg» Stadtacimle.
49
Zwtaiid (welclien Sie bislier vielleicht selbst nicht so eigentlich ffir
andern vielen AmbtBgeschäfften beobachtet haben mögini) Ihnen hiermitt
zu gemfihte habe führen wollen^. — Er stehe allein da, habe 17 Thaler
EinkofDunen, vom Rath !> thl. S gr, vom Kasten 8 Schock [ä 1 thl. 8 gr].
DaTOn solle Holz, Licht» Witsche, ßetthiger und Kleidung beschafft
werden, doch reiche nicht zu. Für Holz, «daminb Bich meiner
Collegen keiner jemals kümmern dürfen'', habe er von Michaelis bis
Ostern 8 Thl. gebraucht, Licht koste jährlich 6 ThL — »Aoff mein
BetUager habe Ich swar Jährlich nicht viel können wenden, sondern in
groben zerrissenen vnd geflickten Betten liegen müssen. Der Seelige
Herr Inspector*), als Ich mich einstmals des Bettlagers halber beklagte,
hat vor recht vnd billich erkannt, das mir die Herren Kasten Vorsteher
jährlich 2 Thl. zii hülffe geben solten, weil Ich nicht geringer were alss
mein herr Collega, der seyn frey bettlager hette*'. —
«Wovon 8oU man nun etwas an den Leib snerhaltung der gesont-
hfiit wenden, oder wenn man kranck wird, zn wiederbringung der
gesnntheit, sonderlich wenn man mitt all lagerhafttip^ wird vnd dem
Medico, Apotecker vnd Balbierer geben muss, welches diejenigen, so in
Schulen lange gearbeitet, wenn der Schulstaub sich bey Ihnen beginnt
zu regen, thun müssen.
„Die Kecordationes sollen jährlich 10 Thl. bringen: davon gehet
mir mehr als die hclffte vflf arme Studenten, arme Selnilcr, Exulanten,
handwerckspursche vnd andre arme leute, welche mich keinmal über*
sehen, sondern noch woU eher besuchen als andre, derer offt manchen
Tag woll 6, 7 oder 8 part kommen. Die andre helffte gehet voUent
auf weis seng, hemden, überschieße, Schu vnd strümpffe.
„Femer ist noch fibrig das Schul precinm, davon oütermals kaum
die helffte gar langsam ynd einzeln einkdni1)t, welches anders nichts ist
als eine zubnsse zu den tischen, die zum öÜ'teren mangeln. Denn wie
kümmerlich es etlicli<> .Tahre hero mitt den Tischen sugegangen, vnd wie
offt Ich vnd mein Herr collega [ßaiiiiigartj, der nanmehro in Bucko ist,
ferias Esuriales haben celebri ICH -) müssen, das ist Ihnen ohne mein
erinnern ziemlicher massen bekaut Idi habe für 2 Jahren nurten notirt,
dass vns die tische so oflt gemangelt, dasa vns in einem Jahre lü thl.
speise gelt aussen blieben, welches wir traun haben zubflssen müssen,
wenn wir nicht haben hunger leiden wollen. —
.Wovon bekömbt man nun ein ehrlich Kleid, das man mitt repa-
tation f&r ehrliche leutte gehen dai^, vnd respect vnd Autorität bey den
Scbfilem in der Schule erhalten kann?
') Petnu LüUicke, s. Sfeudentcu zu 1614. — Mit GaJgenhumor statt: Uuugep
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so
„Dis, eben dis ist allewege mein grösster Kummer gewesen vnd'
bloibet noch der grösste, siutemahl Ich nicht mehr, erdencken kann, wo
das herkommen soll, weil zur Kleidung nicht wenig, sondern viel ge-
boret, soiHltM-Iich wenn auch eiu Mantel zum Kleide soll geschaffet
werden. Daher kömbt«, diiSH Ich mich so lange mit Einem Mantel vnd
lunein Kleide behelflVn uiuss: den dünnen löcherichten Mantel, den Ich'
ietzo noch habe, den ti*age ich nun ins K^. Jahr: das Kleid, darinnen
Ich noch täglich in die S<'lmlo gehe, ins 8. Jahr. Denn wenn ich dies
Kleid 8 oder 4 Jahre getragen, habe Ich müssen lassen wenden vnd
hernach noch ein Jahr *>dor drei tragen, biss es löchericht vnd dünne
worden vnd im wiiiter nicht mehr wider die Kelte schützen können,
dalieru es denn auch k(inibt, das man in so dünnen vnd geringen
Kleidern in der Kelte schaden an der gesuntheit nehmen vnd zuweilen
mitt all lagerhaffti^ worden muss. Ich hette bey diesem kalten winter
eine warme mutze, dass liiinpt für der kelte zu Itewahren so noht, als
einen rock oder Mautel, aber ich muss es wegen mangel des geldes
auch lassen anstehen vnd mich mitt einer alten abgetrageuen, so Ich
12 Jahre gehabt, behellten.
Wenn Ich sehe, wie CoUegen vnd .Schulbediente in andern Stätcn
sich so stattlich vnd ehrlich kleiden können. Ich aber hier in ('», offt in
8 Juhieu kaum ein schlecht vnd gering Bürger Kleid von meinen Ein-
kommen zeügeu kan, so muss ich von hertzeu seüü'tzen vnd heimlich
weinen.
Nun mu.'^s Ich zwar viel der bösen zeit vnd der grossen bedrengf-
uüss dieses ortes zuschreiben, weswegen Ich auch allewege gedult ge-
tragen vnd in diesem fall gerne mitt gelitten, alleine wenn Ich gleich
woll entlich betrachte, wie lange Ich in dem vugesuuden Schulstaube
tanqnam in pistrino*) — Fanctio scholastica dora est provinda.
Ghemnitins — ani harten vnd schweren Joch der Schularbeit gezogen: ,
wenn ich auch betrachte, wie Ich neben dem 15 V< Jahre an des Diaconi*)
Stelle vmb ein schlechtes vnd geringes habe helffen predigen. vnd olfter-
mals 80 offt vnd viel, alss wenn Ich eine eigene dorfl^farre gehabt hette,
sonderlich bey dem alten Herrn Inspectori Seeligen, da Ich offt 4 Wochen,
') Stampf- oder Tretmühle, — ') Das Diaconat war in Ermangelung der er-
forderlichen Mittel von 1641- 56 unbesetzt , wie auch der Recess 1054/6 besagt. 1056
sollte die Schule wiederbesetzt werden; dazu meldete sich unter andern Bewerbern
ein Johannes Seiffert, welchen der Chf. Brand. Consist. Bath und Superintendent tn
Gflstiin (31. Jan. 1666) W. D. Festeltg snm DUconna ond Bector empfaU: „Ind«m er.
erstlicli etliche Jahr alliier scbolam noslram frequentiret, die fundamenta in pietato,
Unguis et artibus wdl^nlt^iret, den Cborum Musicum rtHmilich rogiret, homach auf der
Acadeiiiia in Leipzig t^eine sludia PbilüSophica et TbeolüK'ica mit fleiss tractiret, vber-
daiss alhier vnd in der liachbarschafft etUche Mal erbawliche predigten löbUch ab-
geltet» aneh in »tSoMm Leben imd wandd dch iedeiieik vmttHlidi vnd ffiedfeilig
«neiget**. . Kieht er, aondem TobiM Schänder mirde gewlUit. —
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Die Slimiuibeig«r StiidtBeliiileL
61
venu eir krank gewesen, continue nach einander nicht allein predigen,
sondern anch die Betstonden halten vnd noch ofit selbst daza Singen
nifiasen — der Schularbeit nichts benommen, wenn Ich schon in der
Sehnl aUem gewesen — das Ich aach von so vieler vnd harter bemühnng
als vielen reden, nngra vnd predigen dne mptoram in peritoneo et^) — ^ —
bekommen vnd daher vngesond worden vnd bleiben mnss — wie denn
dahero anch meine schwache spradie vnd schwadie stimme entlich
kommen ist. —
Wenn ich anch betrachte, vne Ich bey solcher schweren arbeit alt
und schwach worden bin, entlich noch gednppelte arbeit tragen vnd
verrichten mnss vnd von aller dieser arbeit vnd einkommen nichts ifSat
mich gebracht moeh kfinflRig für mich, bringen kan, davon Ich in meinem
alter, wenn Icli nicht mehr fortkommen könte, einen Zehrpfenni^ haben
möchte: Wenn leb, sag Ich, solches alles betrachte vud bedencke, so-
gerahte Ich auff selir wunderliche gedancken vnd habe oflftea eine
jämmerliche Klage heimlich bey mier zuführen, vnd habe ebendaliero
entlieh auch in diese Klägeschrifft ausbrechen müssen vnd s(>lhi<re meinen
Herrn Patronen za lesen Ubergeben dienstfleissig bittende, Sie wollen
solche nicht allein erw^n, sondern mier auch in denen stücken, die
mich am meisten afficiren vnd darinnen Ich am meisten noht leide, zn
hül£fe kommen*,] —
43. 44. Ton 1669 bis 1G79 war das Rektorat mit dem Eantorat
verbunden [s. Kant. 34 u. 35]. Ab anno 1679 vacabat rectoratos
nsqne 1088.
45. Johannes Müllems 1()88, antea conrector, iam anno 16B9
Diaconns in oppidum Neustadt vocatns.
46. Martinns Müllems 1690.
47. Ephraim Friedlieb Jftterbock 1691, würde 1698 als
Frediger nach Friedersdorf [bei Selow] berufen^ [Während seiner
Amtszeit war das Eantorat nnbesetst Darfiber beklagte sich die Bürger-
22. 6
Schaft, wie Punkt ü des Recesses vom jzr"^ ^^^^ andeutet.
„Wegen der Gemeinen Stadt anlagen, alss Gaplan-Wächter-Tisch-
geldt der Scbull Collegen und dergl., ist die Bürgerschafft nicht hdher
zu Collectiren, alss würcklich ausgezahlet werden muss, und dass quantum
unter ümiBn S&mbtlich einzutlieileiK W^ferne aber einer oder luider in
abgebung seines antheils seümig sein würde, kann Magistratui nicht ver-
virehret werden, die Obrigkeitliche Handt zu biehten, und auf gehoi'sahmcs
•) D. L Brach im Bwiefafeli, da« mite Übel ist unleserlidi. ~ •) £r verwattete
daa 1663 vacante Kantornt mit — 'i Auch dieser beklagt sich über den Mangel an
Holz und Speisegeld. Ex scheint ein äoJba oder Jffinkel des MOnchebeiger Inspecton
gewesen su sein. —
**
52
J0a EWBran:
ersuclien die restanten per viam ezeeaiioius beymtrelben. Vnd weiln
bey diesen Pnnckt die Bürgerschafit sich beschwehret, dass nur ein
Schullberr anietzo vorhanden, so aber onmöglich die Information der
Jugendt alleinc gehörig respiciren könte, und deslialb verlanget, dass
noch ein Scholl College, welchen auch dass Orgelspiel in der Kirchen
anvertrauet werden möchte, angenommen würde, zu dcs'^oTi gehalt
sämbtlicb contribuiren wolten; Alss wirdt ihnen solches billig verstattet,
Wobey jedoch in Ooiisideration gekommen, dass dem Bnrgemeister
Lüdicken, welcher bissher die Orgel versehen, sein davon biss ietzo
gehabten geiialt in ansi liung seines hohen alters ad dies vitae zulassen**.
— Punkt 21: „Dass Holtz zur Schule muf5s der Pensionarios ') lant
Contracts anführen, und wil Magistratns Ihn dazu anhalten"".]
48. Samnel Fabridns 1699—1707, konnte organd pneomaticö
Indere, wnrde als Prediger nach Wemenchen vodret — \Er mnss seine
Heimat in Werneuchen gehabt haben, denn von dort aus schickte er seine
Bewerbung uro das Rektorat: ,
Nobilissimi, Amplissimi atque Gonsultissimi Patron! , Fautores
aestumatissimi. Etsi vestra mihi nondum satis sit cognita fides atque
benevolentia, tarnen has ad vos dare sustinui literas, quas nt in optimam
accipiatis partem, est quod subnusse rogito. Audivistis me nuper. Vir!
Nobilissimi, publice condonem habere, audivistis et me Organo pneu-
matico ludere, quod grata agnosco mente, utinam voluntati vestrae a
me satisfactum! F^ci quod potoi et quidem enm in finem, ut me Vobis
totom commendarem atque traderem. Elzponam haeo audadus. Yacabit
apud Vos Sparta Scholae seu officium Rectoris, quod Vobis, Fautores
optimi, non est obscurom.
Rogo Vos, quaesoque magnopere, ut ista provinciola, si Deo vobis-
qae placuerit., in nie couferatur. Gerte qaicquid hinc Diguitatis accedet,
id omne in Vos rednndabit. Videbor postea non tantum esse vobis oneri,
sed etiam honori. Res haec est in Vestris manibus, Vos eam fadli
negotio in effectum dare potestis. Sic illa vitae meae stotio erit studiosae
juventuti, quod Deum solUdte posco, fructnosa et votis meis aocommo-
data. Grati animi tesseram jam tum alacerrime pronütto, memorisque
mentis adeo') symbolum hac ipsa epistola offero, depono. Quodsi tam
benigna fata forent, ut ipsa offidosa retributione Vobis assurgere possem,
o quam gauderem! quam laetus trinmpharem! Interea pro vestra salute
Coelum predbus defatigabo indefessis, ut Vos quam diutissime servet
Valete et si me vestro favore et benevolentm dignum judicatis, deinceps
quoque amare, fovere, tueri pezgite. Script If icro-Bemaviae die Lau-
*) Der Paefater des ehemallgea Klmmeraivorwerl» WeUrthel, aadHcfa der Stadl
am MaiieiibMg gelegen. — •) Hier bat er einen Anker gemalt —
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Sie StrmoflMigar Stadtachole.
58
rentii Ao. 1699. Nobilissiinomm Nomiimm V. obsciN antia indefessus
servitiis promtisßimuä Coltor Samuel Fabricius S. S. Thcol. Studiosus. —
Seine Bernfangsnrknnde, die älteste des Archivs, lautet:
^Demnach durch Scliickunf? des Allerhöchsten unser bisher ge-
wesener Rector H. Ephraim Friedrich Jfiterbock zum Prediger nacher
Friedei-sdorf vociret, wodurcli dann hiesiges Rectorat vacant woi-den,
T^iis aber eipnet und gebühret solclie Stelle mit eiiK p \vold(|ualificirten
Person hinwiederüm zuersetzen; Als haben wir nach fleissiger delibera-
tion und einhelligen Bewilligung unsers Inspectorls Herrn Christiani
Pai>e, den Tlerrn Samuel Fabricium S. S. Theol* Stadiosnm zu unsern
Schul-Rectorem zuberuffen unter uns beschlossen. Vociren demnach ihn
hiermit zu solchem Ampte in Nahmen Gottes, nicht zweifflende, dass
er sich in Frwefjnnp: dieser ordentlichen Vocation williglich gebrauchen
lassen und dahin sp|u>n werde, dass die hiesige Jugend sowohl in pietate
und inoribus, als in litoris niüglichstes fleisses untcrriditet werde. Dafür
soll Ihme auch seine irehörige besoldung und fürfallende areidentia,
Innhalts beygelegtei Specitication vom Octob. an ^egi-ben nnd ausgezalilet
werden. Wann er in seinen nohtwendigen Gc-schäften verreisen will,
hatt er solclies sowohl dem regirenden Bürgerm.: als Tnsjtecfori anzu-
deuten. Wir sind ihm aucli s(mst zur möglichsten willfahrnng und Be-
förderung geneigt und erbötig. Gegeben aufm Rahthause zu Straussberg
den 12. Octobr. 1009". — Nach der Sj>t'( ilii ation:
„Ist des Herrn Rectoris zu Str. Einkommen jährlich wie folget:
15 fl. märkisch aus der Kirche, ö tl aus der Rahthäussl: Cännuerey.
8 Tbl 12 gr an drey auf luciae, ((uasi und rrnci< [l'l Dec, Sonntag
nach Ostern und 14. Septb.] fallende Frey Ziesen. 12 thl aus der
Kirchen Kasten wegen der Oi£rel^ so ihme ad Interim zu spielen, bey-
geleget worden. <) gr empfanget er von einer TTochzeit weiii'ii des
spielens, hergegen bekommt der Cantor die andern (> gr, so des Singens
halber gegeben werden, daferne aber obige b gr von dei- Orgel künftig
fallen, müssen beyde Schul ( 'olleren sich die andern (i gr tlieilen. Von
den 4 Recordationibus bekommt er aut h sein halbes Antheil. l)ie be-
stehende Martini Retordation wird dem Cautoii wegen seiner mühe itzo
allein gelassen. Von einer Schulleiche wie gebrauchlich. 2 gr Schul-
geld von jedweden Knaben jedes Vierteljahres. 1 gr Marcktgeld in
beyden grossen Märckten, auf die wochenniärckte aber nur 0 ^. Solches
haben sie sich auch zu tlieilen. — Nebst dem liatt er frey logeament
und Betten auf der Schule, imgleicheu einen fi eyeu Tisch bey der gantzeu
Bürgerschaft". *)
>) BauMriMDiwert lama ist die Verdoppelang des Sebnlgddea gegenüber der
BetUnumiDg tod ItOd, die Ztemfceiheit und das Freibett; et ichetnt sleo Wincmdings
bewei^be Klage etwas gefluchtet m beben. —
54
B, Seifert:
4U. >ratthaeus Sommer 1707 — 9, der in Vngarn zu hause ge-
hört uud sich als einen wegen der Religion Vertriebenen nennt. Er war
•'in selir unruhiger Mann, der mit dem Magistrat und Inspector selir
viele Ziiiikt'icion hatte, und weil er vermutete, dass die vom Inspector
Pape gegen ihn aiiooijeliene Dennnciation niclit gut au.stallen möchte,
legte er 1709 seineu Dienst nieder und ging nach Berlin. — Uber seine
Per.son und sein Auftreten haben sich interessante Aktenstücke erlialten.
Unterm 2. Decbr. 1706 bewarb er sich von Berlin aus um das Rektorat,
darin heisst es: „ — Was massen ich leider! nebst meinen Eltern, fast
von Jng«nd auf, grausame Verfolgungen der Religion wegen in Ungarn
ansssteben, auch hemaehmahls nach absoMiten stadinm zu Berlin nnd
Franckfurth an der Oder, bey meinem Rectorat nnd OrganisImidienBt
in der Eayser^ und Ednigi. ältisten Ungarischen BergStadt Dälln, der^
gleicheil aberroahl mit Weib ond Kind habe erfohren, und von dar nach
Schlesien, von dannen aber, weil denen Exnlibns alle befSrdenmg dnreh
scharffe Kayserl: Verordnung versaget ist, hierher nach Berlin mich
begeben mfissen. Und bin ich nunmehro durch so viele Pressuren in
solchen Znstand gesetzet, dass ich nechst Gott» .Cäiristlichgesinneter
Hertzen erbarmendien Hülffe höchst vonnöthen habe . .
Zu seiner Empfehlong lag ein Brief des Steuerrathes Calow
bd, der ihn einen Mann von gottesfOrchtigem Leben und Wandel nennt
;,Seine Gelehrsamkeit ist alhier überall und Insonderheit bey denei^
') Im Arcbiv befindet sich folgendes gedruckte „Rescript An das Kayser- und
Königliche Ober-Ampt in Schlesien, Das Rehgions Exercitium betreffend, Nebst bey-
gefOgten Vergleichs-Puncten, Zwischen Ihr. Kayserl. und Königlichen Schwedischen
Muj. Muj. ptoaentirt den 11 Sept. 1707, Beriin, Dnickts Johann Lorents. S^»". Erst
darch dlei Beseiipt wurde den Protestuten Selüeriens S^vts und Bedit gewlhit,
ei htOBBt im § 1: .Diejenigen Kirchen und Sclmlen in den FürstenthOniem Lignits
Bricc, Mfln-^lerberg iind Oelsen, wie auch zu Bresslau und in den fibrigen Städten,
Vorstildten und Dörffern, welche nach dem Westphälischen Frieden sind wegtfcnommen,
oder den Römisch-CathoUschen eingerüumet, oder nur versperret worden, sollen in den
Stand, worinnen de sur Zeit des gedachten Frieden-Scfaluases gewesen, wieder gesetset,
nnd denen Augspuigisehen Confcssions Verwandten mit allen ihren Bechten, Frey-
heiten, Einkttnfften, liegenden Gründen, und allen dazu gehörigen Gütern, innerhalb
eines halben Jahres zum höchsten oder auch eher wieder einperfluniet werden".
§ 2: rDenta ClthstUchen Gemeinden, welche aufgebauete Kirchen haben bey den
Mauren der Städte Schwidnits Jsuer und Ologau, sott nicht aleiB freyslehan, so viel
Prirater m halten, wie viel rar Venichtong des Gottesdienstes genug aeynd, sonden
auch zur Erziehung der Kinder neben den Kirchen Schulen zu haben, und aufs neue
anzurichten". § 3: ..An «lenenjenigen Oertem aber, nlhvo die öffentliche f'bung der
Beligiou Augsp. Conf. Verwandten verboten ist, soll niemand verboten seyn, seinen
Gotlesdisiisl biedEoh nnd in der Stille in seinem Uause za verrichten, und seine
Kinder answertigen Schulen seiner Belifl^on oder sn Hanse privat — PKaeeeptoribus In
die Information zu obcrgcben". § 8: Durch gans Sehtesien sollen irii«liin xand Schulen
— — n^ii^ft^hro Tiieht mehr wegpenoramen, sondern mit ihren Pastoien und Schul*
CoUegen erhalten und gescbützet werden**. —
INe Stnunbevger Stadtschule.
66
Ministeriis hckand, und hat gute Wissenschaft't und fundamentale
Cognition in musicii«!, so dass ich porsuadiret bin, dass (hirch dessen
Berufung? der Stadt und der anwachsenden .Tui^end bestes menklich
werde befördert worden . . Nachdem er sich wührend der Weihnaclits-
feiertage hatte auf der Orgel und Kanzel liorcn lassen, trat er im Mai
1707 sein Amt an. Die Schul verhältniRse fand er, wie es sclu'int, sehr
im Algen liegend und in dem redliciien Bemühen, Wandel zu schaflen,
]»at er den Magistrat um seine Unterstützung, indem er ihm i^.luni 1707)
anzeigte, dass der Conrektor Schwanheuser seines Amtes durchaus un-
.pünktlich walte und zu giitsserer Pflichttreue augehalten werden müsse.
Dadurch aber verfeindete er sich nicht bloss diesen, S'^ndern auch dessen
Verwandtschaft, worunter ein Katsherr, und es kam zu höchst ärgei-
licben Auftritten in dei- Schule und Kirche. Ebensowenig wusste er
sich mit dem Insi)ector Pape zu stellen; derselbe wandte sich
•schliesslich direkt au den König um Schutz: Sommer sei unruhiges
■Gemütes, suche das Ministerium und den Magistrat untereinander in
Uneinigkeil und Missverstilndnis zu setzen, donegire dem Inspector alle
Folge und Respekt, molestire ihn in seinem Amte, sei nicht bemüht,
specimina seiner Treue und seines Fleisses zu zeigen, zanke beim Ge-
brauch des heiligen Abendmahls, verbreite unchristliche Calamnien über
ihn o. 8. vv., alle diese Ungehörigkeiten möchten demselben sub poena
remotionis untersagt werden. Dem mit der Untersuchung des Streites
beauftragten KonsiBtorialrat übersandte Sommer eine geharnischte Ver-
teidig u n gs s chrif t xn , ans welcher besonders folgende Stelle . hervor-
zuheben ist: ....
„Wann Ichs nach des vorigen Rectoris offtmahlige Vor-
■mahnnng, mit dem Inspectore gehalten, und, wie ers gethan,
.mit ihm Gastereyen besucht, vor Mittage Thee getrnncken,
von Mittag biss Abends gepotzelt, bey der Toback-Ffeiff nnd
Biefkrng gesessen nnd die Schul zu 3 biss 4 Tagen an den
^agel gehängt hätte, da die Schttler indessen in der Schul
Kegel, blinde Enh, Ball, Pinckebinck gespielt, zum Fenster
-rauBB und rein gestiegen: so wäre ich ein guter Rector ge-
wesen, und hätte mir alles haarklein müssen bezahlet werden,
wie dem vorigen Reotoii; ja ich wäre pro rostris, ans et focis gerühmet
*und gelobet, nnd endlich bey den Superioribus bestens recommendiret
und höher befördert worden, nti mihi proroissum erat, ob ich schon das
maledictum propheticum, das Senfftzen der Eltern und Kinder, nnd ein
bösB Gewissen auf den Halss geladen. Da wäre alles gut gewesen.
Denn was Inspefstores und Priester reden^ ist alles war, der arme ga<
meine Mann, der nichts vom Gesetz weiss, ist verflucht Joh. 7 V. 49.
Nun ich das meine redlich gethan (obgleich der Inspector biss
über die Okcen in der Schuld steckt), so muss ich angeklagt, ver-
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56
B. Seiffert:
schwärtzt, verdammt, verfolgt, Verstössen, belof^cn und be-
trogen seyn, Quare? avrc; ;>*>a. Und ist nicht zu verwundern, da^s
keine Chi'lstlicho Seele erkennen will den Tin^^er Gottes hierinn: wie
uenilioh Gott länger nicht hat zusehen und solch nialum nicht verborgen
bleiben lassen wollen. — Nun ich will lieber mit gutem Gewissen mein
Brodt für den Thuren betteln als mit bösem Gewissen in einem hohen
Amt sitzen . . Er bitte daher um eine anderweitige Stelle und gelobe
anoh fererhin Treue und Geduld an.
Wie die Verhältnisse sieh weit« znspitsten, schiSdiert eine vom
Magistrat entworfene „Instrnetio wegen der mit Herrn Matth*
Sommern am 11. September 1709 angesetzten Verhör*, in deren
erstem Teil ihm Schuld gegeben wird, das Orgelwerk gänzlioh Terdorben
SU haben; dann heisst es weiter: „Was seinen Lebenslanff betnfit, so hat
er sich im Anfange seines Rectorats in sdnem Leben recht sitsam und
wohl aa%efahret, auch bey seiner Information sich treu und fleissig er-
wiesen, so dass das Ministerium, der Magistrat und die gantse Bfirger-
Bchaflft mit ihm wohl zufrieden gewesen. Nachdem aber der Gaator, so
▼om Podagra inoommodiret ist, nicht allemahl in der Kirchen sein Ambt
mit Singen verrichten können, und dannenhero yom Bectore verlanget
worden, das Singen in der Kirche zugleich zu bestellen, hatt er solches
zwar anfangs etlich mahl fiber sich genommen, nachgehends aber sich
dessen gewegert, Er wäre des Cantoris Junge nicht, dannenhero in der
Kirchen viele Unordnungen entstanden, und der Prediger selbst singen
müssen. Dieser sein Eigensinn hatt sich t&glich bey ihm vermehret, und
als bey dem Schul Examine der Rector allerhand anzilg^che Redensarten
wieder den vorigen Rectorem und gegenwärtigen Cantorem ausgestossen,
sind diese beyde CoUegen in Beyseyn des Ministerii, Magistrats und
vieler von der Bürgerschafft in solchen Zanck gerathen, welcher zwischen
ihnen knmn hatt können gesteuert werden.
^Dieso Verbitterung hatt auch täglich zugenommen, dass auch der
Rector, da er mit dem Ca ntore zugleich zum heyligen Abendmahl gangen,
in der Kirche beym Altar zu zancken sieli nicht entblödet, wodurch dum
bey denen andern Communicanten nicht ein geringes Ergemiss verur-
sacht worden.
„Gegen den Herrn luspectorem hat er sich auch sehr importun er-
zeiget, dass auch dieser genöthiget worden, über solche des Rectoris ira-
]»ortunitaet beym Hodipreisslicben Consistorio zu klagen, da dann der
Kector durch einige Verordnungen vom Hochpr. Consistorio auch cum
Comminatione Remotionis zur Besserung angehalten worden, welche er
aber e:ni' srlilecht respectiret, keine besserung bezeiget, sondern immer
eigensinniger und ärger worden, Gestalt er dann, da der Magistrat in
Curia zwischen den luspectorem inid }^'^torem Einigkeit zu stifften sich
bemüht, der Kector keine Vorsteliungeu annehmen wollen, sondern auf
Die Straoftberger Stadtachole.
67
den ge^euwürtigen Inspectorem zu schinälien nngofangcn, und in seinem
Eigensinn davon gelauffen. Und obgleidi solche Verdriesslichkeit a1>or-
malil l»eym Hochpr. ( '<insistorio geklagot, die Parten gegen einander mit
ihrer Nothdurft gehoit t, die Streitigkeiten (hirc]i einen Abschied ver-
glichen und aufgelioben worden, so liatt doch der Rector diesen Abschied
nicht Ith gerin^'^sten respectiret, noch demselben sich gemäss bezA'iget,
ungeachtet er auch uachgeheads dui'ch schärlYere liescripta hierzu auge-
halten worden.
„Und als der Herr Inspector in ao. 17(IH wegen des Rectoris wiechn*
ihn verübten Insolentien eine Commissiuu beym llociipr. Consistorio aus-
gebeteu, und der Herr Dr. Schnaderl)acli und Herr Steuerrath Cah>w
committiret worden, diese gantze Sache gründlicli zu untersuchen, hoch-
geraelte Herrn Commissarii aucli nlhier in Curia den Jnspectorem und
Kectorem vor sich citirct, hatt der Uector diese beyde Commissarien ver-
worffen, mit den Worten, sie wären parteiisclie Leüte, Er woRe sich
unpurteysche Commissarien ausbitten, und ist also der Rector, ohn ferner
Wortwechseln, impoi*tun ans der Stoben und davon gegangen, diiss also
diese CommissioD, so dem Herrn Inspectori nicht geringe Unkosten ver-
nrsadiet» fimishtlosB abgelanffeii, und der Bector nach wie vor in semem
nnordentlichen Wesen fortgefahren und dem Inspectori lantor Yerdruss
verorsachet
«Mit dem Gantore hatt er jeder Zeit in Streit gelebet, ihn auch in
ao. 1709 bald nach dem nenen Jahr wegen des Neüjabr herümsingens
in der Scholen vor der Schul Jugend nach angefangenen Zanck ttber-
lauffeo, zu Boden geworffen, jämmerlich zuschlagen, auch fast alle Haare,
aussen Kopfe gerauffet, bey welcher Addon ihm dann seine Ehefrau
trefklich secundiret, so dass der Gantor auch am Hanbte loediret worden
und in etlichen Tagen nicht vom Bette kommen können. Bey geschehener
Untersuchung aufin Bathhause hatt der Rector, da vom Gantore begehret
worden, ihn zu arretiren, Gaationem juratoriam praestiret, bevor diese
Sache abgethan, nicht zu entweichen, solches jurament aber auch nicht
gehalten, sondern davongegangen. — Nachdem nun endlich dem Herrn
Hoff Fiscal Yoswinckeln vom Hochpr. Gousistorio aufgetragen worden,
wieder diesen unruhigen Rectorem eine Inquisition anzustellen, dieser
auch einen gewissen Tag pro Termine angesetzet, und hierzu den Rec-
torem citiret, hat dieser die Inquisition nicht abwarten wollen, sondern
bevor der Hoff Fiscal anhero kommen, sein Rectorat resiginret, und si( h
davon gemachet, womit also die Stadt diesen eigensinnigen Kopf loss
•worden.
„Schliesslich haben wir no( h dieses erinnern wollen, dass der
Rector bey seinem Abzug nllerliaud Pasquille an Tburen angeschrieben
und damit eiii-liche lieute schimpflich angegriffen, woraus sein bosshaffties
Gemfith er noch letztens zuerkennen gegeben.
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58
B. Seiffert:
NB. Der vcilauftVnc Rcctor Soiriiiu-r liatt eben auflf den Sonntag
MiftH'i icuRl. Duiiiini, da das Evanffcliiiiii vom guten Hirten und Miethlinp^
eikläret wird^ hiesige Schul Jugend verlassen, und ist als eia. Mietling
davon geflogen".
Von Berlin aus hat er noch meliiere Briefe um sein rückständiffos
Salurium ^geschrieben , schliesslich den Map^istrat deswegen verkla^^t und
Execution bewii kt ; später sclieint er seineu Unterhalt durch Musikunter-
richt erworben zu haben, denn er unterzeichnet stets: Stud. et Musicos. — ]
50. Johannes Ernestus Ribbach 1709—12; er erliielt nach
seines Vatt rs To(k' das hiesige Diaconat, worauf er schon 1710 adjuDgiret
war, [und ötarb niclit 1722, sondern ist dem Inspectori im Zossenschen
zur Si'ite «:^esetzet uod daselbst Ai'chidiaconus worden.]')
öl. Fridericus Fabricius 1712 — 22 [Sohn des früheren Rektors
S;nniiel F. s. No: 48], darauf zum hiesigen Diaconat beiördert, sp&ter
riarrer und Inspector 1780 — 7y.^.-) —
[Als er noch in Halle studierte, wurde ihm das Rektorat über-
tragen: dafür l)edankte er sich in folgendem Briefe (vom 28, August 1711}
au den Consul jierpetuus et .Iudex Joliann Richter:
„Vir Nobilissime, Amplissime at((ue Consultatissime, Domirie Patrone^
omriibiis iiominibus colende. — Octaviis volvitur annus, ex (|Uo Sdiola
dci i liri;i vestra alia discendi causa sahitavi loca . vocor pi*aeter omnem
s]ieiri in Scholam vestram ad siilMMUKhim Rectoris officium, (piod ex
literis Vocatoriis mihi transmissis ]iers])exi. Cui id adscribam? Sumino
Deo, cujus Providentia id factum esse mihi persuadeo, nec minus Tibi
celeriscjue in Civitate vestra Fautoribus. Tild, Vir Nobilissime, tautuin
debere existimo, <|u:nitum persolvere difficile est, ct)llocasti in me per-
nmlta, immo iiimnueiabilia cum Tuis benelicia, utinam Vobis inserviendi
milu detur (»ccasiol cum tamen haue jam no?i lud>eam, Deum precibus
dt'tatigabo imh-fessis, ut Vester sit et maueat Protector, Quae a m«
desiderantur, pro viribus exe(|ui couabor, totusque in id iucumbam, ut
Rectoris in me collati Oflicii Vos numpuim jxu'uiteat. Hoc abs Te, Nob.
Domiiie I*atrone, peto, ut pristinam Tuam erga me Yuluutatem con.serves
jiorroque comrnendatum hal»eas Nul». Amplissimique Tui Nomiuis obser-
vantissinuim Cultorein ..."
52. Christianus Eustacliius 1723—46 [ein Verwandter des
consul dirigens Peter Siegfried Pape]. 1736 w&hlte ihn der Magistrat
zum Diacouus; weil er aber trotz seiner Studien in Halle nicht die
eifurderltchen Zeugnisse hatte, resignlrte er^). Er mu^ 174() gestorben
sein [cf. Rekt. oB Zusatz].
') Stemb«ck S. M u. Beckmanns NachUus. — *) Btembeck 8. 60.' — *) 8tom>
beck S. 55. Einen Ohrist. EoBtachiiu erwibnt Beekmums 17acld«M 1711 als Pxedifsr
von Reichenbeiig. —
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Die Stmubeiger SUidtachiile.
59
B. Cantoren 1650 — 1741.
28. Caspar Schönjahu, Magdcburgensls Saxo. Er kam KiöO
allererst von der Universität und hielt um dieser Bedienung seihst auf
din Jahr lang an, worin Ihme denn nndi E. E. Rath gi*atificirte ;
nach verflossenem Jahr nahm er mens. Mart. 1()51 seinen Abschi»'«] und
wurde darauf zum Cantore an der Scliule zu Münclieherg bestellt. —
[Das ist nicht ganz genau, denn er ging zunächst nach der Uuiver-
sitiit Wittenberg zurück, um seine Studien zu vollenden,
worüber er in einem interessaiitfii Briefe nrt den Stadtschreiber Kalle,
dessen Freundschaft er gewonnen, ausfühi lieh iM i ichtet:
„Jesum! Votum. Meinen freundlichen gruss, gautze willige Dienste,
anwünschung aller Glückseligkeit zuvor. Ehrenvester, Vorachtbahrer vnd
Wohlweiser, Insonders grossgönstiger, geneigter Herr vnd sehr Werther
freund Herr Christian Calle, Demselben auss wollmeinender guter atVec-
tion bey gegen werf iger Gelegenheit meinen anitzo kläglichen muI vor-
ächtlichen poenal stand zu significiren kau ich keines weges vorbey.
Vnd berichte also dem Hern, Wie dass ich also halt von Straussbergk
ab, ohne eintzige seumung mich nacher Wittenbergk begeben, woselbst
ich nun mein poenal Jahr (durch Gotteshülfe) auf 15 Wochen noch gut
gevexiret aussgestanden, es kostet Mir dasselbige einen zimlichen pfennig,
sintemahl ich keine Woche geringer 20 gr. zukommen kan, da i( h doch
nur in die communitet gehe vnd sehr schlecht gespeist werde, Meine
habitation betrefFent, so habe ich auffem CoUegio majori nebst noch einen
Studioso eine stube vud kammer gemietet, wo vor ich jahrliciie 4 thl
solviren muss. Über dass so florlren alhie die stndia Therilogica auss
der jnassen vohl, mdchte wfinschen, Ich könte 8 oder 4 jähr alhie ver-
bleiben vnd meiiien stndüs invigiliren, wird aber solches nicht lenger alss
diess eine jähr geschehen können» racio die weil mirs an sumptibus
Diangelt, den ich ja keinen heller oder ptV iinig ex patria haben lau, die
weil meine Eltern schon vor 14 Jahren gestorben vnd nichts hinter sich
gelassen, den etliche morgen landes, welche doch hentiges tages sehr
wenig gelten, bin derowegen beschlossen, widefamb einen Cantor dinst
anff 3 oder 4 jähr, so lang biss ich ad altiora gelangen kan, anzunehmen,
entweder, in meinen patria aat quocunqne gentinm sit, möchte also gerne
Avissen, wie es vmb *) .... Schale bestellet, ob sie einen Gantorem haben
oder nicht. Ynd ob der Herr Rector mein gewesener CoUega*) noch . . . .
oder ob er etwa einen Pfardinst bekommen, gelangt derowegen mein
frenndlichs vnd höchstes bitten an den hochgeehrten Herrn, Er wolle
liiir doch die faVor erweisen vnd bey erster gelegenheit solches zu wissen
thnn. Hiemit wird dem Herrn anch bey gefdget, wie dass ich an den
Herrn Richter^ Ewers orts schon 2 nu^ schreiben abgehen lassen ein
*} Die Stelle ist abgerioeen. — *) Wiaseiling. — ') Martin Schwanheuser. —
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B. ficillnt:
mabl Latteinisch vnd .zum andern mahl ientsch, habe aber aoff keins
antwort bekommen, kan also nidit mssen, wie ich das verstehen sol,
ob etwa die schreiben nicht fiberlieffert oder wie es sein mag. Hie mit
thae Ich den Herrn vnd seine liebe haoss zierde in den Schnts des All-
mächtigen befehlen, zugleich bittent» den Herrn Inspectorem,^ Herrn
Richter, Herrn Peter Wegener vnd letzllch gewesene Speise Herrn meinent
halber zum Allerfreundlichsten zu grflssen. Vnd dass ich mich noch-
mahlen am allerherzlichsteu bedanke vor alle erzeigte Wohlthaten. Etiam
atque etiam valeant. datnm Witebergae 8. decembr. Ao. 1651. Taus nt
nosti Caspar Schönjahn S. S. Theoiogiae stadiosos.
NB. Ich erwarte in sehr kortzen von dem Herrn antwort* [Weiteres
s. No. 30.]
29. Hieronymus Otto, 1651, patre Tobia ApoChecario Strans-
bergensi [FM 164:iJ, 1652 cantor Bemoviensis, deinde 1654 pastor in
Zepernick, nbi adhac posteri eins eodem mnnere fhngontor; obiit 1706.
30. Caspar Schönjahn, 1653 revocatos ex Ifflnehebeig, cui
primo titnlas Gonrectoris concessns est. Weün er sieh in
Mflncheberg schlecht verbessert sähe and ihm nach Resignation Herrn
Hieronymi Ottonis, seines snccessoris, hiesiges Cantorat von nenem auf-
getragen wurde, so nahm er solches nicht nur als ein Gon-Rectorat init.
1653 an, sondern verwaltete es auch 3 (?) Jahr lang, wahrender Zeit er
sich denn auf Begehren der Bfirgerschafft im Predigen alle 14 Tage,
weiln solches dem alten Inspectori Herrn Petro Lddecken zu schwer fiel,
hdren liess.') Nachhero 1655 wurde er zum Prediger nach Jahnsfelde
and Trebnitz beruffen, von wannen er zur weiteren Bedienung an die
Kirche zu Selchow im Teltauischen Creysse gelangete, fult adhuc ibi
anno 1704. Vid. Christ Kolhardt Schul Pred. pg 46 und Ära Eucharist
31. Martin Klingenberg, S. S. Theol. Stud. Bucoviensis 1655
[FM 1649 : Munchb(>t g( nsis] deinde 1657 ad Ecdesiam St Mariae Bero-
linensem vocatus.
32. Christianus Pudor, 1657^9 [FM 1649 Gubena-Lusatus];
hinc cantor in FQrstenwalde, 1663 hnc revocatus diaconus, anno 1675
mortuus. Notitiam satis magnam ad hujus viri vitam describendam
habemas, quam ex parte Filio adhuc viventi, Dr. Theodore Pudori,
Pastori Buchholtziensium fidelissimo debemus'). Ex scriptis ejus sequentia
typis excussa vidi: Poetischer Erquickstnnden 1. Theü oder 202 kurtze
geistliche Andachten, Berlin 1669, 8^ Jesuslieder oder das erste Zehend
geistlicher Lieder, Cölln an der Spree 1670. 8^<^ Der teutschen Sprache
Grundrichtigkeit und Zierlichkeit ibid. eod. ao.
') Petrus LOdicke *» Dafür erhielt er 12 SchofTel Roggen auH der RRtsmdhIe ;
nach Perlitz. — ') Derselbe wird auch in Beckmanns ^achlaäs als solcher im J. 1713
erwUmt —
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Sie SbmubMg« Stadteobide. 61
dS. Georgias Banmgari, Golomensis Marducns 1659 [FM1650]
bat ao. 1656 im Cöllnischen Gymnaslo frenquentirei Spedalia vero de
eo tarn in Curia quam apud Rever. Yinim Dr. Christ Sohastemm Pastorem
olim Closterfeldensiam dignissimam nunc emeritam non sine gandio
deprehendimus. Nahm ao. 1662 das Cantorat so Backe an, vnrde aber von
dort ao. 1(U)8 nacli Landsberg an der Warthe zum Cantor beruffen and ist
ao. 1683 daselbst noch gestanden. — 1668 vacirte das Contorat, worauf
84. Martin Friedersdorf 1664 berafen worde [FM 1649Straas-
bergensis]. Er hat nach David Winzerlings Absterben [1675] propter
adversas post bellnm XXX annomm fortnnas die Vices Rectoiis bey
s^em Cantorat mit verwaltet. Der Rath vocirte ihn [„in erwegung,
dass der Herr nuhnmehr in die zeheu Jahre vnserer Scholen mit seinem
guten Rahme vnd der Studirenden Juf^ondt sonderbahren nutzen vorge-
standen, sich aach, wie einem Gottesfürchtigen Cand. Theologiae gebühret,
in Leben vnd Wandel allemahl beaeiget] 1675 zam Diaconas, 1688 zom
Pforrer und Inspector. —
Bei seinem Amtsantritt unterschrieb er folgenden Revers:
»Demnach E. £. Rahtt vnd Inspector der Stadt Straossbeig mich
Endesbenandten, alss einen Patricinm vor andern zn der vacurenden
Cantoratstelle ordentUcherweise vocirt vnd beroffen, Alss verpflichte ich
mich hiermit, vnd in Erafft dieses, dass in solchem Ampte ich mich so
wol in Kirdien vnd Schalen, wie es einem trefifleiasigen Cantorn gebührt,
wil bezeigen, so viel dass Kirchenamptt betrifft, so wol wenn Predigten
vnd Bettstanden gehalten werden, mich meines Amptts zn verrichten
nicht weigern, Denen Herrn Patronen gebührenden Respect zageben,
vnd wass von denenselben vnd Herrn Diaoono in der Schalen der Jugend
smn besten erkandt, vnd mir zu verrichten vorgetrairf'n nxIkI, mich
koinesweges zu wiedersetzen, sondern vielmehr gebührliche folge zn
leisten, wie auch mich eines friedfertigen, stillen, Grott woilgefälligen
lebenss zubefloissigen, vnd dagegen nlUv streittigkeiten vnd wiederwillen
anzurichten mich zu enthalten wie auch uichts dess minder mit meinem
*) Am 16. September deaselben 1664.' Jahres erschien das berühmte knrfürst-
Eehe Edikt flb«r die fltrelti^eiteii swisdiai Beformliten mid Lutheilachen; jene
worden mit den Zanamen OelriiiMeii, SSwillgUaner, Majestüt-Feinde, Sacramentirer,
Sacramentöchänder, Manicbror n n , lotztore uiit den Bezeichnungen Ubiquitisten,
Flacianer, Marcioniteu, Pelagiancr, Eutiohiaiier u. a. von den Gepnern verunglimpft.
Beide Teile wurden nunmehr zur Tolerantia Ecclesiastica ermahnt und den ^beyder-
seHlgeQ Gkiperiiiteiideiiteii, bupectom, Pröpsten, Pfurem Tnd Predtgem, endi Beetoran
md GoDegen bey den Schoiea bey Torraeydmjg der Bemotion von ihrem Ampte, «och
dem befinden nach anderer animadversion und Bestraffung gnädigst und ernstlich an-
befohlen, dass ein Theil den andern mit solchen vnd andern Zunamen durchaus nicht
verunslimpfeni noch auch obberdhrte oder dergl. streitige couscqucntien als ihre
eigentliehe Lehren Ihnen «nfbttrden noch beymessen, am aUerwenigsten aber anff die
raatail biiBf«D loBe Bataenhir.
62
Herrn Collegen, dem Herrn Rectom, vnd Tischgeeellen mich' firiedlich
smbegehen, vud demselben allen gebührlichen Respect zugeben, vnd in«
Snmma mich also zuverhalten, dass nebest Gottes flvlffe keiner &ber<
mich Klage führen soll.
„DaiVrn al)er diesem allen von mir entgegen gelebet werden solte,*
so doch durch göttlicher Hülffe nicht geschehen soll, seint meine Herrn
Patronen laut Visitation Ordnung 1600. roitt Rechte befuget, mich za-
entarlaaben , vnd dem Verbrechen nach zn gebührender Straff ^nziehn,
darwieder weder ich noch andre seyn sollen vnd wollen,
„Zum vcsten Halten habe ich diesen Revers vnter meiner eigenen:
Hand E. E. Rahtt wolbedacht aussstellen wollen, Gesehen in Straussberg
den lieben Neuen Jaluss Tag' des anflehenden Jalirss".
Derartii^e Reveise sind fortan regelmässig bei jeder Neubesetzung
einer Lehrerstelle vollzogen worden; bemerkenswert darin ist, dass aus-
drücklich der Rector als Vorgesetzter des Kantoi-s bezeichnet wird,
während bisher von einem Subordinationsverhälljnis zwiscben beiden
nirgends eine Andeutung zu finden war.
Auch Friedersdorf hat, dem Beispiele Wiuzerliugs folgend, einen
Bericht an den Magistrat abgefasst, der sich aber ausser über,
seine persönliche Lage auch über die allgemeinen Verhält- -
nisse der Schule verbreitet:
„Wohlehrenveste, Grossachtbare, Wolweise und Wolgelahrte, in-
sonderss Hochgeehrte Herren, Hochgeneigte Patronen und mächtige Be-
foderer. — Deuenselbeu ist ihrer von Gott verliehenen weissheit nach
gnuü;sain bewust, wie nothwendig und nützlich die Schulen seyn, denu
toUuntur Scholae, tollitur omne honestiun de genere humano, sagt iener
gelahrte Mann. Dannenhero sie auch iederzeit darauff bedacht gewesen,
hiesige ihre Stadtschale mit tQchtigen und trenfleissigen Praeceptoribus
zn versehen, damit die liebe Jugend so wol in Gottesfiircht, alss im.
lesen, schreiben, singen nnd andern Eflnsten möchte nnterwiesen werden,
haben auch für deroselben nothdürftigen unterhalt fleissig gesorget^
Zweifeln auch nicht, sie werden sich noch femer deroselben annehmen'
und mit nothwendiger Sustentation versehen, damit nicht beydes die
Praeceptores von ihrem fleissigen informiren beydes auch ' die Jagend '
vom studieren abzuweichen, vrsach gewinnen möge, sintemal dieselbe'
sich oft hören lesset: Es ist besser ein Handwerk lernen, oder'
sich des Ackerbaws befleissigen 4ils8 studieren, denn die
Handwerckssgeselien and Ackerknechte bekommen ia nicht*
nur t&glich ihr essen nndtrineken, sondern aach so viel tohki,
davon sie sich zur nothdnrft kleiden können, welches doch;
oft unsern Praeceptoribns mangelt, Diesem und dergl. abzdhelffen,
habe ich das feste vertrauen, meine Hocbgeneigte Herren Patronen^
werden sowol solche anstalt machen, damit wir iwseni nothdfirltigea
uiyiii^ed by Google
Die Stranabeiger Stedtachtile.
63
uitorhalt hf|ben rodgen, sonderlich so grossgOnsÜg geriihen, und mich
TOD meiner restirenden besoldnng, die sich noch fast über 20 ThaleR be-
Iftdft, mit etwas bedencken, denn ich mich nicht alleiD, wie einen Schul-
bedienten anstehet, in kleidung halten, sondern auch armen lenten, so'
afanosen suchen, und mich fast täglich begästigen, otwn.s mittheilen muss»
auch den Adjuvanten im Mosiciren bissweilcn eine Ehre znerweisen mir
billicb snkompi
^Yon deii Accidentien kan idi solches nicht nehmen, massen
cfieselben sehr |;ering, Ja welche an andern örtem der Cantorom beste
Accidentien,, nemlich der firautmessen nnd Leichbegengnissen,
zn seyn pflegen, die sind hie die geringsten, Denn von den Brantmessen
zn singeil habe ich noch niemals keinen pfennig bekommen, werde anch
mcht eins daimmb begrfisset, diti vrsach ist zweifelss ohn, weil selbige
wissen, dass ein arbeiter seines lohns werbt, sie würden mir vor der
mflhe etwas müssen lassen anbieten, Solto'sicb derowegen ergeben, dass
ich ohngefohr in der brautmesse nicht zugegen, hoffe ich, meine Hoch-,
geehrte Herren werden mich entschuldigt halten,
«WasB die leichbegängnissen betrift, wil gar eine Unordnung ein-
reissen, .denn da wird kein unterscheid mehr gehalten, es mag viel oder
wenig gesungen, es mag eine Leichpredigt oder keine gehalten, es mögen
zweene oder ein Lied vor der thur gesungen werden, ich bekomme ein-
mal so viel, alss das andre j bissweilen wol gar nichts, . da doch die
Vemunft gibt, dass aüff grössere mfih und airbeit, grosser und mehr lohn
zuerfolgen pfleget, Bitte derowegen unter dienstlich, meine Hochgeneigten
Herren Patronen wollen doch hierin eine richtige Ordnung madien,
sonsten ist die leichen hin zu singen sehr verdriesslich nnd beschwerlich,
,Weil auch in zimlicher zeit kein Examen ist gehalten
worden, und doch dieselbe die Jugend zum fleissigeren lernen aufzu-
muntern nnd. andere Ursachen halben sehr nfltzlich.und nothwendig,'
Alss ist mein unterdienstlichess bitten, meine H. H. Patronen wollen so
viel von ihren Ampts- und Hauss-geschäften abrechnen und ihrem be-
lieben nach ein Examen anordnen, damit so wol die Eltern ihre Kinder
desto fleissiger zur schulen gehalten, alss die liebe Jugend zu studiren
mfige angermtzet werden.
„Unterdessen aber liberschicke ich Sie ein verzeichniss meiner
Leetlonen, so mir anfangss mit den Knaben zutreiben, theilss anbe-
fohlen, theilss der Jugend zum besten von mir selbst zugethan worden.
Denn meine Anteoessores haben tftglidi in der'schulen drey stunden auf-
gewartet, ist derohalben von mir auch nicht mehr begehret worden. Da-'
noüit aber die Jugend nicht mOchte verabs&umt werden, habe ich noch
eine auff mich genommen, und warte also tftglich nebst meiner Kirchen-
acbeil Vier standen in der Schulen au£^ wie meine H. H. aus dem in-'
^ ij . .-Lo Ly Google
64
& Seiltet:
liegenden Verzeichnisse welches ohn beschwerd durchznleBen ich dienstlich
bitte, erschon worden,
„Dass aber unter unsorn SchiUern ihrer viel nicht sonderlich profi-
ciren, ist die schuld nicht den Praeceptorib us, sondern theilss
ihrer selbst eignen laulheit, theilss ilireii nachlessigea
Schulgehon, theilss ihrem stumpfen ingenio zuzuschreiben,
Denn etliclie sind vor andern von dem vielgütigen Gott mit einem weit
schärffern ingenio aus gna(k»n begäbet, Etliche sind so faul, djiss sie
auch nicht eine einzige lection mit güte lernen, noch sich zu hause üben
wollen, Viel konniien zwar einen tag in dio Schul, aber bleiben dagegen
wohl drey wieder zu hause, Andre kommen wol gar nur des Winters
ein Viertel Jahr hei-ein, die übrige Zeit über verrichten sie der Eltern
Haussgeschefte, Wass dieselben proficireu mögen, werden meine H. H.
ihrer weisslieit nach selbst urtheilen, uad derüwegea deneu Praeceptoribus
die Schuld nicht beymessen . .
Einige Jahre später, als er das Rektorat mit verwaltete, klagt er,
dass ihm lÜ Tischherren abgegangen seien, ^) viehi der anderen
„lassen es bissweilen etlichmahl vorbey gehen," ehe er etwas bekomme;
die Accidentien würden auch von Tag zu Tag geringer, und dabei sei
seine Schularbeit vermehrt; „wass sonst ihrer zweene verrichtet, rauss
ich itzo allein bestellen und mich den gantzen tag hindurch mit der
nnbendigen Jagend schlagen und plagen . ,** Als ihm die Schalarbeit
endlich allein zn schwer fiel, betrieb er beim Rat, dass das Kantorat
wieder besetzt wflrde. Es meldeten sich zwei pairicil, and der Rat
beschlosB dazu, „bürger Kinder gerne vor frembde zu befordern,
dofem sie norten vors Erste Dozne tüchtig vnd geschickt Dan hierin
lant Chorf. Gonsistorialabscheides (von 1600) dieselben nicht nach affecten,
sondern nach dero Eraditione, damit die Schnl wohl versorget werden
möge, gesehen werden solle. Doznn dan anfangs wie Sie Ihr Stadium
Academicnm absolviret, vfznezeigen von nothen. 2. Die Probe
Ihrer Mnsic öffentlich darzathon vnd ein petitorinm ex tempore
woranss Ihre Erudition zu ersehen, vfieuesezen schuldig, 3^ Einen Revers
aufzustellen Sich nicht verweigern. NB. Weil auch bey hiesigen
Schulen ledige Persohnen erfordert vnd Keiner hieranff eine
Ehefrau erhalten kau, als soll auch Keinen lenger der Tisch alss
so lange er vnverheiratet bleibet, zuQgesagt vnd versprochen werden
Welches auch in der vocation hineingerflcket werden soll,** das ist aber
niemals geschehen. —
Friedersdorfs Grabdenkmal, ein gewölbter Schild, ist in der
N&he des Altars der Marienkircbe eingemauert und enthftlt folgende In»
>} Am «fatem i^hieitigen Batq^fotoeoll: „Wegen aHerbandt grossen Gontiiba-
tioiwlMiehwerden hat man bidiaro nidit absehen meten, wo beaoldnog and Tla6he
hergenommen werdm soUeD, tamahlen der Knaben «ach nUAA wa viel TOriianden .
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Die Straosberger Stadtacbnle.
65
Schrift: „D. 0. M. S. Allhier Gleich über in der Erden vorm Altar
lieget Begraben Tit: Herr Martin Friedersdorff, gewesener Pastor und
Inspector zu Sti-aussber^ in Patria fast in die 13 Jahr, auch vorher
Diaconus lU und Cautor 13 Jahr. Hat inzwischen zur Ehe gehabt von
Anno Christi 1666 den '2. oct. in die 3 Jahr Mariara Tit. Herrn M. Tobiae
Schüsslers, Hiesigen Inspectoris Tochter and mit ihr 2 Kinder, Dorotheam
und Tobiam, davon dieses auf 6 wochen selig verstorben, Jene aber an
Tii Herrn Daniel Heysen, Hauptmann, 1688 den 28. oet. verheirafhet,
und ans ihr 5 Kinder Gross-Yater worden. Hernach 1670 den 6. dec
gehabt Enphrosynen, Tit Herrn Matthfti Cofhy, Pfarrers zu Beyersdorff,
Tochter Über 28 Jahr, aber ohne leibes-Erben, ist gebosren 1636 den
9. Novb. gestorben 1699 den 30. Januar und beerdigt den 8. Februar,
Seines Alters 63 Jahr 11 Wochen and 4 Tage. Text Lnc. 2 Herr nnn
lassest dn deinen Diener in Frieden fahren."
35. Godofredns Schwanbenser 1675—79 [FM 1667 Strans-
beigensis non inravit]; verwaltete gleichfalls die Yioes rectoratns [1679
bis 1681 war er Kantor in Att-Landsberg*), dann Rektor in Copenick
und daranf Probst zn Mitfcenwalde.]
86. Johannes Uflllerns 1680 — 87, wurde 1688 rector scholae.
37. Ifartinus Fridericns Lüdecns, geboren 1661 [also ein
Strausborger] 1687—88.
38. Jeremias Schüslerus 1688—91 [ein Sohn des Magister Tobias
Schüssler, der 1656— 58 Diaconus, 1658 — 87 Inspector war], qaomortans
est. 1691 — 99 vacat cantoratus.
39. Fridericus Gottlieb Schwanheuser 1699—1711 [GM. 1676,
Strausberga— March.] Dieser hatte mit dem gleichzeitigen Rector Sommer
viel Misshelligkeiten, so dass es einstmals in der öffentlichen Schule zu
einer HaccollatioD kam; denn da der Rector recordiren, der Cantor aber
'wegen schlechter Witterung dazu nicht stimmen wollte, fiel jener mit
Hülfe seiner Frau Gemahlin über diesen her, risspn ihm \4ele Haare aus
und haben ihn als einen ]>odagrisc]ien und chiragriselien Mann selir ge-
misshandelt. Er legte seinen Dienst 1711 nieder und wurde ihm sein
Sohn adjungiret.
4C). Friedericus Gottiieb Schwanheuser, der Sohn, 1711 — 19»
Sein Bewerbungsschreiben vom 29. Juli lautet:
„Vir Reverenda Dignitate et Eruditione Chirissime! Yiri An)i»li.ssiini
DoctUsimi nec non Sapientissimi! Fautores et Patroui mei plurimum
honoraudi et observandi!
Ilumanitas vestra, (^uae decns et oondimontuni est caeterarum vir-
totum niihique satis nota, aditum ad Tos, Ami>lissimi viri, mihi facit;
et quoö ferme quotidie verbis, nunc litteris compello paucis. Date veuiam,
0 Oaehde «^■»O.&sn. -
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66
B. SeifEert:
Nobilissinii, et ij^oscite •|u;ii'So liht'i tati meae. iw dicam audariae, quam
mihi Hmnanitas vestra dat, quo tutins ac certius in manns vostras veiiiaiit.
Nostis riiiiii Patroni optimi Arguniontum sive causam .scribendi: Dominus
Parens meus, yv^h dolor! in vincula conjectns est, quae ambas ei manus
ac pedes valde (umsti iuxerunt. Lictorem si quaeritis, Viri Sapientissimi,
est Podagra, inorata illa Doctorum contubernalis, et Chii agra, importana
iila nimis studioruin Oomes, illa pedes, liaec inaiius invadit, tenet, occupat
et calamo ferias sa»;pis.sime indicit ad phisculos dies. Imo haec 'üpoa^na
(■aiisatur, ut vix ac ne vix (piidoni sui iuris et pulvis scholasticus ei
t'erme odiosus sit. Filius suni, Fautoros raei, Patris mei, qui officio hoc
scliolastico fungi uon ineptus, Filius sum Yestrae urbis, totus vester siim.
Adsciti noD raro exteri, ipse autem domesticus sum. Res haec in mana
vestra est, et volutas et facultas robis est, me ex nniversis evocaodi.
Feto ex Vobis, Patroni optimi, ni me hoc dignemini officio, sancte Ego
promitto me non solom pium, sed et diligentem fore. Qtu interea vester
ero, ager ego, sed 'dhyeHdkatxoi, in hoc quicquid nascetar, id omne a vobis
acoeptam feram. Dens T. Om. Vos servet, vestra dirigat consilia
vestrisque adsit laboribns. Vestmm Deditissimns atqae Observan-
tissimns Servns
„IVegen seiner guten Conduite nnd satteam habenden Eradition,
aneb seiner alibier vielföltig abgelegten gaten proben halber wurde er
znm Gantorat qaalificiret und tüchtig befunden" und im August 1711
eingewiesen. Er starb 1719. —
41. Daniel Pape 1719, Sohn eines Kotais') in Wrlesen, welcher
gleichfalls hier starb 1721.
42. Georgius Henricus Lossow 1722, ging nach Bärwalde.
43. Johannes Georgius Tismar 1724, vir ob Fgregiam eni-
ditionem majori Diguitate (li<^nis.simus; war schon 1721 gewählt, zog
aber wegen ander weitig(>r Beförderung damals nicht gleich an; [wurde
1727 Prediger in Görlsdorlp).
44. Joachim Ehrenreich Kirchner 1727, welcher 1 der starb 1741.
Dass die Leistungen der Schule während dieses Jahr-
hunderts nicht mehr auf der ITöhc standen, wie in der Zeit
\*>n der Reformation bis zum '?nj. Krieg, b<'weist ;iin augenfälligsten
die Thatsacho, dass die Zahl drr Studierenden eine ganz mini-
male wird. Mag immerhin der mangelnde Wohlstand der Bürger eirnge
Schuld daran gehabt haben, den Hauptgrund ei-blicke ich in der Unzu-
länglichkeit dessen, was und wie es in der Schule gelehrt wurde: die
von ihrem Beruf nicht el>en besonders begeisterten Lehrer werden es
auch nicht verstanden oder über sich vermocht haben, ihren Zöglingen
ein reges Streben nach weiterer Ausbildung einzuimpfen.
>} Firsnkf. Matr. 1678. — '} Fabridna* Naefaiidit in Sefikmanns NaehbuiB.
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Die Stxmnibmger Stadtschule.
67
C. Strausberger Studenten 1041) — iu Frankfurt.
11)49: Martinus Friderstorff [Kant. 34J.
lf)50: Johanaes Kortios [1672 Ratsherr, 1683 Buigermdster,
starb 1714J.
1654: Fanliis Hunovins. Adam Zimmennanii.
1658: Johannes Hoppe.
1660: Ghiistophoms Sdrasslems [Sohn des Inspectors Mag. Tobias
Schfissler, später Notariiis pnblicns, starb 1678 im Alter von 28 Jahren*)].
1667 : Godfried Schwaneiilieuser uou iuiavit [uocli einmal 1676 an-
gesetzt; Kant. 35].
16()8: Adamus Schuitzios, uon iuravit [ging lli76 mit Friedr. Gottl.
Schsvanhäuser — Kant. 89 — zusammen nach Greifswald (GM), kam aber
1680 noch einmal nach Frankfurt].
1692: Gottfried Cröger. — 1713: Christianus Sie^fridus Ileusinger.
— 1725: Daniel Ehrenfried Heusinger. — 1734: Ernst Sigismund Witte
. ... in Summa 12. — *)
Die Königliche Verordmine; über den Selectus in^^iMÜoi um, welche
dem Mafristrat 1710 zur Nacliachtung' übermittelt wurde, war demnach
für Straurfberger Schulverlialtuisse ein längst überwundener Standpunkt.
Als Anhang zu diesem Abschnitt möchte ich noch etwas über eine
im Jalir 1721 erfolgte Neuregelung der Besoldungen für die
Lehrer hinzufügen. Ich kann mich allerdings hierbei nicht auf eigene
Forschung stützen, überlasse vielmehr die Verantwortung für die Richtig-
keit den Sternbcckschen Beiträgen. Dieselben berichten (S, 53), dass vom
16. bis IH. Mai 1719 eine Kirchenvisitation in Strausberg stattgefunden
habe, und zwar durch den Probst Porst, Hof fiscal Schulz und Con-
sistorial-Commissarius v. Monsberg, und eitleren dann (S. 181 — 199) bei
der Besprechung der Einkünfte des Rektors, Kantors und Küsters eine
„Matrikel von 1721", die, wie so manches andere von Sternbeck noch
Benutzte — z. B. auch das Mathäusliche Heglenieut von 1739 — selt-
samer Weise nach oder mit iliui au.-^ di iii Archiv verschwunden ist. Eine
Zusammenstellung der zerstreuten Andeutungen ergiebt als Einnahme
*) Nach «inem in der Sakristei der Herienkircfae bAagenden MEhren gededitnin
AbB gerichtet von dem Ebrwilidigen heizen H. Tob. SohllaBleni Sehlen im Hemi
TefBcbidenen Kindern.* —
*) Bernau 30, Biesentbal 7, Buckow 20, Eborswal.lt^ 2=?, Freienwftlde 31 ?), Alt
Landsberg 10, MQnchebert; 38, Oderberg (5, Seelow 10, Wriezen 59 (?) ; aus den Dörfern
des Oberbamim löi v. Bariuse 4, v. Knimmensee 1, v. Ffuel ö, v. riatun 6, v. Kübel 4.
— In Cheifenild etndirten «la Sbrmubeig 2, Beman 8, Wrieien 8» Ah Lendsberg 1,
Bieiienthel 1, Bnekow 1, Oderberg 1 und Ton den Heim t. Pfnel 2. —
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68
B. Seilfertt
1. d«'s Rektors: Freie Wohnnog und frei Holz (Iii Klaftern), 5 fl
Gelialt und statt des Freitisches 40 Thal. Speisegeld •) aus der Kämmerei-
und (In- Stadtkassc ■'), er hatte auch, wie jeder Hauseigentümer, „ein
Schwein frei zur Kicholiiiast.'* -Die Ziese- und Accisokasse zahlt ihm
wegen seiner Steuerfreiheit II Thlr. Jigr; die Kirchenkasse 15 fl Gehalt,
statt eines freien Bettes jährlich 4 Thh., für Bettniachen und -Wäsche
1 Till. gr, an Stolgebühren von jeder Traue 3 gr und ein Brauttnch,
für ein«' urossi' Lcicln' cT 3 ^, für eine kleine 2 gr 2 ^j, sowie iL
Wachs. Von jedem Scliiilknaben endlich erhält er 12 ggr. didactnim
odi'r [uecium und ö gr Marktgeld, sowie die Hälfte dessen, was von
den vier Recordationen einkam.
2. (les Kantors: 10 fl Gehalt von der Kanimerei, 2 fl vnn der
Kirche, alle übrigen Kompetenzen wie beim Rektor, doch au.sserdem
noch für jedesmal Musicieren in der Kin he an Sonntagen 1 gr, au Feier-
tagen 1 gr 6 ^ und für die Dustermette <) gr Passiousgeld.
3. des Kftstere (als Uädchenlebrers): derselbe erhält kein Gebalt,
sondern nur Scbnlgeld and zwar von den grossen ICftdchen 6 ^, von
den kleinen 3 ^ wöchentlich; bat auch keine fireie Wohnung, sondern
sein eigen Hans, ist aber, wie die Geistlichen, von allen borgerlichen
oneribns frei').
') Sternberk S. ..durch Ratßverordnunsr vom 14. Februar 1705 Ptngeführt
und in der Weise unter die Bürger veranlagt, dass pro Quartal von einer BrauBtelle 3 gr,
Bflisentelle 2 gr, Bode 1'/, gr, von den MiettbOiseiii aber 1 gr edioben wurde." ~-
*) Bat (Magiatnt) nnd BOigerBcliafl ftthrten bis sor Stldteordniii^ bin getreimte
Kassen. —
^ Welche Anforderangen an solche ^Lehrer im Nebenamt" gestellt wurden,
charaktt'riöiert folgendes Zeugnis, das sich in der Aintsregistratur zu Buckow findet:
„Actum Strausberg, d. 29. April 1739. Auf Erauchen des hochgräfl. Amtsrahts Wiesen-
bafers und den Herrn Pastoris in Oartain tit H. Maogebers bab« leb Martin K<lnigB-
Stftdt, gebürtig in Berlin, eint .s SoMat> n Sohn im Wuisen-Hausse daselbst enogen,
.M'l» Jnlirc :i!t. der das Schneider Hiindtwerck gelernet und darauf! gereiset hat, tentiret,
<>\) er die zum Küster und Scludiuci.'iter erforderte Wissenschaft besitzet. Da ich denn
folgender gestalt sein« profectus befunden habe: 1. Lieset er distincte, lautt und ver-
nebmlicb, Bnebstabieret aodi recht nnd gut 2. Im Anfselilagea der Ö. Bibd nnd wie
die Bücher A. und N. Testaments aoff einander folgen, ist er nicht erfahren, nnd geflbt
WIW aber sich durinn üben, und lernen. 3. Den Catecliiisiunm Lutheri hat er zwar
den Worten nacli inne. an dem rechten Verstände de.«!^iÜHn tthlet es noch und ist
die Heylss Ordnung von der Busse und Oiaubeu ihm wenig bekannt. Wiewohl so vitil
erhellet, dass in der Jugend erwobi sey angef&hret nnd nnterricbtet worden; benaeh
ist ' bej seines Handwerks Betrieb ^eles vngessen. Er (Terspricht aber unter Gött-
lichem Beystand Fieiss .i' zuwenden und des H. Pastoris Instruction zu folgen, damit
das Vergessene wieder hergi-steilet und durch firissige Übung er ein mehreres noch
dazu lernen möge. 4. Sind auss der Kechenkuust das 1 mahl eins und die vier Speeles
ihm bekannt Von seiner Schreibart liegt die Probe biebey. 6. Die Art an singan
gefiült mir wohl. Weil er nach den anflgegebenen Melod^n fertig, rein, dentlieb nnd
helle singet." [Muss von Inspector Frid. Fabricius — 8. Bekti.61 — anqgeetellt ■sin.J
Nach einer Sonntagsbeilage der Vossiscben Zeitung. — ^
Die Straosberger Stadtochale.
69
V. Retormyersnche. If eae Organlsatloii der Schule. 174M>»-1818.
Zunächst blieben noch nach wie vor Hie nasseren und inneren
SrliulvorhnUnisse in ihren wesentlichen Formen und Erseheiinmuen die
<;lei( hi'H, unveränderten. Aber wahrend in (h'ni vorifj;:en .lahrhuudert sich
ki ijn' Hand regte, um zur Förderung des SclnilwesoDS irgend etwas Kr-
spriessliches zu schaffen und namentlich nach Beseiti^ning fast mittel-
alterlicher Zdptgebräuche eine neue Grundlage für Reformen zu gewinnen,
sehen wir nach dem Jahre 174(1 von Zeit zu Zeit nicht mir eifisichtige
Männer mit Plänen für die ümgestaltum^ der Strausberger Schule be-
schäftigt, Rektoren, Inspuctoren und Bürgermeister, sondern können auch
bemerken, dass hin und wieder sogar in der Bürgerschaft die Ahnung
aufdämmert, dass es so, wie bisher, nicht mehr weitergehe, vielmehr
etwas Neues, Besseres geschaffeu werden [müsse, was dem BedflrfDisse
und dem Geist der Zeit entspreche. Wenn^nan aach die Verwirklichung
solcher Reformpläne vorerst noch auf mancherlei Hindemisse stiess,
schon die blosse Thatsadie, dass man dem Schulwesen überhaupt
wieder eine gewisse teilnehmende Anf]ne[rksamkeit zuwen-
dete, war an und für sich ein erfreuliches Zeichen und — bonnm voluisse
sat est. Inwieweit hierbei das Machtwort Fridericianischer
Regierungsweisheit von heilsamer 'Einwirkung gewesen ist,
inwiefern man die Anregung dazu auf die epochalen Neuer-
ungen auf dem Gebiete der Pädagogik eines Franke, Hecker,
Basedow, Bochow u.a. zurückführten darf , deren weitverbreiteter Ruf
ohne allen Zweifel auch nach Strausberg seinen Weg gefunden hat, das
zu entscheiden mag der zusammenhängenden Darstellung der einzelnen
Vorgänge überlassen werden.
Zuvor möchte ich aber das Lehrerverzeichnis zum Abschlass bringen,
welches, wie bereits erwähnt, für diesen Zeitraum von Perlitz ergänzt
worden ist.
A. Rektoren 174Ü-1818.
53. George Friedrich Jaeobi 1746, vorher Konrektor (No. 46)»
kam 1755 als Diaconus nach Freienwalde. — [Von ihm und dem Kon-
rektor Sdianer ist eine Äusserung Über Schulfeiern (19. März 1748)
vorhanden: ,Wir bitten den Tag des Examinis näher zu bestimmen, in
Absicht des Schulactus aber uns bey leibe nicht zur Last zu legen, dass
wir denselben wegen der zu dieser Arbeit vor itzt noch untauglichen
Beschaffenheit unserer lieben Jugend aufzuschieben bitten müssen; zu-
mahl derselbe nicht bloss zur solemnitaet, wi(> der im Jubilaeo vom
seeHgen Rector Eustachius geschehen, sondern den Mutzen unserer Kinder
^ ij . .-Lo Ly Google
70
zum Zweck haben, folglich ihnen zugleich ein £xercitiam Oratorium
sein soll . ')]•
54. Jobann Friedrich Pape 1750—59, [FM 1749] ein Sohn des
ehemaligon Yiiesigon Dirt^ctors Peter Siegfried Pape, ist von hier als Pre-
diger nach Zinndorf gekommen.
[In seiner Bewerbung nm die Rektorstelle empfiehlt er sich nnter
Berufung auf seine Familieuverhfiltnis.se: „er sei Patritius und sowohl
sein Grossvater habe im geistlichen, wie sein Vater im obrigkeitlichen
Amt dieser Stadt bis an ihr £nde gestanden.**
Das Schu Ige bände n. s. w. schildert er 1755 folgendermassen:
„l. Was die Schulst übe betrifil, so ist das Pflaster (!) dermassen ans-
getreten, dass nicht allein zu verschiedenen Mahlen Kinder darüber ge-
fallen, sondern auch selbst ich bin schon zweimahl in dieser Gefahr
gewesen, so dass it li mich kaum noch erhalten können. Die Fenster-
rahmen sind so verfault und getirechlich, dass die Weiber sie iiicht mehr
scheuern wollen. 2. Der Zaun des Hofes ist gefährlich. Wie aller mensch-
lichen Empfindung, Wohlanständigkeit und heidburkeit znwieder die
(^ommo<lite auf dem Hofe beschälen, schäme ich mich selbst anführen
zu müssen, und ich kan aufrichtig bezeugen, wie icli weder dertjleiclien
unbeschreibliche Unreinigkeiten jemals gesolien, noch weit weniger die
Incoinmoda davon zu ertragen notluLr f^i luibt. 3. Ein Fach im Leiter-
hause (Spritzenhaus?) ist ganz einf;ctalleu. Steine und allerhand unnütze
Dinge fliegen hindurch in deuijai'ten; die Gartenthür ist verfault 4. Über-
all regnet es ein."]
55. Joh. Samuel Krüger 1759 — ß?, vorher Konrektor (49), wurde
hernaeli zum Diactfins Itefördert. [Sein Einkftniinen vom Rektorat
und Or^^aiiistenamt betrug: 1. Speisegeld jährlich aus der Stadt Casse
40 Thl. 2. aus der Cänmierey 3 Tbl. 13 gr, 3. Holzhauer- und Eiahitzer
Lohn 1 Till 18 gr. 4. für die 4 Recordati<»n('s das lixirte douceur von U> gi\
5. Aus (b'r Kirelie 14 Thl 15 tn" und 2 iL Waebs. (>. An Accidentien von einer
grosseu Leiche ) 4 gr, von einer mittel Leiche 3 gr 3 von einer kleinen
') Im April bitten bei<lo um ein licpouderes Honorar <1afür, dass sie „nach den
Wünschen des MagistnitH den KiiKlvni kleine Beden beigebracht und eingeübt liaben *.
*) Jener aU Inspector 1699—1729, dieser als Consul dirigens et judex 1710—46.
^ Nach dem KOnigl. Edikt vom 17. Febmar 1748 gab es damale d Klaae«! toh
Leiehfln: „l. Adlirhe. i: [ih oder Gewölbe Leichen. 8. Ganse Kirchhofs- oder
bflrperÜch»' und ordinaire Leichen, so nebst Begleitung säraintlicher Prediger und der
ganzen Sciuile und völliger Procot->'iun zu Grabe getragen werden. 4. Halbe Kircb-
hotfö Leicheu, wo nur die Diaconi und halbe Schule folgen, ö. Viertel Kirchhoffs*
Leichen, wo nnr ein Prediger nebst Cantore tmd weniger Conende mit gehet." „Mit
Beobachtung der hiesigen UmstAude* hesümmte der Magistrat am S8. Min 1748 die
<;t bnbren fiir KInsse 1 insgesaint auf 30 Thl, wovon auf die Schulbedienten und den
KüBt«r ö Thl entfallen sollen i mit den abxigen Klassen Uess man's beim Alten. —
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Die Stnmabeiger Stadtseboto.
71
Leiche 2 gr 6 ^, von einer Trane ind. Tnch 5 gr. 7. Als Organtste ans der
Eirdie 12 Tbl nnd 1 ü Wachs, vor eine IVaue incl. Tnch 8 gr. & Das
Schnlgeld ivird nach der alten Observans qnartaliter gehoben.**
Durch den allgemeinen Notstand während des siebenjährigen
Krieges und die zunehmende Verteuerung des Unterhalts — Strausberg
wurde im Oktober 1760 auf Befelil TschernitsclielTs um 5210 ThixW
gebmndsclint/.f — veranlasst, kamen der Rektor und sein Kollege Krüger
(Kant. 51) beim Magistrat um Erhöhung des Gebalts und Verdoppelung
des Seliulgelds ein: «alles mnss zwey doppelt so bocli als vormahls ge-
zahlt >verden; diejenigen Eltern, welche ihre zarte SprossUnge zn ilirem
wahren Besten zur Schule halten, werden sich nicht weigern, das gewöhn-
licbe, überdies gar geringe Schulgeld fortan zu verdoppeln." — Sie wei-
gerten sich doch; erst tlurch Regierungsverfüguiig vom 24. April 1764
wurde dasselbe auf 0^ wöchentlich erhöbt.
Krüger starb nacli öTjäriger Dienstzeit i. .1. bSlT.]
51), Tnl)ias ^Vl'ber [Strausbergensis ITöJ, stud. theol.] 17b7
zugleich als Adjuuctus Miuiöterii augesetzt, wurde 1772 als Prediger nach
liaselberg berufen.
57. Gottfried Ephraim Crüger 177)i — 1S12, ein jüngerer Bruder
des .lob. Sanmel. Er hatte in Halle studiert und wurde aus iStreitUerg
hierher berufen. Er versah auch die Predigerstelle beim hiesigen Land-
ariiieiihause und starb 181i\ [Von 1S()8— 11 wurde das Kektörat vom
Diaconus Kriesjel, von 1812 — 18 vom Diacouud Leopold Zesch uebeo-
auulicli verwaltet.]
B. Gonrectoren (Cantoren) 1741—1818.
45. Adam Friedrich Friderici, cand. theol., 1741—43, ging als
Gonrector nach Ffirstenwalde. [Von Pradikow ans meldete er sich zur
Musik probe: „Bisher auf vocal Musiqne mich zn legen hat sich noch
wenig Gelegenheit gefunden, und wird ein solches durch göttl. Gnade
und ofltmahligere Übnng ausgebessert werden. Ich habe zn dem Ende
eine Cantate ausgearbeitet, welche nach erhaltener Erlaubniss an den
Kunst-Pfeiffer Ihres Orts einige Zeit vorhero zn überschicken willens
wäre, damit durch vorl&uffige Übung eine desto grossere harmonie ent-
stehe. Anbey habe auch dieses gehorsamst anszubitten, dass die Orgel
zugleich zu spielen mir vergönnet werde, um alle besorgÜche mnsicalische
Uneinigkeit zn verhüten ..." Er wnrde als Conrector, Cantor und Or-
ganist berufen, naclidem er zuvor vom Konsistorialrat M. Roloif in Berlin
„zum tenraniiue sistiret und de nudiore n>( (tmmendiret worden." —
Sein Vorgänger Kirchner hatte eine Witwe mit fünf uiieiz<»ü:enen
Kindern hinterlassen, die sich in grosser Not befanden: „Da aber dieser
') Perlits: ,Di« Braattfldier In natura schaffte der Inapeetor mr Unden [1729
bis 1786] ab« weQ er sie an eompendie« fud *
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72
B. SdfEert:
casos hier noch nicht ezistireli, dass ein Schnlherr verstorben, so Familie
hinterlassen**, worde anf Beschlnss des llagistrats (21. Angust 1741) „der
Witwe zum sonlagement ein halbes Gnaden Jahr biss UidiaeUs
accordiret, und ein- vor allemahl fest gesetset, dass es pro fotoro dabey
verbleiben, and wenn dergleichen kfln£ftig vorkommen möchte, so soU
das Sterbe qaartal nicht gerechnet, und sodann jedoch noch ein halb
Jahr, wenn eine Wittwe oder Unerzogene Kinder hinterbleiben, gerechnet
werden, in der Hoffimng, dass die posteritaet sidi solches gefallen
lassen werde.*^
46. George Friedrich Jacobi, ebenfalls Oandidat, 1743, erhielt
1746 das erledigte Bectorat. [8ein Prüfangszengnis vom 3. No-
vember 1743 lautet: „Herr Jacobi ist von mir examiniret worden, ich
wünschte dass er in diM* lateinischen, Griecliischen und sonderlich auch
in der Hebräischen Sprache eine mehrere fertigkeit erlanget hätte. Jedoch
ist es alles noch so bescbafTcn, dass er zum Cantorat in Strausberg wohl
kan admittiret werden, weil sich in selbiger Schohle schwehrlich junge
Leute zur academia werden praepariren lassen. Da auch Candidatus
versprochen, auf dem gelegten Grund weiter fleissig fortzubauen und
seine Z<'it und Kräffte wolil anzulegen, so wünsche dass er seinem Ver-
sprei'hoTi und meiner gethanen admomition unter t^öttlichetn Bevstande
möge nachkommen. J. P. Süssmilch mpr." Weiteres s. unter Rekt. 53.J
47. Immanuel Friedrich Knoblach 1746, ging 1747 als Con-
rector nach Wriezen.
48. J. E. Schauer 1747—48.
49. Joh. Samuel Kröger, cand. theo!,, 1749, wurde 1751) Rector
(No. 55). [Er eutstanimt wohl der Tastorenfamilie in Prädickow, aus der
ein Michael KiöO — 1704, danach Gotthilf — 1741 bei Beckmann erscheint.
Konsistorialrat Süssmilch in Berlin attestierte ihm; „Der Candidatus
theol. J. Sam. Krüger hat sich mit einem praesentations Scli reiben von
einem Ilocliedlen Magistrat der Cliurinärkisciieii iniuiediat Stadt Straus-
berg bey mir zur exploratiou gestellet. Nachdem ich dieses gt th.iti und
ihn zu diesem kleinen Srhulamt hinlänglich befunden, so habe die Ehre
ihn mit diesem attestat dei- admissabilitiit zu remittiren."
50. Joh. Carl Arndt 1759, wurde „wegen vennuthlich begant^n'nen
stupri" 17()1 flüchtig.^) [Im Namen des Königs wurde unterm 19. Ai)ril 17(»1
verfügt, „da.ss seine Revenuen vom Ta-e seiner Eut weichung an gerechnet
in Beschlag genommen werden sollen, massen derselbe bis ausgemachter
Sache cum eifectu ab officio suspendiret worden. Den Vertretern soll
vom Suspensions quanto ein douceur verwUliget werden."
') Merkwürdiger Weise war ein Jahr zuvor, am 16. Mai 17CU ein Kgl. Edikt
6nchi«iMii, qWie derer Frediger und Schnllebrer VeiBehen imd Ezcewe imtenDcfaeti
auch aoleb6| nach befindenden Umstinden, beatrafet werden oollen.* Darin beisil es:
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Die Strauusb«rger Stadtschule.
73
51. Gottfried Ephraim Orfiger 1761—78 [s. Rektoren 57].
pOnrch Königlichen ErlasB vom 8. Septb. 1763 wurde er „in j>uncto
antecipati conoabitns — seine Frau gebar sieben Wochen nach der Hoch-
zeit — mit 10 Thl. sor Wittwenkasse" bestraft, nicht aber dem Antrage
des Magistrats gemäss, an einen andern Ort versetzt.]
52. Jac. Sigismund Fr. Fincke 1773--77 wnrde als Prediger
' nach Neustadt bemfen. —
[Sein Lebenslauf: ,,Lectoribns Saintem x)lurimam dicit Jacobus
Sigismnndus Fridericns Fincke. Liceat Leetores, yitam meam Vobis ali-
qaantolnm exponere. Natns snm patre verbl dinini ministro. Piacnit
dininae sapientiae me in primis pneritiae meae annis hoc vitae fnlci-
mento et solatio esse destitotam: qno fSactnm est, nt plnrimam vitae
partem in Qrphanotropheo, qnod Halae floret^ eg^rim. Novem annos ibi
inter orphanos versatns, in eadem litteramm nniversitate Halensi scientÜs
addiscendis theologicis me totnm dedi. Hinc actis tribns fere annis
pastor quidam Behrendsias me in scholam snorom priaatam vocanit.
Coetoi Christianoram D. Lntherum, verae religionis instanratorem, se-
quentinm adhaereo. Oaeternm benenolentiae fauoriqne Yestro me com-
mendatnm habeatis rogo. Valete.
Ut et reliquum scribendi genos cognoscatis, dictum quothiam
Joannaeam aliis litturis « xprimere Übet: Also hat Gott die Weit ge-
Uebet u. s. w. ia deutscher Kursivschrift.J
53. Job. Schneider, cand. theoL 1777, welcher [vom Königl. Ti-i-
bonals- nnd Eammergerlchtsrat Krüger in Berlin empfohlen ondj 1778
in dem bairischen Kriep:(' als Bataillonsprediger berufen wurde.
54. Job. Daniel Moritz 1778—1819 [FM. 177(>, Sohn des Pre-
digers Daniel Christian Moritz in Zicher, Neamark], starb 18 19. —
„So grossen TOnflnit die Prediger und SchoUehrer im Staat haben, und so allgemeinen
Nutzen derselben Dienst verschaffet, wenn solcher von redlichen und wohlgesitteten
Männern geleitet wird, so viel ühel entsteht daraus, wenn in dcrgl. Ämtern sich solche
Personen befinden, welche selbst sich allerley Lastern ergeben und dadurch bey ihren
G^einden grosse Ärgernisse anrichten, und häufige Nachfolger ihrer bOaen ExMnpel
nuchan, wodnrdi nnr ontflehtiKa nnd piflichtTeigeaBeDe Unterthaaen gegen Vneere
allerhöchste Person, unsem Dienst nnd die vorgesetzte Obrigkeit erwachsen^, und
wird demnach bestimmt: „1. Alles was der Prediger utid Scbullehrer Amtsführung,
Conduite, Ohle Lebensart und grobe Vergehungen butrifft, bleibt Ivdiglich der Cognition
der Consistorien unterworfen. 2. Diese lassen durch den Inspector gründUche Er-
kimdignng eiuiabeii; kommt dabei niehta herana, ao soll die Sache auf alch beruhen
bleiben, im andern Fall soll der Inspector dem Betreffenden ernste Vorhaltung machen.
3. Durch Zongenvomehmung ßoll der Lebenswandel festgestellt [werden. 4. Zu ver-
hängen sind leichte Geldstrafen bis zu 30 Tbl , dann Suspension loco poenae bis auf
3 Monate. 5. Translocation oder Bemotiou ab olhcio ist nur nach Anhörung des
Juatia-OoUeghuna Yom Oonaistorinm an verftlcen. 6. Leibea- und Lebensatraffen ver-
bangt allein daa JuatlacoUefl^um. —
74
C. Studenten auf der Universität Frankfurt bis 1810.
1748: Carolus SamueUs Fabricins [Sohn des Inspeetozs Fabricins].
1749: Joannes Fridericus Pape [Sohn des Peter Sigfrid Pape Neo-
Marchicus Zellinensis, der FM 1712 iminatriculirt ist, s. Rektoren 54].
1758: Johannes Siegfried Heller [Sohn des Ratsherrn Peter Heller,
der 1736 erkoren, 1743 Kämmerer, 1749 proconsnl wurde, auch Zoll-
einnehmer war und 1772 resignirte].
1762: Tobias Weber, stud. tfaeol. s. Rektoren 66. — Job. Ludovicus
Fiidericus Wolffius, ior. stud., Sohn des consul dirlgens et Judex Wolff
(1746^72>
1783: Friedr. Dan. Burchard, med. stnd., Sohn des Chimrgns in
Strausberg.
1800: Clirist. Friedr. Moritz, 20 V« Jahr alt, tfaeoL, Sohn des Joh.
Dan. Äloritz, Scholae Strausbergensis (jonrector, auf dem Gymn. Colon.
Berolini vorgebildet, sine testimonio maturitatisJ)
Die Reformverauche.
Am 14. Mai 1747 petitionierten Magistrat und Stadtverordnete') an
König Fl irdrich II :
„Ad 'Tl. Allerdiirchlauchtigster pp. Nachdem wir bey der neulich
aIlf^•('stpllten Schulvisitutioii walirgfnoniinon, wie os schlechterdings un-
monlicli sey, dass bey dein Zuwachs der Schuljugend, welche sich auf
1(K) l)elaufeD dürfte, 2 Schulbediente solche in den erforderlichen Wi^s^n-
schatten beliörig nnterriclifcn können, so haben \v\r diesen Unistand mit
denen Stadlvcrordiieten zu Rathhause überleget und vor .sehr nothwendig
zu seyn erachtet, unsere Aufmerksamkeit daliin zu richten, wie man
auj füs liebsten noch den ^5. Schulco liegen vociren könne. Da
dann die Büri?ei schaft sich sogleich resolviret, dem !{. Schuibedienten von
denjeiijMCü HM» Tbl., welche I]. K. Maj. wegen des Darlehns der 200()Tbl. ')
der hiesigen Stadt Ciis^e iiihrlich allergnädigst accoidiret, zu seinem
Unterhalt alle Jahr ' Thl. zu gebeji. Ob ?mn zwar die Bürgerscliaft
ilurcb den olferirten 15c\lrag ihr Verlangen bezeiget, uns zu dem inten-
dirten heilsamen Zweck beliülflich zu seyn. so sind doch sothane 5U Thl
nicht zureiclieud, den 3. Schuibedienten uothdürftig zu unterhalten,
>) Im ganseii 7, wlhrend ans Buckow 3, Eberawalde 0, Freienwalde 2, Alt
T-andsberg 8, MttDCheberg 7, Odeiberg 3, Seelow 5, Wriezen 14, aus den Dörfern dea
<)berbarnini 30, von den Adligen keiner mehr in Frankfurt wftltrend dieses Zeitratnns
studierten. — Die Ureifswalder .Matrikel dieses Abt^chnittes nennt ebenfalls keinen
Studiereudeu aus vurerw ahnten Orten. — '} Ihrer gab es seit 1Ö98 acht, während bis
dabin die BOrgerscliaft nur dnrch 4 Viertelsbenea (Berirkavontoher) yertreten wurde.
— *) Ein be8(HidereB Aktenstack lautet: „Dem König vorgeschoeaenea Capital von
120000 TliL 1744", wosu Stranaberga Anteil eben 2000 Tbl betrug. —
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Die Straiubeiger Stadtschule.
75
Dahero £. K. Maj. wir hierdnrc h alleninterthänigst vorstellen wollen,
was messen der Müller PreoBSe sicli ad Protocollnm declanret, wie er
I)« roit wäre, 1 Wispel Roggen jährlich zur Cäinmerey za gelien, wenn
E. K. M. gemhen wollten, iiini den nenen Mahlganp: auf srincr Mülile
allergnädip:st zn accordiren. Der dafür alljährlich fallende 1 Wispel
Roggen könnte dem 3. Schulcollegen als ein pars salarii jfegeben werden
[stcitt der Accidentien und freien Wolinung solle deisellx^ lö Thl «m-
halteii]. Gleichwie nun unsere hionintcr heg'endo Absichten nichts an-
ders, als das Wohl der .Tiif^«'iid zum Aufj^ennierk haben, iinii dann die
Bürgerschaftt nichts seliidicher wünscht, als dass diese lieilsame Sache
bald zu Staude koninien niÖp:e, unerwogen der eine Schulc<»lh'uc in voriger
Woche nach Wriezen vocirt ist,') eintV>l^li(•ll da nur ein eiiizit-vr Schul-
cöllege -) vorhanden, dessen Bemühungen bey der Schul Jugend aUes an-
gewandten Fleisses ungeachtet den gehörigen Nutzen niclit verschafi'eu
können: So leben wir der gewissen llolVnung , . .*
Wie Perlitz in dem oKen angctuhrten Verzeichnis der Tertiani be-
merkt hat, wurde aus der Sache nichts; woran sie gesclieit«'it ist, liisst
sich mantrels weiterer Nachricht nicht bestimmen, immerhin alter muss
die gute Al'siclit aruMkannt werden, um so mehr, als man gh'ichzeitig
in der zuversiciitlicheu Erwartung, dass die Königliche ( leiiehmiguug
nicht ausbleilien wenh', sich an den Entwurf einer neuen Schul-
ordnung machte, durch welche nicht allein die Thatigkeit des dritten
Lehrers, des Baccalaureus, in feste Beziehung zu dem Stundenplan der
beiden arulern Kollegen gesetzt, «uidern auch auf die Beseitigung der
bemerkten Cbelstände Bedacht genumnien wird. Diese Schulordnung luit
folgenden Wortlaut:
„Wann dem Publico in allen Ständen höchst daran gelegen, dass
die Schulen als seminaria in guter Verfassung gesetzet und in guter Oi'd-
beständig erhalten werden, als hat Mivgisti at und Inspector zum Nutzen
hiesiger Schule folgendes lve<;lement entwortlen, als welclies denen Schul-
bedienten, sobald darül)er Küni^l. alleignadigste approbation ein^^eholet
worden, um sich auf das genauste danach zu achten, soll bekanudt ge-
macht werden.
§ 1. Soll die vornehmste Sorge dahin gerichtet werden, dass hiesige
Sehlde jeder Zeit sowohl mit frommen, als auch geschickten und
fieissigen Int'ormatoril>us versehen werde.
§ 2. Soll nnt aller intention daliin gesehen werden, dass die Schul
Cullegeu, neb.st einem geistlichen Wandel, als worin sie der
') Konrektor Kuoblacb. — •) Rektor Jacobi. — ') Fabricius [s. Kekt 51] i»t
wohl ab der dgentliche YeifiieBer äioMB Begjements anmaelien: jede&falla luumte er
«US semer 10 jlhrigen Scbnlpraxis die Gebrechen der Stadtocfaale besser als sonst einer
der Batshens. —
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76
a Seillert:
zaitrn mit «in gut exompcl vorzugehen h.aben, sich insheson-
doro t'i ip«! licli uinl \ orträglicli mit einander betragen, und mit
vereinigten Kriiften und Jlertzen ilen vornehmsten Entzweck ihrer Arbeit,
/.n befördern sieh eusserst angelegen seyn hissen, damit Gott geehret
und die .luir'-fid zur Krkeimtniss und Fui'cht Gottes, hiornächst aber zu
nützlieiien W issenschaften anui iVilii t wenle.
§ SoUen die Schuibedieuten insbesondere der Jugend allen
der liuchsten Obriiikfit scliuldij^cn respeet, Liebt« und Furcht
wohl einpräiren; hiernat hst da>s sie ihren Elter?i, und denen, so ihnen
zu befelden haben, aucli denen l'redigern und al len Vorgesetzten
die gel»ühren(ie Ehrerbietung «'rweisen, sie tleissig dahin anhalten.
§ 4. Mit i\en Seiiulstunden soll es inskiinftiire so gehalten werden,
dass die siimnitlielie Schulknaben des Morgens um 7 Uhr ohu Unter-
scheid, es sey Sommer oder Winter, sich in der einen Ciasse versaninu lu,
bey wclclien sich Kector oder Conrector alternative hinfüro einfindet.
Hat der Uector die erste Stunde in der Woche, so conÜnuirt derselbe
mit der infonnation biss 1), währender Zeit der Cantor in der kleineu
Glasse informiret, faiemftchst seine publi«|ue informat: in der kleinen
Glasse biss 10 abwartet. — Wenn Gantor die erste Stunde in der Woche
hat, so infonniret er ebenmässig biss 9, alssdann Rector biss 10 mit der
Information fortfährt. — Baccalanreos informiret gleichfalls des Vor-
mittags biss 10 Uhr, ~ Des Nachmittags von 12 biss 1 Uhr h< Gantor
die gewöhnliche Singstunde, um 1 Uhr hält Rector seine publlijue Infor-
mation und Gantor von 2 biss 3. Baccalanreas informiret wiedemm
publice von 12 biss 3.
§ 5. Die Ferien sind auf alle Weise einzuschränken. In
den Hundstagen sollen nur 2 Nachmittage ansser den Mittwoch- und
Sonnabend-Nachmittagen in der Wochen zu Ferien ausgesetzet und keine
längere Zeit, als in dem Galender ') steht, dazu genommen werden. Wie
denn auch die 8 Tage, welche beym Anfang der Hundstage zu Ferien
bi^shero sind gemacht worden, gantzUch wegfallen. Die privat infor-
mation muss nach wie vor in den Hundstagen abgewartet
w^erden, weilen die Schulcollegen dafür insbesondere bezahlet werden.
Das sogi>naunte Recordiren, welches gleich nach Michaelis,
Martini und dem neuen Jahr seinen Anfang nimmt, muss höchstens
innerhalb 8 Tage geendiget u<M-deu, damit die Jugend unnöthiger Weise
in der informafion nicht aufgehalten werde.
§ (j. Stilte einem Schidci'lb iren unvermeidliche Hiudemiss vorfallen,
dass^er etliche Stunden nicht iuformiren kunte, so muss er die Kinder
') Der erste Kuleuder wird im Stadtbucb 15i^9 erwähnt und kostete 3 ,ag. —
*} Die vieite Recordatioo su OFcgorii (12. Hin) sdieint eine log. Zugabe geweMn ma
sein; Sternbeck meint, sie sei 172 L eingeführt, de findet flieh soeb in KrOgMS Be-
rafang 1759, jedenfalle wollte man sie jetst als flberflassig beseitigen. —
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Die Stniubeiser Btadtoehole.
77
desialss nicht müssig sitzen, viol M t-iugt r dieselben anseinancler gehen
lassen, sondern den andern Collcgen bitten, seine vices so lange zu ver-
gehen. Däfern ein oder der andre aber anf einen gantzen Tag anszu-
reyspii nöthig hätte, als weiches ausser denen Ferien niclit leicht za
verstatten, so hat er sich persönlich bey dem ITerrn Insi»ector zu uu'klen
und mnss ohne dessen Vorwissen und Besorgung seines Amtes bey
schwerer Verantwortung nicht verreisen.
§ 7, Die .Sehulcoliegpn, wenn sie ihr \int in den öffentlichen Stunden
verrichten, sollen sich in or d e n 1 1 i c liei* K 1 c i d u ni; e i n Ii n d e n , hier-
nüchst müssen sie die Schüler, in specie die grus.sten dahin anhalten,
dass sie in der Scliule mit reinlicher Kleidung erscheinen.
Die Schule soll sauber gehalten und zu nichts andrem als
der Information der Jugend gebrauchet werdfu.
§ 8. Und damit docentes und discentes sicli des ;^t>tt liehen I>ey-
standes und Segens zu versprechen haben, so muss jederzeit der Anfang
in der Information mit Singen, Beten und einem llauptstück
ans dem Catechismo gemachet und die Information ebeumüssig mit
Singen beschlossen werden.
§ [). Weilen discentes in 2 Classen abgetheilet sind, so müssen
keine in der grossen Classe genommen werden, welche niclit fertig
lesen können und den Anfang gemachet halten, den Catechismnm ohne
Auslegung zu lernen. Überhaupt sollen sich docentes nach dem ihnen
mit ersten vorzulegenden catalogo lectionum verhalten.
§ 10. Wann auch an der deutlichen und reinen Handschriflv ein sehr
vieles gelegen ist, so sollen docentes mit aller Sorgfalt die Jugend an-
halten, dass sie nach denen in der Schule befindlichen Vorschriften
accnrat schreiben lernen und selbigen, so viel immer möglich, gleich
an kommen sich änsserst befleissigen.
§ IL Docentes sollen keine abgeschmackte, (sondern nütz-
liche ezercitia ihren Schülern dictiren, viel weniger solche mit
niederträchtigen und unziemlichen Unterredungen aufhalten.
§ J2. Beym Anfang einer jeden Lektion müssen docentes
knrtz and dentlich denen discentibnjs eröffnen, was dasjenige,
so man zn tractiren gesonnen, vor einen Entzweck habe, damit
selbige das Ufer, wohin sie reisen sollen, sehen können und
mehrere Begierde im TiOmen erlangen können.
§ Di. In Bestrafung der Jagend sollen sich Informatores aller
unziemlichen Hefftigkeit und Hitze enthalten, dahing<'gen alle väterliclie
Mässigkeit und gehörige Besch ei(K-nheit gebrauchen, jedoch aber durch
allzagrosse Gelindigkeit und Verzärtelung der Jagend keine Ursache zum
Klagen geben.
§ 14. Die Schulbedienten S(»lUn mit allei* attention duhiu sehen,
dass die Jugend den Gottesdienst fleisslg abwarte, sich insonderheit
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B. Seifflert:
in der Kirrho still und riiliic auf führe, don Gesang: mit gebüh-
render Andacht verrichte, sich währender Predif^jt und Gebet alles unnützen
Geschwätzes und Muth willens enthalte, hinj^egen auf der Predigt fleissig
Acht habe, das Vornehmste aus der Prediget lielialte, und in nächster
Schulstunde es wieder erziihle. Und sobald, geliebt es Gott, die grosse
Kirche wieder ei-bauet, Süllen sich sowohl des Sonii- als Festtiiges
die Schulknaben in der Schule, wenn geläutet wird, einfinden, alsdann
die Sciiu h ollegen solbige in guter Ordnung nach der Kirche begleiteu
und ebenso nach der Schule zuriicki>ringen solh-n.
§ 15. Die Eltern sollen ihre Kinder fleissig zur Schule,
Kirche und K inderli'hre ^) scli icken und sie nicht wie das tunnne
Vieh ohne Zucht aufwachsen lassen, als worüber Magistrat und
Inspector nach äusserstem Vermögen zu halten haben.
§ 16. In der Gurrende sollen regulariter keine andre, als gantz
arme Bürgerkinder angenommen, auch nach 3 Jahren wieder dtmit-
tiret werden, damit andre arme Kinder zn diesem beneficio auch ge-
langen können. Die Büchse, worin das Greld gesammlet und qaartaliter
egalement unter denen Correndarüs getheilet wird, auch wie es geschehen,
nieder geschrieben werden mnss, so soll hinffihro bey dem Herrn In-
spectori abgegeben werden, als welchem lediglich der idlgemeinen obser-
vance nach, die distribntio der gesammelten Geldern zukomt Und weil
anf die gute Erziehung dieser armen Kinder haaptsächllch zu sehen ist,
so soll ihnen von den SchutcoUegen, noch sonst von jemand, keine
weitere Last auferlegt werden, als welche Magistrat und Inspector gut
heisset.
§ 17. Diejenigen Schnlknaben, welche wegen Tum- oder Träg-
heit oder andrer Umstände halber die zumStudiren gehdrige
Geschicklichkeit nicht haben, sollen bey Zeiten davon ab-
und zur Erlernung einer ehrlichen Profession angehalten, sel-
bige auch nicht weiter als vornehmlich im Christenthum, Schreiben,
Lesen und Rechnen unterwiesen werden.
§ 18. Der Rector muss insonderheit dafür sorgen, dass
alles in der Schule richtig zugehe, mithin dahin sehen, ob seine
Collegen zur rechten Zeit in die Schule kommen, und ob sie mit ge-
hörigem Fleiss inforniii«'?!. Findet er das Gegenthcil, so muss er den
Collegen desfalls besclieidentlich erimuM ii, und falls der andre sich nicht
daran kehret, solches alsdann dtnu Herrn Inspector melden, wie dann
dieser wenigstens einmal in der Woche in der Schule gehen und zuhören
') Eine karfürstl. Verordnung vom 18. Uctober 1660 „wegen der Beichte, Leich-
predigten, Beaocbung der Snuikeii und Catediismiulebre'' bestimmte, „daas die
beranwaelueiide Kinder nadi geschehinw gnngMunen tmtaniolitang snfOident von
dem Pfarrer der Gemeine bey Öffentlicher predigt deigestellet ond dATUif mm Abend-
mahl vexstattet wtfden aoUea.*^
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Die Stniubeiger Bfeadtodrale.
79
moss, wie darinnen informiret werde, auch die discentcs oxaminiren, ol»
ne dasjenige bereits gelernet» was su> von Rechts wegen wissen sollen."
Dies Kegleinent ist zwar ohne Datum und Jahreszahl, aber die An-
deutung über die Reparatur der Kirche ^) und die Anstelluiifj eines ßacca-
laureus stellt ausser jeden Zweifel, dass es zwischen 1747 und 1749 ent-
standen sein und in enge Verbindang mit der genaDoten Petition gebracht
werden mnss. Unter den Missständen, gegen welche sich die Ordnung
richtet, steht die Ferienfrage obenan, d. h. die ungerechtfertigte Gewohn-
heit der Lehrer, die Dauer der observanzmftssig schulfreien Tage über
Gebühr willkürlich auszudehnen. Die ärmere Bevölkerung war freilich
froh, wenn sie recht oft und lange ihre Kinder zu gewerblichen Hülfe-
leistnngen (Spulen, Hüten u. a.) gebrauchen konnte, tmter einem Schul-
zwang litt ihr Verdienst; aber die einsichtigeren Eltern, deren Kinder
auch den Privatunterricht besuchten, hatten ein Recht zu klagen, wenn
die Schulzeit beschnitten wurde, und so kommt dieser Punkt immer und
immer wieder zur Erörterung, so oft es sich um Abstellung von Miss-
st&nden handelt. Im übrigen basieren die positiven Vorschriften auf
den früheren Visitationsabschieden von 1674 und 1600; § 17 ist demKgl.
Edict über den Selectos ingeniorum (25. August 1710) entnommen; in
§ 11 und 12 erblickt man unschwer eine Anh-hnuns: an die Ideen, welclie
an den Ilecicersclien Schulen -) in Berlin praktisch verwirklicht und durch
allerhand Lehrbücher (insbesondere die Hähnschen)') weiteren Bereisen zum
Yerstäuduig gebracht wurden.
I) Am 16. Juii 1746 tnl tm Watwttnhl den Kirehturm, warf £nopf und Fahne
herunter und veruraachto einen Brand, der lange verborgen blieb, endlich aber glQcklicb
gelüKrbt wurde. Erst 1749 war die ■Reparatur beendigt; der Knopf ward unlfr ?r<»SHer
Feierliclikeit aufgesetzt, (das Gedicht, welches dabei deklamiert worden ist, bcündet
sieh nodi im Archiv). Vergl. auch Stembeck 8. 125. —
*) Der Ertara vom 29. April 1764: « Weilen Wir in Gnaden verordnet haben, dass
ftr weiterer Beförderung derer sich bey der Hecketldien Bealschnle nllbicr findenden
geschickten Inforuiiitions Subjectorum mit Flei.ss ^'osorget Avenlen soll, als habt ihr
denen Magistraten eures Creyses sofort bekannt zu machen, wie Wir gerne sehen
werden, wann sie in FftUen, da dieselben Patroni sind, bey Erledigung der ächuläuiter
TOT anderen auf die bey gedachter Kealschnle vorhandene fähige Snbjecta reflectiren
werden, da defgestait die Schulämter im Lande mit tflchtigen Personen besetzt werden
If ninfn" — wurde auf dem Strausberper "Mafristrat zur Nacljachtung Obcrsandt, doch
ibi k.'iu Fall der Befolgtin^ bekannt. Ebenwo wurde (20. ifovbr. 1705) die Lotterie zum
Besten der Berliner Kealschule waim empfohlen. —
*) Qotse 8. 128: «Die Sehfller sollen auch die Ordnung des Lehrstoffs, «io
eines auf das andre folget and mit ihm verbanden sei, ersehen können." — UnlAngst
veröfifentlichte Prof. Beyschlag einen bisher ungedrnckten Brief Friedrichs des Grossen,
woraus folgende Stellen hierher passen: „Nur muss die Methode des Unterrichts ein
bisacben reformiret werden, damit die jungen Leute besser lernen . . . Die autores
dessid mflssen anch alle ins Deatsche flbersetzet werden, damit die jungen Leute
eine idte davon kriegen, was es dgentüch ist» sonsten lernen sie die Worte wohl, aber
die Saehe nicht . .
uiyiiizeo Dy Google
80
B. Seiffert?
Entscbieden neu ist die Einrichtang der Gurrende, aber trotz des
guten Zwecks, den man damit verbinden wollte, ebenso hässlicli. Eine
Um&ndemng des alten Singcliois^) kann ich in ihr nicht finden, denn
die Recordationen wurden dadurch gar nicht betroffen oder gar anf-
f^ehoben, sie war vielmehr nnr ein garstiger Aoswuchs der Bettelei, die,
wie in den Recordationen von den Lehrern, fortan wocheotUch zweimal
von armen Schülern betrieben und als Einnahmequelle angesehen wnrde.
Es konnte nicht ausbleibeo, dass die Geringschätzung, mit welcher man
diesen armen Rt ttelsängem einige Pfennige in die Büchse warf, schliess-
lich auch bei den Recordationen mehr und mehr zum Ausdruck kam,
und die nrsprünglich vielleicht geachtete Institution immer tiefer herab-
würdigte.
Ob die neue Orrlnnng wirklich die Kgl. Bestätigung erhalten und
Geltniig erlangt hat, ist nicht zu bestimmen ; das aber steht fest, dass
man auf die in ihr niedergelegten Grundsätze auch später noch mehrfach
zurückgegriffen hat. —
Nach Beendigung dt s 7 iriliri^-^eii Krieges, noch iin Jahre 1763, erliess
der grosse König das benihuite G e neral-Landscliuli egienieut mit
seinen 26 inhaltschweren Paragraphen für die gesamte preussische Mo-
narchie; das Edikt vom 20. December 1764, jenes ergänzend, verfügt:
„Da Wur seit Antritt Unserer Regierung die Verbesserung der Schulen
in unseren Staaten allerhöchst selbst zu einem besonderen Augenm«^
jederzeit genommen und deshalb vor einiger Zeit in Ansehung der Schulen
auf dem Lande ein General Schul Reglement publidren lassen, so ist
auch in Erwägung der genauen Verbindung guter Schulen mit der Auf-
nahme des Staates Unser so gnädiger als emster Wille, dass die Stadt-
schulen gleichfalls in die bestmöglichste Verfassung gesetzt
werden sollen*. Dem Magistrat wurde dies mit der Weisung über-
schickt, «alle Scbulbediente, die angenommen oder zur Ascension ver-
stattet werden, vor Erteilung der Vocation beim Ober-Oonsistorium zu
präsentiren; anch mnss das Wahlprotoooll jedesmal vom Inspector mit
unterschrieben sein**.
„Da in der Strausbeiger Schule aber doch nur im Lesen, Schreiben,
Rechnen und dem Catechismns unterrichtet werde*", sollte für die-
selbe (Rescript vom 20. September 1764) durchaus das Landschul-
reglemeut(l) massgebend bleiben, auch die darin vorgeschriebenen
Bücher eingeführt werden. —
*) Vgl. Oetse & 121. Die Konende ghig erat gegen 1880 «in.
Die Stransbeiger Stadtaehnle.
81
Schon drei Jahre später finden wir, dass bei der Introdnction dee
Rectors Tobias Weber im Juni 1767 die Bdigersdiaft wiederum die Ge-
legenheit ergreift, nm sich öber die bisherige Schulverfassung zu
beschweren und darum zu bitten^ dass eine fleissigere Visi-
tation der Schule aiip^eordnet werde, „sonst könnten sie sich zu
dem oHiölitcn Schul^^di! nidit v i tclien". Sie beklagen sicli übuv fol-
gende Missbriiuclio: „1. Wiinlrn die Singestnnden sehr schlt'cht
ahgCNviirtet, imh'in der lk»i-r Conrector ei-st nach V» 1 Uhr iu der
Schule käme, da die Stunde doch um 12 Uhr ihren Anfang nehmen soll.
2. Würden die Seim lt>:ebäude sehr ti n ordentlich gehalten und
viel unverantwortliche Ferien gemachet, so vor diesem nicht ge-
wesen. 8. Ware seit einiger Zeit die Gewohnheit von den Schulherren
eingeführt, dass in den Recordations-Wochen gar keine Schule gehaltefi
wüido, da doch vorhin des Freitags uinl Sonnabends sei int'orniiret
\vor<ien. 4. Habe die Büriri i>-('liaf't aiii^emerket, dass in denen .1 hohen
Festtagen ganze Wochen i^ar Ueiiif Sciude gehalten würde, welche Be-
wandtniss es nur mit der Betwoch.' ') habe. 5. Sei lun- seit einiger Zeit
die unerlauhtt' Gewohnheit eiii^i führt worden, dass wenn eine Leiche
sei, keine I'rivatstuiideii i^t-lialtcii würden, da doch die Bürü:erscli:ift die
Privatstunden besonders ln'zalib'ii iiiiisse. (>. Sei jederuiäuniglich bekannt,
dass vor diesem in tlen '2 '^i<»^v\\ Märkten der Tai: nachhero ganz frei,
in den 3 kleiin'Ti ^tinktni aber nur ' Tatr frei gewesen sei; nuimuOir
al»er iiful seit -> In kiii tzer Zeit wäre die Gewohnheit eingeführet, dass
oiuit' l i >( liit d dei" Tag nach den ö Märkten ohne Information ge-
blifbi'ii. 7, Wiirdin die llundstag»' zu weit ausgedeiiiit und zwar auf
0 ^^(n•ll.•n, da Ii vor diesem, wie der Culeuder besagt, 4 Wochen
llundstage gewe.sen waren.* —
Wie bereits früher auseinandergesetzt wurde, war aus dem i. J. 1712
konsentierten Selm 1-Neu bau nichts geworden; man liatte sich nur mit
Reparaturen beholfen. Das ist aber wohl endlich nicht weiter mehr
möglich gewesen, denn es berichtet der Magistrat in gehorsamster Vor-
Stellaog der Sa< hlaiio und mit der Bitte um obriuki itliche Genehmignng:
„Wie bereits aktenkundig, ist InesigfS Orts das zeitherige kloine
Schulgebände, worin besonders nur die Knaben infoniiiret w^'rden, von
dcnnassen kleinem Umfang, dass nicht eimmd der gehörige Platz zur
intorniatiou der Knaben, noch weniger zur Wolmunu d<'i' beiden Schnl-
Lehrer(I)-) vorhanden, die Mädchens Sciude aussi rdcm noch in aedibus
priuatis gehalten werden müssen, und desslialb zeitliero tlieils vor des
Conrectors Wohnung: eine anselinlielie Mietlie, auch die K ü>ter\\ < dinung
neb.st Mädchens -Schule ebenfalls gemiethet werdeu müssen: So hat
') Oharwoche. ~ *) Dtoaem Aasdnick begegnen wir hier mm ersten Mal.
A. 0
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82
Magii-^liatiis sich iu der uiiimi^äiiglicUen NotUweudigkfit versetzt gesellen,
1>ei denen öffentliclien Licitutions Terminen des hiei-selbst zu verkaufenden
Clostei -G 0 Ildes und Pertineutzii'U solches zum Behufe der
Schule an sich zu kaufen . . . Gleichzeitig hatte auch der Genei*al-
lieutenaiit und Kriegsininister von Wedell dein Könige darüber Vortrag
gt'liaiten und dessen Eihiuluiis zur Veräusserung des dem i^otsdanier
Waisenhaus seit UM gehörenden alten Klosters ausgewirkt.*) So wurden
denn „die baufälligen Gebäude zur Schule tiptii-t", und diese neue (!)
Austalt am 29. Oktober 1772 feierlichst eingeweiht, wobei für
die Mahlzeit der Behörde 30 Thlr. draafgiugeu uud an die Kinder Pretzelii
und Schalbtteher (für praeterpropter 15 Thlr.) verteilt worden.
I>er damalige Bürgermeister Mertens,') der in eben diesem Jahr
ins Amt getreten war, hatte, gleichviel, ob ans Unkenntnis der Verhält-
nisse oder ans selbstgefälligem Machtbewnsstoein, es verabsänmt, sich
mit dem Inspector Hanses*) sowohl wogen des Schnlbanes nnd einiger
Eirchenreparatnren, als auch namentlich wegen der Neubesetanng des
durch den Abgang des Tobias Weber vacant gewordenen Rektorate in
gebflhrendes Einvernehmen zn setzen, nnd so beschwerte sichHanses
um Ostern 1773 beim Könige: ^1. Dass Mertens die sdt Michaelis
erledigte Schalstelle so lange unbesetzt gelassen habe^ wodurch die Jugend
sehr versäumt werde. 2. Dass er ohne seine Zuziehung einen Gandidaten
zum Conrector und Gantor bestinmit, auch zum Examina sistiret habe,
ehe das Gantorat für vacant erld&rt nnd das Rectorat nach der Verord-
nung vom 20. December 1764 wieder besetet worden sei 3. Dass er die
Probelection aaf einen Tag lege, ohne vorher den Prediger a^u Rsthe ge-
zogen zu haben. 4. Dass er nach schriftlicher Bitte des Inspectors um
Aufschub der Probelection dennoch mit Zuziehung des Diacouus die
Probe veranlasst habe. 5. Dass er den Gandidaten zwar Probe lesen,
aber nicht habe singen lassen, 6. Dass er sich der unanständigsten
Schreibart gegen ihn bediene, wenn er ihm vorwerfe, in pflichtvergessenen
und naseweisen Terminis an den Magistrat geschrieben zu haben, und
ihn sogar mit einer Suspension ab ofücio bedrohe. £r bitte um eine
eclatautü satisfaction."
Zwar suchte sich der Magistrat mit allerhand Redensarten zu recht-
fertigen, aber die köuigl. Kegieruiig stellte sich aul' die Seite des UeiTU
Siehe Julibeft 1806 dieser Zettschrift a 157. — Das Schraibaii dee Königs,
Fotsdam d. 12. Febr. 1772 lautet: „Mein lieber Generallieutenant p. Bey denen Mir
in eurem Bericht« vom 10. d. von dem alten Clostergebilude, \Yelche8 das hiesige
Waysenhaass bei Strausberg besitxet, angezeigten Umständen bin Ich wohlzufrieden,
das SQlebes dar dortigon Bargersdiafl vor 700 Thlr. flberhneii werde und kOimt ihr
derselben demnach dieses GebKode vor sottianem Gebot nur soschbigen nnd abatsabett
lassen. Ich bin euer woliIafTectionirter König. — Friederich." — *) Nach einer hand-
Hcbriftlichen Notiz in deui Magistrats-Excinplar der Fischbacbscben Geschichte Strans*
berga von 1783. - "> 1772-70, - *) 17W-180Ö.
^ ij . .-Lo Google
Die Sbmtwbeiter Stedtscbtilei.
88
Inspectors Hanses und verfSgto unterm 8. Juli 1773: »Durch eure mit
vielen unbeBcheidenen und snr Saehe nicht gehörigen Einetrenungen an-
gefüllte Yorstellung vom 25. Juni er. habt ihr ein ordnungswiedriges
Verfahren darnm nicht ahsukehren vermocht, dass der Inspector zur
Wahl des Rektors nicht ziigraogen worden, welches euch hiermit ernstlich
yerwiesen wird* Es soll zwar mit der Ansetzung des Rectors sein Be-
wenden haben, aber der Conrector darf nicht angestellt werden, da er
eich im Examen nicht schicklich genug bewiesen hat.*' Dem Inspector
Hanses scheint indessen hauptsächlich daran gelegen zu
haben, dass derCourector Crüger nicht dasKektorat erhalte,
weil er ihn dazu nicht tauglich hielt; seiner persönlichen Ein-
wirkung ist es daher wohl zuzuschreiben, wenn die Kgl. Regierung am
21. Okt. 177;5 unter stillschweigender Annullierung der letzten Verfügung
den Mai^istrat auffordert, ^zu dem schon über Jahr und Tag erledigten
Rectorat uiif>:esäumt ein gescliicktes Subjekt zu praeseutiren, damit die
Schule, weiclier der Conrector nicht vorzustehen vermag,
nicht gantz in Verfall gerathe." In seiner Erwiderung berief sich
der Magistrat -.inf die V>ereit.s genehmigte Wahl des Conrectors zum Rector;
„es vacire nur das Courecturat. Übrigens sei ihre Schule gar nicht
in Verfall, das könne nur aus animosite falsdi geschildert
sein." Einen Monat später liielt der Caudidat Fincke „in der Stadt
Closter Scinil«'" seine Pi obelection.
Es muss aber doch etwas Wahres an der Darstellung des
Inspectors Hanses gewesen sein. Zunäch.st steht nämlich fest, dass
durch die Übei*siedlung der Schule iu das alte Klostergebäude nicht nur
kein Vorteil erzielt, sondern im Gegenteil eine durchaus schädlich
wirkende Änderuni^ des Scliulplanes nötig ge wo i'den war. Sei
e^, dass mau den au^n iiblicklichen Zustand doch mir als einen jirovi-
sorischen ansah, oder dass die Mittel nicht gelangt hatten, genug, es
war nur ein einziger grösserer Schulraum hergestellt worden,
iu welchem beide Lehrer ihre beiden Klassen unterrichten
mussten.^) Wie sie das angestellt haben, ohne die Schüler in ihren
Fortschritten wesentlich zu hemmen, ist kaum su erdenken.
Femer ist verdächtig, dass im Jahre 1779 plotilich eine soge-
nannte ^Winkelschule^ in Strausberg auftaucht, fiber deren Kon-
kurrens allerdings nur der „Klister Oabriel Prawitz, Schulhalter der
^dcheuschule" sich beim Ifogistrat beklagt: »Es hat ein Oandidat
Johann Friedlieb Rücken eine Schule angelegt, wo er aus meiner Schule
etliche und 30 Kinder an sich gezogen, dadurch mir wöchentlich ein
Gulden Nachiheü zugefügt wird, so dass ich selbst manchen Sonnabend
nicht mehr als 8—10 Groschen Schulgeld habe und dabei die Woche
*) Mach Fiachbecb.
6*
84
B. Seiffert:
ül)er die Stühe aul" mciiK» Kosten Ikmzoti iiiuss. Wenn mir «Iciin dio
Mädclionschule in iiumiumi Matricidti verseil rieben, ich anch meinen Dienst
an dir ;]7 Jahr «h'rj^cstalt verwaltet, dass man mit mir zufrieden ge-
we.sen, und die gautze Zeit über ^licinals eine Klipscliuie Nvedci- ('riaul)t,
noch erelialten worden; So moihir docli (hifüi- gesorgt werden, dass dem
p. liücktMi das Schuh'h'.iltcii uiit*'rsagt wcivh» . .
T)er (hdnii hiuti iidc lies» hluss des Magistrats wurde dem Herrn mit
dem Hinzufügen bekannt gegeben, „dnss es ihm übrigens unbenommen
Ideibe, sowold für sich als durch seine Frau Eheliebste ^) Privat Infor-
mationes ausser den öflFentliclien S( )iulstun(h>n untl in sob hen Dingen zu
unterricliten. web-lie in (dVentlichen Scliuh^i nicht niderrichtet würden."
Statt sicli jedocii bei dieser Weisung zu beruhigen, ging liücken vielnu'br
mit einer Beschwerde direkt an den König, in welcher er vorgab, d;1ss
„er bei der Invasion der russischen Kriegsvölker grösstentheils um sein
Vermögen gekommen und daher gezwungen sei, schlecht und recht seinen
Unterhalt durch Unterricht zu erwerl)en. Mehrere befreundete Fanülien
hätten ihm ihre Kinder anvertraut". Numnehr aber Hess der Magistrat
die, wie es sclieint, auf die Frau genommene Rücksicht fallen und stellte
in seinem Bericht fest, „dass Kücken ehedem als Postschreiber, Actuarius
\md öconomieschreiber auf einigen Ämtern gedient habe, wobei er sein
Brot besser hätte erwerben können, wenn er nicht so nachlässig und
sorglos gegen sich nnd seine Familie gehandelt hätte. Seine Schule sei
in der That eine Winketechnle . . nnd demgomäss vdrd wohl anch die
obrigkeitliche Entscheidung gefallen sein.
Endlich bedenke man, wie schwer die Unterrichtserfolge bei «leni
durchaus uu regelmässigen Schulbesuch der Kinder zu leiden haben nnisste.
Einmal die ganz unberechenbaren Leichenbegängnisse, dann die regel-
mässigen Unterbrechungen an den Jahnnarktstageu und während der
Recordationen,^ die selbst den Eltern zn wiederholten Klagen Veran-
lassung gaben, sowie die Gepllugenheit der Arbeiterbevölkerang, ihre
Kinder meist nor dann sam Unterricht zu schicken, wenn sie deren Hülfe
bei Feldarbeiten oder sonst im Gewerbebetrieb nicht unumgänglich nötig
hatten — nach einer Frequenzliste von 1787 besuchten zvrar zur Wintor-
') Eine Tochter dea 1753 verstorbenen Inspectora Fubricius. —
*) Im Jahre 1778 entstand ein „Reeordationastreit" swiachen dem Reotor Ortiger
und dem Conrector Moritz. Eraterer hatte ea durcbgesetct, daas beide Lohrer beun
Recordiren abwechseln sollten, „damit die (lO "0 Kinder, welche nicht Bingen können,
derweil von dem andern unterrichti-t würden"; luitürücli dürfe jeder dann daa dabei
cinkouimeude Geld behalten. Bei diesem Verfahren aber meinte der Conrector schlecht
wegankommen tmd veriangte, daas ale naeh alter Obaenrana die 4 Becordatlonen ge*
mdDachaftfich machten. Der Magiatrat muaate nch ina Mittel legen und Teiglieh beide -
dahin, daas die Altemation im Interesse dea T7nterrichta bleiben, der Inhalt der
Sammdhachsc aber bei jedem einselnen Umgang geteilt werden aolUe. —
Die Slratubeiger Stadtscliule.
86
zeit 130 Kinder die Schule, im Sommer aber nur ßO— 70(!)^) — allo
diese Missstäiide niussten ja lähmend auf die Lelirtliiitigkcit und AmU-
treudigkeit der Lidirer wirken, man konnte sich der Notwendigkeit einer
diirchg:reitenden Abänderuiic: derselben nicht länger verschliessen, um so
weniger, als auch seitens der Kcgiernng auf die „Erweiterung und Ver-
besserung des gesainmten Schul- und Erzielmngswesens durch P^insetzung
eines besonderen, vom Könige unmittelbar abhängigen Oher-SchulcolLegiums
Bedacht t^cnonnucn wurde.-)
Ein günstiger Zulall kam einer derartigen Altsicht zunächst äusser-
lich um! sclieinbar zu Hülfe. Die Regierung beabsichtigte den Bau eines
Landai inen- und Korrektion^liauses zur Aufnahme von Vagabunden und
Bettlern und wollte dazu da- K l<i--teiojiindstiick erwerben, welches seiner
Lage wegen besonders geeiunet erschien; sie erbot sich, der Stadt
ein ueui'.s Sch ulgel)äude hinzustellen, wenn sie das Klo.^ter
wieder an den Eiscus abtreten wolle. ) hieser Vorschlag fand
Beifall, — und am 28. August ITSS konnte das n »mi c Sch u ly:el»ä ude,
ilas auf dem Grund UTid Boden der längst veriaUenen und verschwun-
denen Niculaikirche errichtet war, au Magistrat und Bürgerschaft
übergeben werden.
Gleichzeitig aber machte sich Inspector Hauses, welcher, wie wir
vorhin gesellen lialten, von dem Minderwert der bisherigen Schulleistungen
durchdninuren war, mit loltejiswertem lüfer an die Aufgabe, den Stun-
denplan umzugestalten und die Erfolge des Unterrichts durch Eiji-
führujig neuerer Lehrbücher zu sichern. Er trat zu diesem Zweck
mit dem Magistrat in nähere Unterhandlung und fand namentlich bei
dem einsichtigen Stadtdirektor Perlitz nicht nur das rechte Verständnis
für seine Pläne, sondern auch werkthätige Unterstützung.
Noch im September 1788 wurden auf städtische Kosten^) fol-
gende Bücher angeschafft und verteilt:
A. Der Rektor Crüger erhielt zn seinem Gebranch
1. Dietrichs Unterweisung zur Glückseeligkeit nach der Lehre Jesu
(Berlin 1782),
i ■) Dmol besieht sich folgeiider Eiian vom 28. Janoar 1788: «yersehiedene
'VVIlthe auf dem Lande nehmen arme Kinder ohne höhn und bloss gegen das Ver-
sprechen, p«'Il)i|.'e zur Schule und zum Unterriclit des Predigers anzuhalten, bey sicli in
Verjitiejiung und Dienst, stellen aber die Verbindlich (!) zum Schul- und Religions-
unterricht hiernächst gaos in Vergessenheit, branchen die Kinder bloss cn ihrer Ar>
beit und laaseo sie ohne aUe Unterwelanng. Da dieser Hiflabranch so viel als inOglicb
abbestellet werden soll, so habt ihr darauf sa Beben nnd zu \'igiliren, dass dergleichen
amie Kinder, wenn sif da« miite Jahr erreicht haben, einige Tage in der Woche
wenigstens im Herbst. \S inter und Frühjahr zur .Schule und im zehnten Jahre zum
Prediger geschafft werden . . .** — *) Circulare vom ö. November 1787. — "> Vgl.
JoUbeft 1898 dieser Zeitsdxrift, 8. 168. *) Vom .Buchbinder H. F. Herfnrth, Beriin,
Nene Fiiediicbstraase, für 87 Tbl. 0 gr. —
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86
R Beiflert: *
2. Heynatz, deut'^clio Sprachlehre und liehre von der Interpuiirtion,
3. Desselben Uaodbucb zu rlcbtiger Verfertigaiig schriftlicher
Aufsätze,
4. Bü.schiugs Naturgeschichte mit Kupfertafeln und
5. Rafifs Geo{*^raphit':
ferner für dir Schüler der oberen Klasse:
H. Zwölf Exemplare des Auszugs ans Dietrichs Unterweisung etc^,
7. Sechs Exemplare der BiMischen Geschichte von Feddersen^),
8. Acht Exemplare von Kochows Kiiiderfrennd '),
1>. Acht Exemi)lare von Hiischings Naturf»;e.schichte (ohne Tafeln),
]{). Acht Exemplare von ScUrOckhs Lehrbuch der allgemeinen Welt-
geschichte (Berlin 1784).»)
B. Der Konrektor Moritz erhielt
I. Weissens iVBC Buch lllumiuiret,
2. Basedows Neues Werkzeu}^ zum Lesenlehreii,
3. Treumanns Erklärung der fünf llaupt^tücke,
sowie für die Schüler der unteren Kliisse
4. Zehn Exemplare des Weissschen AlUJ Buchs, nicht illuminiret.
Die Zahl der Lehrstundeu und ihre Verteilung auf die
» inzelnen L nterrichtsgegeustäude wurde (24. November 17SS) fol-
gendermassen festgesetzt.
I. Lectiones für die erste Klasse.
Montag: 8 — *.) wird die Sonntagspredigt wi<'derholet und von
y — 10 aus einem moralischen liii liM-lieri Buch ein Capitel
gelesen, auch eine biblische! ie.schiclite durchgenommen.
10— n Privatstunde,
l — 3 Rechnen und Schreiben.
3 — 4 Privatstunde.
Dienstag: 8 — 9 Natni^eschichte. ^
9 — 10 Geographie. ^)
10—11 Privatstimde.
1—3 Schreiben und Rechnen.
3—4 Piivatstimde.
Mittwoch: 8 — ^9 Religion.
9—10 Historie des Vaterlandes, nehmlich der DentBchen
und des Brandenboigischen Hauses.^)
10—11 Privatstimde. Nachmittags frei,
') Diese Lehrbttcher wurden aneb auf dem BaMdomehen PhUaathropintun in
Deaean gebraucht, vgl. Banmer Gescli. d. Pädagogik 3. flL 408; dea^ erwthiit aie das
Programm des Gymna.'iinmB in Glflckstadt, Ostern 1«92 No. 277, S. :] n. f?. — ') Auch
für die MiUlrlicnschule schaffte man 10 Exemplare dieses Abcbuches an, desgleichen
Oberwies man dem Küster Prawitz zu seinem Gebrauch je ein Exemplar der unter
A 6-0 und B 1<^8 an^teffthrten Bflcher. — *) Die Nmehifnhrttng dieaer dfei üntw*
ilchtafiUdier entapcach dem Hecketsehen Sehidj^an.
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Die fitnniabeiger SUdtschnlB.
87
Donnerstag: 8—9
Tieson aus einem biblischen Buch und eine biblische
Geschichte.
9-10
doiitscho Gramm.itik.
10—11 Privatßtunde.
1—2
Anweisnng ziim Bnefschreiben, ingleichen bchmbeu
nach Vorschriften.
2—3
Rechnen.
3 — 4 Privatstunde.
Freitag:
8—9
Naturgi'schichte.
9—10
Güogi'ajtliio.
10—11 Frivatstiinde.
1—3
Schreiben und Rechnen.
3 — 4 Privatstunde.
Sonnabend :
8—9
»nsunterricht.
9--1U
Geographie.
10 — 11 Privatstunde. Naclnnittags frei.
NB. Tu den Privatstunden wenUMi di«^ Lectionen der öfTentiichen
Stunden luich Budürfniss di'v Kinder wie(h'rholt, denen, die lateinisch
lernen wuUen, die Anfangsgründe dieser Spraclie beygebracht.
n. Lectiones fißr die zweite Klasse.
Montag: 8 — 9 ABC, Buchstuliircu, Lesen.
9 — 10 ein Stück aus dem kleinen Catecbisnio.
lÜ — 1 1 l'rivatstunde.
1 — 3 Mit den Kleinen dassollio wie früh 8 — 9, mit den
Grös.sereu kauu der Autaug zum Schreiben und
Rechnen gemacht werden.
3 — 4 Privatstande.
Dienstag, Donnerstag und Freitag ebenso.
Mittwoch: 8—9 ABC, Bnchstabiren, Lesen.
9 — 10 eine leichte, practische biblische Geschichte, lachte
Sprüche zum Auswendiglernen, nachdem ihnen der
wahre Verstand vorher begreiflich gemacht
10—11 Privatstnnde.
Sonnabend ebenso. —
Alle fibrigen Bestimmungen Aber die äussere und innere Schul-
ordnung wurden endlich nach langen Beratangen im December 1789
folgendermassen niedergeschrieben:
»Da die hiesige Stadt ein neues Schnlgeb&ude dadurch erhalten hat,
dass auf die Stelle der ehemaligen alten Elosterschule, worin nur
ein grosser Schulsaal zum Unterricht sämmtlicher Schfller befindlich
gewesen, ein Armenversoigongshaus erbauet worden, und S. Kgl. lifajest&t
dagegen auf den ehemaligen Eapellenplatz das neue Schulhans mit
8b
B. äeiffert:
ZWO Schiilstulien haben erbauen lassen, mithin da nunmehro in
beiden 8eliulstul>en zu<^lei{:li Untcrriclir ^( j^ebeu wird, auch in
Ansehung; der Schulstunden eine ganz andre Einrichtung ge-
troffen werden muss; überdem aber auch nach Verhältniss der
jetsigen Zeitumstände eine neue Lehrmethode einsofüren
h^kshstnötbig gewesen, zn deren Erleichterung bereits auf öffentliche
Kosten eine Anzahl neuer zweckmässiger Scholbttcher angeschaft
worden; so ist in Rdcksicbt dieser veränderten Umstände fol-
gendes Schulreglement abgefasst und eingeffirt worden:
§ J. Schnlanfang im Sommer wie im Winter pi'äzise um VsSUhr,
dergestalt, dass an den drei ersten Wochentagen der Herr Rector in
seiner Klasse von '^8 — 8 Uhr mit sämmtlichen Schulkindern von beiden
Klassen ans dem nenen Gesangbuch ^) ein Morgenlied oder ein paar Verse
aus demselben singet und hernach den Morgensegen lesen lässt. Ebenso
der Herr Ck>nrector in den drai letzten Wochentagen. — Des Nach-
mittags liegt dem Herrn Conrector als Cantor ob, von 'sl bis 1 Uhr
die grösseren Schüler, zu welchen auch die sämmtlichen Schuler aus der
Klasse des Herrn Rectors gehören, im Singen zu üben.
§ 2. Die öffentlichen Schulstunden sind in jeder Schnlklasse
des Vormittags von 8 bis lü Uhr und des Nachmittags von 1 bis 3 Uhr
zu halten. Ausser diesen öffeutlichen Sc hulstunden hält jeder Lehrer in
seiner Klasse mit seinen Schülern seine Privatstnnden und zwar des
Vormitta^rs von 10 bis II, des Nachmittags von bis 4 l Iir.
§ 8. Zur ersten Klasse f^elM'ii-cn alle diejenigen Kinder ohne
Unterschied, welche erst noch das AJJC, das Buclistabiren und das l.esen
erlernen müssen, auch erst einen Anfang im Schreiben und Hecbuen
roadien, alle übrigen aber.ge!i<".rrn zur zweiten Klasse.
§ 4. Für die Lectionen gilt der Katalogn s vom 24. November 1788,
wobei die angesehaflten Schulbücher zum Grunde zu legen sind,
§ 5. Der ScIjIuss einer Lection wurde bisher durch einen Schüler
angezeigt, der ausser der Klasse auf die 'riiurniulir acht geben inusste.
Da dies für den Scliuler niclit vortlieilliaft war ui)d zu Ix'griindeton Be-
schwerden der Kitern Anlasß gegeben hat, soll für jede Klasse eine Sand-
uhr ange.scIiafVt wenlen.
§ i). Wer bloss die <"> f IC n 1 1 i c lien Schulstunden besucht, zahlt
wöchentlich b .j; dei' Oi-duung wegen soll das Scli n 1 geld viertoljiilirlirh
mit <■> gr abgelTdirt werden, welches beide Lehrer unter sich tln ilen.
Dieselben müssen daiiiber einen Cataluguni füren und persönlich ab-
rechnen, uiul um Stieitigkeiten zu vernieideu, sich nicht das Geld durch
Schulkiniier zuschic ken.
Das Schulgeld für die Privatstunden beträgt gkichfalls Ü gr,
wird aber nicht gel heilt.
Das iiu Jahre 1780 erscbieueuc verbesserte Berliner Gesangbuch. —
^ ij , ...o Ly Google
Die 8tmu8beiiger Stadtschnle.
89
ScIiiiltT aus anderen Orten he/ahlen 12 gr, damit wird eS
ebenso gehalten wie mit dem for die öffentlichen Standen (d. b. also, es
wird getlieilt).
§ 7. Bisher waren zu viel Ferien. Festgesetzt wird;
1. An den 5 .1 ahrin ärk ten darf nur in den beiden «grossen, die
auf Pfingsten und Michaelis fallen, die Schule den Jahrmarktstag selbst
nnd den darauf folgenden Dienstag ausgesetzt werden, in den ä übrigen
kleinen aber nur den Jahrmarktstag allein.
2. In den II u ii dstageii werden f) Wochen lang 2 Naclimittage
(ausser Mittwocli und Sonnabend) frcv gegeben.
H. In den Fes t w oc Ii cn . die auf Ostern un<l Pfingsten einfallen,
werden nur bis zum Mittwoch l'\'rit'n erlaubt, «b'u noniii r<tntr muss
schon wieder Schule gehalten werden. So ists auch mit der Wi ilmachtS-
wüi'lie zu halten, wenn Wrihnachren im Anfangt' dei- Woche fallt.
4. W('i;('n der Fasten predigten und -^o n^o u a u n t e n Salve
Stunden,') wie auch der Fasten-Examen,-) wobt v die Scbülei- in der
Kirche gegenwärtig sein müssen, ingleichen bey den öffentlichen
Leichen,') wird darum die Schule niciit läuger ausgesetzt, als solange
solche dauern.
') Perlitc: ^In der Fasten und z^ur in der Woche oculi, laetare und judica
wcnlen Freitags <lio äo^. Snlvt'slunden von dem Diaconns <:elialton. wozu (los Nacli-
mittass um '.i Uhr mit der kleiru'ii Klin -klucke eingeläutet wird. In denselben wird
ein Lied gesangen, von dem (ieistiiclien eine Stelle aus einem Passionsbucbe vor dem
Altar abgietesen and darauf wieder ein Vera geaungen. Nachher aingt der Prodiger
den Segen ab^ und ein «weiter Vers beacblieBSt daa Salve.*
*) Perlitz: „Des Montaga und Donnerstags von 12 — 1 Uhr hält der Diacomis in
den Fasten die 0 Kxnmiiin, wnzu mit di r kU im n Klingklocke gelllutet wird. Dabei
werden die Kinder vor dem Altar aus dem Chriäteuthum examinirt. Vorher und nacldier
wird gesangen."
*) Feriits: „Die Leichenbegängnisse geschehen hier auf folgende Weise. Es
werden die Leichen in ^ifTentliche und stille eingethi ilt ( Ulentliche werden diejenigen
genannt, wo die Boi'rilii:nnL' mit dem nchtute und mit der Schule entweder zusammen,
oder auch mit dem Geläute allein ge.si lii. lit. Krstere kann mau fn<,'Ii<>)i in trnuze und
luiibe Leichen unterscheiden, liei der ganzen werden vor den» Trauerhause ;j Lieder
gesangen und 2 OoUecten abgelesen, bei den halben Iiingegcn singt die Schule bloss
ein lied. Diese Öffentlichen Sdinlleichen geschehen gemeinhin des Nachmittags um
1 Uhr; vorher werden in der Stund»' von 11—1.* Uhr drei Pulse gelilutet. nu 1 um 1 Uhr
wird mit der kleinen KliuL'klocke ein Zeichen gegeben, dass sich die Sclmlr nun ein-
finden solle. Solche begiebt sich auch nun mit den Sclmllehrern in Pn , > m mi nach
dem Leichenhause, wo nun, wenn es eine grosse Leiche ist, 3 Lieder gt suagun und
«wischen dem 1. und 2. vom Superintendenten, swischen dem 2. und 3. vom Diaconus
Kollekten und Bibelverse abgelesen werden. Die Lieiler wilhlt derCantor; wenn aber
die T,< i'ltragenden Holche selbst MiiliU n, müf^si i; sie für jedes 1? t-T an die Schullehrer
bezahlen. Nach vollendetem liiede gehl di«' l.ei^llenl)roce.'^.'^iun vor siidi, vurauf die
Schule mit den Schullehrcrn und dem Küster, daim die beiden Geii^tlichun, hierauf
folgt die Leiche und dann die Leidtragenden mit dem Gefolge miUmlichen und wdb-
lichen Geschlechts. Dieser Zug geht vom Trauerhause aum Beerdtgungsplats unter
90
B. Seiltert.
5. In den Wochen, da recordirt wird, mtssen am Mittwoch
die Recordationen geendigei seyn* Der Donnerstag ''■u^ Erfaolong
zugestanden, den Freitag aher mnss wieder Schule gehalten werden.
§ 8. Vor allen Dingen müssen die Lehrer ihren nntergehenen
Schülern mit guten Boyspielen vorgehen, daher sie anch alle Gelegen-
heiten znr Uneinigkeit unter sich seihst niügUchst za vermeyden, yiel-
mehr sich friedlich nnd verträglich gegen einander zu he-
tragen, nnd für das algemeine Beste der Jngend mit gemein-
schaftlichen Kräften zn arbeiten haben.
§ 9. Nicht nur die Kenntnisse sollen dnrch Erleninng nüts-
Ucher Wissenschaften erweitert, sondern anch die Sitten derselben
▼erbessert werden. Und so wie die Lehrer selbst in ordentlicher
nnd anständiger Kleidung in den Schulstunden erscheinen müssen,
80 haben sie auch darauf zu sehen, dass die Schüler sich reinlich und
ordentiicfa halten.
Ebenso müssen anch die Schnlstuben reinlich gehalten nnd
nur zum Jugendunterricht gebraucht werden.
{ 10. Bey Bestrafung der Schüler müssen sich die Lehrer aller
nnziemenden Heftigkeit und Hitze enthalten, vielmehr alle väterliche
Mässignng gebranchen ; wogegen sie aber auch auf der andern Seite nicht
in Ycrzärtelung vei-fallen, und die Unarten oder gar Bosheiten der Schüler
gänzlich ungestraft hingehen lassen müssen.
dem Odaate aUer Gloeken aad dem Gesug der Sdnde, wo daon bei nnd nach «in*
gesenkter Leiche noch ein pMur Tiedenrerse geanngen werden. In Bolchen I<(dchen-
begnngnissen, die zwar mit dem Geläute, aber nicht ndt IWlglnltnng der Schule ge-
schehen, hesteht ein besonderer Vorrnp, (]»>n «.'oiiu'inhin nnr die gemessen, die Ober
dem ordinilren Börgerstand erhol lon sein wollen. Dat* Sonderbarste Ixierbey ist, dass
bey solchen Ehrenleichen nicht mit uliuu, sondern nur mit der grossen Glocke geläutet
wird nnd ansaer den gewCbnlichen Leichengebtlhren für daa Gelante noch beaondeie
6 Tbl cor Kirche und 1 Tld an die Pnlaanten bezahlt werden mosB. Solche Leichen*
beerdigungen pescliehen Nachmittag:» um 3 Uhr, man hat aber pchon angefangen, pie
auch des Morgens zu verrichten. Es findet dabei weiter keine Feiorlichkeit statt, als
dass das Leichengeiolge, welches sieb im Trauerhause versammelt und vom Küster der
Bangordnong nadi aufgefordert wird, die Leiche nnter dem Gelante der groaaen CHodce
hia snr Koheatltte geleitet nnd, nadidem die Beerd^iang geadidien, in Froeeaaion Bich
wieder nach dem Sterbehaus begiebt, wo aolches mit einer Tasse CafFee oder wohl
gar, wenn es recht köstlieli i«>t, mit Wein und Kuchen regaUrt wird. — Die tjanT;
stillen Leichen geschehen ebenso, wie die öffentlichen Schulleichen, bey den gewöhn-
lichen Bürgersleuten, jedoch um 3 oder 4 Uhr Nachmittags. Daas solches kein Zeichen
der Armoth aejTi widerlegt aich gleich darana, weil jeder noch alle Gebtthren wie bei
den öffentlidien Liehen beaaUen mnas; vielmehr soll diese Verfabnmgsart wohl achon
einen feineren Ton verrathen. — Das Tragen der Leichen geschieht von den Ge-
werkern, von welchen auch die schwarzen Leichentücher hergegeben werden, welche
von Tuch oder Plüsch, auch gemeiniün mit dem Gewerkswappen prächtig gestickt
aind. Je nadi^ra die Ldche bedentend iat, wird die Anaahl d«r Träger gentmimen,
bei groaaen Leidien 12 bla 16, deren jeder 4, 8, anch wohl 12 gr erhalt FQr daa
Leichentuch wird 1 ThL beaaldi Daa Leichenbitten heaoigt der Kflater. —
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Die Stnmtbeigar Stadtschule. 91
§ 11. Seine Erkrankung rauss der Lehrer dem Inspector
anzeigen, zu Reisen jedoch beim Director und Inspector um Urlaub
anhalten, damit die nöthigen Vorkehriuigen f&r die Schule getroffen
werden können.
§ 12. Auf Ostern und Michaelis findet Examen und Ver-
setzung statt. —
Es ist nicht zu 1('U<;non, dass durch diese Bestimmungen ein be-
deutsamer Schritt vorwärts gethim wurde; ganz insbesondere zeugt die
Einbeziehung der Realien in den Unterrichtsplan dafür, dass
man cutschieden gesonnen war, die Stadtschul»> nicht in dem be-
sclieidenen Umfang zu belassen, wie ihn das General -Land-
schul-Reglement bezeichnet, son<leru vielmehr, den Anforder-
ungen der Zeit eiil s[)i *'chend, auf ein Niveau zu bringen»
welches zwar von dem einer Gelehrtenschule ebensoweit ent-
fernt war, wie von dem der Dorfschule, wohl aber recht
eigentlicli den Bedürfnissen eines aufstrebenden Bürgerturas
angepasst sein sollte. Man kam nun auch jetzt nicht recht vor-
wärts; ob aus Mangel an Mitteln allein oder auch, weil es den Lehrern
an der erforderlichen Energie zur Durchführung der Neueningen fehlte,
mag dalüngestellt bleiben: vielleicht wirkten beide Umstände zugleich
darauf.
Zehn Jahre später entspricht allerdings noch im ganzen und gi'ossen
das Bild, welches der Magistrat von der Schule eutw irft, dem Reglement
von 1789. „Da Unsere landesväterliche Absicht dahin gehet, eine Ver-
besserung der stadtischen, vornehmlich der eigentlichen Bürger-
schulen m bewirken, so ist zuvörderst eine genaue Kenntniss des
gegenwärtigen Znstandes aller Stadtscbnlen notfawendig, nnd ob-
wohl bereits im Jahre 1787 Tabellen über den äusseren nnd inneren
Znstand der Schnlen eingereichet worden, so kann doch vorausgesetzt
werden, dass seit dieser Zeit sich manches geändert hat''; mit
diesem Anschreiben vom 15. November 1798 wurden dem Magistrat
Fragebogen übersandt, welche Perlitz persdnlich folgendermassen aus-
fUlte:
L Tabelle über den äusseren Zustand der Schule.
1. ^^agistrat ist Patron der Schule.
2. Der Inspector führt die Aufsicht, sonst keiner') im speciellen.
3. Gegenwärtig wirken an der Schule: a. der Rector Gottfr. Ephraim
Crüger, 67 Jahr alt, 3TJahr im Amt, hatzullalle studii't, b.derConrectorJoh.
Daniel Moritz, 44 Jahr alt, 20 Jahr im Amt» hat za Franckfurtb studiret
*) Die durch den VisiUtionsabschied von 1574 anbefolilene Aufsicht hatten sich
also die Hitgliedev der atidtisohen Verwattnng und Bfligenchaft Im Laufe der Zeit
abgelMlrt. —
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]
92
B. Seilfert:
4. FixirtPr^ Gehalt bezieht
a. der Rector
ausderEirchenkasse 14Thl.l5gr
„ „ Stadtkasse 40 « — „
„ Cainnioreykasseo « 5
■9
n
„ Accisekasso 7 „ 10 „
„ Ziesekasse
zusammen 70Thl. 8gr
b. der Conrector
5Thl. 10gr[em8chl. Freibett u. Wäsche]
40 „ — „ [statt der Freitische]
11 „ -8 „ [Gehaltl
7 ^ 16 „ ) [wegen ilirer Befrei-
1 ''1 ~ / ung V. Staatsstenem]
2^tWacbsstr.
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66 Tbl. ( gl 7 ..j
6. ZafüUigo Eiiiküiitte hat (uacb sechsjäbiigem Durchscbuitt bü-
rüchuet)
a. der Rector b. der Conrector
von lii'iclien mimI TraiU'ii . . . lOThl. — (i Thl. — gr
17 KlalU-r üivuiiliolz ') .... 18 —
freie Wolinung 20 „ —
Schul- und Privat-vld 40 „ —
Kecordatiunsgeld '22 —
8 U. Wachsstricke 2 „ —
als Prediger auf dem Land-
armen- und Invali(h>nhau8c 40 „ — „ Motettengeld
für Aufgebote n.Danksaguugen 2 „ — „ [das alte Sal-
als Organist in der Stadtkirche 12 „ — „ veroginengeld?]
zusaiiiuien lIXiThl. — gr 105 '1hl. Ki gr -j
6. Jed«'r Lehrer hat 2 Stiihen, l Kannner, 1 Küche und Keller.
7. Der l\('( tor ist zugleich Prediger im Landarmen- und fiiNaliden-
liause und auch Orgauibt bey dur iStadtkircbe. Der Ci>m'ectür ist auch
Cant«'i-.
8. Die Scliiile hat 2 Klas-;en.
[). Die Sehlde hat 2 Seliiilzimnu'r.
10. ( iegeii\v;ii tiu ; 1 )rcriiil>ei' 17'.IS] sind 80 Schiller, 43 in der nhciv?^
87 in der unteren Kiubse; nach üjährigeui DurcliächiLitt i)Ü — lÜU; keiuu
ausw intiiren.
11. JOin IJejierK ium (Frcitiscli, Wohnung, Stipendium u. s. w.) für
Schüler nicht vorhanden.
*) Im Depntatholz Etat 1775 — 7G ßteht: Schule und Schulcullegen 10 Klafter
Eicheti' and 20 Klafter Kienen-Brennholx.'* — *) Vergessen ist bierbei, d«M, ,,weim
gaiue Mast vorhanden war, beide Lehrer ebenso, wie jeder bewohnte Btliger, nach
01>-(Tvanz uikI iiueh dem .\pi>robati<>iisrrf-criiit vom 10. Anglist 17(!1 ein ganzes Scliwein
frey und uneiitjrrldlich l)*'kanien, ausser dem HOterlohn, so wnehenwei.Sf nocordiret
wire". iischbutb, bist. Beitrage 11 S. 436. — Ausserdem erwübni ijtenibeck (S. 184
und 187), dass, als 1772 die Kaveln erb- and eigentfimllch den BQigentdlen ngelegt
wurden, aucb Rector und Conrector je eine solche in awei Feldem eiiiielten, dieselb««»
jedoch in Erbpacht aasthaten.
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Straasbeigar Stadtschale. 93
12. Nicht vorliniideii Bii>liotiiok, Natursliensammlung, lusti'umente
oder Lehrmittel, auch kein Fond dazu.
1.3. Eine Verbeeserang der Einkünfte für Schule und Leluer vor-
jetzt nicht zu erwarten.
II. Tabelle fiber den inneren Znstand der Stadtschule.
1. Es föngt der Unterricht mit dem abc an und geht weiter bis
zum Bnchstabiron und Lesen, auch werden die Schüler im Christenthum,
Schreiben, Rechnen, Geographie und Historie unterrichtet, wie auch in
der Naturgeschichte.
2. Geschichte und Erdbeschreibung wird in den Privatstnnden gelelirt.
3. Jeder Lehrer hat 20 ö£fentliche und 10 Privatstnnden wöchentlich
zu gebcD.
4. Sclmlbücher (cf. Verzeichnis von 1788).
5. Kenntnisse werden bei neu aufzunehmenden ächulcrn nicht vor-
ausges«'tzt.
6. Die Schüler worden naeli den F;ilii<;k('ite?i versetzt.
7. Zur Univeisität worden keine Schüler vorbereitet.
8. Alle Jahre i<t Prüfung.
D. Fleissi«?en Kindern werden bei den PrüfuDgen zuweilen einis:e
kleine Ergöty.Iiclikeiten gegeben; für die Ungehorsamen wird Stock und
Küthe gebrauchet.
A n ii a n <?.
Au-scr der Stadtschule ist nocli eine Nebensc Ii ul e, worin der
K lister Unterricht iür die Mädchen gioi^t Gehalt und Emolumeute des-
selben sin<l:
Aus der KiicliiMikasse lÖ Xhl. — H:r — ^
„ a Aceisekasse 3 „ li<l — „
„ „ Ziesckasse 2 „ 14„1U„
Freie Wolinunu lU „ — ^ — „
(> Klafter Breunholz 6„ — ^ — ^
Schulgeld 50 „ — ^ — ^
Aecidenzien • .'17 „ 1 1 — »
I « Wachsstoek, ' , Wachslieht — „ 21 „ — ^
Cievatterbriefe 24 „ — „ — _
Stadtuhr stellen 4 „ Hi« — „
Lautebrod uml -geld ') von der iJürgei seiiat't . 14 „ 12 „ — „
zusuuimen 1?0 Xlü. 22 gr lU ^
Nach der Matrikel von 1721: -Vor das Wettcr-Lautiii Morgen i n h 4 Uhr
wie auch vor das Bett fJIuck schla^^en des MorKens, Mittags und Ahends In kMimul <t
von den Ackeraleuten jabrlicli gegen Keminiscere ein Bro«l i deren 0 7 auf t im n
Scheffel geheni, von denen Bürgern aber, die nicht acker haben, 1 Gr. * .Sterubeck
8. 193. — 1772 erhielt aach der Kflster „wegen Halteos der Mfldchenschale" eine
LandkaveL Ebend. 8. 192.
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94
Bw Soiffsrt:
Die an das Oberschulcollegiam eingeroichten Tabelien scheinen m
eingehenderen Bcratangen Qbcr die „vom Könige selbst" anger^te Ver-
besserung der niederen Schulen geführt und Anregung zu genauerer Be-
Htiiniiiunp: „einiger darauf Einfluss habender Punkte" gegeben zu haben,
so insbesondere „wef^en Vertlioiluiig des Schulgeldes unter alle
Glied (M- der Geraeine" (21. Oktober 1799). Tlicizu äusserte sich der
Magistrat (IVrlit/.): „W ir halte II dafür, duss es ausserordentliche
Schwierigkeiten machen würde, es dahin zu bringen, dass
dieses Schulgc Id von sämmtlichen Einwohnern aufgebracht
und den Lehrern als ein Gehalt gereichet wird, da sich vorzüglich die-
jenigen dagegen sträuben würden, die keine Kinder zur Schule zu
schicken haben. Ebenso würde es auch viel Mühwaltuug und Ab-
rechnung verursachen, wenn diese Beyträge von sämmtliclien Einwohnern
eingezop^en und immer verliältnissmässig vertheiiet werden sollten. Diese
Schwierigkeiten werden so wie liici-, also auch im allgeraeinen eintreten,
und wenngleich diese Veranstaltung auf der einen Seite sehr gut sein
nmchte, so tritt doch auf der andern Seite das Bedenken ein, ob bei
dieser Einrichtung der Fleiss und die Betriebsamkeit der
Lehrer besonders bey den Schülern der gemeinen Volksclassen,
wo der Unterricht doch nur mechanisch und der Fleiss der
Lehrer nur durch lucrativische Speculation (!) gespornt wird,
nicht sehr geschwäcliet werden mochte, wenn das Schulgeld in
lixes Salarinm verwandelt w'ird."
Ebenso ablehnend verhielt sich der Magistrat gegen eine durch
Verfügung der Königlichen Regierung vom 12. Mai 1SII4 empfohlene Ver-
besserung der Gehälter: „Wenn die Vermögens-Umstunde der Cäinmerey
die Bewilligung von Gehaltszulagen gestatten, und Ihi- aucii SdU he für
städtische Officianteu anzutragen euch veranlasst fin<let, soll die Stadt
bei solchen Anträgen auch auf die Verbesserung der unverhält-
nissniässig geringen Besoldung der Gei.stiichen und ^chul-
bedieuten Rücksicht nehmen."^) —
Allen Bestrebungen und Absichten der für das Wohl der Schule
wirkenden Persöidichkeiten wurde l)ald darauf ein schnelles I'^nde be-
reitet durch die unseligen Kriegsereignisse 18(M)/7. Strausberg, un-
weit der grossen, nach den östliclien Provinzen führenden Heerstrasse
gelegen, hatte wiederum .seinen bedeutenden Anteil an Durchmärschen,
Einquartieiuugeu und allen andern schweren Lasten, welche der rück-
') Im September 1802 hatte das Obcrconsistorium aus den Überschüssen der
StftdtokMse 26 Tbl „SchidTWbcMerongseelder'* cesehickt) wovon dem Beetor lA, dem
Konraktor 10 TbL aberwieaen woideii. —
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Stranaborger Stadtschnle.
95
sicbtslose Franzosenkaiser dem tief gedeinüti^cn TiUnde auferlegte/) zu
tragen. Für die Schule traten selbstverständlich damit liiiuli^e Störnugeu
ein, namentlicli aber wurde der Unterricht sehr empfindlich beeinträchtigt,
nachdem der Schnlraum zur ebenen Erde in ein französisches
Lazaret liatte umgewandelt werden müssen, welches bis zum
Juli 1808 darin verblieb. Die Klasse des Konrektors Moritz wurde von
diesem in seiner eigenen Wohnung unterrichtet. Welcher Behandlung
mitunter die älteren Schulmädchen seitens der einquaiüerten Soldaten
ausgesetzt waren, scliildert ein Brief (1807) des Konrektors an den
Bürgermeister Fubel: „Was ich befürchtet, kommt noch ärger, als ich
geglaubt. Es versammeln sich bei dem liei mir einquartierten Sohlat
viele andre, die so roh sind, dass sie den Kindern, die bei meiner Frau
nähen und stricken lernen und schon 14 und 15 Jahre alt sind, in meiner
Gegenwart [in unerhörter Schanilosij^keit naclistellen]. Auch der Knaben-
stube verschonen sie nicht; gestern sind ilirer s'h Iis in derselben gewesen,
wodurch die Kleinen alle heraus und mit einem Geplärr auf der Strasse
herumgerannt. Wie kann man das wolil ( ine Christenschule nennen, wo
Unzucht die Freiheit haben süll?"^) — Das Urteil des Suj>erintendenten
Küster aus Berlin, „die Stadtschule sei äusserst gesunken, man
müsse durchaus auf Mittel sinnen, wie ihr endlich wieder aufzuhelfen
sei", ist zwar hart, aber jedenfalls begründet und zutreffend gewesen,
besonders wenn man bedenkt, dass der leitende Rektor ein alter Mann
von 77 Jahren war. Noch in deinselbeii Jahre (Juli 18U7) fand gelegen tlic h
der Einführung des neuen Diaconus Job. Gotttr. Kriegel eine gemeinsame
Beratung mit dem Magistrate statt, wobei unter Küsters Vorsitz und auf
Grond seiner guten Yorschläge die Gesichtspunkte erörtert wm'den, nach
welchen bei der «Schulreform* zu verfahren sei. Die weitere Aus-
arbeitung des Beformplsnes flbemahm der gleichzeitig berufene Inspector
und Superintendent Krüger. '■') Der Magistrat hatte allerdings mancherlei
*) Nahflvca in des Veifttaeis „8traub«is in dw VttauMtaM «ad den FraflMitt-
kritgan"«. — Hne „Des^pution tob den begiUndeten Anfordcnningaa der PriY«t*
Personen, Commonen und Institute an das französische Gouveniecient'' vom 26. Mai 1811
giebt die Gesamtforderung der Stadt Strausberg auf 43619 ThI. 10 11 an, „wovon
nur 884 gezahlte Tafelgelder und Cantonnementsvergtttung abgezogen werden konnten.
') Auf dem Kückmarach aas Ostpreusseu kantounierte das 5. bairische Inf.-Iitv
ghnttat vom 16. Oktober bis 6. November 1S07 in der Stadt — Am 4. Februar 1808
eifizig der Befehl der Kriegs* und Domftnenkammer, „dass maa die Schallehrer fortan
bei EinqnartieniDgen möglichst in soolagiren habe. —
') Wir Feldprediger eines nach dem Tilsiter Frieden aufgelAsten Regiments gc
wesen. — Tber die Versorgung dieser plötzlich aus dem Auit entlnsseneii Feldprediger
bestimiiiti- eine Kgl. Cabinets Ordre vom Ifi. December lbU7 [aus dem ^Cii< nlnie vom.
14. Januar IbUb au sämmtUcbe Laudrathe und Magistrate in der Kurmark uud in dem
diflisatts der Elbe bdegenen Antheil von Megdeborg"]: „1. dass nur adcbe^ welche
bereits 7« 8 mid mehre Jahre dienen, als Frediger vomigsweise versorgt, ausserdem
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96
B. Seiffert:
BodiMikfii geltend zu luaclii'u, die zu ülicrvvindLMi Schwifrigkoitc» be-
i'oitoto, «leim von Melirlastcn \\(»Ilt(' uuui Ihm den traurif;en Zeit\ erlialt-
ni<s('ii nichts wissen. \Va< snllr«' mit dt-in alten Rektor •j^escliehen ?
W lirdc ein j^M'nicinscIiaftlirlH s l Mtcn iclitm von Knaben und Mädclieii,
wie man es br:il>^irlititit(', nit lit Sitte nml Znebt getiilirdcn? Würde der
Küstt'i* mit t'iiii>r dci-ai'tim'ii Xi iii »i dnunjjf auch zufrieden sein? Das
waren die IIa u p 1 1 Va 'j:*'U —- und sie w urd e n t^^fl ö .s t , uo<-li „ mit t en
unter dem Tiommeiwi riiei und J'rom |»e te eseli niel t er fran-
zösischer Ei n (| u a rti erun T>ie t<rris>te Scliwierigkeit wurde da-
durch bc-citi<j;t, dass Krieffel') unter \ er/iclitb'istunj? auf ^Tractauu-nt,
Ein« ihnneiite uiul Accidcnticn ", die dem Emei'itus verldeilien sollten, das
Ivcktorat mit dem Uiaeonat zu verbiiitlen sicii bereit erklärte uud
nur da> Sehul<;ehi beanspruchte.
8(t enlstand denn der trrosse Ori^anisationsplaii, der darauf
dem Ol)erconsistorium untcrlu eitet uud vüii demselben unter dem 15» Sep-
tember 180b best^itigt wurde.-)
1 Ali.^chiütt.
Begriff der Schule nebnt dem dabey aiizastelleiidou Personale.
s 1.
Die Stadtschule m StnuiBberg ist eine Bfirger-Schnle: dieser Be-
griff hestiiumt sogleich die Lehrgegenstände, die id der Anstalt
stattfinden und ganz ausgeschlossen bleiben müSBen.
Lesen, Schreiben, lie( hnen, Relitiionsunterricht bis zur wirkliehen
Conlirmation der ( 'ateclnimenen, und soviel (I eo «jraphi e, Geschiclite,
insbesondere Naturgeschichte, als auch der aufgeklärte
Bürger bedarf, sind die Haupi gegenstände des Unterrichts.
aber auch abwechselnd geschickte und verdiente Scbulluhrer zu Predigerstellen be-
fördert werden sollen; dagegen aber 2. jangwe Feldprediger vorerst auch als Schul-
lehrcr angestellt werden können, nm aich dadurch einer weiteren BefOrdarnng werth
au machen
') Er edm ilit an lU'ii Ma^:i>trnt: ..Ich liolTc ih v Scluilr mit Nutzen vorzustehen,
da dic'si'lho «Iuris u'invjss t ine l'iiirichtuni.' erhalten \vir«i, wodurrli das jetzige Stfiniper-
werk derselben uiithorcn und ein vernünltiges Ganzes werden kann". Perlitj!, hierüber
etwas Tcrschnuidt, ersuoht den Superintendenten: „Er möge doch dem jungen Mann,
dem Herrn Kriegel, die jedem Menschen, besonders den Geistlichen, so heilsame Be>
ßclieidi'iduMt aneniiifehli n, damit er neiiie Aufl>lilhungen iiiassii.'e"' ; dieser aber ont-
KchnMi'^'t -l itifr: jüiiKfren AnitMhnidt'r damit, . dass er fich in Ihili*' urwrthnt habe, die
vertscliieilenrn < »bjecte unter einen allgfuieim'n « icsiclitsiHuikt zu l^riugeu, uiu die Über*
sieht des Ganzen zu erleichtern." (Jb Perlitz nun überzeugt war? —
^ Jedoch mit der Bedingung, ^datis auch diu Grammatik der Muttersprache uud
Kopfrechnen unter die Lehtgegenfltiinde mit anfgenomnien werden mOsae.** (gea.
V. Scheve). —
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Die 8trfta«berg«r Stadtscbnle.
97
Ainiit'rkuiig: Kann für die Knaben, die von hier zu gelclirtfii
Selnilen ülKTzui^clicn bostimiiit siiul, einiger U nt e rri rli t im Latein
lind tVir diese sowohl, als auch für die T<»chtci- der Honoratioren
einiL-^iT Uiiti rriclit im Französischen ertheilet werden, so ist es
zweck niassiig, eigentlicli aber gehört es nicht iu den Augrif einer Bürger-
Schule.
§ 2.
Die ü:anze Anstalt \vii*d in Klassen uhp^ctheilet. Eine jede der-
selben li;if ihren ei«^enen lielner, dem die sj^eeielle Aufsi<'ht über diesellie
anvertraut ist. ^) Keiner ist abei* in Anseliunj^ de,» L'nteri-i i h ts
in >eine Klasse allein {gebunden, sondern ein jeder lelirt in allen
'.i Ivlassen in den ^Vissens<•lla^ten, denen er besonders gewachsen ist,-)
so wie es der jedesmalige Lectionsjdan ei'fordert. Klasse T st^dit unter
Anfsiclit des Ilectors, II des Cimrectors, III des Kiisters. Der Küster
war Idsher Mädchenlehrer ; diese Scinile wird mit d e r S tad tsch u le
Ncrbunden, so dass alle Kinder iu der öft'entlichen Schule unterrichtet
werden müssen.
§
Da Uector C'iiiger ifi den Ituhestand gesetzt zu werden verdient,
>o tritt der zeitige Diacunus Ki'iegel in seine Stelle iui<l das liechtrat
bleibt mit d<'m Diaconat lür die Folge auf immer verbujiden.
ir Abscimitt.
Besondere Rechte uud Pflichten des bei der Schule aogestellteo
Fers(mals,
§ 1.
Alle 3 Lehrer haben gleiche Amtspflichten
1. in Absiebt auf die ihnen zugetheilte Klasse und die ihnen nach
dem Lectionsplan obliegenden Lehrstand en. Erstere müssen sie als
eine ihrer besonderen Aufsicht anvertraute Abtlieilung des ganzen Insti*
tnts ansehen, weshalb sie dem Rector und Ephorus^) der Schule ver-
antwortlich bleiben. Letztere müssen sie nach dem Lectionsplan halten
und dazu in einer anständigen Kleidung und zu rechter Zeit da sein,
damit die Kinder nie ohne Aufsicht bleilien, auch nicht eher schliessen,
als es durch die Schulordnung bestimmt ist.
2. gegen einander selbst Da nicht ein jeder Lehrer bloss in
seiner Klasse unterrichtet, wie es bisher geschehen ist, sondern der
Unterricht in allen 3 Klassen unter alle Lehrer gleichmässig vertheilt
ist) 80 haben die ä Lehrer noch einen Grund mehr, sich der genausten
>) Ordinaritis -i AI-m dvi Antaug dcb l'achlülireruyateiiil.
*) Der Superiuteudeut als Localscbuliuspector.
A.
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96
B. Seiffert:
Harmouie zu iK'tU'i.ssigen, w«'il einer dem aiidfrn in die Hiinde arluMten
inuss, \velcli«^s ohne eine vollk<>inuieDe cuUe^ialische Kiiitracht nie mit
einem glückliclieo Erfolge gesciiehen kann.
Glaubt einer oder der andre ge;£fen einen seiner (JoUegeu gereclite
Beschwerden zu haben, so ninss in der Seliule vor den Kindern nie
davon die Rede s-ein, .sondern sie haben sich »'Jitweder an den Ret tor
oder IUI d' ii Ephorus der Scliule zu wenden, der die Sache untersuchen
und aiü uupartheiisch bescheiden wird.
>^ 3.
Alle Ptliehten der übriueii I^ehrer sind aueh Pflichten des
Rectors, do( h hat dieser noch gewisse ihm eigeuthümlicbe
Hechte und Pflichten. Diese siud:
1. Er ist für das (.ranze verantwortlich') uinl daher l»efiiiif.
über die Arlteiten der l>eiden andern Ijehrer eine j^ewisse Aufsicht zu
füiiren, mit ihnen die dieserhall) nothige Rücksprache zu ueLlinen und
nöthigeufalls dem lOpliorus davon Anzeige zu machen.
2. Er allein hat das Recht und die Pflicht, die neu aufzu-
nehmenden Kinder in das Schul-Protocoll einzutragen und
die abdrehenden zu lösclieu, Beiiles geschieht ex (dTicio. Die
Eltern b;t!M'n also keine Befugniss, ihre Kin<ler willkürlich
diesem oder jenem liehrer in Unterricht zn geben, sondern
müssen sich ledii;lich an den Rector wenden, der die i^inder prüft und
ihnen ihre Stelle in der Schule anweist.
l). lOr allein entwirft den Lectionsplan für ein jedes Semester
und legt ihn dem Ephorus zur Prüfnno: und Genelnniguni; vor. Nur
dringende Gründe kininen eine Abänderung nothweudig machen, die
gleichfalls bestäti|jft werden muss.
4. Im Falle einer Kranklu it oder einer andern dringen»! ii Abhaltung
eines Lehrers ordnet er das luterimisticum, dirigirt das öffent-
liche Examen, führt die neuen Lelirer ein, empfängt und tbeilt
das Schulgeld nach den darüber bestehenden Priucipieu.
§ 4.
Die beiden bisherigen Lehrer haben alh' Jahr 4 null einen Um-
gang mit den Schulkindern gehalten, der unter dem Namen der Re-
co rdation bekannt ist. Da der Diaconus als Rector der Schule zu-
folge seines Predigtamtes diesem Umgang nicht beywohnen kann, so wird
der Conrector Moritz verpflichtet, die Recordation, so lange der Rector
emeritus Crüger I-'bt, allein zu verrichten und ihm die ihm zukommende
üäifte der Einuaiuue davon abzugeben. Nach dem Tode des Kectors
') £iae bisher nie geforderte Veipflichtiuig. — >
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jOie Stnuasberger Stadteohuke.
99
Crüger bekoinint der dritte Lehrer diese Hälfte der Recordationsgelder,
ist aber ancli verlnmdeii, bei dem jedesinaligeii Umgaii({ mit gegenwärtig
2u seia oder mit dem Conrector darin zu altemiren.
Bisher ist tler llector zugleich OrgftQiüt, und der Conrector Caiitor
gewesen. Beide Stelh'ii können füglich in einer Person vereinigt werden.
Da aber der zeitige Conrector die Orgel nicht spielen kann und der
Rector seines Alters wegen auch dazu nnfahiir geworden ist, so li;it letz-
terer den Cantor des liandannenliaiises zu seiiu iii Substituten aiii;enomnieu
und ihm die ausgesetzte Organisten-Besoldung bewilligt. Bei diesei- [>ro-
visorisehen Einrichtung soll <'s vorlaulig sein Beweiulen haben. Die Be-
soi'gung des Orgelspielens bleibt so lange eine Pflicht des jiibiliiten
Kectors, bis einst nach seniem Tode iu dieser Ab.sicht eine andere Ein-
richtung getroffen werden kann.
IH Ab.schnitt.
Die Vertbeiluug der Kinder in ihre versdiiedetien Klassen.
§ 1.
Die ganxe Schule ist also in 3 Klassen abgetheOt und für eine jede
ein eigner Lehrer and ein eignes Lehrzimmer bestimmt
Der grosse Lehrsaal im zweiten Stockwerk des Schnlhaases bleibt
ffir die zweite Klasse, weil diese in der B^gel die zahlreichste zu sein
pflegt Der zweite grosse Lehrsaal^} im nntem Stockwerke, der bisher
für die erste Klasse allein bestimmt war, wird, da er schwer zu erheizen
ist, vermittelst einer zu ziehenden Scheidewand in zwei Zimmer abge-
theilt; das vordere nach der Strasse ist für die ei'ste, das hintere nach
dem Hofe für die dritte Klasse bestimmt.
§2.
Knaben und Mädchen bekommen, wie es in zahlreichen Barger-
schulen, die ein beschränktes Local und ein nur geringes Personal haben,
nicht anders gut möglich ist, in allen 3 Klassen einen gemein-
schaftlichen Unterricht. Jedes Geschlecht sitzet indessen auf ab-
gesonderten Bänken, so dass bei der beständigen Gegenwart des Lehrera
keine von den Unordnungen zu besorgen ist, um deren willen man gegen
das Beisammensein beider Geschlechter in den Lehrstunden so manches
einzuwenden hat. Und da hinter dem Schulhause zwei von einander
abgesonderte Hofräume vorhanden sind, so wird jedem Geschlecht sein
eigener Hofranm zu seinen Naturbedürfnissen angewiesen und auf die
Beobachtung dieser Ordnung streng gehalten.
>) Der, ^ie erwähnt, in ein fnuuOsische« Lasaret wibrand des Kiiegea otoge-
WMuielt worden war.
7*
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100
B. Seifiert:
Kein Kind i<\ iii>( ri|iti<>iistahii>-, welches iiiclit volle Ii .lalir alt ist.
In die III. Klas>t' gi li it ii Knaben und Madciien, die in dei- ßncii-
stabeu-Kenntni.ss uiitenvieseii werdt-n und auf der Schiefertafel zu sclireiben
aufangfin.
In der II. Klasse werden sie dann so lange fortgeübt, bis sie iu
beideni eine ziemliche Fertigkeit erlangt haben. Hier wurd auch der
arithmetische Unterricht ertheilt und so weit fortgesetzt, bin ihre totale
Qualification zur ersten Klasse entschieden ist.
Das 12. Jahr wird als annus normalis für die erste Klasse an-
genommen.
§4.
Da die Erfahrung gelehrt hat, dass diejenigen Schulkinder, die
zum catechetischen Unterrichte angenommen werden, der mehrentheils
im Hause des Predigers ertheilt wird, von dieser Zeit an den öffent-
lichen Schulunterricht zu vernachlässigen angefangen haben, so wird fest-
gesetzt, dass die Prediger ihren catechetischen Unterricht iu
Zukunft ebenfalls im Schulhanse ertheilen sollen, theils um
hierdurch dieser Unordnung vonsubeugen, theils aber auch um den
catechetischen Unterricht an den Religionsunterricht in der Schule an-
zuknüpfen, ak welche mit einander zusammenhängen und ein Ganzes
ausmachen müssen. Auch muss es auf das Gefühl der Kinder für die
Schule einen günstigen Eindruck mac hen, wenn auch der Prediger seinen
Unterricht an demselben Orte ertheilt, an dem sie in den sogenannten
weltlichen Dingen unterwiesen werden. Zu dem Ende bleiben beim
Schlüsse des Vormittags - Unterrichts diejenifceii Schulkinder, welche
Gatechumenen sind, in der Schule zurück und einer von den beiden
unteren Lehrern ist verl)unden, so lange zu bleiben, bis der Prediger
kommt.
Die Versetzung der Kinder erfolgt allemal nach dem
öffentlichen Schulexn nieii. Der Kector vollzieht sie, nachdem er
dem Ephorus ein Verzeichniss der zu versetzenden KiTidci- zur Bestäti-
gung vurgelef»! bat. Bei der Auswahl derselben dar! durchaus nicht
auf die Wünsche der Eltern Ivü(^ksicbt gfuninitien werden,
sondern der Hectitr verfügt darin na» h -- iner Selbsibeurthcilnng, auf
die hier um so eher gebaut werden kann, da er selbst in allen Klassen
unterrichtet und daher mit der Q,ualiticatiou eines jedes Individui genau
bekannt sein kann.
IV. Abschnitt. Schulgeld.
Dasselbe fliesst, um Liioi(lmnii< zu vcniirulen, von allen Kindciii
(einschliesslich des Privatgeldes vierteljahrlich i'2 gr.) in eine gemeiu-
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Die Strausberger Stadtschule.
101
sc h aft 1 i cIh^ Schiilkasse, doron Bestand nntor alle drei T^flircr /.»i
glt'K In n ratis vt'i t heilt wcrdi'ii soll. Hie Kinder der III. Klasse zalilen
nar die Uiilfte, da bei ilmeii die Privatstunde wegfällt.
Der Kectür sainnu-lt an jcdeni JSonn.! i n tul (his Sclndt^eld ein. Die
Naunni der restirenden Eltern werden am Ende jedes Vieteljalns in
einem Verzeiehniss an den Magistrat eingereichet nnd die Schuldigen
durch obrigkeitliche Zwangsmittel zu ihrer Pflicht augehalten.
Anmerkung: Anch das Einheitzegeld, welches jedes Kind mit 1 gr
bezahlt, wird an den Rektor abgeliefert
§8.
Nach Ablauf eines jeden Monats') legt der Rector den beiden
andern Lehrern die Recbunng des eingegangenen Schulgeldes vor nnd
vertheilt es gegen Quittung.
§4.
Für die Kinder unvermögender Eltern soll entweder ein Fonds
der Cämmerey als Hilfsquelle ermittelt werden, oder vom Ober-Gon-
sistorinm die Erlaubniss' zu einer vierteljährlichen Gollecte nachgesucht
werden, deren Erträgpnisse in die Schnlkasse Iiiessen.
§ 5.
Ein etwaiger Ausfall rofisste von allen 8 Tiehrern zu gleichen
Theilen getragen werden, indem die Kinder in Ansehung ihres Unter-
richts darunter nicht leiden können, dass ihre Eltern zu arm sind, um
das Schulgeld zu entrichten.
V. Abschnitt Schulferien.
§1.
^Folgende Ferien sind und bleiben in Zukunft gesetz-
mässig:
1. die Weihnachts- und Neujahrsferien. Schluss vor dem
sog. Heiligen Abend, Anfang am Tage nach Neigahr. Ist letzteres ein
Freitag, so fängt die Schule erst am nächsten Montag an.
2. die Oster ferien von Mittwoch vor Ostern bis Donnerstag nach
dem Fest.
3. die Pfingstferien von Freitag vor bis Donnerstag nach Pfingsten.
4. die Hundstagsferien; von Anfang des Juli bis Mitte August
fallen die Lehrstunden an zwei Nachmittagen (Dienstags und Freitags)
ans. Auch cessirt die Schule während der ganzen letzten Jnliwocbe,
>) Am 9« Ootober 1808 eigisg das CHicnlare, du» „alle GcbaHaiahlongw an
PvofeflSOreD, Lehrer, Geistliche. Kirchenbediente and andre darauf angewiesene
Personen fortan in nionntliohcn Ratia und awar am Ersten des Monats prae-
auiiierando geschehen" sollen. —
102
B. Scifferi:
damit die Lehrer allenfalls Zeit ge^vinnen, während des Sommers eine
kleine Reise zn machen.
5. an den Jahrmärkten fällt der Unterricht nur am Tage des
Jahrmarkts selbst ans.
§ 2.
Die vierteljährlichen Recordationen» die als pars salarii für
die beiden Lehrer anzusehen sind, machen Qaartalferien nothwendig,
dieselben mflssen aber möglichst eingeschränkt werden. In der Regel
können die Recordationen, die am Montag anfangen, am Mittwoch be-
endigt sein. Weil aber die Witterung dies zuweilen unniöglich macht,
wenn man auf die Gesundheit der Kinder einige Rücksicht
nehmen will, so wird festgesetzt, dass die Recordationen allemal vier
Tage dauern sollen. Am Freitage muss die Schule wieder angefangen
werden.
\L Abschnitt. Arbeitsschule.*)
§ 1.
Ein llaiiptrrfonicrni.s.s in der Uildiinn des \s fibliclien (Teschit'(hts
ist, du SS die Mädchen ausser der Selmlwi.s^enscliaft, die sie mit
den Knaben gemeiiischaftlicli erlernen, aucli nocli in allen Hand-
arbeiten unterNviesen und geübt werden, in denen .sie zn ihrer
künftigen Bestinnnnng eine g^ewisse Fertigkeit erlangt haben müssen.
Es wird daher mit der Lehi-schiüe in Strausberg auch noch eine Arbeite-
scbule verbunden.
§ 2.
Da das Locale kein eigenes Zimmer zu diesem weiblielien Unter-
richt gestattet, auch die Madchen (s. Abschnitt III) während der Lehr-
stunden nicht abkommen köuueu, uin die Arl)eitssclmle zu besucheu, so
würden bloss die Vormittagsstunden von U — 12 Uhr nnd im Sommer
die Nachmittagsstunden von 4 — 5 Uhr und ausserdem das ganze Jahr
hindurch der Nachmittag des Mittwochs von 2—4 Uhr gewählt werden
können. In den 3 Sommermonaten Jnnius, Julius und August, in denen
die Schule frOh um 7 Uhr anfängt nnd nur bis 10 Uhr dauert, wärden
6 Stunden mehr zu den weiblichen Arbeiten gewonnen werden.
§ 3.
Da kein eigener Fond vorhanden ist, ans dem die Lehrerin der
Arbeitsschule besoldet werden könnte, so muss diese Anstalt auf sich
M Gegen die EiiirichtuDg einer solchen InduBtrieechnle, vokq die Bcgienmg er-
mnntertei hatte rieh Periits noch 1792 «blehnmd verhalten, mit der Begrflndnng:
„Pretens fehle es an Mitteln daiu; im flbrigen Wörden die Kinder hier schon von
Jni^'end an zur Arbeitsamkeit und insonderheit zur Spinnerei angehalten, da der
gröüste Tbeil der Einwohner aus Tuchmachern bestehe er scheint nicht recht ver-
standen zu haben, worum es sich dabei handelt. —
- : Ly Google
Die Straaaberger Stadtschule.
103
selbst gebaut werden Das Schalgeld fär die Arbeits-Schfllerinneii fltesst
zwar mit in die allgumeine Schulkasse, wird aber bestimmt, der Lehrerin
ein gewisses Gehalt anzuweisen. £in jedes Kind entrichtet wöchentlich
1 gr. Die Näh- und Strickarbeiten bringt ein jedes Kind mit und nimmt
sie auch wieder mit hinweg.
§4.
Da die Arbeitsschule sich durch sich selbst unterhalten mnss, so
ist sie keine der Lehrschale eigentlich einverleibte, sondern nur eine
neben ihr extstirende Industrie-Anstalt. Sie ist indessen mit der ersteren
verbunden
1. durch die Gleichheit des Lehrorts,
2. durch die Theilnehmnng an der Heizung des Lehrzimmers. Aus
diesem Grunde mtlsste sie auch mit dor Lehrschule im Winter gleiche
Ferien haben, während die Sommerferien dagegen zum Theil ganz weg-
fallen würden,
8. durch die Entrichtung des Schaigeldes an die gemeinschaftliche
Schulk a^Jse,
4. durch das öftentliclie Sclmlexanton, hei dctn nurli die Handarbeiten
der Mädchen der öffentlichen Ansiciit voiirelegt werden müssen,
5. durcli di(^ Gleichheit der Aufsiclit, indem der Koctor das Recht
und die Pflicht hat, aach die Arbeitsschal« zu inspicireu.''
Mim darf wohl unl)edenkli( h )»chauj>ten, dass dieser Plan von 1808
auf einer unß:leich höheren Stufe als alle früheren Entwürfe j^teht und
von rühmlicher Einsicht in das Wesen eines Schulorganism us
zeugt. Die frühere rtlcichs^tellun^^ der Tjchrer, dies Nebeneinander im
Amt, wobei jeder nur um seinen persönlichen Vorteil soi i^te, unbekümmert
um das Gedeihen des Gnnzeii, w«» <2:et^en«eitiire Keibungen, rein aus
materiellen Interessen veranlasst, iinaiislileiiilicli waren, nuisste ein ein-
heitliches, einiges Zii^ainmenwirken. w<Min nicht ganz ausschliessen, so
doch /um mindesten nur ausnaliinsweise eruiugliclien; die Madchen gar,
ab-i'^ondert, ohne besondere Aufsicht, von einem mit <i<T dürftii^sten
Vorbildung zu seiiMMii TiChrberuf ausgestatteten Küstej- unterrichtet,
erschienen wie Schulkinder zsvciten Grades — da> alles sollte nun anders
werden: die Schule, Knaben und Mädchen umfassend, ein einziges, grubses
Ganze sein, nacii vernünftigen Prin« i[>ien gegliedert, von einer einzigen
Perstinlichkeit geleitet, deren ausschliessliche Pflicht und
höchste Aufgabe es ist, für »lie gedeihliche Entwicklung und
den 1 egelmässigen Betrieb der Anstalt zu sorgen und dem
Patron, dem Inspektor und der Schulaufsichtsbehörde gegen-
über die Verantwortung zu tragen, die aber eben darum audi mit
grösseren Befugnissen ausgestattet ist, um die Ordnung aufrecht erhalten
^ ij . .-Lo Ly Google
104 B. ßeiSert:
zn können unter (l»'n ihm iintorstoUten Tiehrpersonen, wie gf'Ren die
Eltern, die l)isbor meist gewohnt waren, persönliche NViuisc he brti i'rts
drr KInN<»'?uvahl oder der Vers»'tzl)iirkeit ihi-er Kinder, sclir oft gt'j^en
(his cigentliciiu Bcstt^ derselhen, oime weiteres, wie wvwn es selbstver-
stimdlich wiiic, von dem gefülligen oder zu Ihuik vfiidlichtctcn T.i'hrcr
lierücksiclititjt und gewälirt zu seilen. .*>tniöe Ordnung, sUuiieb Ueguueut
— üben das tluit einer ;iut"<t reitenden Generation not.
Eine unmittelbare l-ul^f dieser „angefangenen Urgauixilinu fler
Stadtschule'^ war die Wiedereinsetzung eines Schul voistandes,
der, aus Biirgerdejiutiiten bestehend, neben dem Ephoius seines Auf-
siciitsamtes zu walten beiufen ward: zwei Mitglie«ler desselben, welche
„überzeugt waren, dass die Bildung tier Jugend eine ebenso wichtige als
nOthige Suii;. für uns sein muss", betrieben denn sofort (September 18ÜD)
beim Magistrat die „Förderung des begonneuen Reformwerkes'' mit
regstem Eifer. Doch ging es damit nnr langsam, sebrittwdse ▼orwftrtB.
Infolge der Einführang der nenen Städteordnnng (19. No-
vember 1808) hatte anch die Straasbergische Stadtverwaltung «dnen ver-
änderten CShiurakter erhalten; der Idagistrat durfte nicht mehr, wie bisher, in
den meisten F&Uen über die Edpfe der Bürgerschaft hinweg etwas be-
schliessen und zur Ausführung bringen, sondern war an die Zustimmung der
24 neugewählten Stadtverordneten gebunden. Nun war aber, wie wir wieder-
holt zu bemerken Gelegenheit hatten, gerade die Schulfrage dem grosseren
Teil der Einwohner ein Gegenstand der Abneigung imd den Stadtver-
tretern nunmehr eine willkommene Veranlassung, ihrer, fast mochte
ich sagen, traditionellen, Jahrhunderte alten Animosität
gegen den selbstherrlichen Magistrat Luft zu macheh; teils
deshalb, teils aus Unverstand sperrten sie sich daluT gegen alle Mebr-
fordernngen, die zu Schulzwecken an ihren Säckel gestellt wurden, und
hielten sie fur überflüssig. Von dem sonst so geridnnten „frischen Geist
der Wiedergeburt, der durch das preussische Volk ging", war iu der
Stransberger Stadtverordneten-Versanuidung das gerade Gegenteil zu
spüren — wenige ausgenommen. Es steht fest, dass vorlaulig alle ge-
planten Änderui^n abgelehnt wurden, nur die Vereiiiiunii«? von Rektorat
und Diaconat ging durch, — und die kostete freilich nichts.
Als daher IHld der Diacomis Kriegel nach Landsberg berufen wurde
und SujH'rint. Krüger befürwortete; „I, dass der neue Kector ein studirter
Mann mit Sprach- und musikalischen Kenntnissen sein müsse, der auch
ü)gel spielen könne:'; *2. der alte Rector, dem fast jeder Hür^er als
seinem ehemaligen Lehrer verptlichtet sei, die alte Wohnung und Garten
noch weiter behalten, der neue Reetur dagegen eine Mietswohnung in
der Nachbarschaft i>ezieheu solle, wobei ihm 3. ausserordentlich Holz
') .^Man solle sich deswegen an den OberconsiBtoriairath Hecker, Direktor dM
Kttnnftrkiwheii Senoiiuucs, wenden od«r die Stelle in Zeitongcii aoBtchniben.^
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Die Strausbuiger Stedt8<dnile.
zn bewilligen sei; dass endlich 4. nunmehr die grosse Scbiilstabe, in
welcher das Lazaret gewesen, getrennt und neu geweisst werden üidchte**
— konnte man sich auch zu diesen „geringen ausserordentlichen Mitteln"
nicht entschliessen; der 1811 antretende Diaconns Leopold Zesch mnssto
das Rectorat übernehmen. —
Doch unbeirrt dnrch diesen Widerstand fuhr der Magistrat fort,
mit lebendigem Interesse die Schulangelegenheit in Fluss zu erhalten,
weswegen <äe Kgl. Eurmärkische Regierung nicht umhin konnte, unterm
Januar IHU speziell dem Bürgermeister Fabel, welcher sich bis-
faero bey der neuen Organisation des Strausbergischen Stadt-
Bch u 1 Nv »'sens mit lobenswertln'TTi GeirK'insinn hctragm und sich
zur ßrfüideruiig der guten Saclie sehr thätig bewiesen hat, ihre beson-
dere ZutViedcnluM't und \V*'rthsclj;itzung zu erkenne ZU LicVK^ii".
Wesentlicli unterstützt in seinen lie.sti ebungen wurde der Magistrat
dureh die einsielitigen Mitglieder des Srlnih < »i >t:inde.s, der zuerst aus
dem Postmeister Haberkorn, den Fal»ri kauten Martin Kurtze inid ( "iirist.
Samuel Heller, dem Stadtchinirgus Julius und dem Apotheker Jeusen
gebiblet und )»estätigt wurde: noeh wieiitiger aber war, d;iss dieser Schul-
vurstanil durch die Ministerial-Instruktion vom 20. .luni ISI 1 hiiisirlitlich
seiner Organisation, seines \\ irkuni;skrei-< < und der < !es< hafr^vi rsvaltung
in die Reihe der städtischen I [i ii t :i f io iie ii aiil'geiicuinien wurde,
woduich seinen Beschlüssen und Austuiirungen eist der iniitli' ln« Cliarakter
verliehen worden ist.'-') Auf nrund der alltreineineu miniöterieUeu lie-
»timmuDgeu entstaud folgender Eutwurt* zu eiuer
Instruction oder Geschäftsordnung des Schulvorstandes
zu Strausberg.
„Dem Schulvorstand liegt es ob, für <lie geliöriije Haiidliabnnii der
äusseren Ordnung und für die genaue Befolgung der JSchulver-
urduungen zu sorgen.
') PerliU überualuu bei Eiuiuliruag der älüdteordauug das Amt des Gerichts-
direktors. —
Frohere Verfügungen hierüber datieren vom V*. November 1809 (Punkt 3:
nBUdong eines Schulvorstandes mit dem Prediger als Praeaee; wo mehrere Prediger
sind, gehören a\W dazu: unter den Fatnilienvütcrn soll winif-uiK ein Mn^M^*trata«
mitglie«! s«'in. Für (irn Scliul vorstand winl fiiif beewuleie Jn>-i i ii> !;> n t'r^M'lion." —
Aus dieäciu öchriftetück int noch burvorzuliebea: „5. Alle Cunüiduttu uiiktiben sich
einer PrOfung vor d«r Königlichen Examinationa-Oonimisaion nnterwerfen. 0. Diese
Prttfnng ist auch bei Versetxung eines Lehrers nothwendig. 8. Statt der Schnlcataloge
sind ToUstftndige Schiill>«-ric-htü ein/urciclicn, in weiclien jecK- Sclnile nneii ihrem
ftnsseren und iimorju Zti>land so ansi hanlii h >!:ui^'> -ifllt wird, dass d:i>< daiaiis la-rvor-
^ehende Resultat aln iktsi« für den weiteren Ausijuu dienen kann. T.ehrer, die sicli
durch Lebrtaleiit, Tbüligkeit und Aintbireue auszeichueo, sowie Prediger, welche sich
um die Anshädong der Lehrer und Verbesserung der Schule verdient machen, sind
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106
B. Seifert:
Er empföngt seine Auftrage von dem Saperintendenten oder Schal-
inspeetor, an welchen er auch fiber das seiner Aufsicht vertraute Schal-
wesen su berichten hat. Er selbst ist die nächste Behdrde der
Schnliehrer und der Schulgemeinde. Letztere sollen ihre etwanige
Erinnerungen, Klagen, Wünsche nnd Beschwerffthrungen nicht beim
Schnliehrer, 0 sondern müssen sie bei dem Schnlvorstande vorbringen,
welcher ihre Anforderungen näher nntersuclit und erforderlichen Falls
dem Schulinspector zur Beurtheilung und Entscheidung vorträgt.
Die Schulvorsteber versaninieln sieb monatlich einmal, 2) und
zwar am ersten Mittwoch eines jeden Monats Nachmittags, entwedi i- in
dem Scbulzininier oder in dem Hause des Präses. Fällt auf den Mitt-
woch ein Festtag, so versammeln sie sich an dem zanädist folgenden
Mittwoch. (Die Schullehrer, wenn sie diesOT Auszeichnung würdig sind
und die Umstände es zuträglich machen, zu Zeiten mit hei den Ver-
sammlungen zuzuziehen, bleibt dem Scbulvorj?tinide überlassen. Das
Magistratsmitglied hat bei persönlicher Auwesenlii'it den Vorsitz.)
Die Schulvoi'stchcr sorgen geiiieiiischnftlicl! für di»» o:ehörigc V nt«'» -
haltung des Schulgebäudes, der S( Imlzunmer und der ScIiullclinT-
wohnung. Sind Rcjuiraturen oder neue Bauten erforderlich, so iniissen
sie diesellten einleiten. Was die Schulzimmer betrifTt. so inüsseii sie ins-
besondere darauf achten, ob auch die vorges( liriet»ene Ordnung, I'ünkt-
lichkeit und Ueiiüichkeit in denselben herrschen: <»b auch alles darin
gehörig an seinem Orte stehe, hange oder liege; ol> Hoden, Wände, Fenster,
Tische, Bänke j». \k sauber gehalten werden; ob die Schüler nach ihren
Abtheilungen ihren rechten Platz einnehmen, ob auch von den Schülern
uamentlicli luit einer besonderen Charakteristik iuif/iifiUir- n '' Alle IJerichlt- (i( r Pre-
diger und Lehrer müssen durcli den Magi.stmt an die Regierung gelangen ), sow ie vom
12. März 1810, worin zugleich über die Bildung von Scbulkassen das Weitere an-
geordnet wird. —
*) Im Juni 181S machte die ScholdflpiiUUioii flOentlicb b^aont, „die Eltern sottteo
ihre Beschwerden nicht beim I>ebrer in der Schule oder in sdner Wohnung, eoodem
bei der nächsten monatlichen Sitzunj: der Schul ■ ConiTnission nnhrincen " — Am
(]. November ISIS schärtte sie nochmal ein: „Da sich ungeachtet uiehrer früherer
Verordnungen noch immer einige Eltern beikommen Innen, gegen die geaetaliche
Ordnung der Scbnle wahrend der Scbnlseit in die Zimmer der Lehrer an dringen und
durch unanständige Reden oder sogar durch andre ungebObrlicbe Gewalt fliiiiigkeiten
die Lehrer zu heU itliiit ii, ho werden i^innmtliche Eltern hiesigen Ort.« nochmals ornst-
Hcli davor ;rp^v•a^lt.•' Hierzu erging uiit"rin 17. December lSi22 eine Hegierungs-Ver-
iUguug: „1. Das Eindringen der Eitern in die Schulummer ist unzulässig und muss
poliseHieh ebenso beetraft werden, wie jedes Eindringen in fremde Wolnrangen.
2. Injorüren die Eitern bei soloboi Gelegenheiten oder sonst die Lehrer, so ist das
Jnstissache. 3. Wollen die Eltern über das Verfahren der Lehrer lieschwerde führen
80 müssen sie sich deshalb an die Schulkommission wenden.' — •) Die Ministerial.
Instruktion g 22 setzt zwei ordentliche Zusammenkünfte im Monat fest und zwar auf
dem Bathhanse. —
^ ij . .-Lo Ly Google
■ - -■
Stnoftbe^er SUdtscbole. 107
das Schiilpf«ratlu', der Lt'lii'upparnt und dif Scliiilziinfucr bosrliädigt
werden. Aucli luüsspii sie darauf aufiiici ksaiii sein, ol» l.phrer und
Schüler selbst reinlicli und «udentlicli in der Schule ersclu-iiit n, uli irf^crid
eim'> von dfii Kindern eine ansteckt-nde Ki aiiklieit »»der ekelhafte körper-
liclie Scluult'ii an sieh liahf. Beinciken sie ein solches, so müssen sie
es sofort entfernen und den Eltern desselben darüber die nöthige Weisung
geben. ^)
Auch für die Ansriiaffunj^, Unterlialtuntr und Vervoll-
ständigung des Lebrapparates (Bücher, Schiefertafeln, Wandtafel p.)
haben sie zu sorgen. ')
Der Schulvorstand iiiuss bei seinen Schul Visitationen darauf
achten, ob der Lectious- und Lelirpian vorscliriftsmässig befolgt werde,
im Fall der V'emachlässigung den Srhullehrer iirivatiui daran erinnern,
tind wenn niehrnialige Erinnerungen fruchtlos bleiben Sölten, dem Schul-
inspector darüber Anzeige thun. TMese Sfirge liegt je«loch voriu lniili( Ii
dem Prediger ob, welcher deshalb auch wiH liciitlicli wi'uigsteus einmal
unvermnthet die Schule besuduMi un<l dem Untmiciit beiwohnen muss.
Von Zeit zu Zeit muss auch der ganze Schulvorstanil die Schule besuchen
und davon in dem anzulegenden SchulprotocoU- Buche Meldung thun.-)
So wie der Schulvorstand die lie( ti(»nspl;in(^ füi' die TiChrer von dem
Schuliii>in'ctor em])fängt, so auch alle Wrui »iuurigen und Verfügungen
in betirtV aller lUn igen die Schule betreffenden Punkte.
Der Schulvorstand mu^s über die ganze Aujtsführung und
Auffuhrung der Schullehrer die Aufsicht füliren und darauf
.sehen, dass ihr Lebenswandel weder der (lemeinde, noch den Schülern,
noch den Predigei-u an.^lits.sig werde. ) l^lieiiso hat er abi'r auch darauf
zu halten, dass die säuimtlicheu Genieindeglioder ihre Pflichten gegen die
Lehrer gebiilirlichst erfüllen.
Dem Schulvorstiinde sind lUMnatlich die Scliulbes uchslisten ein-
zuhändigen, damit derselbe den Schuliiesuch dei- Kinder, die Benutzung
oder Vernachlässigung der Schule von Seiten der l-dtern daraus ersehen
und deshalb die erforderliche Nachfrage und Anzeige thun könne. Die
sämmtliche Listen werden am Schlüsse eines jeden Jahres an den Schul-
inspector eingesandt, denselben wird ein Bericht beigefügt, worin der
Schulvorstand seine etwanige Bemerkungen, Wünsche, Klagen und Vor-
schläge vorträgt, v(ui den in der Schule vorgegangenen Verändeiungen
Meldung thut und zugleich alle diejenigen Eltern namhaft maclit, w« lebe
aller Erinnerungen ungeachtet ihie Kinder gar nicht oder zu s>aumselig
') Min- Instr. § 16. — ■) Ebend. § 11. - •) Eine fHidpUnarStrafgewalt Ober
die Lehrer iat der Schulkommission erst durch das Regulativ vom 29. Juilftr 18M
baigel^ worden, doch nur besflgUcb ihres VerbAlteo« im Amt. —
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108 B. SeiM:
zur Schale schicken und deshalb vor die Obrigkeit gezogen zn -werden
verdienen. ')
Di( SchuUehrer dürfen keinen ganzen Tag die Schale aussetzen,
aiK'li bei der ^em iindete.sten Ursache, ohne dein Präses des Schulvor-
Standes oder in Abwesenheit oder zn grosser Entfemung desselben einem
der SchnlvorsteliiT davon Anzeige zu thun.
Der Seliulvorstand ordnet das jährliche öffentliche Schul-
exanien, lässt die Eltern und Schulfreunde, wo es das Schullocal erlaubt,
durcli den F^rediger von der Kanzel Sonntages zuvor dazu eiidaden, ist
selbst bei dem Examen f^ciJ^enwärtif^, fuhrt dabei die Aufsicht, sorgt für
die Tnissere Orduuug ujid protocolUi't darüber bei der nächsten Ver-
sammlung.
Der SchulvorstantI muss sicii sorL-faltii; iiacli jcdi r (ii'lc^cnlit'it um-
sehen, die sich darbietet, um das Seh u 1 vt-rin c ii und die Ein-
künfte der Lelirer zu verbessern. Jiislusuüdeie muss bei etwaigen
GemeinheitstheiluDgen -) daraufgehalten werden, dass auch der Schule
ein gutes Parcel zugetheilt werde. Wenn eine Scliulstelle vacant geworden:
so muss der Schulvorstnnd es dem Schulinsiiector anzeigen, damit dieser
die Wiederbesetzung einleite.
Der Yocation, welche der neue Schullehrer erliiilt, müssen die
Schulvorsteher eine genaue von ihnen sell)st unteix hrieliene und unter-
siegelte Specificatio n der mit der Stelle verbundenen Ein-
künfte beifügen. Die Einführung eines neuen Schullehrei's soll ent-
weder durch den Schulinspector oder nach dessen Auftrag durch den
Ortsprediger in Gegenwart der Schnlvotstoher nnd der Cremeindejagend
geschehen.
Der Präses soll die sämmtlichen Verhandlungen des Schulvorstandes
leiten. Er hat bei den monatlichen Versammlnngen den Vorsitz, fOhrt
das Protocoll, besorgt die etwanige Gorrespondenz, berichtet im Namen
des Schalvorstandes an den Schnlinspector; Torzöglich aber soll er auf
das Innere des Scholwesens, auf die Unterweisung, Lehrmethode, Schnl-
ZQcht, Befolgung des Lehrplans, Weiteransbildnng der Lehrer, kurz auf
alles, was auf die innere Verbesserung der Schule Einfluss hat, seine
Aufmerksamkeit und Bemflhnngen richten.
Der Rendant hat insbesondere fOr die etatsmässige Verwaltung des
Schulvermdgens zn sorgen, zn diesem Behuf muss demselben ein
ordentliches Lagerbuch nebst einem Etat übergeben werden. Auch muss
*) Vielen SIteni, namentlich der änneren BevOlkenuig, bdiagte der allgemeine
Schnliwaiig nicht, „sie liielten kaltblütig ihre Kinder von der Schule aarQck" (1818)
oder ^hetzten ^ii' dm< !i allerhand knlnkende und beleidigende AusBerungen gegen die
Lebror auf, ja entzogen dieselben nach cim-r erhaltenen gelinden Scbulstrafe gänzlich
dem Unterrichte" (182G). — *) D, i. wenn Wald- und Landkaveln oder Wiesen verteilt
werden.
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8tnuMberg«r Stadtoehnle.
109
er das stellende Gehalt der Lehrer and die Schulgelder erheben und an
zu regnlirenden Terminen das za bestimmende Qnantam gegen qaitfeang
an die Schnllehrer auszahlen. Er legt seine Rechnung vor den übrigen
Scholvorstehem and dem Präses ab, und der ganze Vorstand ist fär die
Verwaltung verantwortlich. Die abgenommene Rechnung wird an den
Schulinspector zur Revision geschickt, welcher eine Abschrift derselben
der Landesregierung einzureichen hat. ')
Die Amtsführung der Scliulvorsteln r soll (> Jahre dauern, mit Aus-
nahme des OrtspnHligtM-s als Präses, welcher dioses Amt solange behält,
als er Prediger der Gemeinde l»leil>t and kein CTrund vorhanden ist, das;
Präsidium einem anderen zu übertragen. Auch soll, wenn etwa der
Kirchen- und .Schul patron mit unter den Schul vorstoUem ist, dieser be-
ständiges Mitglied sein. Es sollen aber nicht die säinmtlichen Schul-
vorstt'li r /.ugloich, sondern jede.smal mir zwei ausscheiden; an deren
Stulle die bleibend(>n Vorsteher mit dem Präses zwei andre beim Schul-
inspector in Vorschlag bi-iiificn. -')
Da nur solche Männer als Schul Vorsteher angeoi-dnet
werden sollen, welche für den L''l<»r der Schule interessi rt si nd,
vernünftige Einsichten IkiIhti. in einem <;uten Hufe und bei
der Gemeinde nicht in Mis-ki ' dit stehen: so ist mit (iruud zu
erwarten, dass sie das ihnen an\ <'it raute elii-eii\ olle und wielili<_;v Amt
ndt fri'wisst'Mliaftt'r Trem? verwalten und mit Fr*'U(liL!;keit allen Kiiei- uml
alle Mühe auflneten wenlen, um das zur Aufsicht (iWcigebene Schulwesen
zum Sogen der Gemeinde zu einem immer hühereu Grade der Voll-
kommenheit zu erheben. ;
Dass die Strausliei'ger Schulkommission, zu welcher im März ISlii
die Stadtveit>rdueteu aus ihrer Mitte ex ofticio ein Mitglied (h'putierten,
sich ihrer I'tlichten voll hewusst war und sich ihrei' Aufgabe mit Geschii k
und zunehniciHiciii Erlolge unterzog und entledigte, bezeugt ein Schreiben
der „geistlichen und Schuldcputation der Kurniärkischen Regierung^,
d. d. P(4Mlam den 24. Oktober ISll. Dasselbe bestätigt die bei der
Einführung des Diaconus und Rectors Zesch endlich vollzogene Vereinigung
der Kuaben- und Mädchenschule und fügt hinzu; „Wir haben mit Wohl-
gefallen gesehen, dass auch die Schulkotumissiou mit lebendigem
Eifer alle Mittel anwendet, am die der besseren Schal-
Organisation entgegenstrebende Hindernisse aas dem Wege
za rftamen and zor Förderung der guten Sache krftfügst mitznwuriken.
Wir können nicht umhin, der Schal-Kommission hierfür unsere völlige
Zufriedenheit und besonderen Beifall zu erkennen zu geben, indem wir
») Min. Instr. § 17—20. — ^) Ebeud. § Ö. - *) Ebend. § 6 und 6.
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HO
Die Strmitbeiser StadtattWe.
hoften, dass difselbo in ihren rühmlichen Bemühungen eifrigst
fortfahren und so das Ihrige znm künftigen Wohl der jetzigen
Generation beitragen werde.** ^)
Dit» KriejyswojOfn der Jahre 1H12 — 15 setzt<'ti vorläufig: der segens-
rciclien Wirksamkeit dieser vom edelsten Streben iM^celten Mminei- ein
Ziel; als aber der Friede wiedei- eiii^i kehrt, machte man sich mit frischer
Kraft an die Lösung der letzten noch schwebenden Fragen, wobei mau
in dem 1817 neugewählten Superintentlcuten Dr. Mann, einem Ritter des
eisernen Kranzes, einen begeistei-ten und onergischen Mitstreiter erhielt,
vor dessen Einflnss sich selbst die Stadtvertretung willig beugte.
Vor allem galt es, mit dem alten, nnzeitgeinnss gewordenen Zopf
aufzuräumen, iler aus di r -anzen Arf der Leb rerbesoldung nocli
immer hervorguckte. „Die Lehrer waren'*, so schreibt Perlitz, „vor
dieser Z»>it so elend besoldet, dass sie sich auf eine fast unanständige
Art ihren Unterhalt erwerben mussteu; besonders aber waren das
') Auf Grund des Edikts vom 11. Mtt» 1812 kam seitens der Regierung auch
eine Anfrage, wie denn das jOdische Schulwesen in Strausberg lieschnffen sei
Superintendent KrfiL'r-r referierte darüber also: „1. Die hiesige Judengomeindt' hat
eine eigene Schulauätalt, die auf ihre Kosten unterhalten wird. 2. Solche befindet sich
in einem swar nur BcUeofaten, aber der geringen Anzahl der Sclnilkinder (6 Knaben,
8 Hldchen) angemeasenttn Lokal, welehea sugieich die Wobnnng des Schullehren ist.
Zur Heizung desselben liefert die Gemeinde das nöthige Holz. 3. Der jetzige Lehrer,
welcher 47 Jahr alt ist, hoisst Jacoh Loebel Caro, ist ehedem in Grilt/. bei Posen
ächuUehrer gewesen und vor l'/i Jahren von der hiesigen Judengeuieine Tun dort her
verschrieben worden. 4. Er bekommt an stehendem Gehalt 24 Thaler jlhiiidi und
wird von den Familien nach der Tour gespeiset. Sein Schulgeld und «brige Emeln-
mente betragen ungefilhr jährUch 6 Tbl 5. Eigentliche Fonds xur Unterhaltung der
Schule sind nicht vi irlinivlt-n. 0. Dit f-t-hrer ist übrigens ein ganz gemeiner Jude, an
dem ich keine wiwscn.sehaltliilie Keuatnissc wahrgenommen habe, der nie einige Vor-
bereitung zum Schulamte erhalten hat, von Methode u. s. w. nichta weiss, sondern
das Schulehalten so gelernt hat, wie unsere Schneider und Weber, die deh in das
Scholfacli hineinwerfen und die Sache durch die praxis gelernt haben. 7. Sein Schul-
nntcrrirht ist daher ein ganz gewöhnliches Machwerk. Er unterrichtet die Kinder im
I.e.scn lind Schreiben und zwar bloss jüdisch. Deut-sch lesen und Rclireilion lernen sie
privatim bei christlichen Lehrmeistern. Vom Kechueu scheint er wenig zu wissen,
daher die Kinder der wohlhabenden Juden auch dieses anderweitig' lernen. 8. Er
untenriditet ttt^efa 6 Stunden, hat aber bei der Gemeine auch noch so viele andre
Functionen, dass sein Schulamt gar nicht als seine eigentliche IlanptbestimmuDg
angesehen werden kann." — Auch Fischbach, Statistisch-topographische Städtebeschrei.
buugen, 17äU, erwähnt auf ä. 429, dass „die ö ansfläsigen Judenfamiliea sich einen
eigenen SchulnMiater sum UnterHcht Ihrer Kindw und snr Anmdmmg ihres Gottes-
dienstes" halten.
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Speiseu bei <ieii Bürgern und das Heramsingen ') in der Stadt Gebräuclie,
weiche das Schul loh reramt herabzawiirigen drohten.'' Wollt«)
man also, dass die Lehrer, voa deren erziehlicher Thiitigkeit an der
heraoMrachsenden Generation man alles Heil für die Zukunft erhotTte,
ihrem Berufe mit Lust und Liebe nachgehen könnten, so mussten die-
selben materiell unabhängig werden von dem mitleidigen Wohlwollen
oder der demütigenden Gnade der Bevölkerung, mussten sie als Beamte
hingestellt werden, die unbekümmert um Gunst <ider Missgunst der
Menge einfach ihre Pflicht erfüllen um ilirer selbst willen, nicht ihres
persönlichen Vortheils wegen. Ferner leuchtete es ein, dass 3(X) schul-
j>flichtige Kinder, die im Jahrn 1R17 vorhanden waren, unmöglich in
nur drei Kla'^^»'n iinterriciitet werden konnten; es wurde also notwendig,
den Schulorganisnuis bis zu 4 oder ö Klassen zu erweitern. Die Ver-
waltung einer so vergrösseiten Schule erforderte die ganze Kraft eines
Mannes; Kectorat und Diaconat mussten also wieder getrennt werden.-)
Man beschloss nunmehr, aussei- dem Kektui', Konrektor und Küster
noch einen juntren Mann zu liestelleu, „der E?e^en freien Tisch, freie
Wohnung und eine ^a'ringe K'emuneration helfen könne." l>iesem Vor-
schlage des Dr. Mann stimmten die Stadtverordneten zu, nur von dem
.,Heninis|n'isen" wollten sie nichts mehr wissen. Daun wurde mau einig,
alle Nebeueiuküufte der Lehrer zu lixiren, fortan für eine jede Stelle
ein bestimmtes Gelralt aus der Kämmereikasse anzuweisen und die er-
tVirderlichen Mittel, soweit sie nicht von den Kininiieivieinkünfteu bereits
früher bereit gestellt worden, duich eine Liiilage von der gesamten
Bürgerschaft aufbringen zu lassen. Auch diese neue Schulgelder-Anlage ')
fand am 24. December 1817 die Bestätigung der Stadtverordneten.
') Vgl. daia GlMse a. a. 0. S. 144. In dem benachbarten LandsbeiK war bereita
dureh Verfügung vom 18. September 1810 das Recordiren „als unanstUndiges Bettel-
singeii* beseitigt norden. Gaehde a. a. O S. .339. — ») Ueberdies wurden in demselben
Jahr durch Vertrag mit denen v. Pfuel die Pfarre Gielsdorf- Wilkendorf dem ötraua-
beiger Diaconns jcugelegt, weswegen Zeach das Rdctorat niederlegte. —
Zu dem Schulgeld sollen steuem
A. Von Qnmdatackan
1. 267 BAigerhlUiMr ind. der Mahlen ä 12 gr 188 ThL 12 gr
2. 92 Hufen excl. der Predigerhufeu ä 12 gr 46 „ "~ «
8. 4 Wsp. 23 Schlf. 10 MU. Aussaat auf Moxgenlttnder und Land-
güter ä2gr B„ 28» 3-j
4. 47 Vu Morgen Gartenland 8,. 22» lOVin
& 50Vb n Kaafwieaen 4^ 22„ 3»
C. 68 Scheunen 6„ IQ „ — „
7. 13 Budenhäuser incL der vor der Stadt gelegenen and der
Schönfärberei 8„ „
B. Von Gewerben.
8. 200 Gewerbetreibende I. Klasse 50 „ ~~n — n
9. 142 „ n. , 71 « - , - »
uiyiiizeo Dy Google
B. Seifierl:
Das Ocliiilt für (Ion ivcktor wurde auf 4(KJ Tlil. fc,st«;<'srtzt; (iasselbo
lietnig für »leii K(JiHvktur 200 Till., für den Küster (dritten Lehrer)
110 Tili., für den vierten 12U Tlil., für die Handarbeitslelirerin endlich
100 Till.; alle Accidenzien ans kirchlichen Fanktionen flössen aber fortan
in die Känimereikasse, desgl. fielen alle Nebenemolumente fort^ mit Aus-
nahme der freien Wohnung für den Rektor, sowie des Freiliolzes för ihn
und den Konrektor.
Trotz der verlialtnissniässi*:; ;^i«ringen Beiträge, die dem Einzelnen
aus der gleichinässigeu Verteilung der Schullasten erwuchsen, konnte sich
ein gewisser Teil der Bürgerschaft mit dieser neuen Ordnung der Dinge
nicht zufrieden geben. Miinche vermochten überhaupt nicht sich zu dem
Gedanken aufzuschwingen, dass es heiligste Pflicht einer Gemeinde ist,
mit allen Kräften und nach bestem Wissen und Gewissen für die Bildung
der Jugend einzutreten; andere grollten, dass sie, selbst kinderlos, die
Kosten für fremder Kinder Unterricht mit bestreiten helfen sollten; noch
andere verquickten die Schulfrage mit anderen städtischen Angelegen-
heiten, in denen sie der Stadtverwaltung gegenüber Front machen zu
müssen oder zu dürfen glaubten. Genug, noch Jahre lang bestand eine
Oppositionspartei, die gegen alles, was zum Segen der Schule beraten
und beschlossen wurde, ganz unbegründeter 'Weise aus Böswilligkeit oder
Unverstand ankämpfte und selbst der Regierung gegenüber, die „sie zur
Ruhe verwies und ermahnte, den Verfügungen des Magistrats gehor-
samlich sich zu fügen*',*) ihren Widerstand nicht aufgab.
Um so höher ist es den Männern, die nnbeirrt in dieser Schnlfrage
ihren geraden Weg verfolgten, anzurechnen, dass sie treu und beständig
an dem festhielten, was sie für die Entwicklung der Schule für erspriesslich
erachteten; dank ihrer Energie und Behan*lichkeit drang, wenn auch nur
ganz allmählich, die Erkenntnis des wahren Bildungsbedürfnisses durch,
und damit eroberte sich endlich in den Gemütern der Einwohnei'schaft
10. 41 Gewerbetreibende III. Kluse 3U Tbl. 18 gr ~ ^
11. SS TT IV, 36 f ~~ ft n
12. 1 - V 1 rt ^ - «
13. 79 Schutzvf rw arulfo, wovon 1{) ab^eliCMi. weil sie pcIi'mi ilircr
(iewerbe wegen unter den betreffen'lrii Cla-sen stehen, nnd
hier nur noch üü bleiben lU « 20 „ — „
C. Von Ämtern.
14. 1068 Tbl Gehalt tod Offliianten, so keinen Commtinalbeitrag
geben 2 „ 15 „ 10 ^
Ancb die Recordationsgelder wur<l< n auf die Hauseigentbünter, Budenbesitzer^
Mietabürger und Schutzverwandte gleiclunüMig verteilt; es kttm auf den einselnen
jährlich J gr (j 4 bia 8'/j 4.
') VerfOgung vom Oi'tulicr lsl>^, —
^) Schou lö23 wurde die Errichtung einer lUufteu Schulstelle beecblobsen.
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Die Btmwberger Stadtscfauto.
IIS
die Stadtschule diejenige Achtung, die ihr gebührt, die ihr aber aeit
Jahrhunderten yersagt worden war.
Was hierzu aber ganz besonders beigetragen hat, war, dass man
ffir das Rektorat, den Posten des verantwortlichen Schulleiters, auch den
rechten Mann fand, der es verstanden hat, „durch sein rahmwfirdiges
Beispiel das gesamte Lehrerpersonal zu gleich unermüdlicher und gewissen-
hafter Arbeit, wie sie ihm eigen und ein Bedürfnis war, zu beleben*
und der stetig sich entwickehiden Schule in allen Kreisen der Bevölkerung
Anerkennung zu verschaffen. Dieser Mann war der Rektor
59. Johann Heinrich Benjamin Zschiesche. >)
Ebenso tief durchdnin^^en von den heiligoii Pflicliten seines schweren
Berufes, wie ausgerüstet nnt hervorragender }*ä(lagogischer Tüchtigkeit,
hat derselbe über ■")() Jahre lehieud und leitend an der Schule gewirkt;
die überreichen Elnningeu, die ihm anlässlich seines -lOjährigen Jubiläums
dargebracht wurden (2. Mai 18ü8), waren das schönste uud beredteste
Zeugnis dafür, dass er nicht allein die volle Anerkennung der städtischen
Behörden, sowie der Königlichen Regierung gefunden, sondern es auch
verstanden hatte, in den Herzen ungezählter Schüler das GefQhl wärmster
Dankbarkeit und liebevollster Wertschätzung zu wecken und sich über
das Grab hinaus zu sichern. Eine Gedenktafel in der Schule und die
„Rector Zschieeche- Stiftung^, von ihm zur Unterstützung braver und
fleissiger Sdiüler bestimmt, wird noch fernen Generationen seinen Namen
und seine Verdienste verkündigen, Er starb im Jahre 1880, als hoch-
betagter, ehrwürdiger Greis, dem bis zum lezten Atemzug die Schule
das Liebste war, als einer der letzten Veteranen aus dem Befireiungs-
kri^, ein treuer Streiter auch im Kampf für das Blühen und Gedeihen
der Stransberger Stadtschule.
') Am 17. Oktober 1793 in Cottbus geboren, iu Berliu auf der Parochialachole
aad deiDa Gymnuliim mm graneii KloBtar, von 1806 mb anf dem Stettlner GymnMiiim
TOigebildet, folgte er 1813 als Primaner dem Rof des Vaterlandes mid KOol^ und
focht als freiwillip' r Tjiger des Pommerechen Qrenadierbataillons hi den Schlachten
▼on Möckern, Gross Beeren, Bennewitz, Leipzig, Hoohstraaten uud Oudenarde mit
solcher Auazeichnung, dass er zum Leutnant befördert wurde. Nach dem Feldzuge
stodierte er in Beiün Philologie wid ÜMologie wid wurde am 90. Oktober 1618 als
Bektor in StMoabeif elngeffllurt ~ Vgl. Stenibeck 8. 108. ~
A. 8
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Ehemalige Kämmereigüter Strausbergs.
B. Seiffert
Die Oemarkimg Strausbei^ ist in frfiheren Jahrhunderten grösser
gewesen als jetst: im vierzehnten Jahrhundert gehörten die „Dörfer"
Richardsdorf und Knnekendorf zum Kämmereibesitz, von 1486 bis
1617 zwei „Dorfstatten**, Gross nnd Klein Efthnsdorf genannt, auf
welchen eine Meieret nnd Schäferei eingerichtet nnd unterhalten wurde,
und von 1574 bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts stand unweit
des Marienbeiges das rathäusliche Vorwerk „ Wolfsthal*'. Von diesen
Feldmarken nnd Ratsgütern soll in nachstehenden Blättern die Rede sein.
I. Richardsdorf und Kunekendorf.
Die Urkunde 2 des städtischen Archivs (Strausberg d. 18. Jan. 1354), ^)
laut welcher Markgraf Ladwig der Römer den Ratmannen und der Ge-
meinde der Stadt Strausberg die freie Rats- und Scliöftenwahl, die Zoll-
gerechtigkeit und andere Gefälle bestätigt, enthält auch folgenden Passus:
^ — VortiiK r was sie haben bynnen ire veltmai-^kf bi vnser vorgenanten
stat an hoitze an wassern vnd grase an garten das das ire sie, als sie
das vor gebat haben vnd bienamen die dori'fere Rieliarstorph vnd
ku nekend or])h ire s allen sin mit ahne reclite vnd gnaden als sie
is vor gehat haben, vnd in vor geeygent sin.** Danach muss also
vordem ir^j^endwaim d»M- Rat diosc beiden Dfufcr erworben haben „in
gemeiner Stadt Nutzen" und ihm dieser Besitz uueh sdion früher be-
stätigt worden sein; ob der Erwerb durcii Kauf stattgefunden iiat oder
auf den Gnadenakt eines Markgrafen zurückzuführen ist, mu8S daliin-
gestellt bleiben, doch hat die zweite Annahme mehr Wahrscheinlichkeit
für sich, weil sonst siclu'rlirh der frühere Besitzer iu der Urkunde er-
wähnt worden wäre, wie dies zu geschehen pflegte.
[Die neben den ArcbivmateriKlieu benutzten Quellen sind: Fidicin, Geschiebte
dM Oberbaniim ~ derselbe: da« Earoüogiflche Landbncb — Biedd, Codex diplom.
BrandenbargeDOB — Fischbacb, StstiBtigch'topograpbiscbe StädtebeHcbreibung der Mark
Brandenburg 1786 — Perlitz, Ms. buriiss looo ,ier Königlichen Bibliothek stt Berlin tt. a.]
i) Cf. Biedel a. a. O. I, 12. Strausberg No. 12.
8*
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116
Ans späteren Andeutangen geht hervor, dass die Feldmark toü
Richardsdorf nicht eben bedeutenden Umfang gehabt hat; Fididn nimmt
es an,0 Forlitz meint sogar, beide Dorfer hätten zusammen nor 300
Morgen Land ausgemacht. Wir werden uns daher unter diesen „Dörfern"
richtiger wohl nur kleine Vasallengflter yoistellen dürfen, deren erste
Besitser Richard und der kleine Kuno Messen, und die möglicherweise
mit Wohngebäuden überhaupt nie besetzt, sondern von den anderswo
ansässigen Besitsem in Pacht ausgegeben waren.
Wo aber haben wir diese Dörfer zu suchen, was ist weiter aus
ihnen geworden?
Von Kunekendorf meldet das Karoliugische Landbuch:^ „Kuneken-
dorf iota deserta. Hemiiiigluis etTyloRichenow coluut pro uuno, ad servitiiim
domiui aliquot matisi'*; d.h. e.s war 1375 völlig wüst uud einige Hofen
aus<,nMiomiiieii, welche zum Dieiiät des Lainh sherrcn veriiflichtet blieben,
in den Be.sitz der Gebrüder Reichenow (nach denen ein Dorf ösÜich von
Prädikow heisst) bereits übergegangen. Daraus und aus den weiteren
Schicksalen der Feldmark schlicsst Fidicin mit Recht, dass Kuuekendorf
bei Reichenow gelegen habe. Er sagt:-') „K. scheint schon damals mit
Reicht'iiow verbunden gewesen zu sein, denn mit dicst'in kam es an die
Familie von IVarfus und befand sich naeli dem Teiiungsakt^» von 1485
im Besitz des Kuno von Bnrfns, der den Kuiiikenddrf mit aller Gerechtig-
keit und der Sclinferei zu Kirlient)\v imd dem Schal liol' zu seinem Anteil
erlialteii sollte, .b'dei' Ilütner zu Kiehenow war veri)llichtet, auf den
Kunikeudorf jälirlich 5 Fuder Mist zu fahren [Riedel XI, 429J. In keinem
der s[)äteren llufeiuegister wird diesn- Feldmark weiter gedacht. Die
liartus blieljen Iiis ITTjS in Besitz derselbi'U, dann wurile sie zum Ritter-
gut Reichenow verkauft. Kuch 1825 w'ird sie als Vorwerk mit 4 Ge-
bäuden autijeführt, in welchen 25 Mensclien Nvohnten, seit 1841 fehlt
sie in der topographischen Üliersielit des iü i^ierungsbezirks. — Eine
Niederung westlich vom Dorf Reichenow, zwischen diesem und
dem Neuen See, heisst noch jetzt das „Kuui kendorfer Lu( ii.''
Dass dies frühere Besitztum so weit ab von der Stadt Strausberg
lag, darf nicht befremden, nennt doch das Laudbuch auch mehrere
Strausberger Einwohner als Eigentümer von Liegenschaften in Prädikow,
Grunow, Wilkendorf, Wilmersdorf, Gersdorf, Beiersdorf und Frendenberg.
T
•) Gesch. dv'S ( >b( rbuniim S.
*) S. 76. Die Matnki l des I'.istuin.s Brüinlenburg nach Probsteistühlen geordnet
— Riedel 18 S. 418 — ueunt hinter „Ötrutzberg oppidum" die Dörfer „Kunekendorp,
Bieh«rttoip.<* Beide Dörfer mflssen flbrigeos sehon froher wflat gewesen Min, wenn
auch in der Urkunde von davon nichts steht; denn fOr die Zwlschenstit Usst
sich absolut kein Ereignis geltend machen, welches zum Untergänge derselben mit-
'jewirkt hal>en .sollte. Fidicin nimmt als UrSftChe die VerheenUDgen des SChWMISMl
Todeti all. cf. Oberbaruim, üauleitong VI.
*) Oberbsmim S. 49.
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Ehenudige Kftmimwreigflter Stroasbeiss.
117
Rirhnrdsdorf, meint nun Fidicin*) weiter, „hat wahrscheinlich
neben Kimikendorf, Reichenow, Möglin, Metzdorf und Batzlow gelegen,
die Feldmark ist jedenfalls nicht von bedeutendem Umfang' gewesen."
Diese Vermutung muss jedocli als irilümlich bezeichnet werden.
Allerdings wird Richardsdorf weder im Landbueh, noch im Schoss-
register von 1451 genannt, ebensowenig aber findet sich irgend eine
Andeutung, dass dasselbe in anderweitigen Besitz übergegangen sei.
Wir müssen daher unbedingt annehmen, dass es bei Strausberg ver-
blieben ist und durch die völlige Versciunelzung mit der übrigen Ge-
markuufi; Sti-ausbergs schon sehr früh den Charakter und die Bezeich-
nung einer selbständigen Feldmark verloren hat. Eine Erinnerung an
diesen Vorgang hat sicli jedoch in der mündlichen Überlieferung er-
halten, ja bis auf den iieutigeu Tag wird behauptet, die Bürgerkaveln
am nordwestlichen Ufer des Strau.ssee nach Gielsdorf und Wilkendorf
zu seien früher Dörfer gewesen; aber auch scliriftliche Zeugnisse lassen
sicli dafür lieibringen, die freilich Fidicin nicht gekannt haben dürfte.
Es bemerkt nämlich Magister Engel, der märkische Geschichtsschieiber
aus Strausberg,-) zu der Urkunde von {'A'>4: „dass da (seil, auf der
Feldmark von Richardsdorf und Kunekendorf) jetzund die Kageln ge-
macht werden jenseit dem Strauss." Hierauf lege ich um so mehr Ge-
wicht, als gerade während seiner Amtszeit die Kavidfrage in der Stadt
äusserst lebhaft diskutiert wurde infolge eines Rezesses, welcher dui'ch
Vermittelung kurfürstlicher Komnuesare am 9. December 1591 zwischen
Bürgerschaft und Rat errichtet worden war und unter anderen anch die
Bestimmung enthielt, es sollten sämtliche Eaveln den Büigerhftusem
erb- und eigentümlich zugelegt werden.') Auch Perlitz, der seine
„Micrologieen*' Über Strausbergische Verhältnisse im Jahre 1825 zum
Abschluss gebracht hat, giebt der überlieferten öffentlichen Meinung in
derselben Weise wie Engel Ausdruck, desgleichen Fischbach/) der die
Materialien zu seiner Stadtbeschreibung vom damaligen Ma^strat er-
halten hat Jede mündliche Überlieferung erleidet im Laufe der Jahr-
hunderte Umwandlungen, sei es, dass sich allerlei Dichtung um den
ursprünglichen Kern der geschichtlichen Wahrheit hemmkrystaUisiert,
oder dass man einen schliditen Vorgang über Gebühr aufbauscht: genug,
an der Thatsache, dass der obenbeschriebene Teil der Bürgerkaveln aus
') Ebenda S. öl.
«) Annales fol. 157. Breviarium f. G5. Engel, 15G2 in Straasberg geboren, war
Rektor der Skadtaclrale 1684 — 1667, dann rem 1692 — 1698 Ffener und Inspektor.
*) Darana wurde aber exet im Jahre 1772 wirklich etwas.
*) a. a. O. 8. 45Ü. An Perlitz' mehr oder minder gewagten Ausführungen nber
das nmtinaaaliche Ende der eheinaligfn Dörfer und andcro 1 ra^jiLii aus der alteren
Geschichte der Mark erkennt man luancbmal den sonst so niicliiernen Veratandes
menschen kaum wieder, so sehr ist er in gewissen Vomrteiteii, namentlich über Stiaiia«
beigs ehenialigen ^i^Ockseligen Ztutaad** und Grosse^ befangen. —
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118
B. Seiltet:
finer tVfiiulen Feldmark (mtstanden ist, darf m<m zwar nicht rütteln,
nur ist es völlig aiisg:osrtilr)Sscn , dass os diejenige von Knnokendorf
«gewesen sei: saj^en wir aber, diese Kavelländer sind die ehe-
malige Feldmark von Richardsdorf, so füllt Engels Na<-lincht die
Lücke in der Fidieins( lien Foi schiing aus, und letztere dient dazu, die uralte
örtliche Üherlieferuug auf da^ rechte Mass geschichtlicher Gültigkeit
zurückzuführen.
Ii. Kähusdorf.
Über die Lage der K&hnsdorfer Feldmark — denn nur von einer
solchen, nicht von einem eigentlichen Dorf kann auch dabei nur die
Rede sein — sind wir genauci- orientiert, weil sich der Name nicht allein
in einem bestimmten Revier der Pi(»tzeler Forst eihalten hat, sondern
auch für ein Einzelgehöft am Rande dieses Waldes, im Schnittpunkt
des Prötzel-Klosterdorfer und Pradikow-Strausbei^ger Weges: sonach stiess
dieselbe direkt an die Strausberger Gemarkung und grenzte an die
Felder von Wilkendorf, Prötzel, Prädikow und Klosterdorf.
Da Fidicin mehrere Urkunden unberücksichtigt lässt, behandelt er
die ältere Geschichte des Kähnsdorf nicht vollständig, auch nicht überall
»utretfeiid; um daher das Sachverhältnis zu klären und definitiv richtig
zn stellen, wollen wir das Urkundenmaterial noch einmal durchgehen.
Im Landbnch steht: »Magna Eenstorf sunt XXX mansi, qaoram
Betkinns Radow, prefectus. in Stmtzberg, cnm fratribus habet X ad
cnriam, Petze Rudenitz, civis in Stmtzberg, cum fratribus XX ad curiam";
ausserdem ist in dem alphabetischen R«'gister n u li ein parva Konstorf
au%eführt, doch enthält das eigentliche Verzeichniss der Güter keinerlei
weitere Andeutung über <lasselbe. Aus dieser ältesten Nachricht ent-
nehmen wir also, dass die Feldmark in zwei Teile zei tiel, von denen der
grössere 20, der kleinere 10 Hufen umfasste, und dass zu jedem dieser
beiden Dorfgüter ein üof gehörte, von denen 5& Jahre später nur noch
einer vorhanden war.
Die Unters( lieidung von Gross- und Klein-Kähnsdorf erhält sich in
den I rkumlen bis 14S7, verschwindet mit 1492, wo dem Strausberger
Rat der Erwerb der FeUhnark vom Kurfürsten bestätigt wird, und
erscheint nirgends mehr in den Knnnnr'reibüchem oder Akten des 16.
und 17. .Tahrhunderts. Ich bin zu der Überzeugrmg gekommen, dass es
ein Fehler des Landluiches ist, wenn es ein Klein-Kähnsdorf auftuhrt,
das als noch ausseihalb der 30 Hufen von Gross-Kälmsdorf liegend zu
denkeu wäre, und behaupte meinerseits, dass in eben der Einteilang
' ) 8. 76. Die BistninsmAtrikel yoa 1450 nennt sie „Kynstorp magna et parm".
Uiesa der altaate Beaitaar KObne?
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EbflUDsligs KlnumnigfttM StnuiBbciSB*
U9
in 20 und 10 Hufen der Unterschied von Gross- and Klein-
Kähnsdorf ausgedrückt wird.
In der Zeit von 1375 bis 1408 kam die Familie Schönebeck in den
Besitz von Gross- und Klein-Kähnsdorf, verkaufte al»er in letztgenanntem
Jahr dns kleinere Gut an den Strausberger Bürger Hans Colpyn, dem
Markgraf Jobst dasselbe bestätigte:') »Das wir — dem Ersamen hannes
Colpyn Burger zu Stniszberg vnd seynen erben — leyhen — czwey
stueken geldes In dem gute zn wenigen kensdorff bey Struszberg
gelegen mit allen Iren nuczbarkeiten vnd zugehorungen gleicherweise
als sy d ie Schoneheken bis herczu gehabt vnd besessen haben —
Von Colpyns Sohn Claus kaufte 142'.* Peter Schönebek der Vater
das Gut zurück; der Lehnbrief des Markgrafi'n Johann -) sagt: „ — das
wir vnserm lieben getrewen peter Schön ebekeu czwey stin ken ueldes
in dem gute zu wen ij^i- ü kensdorff bey Straussi>erg gelegen zu einem
rechten niaiilehu mit aUen ireu nuirzen vnd zugehorungen Als die
Claws eOlpin vnd sein fürfait-n Innen gehal)t haben von dem-
selben colpin er di«« gekaufft - ßahi darauf aber niuss Peter Schöne-
beck gestnrhon sein, denn im nächsten Jalir bestätiirt ') Markgraf Johann
seinem Solm Peter das väterliche Erbteil und den Ankauf des brüderlichen
Anteils an Gross - Kähnsdorf : ^— das w ir vnserm lieben getrewen
peter Schönebeken purger zu Straussberg, Siben Unten zu grosssen
kenst<jrff, die er von seinem bruder claws Schönebeken gekauft't.
darza dreyczehn hüben vnd den hoff zu grossen kenstorff in
aUermass als das alles sein vater seliger besessen vnd anff jn
g€ erbet bat zn einem rechten manlehn gelihen haben — Wenn nun,
wie nicht za bezweifeln, diese Urkunde den eben erfolgten Antritt des
Yatererbes beweist, so ist aafTallend, warum des ein Jahr mvor zurück-
gekauften Gutes Klein-Kähnsdorf keine Erwähnung geschieht; es mnss
denmach angenommen werden, dass dasselbe deswegen nicht zur Ver^
erbung gekommen ist, weil es zuvor schon wieder veränssert worden
war. In der That erwerben die Brflder Claus und Peter Schönebeck
1489 „czehn hüben landes zcu kenssdorff gelegen mit allen vnd iglichen
derselben hüben acker zugehomngen vnd gerechtigkeiten, alse die — Tile
kerckow^} biss her Innegehabt besessen vnd gnossen hat, zcu einem
rechten manlehn — derselbe TUe kerckow jn die obgeschreben hüben
uerkoufit — " ; 0 wenn diese Hofen zu Gross-Kähnsdorf gehörten, dann
wfirde dies die Urkunde sicherlich ausdrücken, wie die von 1430. Ich
•) d. d. Berlin, 22. November UüH. Perg. Urk. 32. cf. Riedel 1, 12. Strausberg Nr. 19.
^ Berlin d, .10. JfimiHr 1429. Perg. L'rk. 85. cf. Riedel 1, 1-2. Strausberg Nr. 37.
») Strau.Hbi r-: .1 Juli 1430. Perg. Urk. 30. cf. Riedel I. 12. Strausberg Nr. 40.
*.i Nicht ahar auch dessen Vorfahren.
*) BefUtignng dea Markgrafen Friedrich .dea Jttngeren", Beriin d. 26. Nov. 1430«
Perg. Urk. 88. Biedel I, 12. Straoaberg No. 46.
^ ij . .-Lo Ly Google
120
B. SeilCeit:
ndime sie daher für Klein-Kähnsdorf in Anspruch und bin dessen um 80
gewiaser, als in der nächstfolgendun Urkunde von 1442, ohne dasB von
einer Neuerwerbung die Rede ist, Peter Schönbeck endlich als e i n iger Be-
sitzer beider Teile genannt wird*): „Wir Fridrich — Bekennen, —
das wir vnnserm lieben getruwen peter Schönembeke Borger in
vnnser Stat Strnssborg disse hirnachgeschriben dörffsteden mitnamen die
wüste dorffstede genant «grossen kenstorff vnd die wüste
dorffstede genant lutcken kenstorff mit ackern andern Iren zu-
gehorung^en mit den pfulen-) vff den veltmarcken darselbst gelegen vnd
mit allen gnaden freiheiten vnd gerechtikeiten So er die vormals von
vnnserm lieben Hera vnnd vater seligen vnd vnnserm lieben Bruder
Marggrauen Juhannsen zu rechtem maolelme Inugehabt vnd besessen
hatt, — geliehen haben —
Aus dem bisher Gesagten ergiebt sich also, dass die Familie der
Schönebecks nach 1375 Besitzerin der ganzen Feldmark gewesen ist und
nnr zweimal vorabergehend den kleinen Teil von 10 Hufen veraussert,
aber auch wieder zurückgekauft hat
Bemerkenswert an dieser letzten Urkunde ist der Ausdruck «wflste
dorfstede"» der hier zum ersten Male erscheint Fidldn behauptet,
dass E&hnsdorf schon längst, wahrscheinlich um die Mitte des 14. Jahr^
hunderts während des grossen Sterbens wüst geworden sei Ja, warum
aber erwähnt dann das Landbnch davon nichts? Warum idcht die
Urkunden von 1406, 1429, 1430 und 1439? Wie schon angedeutet, mnss
der Hof von Klein-Kähnsdorf zwischen 1375 und 1408 verfallen sein; es
handelt sich nnr um den Hof zu Gross-Kähnsdorf, der 1430 noch steht
1442 aber auch verschwunden ist, so dass die Feldmark nun die Be-
zeichnung „wüst" erhält. Unzweifelhaft ist er 1432 durch die
Hussilen zerstört worden, welche auf ihrem verheerenden Zuge
durch die Mark auch Strausberg samt den umliegenden Dörfern aufs
schrecklichste heimsuchten •'), so dass der Markgraf Johann sich veranlasst
fand, der Stadt, „die sölichen gröblichen schaden Als von der verdampten
ketzere wegen leyder empfangen vnd genommen,** *) auf 6 Jahre die Orbede
>) Beriin d. 22. April 1442, Feig. TJrk. 4a Bied«I I, 12 Strausbeig Nr. 51 ist
nur ein Vennerk des karfflitUicfaeii Lehacopials.
*) Sa iat mir nnbegrelflichf wie Fididn [Oberbaniim 8. 86 f ] d«nniter die Familie
V. Pfuel verstehen kann, die nach seiner eigenen Angabe fS. 70] erst ntkeh 1459 in
den Besitz von Gieli^^lorf luid Wilkendorf gelangten. In dem KaniTortng yoo 1487
steht an dieser Stelle; ^mit den watern"!
•) Engel, Annal. f. 210 und Breviar. S. 93.
*) Spandau d. 10. Juni 1432. Perg. Urk. 14. Kiedel I, 12 Strausberg Nr. 42;
emenert am 6. Juli 1436 cl. Biedel a. a. 0. Nr. 46.
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EhemaUge Kftmmerelgater Stnuubeig».
121
von 40 Schock gänzlich za erlassen und ffir weitere 6 Jahr anf die
Hälfte zu ennässigen.
1468 starb Peter Schönebeck;*} beide Borfst&tten erbten seine
3 Söhne Simon Lorenz, Simon Henning nnd Matthäus: ') eine weitere
Teilnng des Grundbesitzes mnss 1473 erfolgt sein, denn neben dem
erneuten Lehnbrief ^) für die genannten drei Brüder findet sich bei Riedel
ein Vermerk des Lehnscopials, ) wonach ausser ihnen noch drei Vettern
die Belehnung mit beiden Dorfstätten „zu gesampt vnd trcwor hntiflt
empfangen," Peter, Meus und Lorentz. Man scheint bei dieser Auseinander-
setzung 8 Teile gemacht zu haben.
Im Jahre 1486 und 1487 ent&usserten sich die Schönebeks ihres
mehr als hundertjährigen Familienbesitzes: der Bat von Strausberg and
der in Prädikow begüterte Claus; Barfus erwarben die Ländereien, jener
6^/s Achtel, dieser 1'/« Achtel der gesamten Feldmark.
»Alssdenn vnser liebe getrewen Borgermeister vnd Batman vnser
Stad StmCBbeig das virdendeil der wüsten veltmarck czu kenss-
torff, Als kerstian vnnd Bartolomens Schonenbeke, vss der-
selben voser Stad Struczberg geboren, von vnser herschafft czu
leben gehabt, vmb bessemng willen vnd czu nncz der Stadt recht vnd
redlichen erbliclien gekauft — ; haben wir — iren nachkommen vnser
Stadt Str. solch vir ten teil der wüsten feltmark czu kenstorff vorberurt
') Nach Riedel a. a. 0. Nr. 60 verlieh der Kurfürst Friedrich am 4. Februar 1442
Miidi udein gotshuas vmiMr lieben fnmwen pfu^rchen in vnnwr stad cm stnubecg
gttl«8|B vmb anldi notdorft vnd annndt, dar Innen es vanniltelBt von verderbnnge der
▼ertampten kezerer wegin ist komen", zwei Hnfen I>flnd iiu benachbarten Wesenthal.
') Auch Claus, sein Bruder, starb in diesem Jahr, wif aus folgendem Erbstreit
zwischen der Witwe und ihrem Sohn hervorgeht: „Diderick, vau gots gnaden Bischop
tho Brandebofsh. Ynaen gtinatighen grudt touor, Brsamen Mewen beanndeni. Bie vna
▼nd andern vnaee gnedig^en herm Maiggrauen reden iaa geweat Clawea aehonebekin
nagelathen wedewe vnd hedt vns vndirricht, wo dath Clawea aehonebeke eynen son
gelaten hedt, gnaiith Simon sc!ioni'l)cke, dar sie si' h denne mede gnmthch vor loffl
werdighen luden wol entscheiden liedt, also datli sie alle schuldt vnd wederschuldt to
sich nemen schal vnd so sollin or alle erfguder gefallin. Ok so iss etUch koru gessegedt
TP dea aelwiiiben Glawea aehonebekin nagelaten lande^ wdeh landt lebn iaa, y«n desa
we^dn denUth lieh eyn aon Simon dea selwighen roggin tho Tndirthvn. Vnaere
raeynunge is?« awer, dat sodan ropghc nicht lehn sunder erwe iss, nadem
die egede dnina geganpeu iss, alss die rechte clerlich vthwisen. Worumme
beghern wy van Iw, dath gie Juwen borgher Simon Schönebeck also vndirrichten, dath
he der aehrigen firawen aodane kom fredeaam lathe volgbin. -> — Datum Berlin, vp
vnsem hove, am aondai^e na PanChaleonia [3L JaU] anno 1468. Den Eraamen Boigher-
meistem vnd Rathmannen to Stmtibeigb, vnami Uewen beanndem." cf. Iföedel I, 24.
8. 448 Nr. 159.
») Lehnbrief vom 5. März I4G8. Perg. Urk. 41. Riedel I, 12 Strausberg Nr. 67.
*) Perg. Urk. 42 vom 14. Oktober 1478. Riedel a. a. O. Nr. öa.
*) Riedel I, 12 Stranabefg Kr. 68.
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122
vpreij^ct — ') so heisst es in der Bestätigan^ dos Mark^^rafen Johann
vom 5. März 1480 : dass aber uiitor dorn „viertenteil" — es niiiss ein
Schreibfell 1er sein — nicht ein Viertel, sondern »vier Teile" zu verstelieu
sind, geht aus der Urkunde von 1492 hervor.
Nach (l'-m Vertrat:«' vom 27. März 14S7 verkaufen dann die Gebrüder
TiOrenz Simon imd lleuiiiii;^ 7, den Er.sanien H«»ri;enüeistern vnd Ratniannen
werck vjiud fjremeynen die n\v siiit vnd ewiglich werdenn mögen der
Stat Strutzeberg die wiisteii veltniai ckenn met nhamen den groteii
k e n s t o r p V n d den k 1 e i n e n k e n s t u r p m et a 1 1 e n n o r e n t o b e h o r i n g c n
awerstenn vnd ne d erste nn ge richte nn met holtingen eckeruGre-
singen waternn vnnd weidenn dar tho eine frie Scheperie vnd
sust met allen andern nuttinp:en vnd gerechticheidenn, nichti^nicht vth-
genamenn. So alse dat van viinsen oldern vnd vedderu an vus ge-
kamen Js vnd in gebrukender were bisher gehatt hebbenu. Die ob-
gemelten wüste veltmarckenu holden in sich achtdeil darvan
hat Glaws Barffte anderhalff deill die he van vnnsen vedder Mews
Schonembeke gekofft vnd ingeverenhat So blinet der StatStrntze-
barg Sonendehalff deill. — Yor Sodane obgemelte yeltmarcken wn
vor bemrt hebben vns die Ergenante — wol todaneke gegenen vnd toge-
uuge betalet dryvndesestieh schock groschenn landsweringe —
Merkwürdigerweise hat aber die Anflassnng der Feldmark vor dem
Kurfürsten erst fBnf Jahre später stattgefonden ; die Urkunde vom
29. November 1492^) rekapituliert noch einmal den Hergang des Ver-
kaufs: nWir Johanns — Bekennen <~ Als vnsr lieb getrewen Bniger-
maistr vnd rathmann vnser statt Strausberg Jn vergangen Jarn vir taili
an der wüsten veitmarken zu kenstorff von kerstian vnd
Bartolomeus schonembecken — gekaofft — Haben die obgenanten
— von Lorentzen Simon vnd Hennig bmdem den schonpecken
drithalben taill an der obbeschriben veltmarck kenstorff zu-
sampt eyner schefereyen — gekaaft — die vollständige Bezahlung
erfolgte sogar erst am 1"?. Feltruar 1498, wie ein l)ei Fischbach ^) auf-
bewahrtes Ratsprotokoll bemerkt: „Anno 140<S Dormerdach ua Valentin!
geschin is, dat dye Krssame Stadt dem Schönebeckenn wol tho dancke
vnd wol tho willeuu den Keustorp betalt vnd vornuget het, vnd
die ßetaiinge geschin iss inn Zcimon Schönebeckenn Uuss, vnd £r
Bartolomäus Sch. enthphangheu lietii dy Betalinge.**
') Riedel l l'J Htmu^iterK' No. (is- die Verkäufer wohnten also nicht in der SUdU
*i Perg. Urk. 44. Riedel a. a. 0. No. 7U.
F«rg. Urk. 4« Riedel «. a. O. No. 72.
«) Bistoriech poUÜBche Beitrflge 1783, U 8. 387.
Ehemalige KAmmereigater Strauabergs.
128
Ixk welcher Weise nun hat der Rat die Feldmark Kähnsdorf
(Jcöostorph, kinstorp, keyenstorff, kehenstorpf) bewirtschaftet nnd genutzt?
Als Hauptgiund für den Erwerb derselben ist meines Erachtens
anzusehen, dass der Boden ausgedehnte Lehmlager enthielt, die bei der
Ziogelfabrikation des Rates eine wichtige Rolle spielten. Welch
schwunghaftes Geschäft mit den Fabrikaten des rathäuslichen Ziegelofens
in einem Umkreise von vielen Meilen betrieben wurde, habe ich an andrer
Stelle^) auseinandergesetzt: es ist bezeichnend, dass mit dem Verlust des
Kähnsdorf auch der Ziegelofen seinem Verfall entgegenging, denn auf
den eigentlichen Strausberger Hufen fanden sich nur vereinzelte Nester
nnd danach wollten die Bürger ihre Äcker nicht dorchwühlen lassen.
Die sonstige Verwaltung und Bewirtschaftung der Acker-
iind Waldfläclieu wird aus den Aofzeichnungeu der Kämmereibücher
und Rechnuugsakten von 1530 bis 1625 ziemlich klar: die Felder, von
denen einige besondere BenoinuDgen erhieHen, — so „das lange feld an
prettzel, die beiden felder an wilckendorpp nha der ketelpfanne vnd
flachsberge, die beiden mittelfelder an den hohenberg** wurden an
Bauern von Wilkendorf und Prädikow in Pacht (Kornpacht) ge-
geben, die näher gelegenen Ländereien auch wohl an Bürger aus der
Stadt. Die Parzellen richtig zu teilen (tomethen), sie anszubieten und
den einzelnen Pächtern anzuweisen und sonst nach dem Rechten zu
sehen, war Sache der beiden »Lehnherren** ans dem Ratskoll«ginm,
die fnr ihre Muhwaltung jährlich je zwei Scheffel Deputatroggen bekamen.
Der Waldbestand war in Reisigkaveln eingeteilt und gegen Biirzahlahg
auf je ein Jahr gleichfalls an Bauern in Nutzung ausgegeben. Die Ein-
nahmen schwankten natürlich, oft blieben die Pächter im Rückstand,
man erliess auch wohl, wie z. B. 1556, «den halben pacht, weil sie hagel
vnd vngewitters 2) halben grossen schaden genommen"; im Durchschnitt
erzielte der Rat jäbrlicli an Kampacht Ii Wispel Roggen und 1 Wissel
Hafer, wovon vorweg dem Pfarrer an St. Marien 18 Schettel Roggen und
14 Scheffel Hafer als sog. Messkorn oder „Kornlohn'* gereicht werden
mussten, und an Lösegeld für die „Rysskaveln" 2 bis 3 Schock Groschen.
Von den Gewässern (Pfuhlen) der Feldmark war in jenen Zeiten
„der Schützensee'' noch tischbar, darum wurde er an einen Liebhaber
gleichfalls verpachtet, brachte aber nur wenig ein.
Im Jahre ir)59 erscheint plötzlich in den Rechnungen ein „Meier
auf dem Kensdorf", ferner geht ans einem Kammergerichtsabschied
hervor, dass der Rat 1580 auch eine Schäferei einrichtete: von den ge-
') Yg^. dea Vei^aers: »Des Rates ZiegeiMm und die aog. Kalkgereehtigkeit der
8Udt Stnuubag« 180O.
*) YgL ditm Eogdft Ann. f - 864 und 865.
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124
B. Seiflert:
nannten Zeitpunkten an bleiben denn aaob diese Einnahme- bezw. Ausgabe-
titel bestehen. *)
Demniich Hess der Rat fortan einen gewissen Teil der Tiändereien
durch den Meier zum Nutzen des Rathauses howirtscliafton. der Ertrag
wurde teils bei den Stadt]>t(Mden, die zum Dienst des Kurfürsten tre-
halten werden mussten, verfuttert, teils ziii' Tiöhnung der Stadtdieuer
verwendet, was übri^ blieb, an die Biirj^er auf Wunsch verkauft.''') —
Der Besitz der Feldniark ist aber auch eine Quelle vielfacher
Verdriesslichkeiten und Streitigkeiten für den Rat f^^eworden, die
hauptsächlich durch unberechtigte Ansprüche der adligen Guts-
*) Es liegt ein „Vertragks Zettel'' von 1687 besagUch des Schäfers TOr, der-
selbe lautet;
„1587 Am Tage Michaelis liat E E. Rath zu Straussbergk Valentin Buaaewitzen
vff den KenstorfT drey .Ihar lanpk vfs dritte zu sitzen ft\r einen scheffer angenommen
Vnd gibt Ihme ein Ruili Jehriieh zu lohne wegen der huetunge, Andertbalben Winapel
Bocken, Daxgegen batt Vahitiii BusBewils uigelobt, dem Bathe 160 heabt Webnehaffe
sa sntreiben, deren aoU ibme ein Rath ihren Antheill aUs hundert heubt, Jeder henpt
für 19 sgr. thnt 79 thl 4 sgr bezahlen. Vonn der Wulle vnd dem Mulcken, so vonn
den 150 schaffen gefallen wirdt, Weil! von der WuUc dem Rathe -J tlieill zukommen,
Dz Mulcken aber vonn den 150 schaffen dem Käthe gar allcine, Vudt was ein Rath
dem Bcheffer aleo Jehriieh beialeo wirdt, soll Hüne vfl die Heabtramme der 79 Twin
4 Bgr gektirtst werden. Weilt er aber aneb biemeben den acker vlelaig beatellan aoU,
batt Ihme ein Rath das erste Ihar die saath gerste vnd saath liafer vorzustreckni zu-
gesagt. Vnd wen er Jngeaugstet halt, So soll er dem Rathe das vorgestrackte Saath-
koru wieder geben. Wen er auch dz andre Jhur die Wiutersaath segen wirdt, will
Jhme ein Batfa den Bocken darni ancb vontrecken, Vndt wen er den "Botskea Jn-
aogsten wirdt, so sdl er dem Bathe den vorgestrackten Bocken auch wieder geben.
Dess sn mebrenn glauben habenn sie solchs in swey anssgeschnittoien Becesaen vor*
fassen lassen. Actum zu Straussbergk Jlim Jhare vnd tage wie oben gemeldett."
Was der Meier erhalten soll, meldet ein Kilmmereibuch von 1620: „hat 4 fl zu
lolum. 7V, Murgen land vter das rachtland zu winterkorne vnd 4 Morgen zu Haller-
bmd» V, sehlL erbsen sn sehen vor s^er eigen sat, 1 Virt Bflckgrflise im sehen vor
seiner Sat» % sebf. lein, '/.^ sohf hanffkorner, 1 fl 7 gr zu fische, 6 fl 11 gr vor ein
AUsolioss (?), 1 wsp. 13 schf. Ro'^'acn in-otkonie, 1 sclif. gerston ttt gcdrenkc, 1 thl
12 gr zum schwein. 4 thl gersteii zur mastung, 5 virt Salz."
*) In einem Rezeas vom 9. Dezember 1691 klagt die Bürgerschaft, „dass ihnen
dem Alten gebraneb nach, Vndt sondeilich Zu der Zeit, wen das Kom beynottigk ist
der Bath kein kom Vom Jeriichen Zuwachs Ans der May erey Zumessen liatt lassen
Ein Rath Aber hiorkcgen die beschwerunge wegen der 4 Pferde so sie Churf. G. vndt
sonRtt'ii Ausfüttern, Imgleichon Auoh, dz sie ihre diener Vntterhaltten müssen, Vor-
gewendet. Vndt hierbey auch berichtet, ob gleich Vor der Zeit das wenige so eie der
gemeine Zuoorkeuffen Vndt Auszumesseu gehabt, vf der Cancsell offendtlich igt Aus*
gebotten worden, batt sich doch niemandt, der sdchea Znkanfl begehrett hette, An-
gegeben, Als ist dieser Punkt dahin Verglichen, was ein Rath vber ihre Nottniflt
Vbermass ZuuerkaufTeii IiaV^eu wirdt, dz «ic Vermöge des eingeführten Alten billichen
gebrauchs, Von solchem cint n Jeden Scheffell einen sielber groschen wollfciler Als
der gemeine Kaufi vfm Marcke ist, der Burgerschafft, doch vuib bahre bezahlungc
sukonunen Vndt wen ein Bath kom also vedassen wtt, das er sddies sdtlicb der
gemeine Buigerschaft Von der Oaacsell Anmelden Uuisen soll.*'
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Ehemalige Kämuiereigüter Strausbergs.
125
iiacliliarii Nfianlasst wurden. So mnsste im Jährte 1528 (27. Dezember)
ein Rezess zwisclien Claus Barfus von Prädikow und dem Hat
geschlossen werden, welcher die beiderseitigen Grenzen und Gerechtsame
betreffs der Hütuug und Jagd festsetzte;') derselbe lautet: „Alss sich
errunge geholden twischen den Erbarn fnnd vestenn Glansann Barfft
Erff^athen to Predikow an einem vnnd denn Ersainenn vnnd Wysenn
Borgenneisternn vnnd Ratmannenn Werde vnnd gerne} nde der Stat Stmze-
berg am andemn Deüe der wfistenn felttmarckenn halwen Eenstorp ge-
nanth, ist mit beyder Parte fulbort wetben vnnd WÜlenn sulch ermnge
in der frenndtschap beygelegt entlich vnnd grondtlich entscheidenn, whie
hima folgeth, alsso det gnante Clanss Barfit vnnd syne Erwen hebben
vnnd bebalden willen vnnd sollen denn Acker vf dem Eenstorp, bewassen
vnnd vnbewassen vann der groten eyke by denn flassberg by dem wege
so von PrGtzell na Wilckendorff geit vnnd sodanne die grentze entlangst
bet an det Wilckendorpsche feldt, whar die malhope ein vp den andern
wisen vnnd wedder van der vorgnanten eykenn an inn vnd nesten den
Wilckendorpschen wegk entlangest alss die Male nacbwysenn [bet an dat]
pretzelische feldt. Dagegen sollen obgenannten von Strnsebefg vnd ehre
nakomlinge hebben vnd beholden alles was tho der feltmarcke Kenstorff
geborett, bet an dat Predikowsche Eyckholtt vnd von dar wha denne
die male anteigen bett wedder an dat Protzelsclie Eyckholtt mit allen
gnaden vnd gerechtigheitten also -ic det gekofft vnd an sicli gebracht
hebben ladt der Kopbriefe [darvberj vtgangen, Es soll audi Glauss Barfft
syne Erwen vnnd arme leude^) sowol vp der vsin Stnizoborg feldt des
Kenstorps als syn feldt to hüden mechtig sein jedoch iegiichen die dar
ackern ohne schadenn. Wehre ock ein Raht to Struzebergk oder sunst
jemandt mit des Radts vndt der stat Fulbortt vnnd willen vp den
Kenstoi'j» eine sche])oryo vptoslan willens, soll Ihm die hudun^e vp
beider deile ft^ldt K(Mis;|(irjis o( k vii^eliiiulert gestadhct werden, desglicken
soll ock ieglichc Parti vp der leltmarck Kenstorp nach allerley wiltbrath
[to jagenn mechtig sein. By vnd vbei] solcken vordracht sint gewest,
die Erbarn vnnd vestenn OttM I erniow to Klobbicke hans ßarftt tho
Bazelow vnnd Segenuuid Borgi-stMi-p tho Pod<dtzke gesethcn, alle vnd
iegüche j)uncte disses Recess reden vnd gelowen \Vy vilgnantc^ Chius
Barfft vor my vnd myne Erwen vnd wy Borgenneister vnd Ratmanne
Werck vnd gemeynde vor vnss vnd vnse nakomende Borgeniieistere vnd
Ratmauue der stadt Struzebergk stetz faste und vuiiorbrakeu tho holdende
To warer Orkuude hebben wy obgenaiulte vnsere Ingesigels vor viiss vnser
Erwen and nakomlinge vnden au disseu liecess mit [guder witschapj
*) Nach ebier AbscbiUI im Axeblv, di« teilirdse beschldigt isl; das EhtgeUammerte
enthält meine Konjektaren an iüokenhafteii oder imleMriicfaeii Stdlen. Die ürinmde
igt b«i Kiedel nicht aufgenommen. —
*) Die SU Hofdienaten verpflichteten Kossäten und Tagelöhner.
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126
B. Sfliffert:
hangen Istben der gegewen ist am Sondage awendt Thome Christi ge-
bort im dnsent funffhondert vnd acht vnd zwentragsten jahr.**^) Auf
wessen Seite der grossere Vorteil ans dem Vertrage erwuchs, ist woÜ klar,
nm so dunkler bleibt, was den Rat zn so weltgehenden Eonzessionen yer-
anlasst haben mag, namentlich bezdglich des Jagdrechts, worin er sonst
so empfindlich war, und woran aogenscheiDlich den Barfhs am meisten
gelegen gewesen ist.
G^einscbaftlii he Grenzbesichtigangen und £rneuermigen der Ureuz-
zeichcn (Nfalhope, Malenstedc) haben von Zeit, zn Zeit ßtattgefnnden, z. B.
mit (it'ü Barfus 1539, 1544, „mit den pulen wurde die Grentze vnib
wilkeudorpk aafgemahlen*^, d. h. neue Grenzhaufen f2:<'!nacht, im Jahre 1542.
Das fi oundnachbarliche Verhältnis mit den Bai-fus erlitt lötiT einen
Stoss. Balthasar Barfus hatte eigenmächtig einen Schaf-
stall auf seinem Kensdorfer Anteil erbaut, indem er in willkür-
licher Ansh'L;iiTin: des Rezesses von 1528 annahm, dass ihm dieselben
Rechte zustünden wie dem Rat von Strausbei-g. T.etztenT liatte merk-
würdiger Weise dazu still ucsch wiegen ; und so fing denn Balthasar
Barfus ini näclisten .lahre aucli eine Scheune zu bauen an.
Nuunielir aber eiiiob <ler Rat Einspruch, worüber sich seinerseits
V. Barfus beim Kurfürsten l»eklagte:
„ — — E. (^hurf. g. kau ich nicht vorhalten, wie von Meinem
hausse predickow, ein irross vierthel weges eine feltmarcke, keussdoiif
genandt gelegen, an derselben feldtnuircke, ein Radi zu Straussbergk zwei
theil, Icli vnd mein brueder Casper von Barfus, den dritten tiieill,-) an
acker, weide gressunge, huttunge, holtzunge, oberste vnd ui<lerste gericlite,
vber vorwertte Zeit des Rechten vnnd mensclien gedencken, ane der von
Straussbergk vnd sonsten Mennigliclies vorliindei uiige i;ehal>t vnd noch
habe, woill ich al>er vf beruitter feldtmarck Stadtlichen acker, den mir
Meine arme leutte bis hero beackert, vnd mir, das Korn von gedachter
feldtmarcke, vber ein gross viertt«! weges nach Predickaw in meine scheune
fiirren müssen, welches den armen leutten zw weit abgelegen, Nbun
woltte ich ihnen derselben beschwerunge vnnd dienste, souiel mir Muglichen,
leichtem vnd benhemen, derohalben ich eine seheune, vf genanttw feldt-
marcke, vnnd auf Meinen grundt vnd bodan, habe lassen aufbauen, vnd
dieselbe aulzurichten vnd ferttigen zu lassen im vorhaben, Dorein kUk
Ifein korn furren vnd vorwaren kontte. Domit ich, auch die arme
leutte sich so weitt mit dem körne nicht schlepffen noch furren dorffeo,
*) Darnntor die notwieUe B^(laabigmig: „Bus diese kegenwertifse OopU mit dem
rechten vnd wahrhaffÜgen originnl von Worte zu Worte gleieb lautende vbereinfltiinmet
bezeuge ich [Carl Ritter au»B l'iili.'itliclu r maclit vnnd prt^wnlt ofTenbalirer Notarius mit
die»« r meiner Iluud |" Die KJamuier luit a1)er Juli. Audread HimdertiuArk, Batshenr
1672 — 94, auügestrichea und dafür seineu Namen untergesetzt. —
*) Kiehk als V« vaA Vi m vtnteben, eondeni Im Sbine dei KmfvertngM von 14S7.
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Ehemalige KAmmereigQter Strausbergs. j[27
80 vormeindt mir ein Radt zn Stramsbei^k dasselbe zu hindern vnd za
wehrenn, wan aber zn Rechte vorsehen, das ein jeder auf sein
grnndt vnd bodem bawen möge, vnd aber gedachtem Rathe, die
schenne an dem Ihren zu keine vorhindemnge gereicht, alss bitte
E. Chnrf. g. ich vndertheniglich, die wollen, erwenttem Rathe Jn ernst
vnd bei peen hundert thaller £. Ob. g. vnnachlesslichen abzulegen,
benellen, das sie mir — kein eintragk thnn, Sondern die Schenne vn-
uorhindert aofrichten, fertigen vnd bauen lassen —
Unterm 18. Juni 1567*) erging daher an den Rat der Befehl,
Wollett snpplicanten Die Schenne auf dem seinen vngehindert —
bawen lassen, Do Ihr aber bestendige vnd erhebliche einrede Jme
solchs zuhindern bettet, So wollett vns solchs förderlichst anhero
schrieftliclion berichtenn —
Auf den Bericht d«»s Rates, welclKin sich Caspar Platen aaf
Prötzel als Nebenkläger anschloss, führte Balthasar Barfus Fol-
gendes ans:
„Durchleuchtigster — — Ich habe den betVlili( Ii so der Radt von
Stranssbei^k vber mich hatt aus.s g(>bracht, vudertbenigk entfan^enn,
Vnd in ihrer klageschrifft so viel befundonn. Das sie mich zur Vnpillig-
keit kegenii ECfg beschuldigen n vnd l»crichtenn, Das ich itziger zeitf «»in
schepferey auff dem KenstorfV bawe, Damit sie niihr zuuiel tlmu, Ich
habe den schat'fstall vor zweien iarenn auft^ericlitet, Do niilir
der liadt von Stiiins.s!>ergk nicht das geringste wortt hatt
sagenn lassenn, Du hast es niciit tun ii. s. w. Do ich aber
itzie;er zeitt meiner hohen nutt nach eine suheune Dar l>ei
bawen lassen, Das ich mein Korn so weitt biss kegenn prediko niclit
fuhrenu darft', .fcli halje es sonst eine grosse lialbe meil fuhren inussenn,
Welches mihr sonst sehr weitt zu fhhrenn sei, Dertweg^enn wil der
Radt von StransslxTi^k ein vn nötigen Vulust mitt milir au-
fangenu vnd mihr das bawen auff mein grundt vnd iKMlem
weh renn, Das mihr dan genedigster herr nicht ein gerinuenn Beschwer
gil>ett. Weiter liericht der Kadt von Str. in ihrer Kiai;« srln ifVt, Das mein
brüter vnd ich so gar ein ticiängenn anteil an der \ fldtniaicke habiim.
Das sicli zur besichtuiif^ w<»l wirtt seilen lassenn, was wir an dem Velde
habenn, ess ist so geringe nicht wie es ein Radt machet, Ess kan mein
brüter vnd ich zur Winter saet ein VI Wispel roggeuu Darauff seen,
vnd zur Sommer saet ein 9 Wispel baferuo, Da dennoch grnndt vnd
bodem zu gehöret. Auch weiter beriditeii sie alss der Radt, ess sei ihre
woleiicanfites Lehngut, welches ich ihnenn nach gebe, vnser vorelternn
haben ihren anteil auch nicht vmbsonst, sie habens vmb ihr
gelth auch erkanffenn mnssenn, Vnd ist vnser lehngut sowol
0 CMfln a. d. SpfM, tpdtags nach MedudL
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128
B, Ssiffort:
als 8 der von S transsbergk. Wir haben die lehn von forstenn zu fiir^tenn
Darftber entfangen, Welches mitt vnsem Lehnbrieffen za beweisen sei. Anch
haben wir, gn. Ghf. vnd herr, in vnserm vertrage diese artickel, wie sie
hiernach geschrieben seint, Ynd stehet: Ess soll anch Clauss
Barfften Vnd seine armen lente anff der von Str. anteill des
kenstorffs so woll alss anf sein teill zn hotten mechtigk sein.
Weiter stehet, Wo auch ein Radt von S transsbergk oder sonst
iemandt ein schepfereig aufschlan wnrde, Welchen iemandt
ich nicht anders zu rechen kan alss mein bratern vnd mihr.
Der teill an der veldtmarcke liatt, Stehet anch, ess soll ihm auf
beider veldt das hättenn vnuorhindert gestatt werdciu), ess sol aber der
Radi vinl) den volboi th begrusset werdeu, Dess geleichenn sol anch ein
itzlich luirt nuoh allerley wildtbratt auff der veldtmarck zu iagenn
mechtigk sein. Vnd verhofi'e dass diese artickei dem Radt nicht so viel
zu stettigk sein wie sie sich es wol anmassenn. Idi kan nichts hv-
findenn, das ihm zutiegigk sei, alss da.s man sie vmb den voiborth Ix -
grossenn soltt, gebijret ihnen, Dan dauon Das man ihm zu than schul-
digk sei, solchs kan sicli in der haiideluug beliandeln la.ssenn, Wie icli
nicht hüflo dass ich ihm derwegeu etwas zu tliun [schiddigk] sei. Vnd
pittc ECtg wollenn in diesem mein gnediy:stei* herr sein, vnd dem Radt
von Str. im befehlich auöerlegen Das sie mich mit nu'in liawuii zu fridenn
lassenn, Den ich bawe auf das mein veidtcheu fast in die hundert iar
sein, das es vuser vtneitcrnn erkaufft haben. Diss habe ich ECfg zum
Kegenbericht — nicht konueuu verhaltenu. — Baltzer Barffss."
Der Ui*teilsäpruch des Kammergerichts fiel, wie zu erwarten, zu
Barfus' Unsfunsteu aus:
.Jn Supplicatiou sut lu'n zwischen Balthasar Barfussen zu Predickow
Supplicauten au einem, vnnd Caspar Phithen auch dem Käthe zu Strauss-
bergk supi>Ueanten andersteils — Erkennen wir Joachim v. G. gn. —
Wann die supplication <h'r formalien halban gleich V>e>tendig, das
doch der Materialien halben von dem Sui»|>licanten s'o viel
nicht vorfüret, das er des auffbaweiis der scheuiien vnd
Meyerhoffs auf dem Kenssdorff befugt, Derohalben er auch die-
selben Inhalt vnserer Rethe abschiede wider abzuthun schul digk,
von Hechts wegen vrkundlich — Actum Culn a. il. Sp. Mitwochs am tage
Egidii (1. September) anno d. ♦IS''; nach eiueni zweiten kurfürstlichen
Befehl vom 1''. September (Cüln a. d. S]». mitwochs nach Crucis ao. 68)
soll or „die gebeude ui'i den Kenstorff oltbeniiten vrteil zn volge,
inner viertzehn tagen nach dato, niderreissen vnd wegk-
bringen Mit Vorwarnung, Do ess in der frist nicht geschehe, Soll vflf
ferrer ansuchen verorduuuge geschehen, dass dieselben gebeude, durch
vnsem Landreiter vnd andere so ime zugeordnet, nidergerissen werden
Darnach du dich zurichten — *
Ehemalige Kämmereigüter Strausbergs.
129
Nunmehr bat der Verurteilte wenigstens um einen AufsclmU: „Durch
laut htigster — ECt;; gebe ich bericlittendt zuerkennen das ich den mitt-
wüch nach mattege (22. September) ECfg beffelicli Hani))t des rates von
straasperch, kasper Barffis Ynd kasper platt eingelechte suplication
vntertenigklich Endttpfangen do mich dan ECfg aufferlegen dass ich mein
gebeuge S80 ich yff dem Kenstorff vf mein Feldt vnd bodem gesesett
habe vff ein eil als in pfirzen tagen sol apbrechgen welges mir gnedigster
her beschedellich vor pfeltt ist der orsachen halben das ich mitt meiner
winttor satt gar fil znthnn habe das ich es vor den wintter gar schwerlich
▼on ein ander nemen kan er ich besehen kan so ffeltt die kelde ein das
man sich mitt solger arbeitt nichtt behelffen kan ist mein vntterteniges
bitten ewer Ofg wollen mir Ein beffelich an die von straus-
perch mitteilen, das si sich an die gebau nichtt ffergreiffen
so mirs rmmer megelich sei, so wil ich es wider vor den
winter lassen von ein ander nemen sso es von keltte wegen nicht
gesehen kan, so wU ich es vff zukommende ffasten ganz vnd gar hin
wech nemen vnd an ander ortter bringen dan es stett nimandt al da
zoschadeu als mir, den es stett vff meim äkker ECfg wollen sich genedigk-
lieh erzeigen Balzer Barffs.*
Der Enrffirst wUlfahrte seiner Bitte und befahl dem Rat (Cöln a. d. Sp.
am Abendt BOchaelis — 29. September — Anno 68): — „WoUett mitt
klegem solange so es immer muglich zwfriedenn sein, doch euch an
enem gerechtigkeiten vnschedlich, alsdan n w i r d t er sic h d e r m a s s e n
kegen ench vorhallten, das Jr each darüber hinfurder nicht
weitt zwbeschweren, —.***)
Einige Jahre später liören wir von einem Prozess zwIscIumi dem
Rat und Caspar, Reicbardt, Claus und Valentin, Gebrüdern und Vettern
Barfässe zu Predickow einerseits und Abraham, Hans, Isaak und Jakob,
Gebrüdern von Platen zu Prötzel andrerseits. .Letztere massten sich
nämlich, weil sie zwei Lehnhufen vom Kähnsdorf innehatten,*) zu weit
gehende Gerechtigkeiten auf der ü})i'i<i:en Feldmark an, indem sie ihr
Vieh dort hüten Hessen, auch mit dem Netz tischten. Als ihnen nun
einst die Barfuss ilue Garnnetze al>pf;indeten, beschwerten sie sich beim
Knnunt'rgericht darüber und führten, yanz olme Hechtsgrund, auch zu-
gleich darüber Klage, „dass der Rath vor drey .Jahren eine Scliäfferey
ZU mercklichem Nachtheil ihrer Hütuug aui}jg;erichtet'' hätte. Der Ab-
') Kin „k. f. g. Commisaftrias Achatius von Brandtiuburgk und Magister Juh. Eis-
leben Bechteamrilfc'' frird «in aaohen iwiwdien ym vnd den Barfuuai d«r adulfevey
halben" im Eämmeräbneh 1607 nnd 68 erwähnt Letiterer erhielt fflr „seine Te^
mittlnng wegen des Kenstorfs" 4 Tbl., und apftter ein Fass Bier seinen hocbtelt-
Keben ehren." ~ *) Wie sie dastt gekomiMn, tot nicht nnohweisbar.
A. 9
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130
schied des Kammergenchts (Cöln a. d. Sp. freitages nach Catharinae
(28 Noveiniter) Anuo d. 583) ging dahin:
„ — Weill genielter Raht vndt die von Barfusse so viel durch Rricff
vndt Siegel bescheiniget, dass das eigeutliumb der feldttnarck Kienstorff
ihnen zuständig vndt dass der Rath befuget eine Schäfferej anff-
zurichten vndt zubauen, so sollen sie dabey gelassen werden, vndt
soll ihnen von denen von Platen kein Eintrag geschehen Weil aber
denen von Platen Ihr angezogene Hütang, Holzung vndt fischerey, weiter
nickt den auff ihre zwo hueft'en, welche sie auff Kienstorflf von Chnrf
gnaden zu leben tragen, gestanden, vndt die von Platen derselben
vber die gantze feldtniarck befuegt zu sein venneinen, sollen
sie inner Camniergerichts frist zu bescheinigung solcher vorgowandteii
possession zum beweis (»rderiilieh verfahren, dem g:egentheil ilire notturf't
dawieder vorltehalten, worauff den ferner wass billig verabseheidet werden
soll. Mitler weile aber sollen sie von allen theileu in dem gebrauch wie
sie den liergebracht, gelassen werden, vndt die Netze sollen den Platen
von den Barfüssen, doch ihren rechten allenthalben ohne schaden, wieder
herausgegeben werden, vndt sollen sich die parte, bis zu der saclien aus-
wege bey meydung dreyhundert thlr. Fiskalischer Straße gegeneinander
friedlich verhalten. Uhrkundlieh — — "
Allein damit war die streitige Sache noch nicht beigelegt; auf eine
Su[)plication des Rates und der „ iJarfusser'* hin verwies der Kurfürst
Johauu Georg -i den Platen iln* Verhalten, das dem Kammeral)Schiede
vom JH. November 1583 durchaus nicht entspreche, und diese meldeten
wiederum von allerhand Tiiiitlichkeiten der Barfusser zurück: „ — dass
wir, wie die Harfüsser und der Rat in ihrer Supplication mit der Vor-
klage kommen und uui^csiheut berichten dürfen, mit Gewalt und de
facto auf der Saat sollten halten hüten lassen und selbvierte
zu Ross und selbfünfte zu Fusse mit gewehrter Hand auf sie
gewartet und gehalten haben, daran geschieht uns von Snpplicanten
Gewalt nnd Unrecht; sie werden es auch, wie Recht, nimmermehr Aber
ans ansföhren und darthnn. Damit aber E.Cfg. davon gegründeten
Gegenbericht haben, so mfissen wir nntertliftnigst vermelden, dass Claus
Barfuss verschienener Zeit nnd nach dem Abschiede ganz
freventlich zugefahren und unsern Hund, den der Schäfer im
Felde bei sich gehabt, erschossen. Dabei er es noch nicht bleiben,
sondern des folgenden Tages sich dergleichen gelüsten lassen und aber-
mals nach dem andern Hund geschossen, aber dessen gefehlet
Dahero dann den Schäfer verursaoliet, ihn anzusprechen, warum er ihm
die Hunde totschösse. Sind auch darauf miteinander in Zank geraten
und dieses Vormittag. Nach Mittag aber neben seinem Bruder
') Nach einer CJopic im Archiv vom 2b. November l()ü4.
^) Cölu a. d. Sp. ^litwocha nach Septuageaimae {iii. Jauuar; Ao. läB4.
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Ehemalige Kimmeraigflter StranebeigB.
181
Richardeu wieder des Orts geritten gekommen und desSchäfers
Knecht mit Hagel geschossen und dermassen verwundet, dass er
etzliche T.age zu Bette und vor den Ärtzten gelegen. — Nachdem die
Barfüsser obberührtermassen mit nnserin Schäfer hausgehalten und den-
selben verwundet, dass er nicht länger bei den Schafen bleiben konnte,
hat man zum Schein, als liätten ihnen die Schafe Schaden
augefögt, sie selbst auf die Saat getrieben, und wenngleich die
Schafe ohne einig Hintreiben vor sich selbst auf die Sant tr>^?^aTigen wären,
liätten die Barfiisscr selbst solches damit verursachet, dass sie den
Schäfer derfjpstalr vergewaltiget \m<] verwundet, dass er bei den Schafen
nicht bleiben koiiiicii. — An diesfiu ahrr sind die Barfüsser noch nicht
prsättit^^et gewesen, sondern den Marty näclist verflossen, da wir zu
Berlin gewesen nnd kaum eine Stunde wieder zu Hause gewesen, weiter
zugefahren und unscrn Schäferkneclit mit Gewalt von den Schafen
genommen, mit sich nach Prädikow gefü'hret und gefänglich
eingezogen, alles ans lauter Frevel und Mutwillen. — " Sie erbitten
Joachim von Schapelow zu Quilitz, Christ. Pfui zu Jausfelde u^d Mag.
Erhardt Scheubeiinn zu Kommissarien.
„Auf ilii- unbet'uf;tt'.> und ungegrüudetes Su}»i»li( iivn- wurde ihnen
nnterm 11. April 1584 nochnials der Abschied, ^andern nie lits zu ändern
sei," mit allem Ernst in Erinnerung gebracht, sie „s(dlten vichnehr mit
dl rem Beweise aufs förderlichste fortfahren, dairdt dieser Irrung abge-
holfen werden laot^e.'* Unterm Juni 1")S4 werden sie aufgefordert, diesen
ihren Beweis bis Bartholomei (24. Aui^ust) im KaFninergericht »'inzubringen.
Von dem weiteren Verlaut des Prozesses zeugt nachfolgender Brief
des Uethtsanwalts Johannes Aisleben an den Rat: „ Erbare Weise
vnd furneme, günstige herrn vnnd guete freunde, Ol» ich woU Euer
schreiben von wegen Eurer Zeugen Wieuiel derselben sollen furgestalt,
vereydet vnd befh^^ werden, SoUiches mit Hans R(»beln ') zu reden,
freittags vor dato, spete Abents bekommen, So befinde Ich doch darauss,
weil Ihr nur 6 Zeugen angeben wollett, kein ander vrsach, den das Ihr
den Kaufbrief vber den Kenssdorff für euch habet p. Fs müssen aber
die Herrn darauf achtung geben, das von den Platen nicht der Eauff
vnd eigenthumb des grossen Buers vnd der Barfusse Kenssdorffs. Sondern
die gerechtigkeit vnnd gebrauch der höettung, Weide, Trifft, Höltzung
vnnd Fischerey gefochten wirdi Nun kenne Ich der Zeugen keinen,
Weiss auch derselben gelegenheit nicht, Aber mit Erasmo seligen^) habe
Ich hierauss dermaleinst mfindtlich geredet, Ynd auch Jnn schriflFten
gewechselt, Do er mir vnter anndem etliche sonnders Namkfindig ge-
'i Derzeit ii,'fr Befifzer des Düniinikunerkluaters in Strausberg, welches er 1574
von Nickel Spiegels Witwe erworben hatte; vgl. Jalilieft 1888 der „Brandenbargia"
S. 145 fi. -
*) B. Sahnater, 1667 ~ 72 Kantor, von lö72 — 84 Stadtaehreiber. —
9*
^ ij . .-Lo Ly Google
132
B. Selffeit:
macht, Doran viel gelegen, die mösten verhöret werden, Vnter wellichen
meines behaltens, der Platen Eltister Zeuge einer war. vndt dann noch
Einer des Namen mir anssgefallen, Welchen gedächte, Das ein Schefer
auss Zindorff der Platen Schefer von Kenssdorff abgetrieben, Ynd so hart
geschlagen, das er wegkriechen müssen, die Schaffe aber gepfändet,
Vnndt ob woll ein Vogt vnd knecht auss PrGtzell hinanss kommen, hette
sich gedachter hirtte anss Zindorff wieder dieselbigen gesatzt vnd auf-
gehalten p. Darauf fornemlich etliche Sondere Artickell gericht seindt.
Dardurch znerweisen vnd darznthnn, Das die Platenn keinen gerfiiglichen
besiez noch gebrauch einiger Hüettung, Weide oder Trifft gehabt haben.
Weill auch hernacher Baltzer Barfuss seliger, selber der Platen Yatter
die Schafe abzutreiben gezwungen hat, sonst vf Tim losa brennen wollen,
Solliche actus prohibitorios, das man Ihnen keiner hfiettung
gestehen wollen zuerweisen, Daran Ist euch das gröste vnd
meiste gelegen. Dammb ettwa 10 oder 12 Zeugen die hiruon vnd
andern Euren Nottwendigeu Artiekt-Iii bericht thun können, vf Zeiclmon
wollet, darmit ziu sainnicii stimmende Zeugen sein nnx Ilten, Auss wellichen
vrsachen auch die Reclitslerer gctrewlich raten, selir guet sey, Das viel
Zeugen vorgestalt werden, Darmit zween )1 4. vf ein Fuuct stimmen vnd
zeugen nifigen, Datum Perlin Sonabents nach Septnagesimae
(23. Fel.ruar) S'.« —
Ülii'i" iluu Ausgang des Streites ist mangels eines Kammergerichts-
Absciiiedes niciits liestimmtes zu melden; doch ist wolü auzunebmen, dass
die Plateu im Unrecht geblieben sind.
Einen andern Vorfall, der sich auf die Ausübung der Fischerei
bezieht, schildert ein Brief Jürgens von Barfus, »datum predikow
den 10 Juny Ao. — Achtbahre vndtt wollweyse guenstige gute
freunde vndtt Nachbarn, Euwer scbribeu habe Ich Emi>fangen darinnen
ihr vermeldett, das Ich vor achtagen Kiiworn Meyer habe Eine Wade')
vndt Ein Klein netze nehmen lassen, bin Ich auf den Nachmittagk Ettwan
vmb >] schlege aus der heydo gefnhren, hatt Euwer Meyer vom Keiistorft'
ahm andern Ende gelischott. Ha iiabe ich zum Krueger viultt meinen
Diener gesagtt, sie solten hiiigoheu vndtt sehen wer Es were. Don Ein
Jeder wolte sicli solclie Fischerev anmasscn hal)e ihn aber niciit l)efülilen,
das sie ilm das Zeuuk nehnieu sollen, hatt der Krueger die TabelP)
genommen vndtt sehen wollen, was sie vnr fische ge]ial>tt, Ist ihnen des
Meyers Knechtt also baldtt ihn dii^ arme i;('fallen vndtf beschwerliclie
wortt von sich gebeu, £r woltu sich uichtes uelimeu lubäcn. Do Ei- mm
' ) Fin grösserea Nets mit einem Sack am hinteren £nde.
*) Ein Kober.
Ehemalige K&mmerdgflter Straoabeigt.
133
so Imldtt nicht loss lassen wollen, hatt ihn der Kraeger zw^y ^fahll mitt
den hiiclisen spenner') auf den rucken geschhigen, sonsten Ist ihn aller
warheit keiner Zuschhigen nicht angeruertt worden, darauf sie ihn das
Zeufrk ;j:enoninieii, Ist des Meyers Kneelitt oder suhn von ferne zu mir
gelautfen kouiiiien vndt geschrien ob Ich meinen Dienern befohlen iiette
wen sie Einen jd'andten I>as sie ihn iioeii darzu sehlagen muessen. Habe
Ich geandtwortt Er niüchtte Ks woU die nach geinachet luiben, do der
Meyer Selbsten mitt zukommen vndtt gesagtt, Icii solte Es nur dencken
Es sülte mich nicht gescliencktt werden, do Icli L'eandtwortt Das weren
Dreuwortt, Man wueste woll was auf solclieii gesellen i^ehocrte Icli hette
vhrsache genungk das Ich ihnen muciite Ein anders sehen lassen da Er
seiner Rede bahltt wider /.urucke konnnen vndtt gesagtt Er meinte mich
nicht sondern den Krueger. der Kneelitt <^der (h^s Meyers söhn, was Er
sey, hatt geschrien, weill Er vns gesehen. Er wolle Es den Ivrueger nicht
schencken, oder wolte den KoptV nicht ti'agen, habe Ich solch zeugk
auf den wagen legen lassen, sie betten woll andere wortt linden können,
Es sollte ihn nichtes genommen sein, wir haben die fische meistentheils
darinne gezeugett, das sie vns auch Ein Jeder ausfangen solte, Ist vns
vngelegen, Es kau Euwer Meyer die fiissweido-) mit der wade woll
f^egundtt werden, mitt den netzen aber solchs wolte Er sich EndthalteD,
den meistentheils Ein Kahn darautf stehet, wen Er netzen hette, kannte
Er denselben nehmen» hette Er gutt fischen, den Ich gestern habe Selbsten
Zeugk daraaf legen lassen, Ist mir solchs diese Nachtt alles aufgehoben,
Einstfaeils gar wegk genommen, den Kahn vom lande abgestossenn, kan
Es aber, weil Es von niemandts gesehen, keinen zumessen, wen man
aber solchen geselle betroffe, kuente woll Ein ander vngelucke darauss
Endtstehen Ich wehre wohl nicht willens Euwem Meyer das Zeugk aulf
solche wortt wider folgen zulassen, wie woll Es mich nichtes nutze wirdtt,
doch kan Ers auf Euwer bitten woll wider bekommen, vndtt bitte ihnen
dahin zuhalden, das Er sich solche beschwerliche wortt mehr Endtthalten
mnchte oder es kuente woU Ein andermahll anf solche wortt schlege
oder ander vngluck darauss endtstehen. Ich gleube gar woll das Ers
Einen Erbam Radtt gross vorbrachtt, Es Ist ihnen aber wie Er berichtt
hatt mitt schlegen kein leidt widerfahren. Man kan auf die Erste klage
nicht richten, wen der Krueger vndtt mein Diener zur andtwortt kehmen,
vifilichtt koente ihn sein berichtt wider legett werden, Diss Ich Euch als
meinen freundtlicheu lieben Nachbarn zur andtwortt melden wollen, vndtt
bin Euch sonsten nach Vormuegen zu dienen Jeder Zeitt willigk Gott ihn
seinen schütz befohl n —
Tin Jahre KilT erklärten sich die Gebrüder v. Barfus bereit, mit
dem liat gemeinschaftlich gegen das immer mehr überhand
') Ladeatock.
>) FtMsflidiffeL
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134
Bu 6«iffert:
nohmende unbefugte Hüten der Ix na hbarten Viehknechte
vorzugehen: „ - Elirnueste, Achttbahre, VVohveyse vndtt Wohlgelahrtte,
1>esonder8 gönstigf lu rrn Nachbahrn vnndtt gute Fit unde. Derselben
schreiben sub Dato 24 April is Ist vnss gepnrcndes Insiuiiiret Inhalts
lesende vernommen, vnnd fün:eii E. E. in Auttwortt hinwieder, Das wier
gar nichtt vngoneigtf, nebeu.st denselben vmbzutreten, Vndtt vnser aller-
seits habendes Jus, wegen der hühtun^ vfl' der Kelinstorftischen Feldtt-
niiirckeu, wieder die Clowstorftischen Gielstorffischen, vnndtt Pretzlischen
ir*'piircndes Zu dcfcndiren. Inbetrachtuim-, Wier nun Leider Gott «je-
clagett, geiuigsaiiil» ctzliclit" .Ihar hero niitt schaden erfiiaren, was itz-
genieltte, benachbaiirtte lu;\ liosse schofler vnndt Huhtsgesinde vnss do-
selbstcn vnircachti'ttcii \ iflfeltiges Vorwahrens mitt derselben Viehe vndt
vnbHtViuli's luilitti M, vtl' der Saahtt vnudt Weyde Zugefügett: Wolten
dernweycn E. E. vugeseunibtt ein srlireiben an die Pfühle, zu Gielstorff
vndtt Pretzell, wie dan auch am Anil>tschreiber zu Rüderstorff
ergehen lassen, vnndt Verwarnen ihren scheffern vnndt hühtts Leutten,
ingesanibtt Zu Vfferlegen, das sie hinfürder von solcher vnbefügten
hühtung al)estelien, vnndtt des Kelinstorffes, so weitt derselbe in seinen
Reuir begriffen, sich gentzlichen Zu eussei-n vndtt Zueuthalteu, Oder
vUen wiedrigeu Vahll, die Pfändung vnndtt andere gepürende mittell Zu-
gewahrtten, gestaltt es auch von vnss incontinenti ef!ectuiret werden
soll. — — Göttlicher Protection Empfehlende signatum Predickow Den
30 huius auüo 1617. Clauss, Valtin, Caspar von Barfus nippria."
In diesem Jahre 1617 mm sah sich der Rat genötigt» zur Tilgung
seiner Schulden oder vielmehr um die dringlichsten Forderungen seiner
Gläubiger zu befriedigen, bei der Städtekasse in Berlin eine grossere An-
leihe zu machen und als Unterpfand die Feldmark Eähnsdorf abzntreten.
Eine nach den alten Eämmereibflcheru gefertigte Zusammenstellung
der „Rechenschap", d. h. der jährlichen Einnahmen nnd Ausgaben des
Rates von 1628 bis 1572 ergiebt die aufißlUige Thatsache, dass, mit Aus-
nahme dreier Jahre, bis 1644 mit ünterbilanz gearbeitet worden ist,
1644 sogar mit 168 Schock, während von da ab die Einnahme die Aus-
gabe Kfibertritt", 1564 sogar um 42t> Schock. Wenn man nun weiter
berficksichtigt, dass von 1645 bis 1672 seitens der Stadt nicht weniger
als 12 880 Schock als „Eriegssteuer, gemeiner Ffirstenschoss, gemeines
Htdfsgeld, zur ,,Mnnition widder den Tfirken, zu den Stedten oder zur
Bezahlung k. f. g. Schulden" an die Städtekasse abgefährt worden sind,*)
trotzdem aber jährliche Überschüsse erzielt wurden, so ist man auf den
') Demselben uuterstand die Verwaltung Klosterdorts.
*) Al«o jibrlich etwa 400 Schock; m waren 1566 : 828. 1&68: 1271. 1669: 1028
1670: 890 Schock.
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Ehemalige Ktannmeigflter Stiwuberss.
185
ersten Blick vprsnrht, den während dieser Zeit im Rat befindlich ge-
wesenen Herren das Kompliment zu machen, dass sie bedeutende Finanz-
genies gewesen seien.
Leider aber trifft man mit dem Gegenteil das Richtige. Statt die
Steuerkraft der Bürger, die allerdings mir widerwillig sich zu auss<»r-
ordeutliciien Auflagen bequemten, wie sie zu Joacliims II Zeiten nichts
Ungewöhnliches waren, kraft ihres Amtes in Anspruch zu nehmen oder
auf irgend welche erhöhte Kimialimon bedacht zu sein, nahmen die Kats-
herrn vielmehr einfach Darlehen auf, wo sie zu haben waren, und be-
gnügten sicli, unbekümmert um die zukünftige Rückzahlung derselben,
die sechsprocentigen Zinsen ans den jährlichen Eiunalimen zu bestreiten.
Das ziemlich voluminöse Aktenstück „Scimhlenwerk das Rates" enthält
aus den Jahren lörjll— KJll nicht weniger als O-J Sciiuldverschreibungen
über 5() fl. bis BIK) fl., insgesamt 7427 tl., 3180 Reichsthaler und IH Schock
oder etwa 1200Ü fl; „die man auft" reute genommen, leihen vnd borgen
müssen, so man zu gemeiner notturft vnd ausgehen iesi-lichen belmf ge-
habt"; wie viele mögen gar nicht in das Aktenstück hineiugekunimen
sein. Man sieht also, um irgendwo ein Loch zuzustopfen, Murde ein
anderes, grösseres aufgerissen; bei diesem Wirtschaftssystem musste die
Käramerei argen Bedrängnissen entgegensteuern, und die Katastrophe
erfolgte 1616/17, als immer mehr Gläubiger von dem zins-
säumigen Rat die Auszahlung ihrer Hauptsummen verlangten
und mit geridiilieher Beitreibung drohten.
Nunmehr wusste der Rat weder aus noch ein und erbat die Hülfe
des Kurfürsten, der denn auch zunächst die Berliner Bürgermeister
Jacob Strassburgk und Georg Jahn als Kommissare nach Straus-
berg entsandte^ „um erknndiung anzustellen, wie des Rahts doselbst
Hausshaltung beschaffen**. Ihre Relation, d. d. Berlin den 12. Augusti
Ao. 1616, schildert die Sachlage folgendermassen:
n Geben E. Ch. G. wir vnterthanigst Zuuomehmen, das wir
nach lautt der €k>mmission — den 21 vorwichenen Monats Jnly kegen
Abendt zu Strausberg angelanget ?nd folgendes Tages Zu fruer Tage Zeit
der Sachen einen Anfang gemacht, alle Register, Haussrechnungen, vnd
was sonsten mehr Ybrkunden hierczu dienstlich fleissig durchgesehen
vorlesen, einen Extract darauss gemacht vnd ein gar Kleglichs er-
bärmliches Wesen gefunden»
Dan es haben gedachte Rechnungen vnd Register geben, das der
BahtZue Strausberg den allgemeinen Städten an Retardaten, schössen
vnd freuleinsteur, ohne die New hewilligte ( 'ontribution, die sich auf
lOHö Tlilr 1 sgr 8 ..j beleutt't vnd (lorauf sie noch nicht einen Heller ein-
gebracht 6097 Tbl 12 sg 10 ^ schuldigk.')
') Ein Thaler « 24 sg. ^ em Golden 17 ag.
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136
B. Seiffert:
So sifuU sie an Ziiissbaren Heuptsummen 10874 fl lU gi' 11 ^
'l liiiii an Tliali'in 7702 Till 20 sg 11 vml daraaf versessenen Zinss
S)4ij fl 8 si,- () Thun an Thaleni 67Ü tW 10 .sg ti ^ wie auch den
Mansionariis') Zue Tjebbiis 78 Thl restirenden Zins schnldigk.
l.st also »lie gantzt" schuldt «les Ivulits Zue Straus)»erg
lo(')Jiy Till 21 s^^ ^ worunter utf die lleuptsuininen Jehrlicli Ziuss
462 Thl ;> sf? «icliun'ii.
Vnd ol> woll da kfif<'ii dci- Haht hev der Bürge rscthafi't an lietardntt-
.schö.ssen 2132 Thl 11 sg 4 .| vnd l»ey den Stiidten an Anlagen noch
22*J(I Thl 11 sg 4 Ihn glei« In n von Lucas Andreass 234 Thl 12 sg so
vff einer Mühlen stehen Zu tujdern
So berichtet doch ein Kahtt, das sie sieh von den Ketardatsrhössen,
angesehen, das die heii'-^cr zerfallen, die Nahrung gar verschwunden, die
Rurgersehafft mit .lagtltlauften vnnd Abfuhren vber die nuisse beschweret
wird, nicht 500 fl aufzunebnuMi zugetrösten, betten also zubeczalung
obaugeregter scliulden 2424 Thl so gewiss zum besten Vnd bleiben
noch 13201) Thl 21 sgr 9 vnbeczahlet.
Zu diesem muss der Rnht an gewissen ausgeben 230 Thl vnd an
vngewissen aufs gelindest gerechnet 453 Thl Thuet zu sammen 082 Thl
Järlich wissen vnd haben,
Wan nun des Rahts Jahrliche intraden aus den llausrechnungen
Extrahirt vnd angelegt we rden. So kau die Haushaltung bei weiten
dauon nicht bestellet werden,
Den das Einkommen vomAckerbaw g<'het wieder daruf, was vbrig,
wirdt auf besoldung der diener gewendet, Ja es gebens die Hechnangen»
das man domit nicht Zukommen können vnd Jährlichen Roggen vnd
Haber gekaafft werden muss.
Die andern Jährlichen Hebungen vom Obersten bis vndersten anfe
genaweste gerechnet tragen etwa 413 Thl 11 8g 5 ^ ans, das also noch
27U Thl saerreichnng der Jerlichen Yncosten mangeln wollen.
Wir haben Ihnen Zwar allerley mittel wie man die 270 Thl anch
Jerlichen haben könte an die hanndt gegeben, hoffen auch wen sie Zne
wercke gerichtet werden, Es soll der Rahtt mit der hül£fe des all-
me( htigen die Ordinär vndt Extraordinär aussgaben von den Jerlichen
hebangen meistes theils bestellen können, Woher aber die Jerlichen
Zinsen Znnemen vnnd endUch di(> Hauptsumma abzutragt
sehen wir ausser Vereusserung etlicher Stadtgüeter gar kein
mittell, vn d vntfr denen keines, so sie besser entrahten kdnten,
als die wüste i'eidtmarck Kehenstorff
') cf. Augusthett 1898 der BrandenburgU, 8. 171 und lÜO. ~
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Ehemmllge KAmmefeigflter StrwiBbeigi^
187
Hell sie ist eine Meillwegcs von der Stadt f^ele^en, kan daraus niclit
gciiiistet noch bcscliickct werden, Derowegen sie ausgetban vaodt etwa
Jerlich .... Nviiispcll Pensinn giebet
Derwcm ri liebst ein Hahtt zu Stniuspery der \ nfertlienif^sten Zu-
uei-sicht, weill sie sieh als dureii diess mit teil audei-cr gestalt nicht i'ctteu
können, l^. C h f. ( i, w c rden in diegesuchte aiieuatiun der wüsten
Feldtniarck Keiienstorf gnedigst willigen, auf welchen tall (ieu
die benachbarten von Adell denen sie weit besser als den Strauspergi-
scheii geletccii vnd mehr Nutz als sie danon luil»en können sich darunib
annehmen, vnd hernach die liandlung wie hoch es zubringen geben würde,
Hette man hernach wan disstals eine gewissheit mit den gleubigern aucli
abhandlung zumachen, vnd do die Kaufsunima ie nicht zureichen solte
auf den Eussersten fall auch zuuereusserung eines weit abgelegenen
Sehes zugreiö'eu, Vnd obwoU auf solche wegu der Raht zoe Straosperg
vnsers eraehtens ans den Schnldea vnd mit Gtotteshftlfb wieder zu Recht
gebracht werden könte, So Stellen £. Ch. G. wir doch va fernerem
gnedigsten nachdencken vnd Verordnung solches alles vnterthenigst an-
beim.** —
Der Kurfärst gab wohl seine Einwilligung zom Verkauf der Feld-
mark; aber es fand sich keiner, der sie kaufen mochte, nicht einmal die
Barfnss, denen «sie doch am besten gelegen**, konnten sich sa dem Er-
werb entschliessen. Ehe man nun weiteren Kat schafiidn konnte, sollte
bereits die Execntion ergehen. Deshalb rief der Rat schlennigst die
Hälfe des Knrforsten an:
„Dnrchlanchtigster Ob wir woli mit allem vleisse vns dohin
bearbeitenn, domit den Greditoren so vor vnser Zeit ihre gelder zne Bat-
hause geliehenn, Nach mngUgkeit Contentament wiederfahren möge, Wie
wir dann vf E. Chf. g. gnedigen Consens die waeste feldmargk
Kenstorff Nunmehr durch den bey hofe bestaltenn .Land-
messer gebührlichen ausmessenn lassen, vnd bemühenn Vns
doranf weiter, das der Anschlagk dorauf vfs eheste ver-
fertigett werden möge, So gehet aber doch dieses dabey vor, das
eTner vnndt Andere gleubiger mit der erstenn fuhren wie das
Sprichwort lautett gedencket vberzuefahren, vnd wollen der Com-
missarien Verhandlunge oder rechtliche Verordnung nicht erwarten, Haben
dohero vnterschiedliche Pfandbefehliche an den Landreuter vfn Ober Bar-
nims ansgewirckett, der mitt dem Schaff vnd andern Vieh dafon
zueziehenn vns bedrewet, dodurch dann alles zum desolat wurde
gemacht vnd diese arme Stadt in die höchste vndt eusserste vngelegen-
heit gesazt werden, Nun ists gleichwoll ;m«Ieui, das wir, so in gar neu-
lieben Jahren zum liahtstuel gezogenn, Au diesem vnwesen keine Schuldt
haben, Lucas Andres^) Erben vnd andere so vbell administnret ge-
•) BOfgonneittor 1604-14. 8. vom a 36 Anmerkmig.
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B. Seiffeit t
bührete Bolche zanerandworten Ynd wurde vnsers geringen erachteos,
weill es ad Concursum Creditornm imhmehr sich teglichen veranlassett
eioem die liülffe in praeiiKlicium der Andern nicht können vecstadtett
werdenn, Sondern vf eines Jedernn lingolteno Täqoidation wnrde der
prioritet wegen vorhero oino «gebührliche Verordimnge müsson eigeben
wer prior vnd potior, Wir wollen auch hoftVn Nachdem die Ausmessung
nunmehi* erfolget das dor Anschlag oder Tax in wenig tagen auch ge-
fertiget vnd der kauff endweder in it Caspar Barfften oder sonst
anderenii Anbelegenen von Adell vortgengig sein solle, Dorauff
dan die Herun Coinnilssai'y So E. Chf. G. vns gnedigst verordnen werden
der Prioritet wegen, wan wir der Kaufsuin gewis, auch dem Wergk seinen
gebührenden Ausschlag leicht geben vnd dem Thuen sclileunig al)ehelfen
werden, Vnd als zu solcher Tageleistung nicht allein Vncosten erfordert
werden, Sondern auch Tnmittels dem Landrenter mit der Execution in
ruehe zue stehen billig anbefohlen wirdt; Demnach gelanget au E. Chf. g.
vnser vntertheniges Fitten, dieselben wollen dieser bedrengten Stadt diese
genade widerfahren lassen vnd von den bey Damerowen vns gehörigen
deponirten geldern zue beforderung der Conimission vnd Tax vns funf-
zigk Thlr. noch abf(»l^en vnd hiei iietrst dem Landrenter vfm Obern Bar-
nims gnedigst inhibiren vnd befehll tluin lassen, Das er keinem Cre-
ditori zwischen dis vnd Ostern ob er gleich befehliche extra-
hiren würde, die hülffe mittheilen oder vns mit der Pfendiing
oder Immission beirren solle, HofFenu, das wir vnterdes alles durch
die Comniissiun Zum gebuerenden Staude bringen vnd die Creditoren
woher sie ihre Zahlung gewarten sollen, anweisen lassen wollenn, Tun
diesem vnsern billichen suchenn E. Chf. g. Vns gnedigst erhören wollenn,
Vnd wir seins in gehorsamer Vnterthenigkeit bey tag vnd nacht Zuuer-
dienen schuldig vnd höchst gevlissenn. E. Ch. G. Vnterthenigstc Ge-
horsambste Burgermeister vnd Rahtmanne der Stad Strauspergk." —
Nnr mit Mühe erlangte der kurfürstliche Rat und Bürgermeister
Pasehe in Berlin^) „einen Schntzbefehlich, domitt biss xnr Vereusseruug
der feldtmarek Kenstorif die Exeention wider euch eingestellt wfirde**,
vorläufig bis Pfingsten. Nach einem Protokoll vom 29. Juni 1617 kamen
d^e Kommissare und der Rat xu dem Entschloss, znr Zeit von einem
Verkauf noch Abstand zu nehmen, dagegen, um der Stadt wenigstens
etwas Ruhe zu verschaffen, gegen Verpfändung des E&bnsdorf
eine Anleihe von 4000 Thl. bei der Miitel-Uckermftrckischen
und Ruppinischen Stftdtekasse zu erbitten. Auch hierzu ward die
kurf&rstliche Genehmigung erteilt und alsdann in die gütliche Verhandlung
mit den Gläubigern der Stadt eingetreten.
«Wir Bürgermeister vnnd Rahtmanne der Stadt Strausbergk fuogen
hiemit menniglichen nach Standes gebur mit Entbiettnng vnsers gmsses
>) Biief vom 3. April 1617.
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Eheoudige Ktaunenigftter Stmnsbetgs,
1S9
ynnd willigen Diensten za wissen, t)a8 wir Vorhabens yaser des
Rahtts Schul ih nla&tsnm Theill abezutragen, Derwegen von nötten
mit einem ynnd flcm andern Abrechnung zuhaltten vnnd die Ileoptver^
Schreibung zu revidiren, Als haben wir Zeigern dieses Abgef«M tiget vnseren
Creditoren diese vnser roeinang anzudeutten, Fitten demnach, die Jenigon
denen wir mit Zinssgelde verhaftet vud vnser Hand vnd Siegell in
Henden haben^ woltten Ynnachlessig mit ihren Heuptverschreibangen
Zwischen diess vnd kunfftigen Froytagk (8. August) bey vns zu
Strausbergk anlangen vnd dissfals guetten bescheidt erwartten,
Welches wir vnsern Creditorn wollineinend anfuegen wollen - Vhrkund-
lich mit vnsern Stadt Secrct besiegelt Strausbergk am 3 Augnst Ao. 1H17."
„Des Durchlauchtigstenu Hochgebornoiin Fürsten vndt ilerrns,
Herrn Johann Sigissmunden, Marggraflfens zue Brandenburg p Wir ver-
ordentte Conimissnrij, Daniel Klindt Caniniermeister, vndt Jacob Strass-
burg Bürgermeister zu Berlin p Entl)ietenn allen vndt Jeden eines
Erbarii Raths der Stadt Straussbergk Creditoren, Vnsern gruss, Vndt
willige (Heilste, vndt fuegenn euch durch dieses offene patent zuwissen,
Das Höchstt>eda('htte Dir. Ch. G. Vns gne<ligst Committirct Vndt befohlenn,
Nachdem gedaclitter Rath vor diesem in grosse schulden ge-
rathenn Vndt daher viel Ciagens wieder Ihn eine geraume Zeitt
hero getrieben worden, gleichwol sich daraus nicht brengen
können, entlich aber ein stück geldes aufgebra(^ht, Das wir vns
förderlichst eines tages vergleiclienn, Ihre glenbiger darzu beschei-
den n, mit Ihnen gütliche handeiuug pflegenn, vndt vns bemühen
sollenn, wie die arme bedrengte Stadt, aus den schulden
wesenn gerissenn, Vndt Ihre Gleui)iger auf leidtlichen wege
contentiret vndt behandelt werden möchtten,
Wan dan höchstgedachte Ch. G. vns gnedigst aufgetragene Gom-
mission wir yns vndtertlienigst zu effectuiren schuldigk erachttet,
Gituren, heischen yndt laden wir euch Crafft habender Gommission,
das Ihr den Mittwoch nach Bfichaelis wird sein der 1. Octobris
frtter tage Zeitt allhier zn Berlin anfn Raihanse in der Stedie
gewelbe in der Persohn, oder durch e.nere genolmechtigtenn
mit eaern Liquidationen gefast erscheinet» Der gütlichen handlung,
so Zwischen gedachttem Rath zn Straossbergk, vndt euch furgenommen
werden soll, beiwohnen, yndt euch hierin also erzeigen wollet, Damit
die arme Stadt so yiel müglich aus den bedrenglichsten schulden gerissen,
yndt wieder zum aufnehmen gebracht werdenn möge, Zu Vrkundt
— Actum Berlin den 29. Augus^ Anno 1617 p. Jacob Strassburgk mpr.
Daniel Klindt mpr."
Über die Verhandlung, die mehrere Tage in Anspruch genommen
zn haben scheint, berichtet die Schuldverschreibung*) des Rates: «Wir
Abecbrift un Archiv.
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140
6. SeUtorl:
Börgermeistere*) vndt Rahtmannc tler Stadt Straussber^k lii«rmitt vor
vns vnnd vnsiM'f Narlikomineii am Ralit auch sonsteii Allennenniglichen
vrkuiiden vnd bekennen, Nachdem vnser Kahthaiiss In nicrcklicho vnnd
grosse vngclegenlicitt gerathen vnnd vnsere Creditorn mit nclitii^kmacltiinfi:
Ihrer bei \m aussstelieuden forderungen in vns harte gedrungen vnnd
wir In andre wege Keinen raht gewiist, denn d;is wir die Mitteil :Vcker-
merckischen vnnd Ruppinisciie Stiidte liittlirhen angefallen, das Sit- vns
vff vnsere Versicherung die Feldtmarek Keenstorff mit Churfl. conscns,
Vier Tausend Taler heu])tsumma vmb gebuerliche v^erzinssunge , als
Sechs vom Imndertt, Vorsätzen mochten, Gestalt Sie dan auch solcbs zue
tliun grossgunstigst vurwilligett haben,
Das nun solcher vorwilligunge zue volge, ^v(>lgodachte Mittel: p
Städte, heutten dato, durch dero verördenten Einnehmer, hern Sigmundt
Wöltkeu besagte heu[)tsuiiHna — ausstzalen lassen, vnnd wir dieselben
zue vnsern sichern henden bahr ent{)faugen, vnnd alsof'ort,
In mehr wolgemelter Städte Einnahms gewclltt' In Ix'isein
der Chnrfl. vero i*(le nten herrn C o ni niissu r i i' ii vnter vnsere
Creditorn distribuiret vnd aussgeteilett haben, dessen thuen
wir oftt wolgemeltte Städte, deroselben Einnehmer, oder wehr sonsten
desswegen mehr (juitirens vonnotteu, solcher wolaussgetzalter Ileuptsumma
der 4UUU Taler cum renunciatioae Exceptionis Non soluti pi^aecis, liier-
mitt bestendiger massen, oder wie es sonsten Im Hechte am Crefttigsten
geschehen soll, kan oder magk, quidt ledigk vnd loBS sagen, Gestalt vvii*
Ihnen axusk alsofort bei der aasstzalang vnsere yerschreibang — auss-
^geandtwortet haben, — Ohne einige Argelist vnd gefehrde,
Yrknndilich haben wir dieses mitt vnserm der Stadt Insiegel
wissentlich becrefitigett. (Geschehen Berlin den 3. Ootbr. Ao. 1617.^
So war die Stadt zwar einen Teil ihrer Gläubiger los geworden,
man kann aber nicht behaupten, dass ihre Lage sich dadurch gebessert
hätte; denn Zinsen mussten nach wie vor gezahlt werden, und aus der
Bewirtschaftung und Verpachtung der Feldmarck Kähnsdorf, die auch
fernerhin dem Rate oblag, konnte die Summe der Zinsen ffir 4üÜ0 Thl.,
— 240 Thl. ~, nicht herauskommen. Bis zum Jahre 1023 wurden zwar
die Zinsen abgeföhrt» - doch erst 1026 — , von da ab brachen die hoch-
gehenden Wogen des 30jährigen Krieges Aber Strausberg herein und da-
mit Zeiten und Zustände, wie sie annähernd nur wenigen Orten der Mark
beschieden gewesen sein mögen; die Zahlungen wurden einfach eingestellt
») Baltli. Falke, Marl. Cuiiipen, Andr. ydiinidt, Joach. Broiuer, Barthol. Schröder,
Aiidr. Schuster, Job. Bleaendorff, Joach. Dierberg, Dan. HuDderUnarck, Peter Arndt,
George Kerkow^ Oiegor LOW.
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KhemaUge Kflinm«i«igater Straosbefg«.
141
BUebeii docb auch die Pachl^lder der armen Bauern ans, wie ans einem
knrförstlichen Schreiben vom 20. November 1624 hervorgeht, worin ^ilsaac
von Platowen sehl. witwe za Prötzel!" aufgefordert wird, ihre Unterthanen,
für die sie gut gesagt habe, znr Zahlung „der restirenden Pechte vom
eingethanen Mietlande auf dem Eempfstorff** anzuhalten. Nach einem
Protokoll^) vom 24. April 1627, wonach das Land auf mehrere Jahre an
einen Barfass inFrftdikow verpachtet wurde, waren die Gebäude „v dllig
ruinirt und wfiste"; es ist auch nach 1629 von der Meierei^
und Schäferei daselbst keine Rede mehr, so dass man annehmen
darf, dass beide um diese Zeit völlig eingegangen sind.
Erst im Jahre 1039 (16. November) fragten die „Verordneten der
Mittel: Vckermärckisclien vnndt Ruppinischcn Städte*' wieder <nniual an,
wie es denn eigentlich mit denZinsen für dio 40()()Tlialer sei.
„ — Ehrenveste — Denselben werden die Ihrige Abgeschickte ver-
hoffeutlich Jungsthin nach der lenge berichtet haben, Wie es mit den
versessenen Zinsen von den entlehneten 4000 Tallem Capitall allenthalben
beschaffen, Vnndt das die Rhats Persohnen in Straussbeigk, sambt vnndt
sonders dafür gelobet, Vnndt selbige Zinsen vermuge ihrer aussgestalten
Obligation dem Kasten von ihren eigenen Guettem Zubezahlea vnndt
gutt zumachen schuldigk.
Wan Wilir dan wegen nicht Zahlung solcher Zinsen hiezu Ambts-
halber lenger nicht stillwoigen können, Sondern disswerck zu entlicher
Richtigkeit bof(»r(lert wissen müssen, (lestalt dan ;nir h die Anwesende
von Städten bey Jüngster Zusammenknntt't einen solchen Sellins gemacht,
Als begehren an Stadt vnser Herren IMiiioipalen wir liierinit, Vor
Vnser Persohn aber freundtlich pittende, Das die Herrn beyderseits ') in
Persolm vff kunfi'tigen Mittwoch nach Catharinae, wirdt den '27. dieses
Monat Nüvembr: sein, ge<;en Abendt anhero erscheinen, Folgenden Morgen
aber vmb 8 Vhren sich bey der Städte Einuelinieru Herrn Peter Wöltken
>) B«i PeiUte.
-) Von dem letzten Meier erzählt Perlitz: „Am 0. Oktober des 1629. Jahres wurde
auf der KMusdorfischen Feldmark ein Hirtenknecht gefunden, der daselbut orschlni^en
worden und iu der Erde verscharret gewi'sen. Als der KensdurHäche Meier iSclimidt
hinsn gekommen imd bei dem E&lMhteu geäiauden, bat msn geaehen, äass eich
das Blnt gleiehsam in Strömen ans den Wunden bervorgethan, welches
man vor seiner Ankunft nicht verspüret. Man hal deshalb auf diesen Schmidt
Argwohn gescliüpft und ist deshalb zur Inquisition gezogen worden. In der Tbat, fügt
er hmzu, „ein wichtiges Art'ument; beut zu Tage (1825) würde es dafür etwas auf die
Fmger gebeul Die Vorsehung hat aber dafür gesorgt, dass dieser arme ScbeUu nicht
aar Folterbank gescbleppt worden, denn wie es beisst, ist er mit seiner Frau an der
Pest im Geftngnias gestorben."' (Ein Beitrag zur Geschichte des Barrecbts).
') Davon ist aber in der Schuldverschreibung von 1617 eigentlich nicht dieBedOi
dass die Rutsherren mit ihrem eigenen Vermögen haften sollten.
*) Balthasai- Falke und l'anicl Hundertmark.
^ ij . .-Lo Ly Google
142
B. SeiCEert:
anjjpbeii, Vndt in Vuser Kegenwarth RechDuiig mit Ihme anlegen, auch
annehmliche Vorschläge thuu wollen, Wie solche Versessene Zinsen ab-
gefuhret vnndt den Städten fruit gotiian werden können,
Geschieht nun solches, halt es sein bleiben. Wo niciit, können
Wihr Ambtslialbcr nicht vorbey, die Sache vor den hoclilöb-
liclien Cammergericht Zur Verhöer zu ziehen, Vnndt die Herren
durch solche gebülirliche Zwangsmittoll zur Zahlung compel-
liren vnndt a nhalten Zulassen; Womit Wihr Sie aber, do nur immer
die guette bey Ihnen vertaugen will, Von Uertzen gerne verschonet sehen
möchten **
Es ist nicht ersichtlich, was darauf erfolgt ist; es scheint jedoch,
als ob seitens der Städtekasse wiederholt das Kapital gekündigt worden
sei, worauf der Rat allerdings auch in keiner Weise reagirte.
Drei Jahre S])äter wurden wieder Ratsdeputirte zui- \'erhandlung
geladen: aus der Vollmacht für diese d. d. 13. December 1(>4l\ ist be-
merkenswert, „das Sie zwar in Vnsern nahmen nut der Herren Städte
verordtneten in der Sachen alle gutliche Vuterhandtlung, ndttel vnd wege,
wie dieselbte auf ein ende gebracht vnnd beygelegt werden möge, suclieu
sollen, Jedoch nicht weiter, dann das das vorschriebeue Vnter-
pfandt der Kenstorff, vor das GapitaU angenommen, vnnd das
die annoch restierenden Zinsen, in betraeht, weiln so lange
hero alss das Kriegswesen gewehret, niemandt Knhnlich vors
Thor hinaus sich wagen dnrffen, auch anf so Tntersohiedt*
liehe aafsagung des Capitals, niemalss gehöret werden
können, erlassen werden mögen — *
Die «versessenen" Zinsen beliefen sich znr Zeit anf 4600 Thaler,
insgesamt stand Stransbeig an Retardaten von 1598—1643 mit 24047 Thl
19 gr 4 ^ hei der Städtekasse angekreidet — man verteile dies anf
27 stenerzahlende Barger, die damals noch vorhanden waren. Der Rat
heharrte anf seiner Ansicht, die St&dte möchten sich an das Unterpfand
halten nnd sehen, wie sie daraus zu ihrem Gtolde kämen; Stransherg sei
ein ödes, kraftloses Memhmm und habe rein gar nichts; weitere Ver-
handlangen lehnten sie ab, erschienen auch nicht in Berlin, und so bUeh
dem Propheten nichts weiter übrig, als zum Berge zo kommen. Eine
Kommission der Yerordneten nebst dem Herrn Präsidenten D. Petro Fritzen
z^gte ihr Eintreffen in Strausberg für den 1. Oktober 1643 an, »um
die Feldtmarck in angenscheln zunehmen, Derowegen die Herren
auf ein Vier Heupt Persohnenn vndt zweyen diener gelegenheitt zu log^ren
anordnong machen könnenn, damitt man in ettwas accommodiret seien
möge" und ftbertrug hierauf dem „Notarius publ. Caes. vnd Bürgermeister
znr Bernau, Georgias Manss, eine landtvbliche Taxa vnd Anschlag der
Wüsten feltmarck, Kenstorff genannt, £. £. Rath zu Stransherg znstendig,"
anzufertigen.
^ ij . .-Lo Ly Google
Ehemalige KAmmeraigater Stntoebeigs.
143
Nach dieser Taxe vom 13. Oktober 1643 „soll die Feldmark in
sich halten vnd io der Circamferentz begreiffen 900 Morgen, davon jähr*
lieh 300 Morgen mit Roggen vnd 300 Moi*gen mit gersten vnd haber
können gesät werden. Würde also die jährliche anasaat sein
12 Wispel 12 Scheflfel Roggen äWsp. 200 Thl . . , 2500 Tbl— gr
4 » 4 , gersten , 200 „ . . . 883 „ - „
. 8 , 8 , haber „ 100 „ . . . 300 „ - „
hatt daranff Meyereygereehtigkeit ... 300 » — „
zugleich sefaftffereygerechtigkeit vor 600 banpt Schaff-
vieh zn halten. Ist von jedem 100 die jfthrlidie
Mtznng 9 TU, davon 3 pro cento gerechnet thftte
1800 Tbl. Weil aber znr anflntterong des schaff-
viehes Theils ben an der oder mass gekanfft vnnd
geschafft werden, gehet der 3. Theil von dieser
Summe ab, dann bleibet also 1200 « — ,
Vor 12 Stack Rindt Vieh so doselbst kann gehalten
vnd den Winter dnrch mit gewohnlich fntter vor-
flecht vnd vberwintert werden, davon l''>0 „ — „
vor die Schweine Zncht doselbst 25 „ — „
vor die Ober- vnd Yntergericht auf dieser feltmarck 100 „ — „
vor die Bebe, füchse, Hasen etc. Jagten vnd anderm
vveidewergk 200 Tbl: — Summa 6141 „ 16 ,
Davon wieder abgezogen 150 Tbl vor 18 scb. Roggen,
58 Tbl 8 gr vor 14 scb. Hafer, so jährlicli dem H.
Inspectori zu Straossberg von dieser Feltmarck
Kenstoi'ff müssen gegeben vnd entrichtet werden,
thut dieser Abzog 208 Thl 8 gr Rest verbleibet
aiso 5983 Tbl 3 gr."
Dass die von der Ackerwirtschaft allein schon in Aussicht genom-
menen Einkünfte nicht im entferntesten der wirklichen Einnahme en^
sprachen, beweist folgende Anfetellnng des Rates von 1652:
„Keiistorfliscbe Aussaat von Ao. 1I)Ö2. An Koggen 1 w. 14 scb.
davon 0 scb. der Herr Ius|MH'tur, Verbh-ibt 1 w. 8 scb. Dafor <'in-
genommon 30 Tbl. An Haber ist Aussaat f<e\veseii 1 w. srli., doruutfi"
aber Klönen zue Closturff 1 V* scbf. abgebutet, derowegen er die Aussaat
nicbt entricbten wollen. Verbleibt also 1 W. 4^^ scb. Davon t} scb.
der Herr Inspector Bleibet 22 schf. 1 Viert, Dafor eingenommen 12 tbl
Summa 42 thl. Hiervon Fuhrlohn vndt Zehruug Wegen einbriugung
Vt Wsp. Roggens vndt Habers 8 TU, Verbleiben 89 thl. Hierauf laat
qoitung bey der Stedte Gasten geüefeii 88 thl 3 gr Restiret noch 21 gr
Diese ist Hanss Moller wegen eines Schff. Roggen noch zue zahlen
Schuldig.«
^ ij . .-Lo Ly Google
144
Hieiaus und ans anderen Notizen ist ersichtlich,') dass von 1646
an die Stiidt»'kas8e anstatt der Zinsen, welche die insolvente
Stadt nicht zahlen konnte, sich wenigstens die Natnralein-
künfte von der Feldmark sicherte, d. h. in den faktischen Be-
sitz eintrat; nach den vorhandenen Quittungen von 1Ö46 — 54 brachte
dieselbe insgesamt nur etwa 145 Tlialer!
Die kurfürstlichen Räte Dr. Joachim Kemnitz und Friedi'ich Bleci«-
schniiedt, welche nach langem Bitten und Drängen der Bürgei*schaft
vom l!9, — 31. März 1654-) in Strausberg waren, „um das zerfallene
Stadtregiiucnt wieder auzurichten", schlössen sich den» Gutachten des
Rates wegen des Kensdorf an: „wehr gntt, das sie an einen ge-
wiss(!n Mann gebracht viid verkaufft würde, dann wegen
dessen, dass dem Viehe wasser mangelt vnn d grosser scliadeii
von den Closterf isc hen mit den hätten aldo geschiehet, fast
keiner mehr dahin Seen will."
Allein erst 1702 hatten die Städte das (ilück jenranden zu linden,
dem sie ihre jura unrl pr^etensii >nes cediren untl abtreten konnten; der
Reichsgraf Otto v. Schweiin der Jüngere, dem ausser der Herrschaft
Alt - LaiidsKerg ausgedehnte Güterkompb'xe gehörten, ') erwarb sie für
UM »II Thaler! Dessen Sohn Friedrich Wilhelm verkaufte ITHS
Amt und llerischaft Landslierg mit allen Pertiiieuzieu, Vorwerken,
Dörfern u. s. w. dem König Friedrich I. ')
Ein Teil der Feldmark, eben der, welcher noch heut den Namen
des Kähnsdorfer Waldreviers führt, kam zu l'erlitz" Zeiten in dün Besitz
des Kaminerheii II Au^iist von Eckardsteiu, welcher 18ÜÜ Prötzel und
1801 Prädikow erworben hatte.
ni. Das Vorwerk Wolfsthal.
IMe Kämmereibücher nach dem Jahre 1574 erwähnen neben der
Meiere! nnd Schäferei anf dem Kähnsdorf noch eine „ Meierei und
Schäferei vor der Heide»* Ober deren Einrichtang in eben diesem
Jahre der Bezess vom 9. Dezember 1591 folgende Nachricht enthält:
„Vndt Anfenglichs weil sich die gemeine beschweret hatt, das
£. E. Rath Vor 17 Jahren eine Nene Schäferey vndt Meyerey gebanet,
vndt vf ihrer der gemäne freyen hnettung gesaczt vndt etlichen Acker,
Von der gemeine Cauelländer zn sich gezogen, dieselben durch weiter
Roden erweittert, vndt dadurch die gemeine huettung An THfften vndt
Eine Supplication vom 27. August 1C53 sogt: „Den H. Henptstedten stehet
der Kenstorff snr Hypothec ynd dabero nnuM an Stadt der Zuuen die Padil eiii-
geliefert werden."
») Punkt t?*2 dos Prossen Kommissiunsrozesses handelt vom Kenatorf.
•) GuluU', Gesch. der Stadt Alt-Landsberg, 8. 50 IT. und 06.
*) Ebenda ri. 07 Auch ein von Bürgermeister Pape gefertigtes luventurium
booornm curia« erwlbnt diesen Beaiteweduel.
^ ij . .-Lo Ly Google
Ehemalige KOmmwdgtlter StnoBbeigs.
145
Mastonge ein anselinUcheB vorschmeblert haben, die Schäfier vndt Meyer
hierüber noch teglich mit AbhuNvung des holczes, Vff lehsnng der Eicheln
vndt mit ihrcTn Viehe Verwüstung der Mast vndt huettung ihnen grossen
t'intragk vndt schaden thuen soltten, Desswegen sie vmb Abschaffung
solchem AHem Angehaltten,
E. Ratli Aber berichtet, dz sie vor langen Jah renn wegen der
CaueLstucken vmb, neben vndt bey der Schäfferrey Vor der
Stadt mit der gemeine vmb wechselunsfe getroffen, vndt der
gemeine dargegen die dreytelder Zu Herrn an nssehe, Gielssdorff, vndt
holienÜies, so ein vngleichs mehrers wirdigk, al»getr<'tten, Vndt darauff
der gemeine Zum best«'n wegen Ablt^ung der ihnen von den vurordnenten
der Stette Ziigetiieiltcn Aulagen, So der herrschaft Zukommen seindt,
vndt Auch durch Kath gutter leutte Eine Schäfferey vndt Meyerey
Aldieweil sie auch oberst vndt Niederst gericht vf den doselbst vmb-
liggeuden Stattfeklern betten, das daduich ein liath ohne eusserste
bescliwer der gemeine Burgerschalft Von Jahren zu.Jahren so viel mehr solche
vorerwehntte Ausgebrachte Anhigen hinwieder erlangen möchte, vff ge-
bautt, vndt dieselben biss Auhero quiete possidiret, auch wol
etwas mehr darcsa Raden lassen, Die Einnahme Vndt Aus-
gabe Aber von solchen güettern Jehrlichen der gemeine Zn
nocz vndt besten Angewandt» vndt vormoge der prodQdrtan Register
richtigk berechnet betten, Merbej Aber nicht gestehen woUen, das mit
ihrem willen ihre Mayer vndt Sch&ffer mit ihren depntat vndt des Battis
viehe solchen angezogenen schaden an hnettnng vnndt Trifften getban
haben soUttenn p.
Alss ist dieser Pnnct dahin veiglichen vndt vortragen, dz ein
£. Rath die gedachte Schefferey vndt Mayerey mit den vor
Angezogenen Anss gewechselten Caneln vndt des orts Ganel-
atacken aambt Allen darcznAnssgeradeten Acker, Jnmaaaender
Rath solchen Acker sembtUch bisshero genossen vndt g«braiicht —
behalten Tndt nachmahls bey der Schäfferey vndt Meyerey
gernhiglich gehranchenn,
Dar kegen Aber hatt ein ES. Rath der ganczen gemeine den
Acker An der Refeldischen grencze, so weit derselbe biss an der
knhbmckken aussgeradet ist, abge trotten, vndt soll derselbe Gauels-
weise durch dz loss, Als gebreuchUch, vntter der gemeine Borgerechafft
anssgetheilet, Vndt einem Jeden Barger seine liieiion Zukommende Gauel
neben den hieuor Albereit erlangtteu vndt inuebabeudeu Statt Cauelu,
Zn eines Jeden haus Erblichen zugeeigenet vndt Jncorporiret
werden, doch das nichts weidtergeradet werde, — So soll auch kein
Bürger Einige von den vorigen Statt noch iczo Zufallenden Caueln von
seinem hause Trennen, noch dieselben sambt dem hause oder Andern
habenden guttem dauon etwas oder gancz zoglich, ohne des Raths als
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140
B» floUhrt:
ihrer Obrigkeidt vorwissen vndt bewilligang bey verlost derselben Gatter
verensserD, vorpfeuden, nodi genczlichen vorkaoffen,
Es soll Aber Auch der Rath die Schefferey mit dem beseczten vndt
der knechte Schaff viehe vber 450 heupt starck vber wintter
nicht haltten vndt do liieruber von der p:onieiue in der Scheflerey ein
niphrers betroften wurde, soll solche vber nias der Rath Als baldt wegk
schafteuD, sich aucli sonsten alles vntterschleifs mit ihren der Priuat
Raths Persolinen vielie, so sie ein Zeitlang aus zu futtern hinein geben
raeohten, gencadicbea bey Verlust desselbigeu vlehes eossern vndt endt-
balttenn,
Die huettung Aber mit des Raths vndt der gemeine viehe vf iczt
gedachtem grundt vndt Boden, Auch sonsteu Allens halben, soll wie vor
Alters gemeine sein vndt bleiben, Aussgenommen, wan keine ISIastung
ist, vndt des Raths Scheffer, mit dem Schaff Viehe, in der luiden, vndt
vf den vorgedachten vmbliegenden Acker huetten kann, soll er der
gemeine liurgerschafft eigene erkauffte hueffen Acker vndt stucken, bey
Vermeidung der Pfendung schonen,
So sollen auch dem Mayer nicht mehr daii 4 Kuhe vndt
4 Schweine, dem Schäffer nur *] Kuhe vnndt 4 schweine, Also
dz sie die Schweine Jehrlichen erkauffeu, vndt keine Zucht
Schweine haltten, Jehrlichen zugenissen, vndt damit die gemeine
huettunge Zubetreiben vergont, Zur Mastzeit aber, soll einem Jglichen,
Als sonsteuu einem Burger An Schweinen In der Mast, verstattet wirdt,
so vid Auch binein soschlagen nach gelassen werden,
Sonsten Sollen sie sich des EicheUehsens, Abhaanng der Bircken
vndt Espen lanbstronche Tndt Andern bolczes ohne vorwissen des
Raths bey Vermeidung der Pfendung genczlichen enssomn, vndt endt-
halten, —
Die holcsnng vndt Mast, soll von Allen theilen geschonnet vnd
kein Eichhaom so Zur Mast dienlich abgehawen werden, Es soll Aber '
der gemeinen Bargerschafft sembtlioh so wol aach des Raths Schäffern
vndt Mayern Zn ihrer Nottnrfft An Baa vndt Bren holcz, so
viel dessen ohne schaden znendtraden sein will, gefolget
werden, doch dz derselbe so holcz begehret einen Erbarn Rathe daromb
begmsse vndt bitte, dz vf Ihren des Raths beuehlich durch den darcsu
bestaltten heyde knecht ihme solch holcz angewiesen werde, — *
Diese nene Meierei^) wurde also „vor der Heide** eingerichtet, d. h.
etwa eine gute Yiertelmeile südlich der Stadt, nnweit des sogenannten
') Perlitz meint, es habe die Meierei vorher auf Kunckendorfer oder Kähnsdorfer
Gebiet geatanden, fie sei bloss hier wieder aufgebaut worden; dies widerspricht indes
den Aufzeichnungen der Kämmereibücher, die ausdrücklich zwei Meiereien neuueu,
liiB lfi69 abar ftberhaupt keine. Über gewiBM Poiikte d«r llteimi G«8diidito 6tnnis>
baixe ist Peilito leider in doroheiu inrtflmlicher Anfffeeenng befengen gewaaeo.
^ ij . .-Lo Ly Google
EhenuUigo Kttmmereigflter Stmisbergs.
147
„Heide-Endes'' deB Straoflsees, indem der Rat eine grössere Anzahl yon
Kaveln, für die er anderweitig einen Ersatz an Laad gewährte, zu ein^r
Wirtschaft vereinigte und diese durch Ausroden von Heideland zn er-
weitern suchte. Wie ängstlich hierbei die Bürgerschaft fär ihre Hätongs-
und Mastgjeroclitigkeit besorgt blieb, zeigt der Rezess zur Genüge.
Die Bewirtschaftung des Ackers geschah auf Rechnung des
Rates, der Meier erhielt ausser freier Hütnng und freiem Holz nach
einem Vermerk von l'l'iö: 18 Thaler zum Lohn, 4 11 zum Scliwein, 2 fl
zu Fischen, 15 gr zu Salz, 2 fl znni Mulken, )1 Gr zum Lichte; was zur
Notdurft an Gebäuden, in dt r Krnte, an lebeudeni oder totem Inventar
erforderlich war, bestritt gleichfalls die Kämmereikasse. Die Einnahmen
an Getreide sind mit denen der Kähnsdorfer Meierei zosammeu ver-
rechnet.
Der Schilfer hatte nur 2 Wispel 20 Schff. Koggendeputat für seine
Dienste; der Gewinnanteil des Rates betrug lü2ü — 23 je iÜÜ fl,
1624; 82 fl, 1B25 nur 52 fl. -
Nach dem d reissigj ährigen Kriege ist die Meierei ver-
schwunden; für das Jahr der Verwüstung findet sich keinerlei Anhalt.
Der grosse Recess von Uu)4 bringt unter Punkt 1:5 folgendes:
„Des Raths Acker Releufi't sich auf 12^^' j Morgen, darauf können
aussgeseet werden an Kogken 1 vvsp. 19 schl. an Gersten \) schll. au
Hafer 1 wsp. dieser acker sin dt gewissen Pensionarijs bloss
vmb die aussaat aniezo ausgethan, dieselbte noch Anno 1654.
vnnd 55. zuegeniessen haben; Vnnd weill dadorch der Mist von der
Schäfferey, wie auch die wiesen, dem Rahthaose nichts zne guete kommen,
soll die Meyerei vor der beiden wieder erbawet vnnd in amio
1656 wie auch folgenden Jahren, der Aeker vom Raht bestellet
werden, damit Sie, and nicbt frembde, solches ackers vnd der wiesen
zuegenieflsen haben mögen,**
Es mnss aber mit dem Ban gehapert haben, dmn in einem Recess
von 1698 § 13 heisst es noch einmal:
«Anch erbietet sich Magistratos die Me^rerey Inhalts Recessos de
Ao. 1654 wieder anff den alten orth, so baldt es sich wil thnn lassen,
za legen" — dagegen war die Ackerwirtscbaft mit der Schftferei
ansammen am diese Zeit bereits verpachtet, nnd bis znm Nenban hatte
der Rat dem Pensionarins (oder Arendator) mehrere freistehende
Bftrgerhftnser in der Nähe des Landsberger Thores angewiesen.
Um 1700 sollen dann, nach Perlits, die Meiereigeb&ode »anf
der ehemaligen Stelle dem Marienberge gegenüber** wieder
errichtet worden sein; das kann aber, was den Ort anbelangt, nicht
stimmen, denn etwas später beschwert sich die Bürgerschaft (d. d. Berlin
den 8. May 1711) darüber, dass .Magistratus die Meierei nicht an den
alten Ort, sondern an einen andern hingelegt habe, wo sie der Heide
10*
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14B
Hnd Weide grossen Schaden Eofüg^".*) Domnarh stdit zwar der Ort für
die Jetzt erV>aute Meierei fest» nicht aber die Tjage der alten Gebäude,
wenn auch anjQfenonimen werden kann, dasB die Gegend im groesen und
ganzen dieselbe gewesen sein muss.
Die Paehtung wurde auf je sechs Jahre vergeben, dann entweder
der Vertrag erneuert oder Termin zur Nenverpaislltnng angesetzt; der
Pachtzins ist naturlich im Laufe der Zeit gestiegen; als besondere Ver-
pflichtung war dem Pächter auferlc^^, für den Bedarf des Rathauses und
der Stadtschule jährlich 00 Klafter Holz in der Heide auf eigene Kosten
schlagen und nach der Stadt fahren zu lassen.'-) Folgende Pächter
haben nach Perlitz, Aufzeichnungen das Vorwerk bewirt-
schaftet:
1692-98 Adam Schröder für 60 Thl.
1698 — 1705 Wilcke, welcher erschossen wurde. Ein Unteroffizier mit
4 geraeinen Soldaten war des Vorhabens, des hiesigen Arrendators
Wilckens Sohn auszuheben, weshalb er auf eine günstige Gelegen-
heit wartete. Als er diese zu haben glaubte, da derselbe am
8. December 1703 sich mit dem Vater, einem Bruder und einem
Knecht in der Scheune auf der Meierei vor der Heide befand,
überfiel er mit seinen 4 Mann diese Leute in der Scheune und
wollte den einen Sohn mit Gewalt wegnehmen. Da aber dieser
dem Unteroflizicr nirlit so gutwillig folgen und man Gewalt mit
Gewalt zu vertreiben glaubte, gaben die Soldaten Feuer, wodui cli
der Arrendator sogleich auf der Stelle getödtet und die ^ andern
Leute stark verwundet wurden. —
1705—1711 Hans Weinbeer für 80 ThL
1711—1717 derselbe für 90 Thaler.
1717—48 Arend, und zwar bis 1723 für 100 TU., bis 1782 fOr HO ThL»
bis 173B ftr 132 ThL, bis 1744 für 175 ThL/} bis 1748 für 212 Thl.,
dann trat er die Fachtang ab an
') Weiter hat sie einzuwenden, ,.daas dem Arendator rneln Land cinpfrihimt sei,
als ihm zukomme; auch sei der Stadthof nicht wieder als Bürgerstelle zurackgegebea
worden.'^ —
') Becess voui 22. 6. 1608: „21, Dwm Uoltz zur Schule inusa der penaiouarius
laut Contracta anfnhretii und wfl Magistratos Ihn dasu anhalten."
*) Da« Inventariam bonoram Ooriae GHaranabexgeiiais vom 2F. Hftn 1744, Tit I
Mgt: „Zum Ratbhanse ond der Gimmerd gebOit ein Vonr«rek, aa der Stadtbeide ge-
legen, welches in seinen Grenzen und Mnlen in \7'22 durch die Gebrüder Schradtke
unter Direction dos Herrn Geheimen Ualiis und Ober Haudirectors (ierlachs vermessen
und wovon sich die Karte bei der Rathhäuslichen KegiHtratur bellndet, ^ist jetzt nicht
mehr da — der Vf.) ') Dieses Vorwerek bat die Gerechtigkeit, 700 Stflck ScbaaMeh
in halten pro iaveiiUrie, so der Ounmeregr dgen gdiören, sind aur Zeit nur 108 Stflck,
die tlbrigen gehören dem Piehter. Und 6 6tQdc Oefaaen rind aneh pro invanttiio.
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Ehemalige ElmuMrefgOter Strausberg«.
149
1748—1764 Michael Schwarz aas Buckow, welcher von 1751—58 an
260 Xhl. zahlte, wovon aber BOThl. für die Holzfuhren abfr^ rechnet
vvnrden. Sein Vorgänger l»tte 1735 der Käminerei, wekiie auf
königl. Befehl zur „besseren Fandation der Potsdamiscben Cäm«
merey" 4Ü0 Tbl. beisteuern musste, einen Ziischuss von 210 ThL
geleistet; diesen betrachtete der Magistrat foiiian als eine zinslose
Kaution, welche von dem jeweiligen Nachfolger in der Pachtaog
dem Vorgänger erstattet werden nnisste.
1764 — 70 Ho ff mann, welcher „Herr Hoflfmann" genannt wurde, für
266 Hhl. 9 ^r. 10 ^. »Dass er ein Wirth -Iuk Rpchnnng ge-
wesen, ist nicht nnr ans den vorhandenen ProtocoUeo, sondern
anch daraus abzunehmen, dass er schon nach Verlauf von 2 Jahren
bankerott gemacht hat. Auf die übrigen 4 Jahr Michael Schwara
der Sohn die Pacht für 228 Thl. überaommen und hat ihm über-
dem das Holzs(-hlägerIohn vergütiget werden m&ssen**; er blieb
dann weiter von
1770—1800, während die Pachtsamme bis auf 282 Thl. stieg. „Nach
seinem Tode boten seine Erben mit, aber der ehemalii;e Ad-
ministrat or Re ue blieb mit 300 Thl. Meistbietender. Daun kam
1806—18 der ehemalige Wirtschaftsinpector Wossow mit dem Ge-
bot von 400 Till.; während die früheren Pächter so viel Brenn-
holz erhielten, als .sie zur Wirtschaft gebrauchten, masste er sich
mit 14 Claftern begnügen. Pächter konnte bei dieser Pachtung
nicht bestehen, und da im Tiaiife dieser Jahre die neue Stadt-
verfassnng eintrat, nach welcher die Stadt fortan ihre Güter nach
ihrem Belieben verwalten durlte, ohne an die vorgesetzten Lande.s-
behorden gebunden zu sein, so wurde vom Magistrat unter Ge-
nehmiguDg der Stadtverordneten die Puchtsnmme anf 300 Thl.
heruntergesetzt.
Bet dieaeai Yorwerck iat der Acker bot sehledit und findet sieh danmter uiit«r>
schieden 6— 9jihiig Laad nnd kann, ein Feld dem andern «ur Hflife geraehaet, ane>
gesäet werden: 3 Wsp. Roggen, 16 scIifT. Cersten, 1 Wsp. Hafer, 2 schff. Buchweizen,
2 schff. Erbsen, '/^ schff. Leinsamen. An Wiesewaolis ist nicht mehr nls an 10 Kiuier
Ben jährlich. An Arrende hat es in den letzten 0 Jahren jährlich getni;L;en: bnar zur
Caaae 145 Thl. und da es das Hob zur Schule und dem Rathhause liefern uiusa, da-
für a parte an gewine Lenle besahlt 80 Tbl Stimnia 176 Tbl Überdem bat der
jetzige Pächter baare Caation bejr der Ciimmercy Cassc in sieben 210 Thl» welohe
sonder Interesse gestanden. I>ns Vorwerck hat <li<> HntniiL' :nif den ganzen Straus-
befKischen Feldern und in der äudtheide, mit Rindvieh, l'ferdeu und Schaalen tu
hüten."
') Perlits: „Diu Charte von den Vorwercks Ländereieu und i'ertiuentien hat an
den ehemaHgen Oharmirekiseben KammeipMaidenten tr. Nienioib eingeacbiekt irarden
mflseen, ist aber ungeachtet gesobebener Brinnemog nicht surflckgegai^ten.'*
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160
SoUlert:
1818 blieb Sdiii fer Ewald mit 410 Tlil. incL »/« in Gold Meistbiotender;
er erhielt die Pachtung? auf 12 Jahre, mosste auch eine Cantion
von 51 KJ Thl. in Staatspapieren stellen, wogegen ihm das Sclilagen
und Anfahren des Brennholzes ffir Rathaus and Schale erlassen
wurde,
P»'rlitz sihliesst seine „Micrologie über das Cjlmmereyvorwerck",
das seine damalii^q« und spätere Benennung „Wolfsthal" von dem Stadt-
dijt'ktor Wolff (1T4:() — 7i* (•(msiil dinf2:pns et iudex) erhalten haben soll,
mit der lie merk uiif,': „Die Pachtung ist iiiclit von grosser Bedeutung und
wäre sehr zu MM wiiinIcni, wenn der zeitige Pächter bei den für jetzt so
gerin2;en Getreidepreisen sollte bestehen können; denn der Scheffel Koggen
ist für 1() gr, Gerste für 14 gr, Hafer für 1:^ gr. zu haben, auch die
andern Lebensmittel sind \erhältnissmässig spottwohlfeil: wahrscheinlich
kann und wird diese Periode nicht von langer Dauer sein (182ö).*
is;?() — 30 war I i ieih irli Lehmann Pächter; noch vor Aldauf seiner
Pachtzelt trat er mit (h'ii Studtl'elHudeii in Uiiterluindlung, um die Zeit-
paciit in Erb]» acht umzuwandeln oder das Vorwerk käutlich zu er-
werl)et). Er erhielt die labpachtung für !2(KM) Thl., den Wert der vor-
handenen Gebäuik^, ^) einen jährlichen Canon von löU Thl. in Courant
und öO Tbl. in (Jold und unter ausdrücklicher Yerzichtleistung auf
jegliche Ilolzgereclitigkeit. In dem IIyj>othekenschein vom 5. Novbr. 1S86
werden als „Om ra j)ei petua und Kinschränkungen des Eigenthums oder
der Disposition autgeführt:
1. Dem Amte Alt Landsberg Stehetin demjenigen Theil der Straus-
berger Heide, welcher rechter Hand des Weges liegt, wenn man von
Landsberg nach <lem Sclihij; und von da nach Garzau und Müncheberg
reiset, die hohe, mittel und kleine Jagd privative, in allen übrigen Sti*aus-
bergschen ^^';Udern uiul Brüchern und auf dem gauzeu Stadtfelde die
Kleine Kopj)eljagd zu.-)
2. Die Klosterdorfsche Vorwerks Schäferei hat die Gerechtigkeit die
3 Felder aof der Straosbergschen Feldmark zu behüten.')
') Ein W.>linhau8 {1187 nea gebaut^ ein grosser Schafstall (1777 errichtet), 2 SUUle
und eine Scheune. —
') Nach einer Kammergeriebt86iit«ib«MaiigT(Nn 14. Mai 1780, vgl. desVerfaMers
Gesch. d. Straosberger Jagd S. 33 f.
*) Diese Gerechtigkeit mnss vor undenklichen Zeilen den Cisterziensermönchen
in Kagel-Rüdersdorf, zu deren Besitz das Klosterdorfer Vorwerk gehörte, zugestanden
worden sein. Perlitz schroiht etwa« naiv, man liabe wühl nur aus gevatter^rlmltlicher
Nachzieht du» liiUungsreeht gewährt, ^denu es finde sich eiue Bemerkung, das» am
1*2. Juni 16S0 der damalige BOrgermdster vom Amtmann su Rfldendorf lam Gevatter
eingeladen worden sei."
Ehemalige Klmmereigfiter Stnuubergs.
151
3. Der hiesigen Stadtkomninne als Erbverpächter steht das Vor-
kaufsrecht zü und muss Besitzer zu etuanigen Veräussenmgen des
Gmndst&cks den Consens des Erbverpächtors nachsuchen."
Von dem Vorkaufsrecht machte aber die Stadt keinen Gebrauch,
vielmehr scheint der Erbpächter in das völlige Eigentum des Vorwerks
gelangt za sein, wenigstens verkaufte sein Sohn um isoo sein Be-
sitztum an den Freiherrn v. Eckardstein-Prötzel, der das-
selbe mit dem Gute Klosterdorf vereinigte.
Im Jahre 1891 wurden die äusserst baufälligen Gebäude sämtlich
abgebrochen und die Ländereien als Bauparzellen vermessen. Der Name
Wolfsthal ist aber übergegangen auf die Uestauration, welch«- an Stelle
der ehemaligen Bierhalle ^Zum Waldkater'' direkt am Ostabhang des
Marienberges im Jahre 1894 nea erstanden ist
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Sachregister
rar
Geschichte der Strausberger Stadtschule.
Acddeuieii der Lehrer 8, 10, 18» 15«
19-21, 70, 112
Accisefreiheit derselben ... 53, 68, 02
Amtsentsetzungen 33. 72
Amtspflichten 30, üüt., öü, 00 f., 64, 77, 97f.
Anerkenn«!]]« der Kgl. Reglenmg 105, 109
Arbeits- (Indnattie-) Sebnle . . . 1021
Aufwartung hf& der Ratsversetnmg 9, 21
(Die Zahlen bedeuten die Seiten.)
Einkllnfte dea Rektors (Schulmeisters,
Blagifltera) 7 f., 101.» 141, 20, 53,
68, 70, 92, 112
Einquarlierungslast 38, 95
Euipfehluugeu (PrüfuugszeugniMe)
81, 64» 68, 711
Baccalanreus 11 f., 20, 75
Bef'inierting <lor Lehrer in höhere
Ämter 24 f.
Bemfungsurkunden 68, 106
Beschwerden derBfligencbaft 23. 51, 81, 84
Bewerbungsgesuche . . 52, 54, 6ö, 70, 73
BittBchriften 3Ö, 46, 47, 48 - öl, 55, 02, 70 f.
Brauttucb 08, 71
Brautmease a. Hochseiten.
Brennbds. frei , 8, 181, 62, 70. 92, 112 preiziesen a. Accisefreiheit.
Frflbmease 19
Gbronieon Stranabeigense mannscrip-
tum 10
Fachlehror 97
FastenexuiDfii 88
Fastenpredigten 80
Fastnachtsspiele h. SohulkmnOdien.
Feldprediger als Lehrer 95
Ferien 16, 76, 79, 81, 89, 101 f.
Französisches Lazarett in der Schale 95
Fkdbett (Bett- und Wäschegeld) 53, 68, 92
Freie Eichelmast 68, 92
Freikavehi 21, 92
Freiti8che(Reihenßpeisuny der Li lm r
22 f., 40, 43, 51, 64, 111
Dankscia eiben för Berufung .... 58
Deutscher Gottesdienst 10
Didactrum s. Schulgeld.
IMscipUnaigewalt der Schuldeputation 107
Dominikanermönche 4, 6
Dustermette (Finstermettc) . . 2<>, 21, 68
Edikt wegen |der Koufessionsstreitig-
keiten 61
Edikt tihet der Prediger und Lehrer
Vergehen 72 f.
Einkünfte des Kantors (Baccalanreus,
Konrektors) 13 f., 20 f., 68, 92, 112
Einkünfte des Küsters 4, 20, GS, 93, 113
Einkünfte d«i Otganisten 16» 19, 21,
82, 68f., 66k 701, 02
Gehaltszahlung praenumerando ... 101
Gonera]- Landschulreglement .... 80
Gnadenhalbjahr für Witwen und
Waisen 72
Handarbeitslehrerin 112
Hochmesse 19
Hochzeiten . 8, 13, 10, 19, ö-i, 63, 08, 71
Jahrmarktgeld 8, 21, 63, 68
Jungfern* (Mädchen-, Neben-) Schule
14, 17, 43, 48, 81, 93
Jüdische luilo HO
Immatrikulationszeuguifise 30 f.
Kalkanten 1^
Kantoren* (Konrektoren-) Yeneiclmis
32-84, 411, 69-6«, 71-73
Cioogle
154
SiMdtfei^iter.
Katecliismuslehre 78, 100
Kirchenbesuch 40, 77, 78
Kirchenchor 4 f., 08
Kircfaengosänge, laldiiiBcbe 41, Uf ., 10
Kirchgang d«r 6eehBWdehn«riiui«i . 18
KkMtondiiile 821, 87
Knmmnnion 19
Konkordienfonnel . . . , 17f., 26f., 32
Kom-ektortitei eingeführt 60
Kniutpfeitor 48
Emrende 78, 80
LandeskoUektc zum Schulbau .... 45
Lebrapparste 03, 107
liehilvfldier 14, 48, 60, 85f.
Lehrer (vierter und fOnlter) .... 112
Lehrerwabi 10, 1>1, 04
Lehrzi^ Io .... »5, 78, 80, 03, 96, 100
Leicheubegünguisse lu, 13, 10, 20 f.,
40, 63, 03, 08, 70, 89 f.
LeIctionBkAtelog .... 68, 76f., 86f.« 98
Local 8. Baccalanreiu.
Jlarif'nt'ilde . 5
AlotcUcngeld 92
Miuikpiobe 65, 64, 71
ObetkODsistoriam • 80
OboacbnlkoUegiain 94
Patronat des Kates 10, 44, Ol
Pettseiten lO, 2-2, 26, 33, 37, 39
PoBiti? 16, 27
Precium s. Schulgeld.
PrivAtanterricbt 16, 22, 40, 79 h],
hOf., 88, 92
Probepredigten 65
Palaanten 16
RathäasUoheB R^ement 431.
Reformation 9 f., 25
Rekordationen 0, 13, 15, 19 f., 49, 53,
67, 68, 70, 76, 81, 84, 90, 92, 98,
U8, Uli
Rektoren-Vendcbiito 26—32, 39—41,
47—68, 69—71, 113
Revers 61, 64
Roratenbrüderachaft 4f.
Salvaguardia 82
Salvereginengeld ^Passionageld) . . 5, 10
Salvestundeu • . . 89
Sandohr 88
Scbidaaftiobt (durch ProviaoMo, In>
spektoren oder Kommission aus-
zuflben) 14, 16, 78» 91, 104, 105—109
Schulbesuch 64. 107
BahoiezanMi 16, 20 f., 44, 56, 63, 69, 91,
98, 98^ 100^ 108
Schulfeiern 09
Schulgarten • . . . . 8
Schulgeld 8, 13, 20, 49, 53, ÜS, 71,
] 88f, 92, 94, 08, 100 f., III
Scbulhaiifl 8, 441, 47, 63, 70, 811,
86k 90^ 92, 96, 106
Sclmlkasse 101, 108
SoliiilküüKiilioii 22, 24
Scluilkonkurn uz > Winkelschule) . 43, 83
Scbolordnung 14, 10, 76-79, 88—91,
96-108
SchulverbcsserongSgelder 94
Schülerstrafi ti 77, 90, 93
Schülerversetzung 91, 100
Schülerzahl 20, 86, 92
Selectus bigenioram ....... 87, 79
Siogestonden 81
Speiaegdd (Koat* oder TIachgeld) 23,
08, 70, 92
Studtschreibcrdicnst. ... 8, 10, 14, 82
Streitigkeiten im KoUegimn und mit
den Geiitiiehen. . . . 88, 86^ 661, 66
Studienbericht aus Wittenbelg ... 69
Studenten in Frankfurt 34—36, 42, 67, U
„ „ üreif.swal.l .50, 42, 67, 74
n n Wilteuberg 36 und iui
Nachtrag.
Soapensioitaqnantnm 78
Tabelle Uber den äusseren and inneren
Ziistand der Schule 91—03
Terüaui 201, 241, 111
Vniversitttaatipendiom . . 18, 20, 28, 92
Vilanb für Lehrer 91, 106
Visitationen in Kirche und Schule 10,
121, 171, 07, 781, 107
Naehtnig m S. 36 Aiiiii. 3.
Während der Drucklegung erhielt ich durcli günstigeu Zufall auch
den zweiten Band der Wittenberger üniversitatsmatrikel, welcher die
Jahre lößO— 1H02 uinfasst, zur Durchsicht. Danach stadiertea in diesem
Zeitraum folgende 10 Strausberger in Wittenberg:
1560 Georg Seger. — 1564 Joachim Leuenberg (cf. S. M zu lößß).
— loHS Jacob Palm. — 1571 Sebastian Meyer. — 1584 Peter Thiden
(cf. S. :U zu 1573). — 1586 Bartholomäus Andreas (cf. S. 35 zu 1591).
Sebastian Redlich. — 1588 Benedikt Lindholz [Sohn des Biirgermeisters
Andreas L.] — 1591 Jacob Schuster (cf. S. 35 zu 1596). — 16U2 Mat-
thäOB Wiprecht (cf. S. 35 zu 1592). —
Desgl. studierten ans: Bernau 23, Freienwalde 3, Nenstadt-Ebers-
walde 2, Wriecen 3, Seelow 1, Mfinchebeig 14, Alt-Landsberg 3, Rüders-
dorf 1. —
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. ARCHIV
DEB
JBAMOEIttUiMIA'-
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKÜNDE
DBB
PROVINZ BRANDENBURG
Unter Mltwlrlnuis des BUrUsehen FroTliudal-JlIuseiiiiis
aoBollflohaftfl -Voritandd.
7. Band*
Berlin 1901.
Druck nnd Verlag von P. StankiewiGs' Buclidnickerei,
Bamburfenrtrawe 14.
. j _ ^ y Google
Aus den Tagebüchern
des alten Heim.
Tagebuch -Aufzeichnungen Ernst Ludwig Heims
aus den Jahren 1795 bis 1834.
Mitgetheilt und erläutert
Georg Siegerist.
^ ij ...Lo i.y Google
Di. vorliegenden Auszüge aus den Tagebüchern Ernst Ludwig
Heims erstrocken sich über einen Zeitraum von 40 Jahren, von 1795
bis 1884, Die zahlreicheil and theilweise ninfangreichen Aofiseichnnng^,
die Berlins popnlftrster nnd vielbeechftftiglBtor Azzt mit einer Gewissen^
baftigkeit, die man in nnseren T^n selten findet, an jedem
Abend fast seinem Schreibkalender anvertraut hat, enthalten werthvolle
Beiträge nicht nur zur C4eschichte vou Heims ureigenster Wissenschaft,
sondern auch zur Geschichte vou Ötadt nnd Land in weitester Bedeutung.
Zvwp sind es nicht aosschliessUch grosse Haupt- und Staatsaktionen,
die den Stoff zn den bald im notizenhafton Lapidarstile, bald in
grosserer Ansf&hrUcbkeit gehaltenen Mitthmlnngen geben; viele Udne
Zdge, die wir aber bei einem grossen G^aromtbilde angern missen,
schmieden sich, mit liebevoller Sorpffiilt erzählt, in bunter Mosaik um
die grossen Ereignisse der Zeit, deren Zeuge Heim in der zweiten
Hälfte seines reichen Lebens gewesen ist.
Die eine oder die andere Notiz findet sich hier nicht snm
ersten Male Teröffontüchi Heims Schwiegersohn, der Geheime Regierungs-
rath G. W. Kessler, hat für seine Biographie: „Der alte Heim" (1. Autl.
Leipzig 1835. 2. Aufl. ib. 1846) neben Briefen selbstversUiudlich auch
die Tagebuchaufzeichnungen benutzt und benutzen müssen. Allein
Kessler hat in erster Linie die Notizen seinem Bnche einverleibt^ die
sieh auf Heins «Person) seine Familie bezogen. Von dem Übrigen
reichen Inhalte der Tagebücher hat er nur einen sehr beschränkten
Gebrauch gemacht. Namentlich gilt dies von dem historischen und
politischen Theile der Notizen, die oft mit rückhait-iosem Freimuthe über
Personen und Yerhältuis^e urtheileu.
Digitizea by LiüOgle
u
Wenn daher die eine oder die andere Notiz auch schon von
Kessler initgetheilt ist, 80 bitte ich, mir aus deren Wiederholung an
dieser Stelle keinea Vorwarf za machen. Einmal ist Kesslers Buch im
Handel veigziffen nnd existiert nur noch in Blbliofheken nnd in einigen
alten Berliner Familien. Dann hat Kessler sein Tagebnchmaterial an
vielen Stellen ungenan wiedergegeben; manches ge\vinnt erst im
Zusammenhange mit anderen zeitgenössischen Darstellungen Wertli, hO
die Mittheilungen über den Tod der Königin Luise. Endlich kam es
darauf an, alles das, was Heim über die Fragen und Ereignisse
seiner Zeit niedeigeschrieben bat, znsammenznfassen, nicht sowohl nm
des Tnhalts der Anfiteichnnngen willen, als um aach m zeigen, wie
sich die Ereignisse in dem Kopte eines Zeitgenossen dargestellt haben.
Der Tadel wird mir nicht erspart bleiben, anscheinend Gleich-
giltiges aufgenommen und den begleitenden Bemerkungen allzu viel
Raum gewährt zu haben. Beides ist nach reiflicher L'eberleguug
geschehen. Wenn allzu oft erzählt wird, hei wem FTeini an dem und
dem Tage gespeist hat, so gewinnen diese Notizen durch die stets dabei
vertreteoen historischen Namen eine Aber den Rahmen einer rein
persönlichen Bemerkung hinausgehende Bedeutung. Das Gleiche lässt
sich von mancher IGttheilung im lokalgeschichtlichen Theile sagen.
Und dem anderen zu erwartenden Vorwurfe luilte ich entgegen, dass
die kleine Veröffentlichung nicht nur für den Fachmann, sondern für
jeden bestimmt ist, der sich für heimathliche Geschichte interessiert.
Die eingehenden Erläuterungen, deren der Berufshistoriker zum Theil
nicht bedarf, die er zum Theil mit leichter Möhe erlangen kann,
mussten dem Laien geboten werden, nm ein wenigstens lose zusammen-
hängendes Bild der Zeit Heims zu geben. Nicht eine nach strengster
historischen Gruntlsätzen bearbeitete Quellenj»ul)likatioM sollen die vor-
liegenden Mittheilungen sein, sondern ein weiterer Baustein zur
Geschichte Berlins, zur Kulturgeschichte unserer engeren Heimath im
ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, Jedem Freunde dieser
Geschichte dargeboten.
Es ist mir am Schlüsse meiner Arbeit Bedürfnis, denen zu danken,
die mir den Stoff zugänglich gemacht haben und mir bei der Be-
arbeitung mit ihrem Rathe zur Seite gestanden liabeu. Frau General
von Gossler, geborene Klaatsch, war so freundlich, mir den Einblick
in die Tagebücher zn gewähren nnd sie mir längere Zeit hindurch zur
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m
Verfügung zu stellen. Mein verehrter Kollege im Reiche der Feder,
der praktische Arzt Herr Wolf Becher, führte mich in das Gebiet der
CtaMSIdciito der Medizin ein, dem ich bis dahbi ala voUkommeoer Laie
gegenfiberBiand and gab mir manchen verihvollen Rath bei der
*
Bearbeitong des ersten Abschnittes der TerGffentlichnng; ich sage ihm
dafttr an dieser Stelle noch einmal anfrichtigen Dank.
BeriiUy im September 1^1.
Georg Siegeriat.
f
I.
Zur Geschichte der Medizin.
1795.
12, März. Mittags bei dem D. Kurella'), dessen 70 jähriger
Gebartstag war, gespeist, und reclit vergnügt gewesen.
28. Mittags bei dem Geh. Ratli v. Pauli, wo der Geburtstag des
D. Krüuitz") gefeiei t wurde . . . gewesen.
19. Mai . . . viel besucht worden; auch vou Hofrath Weudt"*) aus
Erlangen.
20. Juli. Bei Hiliers gespeist. Der General Cliir. Gerike*) war
auch hier. Es kann sein, dass ich mich in diesem Maoue irre, aber
er scheint mir ein falscher, schlechter Mensch zu sein.
10. September. Mittags im Theerbuschischen Ressource - Garten
vom Hofrath Zenker*) in grosser Gesellschaft bewirthet worden.
16. Mittags beim D. Stosch*') zum ersten Mal so lange ich hier
in Berlin bin gespeist
1796.
2. Januar. Mittags bei dem Geh. Rath und Buclihändler Pauli
gespeist, mit dem Gen. Chir. Theden') vieles gesproclien.
2. Februar. Mittags speiste der Gen. Chir. Mursinua'') bei mir,
dessen Gesellschaft mir sehr angenehm war.
26. April. Mittags zum Essen bei mir gehabt General Chirurg.
Theden, Mursinna, Laube und Gerike, Geh. Rath Seile"),
D. Formey'"), Doctores Kurelhi, Steruemann, Wall, Bremer"),
Boehr'^), Zenker, Wolff, Geh. Ratli Meyer'"), D. Kleemann und
Merzdorff und alle recht vergnügt gewesen. Mir war vergangene
Nacht und lieute den ganzen Vormittag gar nicht woid zu .Muthe, so
viele Ärzte gehabt zu haben, allein sie betrugen sich besser als icli
geglaubt liatte. Alle wart'ii imiiiter und recht vergnügt und ich auch;
Wein haben sie tüchtig getrunken.
▲zoll. 1
. ^ ij . .-Lo Ly Google
2
Georg Siegeritt
L Mai. Mit dem Ghinirgns Wander nach Friedrichsitelde gefahren,
nnd von da nach dem Qoappenkrng bei den Geh. Rath Seile gerittefi
nnd daselbst in Gesellschaft des D. Richter^), Formey nnd Gen.' Chir.
Mnrsinna gespeist
16. Angnst. Mittags speisten Prof. Koelpin^) etc. bei mir. Koelpin
scheint sehr eingeschränkte Kenntnisse zu haben.
6. Oktober. Abends snm Essen bei mir gehabt Hofrath Hnfland'*)
ans Jena nnd Junker") aus Halle.
1797.
21. April. Mittags beim D. Stosch, in Gesellschaft von den
Doktoren Hers'"), Seile» Formey nnd Mftry") ans Hannover, gespeist.
Mai. Den 30. dieses sollte ich bei den beiden SAhnen des Ober-
Amtmanns Earbe ans Ghorin bei der mit ihnen vorzunehmenden
Inocnlation der Pocken, die dem D. Wolff aufgcti^agen war, zugegen
sein. Ich kam zur bestimmten Zeit, Wolff aber hatte die Tuoculation
schon verrichtet, und /.war mit der Materie von einem Kinde, wo ich
nach der Beschreibung dessen Krankheit die Mat«rie nicht für echte
Pocken-Materie oikläreu konnte. Der General-Cliirurgus Lehmann
war Arzt bei dem Kiude, zu welchem ich sogleich mit Wolff ging, wo
ich ersteren" auch vorfand. Die Tocken warer allbereits bis auf zwei
an den Füssen abgetrockncf . \WuU', Wolff sowohl als Lehmann, hiidten
sie für echte Pocken, und öetzteu noch hinzu, dass der Geheimrath Seile
das Kind auch geselH'ii hätte und ihnT Meinung wäre. Icli blieb in-
dessen bei raeineni Zweifel, da das Kind vor acht Tagen noch ganz
gesund gewesen war, und nun doch die Porken srhon fast ganz ab-
getrocknet waren. l)eii 4. .luniiis wurde eins von den Karbeschen
Kindern krank, und den ö. Morgens sähe man eine Menge Pocken auf
seinein Köiper. Wolf!" hatte diese fVir ächte l'ocUen gehalten. Auch
zwei kleine Kinder, Geschwister von dem Kinde, welches die Pocken
^clion gehallt, und mit dessen Po<'kt'i:-M;!terie die Karbeschen Kinder
iruHuliert waren, hatten Pocken bekonnnen, die VVoltf und Leliniann
für natürliclu* Pocken hielten. Als ich ins Haus dieser Kranken kam,
war alles voller Kreiide, die sich aber gar bald verloi', als ich mit
< lew i>slieit b»'liau|»tett% ilass alle diese Pocken keine ächten, sondern
blos \\ind[)ocken witren. WolH' hatte sich anfangs zwar sehr ver-
wundert, dass ich diese Po(;ken nicht tVir ächte halten w<dlte, bei seinem
Besuch des Abends al»er hatte er es endlicli doch eingestehen
müssen. Hei den Karbeschen Kuuh'rn hatte die Pockfii-Materie an der
Impfstelle nicht gefangen. Den ti. Junius hat auch der zweite Sohn
vom O. A. Karbe die Windpocken bekommen. Den V., als man den
Seile, der die Kiuder alle Tage besucht hatte, fragte, ob Wolif oder
Heim in Anschauung der Pocken Recht hätten, hat er kerne bestimmte
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Aus den Tagebdchem des alten Heim.
3
Antwort darauf geben wollen, sondern gesagt, man raüsste es abwarten.
Den 10. Juuius hat Seile die Pocken fnr acht erklärt und so aucli Prof.
Zenker. Den V2. hat sie der D. Pallas*^ und Geh. Rat Fritze*') für
ächte Pocken ausgegeben. Letzterer hat sogar gesagt, dass er Ijcib und
Leben, Ehre nnd Vermögen zum Pfände geben und verlieren wolle,
wenn es keine ächten Pocken wären. Geh. Rat Roloff") hat gesagt,
es wären Pocken entre deux. — Zu Ende Dezember 1798 hat der
jüngste Sohn des Ober-Amtm. Karbe zu Chorin die ächten Pocken
gut bekommen und überstanden, welches ein grosser Triumph für mich
ist. (cf. Darstellung des Falls iu Heims vermischten medizinischen
Schriften p. 118flf.)
[Die Inoculatioxi der Menschenblattern, d. h. Übertragnng des
Erankheiisstoffes von* einem Blattorkranken auf eineii Oesnnden, um
ihn gegen Ansteekung zn scfaflteen, ist i^ohl za nnteneheiden von der
Jennerscben Knbpoeken-Impfiing. Die Inocolation war schon seit
langer Zeit in einzelnen Gegenden des Orients, namentlich bei den nm
die Schönheit ihrer ll&dchen besorgten Georgiern nnd Tscherkessen fiblieh.
Die Gemahlin des englischen Gesandten in Constantinopel, Lady Wortley-
Moniagiie brachte sie 1721 nach England mit, wo sie trotz lebhaften
Widerspmchs rasch Verbreitong fand. In Frankreich wirkte der
berühmte La Condanime, in Österreich Maria Theresia, in deren
Familie die Blattern grosses ünheü angerichtet hatten, in Rnssland
Katharina II. för die Inocolation. Friedrich der Grosse berief 1760
den englischen Arzt William Baylies nach Berlin, um hier die Inocolation
einznführen. Baylies schrieb über seine hiesige Thfttigkeit „Nachricht
▼on der Pocken-Inocolation in Berlin**. Übersetzt von J. G. Krttnitz
1776. Die ersten Versuche worden in der Charitö gemacht. Dann
impfte Meckel seine Kinder nnd viele andere mit dem glficklidisten
Erfolge. Ein grosser Nachthdl der Inocolation war es, dass dorch sie neoe
Blattemberde unter ganz gesunden Menschen entstehen konnten ond
dass zuweilen bei Inoculierten ein tödlicher Ausbruch der Blattern
stattfand, wie in einem der angesehensten Häoser Berlins, wo von drei
Söhnen, die inoculiert worden, zwei starben. Als im Jahre 1789 die
Herzogin Friedrich von Braunschweig an den Blattern starb, wurden
auch den königlichen Kindern die Pocken durch den englischen Arzt
Dr. Leoven (seit 1787 in Berlin) eingeimpft; sämtliche vier geimpften
Prinzen (der Kronprinz, Prinzen Ludwig, Heinricli, Wilhelm) über-
standen die Krankheit gut. Die meisten Ärzte inoculierten die Kinder
erst im dritten Jahre. Sie impften am Oberarm an der Spitze des
Deltamuskels oder in der Hand /wischen [);nimen und Zeigefinger,
einige aucli an den Beineu. Girtanner iiielt dt'n Vorderarm, gleich
hinter der Hand für die bequemste SteUe. Mit dem Faden wurde selten
inoculiert, häufiger mit der Lanzette oder mit einer eigenen ImpCoadeL
1*
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4
Georg Siegerist.
Auch wurde zuweilen ein kleines Zugpflaster aufgelegt und die von der
Oberhaut eiitblösste Stelle mit frischem Pockeneiter bestricheu, ein Ver-
fahren, das aber wenig Beifall fand.
Al8 ein guter Prophet hinsichtlicli der Bekämpfung der Blattern
erwies sich Formey in seiner Topographie: „Die Möglichkeit einer voll-
kommenen Ausrottung der Blattern lässt sich nicht bezweifeln. . . .
Welche Wohlthat wäre es für die Menschheit, und welcher Vorteil für
den Staat, wenn diese schreckliche Krankheit endlicli wieder ausgerottet
werden könnte! Der Gedanke allein schon erhebt das Herz und eröfl'uet
die fröhlichsten Aussichten ! ^ "^).]
1798.
23. Juli. ISit dem innigsten Vergnögen habe ich, nachdem ich seit
einem Jahre nnd länger das Brownische System studiert hatte, die Kritik
dieses Systems von Girt anner gelesen. In langer Zelt habe ich nichts
so schönes» so richtiges, wahres und lichtvolles gelesen als eben diese
Kritik, und hätte Girtanner nie etwas anderes als eben nnr diese
geschrieben, so würde er schon meine ganze Hochachtung und Ver-
ehrung verdienen. Durch diese Kritik hat er vielen Tausenden von
Ärzten den Star gestochen, worunter freilich nun manche sein werden,
die sich ärgern, dass sie bei hellen Augen die glänzenden phantastischen
Bilder, die sonst vor ihren Augen schwebten und sie ergötzten, nicht
mehr sehen.
[John Brown, ein schottischer Arzt, 1736 geboren, stellte in seinen
«Elementa medicinae'' (Edinbnrg 1780, deutsch von Weikard 1795)
ein ganz neues medizinisches System auf. Brown ist ein Schüler Gullens,
der den Diralismns der Hallerschen Lehre von Irritabilität (Reizbarkeit)
nnd Sensibilität (Empfindung) dadurch auszugleichen suchte, dass er sie
als partielle Äusserungen einer vom Nervensystem ausgehenden, das
ganze Leben beherrschenden „Nervenkraft'' auffasste und alle krankhaften
Vorgänge von einer Störung dieser Nerveid<raft ableitete. Brown ver-
allgemeinerte den Hallerschen Begriff der Irritabilität zum Centrum des
Lebensprozesses. Nach seiner Theorie unterscheiden sich die lebenden
Körper von den leblosen dadurch, dass sie die F'ähigkeit besitzen, durch
Reize erregt zu werden. l)eu Sitz der Erregbarkeit (excitabilita.s) bilden
die Nerven und Muskeln, das ^Nervensystem". Heize sind alle Kin-
fltisse, welche die Ki-i'<"^b;irk<'it in Wirksamkeit zu setzen vermögen.
Sie zerfallen in äussere und inneie; zu den letzteren gehören das Blut
nnd die Säfte, geistige Tliatigkeit, Ali'ekte etc. Das Leben beruht
lediglich also auf der EiL,'('ns( liaft der organisclien Köriier, durch Reize
erregt zu werden. Die ( lesundheit ist bedingt durch eine mittlere Menge
nnd Stärke der Reize und ein mittleres Mass der Errei;lKu keit. Krank-
heit eutäteUt dui'ch Vermehrung und Verminderung dieser. Zwischen
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Aas den Tagebttcbem des alten Heim.
5
Gesnndheit und Kraukheit liegt nach beiden Seiten hin der Zustand der
Krankheitsanlage oder ^Opportunität". Der Tod tritt ein durch über-
mässige Anhäufung der Erregbarkeit infolge des gänzlichen Fehlens der
Reize oder durch Erschöpfung infolge einer übermässigen Einwirkung
der Reize. Dabei kommt die qualitative Verschiedenheit der Reize
nicht in Betracht. Zwischen den einzelnen Pha.sen der Erregung eines
Organ.s linden nur quautitative Unterschiede statt. Dasselbe gilt von
den durch Majigel oder Entziehung von Reizen bewirkten Abänderangen
der Erregung. Die ersteren erzeugen den Zustand der Sthenie, letztere
den der Asthenie.
Reize sind Wärme, Fleischnahrnng, Gewftrze, Alkohol, Moschas,
flüchtige Langensalze, Äther und Opiam, femer der Chylns (Ifilehsaft^
das Blut, LeibeBfibiingen, Geistesthätigkeit, Affekte, sowie manche
Contagien und GHite. Beiientsdehend (asthenisierend) wirken Kälte,
Hanger, Blut- und S&ftoTeilnste etc. Haaptmittel des Brownschen
Systems waren daher Aderlässe, starke Ansleeningen durch Brech-,
Purgier^ nnd schweisstreibende Ifittel. Bei der Feststellnng der Diagnose
kommt es nur darauf an, ob das Uebel drtlich oder allgemein, athenisch
oder asthenisch ist nnd welchen Grad der Erregbarkeit der Kranke
und dessen einzelne Organe darbieten, ferner in erster Linie auf die
Dosis des Heilmittels. Brown räth, der Sicherheit wegen mehrere Heil-
mittel miteinander zu verbinden, ja, im äussersten Falle alle zugleich
anzuwenden. Sämtliche Krankheiten können auf einer doppelten Skala
untergebracht werden, die auf der einen Seite von 0 bis 80 Grad die
Stufen der zunehmenden Erregbarkeit, auf der andern in umgekehrter
Richtung die entsprechenden Masse der Erregung darstellt. Die Ifittel
beider Skalen entsprechen dem gesunden Znstande.
Den Hauptfehlem dieses „Systems* der Verschwommenheit und
Unklarheit, entspricht die Charakteristik seines „Eifinders*', welche die
Geschichte der Medizin festgestellt hat. Brown war eine geistig begabte,
talentvolle Persönlichkeit, aber ohne tiefere wissenschaftliche Bildung
und praktische Erfahrung; zudem mangelte ihm sittlicher Ernst. In
England selbst blieb er ohne jeden Einfluss; seine Haupterfolge fand er
in Deutschland und Italien. Als seinen Vorläufer in Deutschland kann
man Aibrecht Thaer in Celle betrachten, der, damals noch nicht
rationelle Tiandwirtbschaft treibend, ein eifriger Verfechter der Hallerschen
IrritaliUtätslehre war.
Eine vernichtende Kritik der Brownschen Lehre giebt der
schweizerische Arzt Christoph Girtanner aus St. Gallen in seinem
Buche „Ausführliche Darstellung des Brownschen Systems der prak-
tischen Heilkunde" (1797 OS). Girtanner war in England und namentlich
in Edinburg damit bekannt geworden und gal) es zunächst in der Ab-
handlung „Deux mömoires sur i'irrjtabilit^considüruecomme principe de vie
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6
Georg Siegeilflt.
daoB la natnre oiganiBÖe" in Roziers jonmal de physiqae 1790 als eigene
Erfindung aus; er fahrte die Erregbarkeit und ihre Anoynalten auf die
Yerbindong des SaaerstolGs mit der thierischen Faser EurAek. In einer
Notis in den »Göttinger Nachrichten* erklärte er, seine Lehre h&tte in
Edinburg Au&ehen erregt und Beifall gefunden. Erst durch Weikard,
den Übersetzer Browns, -wurde der Betrug 1795 aufgedeckt, und durch
die darauf folgende Polemik zwischen beiden wurde der Brownianismus
in Deutschland genauer bekannt. Nnn schrieb Girtanner seine Kritik,
die mit den Worten scUiesst » . . . nachdem ich meinen mAchtigen
Gegner durch die Waffen der Vernunft bekämpft und ihn so zu Boden
geworfim habe, dass er nicht wieder au&tehen kann, trete ich mit dem
angenehmen GefOhl des Siege» vom Kampfplätze ab und hänge gleich
den Gladiatoren des alten Roms meine Waffenröstnng auf."
Eifrige deutsche Browoianer waren Joseph Frank in Wien, durch
den diese Kiirmethode offiziell in der österreichischen Armee eingeführt
warde und aufs glänzendste ihre Unbrauchbarkeit bewies. Innerhalb
21 Tagen starben unter den Händen eines Arztes von 60() auf diese
Weise beliandelten Kranken 200. Allerdings war die Kur sehr wohlfeil.
Die „Heilung*' des Wechselfiebers erforderte nach der Angabe eines
österreichischen Militärarztes nur für 8 Kreuzer Opium und für 82 Kreuzer
Branntwein. Ferner sind noch zu nennen Weikard iu Fulda und
Markus in Arolsen. — In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts
verhandelte die prenssische Regierung längere Zeit mit Brown wegen
dessen Ueborsiedelung nach Berlin; der Plan führte aber zu keinem
Ergebnis 2^).]
7. September. Den ganzen Vormittag in der Charit(^ zugebracht.
Der Charitt'|)rediger Prahmer hatte in einer gedruckten Sclirift eiue
Menge Fehler der Charite bekannt gemacht und dem König ein Exemplar
davon 'znj4:escliickt. Der Köiiiu hatte daher befohlen, dass von dem
Vorsteher der Ciiarite, dem Präsidenten v. Scheve mit Zuzieliiing einitxer
Ärzte genau untersucht werden sollte, ob di« in dieser Schritt an-
geführten Klagen gegründet waren oder nicht. Der Dr. Bremer,
Leibarzt Forniey und ich wurden zu dieser Unteisuehung aufgefordert.
Leider fanden wir alle iu der Schrift geführten Klagen gegen die
Charit^ nicht allein gegründet, sondern wir entdeckten nocli mehrere
Mangel und Fehler, wovon wir dann unsere Anzeige und Gutachteu
aufzeichnen und ab^ebt ii werden.
[Die Inigliche Schrift führt den Titel „Einige Worte über die
Berlinische Charite zur Beherzigung aller Menhchenfreunde", Berlin 17tl'^\
Der Verfasser klagt über Mangel an Wartepersonal, über schlechtes
und zu knap]»es Essen, über Mangel und Unsaul»erkeit der Wäsche und
über den unglaulilic h schlejtpeudeu Ues( liäftsgang der Verwaltung. Der
Schmutz in den Krankenstuben sei unbeschreiblich, die liUt't verpestet.
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Ans den Ti^bücbem des altcu litiuu..
7
Ein Wärter* erhält 12 Groschen Lohn monatlich, die Küchenmädclien
4 Groschen; die Mädchen wären gewöhnlich venerisch oder krätzig
gewesen. Infolge seines geringen Lohnes entzöge das Köchen- und
Wartepersonal den Kranken das kärgliche Essen und triebe damit
Handel. Hemden von Krätaigen seien gans ungenügend gereinigt
anderen Kranken gegeben worden; ja, man habe solche Hemden zn
ChHr[>ie verwandt. Die Heizung geschehe nnr nach dem Datum ohne
jede Rttcksicht auf den Znstand der Kranken. Auf Leben und Tod
Opeiierte mässten auf dem Strohsack liegen; Matratzen vrürden trotz
des Drängens der Ärzte nicht angeschafft Die Beleuchtung dauere
gewöhnlich nur bis 10 Uhr Abends. Als schlagendsten Beweis für das
unglaubliche Sparsamkeitssystem der Charitä-Verwaltung, die in den
Händen der Armen-Direktion lag, fuhrt Prahmer an, dass, als er
Schreibmaterial fär die Dienstsachen verlangte, ihm der Bescheid wurde,
er solle sich in jedem einzelnen FaUe, wenn er einen Tauf- oder Toten-
schein auszustellen habe, das Papier aus der Registratur der Charit^
reichen lassen! — Sclion Formey hatte 1796 in seiner «Medizinischen
Topog^phie von Berlin^ die Charit^ ungeschminkt dargestellt Die
Sterblichkeit war iu der Anstalt so gross, dass beinalie jeder sechste
Kranke starb. Von 17% bis 18Ü6 waren in der Ciiarite '^S 770 Kranke
eingeliefert, von denen Vy'I'M) starben. In der Instruktion für den
2, dirigierenden Arzt vom 17. .Tunuar 1798 § 8 Nvurdt; ihm die grüsste
Sparsamkeit zur PHicht gemacht; ei' hatte nicht die Beschaifenheit der
Speisen zu koiif rolleren, sondern nur den Bedarf. Foriney schreibt:
„Die Armen haben mehrentheils eine solche Furcht vor dieser Anstalt,
dass sie es eher als eine Strafe, denn als eine Wohlthat ansehen, darin
aufg;enommen zu werden"; aus diesem Grunde würden die meisten
Krauken zu spät eingeliefert. Die Spoisung der Krankeu ko.'^tett' nach
ihm täi^licii un-^ofähr l* (i röschen fiir die Person. Die m^i^tpn Nationen
hatU'U i'reu^-^cn auf dem (ifliict«' der Kninkenpflcrr,. iilu.itj-otlen. „Jeder
Fremde, wrlclicr andere 1 ,;r/;ii cthe j^esehon hat und die un.srisi'en besucld,
veriasst sie voll schniei /hallen Ki'staunens über die MäFigel derselben "
l)as.s übrigens trotz des sicbeilirli sehr \vahrheit^f.;e( rnifn
heiielitv-s, welchen die Konuins^ii mi nuincntlich unter Heims Kintluss
erstattet haben wird, die Zustande in den ii;trlisten .laliren dieselben
blieben, lehrt uns ein andeicr ( lewulirsniann, der i*rediotanitskandidat
Muritz, der im Winter 17't.l isiiti lange Zeit in tier L'liarite lag (als
bevorzugter Kranker) und uns eine „Treue Frzahluns^ meiner
gehabten .Schicksale in Berlin vor und nacli «ier .\ufnalinie in der
Charite etc." (lSli;{) hinterlassen hat. Zwar ist der Verfasser
dieses Büchleins im allgemeinen ein breiter Schwätzer; seine Dar-
stellung der Krankeidiauszu>tande aber deckt sich mit dem Bilde,
welches Brahmer und Furmey gaben, in sehr bedenklichem Masse, ab-
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8
gesehen davon, dass sein sehwfilstiger Stil von deren klarer F<»nn
nnvortheilhaft abweicht. Einige Proben mögen genügen. Als er die
Krankenstube betrat, wähnte er, ^idie als grobe Missethäter nach Sibirien
"Verbannten könnten nicht mehr Ungemach zn ertragen haben, als ich
in einen so fiblen Dunstkreis versetzt, anszostehen mich wflrde gewöhnen
mfissen. Denn an den Wänden hemm drängte sich eine Lagerstätte an
die andere, nnr in der Mitte der Stnben war noch Raum für eine Bett-
stelle übrig." Er theilt die allgemeine Klage über das Ungeziefer in
recht drastischer und doch zarter Form: „Hier hätte ich mit Eisen-
blech über alle Teile des Körpers bepanzert sein müssen, um nicht
hundertmal in einer Nacht von kleinen grausamen Wesen schmerzhaft
verwundet zu werden.^ Die Verabreichung der Arzneien ging in
folgender Form vorsieh: „Der Chlnirgns . trägt den Oberkopf einer
Tasse mit sicli lierum, die zu alier Mund passen miiss und unausgespült,
mit dem Bodensätze des verteilte ersten Mittels, das Geräth ist, woraus
der Nachbar seine oft ganz heterogene Medizin empfängt.*' Und Horn,
seit IRO^) dirigierender Arzt, rü^ auch noch S[)ater ganz dieselben
Fehler, schiechtes Essen, Unsauberkeit, nngen übendes Wartepersonal,
über das er schreibt: «Die Einkünfte eines Berliner Kutschers sind
niigh>ic)i besser, als die eines Cbarit^*£rankenwärters, obgleich es viel
leichter, bequemer und gesunder ist, ein paar gesunde Pferde zu ver-
pflegen, als einen ganzen Saal voll wichtiger Fieberkranker", und zu
Horns Zeit erhielten die Wärter schon einen Thaler monatlich neben
Verpflegung und Woliniing--').]
lö. September. Mittags den D. Formey, D. Bremer, Pensionär^*^)
Bonn es . . . zum Essou bei mir gehabt. Mit den 3 erstereu vieles
von der hiesif;en (^harite g«'s|»iochen.
22. Mittags speisten 1». Bremer und D. Formey und Hofrath
Hill er bei mir. Vor Tische mit beiden ersteren von den Angelegen-
heiten der (.^harite gesprochen.
2{). Einen weitläufijren Brief wegen der ( "baritö an den Präsidenten
V. Scheve gt-schnebeu, der mir viel Mühe gemacht hat.
17. Dezember. Wurde bei Krausens das 50 jährige Doktorjubilaum
des D. Kurella gefeiert, wo an HiU Personen speisten, die entweder
Äi'zte oder Freunde des D. K. waren.
1799.
15. Januar. Den Abend bei D. B<»elim^') zugebracht. Eine
Gesellschaft von (i Ärzten, namlicli der (Teiu i ;il-Chir. Goercke, Doctores
Boehm, Wall, Boer, Welper-") und i( h hat sieb vorijenommen, alle
Monate sich einmal zn versaniiufln, um .sirli iiImi' mediziiiisf^be Gegen-
stände zu unterhalten. Mit der heutigen ei-sten Versannuluug bin ich
recht zufrieden gewesen.
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Ana den Tflgebachem des alten Heini,
9
2. April. Abends beim Hofmedikus Beer im Tnofliziiiischen Klub
gewesen, wohin ich auch den D. Fischer'-*^) gebeten liatte.
7. Mai. Abends war die medizinische Gesellscliaft nebst D.
Grapengiesser'*') bei mir. Bis nach 11 Uhr bei einander geblieben,
und recht vergnügt gewesen. Gen. Chir. Goercke schlief indessen bei
Tische ein, welches er auch kunnte^ da er überhaupt wenig spricht.
1800.
28. Januar. Ilente besuchte ich den Geheimrath Fritz in der
Cluiiite, der dem Reichscheu Mittel die grüssten Lobspruche ertheilte,
und von seiner Fiebertheorie behauptete, dass sie die einzig wahre sei.
Was kann ich hierzu sagen? Fritze iiniss unklug sein.
[Gottfried Christian Reich, 17(39 geboren, seit 1794 Professor der
Medizin zu Erlangen, behauptete, dass alle Fieber und fieberhaften Zu-
stände im Körper vom Mangel des Sauerstoffs als des positiven und
Vemehrang des Stickstoffs als des negativen Lebensprinzips herzuleiten
seien und dase demzufolge die ihnen angemessene Ileilart in der An-
wendnng von ^areo» besoadere aas dem Büneralreich, in möglichst
starken Dosen, bestehe. Seine Hanptmittel waren Salzsftnre und Sehwefel-
sftnre. Ende 1799 wurde er von der prenssischen Regierung nach Berlin
berofen, um in der Gbaritä Versuche mit seinem Mittel anzustellen.
Da diese zunächst geheim gehalten werden sollten, entfesselte eine
anonyme Besprechung der Beichschen Kur in der medizinisch-chirurgischen
Zeitung 1800 eine heftige Fehde zwischen Reich und dem ungenannteii
Korrespondenten; dieser behauptete, dass bei den meisten Kranken
durch das Mittel sieh die Haut von den Lippen ablöse, auch der ganze
Mund und Rachen blasig geworden sei Ein Militärchirurg habe das
im Lazareth yerwandte Mittel untersucht und es als schwarzes, schmutziges
Yitrioldl erkannt Auch in der Charit^ halte man es för eine con-
zentrierte Sfture. Wegen der Zerfressung der Lippen und der Zunge
wollten yerschiedene Kranke diese Arzenei nicht nehmen, sondern lieber
sterben etc. Reich antwortete in der gleichen Zeitschrift in sehr
erregtem Tone; er redete von Unwahrheiten, schändlichsten Insinuationen,
Verdrehungen und Verleumdungen, meuchelmörderischen Angriffen, wo-
rauf der Anonymus nicht weniger grob replizierte: „. . . des Herrn
Prof. Reich Schimpfen und persönliche Beleidigungen mit denen dieser
Herr so freigebig ist, sind för jeden Gelehi-ten unanständig; und es
zeigt den höchsten Grad von blinder Eigenliebe, and grobem Stolz,
jeden mit Koth zu werfen, der nicht an des Wundermannes Kur
glaubet" and seine Bebaaptungen aufrecht hielt.
Tn seinem der zur Untersuchung des Mittels eingesetzten Koninussioii
überreichten Proniemoria behau i f ti« Kelch nuter anderem: Alle fieber-
haften Krankheiten werden scbueiler und glücklicher gehoben werden
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lü
Georg Siet^erist.
können; selbst bisher für imluMlbai' oder äusserst jyefiihrlirh gehaltene
Krankheiten werden f^l'jt'klicIuT l)i'z\vun«^tMi werden loWinen : cpideniische
Fieber werden künftig leiclit und sicher, wohlfeil uml einfach behandelt
worden können; der Kostenaufwand sei im Vergleich mit ausländischen
Arzneimitteln ein ganz geringer; Jeder Wechselüeberkranke vom
Müitärstand werde nicht mehr vier Wochen dienstantauglich sein und
mit Aufwand eines Tbalers geheilt werden können, sondern in höchstens
halb so langer Zeit nnd mit Aufwand eines oder einiger Groschen."
Dieses Argument hatte er sehr geschickt gewählt und er sollte sich in
seiner Wirksamkeit nicht getäuscht haben. Die Kommission zwar, ans
Seile, Fritze, Richter und Formey bestehend, erstattete einen ziemlich
diplomatisch gehaltenen Bericht: Sie könne aus den 28 von Reich
behandelten Kranken noch nicht fiber den Werth des Mittels entscheiden,
nimmt ihn aber gegen den VorwnK der Charlatanerie in Schutz; es
wirke schnell, helfe auch zuweilen schnell, doch seien auch von den
28 Fällen 3 tödlich verlaufen; bei Krankheiten im Felde werde es an-
gewendet werden können, mache aber nicht alle anderen Mittel entbehr-
lich; seine Wohlfeilheit sei ein Vorzug, dass es thenere Mittel entbehrlich
mache, bedfirfe noch der Bestätigung; und Ende gut, alles gut:, «die
Arzneiwissenschaft wird durch die Bekanntmachung der Theorie und
der Mittel des Herrn Reich gewinnen*,
Reich hatte am Schlüsse seines Promemoria den nicht misszn-
verstehenden Wink ausgesprochen, ob der, der alle Vortheile, wozu ihm
ein so wichtiges Geheimnis die schönsten Aussichten gab, hintansetzte
und sie dem Wohle des Staates und der Menschheit zum Opfer zu
bringen bereit ist, nicht „auf eine anständige Weise entschädigt zu werden
verdient". Er hatte nicht vergebens gewinkt. Der König befahl die
Bekanntmachung des I\< i( tischen Mittels durch den Druck und bewilligte
seinem Erfindpr eine Jahrespensioii von ">(H) Thalern. Ausserdem
criiielt er unter Dis[)en.s von den herkOuiinlidien Mrüfiinu* m Ii • llrlaubniss,
in fttMÜn zu praktizieren und Vorlt sunger» zu hallen. Keicli liess sich
noch KS(MJ in Ü- ilin nieder. Bei Jiegründang der Tniversität wurde
er ausserordentlicher Professor und begann seine Vorlesungen über
Pathologie und Therapie im Wintersemester lÖlU/11. £r starb am
5. Januar IS4S.
Uber seine Fiebertheorie hat er eine ganze IJeihe von Schriften
veröffentlicht. l)araus seien t;etiannt: l>eschreibuii:; der mit meinen
Mitteln behandelten KrarddieitstVilK-, 1. lid.-* (l^^»»«»), ^Vom Fiebei- und
dessen Behandhinir überhaupt : AufSr. Köiii;;Iichen Ma jestät \ on Pieussen
aüergnädigsten Befeld \ '»in OI)ei -( '(ille:;io niedico et sanit;itis bckjinnt
gemacht** (ISCd). Das Buch wiii<ie ins fi-an/">sisclie, ennlisclie, li. ndix lie,
d:ini«^che und portnuie^ivehe idterset/t. l'ernei-: „Krbiiilei iini; drr Fu'bcr-
lehre** (lÖOr>), „Neue Aufbchlüsse Uber die .Natur und Heilung des
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^us den TagebOchem des a)ten Heim.
11
Scharlachliebftrs** (I^^IO). VAn vollständiges Verzeichnis seiner Schriften
bis 18:25 findet sidi im Gelehrten Berlin 1820 p. l>07 Ii'*').]
9. Mai. Mit dem Betragen des T). G rapengiesse r jL?egen mich
nicht zufrieden pisveaen ... Er glaubt sich stark genug, um uuter
deu hiesigen Ärzten ein Buouaparte zu sein.
1. Juni. Vor Tiscli nach der Neuen Scheune und nacli dem
Quappenkrug zum Geh.-R. Seile geritten. Clitcr eine halbe Stunde
mich mit Seile in seinem Garten sehr angenehm unterhalten. Von
Meckel "), seinem 8ch\s iegcrvater, Voitus '*) und Mui sinna erzählte
er mir vieles; auch sagte er mir, dass seine sriirk;?te jährliche fiiauahuiü
7üUU Rthlr. gewesen wäre, und fand das sehr viel.
27. D. Jenners Sclu"it>t»n von der Kiilipucken-lnoculation mit
dem grö.ssten Veignügen gelesen. Der Name dieses Manues wird allen
jetzigen und zukünftigen .\rzten theuer sein.
[Jenners Buch „An intjuii y into the causes and effects of the
variolae vaccinae or the cowpox** (f.undon 1798, 1S(M), 1801) wurde von
Ballhurn ins Deutsche übersetzt, Hannover 171)9, ebenso „Further obser-
vations on the variolae vaccinae or cowpo.v" (London 1799) 1800. Die
Schatzkraft der Vaccine gegen Blattern war . schon längere Zeit vor
Jenner Laien in Viehzucht treibenden Gegenden bekannt In Holstein
impfte 1791 der Schnllehrer Platt die Kinder eines Pächters in Hassel-
borg bei Kiel mit Knhpocken; sie erkrankten nicht an den Blattern.
Schon 1765 hatten englische Ärzte die Beobachtung gemacht, dass die
Inocnlation bei Personen, die infolge Berfihrung der Kfihe beim
Melken Knhpocken bekommen hatten, ohne Erfolg geblieben sei, dies
aber nicht weiter beachtet Dass die Knhpocken, nnregelmftssige, mit
einer rosenartigen Entzündung umgebene Pnsteln an den Entern der
Eflhe, oft anf die H&nde des melkenden Gesindes übergehen, war
vielfach beobachtet worden; auf ihre Immunisiernngskraft war Jenner
während seiner Lehrzeit in der Apotheke zu Sndbury bei Bristol durch
eine Bäuerin aufmerksam gemacht worden. Er begann 1775 mit seinen
Untersuchungen, zunächst nach Eutetehung der Kuhpocken, die er in
der Pferdemauke (grease) erblickte, einer ebenfalls mit Bläschenbildung
auftretenden örtlichen Erkrankung an den Fesselgelenken der Pferde, die
durch mangelhafte Reinlichkeit der die Pferde besorgenden Knechte auf
die Kühe desselben Hofes übertragen wurde. Nach mehr als 20-jährigen
Versuchen impfte Jenuer am 14. Mai 17% den Knaben James Philipps
mit Vaccine von der Hand einer Melkerin; um I.Juli wurde der Knabe
mit Blattemmaterie geimpft, ohne darauf zu erkranken.
Tn Deutschland machte Strolnncyer in Hannover als erster erfolg-
reiche Versuche mir Vaccine. lu iSci iin erklärten sich Heim, Bremer,
Zenker, Merzdortf, Grapengiesser, Meyer, Augustin, Schulz und bMiess
bereit, unentgeltlich zu impfen. Es entstand hauptsächlich auf Betreiben
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12
Georg Siegerist.
Heims nach dem Muster der Jennerian Society (des späteren National-
Vaccine-etablisbement) die Anstalt zur Verbrciruiii? der Kuhpocken-
impfuug. Schon im folgeudeu Jahre wurde (his königliche Schutz-
blatternimpfungs-Institut begründet und am 81. Oktober 1803 ein impf-
Reglement erlassen.
Noch seien einige Zahlen zam Vergleich untereinander angeführt:
Während in den 8 Jahren 1787—1795 5526 Personen in Berlin an den
Pocken starben, erlagen von 1884^41 471 Personen dieser Krankheit
Die Pooken-Mortalität verhielt sich zn der allgemeinen im Durchschnitt
der Jahre 1783—1797 wie 1:11% 1834-1841 wie 1:143. Seit
Eintritt der Vaccination ist die absolute Mortalität in Berlin nm bei-
nahe •/* Proz. gefallen^*).]
10. November. Gestern frQh gegen 7 Uhr starb der Geh. Rath,
Ednigl. Leibarzt Seile. Im ganzen war er immer ein Mann von vielen
Kenntnissen — im Umgang äusserst angenehm — aber er hatte doch
zuviel Eigendftnkel. Er glaubte, ein grosser Philosoph zu sein; die
eigentlichen Philosophen glaubten das aber nicht, sondern hielten ihn
für einen grossen Arzt, und die Ärzte gestanden ihm letzteres nicht zu,
sondern hielten ihn für einen grossen Philosophen. Ich habe ihn
übrigens immer als einen talentvollen Mann geschätat, und sein Tod ist
mir sehr nahe gegangen.
5. Dezember. Abends waren D. Bremer und Prof. Zenker bei
mir. Erstorer las mir einen Aufsatz über die Enhpocken vor, den wir
kritisch beurtheilten.
15. Blit dem grössten Veiignfigen die Parallele zwischen dem
Asklcpiades und John Brown von Burdach gelesen''^). Ackermanns
Darstellung der T^ebenskräfte hat mir nicht gefallen. Ich bin immer
der Meinung, dass die chemischen Gesetae ganz und gar nicht auf
unseren K(')rper und dessen Erscheinungen angewandt werden können.
Animalisch-chemischer Prozess, chemia Vitalis, die Krystollisierung der
weiblichen und männliclieu Fruchtigkeit zum embryo pp. sind Wörter,
die keinen Sinn fär mich haben''}.
1801.
18. Fcbmar. Vom D. Lobstein aus Strassburg besucht worden,
einem Enkel vom jü^rossen Anatomiker Lobstein.
10. April. Mittags beim Minister v. Sc h rotte r in Gesellschaft
mehrerer Gelehrter gespeist. >fit Nicolai vieles über die Kuhpocken"
Krankheit, gegen welche er ist, gesproclien.
5. Mai, Abends im niediziiiisclien Klub bei D. Wall gewesen, in
welchem der Geh. Rath Huf 1 and auf^enonmien worden ist.
15. .Juni. Nach Tische die Bandagen und Maschinen, die der
König von Wolf söhn aus Wien für 1800 Kthlr. gekauft, auf der Ana-
Aua den Tagebüchern des alten Heim.
13
tomie besehen, and sie nUr von dem Wolfsobn, selbst zeigen und
erldftren lassen***).
20. Mit dem D. Formey wegen der vorjährigen sogeuuniiten
Influenza, tou der er leugnete, dass äiu iu Berlin gewesen sei, mich
etwas heftig heruradisputiert ^*).
August. Vor einigen Monaten hatte der Herr llul'ratli Marcus
Herz eine Schrift, in welcher er stark gegen die Kiihpocken-Impfung
eiferte, und diese Brutal-Impfung nennt, herausgegeben mit dem Motto:
Homo suni, non humana a me aliena esse pnto^")-
In einer der hiesigen Zeitungen stand folgendes, welches Bezielnine:
auf diese Schrift hat, in welcher, wai^ ich auch bemerken muss, Herz
die Kuhpocken-Impfuiig einen wilden Versuch nennt:
An den Genius der Kohpocken.
Tausend Herzen schlagen Dank and S^ftti
Dir dem Freunde Tausender cntj^og-en
Doch — wenn Dich Millionen küssen
Tritt ein Herz Dich wild mit Jb^tissen.
Eine Gegenscbriit anf die Herzische batte, am anch das Motto des
letzteren l&cherlicb za macben, znm Motto: Errare bumannm est
16. Oktober. Der Pri&sident t. Gerlacb, ein sonst gescheidter
nnd besonders frommer Mann, nnd so ancb der Geb. Rath v. Raumer
nnd was sonderbar genng ist, beide haben anch keine ohne Bildung
erzogenen Frauen, allein alle 4 sind gegen die Knbpocken und wollen
ihre Kinder nicht die Kuh-, sondern die menschlichen Pocken einimpfen
lassen — wozu ich mich aber kaum verstehen kann,
22. Abends beim Präsidenten v. Schleinitz im gelehrten Klub
gespeist. Nicolai und Biester sind noch äusserst gegen die Kuh-
pocken. Hofrath Marcus Herz war auch hier.
2ß. Mittags beim Minister v. Heinitz gtspeist, wo ich den Geh.
Rath Rosenstiel, der gegen die Kuhpocken ist, für dieselben sich zu
erklären, zu überreden versuchte.
1802.
2'^. Januar. Abends spät zum Assessor Lndolff gerufen worden,
wo Wollt" Arzt ist, und daselbst ein Kind in ilen heftigsten Krämpfen
gesehen, dem man vor t) Tagen, wie man versicherte, die Kuhpocken
geimpft, nunmehr aber sicher die Menschenpockra bekommt Kaum
glaube ich aber, dass man dies Kind vacciniert habe.
24. 0. Wolff scheint nicht Kuhpocken, sondern Mensclienj^u kon
bei liudolflt's Kind inoculiert zu haben, welches dem Wolff sehr uacli-
theilig sein würde.
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Geong Skfeiist
25. D. Wolff hat vrirklich dem LndoUbchen Kinde, wie es
dessen Eltern verlangt haben, nicht die Kufi- sondern die Menschen-
pocken inocnliert, da Wolff ein grosser Feind der Knhpockcn ist. Der
verblendete arme Wolff ist durch diesen Todesfall gewiss sehr gestraft
22. April. Mittags beim Geh. Rath Fonney in grosser Manns-
gesellschaft, meistens Ärzte gespeist. Dem Hofrath D. Loder^^) aus
Jena wurde diese Fete zu Ehren gegeben.
8. Oktober. Abends in Begleitung des Professor Zenker vom
Professor Cnrt SprengeP^) aus Halle besucht worden. Ihm meine
Neuseeländischen Mo(we gezeigt, die ihn ganz in Erstaunen setzten.
\l Alx'uds waren Professor Sprengel und Zenker nebst D. Kluge*-)
nnd Apotheker Lucae bei mir, denen ich den grössteu Theil meiner
Moose zeigte.
1803.
21. Januar. Gestern starb der Hofirath und Professor Marcus
Herz, der sich durch seine Schrift von der Bmtal-Impfnng so be-
rüchtigt gemacht hat, an der Schwindsucht Es mag ihn doch sehr
geärgwt haben, dass man seme Schrift, auf die er einen so grossen
Werth setzte, allenthalben so lächerlich und kleinlich fand. Er mag
deshalb wohl der einzige sein, dem die Kuhpocken tödlich geworden sind.
3. Mai. Ein medizinischer Club von 6 Ärzten ist an und für sich
eine vortreffliche Sache, so verd'chieden die Mitglieder auch immer sein
sollten. Wären diese Mitglieder unter sich nun anch noch gute Freunde —
könnte dies sein — was für eine herrliche Gesellschaft müsste das nidit
sein! Mit Welper, Boehr und Goericke bin ich in jeder Hinsieht
zufHeden, aber mit Boehm und Hufeland nicht; diese beiden haben
zu viel arrogance und letzterer fast noch mehr als ersterer — da er '
unter uns 6 doch gewiss ih r schlechteste Practicus ist — aber freilich
durch seine Schriften und als Königl. Leibarzt den grössten Ruf hat
24. August Mittags beim Gastwirth Boelke wurde das SOjährige
Jubiläum seines Professorats in einer grossen Gesellschaft von Ärzten
und Nichtärzten vom CoUegio medico-chimrgico herrlich gefeiert, wozu
ich vom Professor Zenker auch eingeladen war.
11. September. Mittags beim Gen. Chir. Goerike in Gesellschaft
von D. Frank^*), Mursinn a und mehreren Ghururgie-Pensionärs pp.
gespeist Mursinna führte allein das Wort bei Tische, alle anderen
mussten stillschweigen.
25. . . . halb 6 Uhr in Bellevue, wo ich die kleine Prinzessin
Helene v. Radziwill, die gestern gestorben war, in Gegenwart des
Geh. R. «Stosch secierte. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich aufs
neue Überzeugt, dass der Geh. R. Stosch ein sehr guter Hofmann, aber
nur ein sehr mittelmässiger Arzt sei.
Ans den Tagebflehem des alten Heim.
15
1804.
21. Januar. Aboiids ))eim Prof. Zcnkor in grosser («esellsrlinft
iiiL'istens von Ärzten gewesen, dem Geh. Med. K. Mogalla**') aus
Breslau zu Ehren.
14. Mai. Abends von (i bis 8 Ulir wurde das Kollegium bei
I). Meyer über die Schädellehre des D. Gall geschlossen*''). D. ^eyer
hat mir nnd allen, die die.se Vorlesung mit anhörten, einen grossen
Gefallen erzeigt. So schwankend diese ganze Lehre Doch ist^ so ist
doch wohl gewiss viel Wahres in derselben enthalten.
24. Juni. Mittags vom Geh. Rath Fritze, Charitö-Arzt, bei
Karstens im Thiergarten sehr gut bewirthet worden. Er sowohl als
Prof. V. Eoenen*') leugnen alle Schärfe im Edrper als Ursache von
Krankheiten — ich nehme die Schärfen in Schutz.
25. Nachmittags mit der Prinzessin Ferdinand über 2 Stunden im
Waiths rächen Kabmett^*) gewesen, welches hdchstderselben von den
beiden Walthers u. Gen. Chir. Goerke gezeigt wnrde.
20. September. Abends l)eim Prof. Zenker in einer grossen
Gesellschaft von Ärzten, worunter der Prof. ilorn^^) die Hauptperson
war, gewesen.
20. November. Wegen dem Professor Hecker*") zu £rfart mir
alle Muhe gegeben, dass er hierher an die Stelle des gestern verstorbenen
Professors Gönner kommen möge. Ich habe deshalb mit dem
Minister v. Schulenbnrp:, Präsidenten v. Scheibler, Formey nnd
Zenker gesprochen und an Beyme geschrieben.
1805.
23. Februar. Vom Ober-Collegio medico die grosse silberne
Akademie-Medaille, ffir den Eifer, den ich bei der Vaccination bewiesen
habe, erhalten.
24. März. Mittags beim (Jeli. R. Formey in kh^incr ( lr>(Hs{haft
von Gelehrten, unter (ItMu ii ;nM li Oall aus Wien war, gespeist. Mit
dem D. Gall mich viel unteiiialt^'n
:!'). Von l-I bis 2 Uhr das Collegiiim, welches der D. Gall über
die Schädellehre flieht, mit beigewohnt, welches mir sehr gut geiMlt
und welches ich 12 Tage hintereinander taglich besuchen werde.
30. Mittags beim Geh. K. R. Beyme in Gesellschaft von
D. Gall und v. Kotzebue gespeist.
5. A[)ril. Mittags beim Prinzen l'erdinand mit dem l). Stosch
und Formey und Gall gespeist.
^ ij . .-Lo Ly Google
16
16. Nachmittags von 4 — 6 Via des D. 0a Us erste Vorlesung
Aber die Stroktor des Gehirns angehört, welche meinen vollen
Bei&n hatte.
17. Henfo die letzte Vorlesung des D. Oalls mit angehört Ich
verehre nnd schätie diesen Mann von ganzer Seele, nnd bin glüddicb,
von ihm soviel gelernt zu haben.
7. Mai. Gen. Ghir. Goerke hat das Eritnzchen verlassen und
aoch der Mitgliedschaft desselben enteagt, da Welper General-Stabs-
Medicos za werden sich brfistet
4. Jnni. War das Kränzchen bei Hnfeland. Dieser las uns eine
Abhandlung, die er zur Beurteilung dar Gallsehen Lehre angeschrieben
hatte, vor, mit der idi recht zufrieden war. Boehm war es nicht,
machte deshalb grosses Geschrei und er und ich oder vielmehr er allein
wurde endlich recht böse auf mich und Hess sein grosses Maul hftngen.
Am Ende wurde doch wieder Frieden, 'da ich und Hufeland ihm
emstlich sein unstetthaftes Betragen begreiflich machten.
2. August. Mittags zum Essen bei mir gehabt . . . . D. Schweigger")
aus Erlangen, D. Weitsch**), Prof. Hecker . . . and vorzüglich den
Gen. Ghir. Mursinna.
1806.
1. April. Abends bei Geh. R. Hufeland im Kränzchen gewesen.
Wegen dem T). Boehm kann mir diese Zusammenkunft nicht mehr so
gefallen, als da noch Wall und Roebr lebten. Hiifplaiid nnd Wpl]ier
sind die ergebenen Diener und Bewunderer des Boehms, wozu ich mich
aber keines wegens verstehe.
9. Juni. Nachmittags war beim Geh. R. Hnfeland wegen der
kranken Armen, die die Ärzte unentgeltlich besuchen werden, eine lange
Eonferenzr
1807.
10. Mai. Heute früh um 6 Chr sterb am Faulfieber mein
alter Freund, der Prof. Zenker. Er war ein allgemein beüebter,
sehr gefftUiger Mann, ohne Falschheit und Betrug. Ein sehr geschickter
Wundarst. Berlin verliert viel an ihm, seine Familie noch mehr und
bei allen seinen vielen Freunden wird er noch lange im Angedenken
bleiben.
14. Oktober. Mittags speisten der D. Wolff^^) aus Posen, der
Chirurgien en chef Yillaume nnd unsere Einquartierung Möns. Anglais
bei uns.
26. Mittags beim Grafen v. Wartensleben in Gesellschaft des
m^dedn en chef des Ge nettes ^0, der 'ein lustiger und unterhaltender
Mann ist, gü.speist.
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Aus d«i Tagebflehem dee alten Halm.
17
4. Noveml»er. In der Charit^ gewesen, wo mit der daselbst
gebauten Drehmaschine für tolle nnd wahnsinnige Menschen die ersten
Ansuche gemacht wurden. Auf Empfehlang des englisclien Arztes Cnx,
der sie bei manchem Wahnsinnigen vorzüglich gefanden iLat, ist auf
miSin Anrathen die in der Charitö gebaut worden.
[Erst im 18. Jahrhundert begann man die Irren als Kranke zu
betrachten und entsprecheiul zu behandeln. 179-»/94 erschien Chiarugis
Werk: „Deila Pazzia in geuere e in spezic, trattato niedico-analitico".
Man überschützte jedoch die Mögliclikeit einer günstigen Einwirkung
der „energischen Mittel" und richtete so manches Unheil an. Abführen,
kalte Umschläge, Sturzbäder, Zwangsstellungeu etc. waren ein verhäng-
nisvoller Irrthum, aus dem sich bald ein ganzer Apparat von Miuter-
iustrinnenten entwickelte : der Sack, der englische Kasten, der Zwaugs-
stuhl und das fürchterlichste Instrument, die Scliuukol- oder Drehmaschine.
Erasmus Darwin, der Grossvater von Charles Darwin liatte ihre An-
wendung empfohlen, und die Verwendung der sciijuikelnden Bewegung
in der Heilkunde war schun Ärzten des Altertums, wie Celsus und
Asklepiades sowie dem berühmten Araber Avicenna nicht unbekannt.
In seinem Buche „Fractical observations on insanity" (London 1804,
2. A. 1806, deutsch 1811) giebt Cox eine eingehende Beschreibung
der Schaukel und deren Anwendung. Ihre einfachste Form ist ein
an allen vier Ecken aufgehängter, freischwel)ender Stulil, auf dem der
Kranke festgeschnallt und nun fortssälirend um seine eigene Achse
gedreht wird. Kuinplizierter ist folgende Vorrichtung: ein senkrecht-
stehender Balken ruht mittels Zapfen in dem Boden und der Decke des
Zimmers; an ihm befindet sich ein horizontaler Aim, an dem ein kleines
Bett aufgebäugt werden kann; mittels zweier Winden wird diese Maschine
in eine schnelle rotierende Bewegung versetzt. Was fftr eme Wii-kung
anf das Gehirn dadordi ausgeübt wird» beweist am besten die Thatsache,
dass Professor Kendel einen ähnlichen Apparat benutzt, nm bei Hnnden
experimentell Blödsinn nnd Lfthmnngen hervorzorufen. Allerdings
wurden dnrdi das Yerfohren widerspenstige Geisteskranke sehr bald
dem Willen des Arztes gefügig gemacht Gewöhnlich trat ein see-
krankheitsartiger Znstand ein, änsserste Ermattung, Schwindel, Übelkeit,
Erbrechen; fast immer verfielen die Kranken nach Verlassen der Dreh-
maschine in tiefen Schlaf. Cox fuhrt in seinem Buche sieben Fälle an,
wovon bei fänfen die Anwendung der Maschine zu vollkommener
Gesundung gef&hrt hätte; bei vieren war die Krankheit jedoch nur
Melancholie infolge Gemüthserregnngen.
Beil hat zu dem Buche von Gox, d. h. zu dessen deutscher Über-
setzung einen Anhang geschrieben, worin er im Gegensatz zu ihm för
die Behandlung der Geisteskranken auf physischem Wege eintrat und
in Gox' Lehre die Bestätigung des Satzes findet, dass die Mittel immer
Anh. a
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18
Gwttg Sicgeiiat
nur den äusseren Impuls geben, hingegen der Lebensprozess das eigent-
liche Werkzeug ist, durch das alle Genesung zu Stande gebracht
werden muss.
• ♦
,J)ie jetzigen Irrenhänser dienen fast allein zn einheimischen
Deportationen solcher Geschi^fe, die der Gesellschaft Ustig nnd beschwer-
lich sind. Sie sollen aber den Irrenden gesund erhalten, ihm alle Mittel
zum Lebensgennss bieten, dessen er Wng ist, nnd ihn cnr Arbelt an-
halten, ea mnss Ordnung herrsdien nnd der Irrende darf keinen Schaden
anrichten. Die Untojoohang der Irrenden muss auf dem idlmliehen
Wege wie die Zucht der Thiere nnd Kinder geschehen; jeder ist individaell
zu behandein. Die Verpflegung muss eine sorgföltige Diät beobachten,
gute Luft, gesunde Räume. Das Haus soll in einer anmuthigen nnd
gesunden Gegend liegen, Anhöhen, Büsche, Wasser, Gärten, Acker und
Ökonomien haben. Alle Zwangsmittel müssen vermieden werden. Das
Yieh scheuert sieb, wo es ihm juckt und für den Menschen ist eine
gezwungene Stellung, in welcher er kein Glied zu rühren im Stande ist,
die grosste Tortur.*
Das sind gewiss philanthropische Ansichten, nnd trotzdem war
auch Reü der Anwendung ^körperlicher Beize*' nicht abhold; er schlägt
als solche Tor: Hnnger nnd Dnrst, staricen Kitzel, unter Umständen
durch Wanzen, Ameisen, Prozessionsranpen (1), Entziehung der Wärme
und des Schlafes, Niesemittel; er empfiehlt, den Kranken in einen Kfibel
mit lebenden Aalen zn stedcen, ohne dass er weiss, was darin ist (!)
Ruthenstreiohe, nnvermutlietes Untertauchen in kaltes Wasser etc.. Erst
im Jahre 1856 machte Conolly durch seki berfihmtes Werk „On the
Tractament of the Lusans*' dieser «heroischen*' Behandlungsart ein
Ende.
In Berlin wurde das in der Eraosenstrasse belegene Hans des 1718
im Wahnsinn gestorbenen Kaufinanns Emst Grottlieb Faber 17^8 zu
einem Irren- nnd Arbeitshause eingerichtet Vorher hatte man Geistes-
kranke im Friedrichsbospital (Stralanerstrasse), dann in dem bei dem
Dorotheenhospital vor dem Eönigsthor belegenen Armen- nnd Beranken*
hause untergebracht In der .KraaienstniBse waren die Bäome eng nnd
ftberffillt, die Atmosphäre verdorben nnd der Geruch unerträglich,
namentlich im Winter, wo ans Erspamisrficksichten die Kranken noch
mehr zusammengepfercht wurden. Die Behandlung war dementsprechend.
Die ganz „fiurieusen*' Kranken wurden auf dem Hofe in „Dollkasten*',
auch betrübte Kasten genannt, gesperrt, Vorschläge von starken Bohlen,
die im Winter durch oberhalb gezogene Röhren erwärmt wurden. Ab-
wartung nnd Verpflegung waren erbärmlich; ffir oft mehr als 100 Kranke
waren ein «Zuchtmeister*' nnd zwei Wärterinnen da. Ärzte der Anstalt
waren von 1728 bis 1766 Ludolf bis 1763 Lieberkflhn, bis 1798, wo er
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Aus den Tagebflchem des alten Heim.
19
sein Amt freiwillig niederlegte, Geh. Rat Dr. RoIoiV. lu demselbeu
Jahre, am 2. September, brannte das Hans in der Kransenstrasso ab,
worauf die Irrenanstalt nach der Charit^ verlegt wurde. Iiier wurde es
nicht besser; die Irrenanstalt enthielt in drei Abteilungen übereinander,
die in unmittelbarer Verbindung standen, 9 einfenstrige, 15 zweifenstrige,
7 dreifenstrige Zimmer, 2 Kammern ohne Öfen, 15 kleine Zimmer mit
Öfen; es waren gewöhnliche Krunkeiiziuiiner, nur mit eisernen Gittern
vor den Fenstern. Die Aufsicht war sehr gering; weibliche Kranke
konnten zu den männlichen kommen, die Zimmer waren nicht ver-
schlossen, die Flure jedem zugiinc;li<'li. Besucher der Charitö wurden
häutig von den auf den Korridoren umherlaufenden Irren belästigt.
Verptlegungs-, Abwartungs-, Sauberkeitsverhältuisse waren genau so
wie auf den übrigen Stationen.
Die 1807 in der Charite eingeführte Drehmaschine oder Schaukel
ist ein ziemlich kom^tlizierter Apparat, den Horn genau beschreibt. Eine
Lagerstelle, auf welcher der Kranke mit den Füssen nach dem Mittel-
punkt der Maschine, mit dem Kopf nach aussen gerichtet, in liegender
oder sitzender Stellung befestigt ist, wird in scbnellen Schwingungen
nm ihre Achse gedreht. Es Hessen sich in der Minute bis fiO Um-
drehungen erzielen! Auf dem Drehstuhl, der nach einigen Jahren auch
eingeführt wurde, Hess sich diese Leistungsfähigkeit bis auf l'Jn in dem
gleichen Zeitraum steigern. Abbildungen dieser Vorrichtungen linden
sich am Schlüsse von Horns RechenschaitslK i icht. Jedoch sorgte Horn
auch für geistige Beschäftigung der Kranken durch Lektüre, Spiele,
Musik; es wurde regelmässiger Unterricht und Gottesdienst eingerichtet.
Für regelmässige Bewegung im Freien, auch bei ungünstigem Wetter,
liess er in dem für die Irren bestimmten Theil des Charitegartens eine
bedeckte Bahn herstellen; er führte militärische Exerzitien für Männer
und Frauen mit schweren hölzernen Gewehren ein. Ein Stundenplan
fbr die verschiedenen Beschäftigungen findet sieh ebenfalls in seinem
RedieiiBchaftsbericht
1808.
30. Iffibrz. Bfittags beim Geh. R. Formey in Gesellschaft des
Piofl Henke 'i^X ^ofr, Horn, Ober-Med. R. Eleemann gespeist.
29. Jnnt. 7or Tisch in der Charitö gewesen nnd einige maniad
und melancholid auf der Drehmaschine drehen sehen. Der erste
Anblick davon erregt Schändern.
21. Oktober. Abends lange beim Geh. R. Formey gewesen nnd
mich mit ihm Aber Marens Therapia specialis'*) unterhalten.
28. lÜttags speiste der D. Meyer bei mir. Mit dem Geh. R.
Formey, der gegen den Grebrauch der ScheUingschen Philosophie in
der Medizin geschrieben^^), war er sehr unzufrieden.
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20 <3reoiK Sieg«rigt
*
28. November. Vor Tisch mit dem Geh. Ii. Formey das Arbeits-
hans Hilf Ersuchen der Aimea-Direktioo iu Hinsicht der Kranken
daselbst genau untersucht.
1809.
10. Jani. In der Charit^ gewesen nnd Horn mein Manuskript
über die Falftchen Blattern vorgelesen.
16. Mittags beim Geh. R. Formey in Gesellschaft des B. Hahn**)
ans Livland nnd anderer Ärzte gespeist. Huhn scheint ein solider
Mann kü sein.
ji*.). August. Vor Tische iu der Charit»'» gewesen nnd im Beisein
des D. Meyer, Merzdorff, Ilof-Chirurgus Kepler durch deu PousiuDar
Siebenschuh an 3 männlichen und 3 weiblichen, teils epileptischen,
teils nielancholischen Kranken Infusionen machen lassen.
8. Dezember. Mittags bei dem Geh. .1. K. Rausleben gespeist.
Neben dem Geh. U. Formey gesessen, der an dem Unterschied zwischen
echten und falschen Pockeunaiben zweifelte, und selbst die Pocken-
Geschichte der Karbesclien Kinder für ungewiss hielt. Sonderbar genug!
20. Beim Gouverneur v. L'Estoq gespeist. Hier lerute ich den
Leibarzt Hierouymi^^) aus Neu-Strelitz kemieu.
1810.
15. Januar. Mitt-ags beim D. Weitsch in Gesellschaft von Gen.
Chir. Mnrsinna, Formey, Hofrath Schulz pp. gespeist. Erzählte
uns Formey, dass der D. Kohlrausch^*) ihn auf Pistolen heraus-
gefordert habe.
2(>. Abends beim D. Grapengiesser mit Ärzten, Apothekern
und Naturkundigen einer Zusammenkunft beigewohnt, die zum Zweck
hatte, eine Gesellschaft, die dem alten Anatomier Walther") 2tt£hren
die Waltherische heimsen soll, zn Stande zu bringen.
1. Febmar. ... in die Hufelandsche medinnische Gesellschaft**)
gegangen, wo des Hofmedikns Mfihry Abhandlung gegen meine Dia-
gnose der falschen Pocken vorgelesen ivarde.
1. März. Abends in der medizinisch-praktischen Gesellschaft eine
Abhaadlnng über den innerlichen Gebrauch des Arseniks im Wechsel-
fieher voigelesen, in welcher ich den Arsenik in Schutz nehme. Hufeland
sprach auf eine impertinente Art gegen mich*^).
12. April. Abends las Formey in der medizinischen Gesellschaft
eine sehr gute Abhandlung über Krankheiten der Kinder als solche vor,
die gedruckt zu werden verdiente**)^ Abends von Horn besudit worden,
und Aber Marcus, dessen Buch vom Group ich recensiert habe, vieles
gesprochen, und fiber die Horn sich freute*").
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Aas den Tagebüchern des alten Heim.
21
24. Mai. In der medizinischen Gesellschaft einmütig zum Gensor
geivfthH worden, weil ich derjenige sei, der jemandem etwas empfind-
liches sag(>n könne, ohne dass er sich beleidigt föhle.
2. Au£!:ust. Vormittags in der Pepiniere gewesen, wo Ilofralli
Hecker eine sehr gute Rede hielt Goerke war in seinem Glanz
4. September. Abends in der Klaprothschen Gesellschaft gewesen,
wo M ursin na über die Pimktio der Urinblase durch den Mastdarm
etwas vorlas.
li^ Oktober. In der Ilufelandßcheu Gesellschaft gewesen, in der
Reil'') und Grefe'') auch waren.
25. Klagte der Hofrath Horn mir seine Not, dass Kohl rausch
in der C'harite ihn auf alle Weise chikaniere. Jeder rechtliche Mann
mnss das Benehmen des Kohlrausclis, wie er sich in der Charit^ ein-
geschlichen bat, tadeln und ihn, da er dem Horn allen Verdmss macht,
verachten '^).
1811.
16. Febraar. Mittags beim Ober-Bergratii Reil gespeist. Hatte
Reil die Güte, mir an einer Menge Gehirne, die schon lange im S. vini
gelegen hatten, vieles zo zeigen, was er Selbsten entdeckt.
24. Heute t'iiih die Leielie des llofapothekers Meyer'*) aus
Stettin uaeh dem ilallisclieu Kirchhof begleitet. Meyer war . . . ein
Mann von vielen Kcuutuissen . . . Sein ßucli über die Arzte enthält
viele Wahrheiten.
5. März. Mittags im grossen Komödiensaal gespeist, wo in einer
Gesellschaft von 2üt) Personen das 50-jährige Dienstjubiläum des Herrn
General-Chirurg US Mursinna gefeiert wurde""').
29. Abends in der Ilufclandschen Gesellschaft eine Abhandlung
über den Unterschied des Scharlachs, Röthein und Masern vorgelesen.
14. Mai. Wurde im Englischen Hanse dem Schutzblattern-Entdecker
D. Jenner in England zu Ehren ein grosses Fest, bestehend aus fast
allen hiesigen Äi-zten und mehreren Freunden der Yaccination an der
Zahl 112 gegeben. An diesem Tage nämlich 1796 vaccinierte Jennor
zmn ersten Mal ein Kind mit Kuhi)ockenlymphe. Der Staatsrath
Hufeland hielt bei dieser Gelegenheit eine meisterhafte Rede. Meiner,
als dem Er.sten, der hier in Berlin die Yaccination eingeführt und mit
vielem Eifer zu fördern i^esncht hatte, wurde das verdiente Lob ertheilt.
Im Monat Hornung 18UU habe ich hier das erste Kind vacciniert.
19. September. Abends in der Philomatischen Gesellschaft'*')
gewesen, wo der Professor Rudolphi") alle die Gründe, die man für
die Regoneratio equivoca hat, vortrug und sie für gültig erklärte. Ich
üand keinen Grand für hinreißend nnd sachte ihn za widerlegen.
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Georg Biegerist
8. November. Abends in der Hafelandschen Gesellschaft gewesen,
wo der D. Wohlfahrt eine Abhandlung über den thierischen Magnetismus
uns vorlas.
[Karl Christian Wolfart, geboren den 2. Mai 1776 zu Hanau, war
einer der eifrigsten Yerfechter der Lehre Mesmers von der heilsamen
Wirkung der durch Berühren, Streichen, ja, durch den blossen Willen
auf den Kranken übertragenen magnetiischen Kraft. Seit 1807 als
Arzt in Berlin an^ssig, seit 1810 Privatdozent an der neuerriohteten
Universit&t, wirkte er eifrig für die Terbreitnng dieser Lehr« und
suchte den thierischen Magnetismus wissenschaftlich und praktisch
mit der gesamten Heilkunde zu verschmelzen. Er erreichte es, dass er
1812 von der preussischen Regierung nach Frauenfeld in der Schweiz
gesandt wurde, wo Meemer den Abend seines Lebens zubrachte, um
sich unter dessen eigener Leitung mit dem thierischen Magnetismus
eingehend bekannt zu machen. Als Ergebnis der Studien Wolfarts
erschien 1814 das Werk ^Mesmerismns, oder System der Wechsel-
wirkungen, Theorie and Anwendung des thierischen Magnetismus."
Diesem Buche folgten 181o «Erläuterungen zum Mesmerismus.* Wollart
gewann in Berlin bald einen grossen Anhängerkreis für das neue Heil-
verfahren. Er hatte eine magnetische Heilanstalt in der Behrenstrasse
errichtet, wo täglich über fünfzig Kranke durch die „englischen
Doktoren**, wie man in Berlin die Magnetisten nannte, behandelt
wurden.
1817 erhielt Wolfart eine ordentliche Professur an der Berliner
Universität, \vudurch ein seit 1812 geführter Streit zwischen Anhängen
und Gegnern des thierischen Magnetismus entsclnC l Mi wurde, und zwar
siegten vor dem wissenschaftlichen Richterstubl die Gen^ner. Die zor
Prüfung des Verfahrens niedergesetzte Kommission (Hufeland, Hermbstädt,
Klaprotb, v. Könen, Merzdorff und Kluge) fällte ein ungünsti:ros Urtheil;
die medizinische Fakultät erklärte sich gegen einen Lehrstuhl für
Magnetismus. Dass trotzdem die Ernennung Wolfarts erfolgte, hat er
Hardenberg zu danken, den W. v. Humboldt unterstützte.
Einer seiner Assistenten, Lorinser, schildert Wolfart als eine zum
Magnetiseur sehr geeignete Persönlichkeit. Er war ein kleines, zierlich
p;^('haiitps Miiimchen mit blassem Angesicht, braunröthlirhem Haar,
gebüi^t'ücr Nase, dunkeln blitzenden .\ugon und von grosser Boweq-lichkt'it.
In seinem Wesen und Äussern lag etwas Ätherisches. Er war eine
edle, poetische Natur, oÖ'en und wohlwuUend, welche Eigenschaft
allerdings durch die vielen Anfeindungen, die er von den meisten
Berliner Ärzten zu erdulden hatte, allniiihlich in Misstrauen verwandelt
wurde; ein unerniüdeter Arzt, wohlthätig gegen die Armen, die vor-
mittags in seiner Ileihinstalt umsonst behandelt wuiden. freundlich,
müde und versöbniicb gegen seine Kollegen und der grössteu Aufopferung
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Axm dan Tkgebflditni dm alten Helm.
23
fthig. „Er geborte zu den wenigen, die ihr Leben an eine Idee setzen
imd diese trotz aller Widerspruche, Schmachreden and Anfeindungen
mit aller Begeistemng und einem ungebrochenen Mnthe verteidigen.*
Wolfart hatte zur Verbreitung des thierischen Magnetismus auch
einen mcsmerischen Verein begründet, dessen Mitglieder ihn hoch ver-
ehrten. Die Zeitströmong nach den Befreinngskriegen einerseits, das in
weiten Kreisen wieder erwachte religiöse Bcwnsetsein und andererseits die
Fortschritte der Naturwissenschaft führten aber auch unter den Mesmeristen
eine Spaltuno; herbei. Die einen huldigten unter dem Einfluss des Pietismus
einem sich ininicr breiter machenden Hang; zum Mystischen, fragten den
Kranken nach seinem Glauben, wollten nur noch durch Gebet und Segen
heilen, verwarfen alle magnetischen Mittel und hielten es schliesslich für
sündhaft, ein Rezept zu schreiben. Einer von diesen sonderbaren
Heiligen, Dr. Breuer, trieb es gar bis zum Anachoretentliuin ; er lebte
längere Zeit in <ler Hasenhaide in einem Loch, das er in die Erde
hatte graben lassen. Natürlich verfielen sie, namentlich in Berlin, sehr
bald dem Fluche dei* Lächerlichkeit. Die anderen, Anhauger der
rationalistischen Anschauungsweise, schieden aus dem Verein aus, da
sie dieses Verfahren der Uberfrommeu lächerlich fanden. Sie ^hen im
Magnetismus nur eine Aufgabe für die Naturforschung, die Erfolge
habcm könne. So blieb Wolfart bald nur mit wenigen Getreuen übrig,
an deren Spitze er bis au setu Lebensende am 18. Mai 1832 seine
Sache verfocht; mit seinem Tode war sie aber auch verloren, denn
seinen Auhäugcrn fehlte die Intelligenz, um in seinen Wegen weiter zu
wandeln- Ein Verzeichnis seiner Schriften steht im Geiehiteu Berlin
1825 p. 306 ''^).J
1812.
17. April. Frau Geh. Rath Braun durch den D. Schmidt'')
magnetisiert gesehen. Ich bin nun überzeugt, dass der thierische
Ifagnetismus kein Unding sei. Ob auch Heilmittel? mnSB die Zeit lehren.
22. Mai. In der Hufelandschen Gesellschaft gewesen. Hofrath
Bremer zeigte der Gesellschaft ein Kind, welches Kuhpocken hatte,
wovon er die Materie von eint i Yielnnagd, die auf naturlichem Wege
▼on einer £uh, die diese Pocken hatte, beim Melken angesteckt worden
war, genommen hatte*").
2. Jnni Mit dem Hofiraih Bremer und D. Richter nach
Weissensee nnd Malchow, wo wir Kühe mit Pocken untersuchten sowie
eine Menge Kinder, die Bremer seit drei Wochen mit der Lymphe von
den KIlhMi genommen vacciniert hatte.
6. Oktober. Henie Mh den Staatskanzler besncht nnd ihm frei
heraus gesagt, dass der Eohlransch ans der Charit^ heraus müsse, da
Eohlransch im Yeigieioh mit Horn ein ganz unbedeutender Mensch sei.
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24
Qeofg Stoftriit
21. November. Mittags beim Staatskanzler v. Hardenberg in
Gesellschaft von Hufeland, Welpor, Sack, Jordiin, Gebel^^) pp.
gespeist . . . viel von Maguetismas animalis gesproclieu.
1813.
19. Februar. Abends in der finfelandscben Gesellschaft gewesen
und dem B. Bremer mein Direktoriat ftbertragen"*).
2. April. Vor Tisch nach der Gharitö geritten und mehr als 150
Nervenfieber-Patienten besehen.
2(3. April. Abends beim Geh. Ratli Forme y mit den Ärzten
Bremer, Horn, Reich, G rappeii <ri esser, Weitsch jxewe.sen, wo wir
uns beratlischlagten, wie der fernereu Ausbreitung der jetzigen ansteckenden
Nervpiifieber Grenzen gesetzt werden? und wenn diese Krajikheit
denu4uieraclit(>t ]i:tiitic2;er werden sollte, was in polizeilicher Hinsicht
dabei geschehen könne ^^).
1814.
20. November. In der Hufelaud sehen Gesellschaft gewesen, wo Dr.
Hofela\id eine selir gut ausgearbeitete Abhandlung vorlas über den
grossen Missbrauch der vielen ganz verschiedenen Namen, die ein und
das nämliche Mittel in verschiedenen Ländern hat"*).
20. Dezember. Vom D. Kr n ckenl>ere: " ■) besucht worden, der
uns die angenehme Naclirit ht hrac hte, dass er Professor Therai)iae zn
Halle geworden sei. Ich wünsche seinen Schülern viel Glück dazu.
1815.
31. Waez, In iViederichs Vorlesangen^O des Abends für 8 ggr.
gewesen, wo der D. Bandwurm nnd alle Aizte tüchtig mitgenommen
und lächerlich gemacht worden.
1. September. Abends in der Hnfelandsdien Gesellsohalt gewesen.
D. Schweitzer*') las eine Abhandlung, die eine Erz&hlong aller der
mit dem Magnetismus gemachten Euren enthält, vor. Nachher fiel er
über den D. Mangold und besonders über den Professor Reich, der
gegenwärtig war, her, die gegen den Magnetismns und seihst über die
Magnetiseurs übel gesprochen haben sollen pp. Ich glaube an die
Existenz des Magnetismus, aber als Heilmittel kenne ich ihn noch
gar nicht
21. Vom Leibarzt des nunmehr vertriebenen Königs von West-
falen, D. Zadig"*^) besucht worden. Ich habe mich ü\)er ihn moquiert,
Leibarzt von einem solchen König gewesen zu sein, da er doch ein
Deutscher ist
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Aus den Tagübüclieru des alten Ueim.
26
18. Okiober. Mittags beim Minister v. Sehn ck mann in Gesell-
schaft des nenangekommenen Geb. R. n. Prof. Berenda'Oi Hnfeland,
Forme y pp. gespeist.
1816.
3. März. Mittags wurde in der Stadt Paris der Stiftnngstag der
medizinisch-physikaiisohen Gesellscbaft durch ein frohes Mahl gefeiert
24. Mittags speiste ich an der Hufelandschen Gesellschaft auf der
Bdrsenhalle zar Feier des Stiftongstages.
17. Mai. Abends in der Hnfelandsofaen Gesellscbaft, von der ich
in Abwesenheit Hnfelands Direktor bin, las der Geh. R. Behrens eine
sehr schöne Abhandlung über die Wnth nach dem Bisa toller Thiere vor.
24. August. Mittags beim Geh. R. Hnfeland in sehr grosser
Gesellschaft von Ärzten, dem D. Mallfatti*^ ans Wien za Ehren,
gespeist
27. Mittags beim Chirurgischen General Rnst gespeist.
29. Abends bei Forme y, wo Malfatti auch war, noch über eine
Stunde geblieben, und uiich über Formeys Kenntnisse und Urtheile herz-
lich gefreut.
18. Oktober. Im Gräfeschen Cliuico die letzte Taliakotische
Operation machen sehen. Die Kühe and Sicherheit des Gräfe beim
Operieren geüel mir sehr gut.
[Die Operation gehört in das Gebiet der plastischen Chirurgie und
bezweckt, die fehlende Nase durch Überpflanzung eines Hautlappens neu
zu bUden. Vor Jahi-tauseiiden schon waren solche Operationen in Indien
bekannt, wo Verstümmelungen des Gesichts und der Nase noch heute
als Strafen üblich sind. Die einzige anerkannte Quelle über altindische
Heilkunde, Süsrutäs Ayurveda ist erst in neuester Zeit für diesen Zweck
gehörig ausgenutzt worden; es hat sicli daher ein förmlicher Sagenkreis
um diese Operation gebildet. Die indischen Arzte nahmen den Haut-
lappen zum Ersatz der Nase gewöhnlich aus der Stirn.
In Europa finden wir die Spuren dieser Operation zuerst im
15. Jahrhundert; ihre Kenntnis ist zweifellos aus Indien gekommen.
Der Arzt Branca in Catania stellte verstümmelte Nasen durch Trans-
plantation eines Hautlapiuns ex ore wieder her: sein Sohn Antonio
benutzte die Armhaut zur Heilung von Gesichtsdefckten. Während des
ganzen IG. .Tahrhnnderts beschäftigten sich Mit<:lieder der Familie
Vianeo, spater Bojani genannt, mit dieser Kunst, die sie nüt dem
Schleier eines dichten Geheimnisses umgaben. Nach Deutschland
gelangte die Kunde davon schon vor 1400, wie die Bundt-Ertzney
Heinrichs von Pfolspeundt beweist, der eine sehr deutliche Beschreibung
des Verfahrens giebt.
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26
0«org Siegerist
Das Verdienst, diese wichtige Oi>eration zuerst wissenschaftlich
behandelt zu haben, sjeböhrt dem Bologneser i'rofessor der Anatomie
und Chirurgie Gasj»are Tagliiicozzi, (1546 — löVH)). In seinem 1597 zu
Venedig erscliieneneu, übrigens sehr weitschweifigen Werke „De curtorum
chirurgia libri duo etc." gab er eine genaue Besclireibung der Operation,
za der er nur die Aruihaut benutzte und die in der Folgezeit den
Namen der italienischen Methode erhielt. Im 17. und 18. Jahrhundert
wurde die Operation fast gar nicht ausgeführt; Grund dafür ist in der
mangelhaften wissenschaftlichen Bildung der Wundärzte, in der Weit-
schweifigkeit des Baches Tagliacozzis and in den abenteaerlichen Aus-
schmftcknogen des Verfahrens za sachen; die hedeatendsten Ghurargen
bdiandelten es genngschätsig; die Pariser Akademie unter Dahois' Vor-
sitz heetriti die Möglichkeit überfaanpt
Da kam am die Wende des Jahrhanderts die Eonde von dem
indischen Verfahren nach England. 1794 meldeten ein von J. Wales
heraasgegebener Eapferstich and die Zeitung von Madras von einer
gelangenen Operation: gefangenen englischen Soldaten sowie einem
Paria in englischen Diensten, denen Tlppo Sahib von Mysore die Nasen
hatte abschneidea lassen, waren sie dorch einen Eingeborenen ans der
Stimhaat wieder ersetst worden. Englische Chirnrgen beschäftigten
sich Jetzt eingehend mit der Frage; 1814 and 1815 ersetzte Oarpne
in London zwei Offizieren die Nasen mit bestem Erfolge. Im folgenden
Jahre veröffentlichte er seine Erfahrongen in «On accoont ol two
saccesfiM Operations for restoring the lost nose etc.''. 1817 worde das
Bach ins Deatsche flbersetzt.
Inzwischen hatte Gräfe ohne Kenntnis der Operationen Carpnes
in Deutschland die ersten Nasenoperationen gemacht. Angetrieben durch
das Stodiam des Werkes Tagliacozzis hatte er schon 1811 die fehlende
Nasenspitze eines Mädchens aus den häutigen Seitentheilen wiederher-
gestellt; IBlf) gelang ihm die vollständige Neubildung der Nase eines
Mannes nach der italienischen Methode (aus der Armhaat), dem sie im
Gefecht am Montmartre am 3!. Miirz 1S]3 abgehauen war; der ganze
Prozess dauerte ein Jahr, doch gelaug die Operation. Inzwischen lernte
er die Schrift Carpues kennen und nahm 1SI7 eine Operati<in nach der
indischen Methode an einer Frau ebenfalls mit glücklichem Erfolg vor;
die Heilung vollzo|> sich binnen sechs Wochen. Endlich suchte Gräfe
die Vorteile beider Methoden, die schnelle Heiluni; bei der indischen
und das Vermeiden der Verunstaltung der Stirn bei der italienischen
in einer di ittt n, die er die deutsche nannte, dadurch zu vereinigen, dass
er den Hautlajtpen zwar aus dem Arm nahm, ihn aber nicht, was bisher
bräuchlich war, vernarben liess — dieser Vorgang dauerte mehrere
Monate — sondern ihn friscli transplantierte. Der Versuch wurde am
11. September läl7 gemacht und gelang; die so gebildete Nase ist nach
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AoB den Tagebüchern dea alten Heim.
27
der Abbildung, die dein Bericht Gräfes beigegeben ist, die scliönste der
drei aufgeführten. 1818 erschien Gräfes „Rhinoplastik" mit der aos-
foLrlichen Krankheitsgeschichte der drei gelungenen Operationen.
Daß Verdienst, die plastische Chirurgie in Deutschland ins Leben
gerufen zu haben, gebührt daher ohne Zweifel Gräfe: aus einer Ver-
schönerungskunst zu einem wirkiiclien Zweige der Heilkunde ausgebaut
hat sie sein grosser Nachfolger Dieffenbach, seit I82li in Berlin.
DiefiFenbach kehrte wieder zur indischen Methode zurück, bildete aber
später, um die hässliche Stirnnarl»e zu vermeiden, die Nase aus der
behaaiten Kopfhaut und mit glücklichsti m l^rfuige. Seine künstlichen
Nasen fallen nach den vorhandenen Zeichnungen durch ihre gefallige
Form auf und beweisen, dass er erfiilll hat, was er vom Rhinoplastiker
verlangt: „Der Chirurg muss in diesem Falle Bildhauer werden . . .
ich glaube, derjenige Chirurg wird die beste Hautnase machen, der
aaeh mit der Geschicklichkeit eines Bildhauers dieselbe aus unorganischer
Masse za formen im Stande ist". Dieffenbach hat eine grosse Reihe
Ton gelangenen Operationen ansgefflhrt, er giebt aber auch zo, dass
Jede einaselne Operation ein gewagtes Experiment ist „Beispiel» too
vahrbaft glänzenden Heilungen sind noch sehr selten, weit grösser ist
die Zahl derer, deren entstellte Physiognomie dnrdi die neugeschaiKme
Nase nur nm ein Geringes yerbessert wurde; noch andere sind dnrch
die Bhinoplastik ohne Widerrede noch weit mehr vernnstaltet» als sie
es TOT der Operation waren." Diesem Urteil stimmt Otto Weber in
Heidelberg bei, wenn er sagt: „Man mnss froh sein, wenn das Knntt-
prodnkt nicht an abschenlioh aos^lt*").]
1817.
1. Jannar. Iifitiags beim Geh. K Formey gespeist Er las mir
verschiedene schriftliehe Anfis&tase von ihm yor, Aber die er meine
Meinmig verlangte. Im ganzen war ich sehr wohl damit zufrieden, da
Formey ein Mann ist, dem man Talent und medizinische Kenntnisse
nicht absprechen darf, sondern die ich bei ihm verehre. Schade! dass
er bei ganz emsthaflen Dingen witzig wird nnd sein kann.
8. Gestern hat die medizinisch-physikalische Gesellschaft, ohne
zn ballottieren, mich einmfitig za ihrem Präsidenten, der sonsten
Klaproth war, gewählt Goerke schrieb mir hente einen Instigen
Brief hierfiber.
Februar. Als ich dem Herrn General-Chirurgus Rust") sagte,
er möchte sich bemfihen, den stolzen und habsftchtigen Hwm Geheimrath
Graefe etwas zu demflthigen, gab er mir zur Antwort: Das ist umsonst!
Dieser würde immer oben bleiben, wer diesen von seiner Höhe herunter
bringen will, der muss wenigstens, wo nicht noch schlediter, doch
ebenso schlecht als er sein, und ein solcher Mann ist hier in Berlin nicht
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28 Georg Siegerist.
Von eben diesem Hanne spricht einst die verstorbene Königin mit
einer ihrer Damen, lobte seine Verdienste pp. and setzt endlidi hinzu:
Schade, dass er immer so schmutzig aussteht. Kaum hat sie das
gesagt, tritt dieser Mann ins Zimmer. Die Königin scheint etwas ver-
legen zu sein, fängt aber gleich mit ihm von Kranken zu reden an und
fragt ihn: Aber wie schützen Sie sich vor der Ansteckung der Nerven-
fieber? — Ihre Majestät» bloss durch Reinlichkeit! Es ist der Königin
und ihrer Dame sauer geworden, sich des Lachens zu enthalten'*).
14. Mai. Bei Bandemer in grosser Gesellschaft meistentheils von
Ärzten, dem Jenner zu Ehren das Vaccinationsfest gefeiert Heute vor
21 Jahren (1796) hat Jenner das erste Kind vacciniert. Prinz Radziwill,
durch dessen Frau Gemahlin ich Knhpockenmaterie, die sie aus London
bekommen hatte, erhielt, und womit ich den 1. Februar 1800 das erste
Kind, den jetzigen Lieutenant Voigt, vaccinierte, waren so wie dieser,
meine Gäste.
26. September. In der Hnfelandschen GeseUschaft, wo ich heute,
da Hufeland abwesend war, den Plräsidenten machte, las der Prof Kluge
aus der Ghaiitö eine ganz vorzüglich gute Abhandlung über die Hunger-
und Schmierkur vor. Nach seiner Erfahrung leistete sie bei Herpes
nichts, bei Skropheln aber — so Ja — wenn auch alle GesehwÜie
heilen, so erfolgt die Abzehrung und Fieber darauf und die Kranken
sterben. — Bei Gicht thut sie herrliche Dienste sowie bekannt bei
allen Venerischen. Letztere haben fast alle nach der Kur ein überaus
seeliges Behagen in ihrem Körper, ein Wohlgefühl, desgleichen sie nie,
auch in ihren gesundesten Tagen nie empfinden haben. Lob und Dank
sei dem Gen. Chir. Rust gesagt, der nns Arzte hier in Berlin zuerst
mit dieser Kur recht bekannt machte und .sie ausübte ^^).
16. Oktober. Mittags auf der Börsenhalle von sämtlichen
Regimentschirurgen der i<reussischen Armee, in Gesellschaft von 280
Personen, die die Dienstführung von 5U Jahren des Gen. Chir. Goercke
feierten, bewirthet worden. Alle hiesigen Minister und Generale und
wohl an 80 Ärzte waren hier. Itoch nie ist wohl ein Arzt so als
Goercke öffentlich geehrt worden, und es auch mit so vielem Hecht
als er verdiente '^^).
5. Dezember. In der Hofelandschen Gesellschaft gewesen, wo der
G. R. Graefe drei Personen vorzeigte, denen er künstliche fleischerne
Nasen augesetzt hatte. Zwei waren an der Stirnhaut i^eliildet und die
eine von einem Stück der 0))er-ArQihaat. Schon nach acht Tagen war
diese Haut an der Nase fest angewaclisen, und die beste von allen, die
ich je gesehen habe und dem Graefe alle Ehre macht Wie schade
ist es nicht, dass dieser Graefe eine so niedeiirächtige Seele hat. Diese
konunt mir als ein Gesicht ohne Nase vor, die aber noch viel mühsamer
als seine künstliche zu heilen sein möchte.
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Aus den Tagebüchem des tüten Heim.
29
1818.
4. Mai. Mittags bei Jagor in (^psellscliaft mohreror Äi'ztc gospcist.
Eine Zahl von zwölf Ärzten haben hicli vorgenonuuen, immer den ersten
Montag des Monats bei einem Restaurateur des Mittags zusammen zu
essen und sich freundschaftlich zu unterhalten. Heute waren hier:
Hüfrath Schulze'-), Merzdorff, Weitsch, Rust, Horlacher^'*'),
Eberhard von Kuenen, Hauck.^^)
14. Mittags im Thiergarten bei Kempfert in grosser Gesellschaft
von Ärzten, die den Tag (den 14. Mai 1790), wo Jenuer das erste Kind
vaccinierte, feierten, gespeist.
1819.
2. Aogost Mittags beim Gen. Chir. Goerioke in Gesellschaft
von 40 Personen, fast lanter Ärzte und Chirurgen, gespeist. Nächst
dieser Gesellschaft wurden auch noch 120 Eleven hier gespeist. Es
wnrde nämlich heute der 25. Stiftungstag der Pepiniere gefeiert. Vor
Tische wohnte ich der Prüfung der Eleven bei. Rust examinierte vor-
trefflich, fast mehr für das zahlreiche Publikum und seiner selbst willen
als für die Eleven. Der Lehrer Preuss hielt eine meisterhafte Rede,
die mich für diesen Mann u^miz eingenommen hat"*").
fi. In der Hnfelandschen Gesellschaft gewesen, wo Hufoland
eine \ (u treffliche Abhandlung darüber vorlas, dass in allen Welttheilen
im ganzen die Geburten der Knaben zu den Mädchen sich wie 21 zu 20
verhalten.
17, Septeml)er. In der Hnfelandschen Gesellschaft gewesen, in
der Reg. R. Neu manu'") eine gute Abhandlung über die jetzigen
epidemischen Fieber vorlas.
10. Dezember. In der Hufeiandsehen Gesellschaft las Rust eine
sehr gute Abhandlung über diu sugenauute egyptische Augenentzünduog
vor'«>
1820.
3. Min /.. Nachmittags bei Hufeland in Gesellschaft von P) Personen
Versuche, die der Prof. Kieser""), die Rhabdomantie und den Syderisrrius
betreffend, beschrieben, nacligom;i(ht, aber von 7 keinen einzigen
bestätigt gefunden. Wäre ein ganz Fremder bei diesen Versuchen ins
Zimnu r. w'> wir waren, gekommen, der hätte von uns glauben müssen,
wir wären alle verrückt.
l'.l. Mai. In der Hufelaiidsclu'ii Gesellschaft gewesen, wo der
Geh. K. Behreuds eine gelehrte Abiiaudliing über zwei Hipitukratische
Aphorismen'"*) vorlas, zu denen ich nachher noch einige lustige
Erläutern n LTP n gjib.
19. August. D. Ha hnemanns Organen durchzulesen heute geendiget.
Ich hätte etwas besseres thun können als meine Zeit damit zu ver-
^ ij . .-Lo i.y Google
30
Geoig Siagenst.
schwenden. Anf einem Bogen hätte dieser arrogante Maua das Wesent-
lichste dieses Buches recht gut sagen können'*).
'\>^. November. Mittags beim Geh. K. Forniey gespeist. Nach
Tische mich mit ihm über medizinische Gegenstände sehr augenehm
unterhalten. Unter den Inesigen Ärzten ist und bleibt er immer der,
der den meisten Menschenverstand hat, richtig denkt und in wissen-
BcbaftUcher Beziehung ohne Vorurtheiie ist
1821.
26. Januar. In der Hnfelandadien Gesellschaft gewesen, wo es
mir aber nicht gefiel^ da der Geh. R. Hermstedt"*) eine so schlechte
Abhandlimg vom Toback vorlas.
22. Febniar. Znm Essen bei mir gehabt den Prof. Ste glehner
aas Bamberg, Formey, Reich etc. . . . Ober die Bildnng des so-
genannten Hermaphroditen, wozn ein Präparat, welches ich von der
Art habe, Gelegenheit gab, und weldies ich vorzeigto, gab mir der
Steglehner gate Ansknnft.
17. Bfftrz. Den KegierungsratU Prof. Weinhold"*) ans HaUe hier
kennen gelernt
6. November. Abends als Präsident figuriert'*"). Meyer las über
den Katzenjammer eine schlechte Abhandlung vor, die Polarität sollte
den Katzenjammer richtig erklären.
30. Abends in der Hufelandschen Gesellschaft gewesen, wo er
einen guten Aufsatz über Erkenntnis der verschiedeneu Ursachen der
Taubheit und Heilmethoden vorlas.
1822.
3. Februar. Mittags in der Stadt Paris gespeist, wo der Stiftungs-
tag der physikalisch-medizinischen Gesellschaft, wo ich der Präsident
bin, gefeiert wurde. Zu meinen Gästen die sechs neuaufgenommenen
Mitglieder, die Doktores Klaatsch ""), Hecker"'), Moldenhauer,
Professor Eck"*), Chirurgus eines Regiments Hör lach er und Prosektor
Schlemm"*) . . . gehabt
2. Juli. Mittags wurde bei Simon das 25. Doktor-Jabelfest des
Heinrichs Meyer und Hofraths Schultz in Gesellschaft von mehr als
öü Personen gefeiert. D. Weitsch, Hanck und der Xheater-Schults
hielten lustige Beden.
30. Oktober. Mittags im Thiergarten beim Geh. R. Formey
gespeist. Die Arste Beg.-Rath Nie mann"*) aus Merseburg, der Prosektor
Purkinje'") ans Prag, Hesse"'), Welper, Horn nnd Staatsrath
Hufeland, Bialer KrtLger waren hier.
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Aus den TagebQcbem dea altea Heim.
31
1823.
1. März. Mittags im Mnnatsklul) gespeist. Hofratli Schulze
machte die Naturphilosophie fast zum Narren.
1. April. Abends als Präsident in Gesellschaft gewesen. Hof-
medikus D. Kunstina uu las <'ine Abhandlung über Schuppen vorzüglich
der Fische vor, zeigte eiue grosse Meoge derselben und alle geheleu uus
sehr wohl.
1824.
6. August. Mittags bei Eempfert zur Stiftungsfeier der Pepiniere
vom Gen. Chir. Wiebel'") in Gesellschaft von 79 Personen sehr gut
bewirthet worden. In der Pepiniere selbst die Rede des Prof. Kluge
mit angehöi*t, und daselbst auch den Prinzen Wilhelm, der mir sehr
froQDdschafÜicli seine Hand gab and den Prinzen von Mecklenburg
gesprochen.
5. November. Lange in der Hafelandschen Gresellschaft . . . .
Rost las die Yerhandlnngen vor, die man mit dem Wanderdoktor, oder,
wie Rnst ihn nannte, dem Pferdeknecht Grabe vorgenommen hatte.
[Grabe war ein Pferdeknecht im Alter von 29 Jahren aus dem
Regierungsbezirk ^ferseburg, der sich den Magnetismusglauben der Zeit
zu Nutze machte, um Wunderkureu auszuführen. Seine lleilkunst
wollte er von einem Scharfrichterknecht gelernt haben. Er gab vor,
Magnetiseur zu sein, war aber thatsächlich ein Beschwörer und Quack-
salber, der alles behandelte, was ihm zulief, Menschen und Vieh. Er
wurde im Sommer 1824 nach Berlin gebracht, um hior vor einer
Ministerial-Kominis.sion, an deren Spitze Rust stand, Proben seiner
Heilkunst abzulegen, doch versagte er jämmerlich; von S5 Kranken,
die ihm zur Behandlung übergeben waren, wurde nicht einer kuriert.
Seine Behandlungsweise bestand im Betastem, sehr groben Streichen und
Drücken und oft — Bespucken der kranken Körpertheile, wozu er die
widersinnigsten Beschwörungsformeln murmelte. Am letzten Tage der
Untersuchung machte er mit einer Gabel (!) einen Selbstmordversuch,
der indessen nur ein Gaukelspiel war: er ritzte sich knai»}) die Haut.
Er wurde in seine Ueimath zurückgtschickt und ihm in Zukunft alles
Kurieren verboten. Die Angelegenheit entfesselte einen wahren Zeitungs-
krieg, da die weitesten Kreise, Gebildete und Ungebildete au Grabes
Wnnderkralt glaubten und öffentlich für ihn eintraten"").]
7. Dezember. In der medizinischen Gesellschaft gewesen, wo der
Hofrath Schals <nne ansinnige natarphilosophische Abhandlang ▼OEla&
1826.
12. Februar. Mittags bei Simon, wo der Stiftungstag der pliysikalisch-
mediziuischen Gesellschaft, von der ich Präsident und Kudolphl
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Georg Siegerist.
Sekraför ist, gefeiert wurde, gespeist . . , Vor Tische nach SchÖnhaiisen
geritten, aber Prinzessin Angoste Solms nicht sn Hanse getroffen. Anch
D. Eranichfeld"*) war nicht zn Hanse. In seiner Wohnstabe traf
ich kein einziges medizinisches, aber eine Menge geistlicher (jebetbücher,
nnter denen mancher Schmöker war, an.
4. April. Abends in der grossen medizinischen Gesellschaft
gesehen, welchen schlechten Vortrag der Professor Reich hat.
2. Dezcinher. Gestern Abend starb der Geh. R., D. und Prof.
Bereuds, 74 Jahre alt. Er Nvar kein Praktikus, aber Pedant und
Charlatan, letzteres wohl mehr als ersteres; ein dicker, starker und
dabei grober Mann, welche Stücke ihm eine starke Praxis und auch
Huf gaben.
15. Dezember. Gestern früh hatte unser guter König das Unglück,
von einer Treppe zu fallen und beide Knochen des rechten Unterfusses
zu zerbrechen. Die ganze Stadt nimmt an diesem Unglück wahren
Antheil und so auch ich. v. Graefe, den man zum König hatte rufen
lassen, war in Pantoffeln dahin <>:ekommen. Man sagt, er habe sich
die Stiefeln zu Qause erst ausgezogen, und ein solches Gerücht mag
wahr sein"").
1828.
3. Januar. Mittags im medizinischen Klub gespeist und wurde
D. Steinrück statt dem verstorbenen Mediciual H. Erhard ^'^) zum
Mitglied erwählt.
15. März. Starb der berüchtigte Doctor medicinae Boehm, den ich
über zwanzig Jalirc' ganz genau gekannt habe. Als Arzt und Gelehrten
fälle ich kein Lrtheil über ihn, aber als Mensch war er einer der
grössten Spitzbuben und Schurken, die ich je gekannt habe, der nicht
ein- ja zehnmal den Stanjibesen verdient hat. Ich bin stolz darauf,
dass ich ihn gleich bei unserer ersten Bekanntschaft richtig erkannt
nnd beurtheilt habe.
19. Mai. Morgens nach der Charit^ gefahren, wo der D. Jüncke^")
in Gegenwart von zahlreichen Studenten und Professoren durch eine
lange vom Geh. R. Rust gehaltene Rede als klinischer Augenarzt ein-
geführt wurde, füi- weicht! Auszeichnung nachher Jüncke dem Minister
von Alten stein and dem Knst in einer noch längeren Rede ehr-
erbietigst dankte.
3. JnnL Abends in der physikalisch-medizinischen Gesellschaft
ge-wesen, in der D. Krause eine gelehrte Abhandlnng über die
idiopathische Herz-Entzündung vorlas. Die so schmei'z- und qualvolle
Krankheit des so geistreichen D. Heinrich Meyer hat mich seit mehreren
Tagen und auch heute sehr beunruhigt, und wenn ich vor ihm stand,
dachte ich hodie tibi cras mihi.
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Ans den T»gebfloh«ni des alten Heim.
33
1. Oktober. Mittags bei Jagor im medizinischen Klab gespeist.
Wurde der Pbysikas BareU"^ ^ Stelle des verstorbenen Meyer cum
Mitglied gewählt
1830.
25. Mai. Von dem berühTiiteu Hofrath HedtMins^^^) aus Dresden
besucht worden. Der Geh. Rath v. Graefe ist sein Schüler.
1881.
1. September. Haben sieh die ersten Gholerakranken gezeigt.
7. Starb der D. Ealow*'') an der Cholera^ nachdem er gestern
noeh einen an dieser Krankheit Verstorbenen sesiert nnd dessen Blat
gekostet hatte.
22. Nach Charlottenborg gefahren und daselbst gesehen, dass das
ganze Sohloss nnd Ghirten mit Schildwachen cemiert ist.
7. Oktober. Die CSholera liegt ims allen in den Gliedern. Es sind
doch jetsst ganz erb&rmlidie Zeiten.
3. Dezember. Nach Charlottenbnrg gefahren und uns von dem
Gast wir th Moscau, der dicht am Schloss wohnt, alle die Gebäude nnd
Anstalten, die der König gegen die CSholera hatte treffen lassen, zn
zeigen, und welehe.s wir bewundern mnssten. Da jetzt keine Cerniemng
mehr stattfindet, hat der König dein Moscau alle diese Gebäude und
noch 1000 Kthlr. Miethe för dessen Haus und Garten ge.s(;hetikt.
5. Ist der erste Tag vom 31. August an, wo kein Cholerakranker
gemeldet worden, und befinden sich nur noch sechs Kranke in der
Beliandlung.
9. Heute ist an der Cholera keiner gestorben noch hinzugekommen.
1882.
19. Februar. In allen Kirchen wird Gott gedankt, dass die
Cholera nns verlassen habe.
[Der erste offiziell konstatierte Gholerafall ereignete sich am
29. Angost In Charlottenbnrg bei einem Schiffer, am 80. erfolgte der
zweite Fall in Berlin bei einem Schiffer auf einem Spreekahn; am
31. wurde die Sendie von der Geaundheits-KommiBSion für ausgebrochen
erklärt.
Schon 1830 hatte man in Preussen begonnen, Yorkelirungen zn
ihrer Abwehr zn trefl'en. Im Dezember d. J. war eine Kommission
unter Führung des Medizinalratlis Di . Albers aus Gurabinnen nach
Russland geschickt worden, um die Krankheit an Ort und Stelle zu
beobachten. Die wissenschaftlichen Erörterungen leitete Rust; zur
Bearbeitung d»'r Angelegenheit in administrativer Ilinsicbt ward eine
Kommission gebildet. Tn einer Sitzuiiü, dpr wisscnschaftliclH'n Deputation
für das Medizinahveseu wurde die Kontagiositiit der Krankheit als
wahrscheinlich bezeichnet und es wurden dahingehende Massregeln
▲roh. 8
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84
besclilossen, tun die Einsohleppniig za verhflten. Graefe schlug vor Abwehr
die Einftthriing von Gesandheitepatenten, die Einrichtung einer Sanitäts-
Aviso-Idoie und die Organisation des provisorischen Gesuudheitskordons
vor. Im Aprü 1831 erschienen die ersten Verordnungen, als : Instruktion
ftber die zu ergreifenden Massregeln, Instruktion für die Kontumas-
beamten, Anweisung über das Desinfektions verfahren, Bekanntmachung
betreffend Einführung der Gesundheitsatteste, Anweisung zur Erkenntnis
und Heilung der Cholera, Anweisung zur Erhaltung der Gesundheit und
Verhütung der Ansteckung. Am 31. Mai, nachdem seit dem 10. April
die Seuche sich in ganz Polen ausgebreitet hatte, wurde die Ausführung
der vorbereiteten Massregelii befohlen; die Grenzsperre durch einen Militär-
kordon sowie die Koutuniazaustalten traten in Wirksamkeit, alles unter
der Annahme der Kontagiosität der Krankheit Rust war davon so
überzeugt, dass er an Alexander v. Humboldt schrieb: „Sollte der
Glaube an die Nichtkontagiositä t der Cholera von Staa ts wegen (!) geboten
sein, so kann ich als guter und folgsamer Staatsbürger nur ausrofea:
Herr! Nimm mir den Verstand oder den Glauben!***'*')
Bald aber erhoben sich Stimmen gegen die Kontiigiosität; sie
beriefen sich auf das schnelle Eindringen der Seuche in Preussen trotz
Kordon und Kontumazen. Das Publikum erkannte bald die Nutzlosigkeit
dieser Imclist lästigen Massregeln und verlaugte deren Beseitigung,
doch umsonst. Die Regierung hatte diese Massregelu augeordnet, also
wurden sie mit äusserster Gewissenhaftigkeit und Strenge des preussischeu
Beamtenthums durchgeführt. Die ersten, die die Kontagiosität wissen-
schaftlich angriffen, waren der Dr. Zoubkoff (Observations sur le cholera
morbus) nnd der BataUlonsarzt Koch in Stettin (Über die oholera
morbus). Ein gefährlidier Gegner erstand dem Eoutagiositätsglauben
in dem Medizinalrath Lorinser in Oppeln, der im Herbst 1831 anf Anf-
forderong der Sodet&t I9r wissenschaftliche Kritik in Berlin einige
Cholerascfariften recensierte und hierbei seine Ansicht entwickelte, dass
die Cholera keine pestartige Krankheit und durch Kordons und Kontu-
mazen nicht zu bek&mpfen sei Wider seinen Willen erschien diese
Becension am 4., 5. nnd 6. Oktober in der „Staatszeitung", wo bisher
nur Kontagionisten das Wort geführt hatten, und entfesselte unter diesen
einen Sturm der Enträstnng; dennoch aber wurden nun Kordons nnd
Kontumazen endlich aufgehoben. Namentlich Rust und der Minister
V. Altenstein waren auf Lorinser sehr V)(3se; ihm wnrde seine Pflicht als
Beamter entgegen gehalten. Als er im März 1S32 nach Berlin kam,
musste er von Altenstein eine gewaltige Strafpredigt anhören und erst
als er erklärte, dass seine Kritik ausschliesslich für ein wissenschaft-
liches Blatt bestimmt gewesen sei und er in seinen amtlichen Hand-
lungen, allerdings gegen seine Überzeugung, die erlassenen Vorschriften
streng befolgt habe, wurde der Minister wieder freundlicher. Die
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Aua den Tag«bacheni des alten Heiuu
85
öffentliche Meinimg und die meisten Berliner Arzte standen auf Lorinsers
Seite; Hufeland und Wiebel dankten ihm lebhaft für seine rechtzeitig
erschienene Schrift.
Die Frage nach der Entsiehang der Krankheit reifte abenteaerliche
ADSchawingen. Bei ihrem ersten Auftreten in Europa vennutheto man
in den n^onthümlicb geförbten, nebelartigen Verdunkelungen der Loft**,
die an melireren Oi*ten vor dem Aasbrach der Sfuclie beobachtet waren,
dichte Schwärme niederer Organismen, „Cholera-Thierchen", welche die
Verbreitung vermitteln sollten. Diese Ansicht wurde durch Ehrenbergs
Beobachtungen über die weitreichende Verbreitung von Infusorien durch
den Wind unterstützt. Ehrenberg selbst erklärte später auf Grund von
miki'oskopischen Untersuchongen der der Luft beigemengten Stoffe in
den von der Cholera ai^ heimgesuchten Häusern diese Hypothese für eine
Faf^elei. Man begann nun die erkrankten Organe, das Blut, die Ex-
kronicnte zu untersuchen, und hier hat Ludwig Böhm (f 1. August 1^09
in Berlin) als erster auf das VorkoniTnoii kryptogainiscber, den
Gährung^pil/.eij iUinliclier Körper in den Entleerungen und im Darm-
kanal au&nerksam gemacht.
In Berlin ging die Regierang beim Ausbrach der Seache sehr
energisch vor; es waren fünf Gholera-Lazarethe eingerichtet worden,
ferner traten 61 in der Stadt vertheilte Gesondheits-Kommissionen
sasammen, an denen 1500 Arzte, Kommanal- nnd Poliseibeamte Thefl
nahmen and die an 100000 Thaler aasgahen. Um das Pablikam, das
anfangs sehr betklommen war, mit wahren Nachrichten an versehen nnd
alle onnöthigen ü^nfbaosohangeii nnd Bennrnhigangen im Eeime m
erstiofceo, gab der Dr. Gasper vom 24. September ab die jede Woche
zwei- bis dreimal erscheinende Cholera-Zeitung heraus, die sämtliche
Erkrankungs- und Sterbefälle meldete, Nachrichten aus den Lazarethen
brachte und behendgenswerthe Winke über die Behandlung der
Krankheit und Massregeln zum Schutz gegen sie enthielt. Das
Pnblikum wurde durch zahlreiche Anfragen eifriger Mitarbeiter an
diesem Blatte; jede begründete An&age wurde eingehend beantwortet.
Ein Überängstlicher fragte, ob man sich satt essen dürfe nnd erhielt
die trostende Antwort, dass man das sogar müsse. Ein anderer schlug
vor, wie bei den Pocken das Cholera-Contagium einzuimpfen etc.
Wissenschaftlich wurde die Ki-aukheit in dem Cholera-Archiv behandelt,
von dem drei Bände erschienen. Natürlich blühte eine ganze Cholera-
Industrie auf; das Publikum, das einer ganz neuen Krankheit gegen-
über stand, kaufte willijü: jedes angepriesene Präservativ; die Apotheker
hielten vine goldene Ei nte. Die Zeitungen wininielten von Anpreisungen;
Cholera-Essenzen, -Küuclieruugen, -Liköre, -Taljake, -Cigarren, -Leinwand,
-Wolle, -Papier und zahllose andere Artikel gingen reissend ab. Da-
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gegen machten Obsfliftndler, Restaaraienre and Bierschenker ein schlechtes
Geechftft.
Nach wenigen Tagen hatten alle Stadttheile Knmke; die hfichste
Ziffar der Erkrankungen wies der 22. Oktober mit 806 nnd an Sterbe-
fällen der 1. Oktober mit 212 anf. Im ganien erkrankten von £nde
Angnst bis Ende Januar 2335 nnd starben 1426 Personen. (Nach
anderen Angaben erkrankten in 163 Tagen 2271). Die meisten Opfer
forderte die Seuche in den wenige bemittelten Klassen; es erkrankten
711 Handwerker, 79 SchifVer, 112 Dienstboten, 327 Handarbeiter, da-
gegen aus den wohlhabenden Ständen nur 144. Diis Militär wurde
dank absolater Abspermngsmassregeln fast gar nicht betroffen ^'^]
28. Oktober. Den Professor der Anatomie Rndolphi sehr elend
an der Wassersncht gesehen, welches betrübte; er ist einer der
gelehrtesten Männer und ein redlicher Mann"*).
i) E«niBt Gottfiried Kar eil a, geboren den IS. Httrz 1735 suKeldenborg
in Otspreussen, lebte als Arzt und Rath am Ober-Medidnal-KoUegium und
Ober-Kollegium medicum et eanitatis in Berlin. Er hat das bekannte seinen
Namen führende Brus^ulver angegeben (Pulv. liquirit. corapos.). Von seinen
Schriften sind zu nennen: „Entdeckung der Maximen, ohne Zeitverlust und
MUlie ein berühmter und reiciier Arzt zu werden" (17.50), , Chemische Ver-
suche und Erfahrungen" (17r»ti), „Das Leben des Menschen philosophisch
und medizinisch betrachtet" (1747). Er starb zu Berlin am 28. Juli 1799.
(Garlt und Hirsch, BiographiBches Leadkon der herrorragendsten Ante
DentBchlands HL 574. Mehring, Neuestes Gelehrtes Berlin 1795. L 380X
i) Johann Georg Krttnitz, Arzt und Eneyklopädist, am 28. MHrs 1728
sn BerUn geboren, lebte nach grOssovn Beisen s^t 1769 dauernd in Berlin und
besehllfligteelcbhierausBchliessUcbniitlitterariBChenArbeiten. Am bekanntesten
ist die von ihm herausgegebene , ökonomisch-technische EIncyklopädie, oder
allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft" (seit 1773).
Das ganze Werk umfa.sst .M Bände, von d<Mien K. die ersten "(3 verfasst hat.
Seine sUnitlichen Arbeiten sind komjMlat(»rischen oder bibliographischen
Charakters, so „Verzeiclmiss der \ umelnnsten Schriften vun den Kinder-
pocken und deren Einpfropfung U V 08), „Verzeichniss der vornehmsten
Sehrlften von der Elektrintät nnd den elektrischen Kuren« (1769). Erstarb
zu Berlin am 20. Dezember 1796. (Allg. deutsche Biographie XVn. 253,
GeL Berl. 1795 p. 256 ff.)
s) Friedrich Ton Wendt, geb. 1738, seit 1778 Profeesor der Medizin
zn Erlangen. Er war der Begründer des dortigen klinischen Instituts, 1802
Erbauer des Krankenhauses nnd Präsident der deutschen Akademie der
Naturforscher. Er starb 1816. (Biogr. Lex. VI. 238.)
Ans dm Ttfobaditni dw alten Hebn.
37
4) Johann Goercke, General-Ghinirgiia» Beigrttnder der Föptniöre, war
am 3. Mni 1750 zu Sorqnitten in Ostpreussen geboren. Er machte die
prenssische Militür-Chimrgcn-Laufbahn durch und wurde 1797 Nachfolger
Thedens. Seine Ilanptverdienste liegen auf sanitätsorganisatorischem Gebiete ;
er richtete in dem Kriege gegen Frankreich 1793 die fliegenden Feld-
Lazarethe ein für je lOuO Kranke, brachte auf Federn ruhende Kranken-
wagen nach dem Muster eines von den Engläodera auf ihrem Rückzüge in
Holland sorttokgelaesenen In der preoariaehen Armee cor Anwendung,
errichtete 1814 die Veliten-Kompagnien (Erankentritger-Abtheilongen). Als
1809 daa seit 17S4 beetefaende CoUeginm medioo-chiroigieam aii%eUtet
wurde, rief er es als medizinisch -chirurgische Akademie fttr daa liilitMr 1811
wieder ins Leben. (Biogr. Lex. II. 508. Prenas, Goercke's Leben und
Wirken M«17.) Zur Geschiehtc der P6piniöre vgl. Preuss, das königlich-
preussische Friodrirh "Wilhelms ■ Institut zu Berlin (1819) und neaestena
Schickert, Geschichte des Friedrich Wilhelms-Instituts.)
b) Johann Gottlieb Zenker war seit 1789 Professor der Chirurgie l)eim
Collegium niedieo-chirurgicum und trat bei Begründung der Pepiniere in deren
Lehrkörper über. (Preuss, Gesch. d. Fr. W.-Inst.)
«) Karl Wilhelm Stoscb, Geh. Kath und Königlicher Leibarzt,
gestorben 1810.
7) Johann Christian Anton Tbeden, erster General -Chirurgus, ein
Mecklenburger, geboren am 13. September 1714, in der Barbicrstubo vor-
gebildet, begann aeine Laufbahn ala Eskadrona-Feldacheer 1737. Seine
Haaptrerdienate liegen auf ehirorglaebem Gebiete: die Thedensche metho-
diaehe HÜnwicklnng der Glieder an Yerschiedenen Zwecken, daa Thedensche
Wnnd- oder Schosswasser fttr kalte UraschlUge. aus Essig, Weingeist, Zucker
und verdünnter Schwefelsäure bestehend; endlich iBt sein Blutstillungs-
Verfahren mittels kegelförmiger Tampons aus Charpie-Sindons. spMter
Feuerschwamms und Druckverbandes zu nennen. Zur Verbreitung der ])lei-
prUparate bei Behandlung chirurgischer Krankheiten liat er das Scinigc bei-
getragen; wichtig sind endlich seine Erfahrungen über den Nutzen des
kalten Waaeers hei denselben Krankheiten. Unter seiner Leitung wurde das
erste preossiache Feld-Lasareth-Befflement erlassen. Er starb am 21. Oktober
1797. (Kogr. Lex. V. 642. Geh BerL 1795. 924 ff. Gnrlt, die Kriegschimrgie
der letiten l&O Jahre in Prenssen p. 26.)
•) Christian Ludwig Hnrsinna, geboren, am 17. Dezember 1744 zn
Stolp in Htatterpommem, war ebenfalls zuerst bei einem Bader in d«r Ldire.
1761 wurde er Lazareth-Chiruigus und studierte unter Cothenius und Theden.
1797 war er General -Chirurgru.s und bald darauf Professor der Chirurgie
erst 1820 gab er als solcher seine Vorlesungen auf. Er war ein geschickter
und glücklicher Operateur. Sein Tod erfolgte am 18. Mai 1823. (Biogr.
Lex. IV. 322. Gel. Berl. 1795. II. .51.)
9) Christian Gottlieb Seile, Geh. Kath, Professor der Medizin und Arzt
an der Charit^, geboren am 7. Oktober 174h zu Stettin, seit 177V in Berlin.
Nach dem Tode Muzells wurde er Leibarzt Friedrichs des Grossen und
schrieb nach dessen Tode die »Erankheitsgeschichte des bOchsteeligen
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Könifj^s von Preussen, Fricflrichs II. MajcstUt" (1786). Auch Prifidrich
Wilhelms II. Leibarzt wurde er; Friedrich Wilhelm III. ernannte ilin 1798
zum Direktor des ( olleg. nicd.-chir. Seit 1786 war er Mitglied der
Akademie der Wisscnsciiaiten und .5 Jahre lang Direktor der philosophischen
Kluäßc; er starb am b. (nach lleim ü. Siehe pag. l'i) November 1800. Er gab
beraos „Medicina dtnica oder Handbuch der medisiniBcben Fnuda* (.1781),
»PhilosopbisGhe Gespräobe* (1780), .GnmdBätBe der reinen Philoiopbie* (1788).
Als Phllosopb war er Gegner Kanta. (Biogr. Lex. V. 356. Gel. Berl« 1795. IL 153,
Hamack, Gesch. d. Akademie I, 546.)
lo) Johann Ludwig Pormey, geboren 1766 zu Berlin, wurde 1796
Kgl. Leibarzt, 179H Professor am rollc^'. mcd.-ehir,, starb am 23. Juni 1823
als vortragender liath in der Medizinalabtheilung des Ministeriums des
Inneni. Sein bekanntestes Werk ist ^Versuch einer medizinischen Topo-
graphie von Berlin" (1796); mit Klaproth bearbeitete er die Pharmacopaea
Bomssica. (Biogr. Lex. II. 40(>.}
u) Jobannes Nepomnck Bremer ans Hilgen walde, Hofiradi, geboren
1745, war 38 Jabre hindnrch als Arzt in Berlin thätig. Er war ein wanner
Freund der Annen und hat sich namentlich um die Sebatspocken-Impftmg
als erster Impfarzt in Berlin sdir verdient gemacht; er starb 18 IG. (Budolpbi,
Index numismatum in virorum de rebus medicis Tel physicis meritorom
memoriam percussomm, 1^35 p. 55.)
ij) Georg Heinrich Boehr, Dr. med., Arzt in Berlin, geboren zu
Freystadt in Nieder-Schlesien am 7. April 1757, war königlicher Ilofmcdikus
und Arzt des Beriiinsciien Gymnasiums. (Gel. Berl. 1795. 11. 289.)
n) Job. Christoph Andreas Meyer, geb. 1747, war seit 1786 Professor
der Botanik und materia medica beim (^oUegium medico-cblmrgiciim; schon
vorher war er Professor der Anatomie bei diesem Institut gewesen, dann
nach Frankfbrt a. O. gegangen; er starb am 15. November 1801. Sein
Nachfolger >vurdc L. E. von KOnen. (Preuss, Gesch. des Friedrich Wilhelms-
Instituts 162. 164.)
h) Christian Friedrich Riehter, gcbnren 171t zu Halle, Hess sich 1770
als Arzt in Berlin nieder, starb dort als (Telieimer Über-Mcdizinalrath. Er
schrieb: ..Beitrüge zu einer praktischen Fieberlehre" (1794), (Biogr. Lex. V.
17. Gel. Berl. Ib20. p. 217.)
1») Alexander Eoelp in, danischer Chirurg, 1731 in Uetersen in Holstein
geboren, Professor fttr Chirurgie In Kopenhagen. 1791 ftlhrte er durch eine
unglttckliche Trepanation den Tod des Konferenzrathes von Berger herbei,
welcher Fall su einer umfangreichen wissenscbaftliehen Fehde Anlass gab.
Iii er auf scheint Bich auch Heims Urtheil Uber K. zu bcEiefaen. (Biogr. Lex.
HL 518.)
16) Christian Wilhelm Hu fei and, Heims berühmtester Kollege,
geboren 12. Aii^^ust r,G? zu Langensalza, war erst Arzt in Weimar gewesen,
wo er als ihr Arzi mit Wieland, Herder, (ioelhe, Schiller in Verkehr trat;
seit 1793 Professor in Jena, schrieb er dort seine Makrobiotik, die 1796 zum
ersten Male erschien unter dem deutschen Titel: „Kunst, das menschliehe
Leben zu verlängern«', und in fsst alle europSischen Sprachen ttbersetst
wurde. Als Gegner des Brownschen Systems (siehe p. 4) hatte er eine
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Ans dm T^tebaebeni dei ■lim Hdm.
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10 Jahre dauornde litterarische Fehde durchzufechten, die ihm viel Vcrdruss
bfreitpte. Nach Seiles Tode (1800) wurde er dessen Nachfolpor, kgl. Leib-
arzt, Direktor dvs rollog-. mod.-cbir. und erster Arzt au der Charitc. Hier
hatte er mit seinen Kollegen Fritze und Horn heftige KUmpte zu l)estehen.
1810 wurde er zum Professor der speziellen Pathologie und Therapie an der
UniversitÄt ernuunt und erüöhete hier die medizinische Poliklinik, das erste
lüBtinit dieser Art für ame Kranke in BerUn. Er starb am 25. August 1836.
EfDgebenderes findet sieh in der Biographie Ton Angöstln, «Chr. W. Hofe-
lands Leben nnid Wirken fOr Wissensehaft, Staat und Menschheit". (1837).
Ein Verzeichnis seiner Schriften ist im Gel. Borl. 1826. 117 IT. zn finden.
(Biogr. Lex. IlL 305. Allg. d. Biogr. XUL 28611.)
it) Joh. Christian Wilh. Janker, geb. 1761 zu Halle, Professor fOr
Pathologie und Tberafiie in seiner Vaterstadt. Seit 1794 entsagte er der
ärztliehen Praaüs, un die Pocken zu bekämpfen nnd wurde ein begeisterter
Anhitoger der Jennerschen Entdeckung. Er starb schon am 27. Deaember
1800. (mogr. Lex. HL 430. Ersefa. n. Grober, Sekt IL Bd. XXIX. 139.)
18) Marcus Herz, g^eboren nm 17. Janiuir 17 17 zu Berlin. Als Kauf-
mannslchrling in Königsberg begann er Kant zu hüreu, biudierte dann in
Beriia und Halle Medhdn und liess sich in Berlin als Arst nieder. Lange
Jahre wirkte er als Arst des Krankenhauses der jüdischen Gemeinde. Er
hielt als Erster Vorlesungen über Experimentalphysik. 1787 wurde er zum
FrofiBssor der Philosophie ernannt. Beine Gattin war Henriette Herz. Er
starb am 30. Januar 1803. Unter seinen vielen Schriften seien genannt:
„Versuch über den Geschmack, und die Ur.sachen seiner Verschiedenheit"
(1776), „Briefe an Ärzte" (1777) „Versuch über den Schwindel" (178ö).
CBiogr. Lex. lU. löO. Gel. Bcrl. 1795. L 200.J
1») Georg Friedrich Mtthry, geboren zu Hannover 1774t machte seit
1796 wissenschaitlichc Reisen nach Berlin, Jena und Wien und liess sich
dann in seiner Vaterstadt als Arzt nieder, wo er 18 18 als kfinifj^lichor Leib-
arzt starb. Hein) hatte später mit ihm und Stieglitz in Bremen einen lanj^cn
Streit wegen der nach und trotz der Vaccination auftretenden Pocken, wo
Heim erst seine Besiegung eingestand, als Sfin eigener, schon geimpfter
Enkel von den ächten Pocken befallen wurde. Robert Willans Schrift über
die Kuhpockenimpfong, aus dem Englischen ttbersetst von Hthry, Güttingen
1806, ferner HUhrys ,3M^schtung einer nach voUkonmiener Vaccination
erfolgten Blattemeruption etc." in Hufelands Journal Mars 1809 und Stieglits*
Recension des Willanschen Baches in der Hall. allg. Litteratnrztg. No. 182
September 1807 hatten Heims Aufsatz: Über die Diagnostik der falschen
Pocken etc." (Horns Archiv Bd. X. Heft 2 18"i!>) veranlasst; Mühry antwortote
in Hufeland.s Journal Febr. i8iu p. !'."^ nnrl Stieglitz im Neuen Archiv für
mediz. Erfahrmig Bd. XI Heft 2. Heim schrieb darauf den Aufsatz: ,,Noch
zwei Worte über das Vorkommen Uehter Pocken nach vorhergegangenen
ächten Kuhpocken" (Horns Archiv 1811 Bd. 2 p. 209) und 1825: „Meine
jetzige Ansicht Uber den Efaifluss der Schntzpocken auf Menschenblattem*'
(Archiv fOr med. Erfahrung). Heim erklärt, dass der Streit auf beiden
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Georg Siegerist.
Seiten ein gerechter war (Heim, vermiselitc medizinische Schriften p. 109).
(Biogr. Lex. IV. 468. Rohlfs, KliiMrfker der Medisin I. 500.)
August Friedrich 1' alias, Sohn des Chirurgen Simon Pallas, geboren
5. September 1731 zu Berlin, war Professor am Colleg. medU-ehir. und wie
sein Vater ein namhafter Chirurg. Br starb 1812. (Biogr. Lex. IV. 468.
QeL BerL 1795 IL 99.)
ti) Johann Friedrich Fritze, geb. 3. Oktober 1735 zu Magdeburg,
Professor der Chirurgie am Colleg. med.-chir., Arzt an der Charit«, Direktor
des ITHO ^gestifteten klinischen Instituts an der Charite und Geh. Rath. Er
starb 'J. April 1807. Seit 1791 gab er die „Annalen des klinischen Instituts
zu Berlin" heraus. Biogr. Lex. II. 449. Gel. Berl. 1795. 1. 138. Fritze, Nach-
richten über ein klinisches Institut in Berlin.)
2u) Christian Ludwig Hol off, Geh. Rath und königlicher Leibarzt,
Dekan des Über-Colleg, med. und Mitglied der Akademie der Wissenschaften,
war geboren am 26. Juni 1726 zu Berlin; er starb 1800. (Qel. Berl. 1795.
n. 129.)
m) Haeser, Geschichte der Medizin IL 1069 IT. Formejr, Topographie
164 ff. WoUheim, medizinisehe Topographie von BerUn 31 5 f. Biogr. •
Lex. III. 394. v. Raumer, Berlin in den Jahren kurz vor der franz. Revolution
p. 89 in Berl. Kalender 1847. Blattern und Sobutzlmpftmg, Denkschrift des
Kaiserl. Gesundheitsamtes. 1S!m; p. 15.
2«) Ilncser, Geschichte der Medizin IL 750 flf. Biogr. Lex. IL 568.
A. Hirsch, Gesch. d Medizin 383 ff.
25) Ausser dou aiigefulirton Schriften von Prahmcr und Moritz vgl.
Formey, Topographie 201 Horn, öffentliche Rechenschaft Uber meine
Bienstftihnmg als zweiter Arzt des Gharitö-KrankenhauseB zu BerUn 1818
p. 83 ff.
u) Pensionäre waren diejenigen preussisehen Kompagnie-Gbfanigen, die
zum unentgeltlichen Studium dem Colleg. med.-chir. überwiesen wurden.
Es gab 16 solcher Stellen. Die beiden ältesten Pensionäre wurden zur Aus-
übung der iirztlichen Praxis in der Chtuitö ausgebildet. (Formey, Topo«
graphie 25r).)
27) Über Boehni war in den benutzten Nachschlagewerken etc. nichts
zu ermitteln; vielleicht kann einer oder der andere Leser Mittheilungen
Aber diesen bei Heim so sdUecht angeschriebenen Berliner Arzt machen;
ebenso Uber eine Reihe anderer von Hdm mäirfaidi orwXhnter mehr oder
minder bekannter Ärzte, die DolLtoren Laube, Steniemann, Wall, Wolff,
Kleemann, Merzdorff (dieser war Stad^bysikus), Lehmann.
m) Georg Adolph Welper, geboren 1. Mal 1762 zu Kanden in Baden,
Hess sich als Arzt in Berlin nieder, Starb 1842 als Geh. Rath im Kultus«
ministeriuin. (Biogr. Lex. VL 236. Callisen, medizinisches Schriftsteller
Lexikon XX. .')33.)
2«*) Christian Emst sc Ii er, geb. 1772 zu Lüneburg, Arzt in seiner
Vaterstadt. (Biogr. Lex. II. 371.)
80) Karl .Toll. Cluistian Gr apengiesscr, geboren 1773 zu Parcbim-
liess sich 1799 in Berlin als Arzt nieder, wurde 1803 Mitglied des Colleg,
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Am» den TagebttehMn dM «tten Heim.
41
med.-chir., dann Physikus und Leibarzt dos Kronprinzen, starb 1813 am
Typhus als Chefarzt eines Lazareths. Er schrieb: „Versuche, den Galvanismus
zur Heilung einiger Krankheiten anzuwenden" (18*»n. (Rlank, die mecklen-
burgischen Ärzte von den ältesten Zeiten ete. 1871. j». llit).
3i) Biogi'. Lex. IV. 690. Callisen XV. 424. XXXI. 391. Haeser. Gesch.
d. Med. II. 740. Gel. Berl. lH'>r) 2n7 ff. 1845. p. 2H2. Keichs Proinemoria ist
abgednickt in Fornieys medizinischen Hpheineriden Med.-chinirg, Ztg. III.
No. 69 p. 2Ö9. Das Gutachten der Kummissioa steht m llufelands Journal
der HeOknnde X. 2. Btttek p. 30L
33) Johann Friedrich Meckel, genannt der I., ältere oder Grossvater,
groBaer Anatom ans der Sehnle Albrecht von Hallen in GOttingcn, geboren
2n WetslaT) 31. Jttll 1714. Er promovirte mit der bertthmten Arbelt „de
qninto pari nerFomm*« worin die nach ihm 1>enannte Entdeckung des
Ganglion sphenopalatinum s. Meckelii sowie die des Ganglion submaxUlare
zum ersten Mal beschriebni wird. Seit 1748 lehrte er in Berlin; 1751 %vurde
er Professor für Anatomie, Botanik und Geburtshilfe, später erster Lehrer
bei der an der Charite errichteten Ilcbammensehnlo. F,r starb am 18. Sep-
tember 1774. Als Lehrer und Forscher vertrat er die deskriptiv-anatomische
Schule im Geiste Uallers, Meckel ist der Stammvater einer beiühmtcn
Anatomen-Familie, die Generationen hindurch in Halle gelehrt hat. (Biogr.
Lex. IV. 188. Allg. d. Biogr. XXL 159. Haeser H. 567.)
m) Joh. Christoph Friodr. Voitus, geboren den 16. Mttrs 1741 2a
Genthin, General-Chirurg. 1774 schickte Ihn Friedlieh der Grosse nach
Frankreich, nm neue Operattonamethoden, besonders der Mastdannflstel zn
erlernen. Auch Geburtshilfe studierte er dorteifkig und erlangte auf diesem
Gebiete wie Überhaupt eine umfangreiche Praxis. Er starb am 30. Januar
1787. (Biogr. Lest. VL 148. BeUe in Berliner Monatsschr. 1787. Btttek UL 230).
m) Biogr. Lex. IV. 394. Haeser II. 1078. Fonney, Topographie 161 ff.
WoUbeim, Topographie 315 i, Denkschrift des Kais. Gesundheitsamts 19 f.
-5) „Asclepias und John Brown, eine ParallolC 1800. Der Verfasser,
Karl Friedrich Burdach, 177G zu Leipzig gel<oren, bertlhmter Anatom, war
Dozent in Leipzig, dann Professor in Dorpat und Königsberg; er starb 1847.
(Biogr. Lex. I. ü's!2.)
m) Jakob Fideiis Ackermann, 23. April 1705 zu KUdesheim geboren,
gestorben 1815, war Professor der Anatomie und Chirurgie in Mfdnz, Jena
und Heidelberg. Er suchte die Erschdnungen des organischen Lebens
durch die Gesetse der Physik und Chemie zu erklären und betrachtete sie
als langsame Verbrennung. Mit der Entdeckung des Sauerstoib, des
pLebensithers", hldt er ebenso wie Girtanner das Riithsel der Lebenskraft
für gelöst. Bein Buch ^Versuch einer physischen Darstellung der Lebenskraft
organisierter Körper" (1793, 2. Aufl. 1800) ist das von Heim gemeinte. Er
war einer der eifrigsten Bekämpf er der Gal Ischen Schädellohre. „Die
Gallsehe Hirn-. Schädel- und Organlehre etC^ (ImjH) nimmt die erste Stelle
unter <leu Lrtheilen über die Kruuiobkopie ein; Ackermann sprieht sich
vom psychologischen Standj)unkte dagegen auä. (Biogr. Lex. I. 47. Haeser H.
Ö75. Hirch, Gesch. d. Med. 567.J
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n) Jobaan Friedrich Lobstein, 1777 m GiesBon geboren, studierte in
Strassburg und war dort Professor der Anntomie, später Direktor der patho-
lo^n'pph -anatomischen Klinik und Bo^n-iinder des patholopiscli-anMtoniipchen
Museums. (Haeser II. 881). Kr ist niclit, wie Heim irrthünilicli l^rnu-rkt,
der Enkf'l, sondern der Neft'e des bertthmten Anatomen Johann Friedrich
Lübstein, de« Lehrers Goethes,
3s) Siegmund Wolfsolm, Arzt und Mechaniker, Erfinder vieler chinir-
gisclier Instrumente, lebte seit 1797 als Brucharzt und Inhaber einer
k. k. privil. FaV)rik chirurgischer Maschinen in Wien. Er erfand die
metallenen Hcsouanzrohrc fiir öchwerhöreude, eiue Kopfmaschino fUr solche,
GehtfrmnaebdB, viele orlho^üKdie Apparate. Der Ar Berlin gelieferte
chirorgische Apparatkasten enthielt 313 Stttcke; W. erhielt die goldene
Medaille nnd 200 Dukaten dafür. (WUrsbnrg, Biogr. Lexikon OesteRoichB
Bd. ö8 p. 47).
3») Die Influenza oder Grippe ist historisch nachweisbar im Jahre 1173
in Italien (Sigbert! Chron. in Pertz Annal. VI. p. 414., Annal. Blandiniens. ib.
V. 29), Deutschland (Godefridi annal. in Freheri rer. gerra. Script. I. 341,
Menckenii Script, rer. germ. II. 4.3*^, Chron. Saxon. in Leibniz aeces. bist. I. 310),
England (Radulfus de Diceto in Troysden, Script, bist. augl. I. 310). Eine
der ersten genauer besehriebenen Epidemien verbreitete sieh 1510 von Malta
ans über Europa. Im Febraar 1800 war die Inflnensa in der Provinz
Preussen (Metzger litteratnr zor Gesohlehte der FrOhllngsepidenif e im Jahre
isno, Altenburg 1801) im April in Wien und Posen (Ferro, med. Archiv von
Wien im Jahre 18u(). 22, Metzger), im Oktober in Lüneburg (Fischer in
Ilnfelands Journal XIII. Heft 4. 29), im November in Altenburg (Winkler in
AlliT iiK'd Annaion 1801 Corresp.-Bl. 12), Paderborn (Ficker ib. 84), Donau-
esclüngen, Sicf^maringen, im Dezember in Stuttgart, (Hopfengartner in
Denkschr. schwäbibcher Ärzte I, 120), im Januar IbOl in Görlitz (Knebel in
AUg. med. AnnaL Corr.-BL 77, Hirsch, hiBt.-geogr. Pathologie I. 5 fL). Bei
dieser zum TheO bedrohlichen NSbe war es wohl mOgUcb (Posen, Altenbug,
Ltlnebnrg, Görlitz), daas auch in Berlin hn Jahre 1800 InflnenzaflUle vor*
gekommen sind.
«o) Die Schrift ftthrt den Titel: JD, Marens Herz an den D. Dobmeyer,
Leibarzt des Prinzen Angnst von England, über die BrataUmpAmg und
deren Vergleichung )nit der humanen", Berlin 1801. In der Vorrede zur
2. Auflage erklärt Ilerz die Bezeichnung ,Brut;i]implbng*, die so viel Stanb
aufgewirbolt hat Er wollte damit nur ihre Ai)stamninnfr vom Thiere an-
deuten (brutus) im Gegensatz zu der bis dahin üblichen Inokulation vom
McnKohen. Er habe keinen besseren Ausdruck find<'n können; „beklihen*
(vaccinieren) gefiele ihm noch weniger, da er das eigentliche Geschäft nicht
bezeichne; ^Schutzpocken** sei zu nnifassend. „Die Unterabtheilong des
allgemeinen Begriflb Inokulation scheint mir in seientiflscher Hinsieht die
passendste nnd vollständigste, da sie einen spesifisehen Theilangspnnkt
angiebt, der die wesentlicfae Tersebiedenheit in der Operation ansmaeht*
«t) Justus Christian von Loder aus Riga, 1773 — 1832, hervorragender
Anatom, Professor in Jena, Halle nnd Moskau, war ein mit grossem Lehr-
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Ans den Tagebftebera äm «Iton Heisa.
48
talent begabter Artfe» dessen anatomische Abhildnngcn eine weite Vorhreitong
gewannen. (Hacser n. 559. Biogr. Lex. IV. 23. AUg. d. Biogr. XXX. 76.)
ij) Kurt Polykarj) Joachim Sprengel, geboren 1766 zu Anklam,
zuerst Tlioolnp:»', dann Mediziner, seit 1789 Professor in Halle, nnch
hedentcnilrr Hotanikor (nU 14-,jHhriger Knabe schrieb er eine „Anleitung zur
Botanik tür i">aiieii2imiiier- ). Ein klassisches Werk ist sein „Versuch einer
pragmatischen Geschichte der Arzneikunde" (1792—99) 5 Bde. Erstarb 1833.
(Biogr. Lex. V. 493. Callisen XXXII. 389 seine Schriften.)
43) Kurl Alexander Ferdinand Kluge, 9. September llb^ zu Strausberg
geboren, studierte aof der Pöpini^, wurde 1814 ansserordentlicher Professor
an dieser Anstalt, zweiter Direktor der ohirurgisoiieii Station und der Ent-
bindungsanstalt in der diaritö. 1821 wurde er Professor an der Universität,
1828 Dircktrir der Charite. Er starb am 26. Mal 1844. (Biogr. Lex. 499.
Preuss, Friedncb Willielms-Institut 150.)
44) Gall hielt seine ersten öffentlichen Vorlesungen über seine
SchUdellehre 1786 in Wien-, H'»] wurden sie durch ein eigenes Hand-
schreiben des Kaisers Franz als rcligionsgcnihrlieh verboten und nur in
beschränkter Weise später wieder gestattet. Galls erste Schrift über die
Phrenologie „des Herrn D. F. J. Gall Schreiben über seinen bereits
geendigten Prodromus ttber die Verrichtungen des Gebims der Menschen
und Thiere an Herrn Jos. Fr. Retser*' ersehira 1798 in Wielands neuem
deutsehen Herkur. (Biogr. Lex. II. 481.)
46) Joseph Franlc, Sohn des berühmten Johann Peter Frank in Wien,
Anhttnger dos Brownsehen Systems. Er war PrimSrarst an dem yon seinem
Vater geleiteten AVicn« r Krankenhause und machte 1803 eine Reise durch
Frankreich, England und Schottland, wobei «r Berlin berührte. Von
1804 -1 Sil Avar er in Kussland thätig und Starb 1842 auf seiner Villa am
Comersee. (Biogr. Lex. II. 129.)
46) Geor^:: Philipp Mogalla, Oherbergarzt im schlesischen Knapp.schafts-
lustitatc, hat sich um den Autschwung der schlesiaeheu Bäder, besonders
▼on Reinerz, verdient gemacht; er schrieb „Die Mineralquellen undH^bäder
Schlesiens", 1802. (Biogr. Lex. IV. 255. Callisen XXn. 131. XXX. 406.)
«9) Ludwig Emst Ton Koenen, 13. Oktober 1770 zu Berlin geboren,
seit 1797 Professor der medizinischen EncyklopSdie am CoUegium medico-
chbmgienm, starb als Geh. Ober-Medislnalrath am 30. August 1853. Unter
seinen Schriften sind /u nennen: ..Einige Bemerkungen ttber die Kuh-
pockon, bei Gelegenheit des Sendsehreibens von Herz an Dohmeyer" (1801 ),
„Leben und Turnen, Turnen und Leben" {.lüll). (Gel. Berlin 1825 p. 140.
Calüsen X. 309. XXIX. 303.)
48) Die Sammlung selb.stangefertigter anatomischer Präi)arate des
Professors Walter, ereten Professors der Anatomie beim CoUeg. med.-chir.
und Mitgliedes der Akademie der Wissensohallen, befand sieh von 1803 —1809
Unter den Linden 21. Am 18. Januar 1803 vom Staate fttr 100000 Thaler
angekauft, enthielt sie 3070 meist zur menschlichen Anatomie gehörige
Pritparate, die Walter selbst angefertigt hatte. Besonders aui^gezeichnet
waren die mit Wachs ausgespritzten OelKsse, Muskeln und Eingeweide, die
44
Q«ois Sitfedit.
mit Quecksilber gefüllten Wassergefäsxc, sowie ganze Körper, in denen alle
Geliissc, iluskeln, Eingeweide und Nerven aiisgesj »ritzt und ausgearbeitet
waren. 1807 wollten die Französin die Sammlung nach Paris schicken,
doch verhinderte dies der Cheturzi der Iranzösischeu Armee, Baron Percy,
ein aufrichtiger Verelirer Goerckes, der sloh bei Friedlieh Wilhelm HL in
TUdt mit den Worten meiden lieas: „Je snisle Goeroke de Tannee fran^aiae".
Das Waltersche Kabinett bildete den Grondstoek des anatonüschen Mnaeoms
der Universität. (Nicolai, Beschreibung von Berlin und Potsdam IL 823.
KOpke, Gründung der Universitut Berlin p. 868. Sehickert» die miiitär-
arzUichen BUdungsanstalten p. 43. 65.)
«•) Emst Horn au Brannaehwelg (1772—1848) Hess sieh 1805 in Berlin
nieder. Er wurde hier Professor an der medlslnisch-ohimiigisehen Ifilititr-
akademie und 2. Arzt an der Charitd (bis 1818). Belt 1831 war er Professor
an der Universität. Zuerst Brownianer, ging er dann zu den Eklektikern
über, die das Brauchbare jedes Systems am Krankenbett verwertheten. Als
Lehrer l^r wissenschaftliche und praktische Psychiatrie schloss er sich Keil
an. Über seinen Streit mit Kohlrausch in der Charite siehe weiter unten.
Er war ein sehr lieissiger medizinischer Schriftsteller, vornehmlich Psychiater.
(Biogr. Lex. lU. 275. Gel. Berl. 1825. p. 112. CaUisen IX. 126—147. XXIX.
51—5?).
50) Die Bemühungen Heims waren von Krfolg- gekrönt. August Friedrich
liecker, geboren 1. JuH 17G3 zu Witten bei HhHc, wurde 1805 als Professor
an das CoUcg. med.-chir. berufen, erhielt den IIt)frathstitel und starb am
11. Oktober 1811. Er war ein Gegner der Erregungstheorie und der
Scbellingschen Natorphilosopbie, die er in zahlreichen Kritiken bekSmpfle.
Seine vielen Lehrbücher auf den yeracbiedenen Gebieten der Medizin
sind gesdiickte und gründliche Kompilationen. Ein yollständiges Verzeichnis
seiner Schriften findet sich in dem Heft 6 IIL Bandes der von ihm redigirrten
Annalen der gesamten Medizin (Jnni 1811). (Biogr. Lex. Hl. 100. AUg. d.
Biogr. XI. 207.)
6») Friedrich Gebhard Theodor Gönner war seit 1788 Professor der
Pathologie und Semiotik beim CoUeg. med.-chir. (Prenss, Gesch. d. Fr. W.-
Inst. 162.)
•
n) Nachdem Qalls ThXtigkeit in Wien lahm gelegt war, bereiste er
seit MUrz 1805 Deutschland, Dänemark, Holland nnd die Schweiz; er hielt
überall Vorlesungen, die vielfach Anerkennung fanden. In Berlin trat neben
Heim Hufeland zu seinen Grinsten auf; zwei Medaillen wurden hier auf ihn
geschlagen. Über die Reise verüfl'entlichte er: „Meine Reise durch Deutsch-
land, nebst pathognomischen Bemerkungen" (ISW). Iftuy Hess er sich in
Paris als ])raktischer Arzt nieder, wo er sein Hauptwerk achrieb: „Anatomie
et Physiologie du Systeme nerveux en g^nöral et du cerveau «n partieolier
aveo des obsenrations snr la possibilitö de reconnaitre plnsienrs dispositions
intelleetaelles et morales de l'homme et des animanx par la conflgnration
de lenr t^te (4 Bde. 1810—18). Er starb am 22. Angost 1828 auf seinem
Landsitz Monrrftge bei Paris. (Biogr. Lex. II. 481. Fossatl Nony. biogr. gto.).
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Am den TtvAbflchern dee alten Heim. 45
Ii) August Friedrich Schweigger, Bmder des bekannten Hallenser
Physiken Ouristoph Sehweigger, geboren ra Erlangen 8. September 1783.
Er studierte in Erlangen Kedizin, Zoologie und Botanik and ging — Erlangen
war damals preossisch — , nachdem er November 1804 promoviert hatte,
nach Berlin, um hier den vorgeschriebenen praktischen medizinischen Kursus
durchzumachen. Altenstein verachaftte ihm die Mittel zu einer Reise nach
Paris, wo er sich bis 1809 aufhielt und namentlich mit Botanik und Mineralogie
beschäftigte. Er wurde dann Professor der Botanik in Königsberg. Auf
einer wissenschaftlichen Reise in Sizilien wurde er in der Crotta aüumutu
bei Oiigenti am 28. Juni 1821 ermordet und beraubt (Allg. deutsche Bio-
graphie XXXm. p. 332.)
m) Johann Christian Weitsoh aus Ascfaersleben, geboren 1. April 1764,
war zuerst Theologe, lebte als belletristisoher Sehrifteteiler in Berlin,
studierte dann in Erlangen Medhdn und lieas sich 1799 in Berlin als Arzt
nieder. Zunächst Heims Assistent, bekam er bald selbst eine bedeutende
Praxis, er starb als Ober- Medizinalrath am 10. September 1830. (Biogr. Lex,
IV. 230. Callisen XXXII. ^^58.) In Hufelands Journal der Heilkunde
1818 Bd. 47 berichtet er über einen phUnomenalen Trinker, der .schon
in seiner zarten Jugend seinen Vater in die Wirtschaften begleitete,
„um sich dort an einem Glase Weissbier zu laben". Schon als Knabe von
7 Jahren trank er 5 Quart täglich; sein Durst war bald onaofbörlicb und
schier unstillbar. Als Erwachsener trank er taglich 18, an heissen Sommer-
tagen bis 25 Quart. Nach seiner eigenen Berechnung hat er 3000 Tonnen
Weissbier vertilgt Er war mittelmllsslg gross, von starkem Gliederbau,
fleischig, aber nicht fett, ass mit gutem Appetit, war stet^ firoh und witzig,
gutmtithig und mit der ganzen Welt im Frieden. Krank war er nie. Im
Alter von 6o Jahren starb er an der Wassersucht.
r,5) Dr. phil. Friedrich Wolff, geb. 1766 zu Lissa in Posen, war seit
17ö8 Lehrer der Physik und Mathematik am Joachimsthalschen Gymnasium,
wurde 1820 Professor der Logik und Mathematik an der medizinisch-
chirurgischen Militärakademie, sowie Direktor des schüuwisseuscliai'tlichen
Unterrichts und Professor der Logik und Mathematik au der Pepinicre.
(Gel. Berl. 1825. p. 304.)
m) Renö Desgenettes, franz. Militärarzt, geboren 1762, machte bereits
dm ägyptischen und syrischoi Feldzng Napoleons als mödidn en chef der
Orientarmee mit. 1804 wurde er GeneraUnspektenr des Sanitätswesens. 1812
fiel er in russische Gtofangenschalt (Biogr. Lex. II 163.)
»t) Gf. das dtierte Buch von Gox, femer Biogr. Lex. n. 97. Gallisen IV.
380. Horn, Rechenschaftsbericht, Formey, Topographie, Ideler & Blankenstein,
die städtiBche Irrenanstalt zu Dalldorf, Snell, Orundzttge der Irrenpflege 1897.
m) Adolph Henke, 1775 zu Braunschweig geboren, wurde 1806 als
ausserordentlicher Professor nach Erlangen benifen; seine Anstellang ver-
zögerte sich aber durch die kriegerischen Wirren bis 1816, wo er ordent-
licher Professor für Therapie, Klinik und Staatsarzneikunde wurde. In der
Zwischenzeit schrieb er sein berühmtes ,,I.( lirbuch der gerichtliolifii Medizin"
(1812>, weiches iu Aulla^eu erlebte. Anonym verfaaste er eine „L<ursteiiung
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46
der Foldzüge der Verbündeten gegen Napoleon 1Ö13— ISK)" in 4 Blinden
(1814—1816). Er starb am 8. Aogfat 1843. {Biogr, Lex. Iii. 149. C«lli»en
VUI. 337. XX VIII. 471).
59) Adalbert Friedrich Marcus aus Arolsen, geboren 1753, Direktor
des gerammten Medüdnulweäeus sowie aller Hübpitäler Fraukens, vorher
fUrsfebisdiOflicher Leibarzt za Bamberg. Er war Brownianer mid Natar-
pbilosopb. Von seinen Schriften seien genannt „Prilftmg des Brownsoben
Systems der Heilkunde dnrob Erfabmng am Krankenbette** (1797— 99),
„Magazin für spezielle Therapie« (1802— (»5 ), „Entwarf einer speziellen
Therapie", 3 Bünde (1805—12). Biogr. Lex. IV. 130. Baader, Lex. yerst. bayr.
Schriftblei Icr II. IHO.)
«0) Heinrich Meyer, Sohn des Holapothekers Meyer zu Stettin (s, u.),
17f)7 geboren, war Anfangs Pharmazeut, studierte seit 1794 Medizin in
Berlin und Halle, wii-kte seit 1798 in Berlin als Arzt, wo er bald sehr hoch
geschätzt wurde, hielt seit 1801 öffentliche Vorlesungen über Physiologie.
1813 wirkte er mit grosser Auibpferung iu den Lazuretheu. Er Starb am
&. August 1828. (Biographisches Lexikon IV. 221. Mensel, gel. Teutschland
im 19. Jahrb. Y. 210.)
ffi) Gemeint ist anseheinend Fdnnesrs 1809 bei Amelang erschienene
Schrift „Über den gegenwärtigen Znstand der Medizin, in Hinsicht anf die
Badung kflnftiger Ärzten.
m) Otto von Hnbn, 1764 za Mitau geboren, impfte als Arzt in Riga
ISCXi die ersten Schutzblattern. 1809 gin- rv als Gesandtschaftsarzt nach
Paris, kehrte 1813 nach Kussland zurück und starb 1832 als Direktor der
Krankenanstalt Alexandershöhe zu Ki^^a. Neben seiner ausf^edehnlen Praxis
hat er viel geschrieben, geographisches und ethnologisehes über Kussland
namentlieh aber eine Keihe von populären .Schriften zu Gunsten der Schutz-
pockenimpfung. (Biogr. Lex. IU. 311. v. liecke u. Napiesky, allgem. Schriftst.
XL GeL-Lex. d. Prov. Llvland, Esthland uid Kurland.)
•a) Johann Friedrich Heinrich von HIeronymi, geb. 1767, seit 1794
Leibarzt befan Herzog Karl von Meckl^bni^ in Nenstrelitz, starb am
3. Angnst 1836. Mit Heim zusammen behandelte er die KOnigln Luise in
ihrer letzten Krankheit. Um die EinfUhrung der Schutzblattem-Impftmg in
Mecklenburg-Strelitz hat er sich verdient gemacht (Biogr. Lex. UI. 201.
Callisen VIII. 491. 92.)
ci) Heinrich Kohl rausch, ein Hannoveraner, war durch Wilhelm von
Humboldt nach Berlin gezogen worden, der ihn wllhrend Kohlrauschs
Aufenthalt in Italien 1804 — 18<>8 kennen gelernt hatte; Kohlrausch hatte
Humboldts l amilie ärztlichen Beistand geleistet. Er habilierte sich im
Winter-Semester 1810/11 als Privatdozeut au der Universitilt und wurde
zweiter Wundarzt an der Gharitö. 1815 trat er als Geheimer Medizinalrafh
in das Altensteinsche Ministerium ein. Seine Widersacher behaupteten, er
wirke mehr durch seine imponierende PenriJnlichkeit als durch besonders
gründliches medizinisches Wissen, mussten aber zugeben, dass er zu den
glücklichen .Ärzten gehöre. Jedenfalls gelangen seine Kuren meist und er
erfireute sich einer aosgedeimten Praxis. Aus Italien hatte er ein reges
^ ij . .-Lo Ly Google
Am den Tkgelifleliim des altm Hdm.
47
Ktmsti'nteresso mitgebracht; er besass reiche Sanmilungen. Über seinen
Streit mit Horn siehe Note 73. (Aschorson, Urknii<leu zur Geschichte der
Jubelfeier der Universität p, 231. Parthey, Jugend crinuerungen I. G2. II. 60 tj.
«.>) AtiguBtin Friedlich W«Uher, berObmter Anatom zu Leipsigp, geboren
EU Wittenberg 1688.
6*0 Die Hufelandschc Gesellschaft irurde in den beiden Versammlungen
am 1. und 28. Februar isld als erste Gesellschaft zur Fthderung der Mcdi/.in
und Chirurgie in Berliu gegründet, nachdem Hufeland mittels eines Schreibens
vom 5. Januar eine Auswahl der Ärzte und Wundärzte Berlins dazu ein-
geladen hatte. Ohne Zweifel hat die am 15. Januar 1799 von Ueim, Goercke,
Wall, Boer» Welper und Böhm begründete GeseUschait, in die aaeh Hnfe-
land nach seiner Überdedelnng nach Berlin an^enonunen wurde, ihm den
Gedanken einw VergröBsemsg tmd Verallgemeinerung dieses Urztliehen
Vereins nahe gelegt, so diiss man wohl den Scchs-Ärztc-Verein von 1709
als Urquell der Hufelandschen Gesellschaft betrachten kann. Die Zahl ihrer
Mitglieder war nicht gebunden; Ehreimiit^lieder gab es nicht, <lagegen
wurden korrespondierende Mitglied« r urnuunt, namentlich seit der Kevision
der Satzungen 1822. Zur Belebung des geistigen Verkehrs wurden ein Lese-
zirkel errichict und eine Bibliothek begründet. Bei Hulclundä Dokioi-jubiläum
1833 wurde der bis dabin geltende Name .^Cedizinisch-cbimigisehe Gesell-
sdiaft^' in den jetagen umgewandelt Der Vorstand besteht ans dem
Direktor» dem Vizedirektor, dem Zensor, (diese beiden Ämter bekleidete
Heim), 3 Sekretären und dem Bibliotiiekar. Ausser den regelmilssig alle
14 Tage stattfindenden Sitzungen feierte die Gesellschaft alljährlich ihren
Stiftungstag (1. Februar) und da*- Jenncrfcst (11. Mai). Ausserdem wurden
noch anfangs eine Zeit lang Harvey und lialler ^»^efeieri. Die Versjimmluiigen
fanden Abends von 5—7 Uhr statt, als zu der fllr einen Arzt günstigsten Zeit;
die Auirechterhultung der Ordnung lag dem Zensor ob. Gegenstände jeder
Versammhmg waren snost dne koUegialiidi^praktiaclie Dtsknssion, dem
folgten eine litterarlsehe Besprechung nnd ein oder mehrere Vortrige, die
vcrber angemeldet worden. Am BegrOndmigstage traten 60 Mitglieder bei,
1833 besass die Gesellsebaft 522 Mitglieder, darunter 192 ordentliche und
330 korrespondierende. (Geschichte der Hnfelandschen Gesellschaft 1833.)
m) Offenbar knttpft sich hieran die bekannte Anekdote, dass Heim, als
Hofeland ihm vorhielt, wie er es dereinst vor Gott würde rerantworten
können, ein .solches Gift als Arzt gebraucht an haben, diesem entgegnete,
er werde zum lieben Gott dann sagen: „Alter, das yerstehst da nicht".
m) Dies geschah 1811 nnter dem Titel: Allgemeine Betrachtungen über
die Natur und die Behandlung der Kinderkrankheiten" (aus A. F. Heckers
Annalen besonders abgedrudtt).
w) „Über die Natur und Behandlungsart der häutigen Brünne; Versuch
einer Beantwortung der auf Befehl des französischen Kaisers über diesen
Gegenstand angestellten Preisfrage." Bamberg und WUrzburg 1810. Die
Rezension Heims erschien in Horns Archiv ISIO, Bd. XII. p. .'3r)(i nebst einem
Anhange, einige neuere Beobachtungen und Erfahrungen Uber den Croup
48
Georg Siegerist.
enthaltend. (Heims yennischte medizinische Schriften, heraosgegeben ron
Paetsch p. 233.)
TO) Stiftungsfest der Anstalt Das Thema Heckers lautete: „Von dem
Büiflnsse Xehter nnd nnSohter Natorphilosophie auf die Wissenschaft nnd
die Kunst in der Chirurgie". (Schickert, die militärftrztlichen BUdungs-
anstalten 264. Über das Btiftongsfest selbst cf. Schickert p. 63 f.)
n) Johann Christian Reil ans Rhaude in Ostfiriesland, geboren am
28. Februar 1759, wurde 1788 Professor und Direktor der Klinik in Halle,
1810 als Frofessor für klinische Medizin nach Berlin berufen, starl^ am
Typhus am 22. November 1813. Keil war der Hauptvertreter der Lehre
vom Vitaiismus, der sogenannten Lebenskraft, die er in geistreichster
Weise in seiner Schrift: „Über die r>ebenskraft' im Archiv für Physiologie
1796 L H. auseinandersetzte. Alle Erscheinungen sind danach entweder
Materie oder Vorstellungen; der letzte Grund leider ist nnerforsclilich.
Der Onmd aller Erscheinungen thieriseber KOrper, die nicht Yorstellnngea
sind, liegt in der thierisehen Uaterie, in der ursprOnglichen Verschiedenheit
ihrer Ornndstoffs und deren Mischung und Form. Diese sind die all-
gemeinsten Ursachen aller Erscheinungen der KOrperwclt. Aus diesen
Grundursachen der Materie gehen zunächst ihre Eigenschaften hervor.
Kraft ist „das Verhältnis der Erscheinungen zu den Eigenschaften der
Materie, durch welche sie erzeugt werden". Danach bcrnheii auch die
Äusserungen der „Lebenskraft" durchaus auf materiellen Zustünden, welche
sich vorlHuhg in B^'olge des unvollkommenen Zustandes der organischen
Chemie und der Lehre von den Imponderabilien der sinnlichen Wahr«
nebmung entziehen. Da Jeder TbeO, jedes Gewebe und Organ des EOrpers
sefaie nur ihm eigenthttmlichen Erscheinungen darbietet, besitzt auch jeder
sehie besondere Lebenskraft, Erregbarkeit, Erankheitsanlage ete. Durch
sein Verlangen, diese Lehre wissenschaftlich zu begründen, wurde R. der
Schellingschen Naturphilosophie in die Arme geführt. Er nannte schliesslich
den Lebensprozoss einen „potenzierton galvanischen Pro/cess", ohne weder
das Wesen dieses Galvanismus, noch die Möglichkeit, die Art und den
Grad dieser Potenzierung näher zu begründen.
Er thcilte die Heilkunde in !. die akologischc, physisch-mechanische,
chirurgische, *?. die chemische, dynamische, im eigentlichen Sinne medizinische,
3. die psychische. Systeme und enge Foimen kannte er nicht; Brown halte
füi* ihn wenig anziehendes. Seine Diagnose war für jeden Fall eine be-
sondere Kombination. Er sachte den Kranken nicht stückweise, sondern in
der Totalität seines Daseins zu begreifen. Der praktischen Medizin wollte
er durch Ihre Verbindung mit der Phsrsiologie eine wissenschaftliche Unter-
lage Terschaffen, wozu ihn seine Genialität^ setai Flelss, seine Vertrautheit
mit der Anatomie, Physiologie, der Chirurgie und Augenheilkunde in
hervorragendem Masse befUhigton. Wilhelm v<m Humboldt empfahl ihn mit
folgenden Worten zum Professor der Therapie an der Berliner Universität:
,,Es ist wohl nur eine Stimme darüber, dass er zu den ersten Arzteu
Deutschhinds ii:eh<">rt: er hat nnh'n;,'-!>ar, vorzllirlich in den letzten Jahren,
dem mediziniächeu Studium als Lehrer und öchriitsteller eine entscheidende
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Adb den Ttg»b(lchflm des «Itan flebn.
49
Richtnnpf g-egebcn. . . Er hat über die Einrichtnne: (1er medizinischen Studien
Ideen, welche schon fllr sich sehr wünschensworth maclicii würden, ihn für
die neue Lehranstalt zu gewinnen, und er empliehlt sich nocii übt i i lies durch
seinen moralischen Charakter." Es sei mir noch gestattet, Rudolphis Unheil
über Keil liier anzofTibren: „Man wird selten einen Mann finden, der dio
Ffille Yon Kenntnissen mit einem so hellen BUek und so vieler Heiterkeit
TerUndet. . . Reils Qesicht hat ausserordentlich viel Leben, und es ist aueh
alles an ihm Oeist nnd Feoer, er hat fOr alles in seinem Fach Interesse und
weiss alles, was man ihm g^ebt, Teredelt anrÜckiiigebeiL Giebt es eine
ftuchtbare Ansicht der Physiologie, so ist es die seinige; ich kenne kein
medizinisches System, das mir genügte, doch boflfe ich, dass wir auf dem
Wege, den Keil gezeigt hat, dazu kommen werden, wenngleich nicht bei
meiner Lebenszeit, da uns noch so viele positive Kenntnisse fehlen. . . Die
luftigen Systeme der j)hilosophisch genannten Ärzte sind Meteore, denen nur
SchwUrraer und Kinder naclijagen. Als wissenschaftliche Darstellungen
können sie nicht gelten, weil sie fast ganz der Phantasie ihren Ursprung ver-
danken, nnd als Poesien kISnnen de nidit reisen, weil sie sn sehwerfiUlig
sind. Doch ich schweige, denn alles, was itzt dagegen gesagt wird, ist
fincbtlos, so flnudittoe, als alles, was gegen eine Terderbliehe Mode gesagt
wird; die Zeit schwhidet, und dieser Systeme, dieser Mode gedenkt niemand
mehr.*' — Von Beils Schriften seien noch genannt: „Rhapsodien über die
Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen" (1803),
worin er eine packende Schilderung von den erbUrralichen ZustHnden der
deutschen Irrenhäuser giebt, wie er überhaupt für psychiatrische Studien eine
grosse Vorliebe hatte, ferner , »Entwurf einer allgemeinen Pathologie" und
„Entwurf einer allgemeinen Therapie'S die beide erst nach seinem Tode,
1815 und 1816 erschienen. (Biogr. Lex. IV. 691. Haeser II. 78ü f. Steffens,
J. C. Beil, dne Denkschrift [1815], Bndolphi, Beiseeiümenmgen p. 49. 50.
KOpke, Gründung der Universität Berlhi p. 72.)
m) Carl Ferdinand v. Graefe, geboren den 8. MUrz 1787 zu Warschau,
studierte in Dresden, Halle und Leipzig, wurde nach kurzem Wirken in
Ballenstedt als Hofar/t des Herzogs Alexius von Anhalt 1811 als Professor
für Chirurgie und Direktor des klinisch-chirurgisch-augenHrztlichen Instituts
nach Berlin berufen, wo er bald eine glUnzende Praxis entwickelte. Be-
deutendes leistete er während der Befreiungskriege als dirigireuder Divisions-
generalarzt in den lAsaretiben. Im ganzen wurden 130 000 Kranke und Ver-
wundete in die von ihm geleiteten Anstalten aufgenommen. Nach der
Seblaoht b^ Qrossbeeren brachte er 16 ODO in 3 Tagen in Berlhi unter.
^Während der Belagerang des vom Typhus heimgesuchten Torgau schrieb
er im Lager die Schrillt : „Die Kunst, sich vor Ansteckung bei Epidemien zu
schützen. Ein Urztlicher Ilath an Torgaus Bewohner", die er unentgeltlich
vertheilen Hess. 1822 wurde er :! General-Stabsarzt und Mitdirektor der
militUrürztlichen Bildungsanstalten. Seine TLiuptleistungen liegen auf dem
Gebiete der Augenheilkunde und der operativen Chirurgie; er erfand und
verbesserte hier zahlreiche Instrumente. Kr starb zu Hannover am 1 Juli
1840. (Biogr. Lex III. 628. Calliscn VII. 329. Bernstein, GeschichLe der
Axch. 4
50 OeoTg Stogniat
Chirurgie TT. 50^. cf don T'nnop^'rikns auf Graefe von Michnelis, C. F.
T. Graefe in seiaem öOjUUhgeu Wirken für Staat und Wissenscliait)
n) Eine genaae und akteoniXnige Darateltmig des Fallea Kohlrausch-
Horn findet sich in Bartels, Rechtfcrtig-ungsschrift für den Herni Doktor
Emst HoiTi, nach den Akten verfasst Berlin 1812. Dr. Kohlrauseh war im
Juli 1810 zum Geheimen Medizinalrath und ordentlichen Mitgliede des Do-
partcments der allg-emeinon Polizei ernannt worden, wodurch er Mitglied
einer der Charit*' vorgesetzton Hcliörde wurde. Kr hatte sifh Juni 1810 er-
boten, die nähere Aufsicht über die Abtheiluugen der äusseren Kranken und
des Accoachements In der Oiai1t6 zu Übernehmen, wdches Anerbieten die
Sektion Ittr das Medidnalwesen angenommen hatte. Horn als 2. dirigirender
Arzt besehwerte sich Uber diesen Eingriff, wurde aber abgewiesen. Kohl-
rauseh beschuldigte daraof Horn beim Ministerium des strafbaren Eigen-
nutzes etc. Diese Reibereien dauerten das ganze nHehste Jahr; Horn
wurde auch mit seinen hierüber eingereichten Besciiwerden abgewiesen.
Namentlich legte ihm K. zur Last, den Tod einer Wahnsinnigen dadurch
verschuldet zu haben, dass er sie in den 8ack stecken lics.'^. (Der „Sack",
ein Straf- und Hiindijrungsniittel der damaligen Irrenpflege, bestand au.s loser
Sackleinwand, so dass mau jeden Gegenstand durch das Gewebe hindurcli
sehen konnte, war sechs Fuss lang und hatte einen Darcbmesser von 16 Zoll.
Das Kopfende war» um das Licht besser von dem Kranken abzuhalten, mit
grober Wachsleinwand umgeben, die lose wie eine Gardine um den Kopf
des Kranken hing. Die Athmung konnte selbst durch mehrere Übereinander
gezogene Säcke nicht gehindert wenlcn.) Auf Grund dieser Denunziation
lies<5 dor Polizeiprltsident v. Schlochtondal die Angcstellti'u iUt Au.'italt gegen
den dirigirenden Arzt vernehmen, und da.s Justi/Mluisterium befahl die Ein-
leitung einer Untersuchung, aus der Horn auf (irund des Befundes der
Oeffnung der betreifenden Leiche gerechtfertigt hervorging. Die angesehensten
Berliner Aerzte waren fttr ihn eingetreten, wie Reil, Heim, MerzdoriT ctc
(Bartels und Horn, Rechenschaftsbericht über meine I2juhrige DlenstfUhrung
als S. Arzt des Charit^krankenhauses in Berlin. 1818.)
74) Johann Karl Frinirieh Meyer, Vater des Dr. Heinrich Meyer, ge-
boren 1733 zu Stettin, gestorben 2U. Februar JSll. (Poggendorff, IL 134,
giebt als Sterbeort Stettin an, dies dttrfte aber nach vorstehender Angabe
Heims nicht mOglich sein, sondern M. ist in Berlin gestorben.) Er war ein
taehtiger Chemiker, korrespondierendes Hitglied der Akademie der Wissen-
schaftoi und der Oes^chaft natnrforsehender Freunde in Berlin. Die von
Hehn gemeinte Schrift führt den Titel: „Ober Arzt* und Apothekerwesen*.
(Poggendorf, II. 134. Callisen, XXX. 365.)
7») Zu diesem Tage erschien die Festsdirift: Christian Ludwig Mursinna,
der Jubelgreis. Ein Andenken des 5. Harz 1811 fttr sehie Freunde und Ver-
ehrer. Im Deckerschen Verlage.
n) Die Philomathische Gesellschalt, im Herbst 1801 mit dem Chemiker
BLlaprotfi als PrHses und dem Philosophen Bendavid als Sekretttr begründet,
nachdem sie als zwanglose Vereinigung schon vorher bestanden hatte, beeass
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Au dea Tagebüchern des alteu Heim. 61
«inen ziemlich tmiversellcn Ciiarakter; neben Gelelirteii ans allen Gebieten
da* Winensehaft gehörten ihr ancfa Kfinstler an. Da die Vorlesangen der
einielnen Mitglieder za mgleiehartlg waren, als dass sie allgemeines Interesse
hfitten wecken können, wurden sie nur in korzer Form gehalten, and dann
traten GcBprllche an ihre !>tclle. Die Znsammenkttnfte fanden wöchent-
lich im Englisclien Hanse in der Moiirenstrasse statt. (Bndolpbi, Heise-
bemerkungcn I. 52.)
77) Karl AsmuTid Rndolphi, ein Schwede, 1771 (14. Jnli) zu Stockholm
geboren, Schüler Hufclands in Jena, war seit Dozent in Greifswald.
Zu Anfang des vorigen .Tahrhnnderts machte er Reisen durch Deutsciilaiid, Krank-
reich, die Schweiz und Oesterreich, deren Erfahrnnj^-en er in den schon öfter
zitierten Reiseerinnerungen 1804 niederlegte. 1810 wurde er als Professor
fUr Anatomie nnd Direktor des anatomischen Instituts nach Berlin bemfen,
wnrde hier Mitglied der Akademie der Wissenschaften und starb am 29. No-
vember 1832. Er sehnf die Sammlungen fttr Histologie nnd Terglelchende
Anatomie. Seine Arbeit umfasste ein grosses Gebiet: Botanik, Zoologie,
Anatomie (vergleichende und pathologische), Physiologie, Anthropologie
Numismatik ; auch als Kritiker und racdizini,scher Historiker war er thätig;
eine Gediciitsamnilung von ihm erschien I7!)s. Er war ein bep^eisierti-r Ver-
ehrer Ilallers; in seinem Grundriss der Physiologie zeigt er sich als nüch-
ternen, allem Hypothetischen, namentlich der Nuturphisosopliie, freilich auf
der anderen Seite auch den Vivisektionen abgeneigten Forscher. Sein grosser
Sehfller Johannes MtUler hielt ihm die Gedächtnisrede in der Akademie 1837.
Er schrieb nnter Tielem anderen das klassische zoologische Werk: „Ento-
zooram sive vermiom intestinalinm historia natoralis* (18<^— 1810), (Biogr.
Lex. V. 112. Haeser IL 858. OeL Berl. 1825 p. 224.)
TS) Biogr. Lex. VI. 314. Callisen XSXIL 332. Haeser IL 784. Lorlnser,
Sdbstbiographie. KOpke, Gründung der Universitltt Berlin.
n) Dr. Schmidt, Amannensis Helms, war etaier der ersten, die in Berlin
magnetische Euren auslttlirton. Sein Glaube an die Inspiration seiner Som>
nambulen ging so weit, dass er anderen Kranken, die er mit jenen In Rapport
gesetzt hatte, die von den Somnambulen verordneten heftigsten Mittel ohne
weitere Prüfung gab; „die Kranken wurden das Opfer, der ehrliche Schwürmer
gelangte zur Erkenntnis seines Irrthums und starb selbst aus Gram und Ge-
wissensTorwürfen". (Köpke, Gründung der Universität Berlin, p. 256.)
80) Bremer hatte diese Pocken an Kühen am 14. Mai in Malchow ent-
deckt. (Gesch. d. Uufelandschen Gesellscliaft. p. 28.)
si) Benedikt Geb el, geb. zu Beichenbach in Schlesien 1772, promovierte
zum Dr. med. in Frankfurt 1794, war lange Kreis- und Stadtjihysikus zu
Frankenstein in Schlesien, Er gab heraus: .Aktenstücke, die Möglichkeit
der t.'-ünzlichen Blatternausrottung betretlcnd" (1802), „Bemerkungen über die
Blulleniepidcniie zu Frankenstein 1799" (1801). Xaclukuu er Medizinulraih
und Laudrath des Jaucrscljcn Kreises geworden war, wurde er i81G ive-
gierungsdirektor in Erftirt. (Biogr. Lex. IL 512. Callisen III. 101.)
aaj Während Hufelandä Abwesenheit, der der Künigüchen Famiüe nach
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63
Schlesien gefolgt war, flihrte Heim den Vorsitz in der Geaellachaft. (Geecb.
d. Hofelandscheii Geseilsch. p. 31.)
83) Bei (lieser Epidemie, die v(m Ende 1812 bis 1814 dauerte, führte
Horn in der Charite das Absondeningsprlnzip durch und es bew;ihrto sieh
vortrefflich. Es gelang ilira, die Krankheit auf eine Keihe von Zimmern zu
beschränken und ihren Uebergang auf andere Ahtheilungen zu ver-
hüten. (Horn, „Erfahrungen Uber das ansteckende Nerven- und Lazareth-
üeber etc.* 1814.)
84) liufeland schlug eine Vereinigung aller Aerzte vor, um die alten
ofßzinellen Namen der Heilmittel beizubehalten. (Gesch. d. Hufelandscben
Gesellschaft, p. 37.)
86) Peter Kruke nberg, .der Kliniker" (Rohlfs), geb. 1788 zu Königs-
lutter, studierte in Göttingen und Berlin, Schüler Heims und Reils, machte
die Befreiungskriege im Lützowschen Korps erst als Jiigcr, dann als Arzt
mit, und wurde trotz noch niobt absol'vierfeeii SteatitKameni nadi Hill« be-
rofen, um die mediziniBClie KUnik zu leiten. Hier wurde er einer der Be-
grOnder des küniseben Unteniebts. 1816 richtete er die dortige Poliklinik
ein. Er stirb «m 13. Dezember 1865. (Biogr. Lex. IIL 560. Allg. d. Blogr.
XVIL 237. BoUft, Klassiker I. 520.)
m) Tb. H. Friedrieh hielt in den Wintern 1813/M nnd 1814/15 satirisdie
Vorlesungen, in denen er die SSeitsostlnde In Jeder Hinsicht schürf gelsselte.
Die Vorlesungen erschienen in Buchform unter dem Titel: „Satyrischor Feld-
zug mit humoristischen Abschweifungen'. 3 Bde. Berlin 1815/16. In Band II.
5. Vorlesung , Leben, Thaten, DenksprUche und höchst merkwürdige Schick-
sale eines Papagayen" findet sich die Verspottung des Dr. Bandwurm und des
Aerztestandes. Doktor Bandwurm, Arzt in einem grossen Krankenhause, wo
er auch wohnte, bcsass den rapugcieu Pipu. Bandwurm hatte in dem
Krankenhause den Brauch eingeführt, dass die fttr die Kmnkai bestimmten
Aneneien mit der Nnmmer des Bettes bezeichnet wurden, nm Verwechse-
Inngui za Termelden. Bines Tages vergass er die Nummern seinen Rezepten
hinzuzufügen und der Apothekergehilfe begab sich in des Doktors Wohnung,
um ihn diese Bestimmung nachtr:i<;1tch treffen zu lassen. Die Thür war ver-
schlössen, aber auf sein Klopfen hörte er den bekannten Huf des Doktors,
„Werda". den der Papagei ausstiess. Bandwurm war abwesend. Der Ge-
hilfe, der ihn im Zimmer wMhnte, fragte nun durch die Thür, wer das Brech-
mittel erhalten sollte, und der Papagei, der zählen konnte, rief „Eins!" Wer
das ChinadekoktV ^Zwei!" u. s. w. So empfing er sUmmtliche Nummern und
liess danach die Arzeneien vertheilen. NatOrUch wirkten alle falsch, ent-
gegengesetzt der Absicht des Doktors, aber als dieser entsetzt ins Kranken-
haus stUrzie, um das Unheil noch abzuwenden, waren alle Kranken auf dem
W^e der Besserung und wurden gesund.
st) Johann Schweitzer, geboren 1777 zuDanzig, Arzt in seiner Vater-
stadt, Uess sich nach den Beflreiungskriegen in Berlin nieder. Als AnhBnger
des thierischen Magnetismus schloss er sieh hier an Wolfart an, In dessen Jahr-
buch er ^Geschichte durch den Hagnetismus gelungener und nicht gelungener
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Aas den TaKebflcbern des alten Heim.
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Kuren* schrieb. Er starb 1824 am 17. November. (Biogr. Lex. V. 323.
CalliBen XVn. 438. XXXII. 248.)
m) Abraham Zadig, geboren 1761 zu Breslau, liess sich 1802 taufen,
wobei er den Nenum Angiut Theodor Zantii aanalim. Ale JerOme 1807 mit
seiner Gemahlin naeh Breslau kam, wurde er deren Leibarst Et starb 1836
zu Polnisch-Lissa In Posen, (ßogr. Lex. VI. 353.)
w) Karl August Wilhelm Berends, geboren zu Anklam am 19. April
1759 (dem Gel. Berl. 1835 p. 16 zufolge 1754), war seit 1788 Professor der
Mediadn in Frankflirti siedelte mit der Viadrina nach Breslau Uber nnd
wnrde 1815 als Professor der medisinisehen Klinik nach Berlin berufen. Er
stand als gründlicher Kenner des Hippokrates und überhaapt der älteren
Medizin in hohem Ansehen. Am I. Dezember 1826 starb er als Geheimer
Medizinalrath. Von sciimn Schriften seien hervorgehoben: „Vieles, nicht
langes Leben ist des nsc hen Bestimmung'' (1792) Nach seinem Tode er-
schienen 1827 — 29 ^Vorlesungen über die praktische Arzneiwibsenschaft* nnd
1830 „Lectiones in Hipi^ocsatis uphoriömos". (Biogr. Lex. VL 345. Callisen
XXI 411. XXXin. 353.)
so) Johann Jlalfatti, Edler von Monteregio, 1776 zu Lucca geboren,
Arzt zu Wien. Während des Kongresses erfreute er sich grosser Beliebtheit
bei den fremden Fttrsten nnd Diplomaten.' Er war BegrOnder nnd erster
Präsident der K K. GeseUschafI der Aerxte. (Biogr. Lex. IV. 105. Callisen
Xn. 147. XXX. 204.)
•i) Bardeleben, Lehrbuch der Ghiroi^e und Operatlooslehre L Haeser,
Gesehidite der Medizin L IL Pitha u. BiUrofh, Handbuch der allgemeinen
nnd spesidlen Chirurgie m. 1. A. Abschn. HL t. Gräfe, Bhinoplastik.
Fritze u. Boich, Die plastische Chirurgie in ihrem weitesten Umfange. Dieffen>
bach, Die operative Chimrg-ie I. und Chirurgische Erfahrungen besonders
über die WiederherstelloDg zerstörter Theile des menschlichen KOrpers.
m) Johann Nepomnk Ritter v. Rnss, am 5. Oktober 1775 auf Schloss
Johannesberg zu Jauemig in Österr.-Schlesien geboren, wurde 1815 aus
Österreich, wo er in Wumi und Prag studiert liatto, nach Preussen berufen,
und 1816 als Nachfolger Mursinna.s Professor der Chirurgie und Augenheil-
. künde an der medizinisch-chirurgischen Militär-Akademie, 1818 a. o. Professor
an der Universität, 1821 Geh. Med.-Kath und vortragender Rath im Kultus-
ministerium, nach Goerkes Tod 1822 General-Stabsarzt, 1824 ordentl. Pro-
fiBssor. Friedrich Wilhelm IV. ernannte ihn 1840 zum KOnigL Leibarzt, doch
starb er am 9. Oktober dieses Jahres. Er war ehi guter Lehrer und Ope-
rateur, Tor allem tüchtiger Medizinalbeamter. Als solcher beseitigte er die
Trennung zwischen Civil- und MilitUrärzten und vereinigte die bidier in der
Praxis geschiedene Medizin imd Chirurgie. Sehr missliebig machte er sich
1831 durch seine geradezu wtMcr^innigen Absperrungs- und Vorsichtsmass-
regeln gegen die Cholera, die man bei Streckfuss, Berlin im 19. Jahrhundert
II. p. 360 ff. sehr ausführlich verzeichnet findet. (Biogr. Lex. V. 127. Callisen
XVI. 439. XXXIl. .53. Gel. Berlin 18Ü5, p. 231 tf.)
n) Si non ö vero, ö ben trovato. Bekaimtlich kam Graefc erst nach
54
dem Tode der Königin nach Berlin; auch das Auftreten als deoB ex marhina
in der Anekdote beweist deren freie Erfindung.
m) AnfiOttze von Ruas Aber Hunger- nnd Lmnctionskiiren sind in den
Jahren 181G, 19, 21, 40 in seinem Magazin für din gesammte Heillmnde oder
in seinem theoretisch-praktischen Handbuch der Cbirorgie ete. erschienen.
m) Als Festschrift erschien Prenss, Goerkes Leben und Wirken,
2. Anii. 1818.
m) Nach dem Sitzongsbericht waren es sogar 4 Patienten. Das von
Heim so gelobte Knnsterzengniss stellte eine ToUkommen wohlgebildete, mit
warme und Gefühl begabte Nase dar. Es ist die von GrKfe nach der
deutschen Methode gebildete. In seiner „Rhinoplastik* giebt GrUfe an, die
Vorstellnriir sei am 7. Novombor orfolfjt; dem widerspricht wie hier Heims
Taji:el)uch auch der Sitzunfrsbericht der niodiziiiiselion Gesellschaft, der im
übrigen genau dasselbe Urtheil enthUlt, wie Ueim es liier ausspricht. (Ge-
schichte der Hufelaiuischen Gesellschaft. 50.)
97) Friedrich "Wilhelm Fcrdiuand Schult^, gc'boren zu Perleberg
31. Juli 1775, war seit 1798 Arzt in Berlin, wurde l^oO Hofrath, brachte
1801 die Schutzpocken nach Petersburg. 1813—15 leitete er die Berliner
Lazarethe. Er starb am 13. April 1831. (ßiogr. Lex. V. 300. Callisen,
XXXII. 322.)
98) Dr. Johann Karl Horlachcr, prcussischcr Militiirurzt. 1799 wurde
er Oberarzt, 1806 Stabsarzt an der Pepini6re, 1819 Regimentsarzt in Berlin.
(Prenss, Friedrieh Wflhelms-Ihstitut, p. 149.)
99) Georg Gustav Philipp Ilauck, Geh. llofrath, j^eboren 25. Juni 1783
zu Berlin, war Schüler von ilursinna. Heim imd seinem Vormund Ribke,
widmete sich vorzugsweise der Geburtshilfe nnd war DhrelEtor des Hebammen-
Instituts. (Biogr. Lex. HI. 82.)
100) Preuss gab als Festschrift heraus: „Das Königlich preussischo
medizinisch-chirurgische Friedrich Wilhclms-Institut, ursprünglich chirurgische
Pepini^re zu Berlin. Ein geschichtlicher Versuch zum 25. Stiftungstage des-
selben, dem 2. August 1819. Gedruckt in der Ungeraehen Buehdruckerei*
Johann Duvid iJrdmann Preuss, geboren zu Landsberg a. W. am »
1. April 1785, war seit 1816 ordenUicher Lehrer der Geschichte an der
Fepinitoe. Ausser den schon genannten beiden Schriften gab er eine
«Preussisch-Brandenburgische Geschichte unter den EOnigen* (1816) heraus
und, auf ein ganz anderes Gebiet abschweifend, »Siona, Herzenserhebungen in
Morgen- und Abendandachten der vorzüglichsten deutschen Dichter*. (Gel.
Berlin 1825, p. 202.)
m) Karl Georg Neumann, geboren zu Gera 13. ICBrz 1774, zuerst in
sächsischen Dii nston, wurdr 1R16 preussischer Regierungs-Medizinalrath in
Stettin, 1819 dirigierender Arzt und Lehrer der medizinischen Klinik an der
Charitö, starb isr)f) 7m Aachen. Kr war ein Hauptvertreter der naturphilo-
sophi-schen Scliul.'. (Bio;;r. Lex. IV. 359. Calli.sen XIII. 470. XXXI. 31.)
Nach dem Sitzungsbericht (Gesch. d. IIufeland-Gcs. 50) gab er in der nicht
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Ans den Tagebflcfaem de« alten Beiin.
65
TOn ihm selbst, sondern von Professor Osann voigeleaenen Abhandlung eine
Übersicht der in dem letzten halben Jahre in dor Charite behandelten
Kranken, des allg'emoin licrrsclicjidon Kranklieitscharakters und der in der
Charite beobachteten merkwürdigsteu Krankheitsfölle.
loi) Die cgyptisehe AQgenentzttndiuig hemchte zn der Zeit epidemlseb
in der preiuaiscben Annee.
t«B) Dietrich George Kieser, einer der Haaptvertreter der natnrphilo-
Bophlechen Rlehtnag, war Professor in Jena. 1847 ttbemahm er die psycbia-
triscbe KlinüL in Jena und widmete von da an seine Thätigkdt den Qeistes
■krankhoiten. Als hOcIiste Aufgabe der Heilkunde betrachtete er ,die philo-
sophische Konstruktion", aber keiner von den Anhängern SclK-llings hat es
so yvio er verstanden, eine Fülle empirischer Thatsachen unter allgemeine
(iesi(;litispiinkte zu bringen- Krankheit ist ihm ein im gesunden Organismus
entwickelter rüeksohreitender Lebensprozess, ein niederer (d. h. anf einer
niedrigeren ötule der Entwicklung stehender) Organismus, der mit liecht
eine Afterorganisation genannt werden konnte. Seine Arbeiten ttber die
Entwieklnngsgescbicbte nnd die Anatomie der Pflanzen siehem ilun in der
Gesdiicbte der Natnrforsohnng eine ebenso ebrenyoUe Stelle, wie seine
Elemente der Psycliiatrik in der Medizin. Auch dem Mesmerismns war er
niclit abhold; er schrieb ein „System des Tellarismns Oder thierischen Magne-
tismus" (1^21—2?). Mit besonderer WUrme nahm er sich auch des Ge-
fangenen- und Inenheilwesens an. (Biogr. Lex. III. 470. üaeser IL 821.
CaUisen X. löö. XXiX. 244. Hirsch, Gesch. d. Med. 416.)
m) Die Aphorismen sprechen von der schnellen Tötlichkeit einer in
hitzigen Fiebern schnell entstehenden anginilsen Affektion. (Gesch. d. Hofe-
land-Ges. 58.)
106) Gemeint ist Hahnemanns, des weltbekannten Begründers der
Homöopathie «Oiganon der rationellen Heilkunde«, Dresden 1810. Die zweite
Auflage erschien 1>^19 unter dem Titel .Organon der Tleilkunst". 374 Seiten
stark. Ks ist ins Französische, Englische, Italienische, Kossische tibersetzt.
CCaUisea VUL 43.)
. Mt) Siegismnnd Friedrich Hermbstädt, Dr. med. et phil., geboren zn
Eriftirt 14. April 1760, studierte Pharmakologie und Chemie, leitete in Berlin
die Apotheke des verstorbenen Valentin Kose. Seit 1787 hielt er hier Privat-
vorlesungen über Chemie, Phynik, Teclmniogie und Pharmacic; 1791 wurde
er Professor der Chemie und Pharni;i/ie am Coli, med.-chir. und Leiter der
Küniglichen Uotapotheke. Er starb als Geh. Medizinalratli am 22. Oktober
lö'd'd. Seit der Stiftung der Universität wai- er auch Professor an dieser,
seit 1793 IGtglied der Geselisebaft natorfbrselkender Freunde nnd seit 1803
der Akademie der Wissenschaften. (Biogr. Lex. UL 173. Gel. Berlin 1885
p. 313.)
107) Georg Stcglehner, Dr. med., PTosektor am anatomischen Theater
zn Bambeig. 1817 erschien Yon ihm: „De hermaphroditamm natura traetatns
anat physiol. pathologicns". (CaUisen XVHL 337.)
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56
Geoig Siegexist.
loa) Karl Aiig^ust Wc inhold, zu Meissen 1782 g-eboren (17ft3 nach
Andreae, Clirouik der Ärzte des Kegieiiiu^^äbezirks Magdeburg), trat in
titchflisehe lUlitXr^BanitStsdienste, wurde 1815 preiusiscber Medizinalrath in
Merseborg, 1817 ordentUcdier Professor fttr Hedtzln und Chimrgie in Halle,
wo er am 39. September 1829 starb. Er war ein tüchtiger Physiologe und
Chirurg, aber Hypochonder und litt zeitweilig an Verfolgungswahn. Neben
der Medizin war er auf vielen anderen Gebieten schriftstellerisch thätig; aof
politischem in den Schriften «Arndt und Kotzebue als politisohe Schriftstcllor**
(1814), „Ermunterung- zum Kampfe im Geiste der Zeit geg-en den Geist der
Finsternis. Ein Wort verauhisst dureh die Feier des Krüimngs- und Ordens-
festes 1819." (1819). l)a^ Gebiet der Volkswirthächaft berührt: „Das Gleich-
gewieht der Bevölkerung als Grundlage der Wohlfahrt der (Jesellschaft und
der Eumilien". Eine eigenthümliche Berühmtheit erlangte er durch sciueu
allen Ernstes gemachten Yorseblag, die ÜbenrOlkemng durch Inflbulatlon
beün mannlichen Geschlecht zu verhüten. „Von der Übenrölkenmg in
Hitteleuropa und deren Folge auf die Staaten und deren ClTÜisation. Dem
preussischen Staatsministerium zur Befaerzignng gewidmet". (Biogr. Lex.
VL 224. Andreae I. 239.)
im) In der mediziniseh'physikaUschen (Elaprotbschen) Gesellsohaft.
uo) August Karl Friedrich Hermann Klaatsch, Dr. med., praktischer
Arzt, geboren zu Berlin den 26. Dezember 1792, wurde 1825 Medizhialrath
und starb schon 1829 am 16. Oktober. Die FeldzOge 1813^15 hatte er im
aktiven Heere mitgemacht (Biogr. Lex. VL 879. Gel. Berl. 1845 p. 132.
Gallisen XXIX. 260.)
ni) Justus Friedrich Karl Hocker, medizinischer Historiker und Epi-
demiograph, geb. 5. Januar 1795 zu Erfurt, studierte in Berlin, machte als
Freiwilliger die Befreiungskriege mit, habilitierte sich 1817 hier als Privat-
dozent. Seine „Geschichte der Heilkunde" (^dcren 1. Band 1822 erschien)
versehaHte ihm die Stelle eines a. o. Professors. 1827 wurde er Mitglied der
Oher-Examinations-Kommission, 1834 o. Professor. Er starb am 11. Mai 1850.
llecker ist Begründer der historischen Pathologie ; auf diesem Gebiete schrieb
er: «Der schwarze Tod im 14. Jahrhundert" (1832), „Die Tanzwuth, eine
Volkskrankheit im Hittelalter'* (1832), „Der englische Schweiss, ein Srztlieher
Beitrag zur Geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts'* (1834), wofOr er. die
preussische goldene Hedaille für Kunst und Wissenschaft eriiielt, ,J)e peste
Antonina coramcntatio" (1835), „Die Pest in Moskau 1770—71" (1838), „Die
Kiuderfahrten, eine historiseh-pathologische Skizze' (1845), „Über Visionen,
eine psychologische Studie zur Geseliichte der Jeanne d'Arc" (1848). Diese
s.imtliehcn Arbeiten hat Hirsch gesammelt unter dem Titel: ,,Die grossen
Volkskrankheiten des Mittelalters" (1865V (Biogr. Lex. III. 101. Caliisen
VUI. 23r.. XX\ 111. 421. Allg. d. Biogr. XL 211.)
iiri Wilhelm Eek, geboren 5. Januar 1795 zu Freistadt in Westpreussen,
aul der Pepiuiöre ausgebildet, war ärztlicher Begleiter der Prinzen Wilhelm
und Karl yon Preussen auf Beisai in Bussland und der Sdiweiz, wurde
1829 a. 0. Professor an der Universität Berlin, 1840 o. Professor, 1844 General-
arzt. Den zahlreichen Jüntem, die er bekleidete (Geh. Hedizhiahratb, Hit-
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Aua den Tagebüchern des alten Heim.
57
glied der wlsseiudiBltL Depntatioii fttr dMlIedl^alwesen, Examinator, Hit-
redakteor dreier mediziiiiacher SSeitsehrifken -~ CSiolera-Archiv, Siut*8 Magariw,
Med. Ztg. d. Verdns f. Heilknnde) wnaste er durch aeine Unermlldliehkdt
und gdätige Lebradigkeit gerecht zu werden. Er starb plötzlich am 9. De-
aember 1848. (Biogr. Lex. VL 733. Callisen V. 509. XXVIL 415.)
ns) Friedrich Schlemm, geboren zu Salzgitter in Hannover am
11. Dezember 1705, machte seine Studien in Braunschweig und Berlin, wo
er sieh 1820 {nicht 1823, wie Biogr. Lex. V. 235 steht) als Prosektor habili-
tierte. Seit 1833 war er ordentl. Professor der Anatomie m In n Joh. Müller.
Er war ein Meister der anatomischen Technik. Er starb am Z7. Mai 1858.
(Biogr. Lex. V. 235. Callisen XVIL 168. XXU. 154.)
Iii) Johann Friedrich Niemann, 17G5— 1811, seit 1816 Regierungs-
nnd Mcdizinalrath in Merseburg, vorher in Halberstadt. ( Hiogr. Lex. IV. 370.)
115) Johannes Evangelista Kitter von Purkinje (Purkynö), Physiologe,
geboren 1787 zu Libochowitz in Böhmen, wnrde erst Mönch, studierte dann
In Prag Medizin, gewann dnreh seine Dissertation „Beitrifge zur Kenntnis
des Sehens in snla'eictiyer Hinsicht'* (1819) die Frenndsehaft Ooethes, wurde
1833 o. Professor der Physiologie nnd Pathologie in Breslau, welche Be«
rafting er Goethe verdankte, der Humboldt auf ihn aufmerksam gemacht
hatte, ging 1849 nach Prag zurück und starb 1869. Sein Spezialgebiet war
die physiologische Optik und Entwicklungsgesehiehte. Er entdeckte das
KeimblHschen im Vogelei sowie die Flimmerbewegung. In einem 1837 auf
der Naturforschorvorsainüilung zu Prag gehaltenen Vortrage über ,,Die
Hagendrüsen und die Xutur des Verdauens im Magen" sprach er 2 Jahre
TOr Behwann die Hanptidee von der Zellenlehie öifentlieh aus. In Breslau
begründete er das erste physiologische Institut, das Bebrütter in s^er Qe-
dScbtnisrede auf P. „die Wiege der Histologie'* nennt. (Biogr. Lex. IV. 369.
Wurzbach, Biogr. Lex. Österreichs XXIV. 94.)
im) Johann Friedrich Wilhelm Hesse, 16. Februar 1782 zu Sandau an
der Elbe geboren, war Zögling der PepiniAre, Teriiess 1812 den Militärdienst,
liess sich als Arzt in Berlin nieder und betrieb daneben die Zahnheilkunde.
1827 habilitierte er sich hierfür an der Universität Er war Hofmedikus,
Hofarzt des Kronprinzen und Leibarzt des Prinzen Wilhelm, des nachmaligen
ersten Kaisers. Er starb 1832. (Biogr. Lex. III. 186.)
117) Johann Wilhelm von Wichel, 1. Generalstabsarzt und Chef des
MiiitUrmedizinahvesens, 1. Leibarzt des Ki5nigs nach Hufelaiids Tode, wurde
geboren am 24. Oktober 1767 zu Berlin und begann seine Laufljahn als
17 jähriger Kompagniechimrg^. Seine Uauptverdienste liegen auf dem
Gebiet des Militttr-Sanltätswesens. Er Tcrbesserte die Ausbüdnng der MUitMr*
Brzte, rief das Korpe der Chirurgen-, jetzt Lazaretbgeiiilfen ins Leben» erliess
1834 „Neue Vorschriften ttber den Dienst der Krankenpflege im Felde**.
Nachdem er 1834 sein SOjKhriges Diens^inbiiaam gefeiert hatte, wozu seine
Biographie erschien, starb er am 6. Juni 1817. Sein grösster Schüler, Rudolf
Virchow, oharakterisiortc ihn als , .einen Mann von mässigem Wissen, aber
von grotisem Takt und der das Herz auf dem rechten Flecke hatte". (Bio^^r.
Lex. VL 264. CaUisen XXL 128. W. Becher, Kudoif Virchow, 1891. p. 3.)
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58
im) R118B, üeber den sogenannten Wunderdoktor Grabe. (MagazlD für
die gesammte HeUkuide, Bd. XVm. Heft 3.)
1») Friedrich Wilhelm Georg Kranichfeld, geboren 1789 in Tbtüringen,
Augenarzt, ^var seit 1826 Professor in Berlin. Er liatte sich die Bekftmpfiing
(h'v Trunksucht znr Lebensaufgabe gemacht, wodurch auch sein Name am
bekanntesten geworden ist, doch halte er auf diesem Gebiet nur geringe
Erfolge, weil sein exeentrisehes, mit dem Pietismus Hand in Hand gehendes
Verfalnen ihn llieherlich machte. 1S6!S legte er seine Professur nieder und
verliess Berlin. (Biogr. Lex. IIL 542. Calliscn X. 368.)
120) Graefe erhielt für die Behandlung des Königs ein Honorar von
5000 Thalern in Gold.
lu) Johann Benjamin Erhard, 1760 /.n XUrnberg geboren, war in
seiner Jugend Drahtzieher und Graveur Al.s elfjäliriger Knabe las er WoIfTs
mathematische und philosi'jilüsche Schriften. Mit •?] Jahren begann er in
Würzburg Mathematik, .Sprachen, NatLn'wissens( hattrn und Medizin zu stu-
dieren, reiste dann durch Deutschland, verkehrte im Winter 1700.91 zu Jena
im Schillerschen Hause, lernte in /Königsberg Kant kennen. 1799 zog ihn
Hardenberg nach Berlin, wo er sich eine glänzende ärztliche Praxis schuf.
Er starb am 28. November 1827. Ausser medizinischen Bttehezn schrieb er:
„Über das Recht des Volkes zu emer Revolation" (1794), „Theorie der Ge-
setze, die sich auf das bürgerliche Wohl des Bfiigers beziehen'* (1800) vu a.
(Biogr. Lex. IL 296. Allg. d. Biogr. VI. 200.)
itt) Johann Christian Jtlngken, der beriUmite Augenarzt Er war am
12. Juni 1793 za Bnrg geboren, wurde 1825 a. o. Professor in Berlin. Der
Klüiik für Augenheilkunde an der CharitÖ hat er 40 Jafaze ▼oigestanden.
1834 wurde er o. Professor der Chirargie und Augenheilkunde, 1841 Nach-
folger Rusts in der Leitung der chirurgischen Klinik in der Charite. Als
einer der ersten hat er das Chlorotorra angewandt. l^^^iS legte er seine
Direktion nieder und starb am 8. September 1875. lOine ausführliche Bio-
graphie von ihm befindet sich aoä der Feder Gui'ltß in der Allg. d. Biogr.
XIV. 121. (l?io-r. Lex. III. 422.)
123) Steiihan Friedrich Haretz. geboren 30. August 1790. Nach
beendetem Studium liess er sich als Arzt in Berlin nieder, wo er Förderer
an Fonney und Heinrich Meyer fand. 1820 habilitierte er sich an der
ünitrersität, wurde Stadt- und Kriminalphysikus, 1831 Direktor der Station
für Einderkrankheiten an der Charit^; er starb als Geh. Ober-Medizinatarath
und Tortragfflider Rath im Kultusministerium am 12. Januar 1856. (Biogr.
Lex. I. 291. Callisen I. 421. XXVI. 148.)
im) Johann August Hedenus, geboren zu Langensalza 11. August 1760,
züerst Phanuazeut, dann Mediziner, war schliesslich sSehsisoher Hoihtthund
erster Leibarzt des XOnigs Anton.
us) Dr. Kalow, Mitglied des ärztlichen Vereins van Swieten-Stollia,
der nach Heims Tode den Namen Heimia annahm, starb als eins der ersten
Opfer der Cholera am 7. September, nachdem er noch am Tage vorher
Cboleraleichea seciert und im Eifer des lebhaft entbrannten Streites iUr und
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Ans den Tagebflchem des alten Heim.
69
gegen die KoutagiossitUt Cholerablut gekostet hatte. (Bach der Heimia
18Ö4. p, 8.)
M) Cholera-Archiv Bd. I p. 76.
127) Cholera-Archiv, Cholera-Zeitung, Wollheim, medizinische Topo-
graphie von Berlin, Hirsch, Qescbiobte der epidemischen Krankheiten,
Lorinser, Selbstbiographie.
mb) Rudolphis Nachfolger wurde Johannes Müller aus Bonn als ordent-
licher Professor der Anatomie nnd Physiologie, Director des anatomischen
Theaters und des anatomisch-zootomischen Museums. Müller, der zum
Beginn des t>ommer8emesters 1833 nach Berlin kam, wurde hier mit wahrem
Enthusiasmus aufgenommen. „Die hohen Beamten lioffon von ihm eine
kräftige Erschütterung im akademischen Leben und namentlich im Studium
der Medizin, welches bisher hier so schliifirig nnd handwerksmltssig betriehen
wurde." (Merkel, Biographie Jakob Henles p. 103.)
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60 Georg Siegvriil.
IL
Andere Wissenschaften, Litteratur etc.
1796.
5. April. Mittags beim Minutar Hardenberg gespeist^ und
sehr wobl Ton üim behandelt worden. Blit den Herren von Humboldt
sehr viel gesprochen. Sie sind beide ein paar sehr Uebenswfirdig»
Menschen, die ich sehr sch&tse').
6. Mai Den ältesten Humboldt, Prof. Zenker, Prediger
Fiedler ans Spandan, Doctores Bremer, Wall nad Grapengiesser
znm Essen bei mir gehabt. Nach Tische mit den Fröschen galvanische
Yersnche gemacht.
12. Nach Tisch den D. Bremer besucht, wo wir mehrere
galvanische Yersnche machten.
15. Abends mit meinen beiden ältesten Töchtern beim D. Bremer ,
Yersnche mit der Elektrizitftt gesehen.
12. August. Lavaters Reise nach Kopenhagen mit grosser Yer-
wnnderung und die Parodie darauf Reise nach Fritzlar von Knigge mit
vielem Vergnügen gelesen. Lavater hat viel geistlichen Stolz und
Eitelkeit nebst einer Einbildungskraft, die ihn oft irre führt-).
20. Mittags von Madame Bergias im Tluei^;artea bewirthet
worden. Mit dem Kirchrath Meierotto') vieles gesprochen.
25. Mittags speisten Prof. Klaproth«), Apotheker Bose^) und
Maler Klotz bei mir.
19. Oktober. Starb einer der vortrefflichsten Männer von Herz und
Geist, der Kirchenrath Lipten^).
1798.
25. Februar. Bei D. Wolflf gespeist. Es wurde hier der 73. Geburts-
tag des Professors ilainlers in zahlreicher Mannsgesellschaft htirrlich
gefeiert'). Ich sass neben dem Konsistohalrath Zoeiiner*), der mich
sehr gut unterhalten hat.
^ ij . .-Lo Ly Google
Aus den T^igcbQchem des alten Heim.
61
1800.
9. April. Beim Minister Sehr Otter in grosser Manusgesellschaft
gespeist. Zoellner, Biester"), Nicolai'"), Fichte"), Fessleip),
V, Goecking'*) etc. waren hier.
24. September. Starb der Eircheuratli Meierotto, ein sehr
gelehrter and recht8chA£[ener Mann.
1801.
9. April. Mittags beim Professor Unger'*) in Gesellschaft von
Hufeland, Teller"), Zoellner, Gedicke*'), Schlegel") pp. gespeist.
15. Mai. Mittags zu Friedrichsfelde beim Professor Spalding")
gwpeist.
27. Mittags speiste der Direktor v. Schlechtendal "), D. Heim-
bach und Hofmeister Lentz aus Hamburg bei mir. Nach Tisch zeigte
ich ihnen mehrere von meinen Moosen, und gab ihnen auch einige.
23. Dezember. Mittags beim Oberst v. R eitzenstein in Gesell-
schaft des Konsistorialraths Ermann") gespeist.
30. Mittags beim Buchhändler Sander") in grosser Gesellscbaft,
in der sich auch der berfthmte von Kotzeboe befand, gespeiBt, und
sehr gut bewirthet worden.
1808.
24. März. Abends beim Geh. Tribunalsrath v. Lamprecht im
Gelehrten-Kränzchen recht vergnügt gewesen. Den gelehrten Prediger
Jenisch") kennen gelernt.
3. Dezember. Mittags beim Doniherru v. Rochow gespeist. Der
Dichter Hill er") aus Göthen war auch hier, mit dem ich viel sprach.
Es machte mir Vergnügen zu sehen, dass die ganze Gesellschaft diesen
sonst gemeinen Menschen ehrte, welches er wiridich verdient
1804.
7. Mai. Beim Geh. J.-Rath Grafen von Hagen in Gesfillschaft
mehrerer gespeist. Der berühmte v. Schiller^*) sollte auch hier sein,
er war aber krank geworden.
26. Dezember. Starb der Prof. Unger an der zuckerigen Harn-
ruhr (Diabetis mellitus).
1805.
7. Februar. Mittags beim Professor nnd Färber Manfredi in
Gesellschaft des Prinzen t. Radziwill, des österreichischen nnd
holländischen Gesandten pp. gespeist
18. M&rz. Absnds wurde im englisGliai Hans, im MontagsUab
in Gegenwart Ton fiut 100. Mensehen, fi»t lauter Gelehrten, der
0«org Siegorirt.
78. Geburtstag des bertthmten Nicolai gefeiert, wobei ich als Gast des
Geh. Raths v. Massenbach sngegea war.
4. August. Mittaps beim Geh. Rath Hufeland in kleiner Doktoron-
Gesellschaft gespeist. In dieser Gesellschaft mich sehr laut Regen den
V. Kotzeliue - ) erklilrt, da irh ihn wo nicht für einen schlechteo, so
doch für einea sehr leichtsiuaigea Maua halten muss.
1806.
13. Januar. Mittags beim Geb. Eabinettsratfa Lombard in kleiner
Gesellschaft von Gelehrten gespeist. Unter diesen befand sich auch
der berflhmte Reisende Hnmboldt, den ich hente nach seiner langen-
Reise zum ersten Mal wieder gesehen habe**^). Er war noch ebenso
landschaftlich gegen mich, als er es sonsten immer war, und erinnerte
sich noch mit Yergnfigen daran, dass ich ihm als Kind den ersten
Unterricht in der Botanik, und dadurch Lust zur Naturkunde gegeben
hatte. Mich sehr gut und lange mit ihm unterhalten.
6. Februar. Beim Minister v. Hardenl»erg in grosser Gesellschaft
gespeist. Ich sass zwischen dem beriihmteu v. Humboldt und Minister
V. Wittgenstein.
18. Septem her. Mittags beim Minister v. Hardenberg gespeist.
Der Kriegsrath Scharnweber erzählte grcsse Dinge von seiner
Thaerischen Landwirthschaft- ). Nach der Theorie mag er recht haben,
doch muss man erst die Praxis davon abwarten, ehe man es nachahmt.
Sein Gut kostet ihm ;iü UOO Thaler, 3U 000 Thaler hat er seit 2 Jahren
hineingesteckt, und verlangt jetzt 150000. Thaler.
23. Abends in der Yearsammlung der natnrforschenden Freunde
gewesen, wo ich recht sehr vergnUgt war. Seit 1773 ist diese Gesell-
schaft etabliert, und nach Aussagen der Jetsigen Mitglieder bin Ich der
einsige und erste Berliner, der in dieser Gesellschaft gewesen ist ohne
nicht Mitglied oder Fremder zu sein. Grosse Ehre fflr mich.
[Die eihte Tdec zur Begründung der Gesellschaft uaturforschender
Freunde gab der im Jahre 1778 verstorbene Arzt Dr. Martini. Die
sieben Beffründer der Gesellschaft am D. Juli 1773 waren Martini,
Hofstaatshui/.schreiber Ebel, der Astronom Bode, Apotheker Kobelt,
Rendaiit Siegfried, Kriegsrath Keiniari und Dr. Bloch (Ichthyologe). Es
wurden wöclu iitlii hc Zusammenkünfte beschlossen; zugleich wollte man
in schriftlichen Verkehr mit auswärtigen Gelehrten treten. Die Zahl
der ordeutliciieu Mitglieder sollte h«")ohstens 12 sein. Der Zweck der
Gesellschaft ist im Nameu deutlich ausgesprochen. Alle folgenden
ordentlichen Mitglieder nach den Begründern wurdeu durch Wahl aas
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Ans den Tacebflehem de« •alten Hdm.
63
den aasserordentlicheD Ifitgliedem aufgenommen. 1779 wurde ein
Direktorat eingerichtet, welches alle Monate nnter den ordentlichen
Mitgliedern wechselte. Die Korrespondenz über spesiell wissenschaft-
liche Gegenstände wurde nach den Materien nnter alle Mit^^^licdor ver-
theilt. Die Gesellschaft entw ickelte von Anfang an eine rege Thätigkeit,
wnrde schnell bekannt nnd berühmt, erfreute sich bald reichhaltiger
Sammlungen. In den ersten L^~) .lahron ihres Bestehens gab sie
IB Bände Srlirifton heraus, 4 Bänden „Beschäftigungen" mit Kunfem
1775—79, 11 Bände „Schriften" mit Kupfern 1780—94, 2 Bände „Neue
Schritten", endlich ein Universalrogistcr. Berühmte Mitglieder dieser
Zeit waren neben den schon gonannten K!a[>roth, der Entomologe Heress^
Geh. Forstrath v. Burgsdorf, der Botaniker Wildenow. Besonderer
Gunst erfreute sich die Gesellschaft bei Friedrich Wilhelm II. Er
schenkte ihr das Haus Fi*anzösischestr. 21) zur Aufbewahrunf; der
Materialien, Instrumente und der Bibliothek, dessen Inschrift „Friedrich
Wilhelm den Naturforschern MDC( 'T.XXX VI" noch heute seineu Zweck
verkündet. Neben der Wisst'nschal't wunlf auch Geselligkeit als zweiter
Theil der Zusammenkünfte gepflegt, deren Genuss „einen so wesent-
licluMi Einfluss auf die Stimmung dos McnscluMi hat, dass die Urbanität
schwerlich so oft unter den Gelehrten wü!<le veniiisst worden sein,
wenn sie nicht zu häufig über die Kultur der Wissenschaften die
Pflichten der Geselligkeit versäumt hätten". So s[)racli Karsten in
seiner Festrede zum 25 jähri;i:en Bestehen der CJesellschatt im Jahre
1798, und wenige .lahre sjiäter schildei't Rudolphi eine Sitzung gelegent-
lich seines Berliner Besuchs: „. . . . nachdem die Gesellschaft ihre
Ökonomica besorgt hat, werden Vorlesungen gehalten, und interessante
Neuigkeiten mitgetlieilt, Naturprodukte vorgezeigt u, s. w, und eleu
Besch luss macht ein Liebesmahl, im wahren Sinne des Wortes. Der
Gelehrte macht hier dem Meiiseluii Platz, und es ist, als wenn Brüder
versammelt wären; ich habe hier meine schönsten Abende verlebt, und
es waren mir Feiertage, wenn die Gesellschaft zusammentrat" '^).J
1807.
8. April. Mittags zu Lichtenberg beim Eriegsnith Scharnweber
in Gesellschaft des Geh. F.-R. y. Faudel, llinisters t. Buchholz,
Ifland, Geh. R. Schüler, Ifinister v. Thfimmel aus Gotha nebst seinem
Bruder, dem bei'fihmten Schriftsteller gespeist'^).
1. Mai. Mittags heim Minister v. Heden in Gesellschaft von
V. Hnmboid und seinem Reisegefährten Bon plan gespeist.
9. August Starb der Apotheker Rose, ein sehr geschickter Mann,
dessen Tod mir recht nahe geh^ an der Cholera.
64
Qwn|f fliiQgirfit
1808.
19. Dezember. Mittags beim Grafen v. Hagen in Gesellschaft
des ber&hmten Naturkundigen v. Hoffmanaseck^') gespeist
1809.
Juli. Der TaBchenspieler Schaar hatte mehreren Gelehrten allhier
weis gemacht, er kOnne in V4 Stunde in Wasser zuvor eingeweichte
Erbsen in einer beeonders dasn präparierten Erde zn mehreren Zoll
Hölip wachsend machen, und er würde sich anch billig finden lassmii
dies Geheimnis anderen za lehren. Ich schäme mich fast es zu schreiben,
dass fast Jedermann, besonders Gelehrte, solchen Unsinn glanbten, and
deshalb selbst mehrere Yersnche anstellten. RIaproth, Herrn stä dt,
Wildenow'^), Karsten'^) waren nnter diesen Gelehrten.
1810.
17. Marz. Mittags auf der Börsenhalle in Gesellschaft vieler ge-
speist. Den Prof. Schneider'*) aus Frankfuit und den berühmten
V. Buch'"') daselbst kennen gelernt.
5. Jnli. In der Philomatischen Gesellschaft f^^owesen, wo der
D. Lichtenstein"), der sich lange in Afrika aufgehalten, uns vieles von
Buschmännern, Kaffern nnd llottentotten erzählte, und sehr schöne von
ihnen verfertigte Sachen vorzeigte.
26. September. Mittags beim Geh. R. Formey in grosser Gesell-
schaft von Ärzten gespeist und zu Irei über die jetzige Einrichtung der
Universität geBprochoi. >^
1811.
30. Oktober. Mittags beim Feldmarschall Grafen Kalkreuth ge-
speist. Prof. Bode**) der Astronom unterhielt uns alle sehr angenehm.
1814.
27. August. Mittags beim Hofrath Parthey'^) gespeist und in Ge-
sellschaft des Direktors Bellermann*), Prof. Stein^^) etc. sehr ver-
gnügt gewesen.
1815.
7. November. Abends in der Klaprothschen Gesellschaft, wo das
Stück Haut und Haare von verschiedenen Tlieilen des Körpers vom
Mammuth, die der Russische Kaiser au unseren König geschenkt hat,
vorgezeigt wuriieu.
Ans den Tifsbfleheni des alten Heim.
66
1816.
7. Bfai. AJbeads in der lOaproiiischAn OeseUschaft gewesen, in der
Professor Link^*) eine gute Abbandlnng über Krankheiten der Pflanzen
vorlas.
1818.
22. Juni. Mittags beim französischen Gesandten Marqnts de Bonnet
mit dem Prof. Link nnd D. Stosch gespeist Vor nnd nach Tische
kryptogamische Pflanzen besehen.
6. Desember. In der gesetslosen Bnttmannschen Gtosellsehaft ge-
speist Wnrde der Geburtstag des Prof. Battmann von mehr als 100 Per-
sonen anf dem Börsenhaose gefeiert und ihm ein grosser silbemer Pokal
znm Gesdienk gemacht.**)
[Die gesetzlose Gesollschaft wurde am 4. November 1809 gestiftet
oder, wie sich ihr Begründer Battmann in den „pragmatischen Stataten**
ausdruckt, „sie setzte sich am 4. November 1809 vierzehn Personeu
stark*. Aadi Aber die Art nnd Weise, wie man Büßlied wnrde, lassen
wir fflglush diese Statnten selbst sprechen: , Jedes Mitglied ist Mitglied,
sowie die flbrigen ^ch überzeugt haben, dass er es ist So oft also die
Mittheüiing einer solchen Anerkennung an ein bis dahin noch unbe-
kanntes Mitglied eigeht, so verbittet man sich von jedem die etwaige
Yerweigerang, als eine haare Absnrditftt** Die Zusammenkflnffce der
Gesellschaft fanden alle 14 Tage des Sonnabends in einem jedesmal
vorher bestimmten anderen Lokale statt, um cn Mittag an speisen; Zeit
nnd Ort wurden durch einen mittels Boten hemmgehenden Zettel bekannt
gemacht» der swei Kolumnen enthielt, Ademnt nnd Viderunt; unter
jener trugen die sich ein» die kommen wollten (nebst etwaigen Gästen),
unter dieser die, »bei denen diese Meinung sich noch nicht ausgebildet
hat". Als Lohn erhielt der Bote von jedem einen Groschen. Frauen
und Kinder konnten weder Mitglieder noeh Gäste sein.
Die Seele der Gesellschaft war Buttmann, dessen hochgesellige,
humorvolle Natur und schlagfertiger Witz ihn zu ihrem Haupte vorzüg-
lich geeignet machten. Im Gegensatze zur Gesetzlosigkeit nannte er sich
stets den Tyrannen oder Zwinghen-n; dieser Titel wurde für den Vor*
sitsenden offlaiell. Bnttmann verwuchs mit setner Gesellschaft derartig,
dass er die Theilnahme an ihr gleichsam als die Bedingung an einem
'ruhigen Tode ansah; als Iffland starb, schrieb er neben dessen Namen:
«Kam nie und starb doch". Sein Ton theilte sich der ganzen Gesell-
sdiaft mit; es herrschte in ihr ein gemftthlicher Witz, der treffend war,
ohne verletzend zu wirken. Ein hoher Festtag war der 6. Dezember,
der Bnttmannstag. länige Stellen aus Rflbs' Festrede vom 5, Dezember
1817 seiflii Idar dtisrt:
Ank. 6
^ ij . .-Lo Ly Google
66
0«oig Stegtriai
Ein Protons steht er da in mancherlei Formaten,
Bereit der Jug-end erst, <lem Alter dann zu ralhen.
Der Knabe sclileppt ihn mit. in Seliweinslrll aiiofetban.
Und lernet, dass es raucht, sein TuTiTuv und jiu^v,
Und seufzt, saust ilim die Faust des Rektors um die Ohren:
»Der kleine Bnttmaim, aeh! wir der !m Laad der H(^r«i!**
Weit siehrer strahlt sein Ruhm, erlial>cner und scluiner,
Als er die Zeitung sehrieb für 1 laude un<l für Speuer;
Wie manchen deutschen Mann hat nicht sein Ku'l urgeUt,
Mit Kunden aus Poris and der Türkei ersetzt.
Damals war goldne Zeit; es hatten die Censoren
Noeh nicht wie hent* za Tag* die leidig feinen Ohren.
Wie ist die Zeitnng kahl, besclinittenf llQgBtlich, matt!
Hingegen seine las sich wie ein Extrablatt.
Leben sollst du, traue Boele.
Gott erhalte deine Kehle,
Schreit sie nns das Ohr aneh wQnd.
Magst da lange firOhlich grtlnen
Frisch tind frei mit Karolinen!
Darauf trink' ich ans den Grand.
l)ers:estalt war der Humor, der in der Oesellschaft herrschte.
Man zorrcrte nicht, des Mitmenschen Schwächen zu f?oisseln, aber in
einer Forjn, die nicht verstimmte: und wie den Kinzelnen, so zögerte
man auch nicht, öffentliche Zustände einer Kritik zu unterziehen.
Der Gesetzlosen Gesellschaft gehörte alles au, was Berlin an
geistigen Grössen aufzuweisen hatte; mcigen die Naroen für sich selbst
sprechen : Schleiermacher (3. Zwingherr), Professor Spalding, Wildenow,
Biester, der Buttmanii einmal folgendes Räthsel anfgab: «Das Ente
sind Sie nicht, das Zweite ist Ihre Fttta nicht, and das Ganze sind Sie
doch**. Bnttmann rieth sehr bald richtig (Butt-mann) und reTsnchierte
sich sofort: »Das Erste sind Sie (Biest), das Zweite ist Ihre JPraa nicht (er),
and das. Ganze sind Sie auch*'. Ferner sind sa nennen der nachmalige
Minister y. Eichhorn, Heim, W. y. Homboldt, Iffland, llinister y. Klevits,
Bachhftndler Reimer, Geh. Staatsrafh v. Stigemann, Professor Zelter,
Niebahr, Reil, v. Savigny, Lichtenstein, Bdckb, Marheineke, Ober-
Bflrgermeisier Bfisching, Prof. Rfihs, Achim y. Arnim, Kons.-Baih
Ritschl, Direktor Spilleke yom Friedrich Wilhelms-Gymnasiam, Oberst
y. Pfael, Link, Rost, Schinkel, Leopold y. Gerlacb, Wiebel, Gneisenaa,
Ober-Pr&sident y. Schon, Präsident y. Yinpke, Mflhler, Graf Nostis,
Hofrath Partheyj Raaeh, Hegel, Bildhauer Tieck, Hofprediger Sack,
Kammerherr y. Hertefeld auf Liebenberg, Beath, Genenü y. Boyen,
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Ana den TRgebflehflm dee alten Heim.
67
Hlidg (der Eriminaldirektor), der spätere Minister Rother, Leopold
V. Baamer, Karl Bitter, Prof. Waagen, Lachmaim, Maler Wach, £ttcke,
B4^, Generaldirektor der Museen v. Olfers, Direktor Angnst vom
Eöllnischen Gymnasinm, Neander, Thaer, Dr. Parthey, Inhaber der
Nicolaischen Bnchhandlnng, Bänke, Hofbndidradcer Decker, der
Archäologe Gerhard, Xwesten, Trendelenbnrg, CJornetins, Perta.
Ihr 26 jähriges Bestehen feierte die Gesellscbaft im Jahre 1834
nidit am Stiftnngstage, sondern in pietätvoller Efinnerang an den
schon vor fBnf Jahren dahingeschiedenen „Zwingherm* am Buttmanns«
tage. Clemens Eienae verfasste eine Festschrift, die eine Geschichte
der GesellBchaft sowie eine vortreffliche ScMlderuiig des in ihr
herrschenden Hnmors enfluelt nnd als Mannskript für die Mitglieder
bei Beimer gedruckt wnrde. Ihr sind auch vorstehende Angaben
entnommen.^*)]
1818.
7. April. Abends in einer Gesellschaft gewesen und daselbst deil
Professor Nasse aus Halle und D. Hornschu^'^) einen Moos-Kenner,
kennen gelernt.
2. Mai. Bei Morita Robert^') in kleiner Gesellschaft, in der auch
d^ so gerühmte c^rosse IB-jährige Gelehrte Dr. D. Witte*") war»
gespeist. Dieser Witte ist ein artiger bescheidener Mann.
1819.
10. Juli. Gestern starb der berühmte Professor und Philosoph
Kiesewetter*^), den ich sehr verehrt nnd Ueb getiabt habe.
1820.
10. Juni. Vor Tische machte ein Professor Auspach Experimente
mit seinen arcanis, das Eisen und den Schwefel zu Bädern so anfan-
lösen, als sie sich in den Mineralquellen finden.
1822.
It). Mai. Si»eisten bei mir Butt manu, Bornemaiiu ^''), Theater-
dichter Scliulze-'*) pp. Buttinann war sehr iinintei- und witzig, sprach
sehr laut, wie es sich iiir daä Oberhaupt einer grossen gesetzlosen
Gesellschaft gar wohl geziemt.
1823.
11. Januar. Beim Minister v. Humbüid gespeist. Mit seinem
Bruder Alexander micli angenehm unterhalten. Sein Ruf als Geh lirter
nnd thätiger Mann ist gewiss ebenso gross, als es in politischer
Hinsicht der von Napoleon war und noch ist
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66
0«oig Siegerist.
1824.
5. Januar. Zu Hanse gespeist mit dem Botanikus Beyerich
der 7or kurzem ans Brasiliisa zurück gekommen ist und uns vieles von
diesem Lande erzählte.
14, November. Mittags beim Kaufmami Wagencr''-') zn Gevatter
gestaiideu. Bei Tische mit dem Propst Neander^*) viel gesprochen.
Er und seine Frau gefallen mir gut
24. Mittags beim Professor Buttmann, in Gesellschaft dos
Prof. Steffens -'-') aus Breslau, Prof. Lichtenstein, D. Stosch juu. pp.
gespeist»
1825.
25. .laniiar .... war ich heute zum ersten Mal in der Gesellschaft
naturforschender Freunde, und zwar beim Prof. Reich.
24. Juni. Beim Feldmarschall v. Gneiscnau in grosser Gresellschaft
gespeist. Ich gratulierte ihm zum Feldmarschallstitel, and er antwoi-tete:
Und ich mir, dass ich Ihr Kollege geworden bin. Der Geh. Rath Thaer
war auch hier. Dieses Jahr hat er für 14600 Thaler Bocke und äOÜO
Wolle verkauft.
1826.
3. April. Mittags in der medizinischen BfontagsgeseUschäft bei
Jagor gespeist. D. Ehrenberg^), der sich 6 Jahre lang in Egypten
an^halten hat, war auch hier und anterhielt uns alle anf das an-
genehmste von seinem dortigen Aufenthalt
19. September. Abends anf der Hochzeit der Fräulein Tochter des
Finanzministers v. Motz mit dem Leutnant v. Ililler gewesen. Der
Hofprediger Stranss"), wie man sagt, ein Frömmler, aber sicher ein
grosser Schreier, traute sie.
7. Oktober. Mittags beim Ofeufabrikanten Feilner io Gesellschaft
des berühmten Apothekers und Schriftstellers Trompdorff**) aus
Erfurt und mehrerer talentvoller Männer gespeist.
14. November. Während dem Essen besuchte midi Alexander
V. Humbold, ein Schüler von mir in der Botanik, und fand in der
Gesellschaft allgemeine Achtung und Beifall.
1827.
4. Oktober. Mittai^s beiin Fürsten v. Witt!»;onstein in Gesellschaft
von V. Humbold, Elireuberii: und v. Oamptz gespeist. Hambold
uuterliielt uus alle auf das geuehmste.
1828.
18. September. Mittags im Ezerzierhans in GeseUscliaft von
Menschen gespeist Von den fremden Naiorforscheni und
Äxzten an 300 hier. Vormittags in der Sing^Akademie elaa toi>-
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Aus den Tagebachern des alten Heim.
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treffliche Rede in Gejs^enwai-t von ungefähr OfXl Menschen vun Ah'xaiirler
V. Humboldt halten ^^'hört •'•'). Aliciids im Seliauspielhaus gab
Humboldt der ganzen Gesellschaft einen Theo mit Musik und Gesang.
19. Mittags im Exerzierliaus gespeist und Abeuds iu der Hufeland-
Gesellschaft gewesen.
20. Mittags im Exenierhaiis gespeist und mich mit mehreren
ausländischen Naturforschern sehr angenehm unterhalten.
21. Mittags im Exerzierhans gespeist Abends gab Rnst anf
seinem Landhaus einen Thee, wo ich eine Menge von den firamden
Natorforschem nnd Ärzten vorfand.
22. Mittags im Ezerzierhans gespeist nnd mir genehme neue >
Bekannt8<^ften gemacht Vor Tische meine liebe Fran die Ess- nnd
Kochanstalt im Exerzierhans s^hen lassen.
[Die 7. Versammlung deutscher Natorförscher nnd Arzte (die erste
worde 1822 dnrch Oken veranlasst), fand in den Tagen vom 18. bis
25. September anf Humboldts Betrieb in Berlin statt; Humboldt nnd Ehren-
berg hatten die geschäftliche Leitung. Anwesend waren nach dem gedruckten
Verzeichnisse 464 TheUnehmer, darunter 195 Berliner. Die preussischen
Behörden kamen den fremden Gästen sehr entgegen, sie wurden sogar
von der Berliner Polizei unbehelligt gelassen! Die allgemeinen Sitzungen
wurden im Saale der Singakademie abgehalten, die Sektionssitzungen —
eilte Neueinrichtung Humboldts ^ im Oafö Royal Unter den Linden 45,
das überhaupt zum allgemeinen Sammelpunkte diente. Als Speisesaal
ffiur die Versammlung hatte der König das neu erbaute Exerzierhaus in
der Karlstrasse bewilligt, das zu diesem Zwecke eingerichtet nnd durch
Gropius entsprechend dekoriert worden war. An jedem Tisdie machte
ein Berliner die Honneurs, jeder Tisch hatte eigene Bedienung und
eigenes Büffet.- An der Tafel erschienen ansser den Frauen und
Töchtern auswärtiger Mitglieder keine Damen; daher musste Ftan
Geheimrath Heim sich mit einer Besichtigung der »Ess- und Koch-
anstalt** begnügen.
Die ErOflEnung der Versammlung erfolgte am 18. September vor-
mittags 10 Uhr durch die erwähnte Rede Humboldts. Das Fest am Abend
dieses Tages Umd im Konzertsaale des Schauspielhauses statt und
dauerte von 6 bis 9 Uhr. Vom Hofe waren der König, der Kronprinz
und Prinz Albrecht anwesend. Der Universität, den Gymnasien, der
Artillerie- und Ingenieurschule war eine Anzahl Einlasskarten bewilligt
worden. Die dem Eingang gegenüberliegende Säulenhalle war durch
azorblaue Zwischensätze ausgefüllt, auf denen man in einem Strahlen-
halbkreise auf drei Feldern mit goldener und silberner Schrift die
Namen grosser deutscher Männer las, welche die Naturwissenschaften
würdig gefördert haben. In den Seitenfeldern rechts und links
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70 Georg Siegerist
prangten die Namen Schüler und Goefhe mit Yersen, die auf dies Feet
passteil; onter Goethe:
Es soll sich regten, schaffend hanrleln,
Erst sich gestaltCD, dann verwandeln
Nur scheinbar stehts Momente still.
Das Ew'{^e reg"t sich fort in Allen,
Denn uiics muss iii Niehls zerlallen,
Wenn es im Sein verharren wilL
Und bei Schiller:
— es entbrennen im feurigen Kampf die eifernden Kräfte,
Grosses wirket ihr Streit, Grösseres wirket ihr Bund.
Die ganze Dekoration hatten Schinkel nnd Groptns angeordnet
Die Gegenstände der Gesamt- nnd Sektions-Yerhandliuigen finden sich
in dem amtlichen Berichte anfgeseichnet, der auch am Schlosse die
faksimilierten Namen der Mehzxahl der Theilnehmer enthält. Anch
eine Denkmünze war anf die Versammlnng geprägt worden. Sie
zeigt anf dem Avers die Isis nnd vor ihr eine Sphinx mit der Umschrift:
Certo digestom est ordine corpus, anf dem Revers: In Memoriam
Conventos Natarae Scratatomm totins Gennaniae septimi celebrati
Beroliui MDCCCXXVm Mense Septembri«OJ
24 Oktober. Mittags speisten bei mir der Professor der Botanik
Walberg ans Upsala, Professor Ehrenberg n. a. Vor Tische von
halb 2 bis halb 4 Uhr meine Moossamminng an den Walberg gezeigt;
er JBt ein guter Mooskenner.
2, Dezember. Abends in der physikalisch-medizinischen Gesell-
schaft gewesen, wo D. Ebrenberg eine Abhandlung von der Myrrha
vorlas nnd einige Zweige von dem Banme, von dem ms kommt vor-
zeigte.
1830.
9. Bfai. Habe ich mir des Ober-Snperintendenten Bretschneider
Sendschreiben an einen Staatsmann über die Frage, ob evangelische
Regiemngen gegen den Rationalismns einzoschreiten haben, wie v. Ger-
lach, Prof. Hengstenberg gegen die Hallischen Professoren Gesenins
nnd Wegsoheide r wünschen, vorlesen lassen. Für mich nnd alle Ver-
nünftigen dn äusserst wichtiges Sendschreiben.
1831.
15. Mai. Des General-Superintendent Bretschneider beide Send-
schreiben, die Denunziation des Juristen v. Gerlach und D. Hengsten -
bergs wegen dci- Lehre des Rationalismus vorlesen lassen. Beide
Sendschreiben habe ich schwarz einbinden lassen, mit vergoldetem Schnitt
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Aas den Tagebüchern des altem Heim.
71
und auswendig mit goldenen Bachstaben drucken lassen: Erläuterung
zur Bibel.'!)
1832.
20. Januar. Vom Botanicns Thiele besucht worden, dov trotz
aller seiner vortrefflichen Mooskenntnis nur Kl lUhlr. monatliches Geiialt
hat zur grössten Schande des Ministers v. Altenstein und Prof. Innk.
2V). März. Den 22, starb Goethe, 83 Jahre alt. Hodie tibi,
cras mihi.
28. Juli. Von Alexander v. Humboldt ein Schreiben bekommen,
das sehr unleserig geschrieben war. Doch konnte ich daraus ersehen,
dass er mir seinen Lehrer und Freund nennt.
15. Oktol)er. Habe ich einen Vorleser des Abends angenommen,
Wackernagel *■-), der mir heute das erste Mal vorgelesen hat, und bin
ich mit ihm wohl zufrieden. Sein Name ist Wackernagel und hat
Philologie studiert.
21. Hat Herr Hering'^^) mir seinen Roman Cabauis in 5 schön
eingebundenen Bänden geschenkt.
9. Dezember. Vormittags . . . auf dem Universitäisgel)äudc gewesen
und daselbst die Fossilknochen der Vorwelt gesehen und bewundern
müssen. Prof. Weisse'*), der uns herumführte, sagte uns mit vieler
Höflichkeit manches wichtige davon, welches desto mehr meine Aufmeik-
samkeit auf sich zog, da ich vor kurzem Cuviers Schrift darüber ge-
lesen hatte.
1834.
15. Februar. Wurde der Professor Sch leie r macher, ein sehr
verdienst voller beridimter Gelehrter und sehr geachteter und beliebter
Prediger, begraben. Er starb im ')5. Jahre an der Lungenschwindsucht.
Die Leiche wurde von Studenten getragen, ['2b Kutschen, worunter viele
prinzliche und alle hiesigen Geistlichen, auch die katliolischen nicht aus-
genommen, und mehrere lUÜO Menschen begleiteten die Leiche.
1) Wilhelm V. Humboldt, 29 Jahre alt, hatte in dieser Zeit, 1794—96,
seiDen Aufenthalt in Jena, wohin er um Scliillers willen gezogen war;
Alexander, 27 Jahre alt, damal-s b(üm Berliner Hergdepartemcnt angestellt,
war beurlaubt; V»ei(le Brüder fesselte die Krankheit ihrer Mutter an Berlin;
am 14. November >tiirb sie. (Mabriele v. Bühm p. 1.)
2) Über die „Heise n.ieli Kopenhagen" <1703) urtiieilt Kranz Muncker
in der Allg. dcuUschen Hiograj.hie: ..Durch die Herausgabe seines entsetzlich
weitschwcitigen Tagel)uchs der Heise nach Kopenhagen bot Lavatcr selbst
fleinea Gegnern nicht nnlM^frOndeten Anhus zum 8pott." (A. d. B. XVIII.
792.) Knigges „Reise nach Fritzlar" (1794 erschienen) parodiert übrigens
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iiiclit die Kcisc nach Kopenhagen, sondern die im Sonnner 1786 von L. unter-
noninieue und obonfalts niisftlhrlich geschilderte Keiäc uach Bremen. (Erich
Schmidt in Allgr. d. Bln'^v. XVI. 290.)
3) Johann Heinrich Ludwig Meierotto, der bekannte und berühmte
Bdctor des JoaohiiittthatBii&en Gymnasiums, Kirdien- und Obenehnlratli,
Professor der Beredsamkeit, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und
der Kflnste nnd mechanischen Wissenschaften. Er war zn Btaigard in
Pommem am 22» Angnst 1742 geboren, stammte ans ebner Scbnlmänner-
familie. Sein ganzes Leben hindurch war er mit Berlin nnd dem Joachims-
thalBchen Gymnasium verbunden; auf ihm vm-gcbildet, studierte er in Frank-
furt Theologie. Fünf Jahre war er Erzieher der SJUmc des Banlciers
Schiekler; 1771 trat er als Professor der Berrd«unkeit in das Lehrerkollegium
beim Joachimsthal ein. Er fand die Schule im Zustande viilliger Verwilde-
ining vor: die Leitung hatte das Conciliuni professorum, f) an der Zahl, in
dessen iSitzungen es oft sehr stürmisch zuging. Ostern 1775 iibernabm M.
das Direktorat nnd führte eine TOllkommene Refbnnation durch. Die Lehr-
Ordnung des Joachimsthalschen Gymnasiums (Faehsystem an Stelle des
Klassensystems, Entfernung von Natnrreeht, Moralpliilosophie, Metaphysik
und Statistik, Aufhahme des naturwissenschaftlichen Unterrichts) wurde in
der Königlichen Kabincttsordre vom 5. September 1779 als Vorbild für die
preussischen Gymnasien ' hingestellt. Auch die Einrilhrung der Maturitäts-
prüfungen bat M. angeregt. Er musste wiederholt dem KHnig Vortrag über
die Sehulangelcgenheiten halten. Als Oberschulralh hatte er dtis Schulwesen
von Pommem nnd Preussen zu bearbeiten. (AUg. d. Biogr. XXI. 213. GeL
Berl. 1795. II. 11.)
4) Martin Heinrich Klaproth, geboren den 1. Dezember 1743 zu
Wernigerode. Von Beruf Apotheker, kam er 1771 zu dauerndem Aufenthalte
nach Berlhi und war hier zuerst' in der Rososchen Apotheke, dann selbst-
stfindig thatig. 1787 wurde er Professor der Chemie beim KOnigL Feld-
artilleriekorps, Rath und Ifitglied beim Oberkollegium medicum et sanitatia,
1810 Professor der Chemie an der neubegründeten UnivcrsitMt. Er starb am
1. Januar 1817. Seit 1787 war er Mitglied der Akademie der Künste, seit
R8 der Akademie der Wissenschaften, ebenso Mitglied dt r Pariser Akademie.
Die Chemie verdankt ihm eine Keilie v<;ii eiKteheniachenden Entdeckungen,
so des Aran (1789), der Zirkonerde il7Mt), des ('er, von iiun Ochroit ge-
nannt (1803), gleichzeitig auch von Berzelius entdeckt; ferner wies er die
Eigentbümlickeit der Strontianerde (1793), des Titans (1794) und des 1782 von
HtUler von B^ebensteln entdeckten TeUurs (1798) nach. Wilhelm t. Humboldt
empfahl ihn bei Begrttndung der Unirersitftt 1810 fOr die Professur In der
Chemie mit folgenden Worten: „Er hat seine Wissenschaft durch wahre Ent-
deckungen bereichert und sich dadurch auch im Auslände einen Namen er-
worben, indem sich nur sehr wenige Gelehrte in Preussen mit ihm vergleichen
können. Ich würde geghiuht haben, eine meiner ersten Pflichten zu ver-
säumen, wenn ich niclit «resiicht liiitt»'. einen seriellen JVlann auf eine Weise
hier zu lixieren, die ihm rine scirgenfn-ie Heschiiliigunir mit seinen Wissen-
schaften verstattete." f l'oggendorf 1. 12Gt> Ö'. Seine Schniien ebenda. KÖpke,
Gründung der Universität Berlin p. 73.)
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Ans d«i Tagtbflolnni dM alten Hdm. 78
8) Valentiii Bose, Apotheker, geboren zu Berlin 31. Oktober 1763.
Seit 1797 war er Assessor beim Ober-Medizinal-Kollegium. Er war ein eifriger
Chemiker, Mitglied der Gesellschaft iiaturforschendor Freunde, Besitzer der
Apotheke ,,zum weissen Schwan" in der Spandauerstrasse, liier war Klaproth
sein Gehilfe. (Poggendorf II. 687. Pagel, Entwicklung der Medizin in Berlin
1897. p. 29.)
e) Heinrich Karl Jakob Lipten, Kirchenrath des reformierten Kirclicn-
direktoriums, Domkirchen- und Joachimsthalsehen Schuldircktoriums, geboren
22. November 1737 zu Alt-Landsbcrg. (Gel. Berl. 1795. 1. 289.)
7) Ramler, Der , .deutsche IToraz" und schonungslose Kritiker, lebte
seit 1745 in Berlin, wo er von 1748—90 maitre de la philosophic am Ka-
dettenkorps war. Bekannt ist seine Thätigkeit als lOtdirektor des National-
theaters neben Engel von 1786 an, bis Ihn 1796 inand ablöste. Er starb
am 11. April 1798. (Allg. d. Biogr. XXVIL 213.)
s) Jobann Friedrieh Zeel In er, Probst von Berlin, Pastor an St. Marien
nnd Nikolai, OberkonsiBtorialratb. ZoeUner war Universalgelehrter, Theologe,
Philologe, Historiker, Naturforscher; er hielt Voriesnngen über Technologie,
in denen Alexander v. Humboldt sein Zuhörer war. Zoellner war Mitglied
der Akademie der Wissenschaften und der Gesellschaft naturforschciider
Freunde. Von seinen zahlreichen Schriften seien genannt das berühmte
„Lesebuch für alle Stünde" (seit 1781), „Wöchentliche Unterhaltungen über
die Erde und ihre Bewohner", die er zusammen mit J. S. Lange seit 1784
herausgab; „Geschichte des heatigen Europa vom 5. bis zum 18. Jahrhundert"
1785 fL Geschadet hat es mit vollem Beeht ihm im Urtheile der Naehwelti
dass er Friedrieh Wilhelm IL Julie von Voss als zweite Fran zor linken
Hand antrante. Br ist geboren za Nendanmi in der Nenmark am 24. April
1753. (Gel. Berlin 1795. IL 260.)
•) Johann Erich Biester, geb. 17. November 1749 za Lübeck, hatte
in Göttingen Litteraturgesehichte, Sprachen, Geschichte studiert. 1777 kam
er al.s PrivatsekretUr des Ministers v. Zedlitz nach Berlin und wurde 1784
von Friedrich dem Grossen persönlich zum Bibliotheker an der königlichen
Bibliothek ernannt, die er wllhrend seiner Amtsdauer bedeutend förderte.
Mit Gedicke gab er die Berlinische Monatsschrift seit 1783 heraus, wodurch
er sich die Abneigung d^s Ministers v. Wöllner zuzog, derentwegen er auch
nicht Ifitglied der Akademie der Wissensohaften wurde; Friedrich Wilhelm m.
ernannte ihn sofort nach seinem Begiemngsantritte daza. (GeL Berlin
1795 L 39. Allg. d. Biogr. n. 632).
!•) Über Nicolai sei verwiesen auf Allg. d. Biogr. XXUL 580 ff.
V. Qoeckingk, Friedrich Nicolais Leben und litterarischer Nachlass, Berlin
1820, Jacob Minor, Lessings Jogendfrennde in Kürschners Deutsche National-
literatur Bd. 72 p. 275 -S'IS; ein schätzenswerther Beitrag zur Utterar-
historischen Darstellung Nicolais ist Altenkrfilger, Friedrich Nicolais Jogend-
schriften, Berlin ls9l.
n) Am 3. Jnli 1 T'JO war Fichte nach Berlin gfekommon, nachdem er
infolf^e des durch seinen Aufsatz ,,Über den Gruml unseres Glaul)ens an
eine göttliche Weltauschauang" (1798 im Philosophischen Journal erschienen)
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I
74 Georg Siflgoilt
entstBndenen „Atheismiustreites" tan 29. USrs aelne EnUaisung ans
Weimariscliem StaatatUeiut erhalten hatte. Die knnXcbtlSQbe Beglenuig
hatte aof Gnmd einer anonymen Denunziation »»Sendgehieiben eines Vaten an
seinen stadierenden Sohn über den I^chteschcn und Forbergscheu Atheismus"
das Philosophischo Journal konfisciert nnd die Bestrafung der Herausgeber
jfcfordert. In Weimar wollte man den g-nnzon Handel mit einer verweisenden
Massregcl ohne jeden Eingriff in die Lehrirt ilu it beilegen; Fichte erklürtc
jedoch in einem Schreiben an den Kurator der Universität Jena, dass er
einen Verweis nicht annehmen werde, und drohte mit seiner- Demission und
dem Weggänge der bedeutendsten Dozenten von Jena. Darauf erfolgte der
Verweis und Fichte erhielt seine Demission; aneh Goethe hatte nim Im
Staatsrathe gegen Ihn gestimmt. Durch Altenstehi erhielt er eine St^lnng
an der damals prenssisehen UniversitHt Erlangen, doch sollte er dort nur
im Sommer lesen nnd im Winter in Berlin Vorlesungen halten. Nur im
Sommer 1805 hat er in Erlangen gelesen. 1810 trat die Universität Berlin ins
Leben, deren erster gewühlter Sektor er war (1811/12). (AUg. d. Biogr. VI. 7630
la) Ignas Anrelius F essler, geboren 18. Mai 1756 zu Zurtoy an der
Leitha in Xiederungam, ursprünglich Kapuziner, unterrichtete 1784 Kaiser
Josef II. von den geheimen Missbriluchen der Klosterdisziplin, wodurch eine
strenge Untersuchung aller Klöster des österreichischen Staates veianlasst
wurde. Seine schriftstellerische ThUtigkeit, besonders sein Trauerspiel
„Sidney", woiin er den Papisnius Jakobs II. von p]n^land stark geisselt,
zog ihm 1788 einen iiskaiischeu Prozess zu, vor dem er nach Schlesien Höh.
1791 trat er zur hititerisehen Kirche ttber. Von 1796 bis 1809 lebte er in
Berlin als Schriftsteller, wo er namentlich auf frelmaorerischem Gebiete thütig
war; es erschienen: „Sitmtliehe Schriften ttber Freimaurerei«* (1801). 1809
ging er nach Russland als Professor dar orientalischen Sprachen und
Philosophie an der Alexander-Newßky- Akademie zu Petersburg, wurde
jedoch bald als Atheist verdliolitigt und siedelte nach Saratow über. 1815
schloss er sich der Ilerrnhuter Gemeinde an, wurde streng gl.'luhig und starb
schliesslich als General-Superintendent und Kirchenrath der liitheri.sc'hen Ge-
meinde in Petersburg lö3y. Eine Selbstbiographie ,.Kückblii kc auf seine siebzig-
jährige Pilgerschaft" ist 1824 in Breslau erschienen. (Allg. d Biogr. VI. 723.)
11) Leopold Friedrieh Günther von Goceking wurde 1793 als Geheimer
Ober-l-inanzrath naeh J'.crlin benifcn, nuclidcm er vorher in Ilalberstadt,
Ellricli nnd zuletzt als Land- und Steuerratli der Grafschaft Wernigerode
thiiiig gewesen war. In Ilalberstadt trat er mit dem Gleimschen Kreise in
Verbindung; er ist einer der wenigen FinanzmSnner, an dessen Wiege die
Musen, weniger aber die Grazien gestanden haben. Einer wirklichen Ver-
tieftmg in seinen Dichtungen stand seine breite, gemächliche Natur im
Wege; selbst seine berühmten „Lieder zweier Liebenden*' (1777\ die den
Beifall von ganz Deutschland fanden, nnd denen ein wirkliches Liebes-
verhllltnis zu Gruiidt' lag, sin<l innorlieh kalt und nüditeni. (Vergl. Pröhle,
t?ber Goe< kin^'-s Lieder zweier Liehenden Voss. Zt^,'. Sonntagsbeilage 1891
No. 12 f) Am besten lag ilim die. Kpistelpoesie. Kr war betheiligt an der
Herausgabe des Göttinger Musenalmanachs von Bürger sowie an dem von
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AvB dm TligebfidMiii dM alteo Hehn.
76
J. H. VoBS b^grUndeteii Almanaob (1780). 1807 tm er in den Ruhestand,
lehte von 1814 bis 1826 wieder In Berlin nnd starb am 2H. Februar 1828 zn
Wartenberg in Schlesien. Geboren war er in Grllning'en bei llalborstadt am
13. Juli 1748. (Gel. Berlin 1825 p. 7(). All^j. d. Biogr. IX. (focdccke, Gruiulriss
zur Gesch. d. dtsch. Dicht^. IV. 37d. Vergl. auch Parthey, Jugenderinnerungen.)
m) Friedrich Gottlieb Unger, Professor der Holzschneidekunst und
Mitglied der Akademie dor Künste, war 1753 zu Berlin geboren. Er war
Lehrling bei Decker, wandte sich aber dann dem Forrnenschneiden
(Holzschnitt) zu und erreichte hier grosse Erfolge. Bekannt sind die von ihm
erfundenen üugerschen Lettern, bei denen di(! Ecken weggeschaflX wurden
und der Dmck an Helle und Dentlichkeit gewann. Anch dem Kartendnudc
wandte er seine Anftnerksamkeit zn; 1791 erschien sein „Verschlag, wie
Landkarten auf eine sehr wohlfeUe Art k()nnen ^emeinnlitsiger gemacht
werden". Er vertrat efaie entschieden fk«isinnige Bichtnng; gegen WOIlners
Censor- und Religionsedikt machte er energisch Front Als Verleger trat
er zu Schiller und Goethe in Beziehtingen, doch hatte er geschäftlich viele
Jlisserfolge. (Gel. Ber. 1795 II. 245. Allg. d. Biogr. (Geiger) XXXIX 291.)
1») Wilhelm Abraham Teller» geboren zu Leipzig, 9 Januar 173!,
gestorben zu Berlin am 8. Dezember 1804 als Ober-Kons^istorialrath und
Propst von Kmin. Seit 1767 fdoni 0«1. Berlin 1795 II 2o4 zufolge 170'^)
wirkte er in Berlin und war hier iieV)en ZfHlner Hauptvertretcr der Aiif-
kliirung, auch wUhrend des Woellnerschen K'i giiiu nts, welehe Ilalluiig ihm
1792 eine dreiuionatliche Amtsenthebung und Einbehaltung seints üelialta
kostete. Dennoeh blieb er seiner Überaengung tren. Als einige jüdisehe
HansTftter in einem offenen Sendschreiben ihn fragten, ob zum Übertritt
zum Christenthnm die Tanfe nOthig sei, nldit vielmehr die Annahme der
Yemnnftwahrheiten der christlichen Lehre und Lossagong vom mosaischen
Gesetz gentfge, antwortete Teller, da,s.s er weder Taufe noch ein formelles
Glaubensbekenntnis für nothwendig halte. In seinem „Lehrbuch des Glaubens"
hatte er schon 1701 seine anti-orthodoxe Stellung so offen dargelegt, dass
das Buch in Sachsen konfisziert wurde. (Allg. d. Biogr. XXXVII bbü. Geiger,
Geschichte der Juden I 119.)
16) Kricdrich Gedike, D. theol , Ober-Kirclien- und Schulratli, Direktor
des vereinigten Berlinischen und Küllni.sehtui Gynmasiums und der davon
abhängigen Schulen, Mitglied der Akademie der Wis«enschafton und der
Künste. G., geboren an Boberow in der Prignitz am 15. Jannar 1754,
ist einer der hervorragendsten Schuhniinner des 18. Jahrhunderts. Wie
Heierotto am Joaehimsthal, ftthrte er zaerst am Friedrichswerderschen Oym-
naslnm das Fachsj^m durch, führte Ccnsuren ein. Zusammen mit Meierotto
veranlasste er das Edikt Uber die Maturitätsprüfungen vom 20. Dezember
1788. In den alten Sprachen sorgte er für Gleichstellung des Griechischen
mit dem Lateinischen: M^l erschien die erste Auflage seine?» griechischen
Lesebuches. Als Mitglied des 17H7 eingerichteten Ober-SchuIkoUegiums
konnte er seine reformatorische 'J'hätigkeit auch auf die Provinz ausdehnen;
in demselben Jahre begründete er das Seminm* für gelehrte Schulen. Yergl.
seine Biographien von H. Schmidt (1803) und Franz Horn (1800) sowie
76 Omg Blogerfit
lloidemann, Geschichte des ^anen Klosters (1874). Br Starb am 3. Mai 1803*
(Allg. d. Biogr. VIII. 187. Gel. BerL 1795. I. 141.)
u) Angust Wilhelm Schlegoi, dor im Febmar 1801 nach Berlin prc-
konimon war, cniffnpte im \ovcnil>er lS(t:j Vorlesungen U>>er schöne Künste
und Litteratur, die unter dem Titel „Über Litteratnr, Kunst und Geist des
Zoitalters" in seiner Zeitschrift „Europa" 1S03. II. p. erschienen; im Sommer
1.SU3 setzte er sie fort, und im Winter 18U3/4 ia^s er „Geschichte und Cha-
rakteristik der eigcnthümlichen Poesie der Hauptnationen des heutigen
Europa". Seinem „kritiechen Sohreckenssystem" im „Atfaenlma" folgend, er-
USrte er aebonnngdos den Berlinern, die sich darob entsetiten, „die Dantseben
beBttsaen noch keine Litteratnr, seien nur ezapentriach in der Dimunheit, die
sogenannte Wissenschaft der Gegenwart beruh*^ auf ünkunde der Ver-
gangenheit, nnd die gepriesene AufklHrung- und Denkfreiheit laufe auf Halb-
heit, Missverstand und geistig-e SchwUche hinaus". (Krii)ke, Die Grtlndung
der Universität Berlin p. 2^.) Ajiril 1m>4 entführte l'rau von StaCU den eitlen
Mann als üaoslelirer ilirer Kinder mit einem Gehalt von 12 000 Fr(». nacti
Coppet.
1«) Georg Ludwig Spalding, Sohn des Propstes an St. Nikolai Johann
Joachim S., geboren zu iiarth in rommern 8. April 17G-i. Auf dem Gruueu
Kloster Torgebildct, studierte er in Güttingen nnd Halle Tbeologie and
Philologie, bereiste Frankreich, England und Holland, wurde Erzieher beim
Frinsen Ferdinand von Prenssen nnd 1787 Professor am Grauen Kloster.
Das Hauptwerk seines Lebens ist die Bearbeitung der Institntio oratoria dea
Quintillan, deren erster Band 1798 erschien. Band 4 wurde erst nach seinem
Tode von Buttmann (1816), Band fj von Zurapt d-- .'*.)), Band 6 von Bonnell
(IS31) herausgegeben. Das Werk brachte SpaUliiii; die Mitgliedschaft der
Berliner und Müncliener .Akademie der Wissenschaften. Er starb am 7. Juni
1811 auf seinem Landgute in Frieth iehsft Itlc bei Herlin. Die Gedenki ede in der
Akademie hielt ihm Butlmauu an» 3. Juli lbl4. (Allg. d. Biogr. XXXV. p. 29.
Gel. Berl. 1795. II. 183. Abh. d. Akad. Physik.-mathemat. Klasse 181 1 p. 2A ff.)
1») V. Sehl echten dal kam 1798 als Stadtgeriehlsdirektor nach
Berlin, nachdem ihn die Eirobeining des linken Kheinufers durch die fran-
zösischen Heere aus seiner Hefmath Xanten vertrieben hatte. (Allg. d.
Biogr. XEXL 351.) .
m) Johann Peter Erman, Ober-Konsistorialrath und Prediger bei der
ft^anaOsiachen Gemeinde des Friedricha^Werder, war geboren zu Bertin am
1. Mltrz 1735. Die Familie stammt aus dem Elsass und hiess ursprünglich
Ennendinger. Seit 1766 war E. auch Direktor des französischen Gymnasiums,
femer war er langjähriges Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Eins
seiner Hauptwerke ist: Memoires pour servir a I histoire des refugies Fran^ois
dans les etats du roi (mit Ixcelam bearbeitet). 1T82 ff. 8 Bde. stark. (Gel
Berl. 1795. L 108 tV Allg. d. Hictgr. VI. 237.) Bekannt ist Ermans muthvolles
Auftreten gegen Nafx'jion, als dieser im Oktober l8(Mi in Berlin Schmähungen
gegen die Königin Luise aussliess. Entrüstet trat der greise Geistliche aut
den Imperator ZU, ergriff ihn beim Ärmel und rief: „Sire, ce n*est pas Trai!*'
Am 9. Dezember 1804 hatte er unter allgemehier Theilnahme sein SOjIfarigea
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Aus den Tagebdcliern des alten Heim.
77
PMdIgQijatiiläim gefUert, bei wdohor Qelegeiiheit ihm S. H. Oatel dne
blograpMBehe SUzse widmete.
u) J. D. Sander, saent SehidmMm (Philologe), dann Inhaber der
Vonischen fiachhandlung. Sehr b<tee war er auf Schiller nnd (Goethe, als
der MuBenalmanaeh von 1796 mit den Xenien erschien, ebenso 1797 auf den
„^gestiefelten Kater" von einem „gewissen Lndwig Tlek", die Satire auf
Iflland und das Berliner Publikum. Als 1797 „Hermann und Dorothea" bei
Voss gedruckt wurde, las S. die Korrektur. Er liatto nianolio«? an Goothes
Versen auszusetzen. isOO las er auch zu Goethes p^rosser Zufriedenheit die
Korrektur von dessen neuesten (iediciiten, die hei Unger gedruckt wurden,
und in demselben .Jahre lernte er auf einem Besnchc in Weimar bei dem
dortigen Gjmmasialdirektor Böttiger den Dichter persönlich kennen. (Beaulieu-
Marooimay, Berliner SklEsen nnd „Im nenen Beich*' 1876. IL p. 65 ff.)
22) Daniel .Tenisch, Prediger an St. Nicolai, geboren am 2. April 1701
zu lleiligenbeil in Ostprcussen. Er war in der That sein* gelehrt, übersetzte
den Agememnon des Aeschylos, schrieb über Aristoteles, Kant, Mendelssohn,
machte Gedichte, Ubersetzte englische Philosophen (Spencer, Harris, Camp-
bell), sehrieb Vorlesnngen Aber den Stil, besang in dem zweibSndigen Epos
„Borossias'* den siebeqjährigen Krieg etc. (Gel. Beri. 1795. I. 222.)
ss) GottUeb Hill er, Natordichter, geboren am 15. Oktober 1778 zn
Iiandsberg in Sachsen, kam nach dem Tode seines Vaters Jung nach Köihen.
Schon als lOjBhriger Knabe machte er kleine Lieder, welche die Kinder auf
der Strasse sangen. Erst mit 12 Jahren besuchte er die Elementarschule.
Nach der Konfinnation erwarb er sich seinen Unterhalt als Fuhrmannsknecht
und Tagelöhner, las dabei fleissig, iiameiitlieh Wieland. Allmählich erschienen
einzelne Gedichte im Druck und fanden Beifall, 1805 erschien eine Samm-
lung mit Selbstbiof^raphie und Bildnis Hillers. Selbst Goethe nahm die Ge-
dichte mit „hilliycui Urthcil" auf. H. starb zu Bernau am 9. Januar Ibüü.
(Allg. d. Biogr. XII. 420.)
34) Bekanntlich sollte Schiller dauernd au Berlin gefesselt werden.
Iflland nnd Beyme, der sich schon seit 1602 mit den Pinnen ebier hier sa
begründenden Unlversitftt trug, forderten ihn anf, seine Bedingungen zu
stellen; er that dies ancb, reiste aber am 18. wieder ab; Herzog Kai lAngnst
bewilligte ihm die gewünschte GefaaltserhOhtmg, womit der Gedanke an eine
Übersiedelung m\rh Berlin endgiltig aufgegeben wnrde. Auch als Mitglied
der Akademie der Wissenschaften hatte man ihn zu gewinnen versucht.
Natürlich besuchte Schiller in Berlin auch Henriette Herz, die zu ihrem Er-
staunen ihn als einen sehr lebenskluefen, in seinen Äusserungen vorsichtigen
Mann kennen lernte, während sie sich ihn als eine Art Posa vorgestellt hatte.
Aber diese Zuiückhaltung liaif ihm uicht viel. Die neugierigen Residenzler
verstanden sehr gut, das, was er ihnen verschweigen wollte, ans seiner ge-
wandt gestellten Fragen weniger gewappnet gegenüberstehenden Frau her>
ansanholen, so seine Ansiebt ttber die damals brennendsteTagesfrage ImTheater-
leben Berlins, ob Madame Fleck, die splltere Madame SehrOck die Thekla
„richtig*' spiele; Lotte Schiller veiTieth bald, dass sie ihm gar nicht behage.
Über Fcan Statt klagte er» sie besitie sn wenig Weiblichkeit; in Jena
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0«mg fitogtrist
habe sie in einem Hause gewohnt, das wegen eines Spuks anrüchig wnr und
sieh sehr p^prülmit, dass dieser Spuk sich wfihivnd ihrer Anwesenheit nicht
bemerkbar gejiiaclit luibe. Schiller 8chh)ss seine Erziililuiig mit den Worten:
„Aber liütte denn selber ein Geselle Satans mit der zu schaffen liabi-n
mögen?'' (Fürst, Henriette Herz. Köpke, Gründung der Universität lici lin.)
2%) Man vergleiche hiermit Schhnermachers Urtheil über die Kotzebueschc,
von dem Publikum vergöttert gewesene Muse: „Der Kotzebue ist doch
ein niederträchtiger Kerl. Er hat auch nicht die mindeste Vorstellung Ton
wahrer Sittlfehkeit und eelbst, wo er edlere Charaktere aufttellen wiU, ver-
dirbt er sie auf die gemeinste» ekelhafteste Art, und man scfaXmt sich ordent-
lich and Krgert sieh, wenn man sich bei ebuselnen Sitnationen rühren Usst,
was mir ebrliehem Hönde doch hier nnd da begegnet*^ (Streckfliss, Berlin
im 19. Jahrhundert I. 40.) Ähnlich schreibt Kahel Vamhagen 1812 an ihren
Bruder Ludwig Kobert über Kotzebues „Cora'*: ..Dass letzteres Stück, wie
es dasteht, gegeben wird, macht den Sitten der Deutschen echte Schande;
dass es überhaupt gegeben wird, zeigt von der groben Rohheit des grösseren
Publikums unserer Nation; dass Kotzebue es machte, von der StUmpcrhaftig-
keit seiner Begriflc und der völligen i'iatiheit seiner Gesinnungen. •* (Kahel,
Ein Bach des Andenkens für ihre Freunde II. p. 60.)
Mj Humboldts grosso Heise nach Süd- und Miuelamerika hatte Uber
5 Jahre gedauert; am 5. Juni 1799 war er auf einer spanischen Fregatte Ton
Omifta abgesegelt, am 3. Angast 1804 in Bordeaux ans Land gestiegen.
Dann hatte er sich in Paris an%ehalteni um die Herausgabe seines Heise-
Werkes an betrdben, war im UMn 1805 mit Gay-Lnssac nach Italien ge-
gangen, hatte den Bmder Wilhelm in Horn wieder begrflsst nnd war im
Herbst mit Guy-Lussac und Leopold v. Bach, den er in Neapel getrofien
hatte, nach Berlin zurück^Tk<'hrt, wo ihn Friedrich Wilhelm III. zum Kammer-
herrn ernannte und ihm eine Pension aus den Fonds der Akademie aussetzte.
Als Mitglied dieser las IL. im Jahre IbUli eine Keihe von Abhandlungen, die
den Grundstock zu den isn; veröffentlichten „Ansichten der Natur" bildeten.
27) isoo hatte Allx rt Thaer in Möglin die erste höhere landwii-tlischal't-
liche Lehraiibtak I'reussens begründet.
ia) Festschrift zum 5ujährigen Stiftungsfeste der CJeselischait natur-
forschender Freunde am ü. Juli 1^23. Kudolphi, Kcisebcmerkimgen p. 51.
2») Moritz August v. Thümmel, der Verfasser von „Wilhelmine", „Die
Inokulation der Liebe", der lobilndigeu „Reise in diu mittaglichen Provinzen
von Fhrankreieh".
M) Aimö B onplan d, Humboldts Reisegeflthrte auf seiner amerikanisciieii
Reise. Er war 1773 am 22. August an La Hochelle geboren und hatte Medizüi
studiert, sich dann der Botanik gewidmet. Humboldt lernte er in Paris
kennen, als B. 1798 dorthin kam, um sich an der geplanten Weltreise
des KapitJins Bändln zu bctheiligen. Da die Expedition verschobwi wurde,
scliloss er sich an Humboldt an. Nach Paris zurückgekehrt, wurde er
namentlich der Scliiitzling der Kaiserin Josephine. die mit ihm die Leiden-
schaft für Blumen theilte; er wurde Gartenintendant zu Malmaison. Nach
der Trennung Napoleons vou der Kaiserin, der er treti ergeben blieb, erblich
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An» den T^baeham altan Halm.
79
sein Stern. Nach Napoleons Sturz ging- or auf immer nach Südamerika und
starb am 4. Mai 185« zu Santa Anna in Parafjruay, nachdem er vir!*- Schick-
salssehläg'e erlahron hatte, die zum Tlieil auch eines romantisicheii Hauchs
nicht entbehren. Seine Biograplüe schrieb A. Brunei, i'ari.s 1611, o. Aufl.
Seine Schriften eind fast ausschliesslich botanischen Charakters. (Noav. Biogr.
gdn. VL 651.)
•i) Auf Anregung des Grafen J<dMiiii Gentorius Hoffmaansogg be-
sehlosB FHedrieh Wilhelm m. die Einriehtnng eines soologiachen Kabinets,
des Gnmdstooka zum jetzigen zoologischen Mosenm. Graf H. schenkte hierzn
eine Sammlung von brasilianischen Sängethieren, VOgeln und Amphibim
(über 1000 Exemplare). Seine Insektensammlung, aus 18 504 Arten In
*r»r)O0O Exemplaren bestehend, wurde 181*^ vurn Staat filr 22 000 Thlr. ange-
kauft. (Köpke, Gründung der Universität Berlin).
32) Karl Ludwig Willdenow, Botaniker, geboren zu Berlin am
2?. August 17()5, war seit IHOI Vorsteher des botanischen Gartens, der unter
seiner Leitung sehr gehoben wurde, wie Kudolpihi von ihm rühmt; er war
Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Gesellschaft natur-
forschender Freunde. (G. B. 1795. I. 2C4 fi. Pagel, Entwicklung der Medizin
Berlin 54.)
w) Dietrieh Ludwig OnslaT Karsten, lOneraloge, geboren 8. April 1768
SA Bfltsow in Mecklenburg, gestorben 20. Mai 1810 in Berlin. Er wurde als
Berg-Assessor 1789 dorthin berufen nnd dnrchlief sehr aehnell die yer-
sehiedenen Grade des Bergfachs bis zom Staatsrath nnd Leiter dee gesamten
prenssischen Bergwesens. Er hielt Vorlesungen über Mineralogie, die von
MUnnern aus allen Kreisen lebhaft besucht wurden. Er war Mitglied der
Akademie der Wissenschaften und der Gesellsehaft naturforschender Freunde
sowie von 1 1 frem<len j^elehrten Körperschaften. I^eopold v. Buch sagte in
seiner Gediichtnisrede auf Karaten in der Akademie am 3. Juli 1814: „Er
war es, von dem mau in Deutschlaud zuerst lernte, wie man Mineralien
nnterscbeiden müsse; er war es, der zaerst bekannt machte, was Mineralien
sind.* Er war der Begründer des mineralogischen Kabinets in Berlin. KOnigüi
Lnise sagte von ihm: »Mineralien darf man nnr mit Karsten sehen; denn nnr
Karsten weiss die Steine lebendig zu machen.« (Abh. d. Akad. Phys.-math.
KK 1814/15.)
m) Johann Gottlob Schneider, „Saxo", wie er sich nach seiner Hehnath
nannte, am 18. Januar 1750 zu Kolhnen in Sachsen als Sohn eines armen
Maurers gel)oren, wtirde in Schulpforta erzogen, studierte in ljG\\<y.\<j: Pliilo-
lo^io; nach einem Aulenthalt in Strassburj? nahm er 17TG einen Kuf an der
Universität i'"rankfiin a. ( ). an, der er auch nach ihrer Verlegung nach Breslau
bis an seinen Tod am 12. Januar l anf^ehürte. Bekannt ist sein grieclii-
sches W^ürterbuch (1795— 97) j mit besonderer Vorliebe bearbeitete er die
Naturgeschichte der Alten; unter vielen anderen gab er die Thiergeschichte
des Aristoteles (1811), die physikalischen Briefe des Epikur (1813), Theophrast
(1818—81), die romischen Schriftsteller Aber Landwirthschaft (1794—97)
heraus. (AUg. d. Biogr. XXXII. 125.)
«) Leopold T. Buch, geborien 26. April 1774 auf Sehlosi Stolpe bei
80
Angermttnde, gestorben 4. März 1853 zu Berlin. Hmnboldt nennt ihn im
Kosmos den grnssteii rreo<nioston unserer Zeit. Er war Schüler Werners auf
der berühmten Bergakademie t'reiberg in Sachsen. Von seinem 16, Lebens-
jalire an liat er last alle Theile Europas gcognostisch und mineralogisch
durchtorscht. Den Vulkanismus studierte er in Italien, wo er mit A. v. Hum-
boldt and Gay-Lussac in Neapel 1805 ein grossartiges Erdbeben und einen
AUBbrndi des Vesay erlebte; in Skandinaviea erfonehte er auf einer Beise,
die sich bis aom Nordkap nnd den Grensen Finlanda ausdehnte, den Granit
nnd legte seine epochemaehenden Besultate in seiner „Reise dorch Norwegen
nnd Lappland" (1810) nieder; er kehrte von ihr als „Reformator der ganzen
geognostischen Wissenschaft" zurUck. Dann wurden die Alpen durchforscht,
die canarischcn Inseln besucht und neue Hypothesen über die vulkanischen
Inseln aufprestellt ( Physikalische Beschreibung:^ der canarischen Inseln 1825),
die bis in die neueste Zeit (ieltung hatten, nämlich dass die vulkanischen Inseln
nicht durch Aulscliüttung, sondern durch Erhebung ihre auttallende Gestalt
erhalten hätten. Um dieses Erliebungsprinzip weiter zu beweisen, besuchte er
die Hebriden und wieder die Alpen. Über ein Menschenalter hindoroh
blieben Bachs Theorien unbestritten. (AUg. d. Biogr. III. 464.)
3ii) Martin Heinrich Karl Lichtenstein, geboren 10. Januar 1780 za.
Hamburg, studierte Medizin, ging 1802 als Hausarzt und Erzieher der Kinder
des hoIlUndischen Gouverneurs nach dem Kaplande, machte dort als Bataillons-
chirurg den Krieg gegeu England mit; nach seiner Bückkehr nach Deutsch-
land ▼erOffimtiicfato er 1810 „Reisen im stidlidien AlMka'*. In demselben
Jahre wnrde er Prlyatdosent an der UniversitBt Berlin, dann Professor der
Natorgesehichte nnd Dhrekter des soologisehen Hnsenms, das 1810 anf seinen
Yorseblag gegrtbidet worden war und dem er bis m seinem Tode am
3. September 1857 unermüdlich yorstand. Ebenso hat er sich um den
zoologischen Garten hoch verdient gemacht, den er begründen half; ihm zu
Ehren haben Lichtenstcin-Alleo und -Brücke ihren Namen erhalten. (Biogr.
Lex. UI. 702. Gel. Berl. 1825. p. 153. 1845. p. 213.)
ti) Die Begründung einer Berliner Univei-sität war wie schon erwthnt, S^t
Anfang des 19. Jahrhunderts eine der Lieblingsgedanken Beymes gewesen.
Bereits im Jahre 1802 hatte er Johann Jakob Engel beauftragt, einen Entwurf
für eine höhere Lehranstalt auszuarbeiten. 1H07 wurde der Gedanke wieder
aufgenommen und in ernsthafte ErwUgung gezogen; es musste Ersatz für
Halle und die kurze Zeit prcussisch gewesene Universität Erlangen geschaffen
werden; am 4. September 1807 bereits erfolgte die königliche Kabinetsordre
an Bejrme zur Errichtung ebner höheren Lehranstalt ia. Berlin. Die folgenden
beiden Jahre sind mit Veriiandlnngen Uber die llnansielle Fandienmg nnd
die Heranziehnng von Dozenten ansgefüllt, wobei namentlleh W. ▼. Humboldt
und Schlciermacher hervortraten. 1809 am 22. September erging die Ka-
binetsordre zur Gründung der Universität, am 28. September 1810 ernannte
der König den ersten Rektor (Schmalz) und die ersten Dekane (Sohleier-
macher, Bieuer, Ilufeland, Fichte), und am 6. Oktober wurden die G eretcn
Studierenden immatrikuliert, durunter Heims Sohn Wilhelm, der erste stnd.
med. der Berliner Universität. Die Oründungsgesohichte, und darin anch die
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Aua den Tagebüchern des alten Helm
81
WiderwIrtigkeiteD, die der ErOffiiung vorhergingen, and snf die sich Heims
.za freie* Sprache bezidi^ tbeilt KOpke mit in seinem Bache : Die Gründung
der Königlichen Friedrich Wilhelms-Universitilt m Berlin.
w) Johann Eiert Bode, Mitglied der Akademie der Wissenschaften and
▼on 1787 bis 1825 Direktor der Berliner Sternwarte, stammte aus Hamburg, wo
er am 19. Januar 1747 geboren wurde. 1772 wurde er als rechnender Astronom
nach Berlin benift^n, wo er die von clor Akudeinio liorausf^c^'-cbcin' Samnihing
astronomischer Tafeln bearbeitete, die alles auf die beweglichen Körp«'r des
Sonnensystems, wie auch der festen I'uiikte des «r^^stirnten Himmels Bezüg-
liche enthielten (]77<i». Seit 1777 Ijcaila'itete er das Hirliiifr astnuioniisolie
Jahrbuch. Von seinen eigenen Arbeiten sei der grosse I liinincl-athiti genannt
in sciiner ,1 ranographia* (171)7 — 1801), aus 2»» Sternkarten und Titelkupfer
im grüssteu Format bestehend; er stellte darin die bis dahin unerreichte
Zahl von 17 240 Sternen fest. Bode nimmt unter den astronomischen Autoren
des 18. Jahrhunderts den ersten Rang ein. Als Entdecker und Beobachter
konnte er nicht viel leisten, da die Berliner Sternwarte auf dem Dache des
Akademiegebäudes trotz des von ihm veranlassten Anbaues und ihre massigen
Instrumente ihm hier keine genügende Orundlagc boten Die Gedächtnisrede
in der Akademie (er starb am 24. Novcnibir l^ifi) hielt ihm sein Nachtblger
Eucke. (roggendortl I. 217. B^tI. !s:*5. p. 25. Abh. d. Akad. 18 57.)
3o) Daniel Friedrieh Parti» ey ist geljoren im .I;ihre ]7l'i zu l'raiiken-
berg in Sachsen; er hat sieh vom Leincwehci- bis zum ii(»lr.i(li im General-
Finanzdirektorium hinaufgearbeitet, war Schwiegersohn Fr. .\i< ()I;iis. Vater
Gustav Partheys, des Inhabers der Xieolaisehen Buchhandlung. Nachdem
er in Leipzig vornehmlich Musik studiert hatte, wurde er Lehrer im
Banse da Gntfen Medem in Kurland; hier schloss er mit denen Ältester
Tochter, Elisa von der Becke, Freundschaft ffirs Leben. Durch GOckingk
wurde Partbey in Berlin eingeführt, (cf. Gustav Parthey, Jugonderinne-
rungen I.)
4«) Dr. theol. et phil. Johann Joachim Bellermann, geboren zu Erfurt
am 23. September 1754, wurde 1804 zum Direktor des Grauen Klosters be-
rofen. Seit 1810 las er an der Universität, 181*; wurde er zum a. o. Professor
ernannt. Sein Direktorat legte er 1828 nieder, seine \ orlcsungen setzte er
bis an seinen Tod im Jahre 1^42 f«>rt. X( ben !'hil(*l(>gie, Philosophie und
'riieologit' Vieschäftigte er sich lebliatt mit Naturw iss«ii.>cli;it'tL'n uiul Musik:
seinem I-äntiusse ist es zu danken, <lass drr (ie,--angunlcrrieht auf den {»reussi-
achen Gymnasien wieder eiugeflUirl wiu'de. (Allg. d. Biogr. 11. oü*. Gel.
Berl. 1825. p. 13 (Schritten].)
4i) Christian Gottlried Daniel Stein, Dr. phil,, geboren zu Leip/ug ii iJ,
Professor am Grauen Kloster. (Gel. Berl. 1825. p. 275.)
4ä) Heinrich Friedrich Link, geboren 2. Kel»ruar riü7 zu Hildcblicim,
gestorben 1. Janaar 1851 zu Berlin, wurde 1815 als Mitglied der medizinischen
Fakidtät und Direktor des botanischen Gartens nach Berlin berufen, nachdem
er vorher in Rostock und Breslau gelehrt hatte, Link war Universalgelehrter.
Er war von Beruf Mediziner, doch mit besonderer Bezugnahme auf die
,K«tQrwiiBeiiBchaften; hier war er auf allen Gebieten heimisch, als Zoologe,
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Georg Siegeriit
Botaniker, Geologe, IDnenJoge, Chemiker, Physiker; In der Pflanzenanatomie
und -Physiologie hat er hervorragendes geleistet. Er hat hier als Erster die
SelbstJlndifj^koit der pflanzliclicn Zelle hervorgehoben. Der Berliner botanische
Garten hat sich unter seiner Leitnn^^ namentlich durch die Arbeit des ( larteii-
Inspoktors Otto so gehoben, dass er damals als der reichste Garten Europas
dastand. (Allg. d. Biogr. XVIII. 714. Gel. Ikrl. 1845. p. 214 [Schriften].)
43) Philipp Buttmann, geburcn zu Frankfurt a. M. am 5. Dezember 1764,
Verfasser der berühmten griechischen Grammatik, die 1792 in erster Auf-
lage erschien, lebte seit 1789 in Berlin, Btbliotiiekar an der Königlichen Blblio-
thek, deren thatsAchliche Leitung er seit Biestera Tode 1816 hatte, obwohl
er die ihm angebotene Stelle des ersten Bibliothekars ansschlng. 1806 wählte
ihn die Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitgllede, von 1800 bis 1808
war er Professor am Joachimsthalschen Gymnasium. Vorher war er neun
Jahre lang in dcf Hedaktion der Ilaudo- und Spcncrschcn Zeitung thfltig.
Er starb am 21. Juni 1829. Die Gcdiichtnissrede in der Akademie hielt ihm
Schleicnnachcr am 8. Juli 1830. (Allg. d. Biogr. III. (106. Gel. Bcrl. 1825.
p. 41. Lowe, Bildnisse jetzt lebender Berliner Gelehrter. 1S06.)
4«) Klenze, Buttmann und die Gesetzlosen. 1834. Als Manuskript fBr
die Mitglieder gedruckt.
45) Christian Friedrich Nasse, Schiller Reils, Professor derMedizfai nnd
Direktor der medizinisehen Klinik in Halle, Physiologe.
46) Christian Friedrich Hornschach, Botaniker nnd besonders Moos-
forscher. Er ist geborai za Bodach im Coburgischen 1793, wurde nach
mehrjührigen Forschungsreisen 1818 als Demonstrator für Botanik nach
Grcifswald lierufcn und 1H20 zum Professor für Naturgeschichte und Botanik
er;iannt. (Allg. d. Biogr. XIII 158.)
47) Brutler von Ludwig Robert und Rahel \'aniliagcn.
m) Karl Witte, Jurist, Wunderkind, geboren 1. Juli 1800 zu Lochen
bei Halle. Er seichnete sich durch ein unglaubliches Spraohentalent ans.
Mit zehn Jahren wurde er in Leipzig immatrikuliert, 1814 promovierte er in
Glessen mit einer Schrift über die Konchoide des Nikomedes, eine Knnre des
vierten Grades. Sein Studium erstreckte sich auf alte und neue Sprachen,
Geschichte, Mathematik, Naturwissenschaften, Philosophie, Rechts- und Staats-
wissenschaften. 18 IG wollte er sich zu Berlin habilitieren, wurde jedoch
wegen >» iner Jugend noch nicht zugelas:^( n und machte nun mit Staats-
untert^tiit/ung eine Heise nach Italien, \y<< er sich haupt.säclilich dem Studium
der italienischen Kunst und Literatur widmete, besonders mit Dante be-
schäftigte. Er Ubersetzte sp&ter auf dieser Grundlage die divinia commedia
in mehreren Ausgaben, weitere Werke Dantes und Boccaccios Dekameron.
1833 wurde er a. o., 1829 o. Professor der Beehte in Breslau, spttter ging er
nach Halle. Er ist Begründer der deutschen Dante-Gesellschaft.
m) Johann Gottfried Karl Christian Kiesewettcr, geboren 1766 zu
Berlin, war Professor der Logik am Collegium medico-chirurgicum seit 1792.
Er bat viel philosophische Schriften hinterlassen, darunter , .Erste Anfangs-
gründe der reinen Mathematik" (1799). (Püggen* lorli I. 1255.)
60 Johann Wilhelm Jakob Borneniann, General-Lotterie-Direktor,
geboren zu Gardelegeu. Er schiieb iall „über die tui'nerisehen Übungen^
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Au den Tagebfloheni dat alten Heim.
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in der EPitsenheydc", gab heraus „Plattdeutsche Gedichte", 2 Bde. (S.A. 1820).
(Gel, Berlin 1825. p. 33.)
f.i) Friedrich Schulz, geboren 1769, genannt „Theater-Schulz", ein Sonder-
ling ersten Ranges, war ursprünglich Jurist, brachte es aber nur bis zum
Justitiar, da ihn seine Theaterleidcnschaft alle Termine und Geschäfte ver-
säumen liess; sein Universitätsgenüsse Stügeniaun verschuftte ihm darauf eine
HilfearbeitenteUnng in g^em Uiiiisteriam (er sollte die Oeschafke bei dem
projektierten Flenmn der tectaniseh-wissensehaftlichen Deputation führen) und
liess ihn, da er auch hier nicht zu brauchen war, firei* sowie sein geringes
GMialt fltr Lebensselt behalten, „als ausgezeichnet durch Unbrauchbarkeit".
Schulz war nun glücklich; seine Thtttigkelt ' beschränkte sich nur auf den
Verkehr mit Schauspielern sowie auf Rezensionen für die Berliner Blätter;
zuletzt war er Kritiker der Spenersehen Zeitung. Dass er viel Sachkenntnis
besass, beweist Goethes kleiner Aufsatz: .,I)ie Berliner Dramaturgen". Typisch
war bei ihm die vielen alten fhigestolzen eigene Abneigung geg<'n Sauber-
keit. Als er Friederike Bethmann, deren unbedingter Verehrer er war. einst
fragte, iu was llir einer Maske er auf die Kcdoute gehen sollte, um nicht
erkannt zu werden, entgegnete sie: „Lieber Schulz, ziehen Sie reine Witsche
an, da kennt Sie kein Mensch!«« (F. W. Oubitz, Erlebnisse I. 213 ff.)
9a) Heinrich Karl Beyrich, Botaniker, ist am 22. März 1796 zu Wer-
nigerode geboren. A. v. Uumboldt, der ihn in Paris kennen lernte, ver- '
sebafffee ihm 1823 einen Auftrag der preussischen Regierung zu efaier Reise
naeb Brasilien, um aus den UrwUdem seltene Pflanzen fttr den Garten auf
der Ffauenhisel und den Beriiner botanischen Garten zu sammeln. Nach
seiner Bttckkefar Ende 1823 stand er 10 Jahre lang dem botanischen Garten
vor, ging dann auf eine neue Forschungsreise nach Nord-Amerika und erlag
am 15. September 1834 zu Fort Gibson im damaligen Indianergebiet einon
Gallenäeber. (Allg. d. Biogr. II. 6ü5.)
54) Daniel Amadeus Neander, nicht zu verwechseln mit seinem be-
rühmten Namensvetter August Neander, geboren zu Ivcngefcld in Sachsen
am 17. Novcmbör 1771, war seit 1823 wirklicher Ober-Konsistorialrath und
Mitglied der ersten Abtheilung des Ministeriunis der geistlichen Angelegen-
heiten in Berlin, zugleich Propst und Pfarrer au St. Petri als Nachfolger
Hansteins. 1829 wurde er Generalsuperintendent der Kurmarfc und Dfarektor
des Konsistoriums, 1830 Bischof der evangelischen Kirche. (Gelehrtes BerUn
1825. p. 254.)
w) Heinrich Steffens, geboren am 2. Hai 1773 zu Stavanger, seit 1804
auf Beils Betreiben Professor für Naturphilosophie, Physiologie und Minera-
logie in Halle. Nach dem Zuiammenbnudi des preussischen Staates verliess
er Halle, kehrte 1808 dorthin zurück, gerieth aber infolge seiner preussisch-
patriotis<Uien Gesinnung bald mit der franzcisisehon Polizei in Kontlikt, so
dass ihm eine Berufung nach Breslau sehr willkommen war. Vorher, im
Jahre 1810 bemühten sich Schleicrmacher, Froriep und Keil sehr, aber ver-
gel)lich, ihm einen Ruf an die neue Universität Berlin zu verschaffen, um ein
wissenschaftliches Gegengewicht gegen Fichte hier zu haben. Bekannt ist
seine auch im Bilde verewigte, zum Freiheitskampfe auffordernde Bede im
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Ctoorg Siegerist
Februar 1813 in Breslau nnd seine Theflnahme als 40JiUiri9er l^pon und
Familienvater an den Befirainngskriegen. Er besuchte Berlin im November
1824 auf der Bttekkebr von einer Beise in die Heimath. 1832 endlich wurde
er auf Veranlassung des Kronprinzen nach Berlin berufen, wo er noch
13 Jahre, bis zu seinem Tode am 13. Februar 1845, wirkte. (Ailg. d. Biogr.
XXXV. 555. Röpke, Gründung: der Universität Berlin p. 79.)
.'(i) Christian Gottfried Ehrenberg, geboren zu Delitzsch hei Leipzig am
19. April 1795, ^'•estorben zu Berlin am 27. Juni 1870 als Professor der
NaturwibsenscUuttt 11 und Geh. Medizinalrath, E. ist einer der bedeutendsten
A'aturforseher des 19. Jahrhunderts, vor allem Mikroskopiker. Oemeinschaft-
lieii mit seinem Fremde Hemprich nahm er 1820— 2& an der Expedition, des
Generals von HinutoU zur antiquarischen Erforschung der Nillllnder als
Natmrforseher TheiL Ägypten, Nublen, Dongola, Arabien und Syrien^ wurden
durchreist und durchforscht 1827 wurde er Mitglied der Akademie der
Wissenschaften und a. o. Professor, 1839 ordentlicher Professor. 1829 be-
gleitete er mit Gustav Rohr A. v. Humboldt auf seiner Reise nach dem
Altai. In der folq-oiulen Zeit beschäftigte er sich vornelnnlich mit Tnfusorien-
forsehungen. Epochemachend i.st hier sein Werk „Die Infusorien als voll-
kommene Organismen" (l.s3<S). Reiche Auszeichnungen blieben nicht aus.
In London wurde er zum mastcr of arts proklamiert, die Pariser Akademie
cruanntc ihn als Nachfolger Humboldts zom aoswilrtigen Mitgliede. Bekannt
sind seine Forschungen Uber das Meeresleuchten, seine Erkianmg des mittel-
alterlichen ^Wunderbluts* durch ein zeitweise znchtbares Inftasorium und die
des blutigen Regens und Schnees aus demselben Grunde, cf. seine Biographie
V. J. Hanstein 1877.
67) Gerhard Friedrich Abraham Strauss, Oberhol^rediger, geboren zu
Iserlohn am 24. September 1786, gestorben zu Berlin am 19. Juli 18G3. Kr
wirkte seit 1822 am Dom, zugleich als Professor der praktischen Theologie
an der UnivcrsitÄt. Aus einem pietistisciien Pfarrhause stammend, stand er
zeitlebens in dessen und des Mystieisnuis Bann. Er hat ^vt'sentlieh beige-
tragen zu dem kirchlichen Ton in dem Berlin der 30 er und 40 er Jahre,
wobei ihm seine Eigenschatt eines trefflichen Kanzclredners sehr zu statten
kam. (cf. Allg. d. Biogr. XXXVI. 532. Selbsterinn«rungen 1868.)
58) Johann Bartholomftus Trommsdorff, Apotheker und Professor der
Chemie in Erfurt, Reformator des Apothekenwesens, aus dem er den mittel*
alterlichen Unfug der «Milch des Mondes", der getrodcneten Kröten, des Hunds^
drecks endlich beseitigte und an ihrer Stelle die wissenschaftliche Chemie zar
Gesetzgeberin der Pliannazie machte. Nach Klaproths Tode sollte er dessen
Nachfolger in Berlin werden, lehnte aber ab. Auch Begrün(b'r einer tler
ersten chemischen Fabriken, der ])erUlimten TrommsdDrft'sclien Fabrik in
lOrfurt i.st er gewesen. (Allg. d, Biogr. XXX VIII. 041. PoggendorflF IL
lUü. Schriften.)
m) Die Rede ist abgedruckt im i, Amtlichen Bericht .ttber die Versanmi-
lung deutscher Naturforseher und Aerzte zu Berlin im September 1828. Er*
stattet von A. v. Humboldt und H. lichtenstein«. 1829.
m) Vergl. den amtlichen Berieht und die Berichte Rellstabs in der
Votsisehen Zeitong.
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Aus den Tagebttchexn des alten Heim.
85
<i) Die beiden Flugschriften des Gotbaischen Geueralsuperintendentcn
Brataehneider richteten sich gegen die Anklage, die der damalige Ultra-
orthodoxe Hallenser Geriehtsdirektor Lndwig Ton Qerlaeh gegen die ratio-
nalistisohen Professoren Wegscheider und Oesenins erhoben hatte, nnd die
der gleich orthodoxe Wilhelm Hengstenberg, der nachmalige Oberhof^rediger
in Berlin, in die Evangelische Kirchenzeitung aufnahm ; zur Formulierung der
Anklage waron Kollegienhefte von Studenten benutzt worden! Der Fall
erregte lebhatte Entrüstung; in Berlin trat Neander deshalb von der Mit-
arbeit an der Evangelischen Kirchenzeitung zurück, eine Anzahl von Geist-
lichen erliess eine Erklärung ge^en Ilengstenberg.
n) Es ist Wilhelm Wacker nag el, geboren 18üü, der, nachdem er nach
beendetem Stadium IVt Jahre in Breslau anf HofBnanns von Falleraleben .
Anregung als Literat gelebt hatte, von 1830 bis zn seiner Bemftmg als Pro-
fessor für deatsche Sprache mid Literator naeh Basel im Frttl^ahr 1833 sich
in Berlin mit Konigieren, Übersetsen, Standengeben and Vorlesen darch-
schlag.
es) Willibald Alexis.
fn) Christian Samuel Weiss, p^eboren 178H zu Leipzig, seit IHIO ordent-
licher Professor der 3Iineralope in Herlin und Direktor des Mineralicnluibinetts.
Er starb am 10. Okidtx'r ISne. ((!el. Berl. 1845. p. 30.)
u) Wahrschemlieli Kechcrches sur les ossements fossiles des Quadru-
ples etc. 2. A. Paris 1821 ff. 7 Bde.
86
Georg Si^riet.
III.
Theater und Kunst.
1795.
16. Dezember. Unter Tisch meiner Frau mein von Melchior
. gemaltes Bildnifis geschenkt
1796.
18. Jannar. Speiste der Ober-Banrath Berson^ bei mir.
1797.
4. August Bei Unger im Thiergarten den Schangpieler Ifland')
kennen gelernt
1798.
24. Jannar. Im Opemhause die Mnsik der Opera „Brennns* mit
aDgL'höit, die mir nicht wohl gefallen hat.^)
1799.
11. März. Beim Minister Hardenberg in Gesellschaft des
Geh. J. R. Koch und Schauspielers Ifland gespeist Ifland, den ich
nie auf dem Theater habe spielen sehen, sähe ich hier spielen.
1800.
18. Dezember. Die grossen Kinder gingen gleich nach 2 Uhr ins
Komödienhaus, um gute Plätze zu bekommen, da heute Fleck ^} sich
nach seiner Krankheit zum ersten Mal wieder auf dem Theater idgte.
1801.
3. April. Meine Frau, Christiane und Caroline waren Nachmittags
in der Graunschen Passion*^), wo Christiane als Mitglied der Sing>
Akademie 0 gleichfalls mitgesungen hat
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Ans den Tagebttchem dot alten Heim.
87
1802.
1. Janaar. Anf kurze Zeit im neuen Schauspielhaus gewesen, in
welchem heiito zum ersten Mal ein Stück aufgeführt wurde.")
14. Februar. Abends im Opernhaus im Konzert die 4 Jahreszeiten
von Haydn gewesen, aber nur kurze Zeit, — da solche Musik nicht für
meinen Geschmack ist.")
4. August. Abends beim Knpfersticlihändler Schiavonetti'") in einer
grossen Gesellschaft zur Kindtaute gewesen.
13. Abends in der Komödie mit meiner Frau und mit meinen
4 ältesten Kindern gewesen. Es wurden 8 Stücke: 1. Das neue Jahr-
hundert, in dem Herdt und Unzelmann nnd Madame Fleck, 2. Die
Übereilung, wo Madame Meyer, Dlle. Doebbelin und Herr Kaselitz
und endlicli 1^. Die beiden kleinen Savoyarden, wo ganz allein Madame
Unzelmann ganz vortrefflich spielte, gegeben.")
27. Dezember. Abends im Schauspiel gewesen und das 2te Stück
Alexis mit angehört und gesehen.'*) Madame Unze 1 mann hatte heute
ihr Benefiz und hatte mir ein Loge-BiUet zu 6 Personen umsonst ge-
geben.
1803.
13. November. Mittags beim Fürsten Radziwill in Gesellschaft
des EapellmeiBters Himmel'^) gespeist
1804.
4. Februar. Mittags beim v. Quast, Liebhaber der Madame
Unzelmann gespeist.'*)
14. Mittags beim Minister v. Hardenberg in kleiner Gesellschaft
gespeist. Beyme, Lombard, v. Eotzebne, Ifland, Schadow") etc.
waren hier.
30. Oktober. Abends in der Sing- Akademie gewesen, wo das anns
Amen sehr mitgenommen wurde in IQopstocks Yatsr Unser.'*)
1805.
16. Oktober. Abends in der Komödie gewesen, wo der Pals und
das Lager von Wallenstein gegeben wurde. Beide Stücke haben mir
gefallen.'^
1806.
9. Februar. Mittags beim Ofen-Fabrikanten Feilner'*) in grosser
Gesellschaft von Eünsilem ond Bauleuten gespeist
21. Mittags beim Schauspieler Bethmann in kleiner Gesellschaft,
nämLDirektorlfland, Geh.R.Eoels, Kapellmeister Reichar dt") gespeist
29. August Beim jfldischen Bankier Levi juu. in grosser Gesell-
schaft gespeist Der berühmte Kupferstecher Bause**) aus Leipzig war
auch hier.
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Georg Siegeifat
1807. •
18. Februar. Mittage beim Geh. R. v. Pandel, in Gesellschaft vom
Schanspieler Ifland gespeist nnd recht vergnügt gewesen. Ifland war
besonders munter und erzählte von Juden manche Anekdote.
1810.
11. April. Beim Prinzen Kadzlwill in kleiner Gesellschaft; unter
welcher der Instige Kapellmeister Himmel war, recht gnt gespeist und
sehr vergnügt gewesen.
10. Oktober. Auf der Ausstellung gewesen, wo ich das Gem&lde
unserer verstorbenen Königin von Schadow gemalt mit vielem Wohl-
gefallen sahe.*0
1814.
H. JunL Starb der Kapellmeister Himmel.
1815.
16. August. Um 1 Uhr des Morgens starb die Schauspielerin
Bethmann, ein sehr grosser Verlust für das Theater.
1816.
28. Juli. Die Giustinianische Gemäldesammlung besehen.'^
81. Juli. Vor Tische nach Charlottenburg geritten nnd daselbst
die vom Bildbauer Rauch so schön gearbeitete Statue der verstorbenen
Konigin in Augenschein genommen. Wollte Gott, sie lebte jetzt, diese
so herzensgute Königin. Damals war es nach meinem Dafürhalten sehr
gut, dass sie starb.
1819.
JS. .Ulli. Boiiii Bildbiiuor Scliaduw die in Erz g^egossenc Uulossiili-
Rchc Sratuc (li's 1 ru>ten Blücher bewundert. Au seinem Gebui'tsort
Uastock soll sie zu stt'la-ii kommen.
81. Oktober. Zu Hause «gespeist mit dem Maler Schadow-), der
sich l<t Jahre in Horn aut'<;t'lialteu und vieles von der Kunst sprach und
davon ebenso rin<;viiuunii('n war, als ich es v«uj den Moosen bin. Wer
von beiden nichts versteht, dem sind dies gar gleicligültige Dinge.
1820.
31. Au<(ust. Bei Si. Kxcellii)/ dem Justiz-Minister v. Kircheisen
fjjespeist. Von CJenies und Künstlern waren hier Rauch, Tieck*'),
Schadow, Schinkel.
1822.
f\. November. Mittaiis l)eim Ofen -Fabrikanten Feilner in grosser
Manns«:eseUschaft von Künstlern gespeist.
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Aas den Tagebfichem dea alten Heim.
89
1823.
30. April. Heute hat der Schauspieler Stich, der den l.Hornnnp
von dem Lieut. Grafen v. Blücher mit einem Dolch gestorhoü worden
war, zum ersten Mal wieder ge.s|)ielt, und ist mit grossem Beifall auf-
genommen und herausgerufen worden.'-')
12. Mai. Wurde die Schauspielerin Stic Ii, die vor eiuigeo Tageu
sehr aasgepocht wurde, mit dem Beifall aller helohnt. ^'')
5. November. Abends mit den Meinigen im Theater gesessen und
die Stücke Hermann und Dorothea und den Maj^^ister Quadrat spielen
sehen.'') Da dies das erste Mal war, dass ich dies Theater besuchte,
machte es viel und einen guten Eindruck auf mich. Die Stich und
Madame Wolff) haben mir Thräueu gekostet.
1824.
3. Oktober. Starb der Schauspieler Stich.
4. Bei der Obduktion der Stich'scheu Leiche erfuhr man, da«s
das Blutbrechen, an dem der Stich stai'b, keineswegs eine Folge des
Blücher'schen Stichs gewesen ist.
27. November. Bei den Gebrüdern Bohrer, in Gesellschaft des
berühmten Klavierspielers Muschles gespeist, und nach Tische ihn mit
Vergnügen spielen gehört.
1825.
28. Januar. Starb arider mein Erwarten die Schanspielerin
V. Holte y '-), welcher Tod mir sehr nahe gegangen ist
16. Mai Beim Ofen-Fabrikanten Feilner in grosser Mannsgesell- '
schalt von lauter grossen EttnsÜern gespeist» s. B. Schinkel"X Benth**),
Ranch, Tieck'^), 3 Schadow etc. und von 3—7 TJhr zu Tische gesessen.
.25. September. Beim Bankier Ebers jun. gespeist. Die jetst so
berühmte Sängerin Sontag war auch hier. Sie ist recht hübsch, aber
gar nicht so habsch, als man sie mir geschildert hatte. *0
7. Desember. Gab die Schauspielerin Sontag ein Konzert, dss
die halbe Stadt in Bewegung setzte.
1826.
28. Dezember. Nach Tische zum Geh. Rath Benth, den ich sehr
schätze, gefahren und ihm zu seinem heutigen Geburtstag Glück ge-
wünscht.
1827.
28. April. Mittags auf der Hochzeit der Schauspielerin Madame
Stich mit dem Kaufmann Crelinger gewesen, und zwar in kleiner Ge-
sellschaft von Schriftstrllera und Theaterfreunden. Madame Stich sah
allerliebst aus und der Bräutigam bat mir auch sehr gut gefallen.'')
^ ij . .-Lo Ly Google
90
Georg SiegeriBtk
Weder sein Vater noch seine Brüder waren hier, aber Professor
Rau l.ach.'^)
10. Oktober. AIm iuIs lief Alt und Juug und mein lieber Sohn an
der Spitze ins Theatur, um die .Sont^i^ singen zu hören.
Abends waren fast alle wieder im Theater, um die Sontag
zu liüreu. Fast möchte ich jeden Bettler, dem ich etwas gebe, bitten,
dafür Gott anzurufen, die Sontag doch bald aus Berlin zu entfernen.")
14. Abends wie gewöhnlich lief alles ins Theater, um die Sontag
singen zu hören.
27. Nach Tische eilte fast die ganze Familie zur Sontag bin.
1828.
6. Mftn. Beim Bankier Wagen er^ in groBser GeBellsehaft yon
Eflnstler^ geepdst Ranch, Tieck, Schinkel, Benth etc. waren hier.
1832.
15. Mai. Heute starb an Entzündung des Unterleibes der berühmte
Ainsiklehrer Professor Zelter, einige 70 Jahre alt £r war einmal sehr
ärgerlich auf mich, weil ich das Vater Unser von Naumann lächerlich
machte. Einige Jahre darauf gab er mir recht und seit dieser Zeit, an
15 Jahre her, hat er es niemals wieder singen lassen. *0
1833.
4. Juni. Heute hat der Maler Hübner'-') aus Düsseldorf mein
Porträt zu malen geendigt. 5 Tage lang habe ich taglich U bis 5 Standen
lang vor ihm sitzen müssen.
i) Heinrich Anton Melchior, geboren um 1705, Bildhauer und Maler,
starb zu Berlin 1796. Unter anderem malte er das von Uliland besungene
„Mahl zu Heidelberg« (von Hess in Kupfer gestochen); eine Allegorie auf
den Basler Frieden 1795 trug ihm den Preis der Berliner Akademie ein.
Sein Portrftt KOnig Friedrieh Wilhehns IL mnsate 87 mal kopiert werden.
i) Geb. Ober-Banrath Philipp Bemhaid Fraa^ols Berson, geb. 1754 zu
Berlin, trat 1775 als Kondoktemr bei den Kgl. Immediathanten in den Staats-
dienst. 1787 wmrde er Assessor beim Ober-Baa-Departement. (Gel. BerL
1825. p. 19.)
i) Iffland war am 14. Noveml)er 1796 als Direktor des Berliner König-
liehen Nationaltheaters engagiert worden.
4) „Brenne" von .Johann Friedrich Reichardt, dem bekannten Kapell-
meister der Königlichen Oper von 17V5 bis 1794. R. bat diese Oper selbst
für Sehl bestes Werk erfcllrt Eüie epochemachende Neaerung liatte er da-
durch elngefHhrt, d«BS er com ersten Male hier ebie Basspsrtle In die grosse
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Ans d«n Tagebfichflvn das alten Heim.
91
Oper eiofUhrte; die Paitie des ..Bronnus" war flir den berühmten Bassisten
L. Fischer geschrieben; seine Arie „Koma superba" wurde das Lieblingsstück
der Berliner. Die Ouvertüre erhielt sich lange aul' dem Konzertrepertoire.
,3ronno" wurde zum ersten Ifale zum Geburtstage des Kdnigs am 16. Oktober
1789 In prachtvoller AoBStattimg (sie soll IS 000 Tbaler gekostet haben)
angefahrt.
•) Naeh manehen Fahrten, — Leipdg, Hamburg « debtttterte Fleck
am \ 2. Mai 1783 bei Doebbelin in Berlin und blieb hier bis zu seinem Tode.
Helden und komische Hollen gab er mit gleicher Meisterschaft. Seine beste
Leistung war Wallenstein. Er hat im ganzen 202 Rollen gesjiielt: Shakcspeare-
sche Charaktere verkörperte er mit seltener Vollkommenheit. Mit seinem
grossen, wenn auch nicht unmittelbaren Nachfolger Ludwig Devrient theilte
er die Vorliebe für den Wein, so dass er manchmal — wie Iflland sich aus-
drückte — „wie ein Säugling lallte und tändelte". Sein Wicderauftreteu am
18. Desember 1800 erOilbete leider nur noch eine kurze 8pielseit; 45 Jahre
«It starb er am 20. Dezember 1801.
«) Der Tod Jesn. Das Werk wnrde regelmässig bis in die neaeste Zeit
hinein und wird auch jetzt noch zuweilen zur Passlonszeit aufgeführt.
7) „Die Mitglieder bestehen ans Herren und Damen, mehr als hundert
an der Zahl, und alle aus der gebildeten Klasse. Sie tragen die Unkosten
gemeinschaftlich und versaimueln sich alle Dienstage, um sich, blos aus Liebe
zur Kunst, im Sin{2:on zu üben, zu welchem Zwecke solche Sachen, welche
nur der Begleitung eines Flügels bedürfen, einstudiert werden. Zuhörer
werden nur wenige, auf Billets von Herrn Zelter, zugelassen. Oeffentlich
hat sich die Singakademie bey einigen grossen Konzerten und Kirchen-
mnsiken hOren lassen, nnd den Tollkommensten Beyfall eingellmdtet,"
(Gedicke, Lexikon t. Berlin, 1806. p. 673.)
a) Die EröffianngSTorstellnng in dem nenerbaaten, 1817 abgebrannten
Sefaanspielhaase (offiziell noch Nationaltheater genannt) waren Kotzebues
«Erenzfahrer« ; das alte Komödienhaas war mit der . Jnngfiran von Orleans*
gesdilossen worden.
») Der 14. P'el)ruar 1802 ist i\ii< Datum der ersten Aufführung von
llaydns „Jahreszeiten-' in Berlin, n;icli(iem .sie am '^4. April IS"! ihre über-
haupt ei'ste Aufführung im Sciiwarzenber'^.'^ehen Palais in Wien erlebt hatten.
Die Aufführung, die zum Besten der Königlichen Kapelle stattfand, leitete
der KammermusikuB Gttrrlich, den Simon sang Fischer, den Lukas llurka,
die Hanne Madame Schick. Ober Einzelheiten der AnffUhmng berichten die
Nummern 14, 15, 16, 18, 20 der «Voss. Ztg.« 1802. Die von Zelter ge-
schriebene Rezension steht in der «Allg. musikal Ztg.«. (Rintel, Die ersten
Anfftthruigen der Jahreszeiten von flaydn in Leipzig nnd Berlin, Sonntags-
beilage zur „Voss. Ztg." l^^^M No. 22.)
lo) Das (ieschäft von .]. K. Scbiavonetti befand sich Unter den Linden
No. 19. (Gedicke, Lexikon 341.)
n) „Das neue Jahrhundert'*, Posse in 1 Autzug vun Kotzebue. „Die
Übereilung*', Lust.spiel in 1 Akt naeli dem Knglisehen von Vvui. M< i»T. „Die
beiden kleinen Savoyarden", Singspiel in 1 Akt, Musik von d'AUyrac. —
Herdt, zugleich SHngcr, wirkte am Kgl. Theater bis zu seiner Pensionierung
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Greoig Si^eriflt.
1817. Uiizelinann, ebonfalls Schauspieler und SMnger — er sang den Lepo-
rello bei der «Tsten Auffülirung des „Don Juan" in Berlin am 20. Dezember
1790, den Papageno bei dem gleldien firandigen Ereignisse der „ZsaberflOte'^
am i%, Hai 1794 — bat von 1775 bis sa seiner Fensioniemng 1883 mit Ewei
Unterbrechungen 1781—83 in Hamborg nnd 1784—87 in Frankfturt a. U., wo
er von der Frau Rath sebr yerzogen wnrde, nnd Mainz der Berliner Bühne
angehört. 1821 feierte er sein 50jlbriges Schanspieleijnbilltum. Seine Gattin
if>iederike F'littner war wie er gleich gross in Schauspiel und Oper;
rauschenden Beifall erntete das Ehepaar als Figaro und Susanne in „Figaros
Hochzeit". Nach 18 jähriger Ehe trennten sie sich 1803: Friederikes zweiter
Gatte war Bethniann. — Denioiselle Doebbelin, die Tochter Theophil Etoebbe-
lins, gehörte ebenfalls seit 1775 dem Berliner Theater an, dem sie 50 Jahre
treu blieb. Kaselitz war von 1787 bis zu seinem Tode 1818 am Schauspiel-
banse thätfg; anch er war zogleich Sflnger.
tt) „Alexis", Singspiel in 1 Akt, aas dem FranzOsisefaen Ton Herldots,
Mnsilc von d'Aleyrae.
is) Heinrich Himmel, der Komponist von „Fanefaon", geboren am
20. November 1766 zu Treuenbrietzen, anfänglich Theologe („er liebte es
später, diesen ersten Theil seines Lebens in Dunkel zu hüllen", schreibt Kob.
Kitner in der All^'. <1. Biogr. XII. 435 ). Kr widmete sich dann der Musik und wurde
Schüler Namnanns. 1795 berief ilin Friedrich Wilhelm II. zum Nachfolger
des in Ungnade frefallcnen Keichardt. Für seine Kompositionsweise ist
„Panchon" das ( linrakteristikum : leicht, gclltUig tltndelnd, und so schildert
ihn auch Zelter als jovial, gemüthlich, einen Freund des Weins. Von seinen
Liedern werden noch beute einige gesungen. Er starb am 8. Jnnl 1814 tm
der Wassersncbt Einen ansprechenden Beitrag zn dem Kapitel Himmel
bietet Tb. Fontane in dem 4. Bande seiner Wanderungen in dem Abschnitt:
,3erlin in den Tagen der Schlacht von Grossbeeren."
u) Wolf Ludwig Friedrich von Quast, der „tolle Quast" der Gendarmen.
Quast war bei aller „Tollheit" ein begabter, gebildeter, belesener Offizier,
in dem ein Stück Genie steckte. Bekaiiiit i-^t sein Buch ,,Das Reitpferd", das
1.SII9 und 1815 in zweiter Aufiat^e erschien. Er starb am 2. Mai 1812,
Jahre alt, an den Ftilgen eines Sturzes mit dem Pferde. — Nach dem
eigenen Geständnis Friederike Unzelmanns an Fr. W. Gubitz war Quast ihre
einzige Liebe, die sie völlig überwältigte. Er trennte sich später von ihr.
Nach seinem plötzlichen Tode war wochenlang „mit der Betbniaim kaum zn
sprechen; sie kam in den ersten Tagen nicht aus dem Weinen heraus".
(Fontane, Wanderangen I. 328. Gubitz, Lebenserinnemngen L 813.)
15) GottfKed Schade w, der „alte Schadow". Anch ihm hat Fontane in
dem 4. Bande der „Wanderungen" in dem Kapitel „Saalow" einDenkmal gesetzt.
le) Die berühmteste Komposition Johann Gottlieb Naumanns.
17) „Der Fuls", Lustspiel in J Akten von Babo. „Wallensteins Lager"
wurde am 2b. November IH03 zum ersten Male aufgeführt.
ih) Die Ofenfabrik von J. G. Höhl er und Feilner befand sich in der
llasenhegerstr. (der heutigen Feilnerstrasse) No. 4. Sie beschäftigte 1803
53 Arbeiter und lieferte namentlich Ofenaufsätze sowie Figuren von ge-
branntem Thon, femer Badewannen aus diesem Material, Eboricbtungen za
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Ans den Tftgebfiphiiii dat «Uml HMm.
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Dampflcllelieii» trag^bve Kttehen, Banstttcke zn Oesimaen auf Hänsern (so fttr
die Werderscbe Kircho), jandlieh grosse Thonplatten za Basrelief^. Auf
solchen führte Schadow die VerklUrung der Königin Luise ans. Ursprünglich
vom Tr>j)fernieister Hr>hlcr mit 4 Arbeitern betrieben, führte Tobias Christian
Ff'ilner ans AVeyden in der OberpCulz, der 17'.t3 als Tßpfergeselle in Herlin
einwanderte und 1797 Werkuirister bei IhUiler wui^c, ihren liohfu Aut-
schwung herbei. In Ilerinbstüdts und Karstens Vorlesungen bildiK- sich
Feilner wisseusclmulich aus. Er erfand 18Ü4 die enkaustische Malerei (die
Metliode, gebrannte ^lonerde Gemllde anteitragtai und diesen mittds einer
farblosen Glasur BelnUcbkeit und Fenerbestftndigkelt zn geben). Er wurde
dann Miteigenthtimer der Fabrik; seit 1812 war er alleiniger Besitzer. (Berlin
wie es ist p. 837. Biunpf, Berlin und Potsdam I. 567 ft.)
1») Reichardt, der nach seiner Entlassung: in Berlin einen Posten als
Salzinspektor bei Sclirmdieck in Halle erhalten hatte, kehrte nach dem Tode
Friedrich Wilhelms II., der ihm stets gewogen }^:eblieben zu sein schien, nach
Berlin zurück und braciite hier wieder verschiedene Opern zur Auftührung.
181)6 musste er vor Napoleon llüchten, dessen Unwillen er durch eine mit
Sehlabrendorf verfasste politische Öclirift: ,,Napoleon und da«> französische
Volk unter seinem Konsulat" erregt hatte. •
M) Johann Friedrieb Banse» geboren 1738 zu Halle, gestorben 1814
zu Halle. Von armer Herkunft, war er vornehmlich auf Selbststudium an-
gewiesen. Sein Hauptgebiet ist das Portrtlt, namentlich stach er nach A.
Graffs Bildnissen. Er war Professor an der Leipziger Kunstakademie.
^i) Im Katalog der Kunstausstellung 181»» findet sich kein Bild der
Königin Luise von einem Schadow: es ist eir} P:ist;eUportr&t von Ucnschel
und ein Miniaturporträt von Maniuardt vorhanden.
aa) Die G i u sti n ia n isch e (Jeni{ilde-(ialerie war zum Tlieil von
Friedrich Wilhelm III. in Paris angekauft worden und wurde in einigen Sälen
der Universität anijipestellt Die Galerie war von dem Uarehese Ginstiniano in
seinem auf den Trümmern der Büder des Nero in Rom erbauten Palaste
gesammelt worden und wurde 1807 von den Francosen nach Paris entführt
Der Marchese hat ein grosses Kupferwerk über seine Sammlangen Galleria
(iiustiniana, 2 Bde. 1631, herausgegeben. (Parthey, Jugendwinnerungen
H. m . )
ss) Das in Carrara und Koni 1812—14 hergestellte Grabdenkmal der
Königin, das am 10. August 1814 in Livorno nach Hamburg eingeschifft
wurde, gelangte erst nach vielen Fährlichkeiten an seinen Bestimmungsort.
Das englische Schilf, das es trug, wurde von einem amerikanischen Kaper
anligfebraeht Erst am 23. Hai 1815 traf das Monument in Berlin ein \md
wurde am 30. Mai im Mausoleum aufgestellt. '
m) An der Entstehung dieses vorletaten grossen plastischen Werkes
Gottfried Schadows hat Goethe Antheil gehabt. Über das von Schadow ge«
wählte Phantasiekosram urtheilt der Dichter: „Das Bild steht wie auf dem
Scheideptinkte Ulterer und neuerer Zeit, auf der Grenze einer gewissen k(m-
ventionellen Idealität, welclio an Eriinierung und Einbildungskraft ihre Ft)r-
derungen richtet, und einer unljidingten Natürlichkeit, welche die Kunst,
selbst wider iliren Willen, au eine oft beschwerliche Wahrhaftigkeit bindet."
^ ij . .-Lo Ly Google
Das Denkmal wurde von Leqnine gegossen, von Coii6 dseiiert und im
Anglist 1819 zn Rostock errichtet. Eine kleine WachmkizEe ans dem Jahre
1816 befindet sich in der Nationalgalerie.
•25) Wilhelm v. Schadow-ri odonhaus, zweiter Sohn Gottfried Schadows,
geboren am (>. Sojitember ITsii zu Berlin, seit 18:26 Direktor der Akademie zu
Düsseldorf. Der r("»mis*ho Aufenthalt wUhrte von I8I0 l)is 1819: S. schloss sich
hier den sogenannten Nazarenern an und trat unter dem lOiutluss Overbecks
zum Katholizismus über. In Gemeinschaft mit OTerbeck, Comelins nnd Pk.
Veit malte er die sieben Freeken in der Casa Bartholdy, die sieh Jetzt in
der Berliner Nationalgiderie befinden. Die «Klage Jakobs* nnd «Josephs
Tranmdentnng im GefÜngnis* sind seine Werke. Femer stammen ans der
römischen Zeit eine Reihe von Porträts, dartmter von MitgUedern der Familie
Wilhelm v. Humljoldts, sowie ein grösseres Gemälde, worauf er Thorwoldsen,
seinen Ulteren Bruder Rudolf und sich selbst zu einer Gruppe von Halb-
figuren vereinigte, ebenfalls in der NationaljrMl« l ie. Endlich ist noch zu nennen
eine „heilige Familie'', im Auftrage des Kroni)rinzi'ii Ludwig von Baiem ge-
malt und in der neuen Pinakothek in München. Wie sein Vater war er
Kitter der Friedensklasse des Ordens pour le nierite. (AUg. d. Biogr. XXX.
515. Fontane, Wandeningen durch die Hark Brandenburg IV. „Saalow«*.)
m) Vom Bildhauer Tieek ist die Heim zn seinem 50Jllhrigen Doktor- .
JubilSum von den Berliner Ärzten gestiftete Bflste angefiwtigt.
») Hb handelt sich um das bekannte Benkontre zwisdien dem Sdum-
Spieler Stich, dem Gatten der sdiOnen Augnste Stich, geborenen Dühring,
nachmaligen Crelinger und dem Leutnant Grafen Franz von Blücher, dem
Enkel des Beldmarsehalls. Stich, aus dem Theater heimkehrend, traf den
Leutnant, auf den er Anlass zur Eifersucht hatte, im Zivilanzuge auf dem
Flur seines Hauses an, stellte ihn zur Hede und wurde von ihm mit einem
Dolche verwundet. Der F;ill machte sehr bCtses Blut in Berlin und ver-
anlasste eine scharfe Kabinetsordre Friedrich Wilhelms III.
m) Bei ihrem ersten Auftreten nach der Katas^phe (am 11. Mai als
Thekla) hatte ihr das Publikum, dessen erklärter Liebling sie sonst war,
einen sehr ttblen Empfang bereitet; sie wurde mit einem fttrehterlidienliirm
empfangen, der es ihr anfangs unmöglich machte, zu spielen.
20) „Hermann und Dorothea", idyllisches FamiliengemÄlde von C. Töpfer
(nach Goethe). „Magister Quadrat", Lustspiel in 1 Akt nach dem Französi-
schen von C. Blum.
;r») Die Frau des Schausj»i<'lers und Dichters I^ius Alexander Wo 1 ff , des
Verfassers von Preciosa. Der lnteii<lant Graf Brühl hatte das Paar 181G von
Weimar nach Berlin gerufen. Beriiiimt war Madame Wölfls Iphigenie. Sie
gehörte bis zn ihrer Pensionierung 1842 dem Schauspielhause an.
si) Ignaz Moscheies kam im Jahre 1824 zum ersten Haie nach Berlin,
um hier ebi Konzert zn geben. Die erste Einladung, die er hier erhielt, war
von Frau Lea Mendelssohn-Bartholdy, der Mutter von Felix. Zugleich bat sie
ihn, ihrem Sohne Klavierunterricht zu geben; aus diesem Unterricht ent-
wickelte sich ein inniges Freundschaftsband zwischen Lehrer und Schüler.
Ftlr unsere heuti<re ^lusikwelt interessant sind die Anjiraben über die da-
maligen Berliner Kouzertverhttltnitse ans einem Auftreten Moscheies' in Berlin
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1
▲as den TagebOchem des alten Heim.
96
im Jalire 1833. Der Toniehiagte KonzertMal w«r der Sael des SehanspieK
batues; die Kosten, Zettel, Wagm etc. mit dngereobnet, betrogen 40 Louisd'or;
die Singakademie kostete wenig mehr als die Hälfte. Die Einnahme betrog
903 Thlr. (Kavpeles, Ans dem Berliner Uosikleben vor 50 Jahren im BUr.
1889. Heft XIV. p. 178.)
n) Luise Rog6e, die Gattin Karl von Holteis, Schttlerin von Friederike
Bethmann. 1814 debntierte sie in Berlin und wurde sehr bald der Liebling
des Publikums Bcf^eisterung errofrte Dir „Küthclien von Tfoilbronn", die
letzte Rolle vor ihrem Tode. Ihre Herkunft ist dunkel, sie ist am I De-
zember 1800 zu Wien g-eboren, vielleicht das Kind einer Schauspielerin.
Von 1820 bis 24 blieb sie Berlin fem. Ihr früher Tod erregte allgemeine
Trauer.
8s) Schinkel war damals mit dem Bau des alten Hoseums be-
sebSftigt, dessen Plan am 12. Januar 1824 vom KOnig genehmigt worden
war, sowie mit dem der Werdersefaen Kirche, deren Entwurf in das Jahr
1825 fUlt. (Waagen, Carl Friedrich Schinkel im Berliner Kalender. 1844.)
s«) Wilhelm Ben th, der Begrflnder des Gewerbetnstitats, derProvinzial-
Gtowwbeschnlen nnd des Vereins für Gewerbefldss in Preossen.
w) Banch schuf in dieser Zelt seine beiden Erzdenkmttler Blttchers fttr
Breslau und für Berlin, femer Terschiedene Genien für das Kronzbeig*
dcnkmal, die mit den Gesichtszügen der Königin Luise, der Kaiserin Alexandra
Feodorowna (Prinzessin Charlotte von Preussen) und Blüchers. — Friedrich
Tieck wur bis 1S>'.I mit dum bildnerischen Schmuck des Schauspielhausos
beschäftigt, aussen modcilirtr die Gruppen aut der Freitreppe, Apollo auf dem
von Greifen gezogenen Wagen, den Pegasus, die Reliefs am Vries (Niobe), im
Innern die liJ Karyatiden im Konzertsaal sowie die sitzende Statue Ißlands.
so) Henriette Sontag trat am 3. August 1825 in Rossinis ,, Italienerin in
Algier" zum ersten Male In Berlin im KünigstUdtischen Theater auf. Sie
sang von 1825 bis 1827 in der ,Jtali6nerin" 40 mal, im „Schnee*' von Aober
30 mal, in „Aschenbrödel" von de Helle 23 mal, in der „Weissen Dame" von
Boieldien 22 mal nnd sonst noch in 12 anderen Opern. Im Ifai 1827 reiste
sie aof einige Monate nach Paris, wo sie fttr die grosse Oper oigaglert
wurde. Vergeblich bot man ihr in Berlin 12 000 Tbaler, wenn sie bleiben
wollte; sie blieb fest und wurde zur Strafe bei ihrem ersten Wiederaultreten
am 11. September als Italienerin ausgezischt. Freilich verwandelte sich das
Zischen bald in jubelnden Beifall. Am 7. November verliess sie Berlin Von
ihrer hinreissenden Schönheit, die merkwürdigerweise unsern Heim nicht be-
friedigte, können wir uns nur einen schwachen BegrilV machen, da die
wenigsten ihrer Bilder gelangen und alle durch die dicken LockenwUlste an
den Sohlitfen entstellt sind.
n) Otto Crelinger, der ilteste Sohn des Bankiers Crelinger. Auguste
Stich war damals 32 Jahre alt Sie betrat nmi ihr drittes Künstlerinnen-
Stadinm; nach BeUstab war Auguste IHihring die angenehmste Erschehiang,
Angoste Stich die gefeiertste ond Angoste Crelinger die grOsste Kttnstlerin.
m) Emst Banpach hat die meisten FraoenroUen seiner Dramen fUr die
Crelinger geschrieben.
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96
Q90ifi StcigisrIsI«
m) Biesen Sontagtanmel, der auch 1825 herrschte» den BeUstab in seiner
Satire nHenriett^f die schöne Sängerin*' verspottete und dafür mit GnfUngnis-'
haft bUssen mnsste, schildert ans ergötzlich i^'r. Tict/ in einer Skizze „Der
rothe Wagen". Den l otln ti Wagen, oino Miethskutsche des Fuhrhorm Gentz,
Unter den Linden til, benutzte die gefeierte Sängerin bei ihren Fahrten in
Berlin. „Rief einer auf der Strasse „der rothe Wagen kommt I'- so wurden
plötzlich alle Hälse lUnger, alle Brillen abgewischt, alle Lorgnetten flogen
zuiu Auge, — die „alte Garde - nahm den letzten Atbem zusammen, um
wenigstens «inen Moment wieder Jung und kraftvoll zn erscheinen. Die
Junge Garde*' fahr mit der Hand durch die gekrttnselte Haartolle und
zai>fte die spitzen Vatermörder um einen halben Zoll weiter aus der steifen
Kravatte. Nante richtete sich an der Edce höher empor und schüttelte sich
gewaltsam aus seinem perpetuierlichcn Branntweintaumel auf, der Holzhauer,
der, damals noch ungestört, sein Atelier auf der Strasse eingerichtet, Hess
einen Augenblick Axt und Säge mhen, um einen schwUrnierischcn Blick in
den Wagen werfen zu können, . . Die Ellen in den Modeläden wurden
länger, die Pfunde in den Butterkeilern schwerer, die Maasse der liükerinnen
in den Buden weiter für alle, die da kauften in dem glücklichen Moment. . .
Die Vorfolu'en unserer Konstabier, damals Gendaimen genannt, hoben die
SKbel unter den Arm, damit ihr Klirren Sie nicht erschrecken sollte, und
manches uniformierte pommersche junge Blut, das soeben als Schildwache
»fleissig war*, senkte betrftbt den Blick, weil es so gern das Gewehr prA-
sentiert hltte und doch nicht durfte. Htttte es damals schon Dagnerroty-
pisten und Photographen gegeben, wir glauben, die Herren würen mit ihrem
Apparat neben dem rothen Wagen hergelaufen, um Ihr Bild zu stehlen.
4n) Der Begründer (irr Wagcnerseheii Gemäldesammlung, die den
Grundstock zur Berliner Nationalgalerie bildete. Wagener be^-aiin seine
Gemäldesammlung im Jahre 181;'), und zwar beschränkte ersieh lediglich auf
Bilder von zeitgenössischen Malern. Das erste Bild war Schinkels „Ansicht einer
in gothischem Styl aul einem Felsen am Uler des Meere» erbauten Kirche*.
Von Schinkel befinden sich im Ganseh elf Gemälde, theils Kopien, in der
Sammlung. Sümmtliche Berliner Haler jener Zeit sind vertreten, dann die
Mlinehener Sdiule der 80 er Jalire (Rottmann, Hess, Adam, Wagenbaur), und
▼omehmlieh seit 1828 die Dtlsseldorfer. In den 40 er Jahren beginnt das
Inti^resse fOr die Aus1änd(;r, geweckt durch das Auftreten Gallaits und
de Bief^es auf der Berliner Kunstausstellung; neben den Franzosen (Horace
Vemet) treten vor allen die Belgier hervor. Vermittelst Testaments vom
in. ^färz lbr>9 vermachte Wagener seine Sammlung, die '2(\2 Nummern auf-
wies und die einen Werth von über lunuiK) Thlr. darstellte, dem Prinz-
Begenten. Mit dankbaren Worten nahm sie König Wilhelm nach Wageners
Tode Anfang 18öl an und bestimmte ihre vorläuiige Autslcllung in der
Akademie; am 82. MSns 1861 wurde sie dem Pablikom sugänglich gemacht.
(Waagen, Verzeichnis der Gemüldesammlung des Konsuls Wagener.)
«O Zelter, nach Fasch Dirigent der Singakademie, der Freund Goethes.
Er wurde am 11. Desember 1758 zu Beriin geboren, war ursprOnglicfa Maurer,
entwickelte sich aber daneben zu einem tüchtigen Violinisten, Dirigent^
und Komponisten. 1786 wurde in der Qamisonkirche eine Trauerkantate
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Am dan TagebadMni dtfs «iten Heim.
97
auf den Tod Friedrichs rles Orosson aufgetührt; in Rcllstab> (dfs Vators
Lndwii,-- i^cllsiabs) Liebbaberkonzcrten war er Vorg-eig^er. l'^oo Ubcniahiii er
die Direlvtiini der Sing-akadeinie. I.SUU culstand die Liedertatel und damit
eine neue Acra des Männergesangs; im sclbcu Jahre wurde Zelter zum Professor
enuomt 1819 begründete er das Königliche Instltat für Kircbenmiulk. Sein
BriefirechBel mit Goethe ersohien 1833 - 36 in 6 Bünden. Am bekanntesten
und Yolksthlimliehsten wurden seine Lieder und HRnnerquartette. — Sein
Xon'Heim hier angeführtes Urtheil über Naumanns Meisterwerk, das Vater
Unser, dUrfte ziemlich vereinsamt dastehen. C. M. v, Webor z. B. empfiehit
dieses Werk einem Fachgenossen zur AntTührung mit folgenden Worten:
,Vorseldagcu könnte ich Ihnen das jetzt im Stich erschienene Vater Unser
von Naumann. Ein herrliches Werk!"' und bei dem zur Verherrlichung von
Klopstocks luo. Geiturtstag in (^uedlinl)urg veranstalteten Musikfeste am 1.,
2. und 3. Juni 1824, das Weber dirigierte, stellte er es an die Spitze der
aufisoflttirenden Werke.
4s) Julius Httbeneri geboren 27. Januar 1806, gestorben 7. November
1888, war'SchfUer Wilhelm Scbadows in Düsseldorf, wo er einer der Be-
gründer der Malcrscliole wurde; bis 1839, wo er sieh in Dresden niederliess,
lebte er abwechselnd in Düsseldorf und Berlin.
▲roh»
L.ivjivi^Lu L.y Google
98
Geoig SiegerUt.
IV.
Geschichte.
1796.
10. April. Beim Minister v. Ilanlonix'rg gespeisl^ and recht
Tergoügt gowesen. Mit ihm wie mit meinesgleichen gesprochen. £r ist
ein mnnterer, angenehmer und geselliger Mann.^)
1798.
Iß. Fobrnar. Heim Geli. TribiinalsriTth v. Horinmsdorff \u e^rossor
Maimsgescllscliaft, wo raclirere Miuister, auch der berüchtigte Miuister
V. Woelluer waren, gespeist.^)
1799.
9. Mai. Beim Minister v. Il;u<h'iibprj2; alle die oingesandt^n Nach-
ricliten aus Rastiidt wegen der Ermordung der frauzösischuu Gesandten
ßonnier und Kolierjot mit vi(der Külirung gelesen.-')
15. Dezember. Beim Feldmarscliall v. M(Ulendorff in grosser
Gesellscliat't gespeist. Der Adjutant des Generals v. liuoii;i|tarte Möns.
Duroc war auch hier und habe ich mit ihm gesprochen. ')
1801.
4. April. Der Tod des rassischen Kaisers, den wir heute erfuhren^)
— dass die Engländer vor Kopenhagen sich befinden und es bombar-
dieren*^) — dass der grosse Buonaparte Gefahr gelaofen hat, veigiftet
zn werden 0 — das alles erfohr ich heate.
28. August. Mittags beim Grafen v. G arm er mit meiner Fran
und 2 ältesten Töchtern gespeist nnd zwar in grosser Gesellschaft Ifit
dem Gross-Kanzler y. Goldbeck') vieles von der vorigen Regierung
und den damaligen Favoriten des Königs gesprochen. Bei dieser Ge-
legenheit äusserte Sr. Ezcellenz, dass ein kluger Mann die Farbe des
Zeitalters tragen mflsse, wenn er nicht unbekannt bleiben wolle.
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Ans den TagebQcbern des alten Heim.
99
11. Oktober. Mich sehr gefiraat» dass zwischen England nnd
Frankreich Friede sei, wie ich heate ans dem Monde des französiscben
G^andten Benrnonville diese Nachricht selbst erfUiren habe.^
1802.
3. Jnni. Beim Uinister Hardenberg gespeist, in kleiner Ge-
sellschaft, ohne seine Bfadame.^")
27. November. Mittags speisten D. Weitsch, Hofr. Schulz, Chr.
Kessler and ein schlesischer Kanfinann Löhnig bei mir. Letsterer
hat, da man ihn beim rassischen Kaiser Panl eines Verbrechens wegen
angeldagt hatte, 176 Knntenhiebe erhalten, man hat ihm die Nasenlöcher
angerissen nnd an der Stirn brandmarken lassen, nnd ist nach Sibirien
geschickt worden. Weil seine Unschold bekannt war, ist er von dem
jetsigen Kuser in Freiheit gesetzt worden. Dieser Mann hat ans vieles
erzählt.
1803.
1. Aügast Mittags beim Kriegsrath Rnckmann gespeist. Den
grossen Boonaparte einem andern znm Ärger tftchtig gelobt
1805.
10. Oktober. Abends beim Präsidenten v. Sciieve im Kränzchen
gewesen» wo von nichts als dem bevorstehenden Krieg gegen die
Franzosen }2^o'5]>rochen wurde.")
14. I^ovember. Mittags beim Geh. Kath Beymo gespeist, und zwar
ganz allein. His manner of judjing others I dont iike at all. He has
too mnch arrogance and tliiuks himseli too wise.*^
15. Oktober. Mit dem Krieg in Deatschland und mit nnseren
politischen Yerliältuisseu zu demselben nnzuMeden gewesen. Bei ans
geht alles su nachlässig und indolent zu.
\\). Oktober. Gestern zogen die Hegirnenter v. Goetz undv. Winning
and« die Husaren und heutf v. TiUrisch und v. Arnim ab.
*24. Oktober. Dpn ganzen Jag von nichts, als von der grossen
Niederlage der Österreiclici durch die Franzosen reden gehört.''') Gott
weiss, wem man eigentlich Glück beim jetzigen Krieg wünschen soll.
Ich besudle meine Patienten ordeutlicli — mag es gehen wie es will mit
dem Krieg — da ich nichts äiideni kann. Den grossen Napoleon ver-
ehre ich, nicht sowohl als Kaiser, aber als den ersten Mensclieii in der Welt.
25. Oktober. Nachmittags gegen 12 üiir kam der russische Kaiser
Alexander hier an. Der Auflauf vou Meuächen war dabei gross.
■
1806.
Vor dem Titelblatt: Mons-ieur Bouajmrtc, m- le löAout I76'.i, taille
4uatre pieds dix pouces, dix lignes, a fini sa ^uatri^me aunee — a bouue
7*
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100
Georg Siegeriit
constitation, santö excellente» caractöre soamis, bonnfite et reeoimaissaiit;
s*wt toajoars distiiigai par son application aax math^mati 41113; il sait
trös-passablement son histoiro et sa gt^ographie; ü est asses foible dauB
toQS les exercic68 d'agrement et poür le latin, oti il n*a fai^ que sa
qnatri^me dasse — sera im bon nrnriii.
31. Augast Gestern ist das biesige Hosaren-Begiment and die
Gensd'armes, and heute das Regiment v. Möllendorff und das Orenadier-
Bataillon von hier ausmarschiert. Ob wirklich Krieg, und swar gegen
Napoleon werden wird? weiss kein Mensch bestimmt.
20. September. Vor Tische nach Charlotl^enburg geritten. Unter-
wegs den König und die Königin gesprochen. Ersterer sagte mir sn-
letst: „Morgen reise ich ab, leben Sie wohl, lieber Heim!* Nach Tische
nach Steglitz gefohren und von Beyme Abschied genommen*
28. Beim Minister t. Hardenberg zn Tempelberg 7 Meilen von
hier gespeist. — Von Politik ist viel gesprochen worden. Ich schwieg
zu allen diesen Reden stille.
13. Oktober. Beim Prinzen Ferdinand in der Stadt gespeist.
Kein Prinz und Prinzessin waren mit zn Tisclie. Alle und sämmtliclie
Gftste waren in Trauer über dfii Tod des Prinzen Louis Ferdinand,
der den 10. dieses bei Saalfeld iu einer Affäre mit den Franzosen er-
schossen worden.'") Aller Wahrscheinlichkeit nach stehen Preussen
noch weit wichtigere Begebenheiten bevor, die noch schlimmer sein
können.
14. Von unserer Armee nicht die )>esten Nachrichten gekört.
15. Wie es mit dem Köni^ nm! der Armee steht, hat man heute
nicht das Mindeste mit Gcnn isshcit »»rtahivn.
10. Oktolier. Nach allen Nachrichten, die wir aus Sachsen erhalten,
ist das ßernadottesche und Soultsche Korps geschlagen worden, welches
uns allen p-osse Freude verursachte.' )
17. Oer 14. dieses ist der unglückliche Tag gcwtson, wo die
llauptaiiiu'c des Königs bei Nnumbiuü: ''1 total ijcschhijj^en worden ist.
Heute war über dieses Unglück jedi-nnaun m dor grOssten Bestürzung.
Ich, der ich die Ungevvissheit aller menschlichen i^intre i»^( ht gut kenne,
mich hat dieser Vorfall nicht aus meiner g(nv<diiiliclieu Verfassung ge-
bracht. Ich bedaurc nur unseni braven, ehrlichen nnd rechtschaffenen
Köni^^ und sein ganzes Haus und die vielen Wittweu, die durch den
Tod ihrer Männer es geworden sind.
Ii). Erfuhr man die unangenehme Nachricht, dass das Korps des
Prinzen Eugen von den Franzosen geschhigen sei'*), und dass die
F'ranzosen nun selbst bald in Berlin sein würden. Alle Menschen sind
in Ängsten, und mehrere flüchten. Ich fürchte mich keineswegs für die
Franzosen, ich werde sie gut aufnehmeu — für sie bezahlen und
damit gut.
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Ans den Tagebüchern des alten Heim.
101
20. Die Lage Preussens ist traurig genug. Den grössten Theil
seiner Länder wird es sicher verlieren, dazu ist aller Anschein.
21. Dem Vemebmen nach kommen morgen die Franzosen, 5ÜUÜ
an der Zahl, hierher.
22. Noch ist kein feindlicher Franzose hier.
24. Heute sind endlich ungefähr 200 Mann Franzosen hier ein-
gerückt. Alle sehen sehr martialisch ans.
25. Heate sind an 20000 Fruisosen hierher gekommen, einige
davon sind hier geblieben, die meisten nach Oranienburg marschiert, um
dem Korps des Princen von Hohenldie »ivor zn kommen, der nach
KQstrin geht."«)
26. Hente ist der Kaiser Napoleon noch nicht hier angekommen.
Mehrere 1000 Mann Franzosen gingen durch die Stadt. — Seit gestern
ist mir aller Mnth ges^en nnd es ist tranng, dass Prenssen so ge-
demfltbigt wird. Mein einziger IVost ist» dass die Franzosen mathige
lürieger sind nnd dass nns ein grosser Held und erfahrene Krieger fiber-
wanden haben. Die armen Landleate sind nur recht sehr zu bedauern.
Allenthalben, wo die Franzosen lunkommen, plöndem sie, nehmen alles
mit sieh uud ruinieren Häuser und menbles. Doch das sind nothwendige
Folgen des Krieges.
27. Heute Nachmittag um 3 Uhr ist endlich Kapoleon wirklich
hier angekommen und auf dem Schloss abgetreten.^*) Mehrere Regi-
menter Kavallerie sah ich vor unserer Wohnung vorbeireiten. So gut
diese auch aussahen, so hat mich ihr Anblick doch betrfibt.
28. Den grossen Kaiser Napoleon zum ersten Mal und zwar zu
Pferde gesehen. Unsere Noth in Berlin ist geringer im Verhaltniss mit
der der Landleute. Abends . . . unter den Linden und im Lustgarten
bei hellem Mondschein und dem schönsten Wetter spazieren gegangen,
und so viele Menschen auch allenthalben waren, so horte man. keine
menschliche Stimme — alles war ganz stille.
29. Hat sich bei Prenzlau das Hohenlohesche Korps den Franzosen
ergeben. Die Gensd'armes und Garde du Corps sind darunter begriffen«
Kam Prinz August Ferdinand als Gefangener hierher. Graf Schmettau
ist todt am Schlagfluss, wie man sagt, sicherer aber ist es, dass er sich
erschossen hai*^}.
30. An die Franzosen wird man täglich mehr gewöhnt. Ein
trauriger Anblick war es fflr mich, das ganze Regiment Gensd^armes
ohne Offiziers als Gefangene zu Fuss marschieren zu sehen.'*)
4. November. Ffinf schöne Kavallerie-Regimenter sah ich heute
hier einrficken. In Frankreich diese zu sehen, würde mir viel Veignflgen
gemacht haben. Hier nicht.
9. Magdeburg hat sich ergeben sowie das Blnchersche Korps sich
heute gefEmgen nehmen lassen.^')
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102
Georg Siegerist.
10. Vom Gensd'anneD-Olfisier PoartaUs besaeht worden, der
sieh, wie ganz billig ist, sefaftmte.
13. So wie ich leiden kann, daes man fibel von den Franzosen
spricht, so bin ich heute sehr getadelt worden, dass ich za viel Gutes
von ihnen und zu viel Nachtheiliges von den Prenssen rede. Ich werde
also schweigen mflssen.
25. Heute frflh um 3 Uhr ist der Kaiser von hier nach Kflstrin
abgereist Nur einige 1000 Franzosen sind noch hier.
29. Ober das traurige Schicksal des Prenssischen Staates bin ich
betrflbt; mein Verstand ehrt und sdiätzt Napoleon, mein OefUil hasst ihn.
8. Dezember. Dass der Kaiser Napoleon den Schatz von 18 Millionen
Rtblr. des Knrittrsten von Hessen und die Kostbarkelten des Grflnen
Gewölbes zu Dresden, die ebenso viel werth sein mfigen, in Besitz ge-
nommen, ist mir sehr auffallend gewesen, ^j» viel tausend Tlirftnen
der Unterthanen dieser Herren mögen wohl auf diesen Schätzen ruhen!*'')
16. Beim Prinzen Ferdinand gespeist. Die Offiziers, die mit an
Tafel Sassen, waren alle in Zivilkieider gekleidet.-)
24. Hat der Prinz August von Napoleon den Befehl bekommen,
in einer Stunde von hier nach Nancy abzureisen. Vor 4 Ulir ist er
auch sogleich in Begleitung zweier französischer Offiziers abgefahren.
1807.
17. Februar. Die Nachricht, dass nun auch die Franzosen in
Königsbei^ wären, hat mich erschreckt und traarig gemacht. Ich bin
übrigens weit entfernt, dem Na])()le()n Böses zu wünschen, da ich vor
wie nach ihn als einen grossen Mann verehre, und von ihm überzeugt
zu sein glaube, dass er endlich auch die Menschen glücklich machen
werde.
'2. März. IJeiiii Prinzen Ferdinand gespeist. Mohren» kriegsge-
faiigene i)reussisch(' Ofiizicrs waren in bürgerlicher Kleidung liier, (iie
deshalb komisch •;('nu<; nnssahen. So sehr ich die.tse Herren bedaiire,
so hat im ganzen das Militiir eine solche Demiithigung und Züchtigung
verdient, da vor <l<-m Kriege die Anmassung und eitle Dünkel desselben
ohne Grenzen waren.
7. l)eim Geli. Kath Formey i;an/, allein gespeist. Er erzählte mir
manches, wehli' s t r vom Minister v. Stein gehört hatte, von unserer
Regierung des Kabinets. -'■')
80. Mai. Die Übergabe von Dauzig an die Franzosen ist mir und
allen Hewolinern liei-lins ebenso unerwartet als höchst unangenehm ge-
wesen. Jedermann sprach gestern und heute fast von nichts als von
diesem U/iglück."') •
22. Juni. Die so unaniienclmie Nachricht gehört, dass die Franzosen
die Küssen geschlagen und den 1(». d. in Königsberg eingerückt wären.
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AoB d6D Tagebtt«b«ni des alten Heim.
lOS
Mit nnserm EOnig ist es nun bald ganx vorbei! Sein Schicksal bedaore
ich von ganzem Herzen.
L JnU. Es ist WaffenstiUsfandl'O
19. Wurde von den Fransosen wegen des Friedens ein Tedenm
in der katholischen Kirche gesnngen, die Komödie gratis gegeben, nnd
Abends mnssten alle Hänser illuminiert sein. Da ich die Friedens-
bedingnngen nicht weiss, so habe ich mich auch nicht gefrent.
20. Wegen dem Verlast so vieler Provinzen» die unser König hat
abte'eten müssen, nm den Frieden von Napoleon zn erhalten, sehr miss-
vergnügt gewesen. THa 46 Talgilchte, die ich znr Ülnmination wegen
des Friedens habe verbrennen lassen, hätte ich ersparen können."**)
Unsere schwache Begiemng ist indessen an allem Unglück schuld. Nicht
allein unser König, sondern vielmehr sein Vater hat den Grund dazu
gelegt.
31. Der Verfall unserer Monarchie, d^r Mangel des Greldes, die
Noth so vieler Armen, das Heer der fremden Truppen, die das wenige,
was wir haben, aufzehren nnd auf dem Lande plündern und stehlen imd
alles minieren — die grosse Hitze — alles dieses hat mir nicht gefallen.
3. August. Vom Minister v. Masse w^^) im Thiergarten, der den
Geburtstag des Königs feierte, in grosser Gesellschaft bewiiiihet worden.
24. Trotz der schlimmen Zeiten waren heute ebenso viele Menschen
wegen des Stralauer Fiscbzoges auf den Beinen wie gewöliiilich. Sonst
war dies des VergTuigens wegen, heute mag manchei- dahin gegangen
sein, um sich die Grillen und den TTiinger zu vertreiben.
11. November. Gestern ist der Prinz August Ferdinand aus
seiner Gefangenschaft von Frankreich zorfickgekommen, znr grossen
Frende seiner £ltenL
1808.
7. März. Beim Prinzen Ferdinand gespeist. Der Minister Stein
war auch hier.
5. Mai. Beim Kommissar Bodart'') in Gesollscli:ift von 7 Fran-
zosen gespeist. Wenigstens an 24 Gerichte wurden nach und nach auf-
getischt. Diese Menschen näliren sich vom Fett des Landes und wif
Teutsche müssen Hunger leiden.
28. vVbends von 9 bis 11 auf einem grossen Ball, den die FranzoR^'n
der Frau Marschallin Victor Herzogin von ReHune ' ) ^^ahen, «gewesen.
Alles, was ich hier sah<^ und an Musik hörte, war vortrefflich. Aber
der Gedanke, die Herren Franzosen liier so hausen zu sehen, war sehr
uiedersclüagend für mich und hat mich bis ins Innere meiner Seele
betrübt.
9. Juli. Von Madame WieseP"), die sich jo<zt beim Ordonnateur
Joinville aufhält, einen schönen Bienenkorb mit gläsernen Wänden
zum Geschenk bekommen.
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104 Otorg SiegeiiBt
20. Anglist. Ist der OrdonnAtenr Joinville mit Madame Wiesel
von hier abgereist, ohne mich als ihren Arzt zn besahlen.
11. September. Abends nach 8 Uhr nach Gharlottenborg gefahren,
wo ich auf den Ball, dea der Marschall Soult, Dnc de Dalmatie^ gab,
ging, eine Stunde daselbst blieb und dann wieder zu Hause fuhr. Ich
fand daselbst mehrere Franzosen yon meiner Bekanntschaft, besonders
Herrn und Madame Daru^^), die mir meinen Aufenthalt daselbst an-
genehm machten. Die Musik gefiel mir besonders wohl. Traurig bleibt
es indessen immer, die Franzosen hier so hausen zu sehen!
7. Oktober. Beim Geheimrath Meinhard in grosser Gesellschaft
gespeist. Nach Tische wurden Studentenlieder gesungen, die ich mitsang.
— Mehr als sonsten vergnögt gewesen, da man mehr als je Hoffnung
hat, dass uns die Franzosen verlassen werden — vielleicht noch diesen
Monat.
2. Dez(Miiber. Heute i^t der Marsrliall Davou.st abgegangen.*-')
8. Heute früh um 9 Uhr hat der Commandant la place Saint-
Hilaire*^) dem Prinzen Ferdinand die Schlüssel der Stadt Berlin
überreicht — und alle französische militärische Gewalt allbier hat ein
Ende. Nur .sehr wenige Franzosen sind noch hier.
5. Heute ist endlic h der französische Kommandant von hier ab-
gereist und nun ist Berlin wieder blos preussisch. Kein Mensch freut
sich dessen aber besonders.
6. Heute war es in der Stadt fast so stille als auf dem Lande.
Wenig Menschen, wenige Wagen auf den Strassen.
10. Bei Sr. Excellenz dem Gross-Kanzler Beyme zu Steglitz ge-
speist.*') Heute .-^ind unter vielem Jubel einige lÜÜÜ preossische Sol-
daten des Childischen Korps hier eingerückt. ^ '^)
• 17. Dem Mini.ster v. Stein meine Aufwartung gemacht.*')
18. Den Minister v. Hardenberg, der gestern Abend hierher
kam, bosncht. Tber *J -lalire sind es, dass icli diesen braven und liebens-
würdigen Mann nicht gesehen habe. Er freute sich ebenso sehr als ich
über unsere Zusammenkunft.^')
1809.
5. Februar. Mittai^s beim Bankier Albertbal in grosser Gesell-
schaft, meistens Gelehrten, gespeist. Geh. Rath Schm a Itz der auch
hier war, war nicht so vorlaut wie gewöhnlich, welches mau den Fran-
zosen zu verdank<'n hat.
12. Beim Grafen v. Multke in Gesellscbaft des Prinzen v. Solms,
Maj. V. Horn, des berühmten Majors v. Schill uud mehrerer Ofüziers
gespeist.
15. März. Bei Doktoi- Wolff in grosse)- GeselLscliaft gespeist und
sehr gut bewirtliet worden. Hecht vergnüi/t ist man aber doch nicht
bei solchen Eesteu, da die allgemeine Noth sehr gross ist.
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AoB d«D Tkgebflehem de« alten Hehn. 105
29. April. Heute wurde allenthalben viel davon pfosprocheii, dass
der Major Schill mit seinen Husaren Berlin heimlich verlassen habe.
21. Dezember. Beim sächsischen Gesandten General v. Thiollatz
in Gesellschaft des Obristen Prinzen Michael v. Rad zi will und Kapitän
V. Cichocki gespeist. Beide stehen in Cüstrin in Garnison, und letzterer
ist CapitaiiH' des voltigeurs du 5"* Regiment dTnfanterie de Ligne.
Schlimm f(eiui^, dass wir noch solche Menschen in unseren Landen
haben! Doch tröste ich mich damit, dass wii* bei der Besitzuehnnin^^
von Tuien es noch ärger mit den Polen gemacht haben, als es jetzt
diese und die Franzosen mit uns machen.
28. War die ganze Stadt in Bewegung. Gegen 2 Uhr Nachmittags
kam endlich unser guter König mit der Königin, nach einer Abwesen-
heit von i\ Jahren und 2 Monaten, wieder hier an. Beim Kaufmann
Nitze sah ich und meine Familie den ganzen Einzug und die Versamm-
lung so vieler Menschen mit an. Mir "war das Weinen näher als die
Freude. Den Abend war die Stadt erleuchtet. Mittags speisten der
König und die Königin beim Prinzen Ferdinand. Als ich Abends nach
6 Uhr dahin kam und auf dem Flur stand, kam die Königin bei mir
vorbei, der ich eine tiefe Verbeugung machte. Ohnerachtet sie schon
eini;^»! Schritte an mir vorbeigeganp^en war, kehrte sie wieder um, da
sie mich erkannt hatte, gab mir die Hand und frug mich: Wie gehts,
lieber Heim. Gleich darauf kam der König, der mich gleich erkannte,
mich Sehl' gnädig und freundlich ansähe und mir auch die Uand gab
und sich zu freuen schien, mich wieder zu sehen. Prinz Radziwül war
sehr vergnügt, als er mich sähe, und sie die Prinzessin Louise'^) war
ernsthaft — weinte — and mir standen auch die Thräuen in den Aogen.
Sie sprach nichts — aach ich nicht.
1810.
7. JanL Dass gestern der Gross-Kanzler v. Beyme ihm vad der
ganzen Stadt unerwartet den Abschied bekommen, hat mir leid gethan.
1811.
25. April. Abends im Opemhaas, wo dmr fransdsische Gesandte
Graf St Marsan wegen derGebnrt des Königs von Born eine grosse
F6te gab, gewesen. 2500 Billets waren dazn ansgetheilt» Kaum Iconnte
man gehen, so viele Menschen waren hier vereanmielt 2200 Ifenseben
nnd nberdem noch 112 Bedienten sollen hier gewesen sein.
30. Angost. Beim gewesenen Grroes-Eanzler Beyme sn Steglita
gespeist nnd sehr wohl von ihm aufgenommen worden. 14 Monate lang
ist er von hier abwesend und anf Reisen gewesen.
dO. September. Ob unser Land von Napoleon bekriegt werden wird
* oder nicht, hat mich diesen Mona| oft beonrohigt. Aller Wahrschein-
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106 • 6«oig 8i«g«iat.
Uchkeit nach werden wir wenigstens ^or der Hand Frieden behalten,
aber unser König thut recfati zum Kriege bereit zn sein.^^
1812.
29. Febmar. Vorgestern haben die Franzosen Prenssiseh-Ponunem
besetzt!!!
28. März. Heute rfickten 14000 Mann Franzosen hier ein. Ich
bekam einen Hauptmann zu logieren, der, als kSk ihn besuchte, sehr
unhöflich und mit seinem Quartier nicht zufrieden war. Der Saal war
ihm viel zu gross.
18. MaL Beim Fürsten v. Hatzfeld gespeist. Heute Abend reist
dieser nach Dresden ab, um daselbst denNapol( • m zu komplimentieren.^}
13. Juli. Beim französischen Gesandten St. Marsan gespeist und
gnt bewirthet worden. Dieser Mann wird hier allgemein geschfttst, und
er verdient es aiicli.
3. August. War der Geburtstag unseres guten Königs. Des Abends
waren fast alle Häuser der Stadt erleuchtet, und so auch meine von mir
bewohnten Zimmer, denn über die 8 Stuben, die der Franzose (Oolonel
le Courturier) bewohnt, habe ich k(ün Recht.
25. Se|itember. Heute Abend die Nachricht erfahren, dass Njqioleon
den 14. dieses seinen Einzug in Moskau gehalten habe.'") Gott! Wie
unglücklich mögen daselbst die Menschen nicht sein! Für uns Preussen
ist es mindestens recht gut, wenn die Franzosen gute Fortsdiritte in
Bassland machen. Wären sie doch schon alle in der Türkei!
27. Wurde in der katholischen Kirche von den Franzosen wegen
der Einnahme von Moskau ein Tedeum gesungen, wobei alle unsere
Ober-Behörden zugegen sein mussten.'')
')<). Oktober. Beim Staatskanzler v. Hardenberg in kleiner Ge-
sellschaft gespeist. So sehr dieser Mann als Mensch und als Gesell-
schafter mir gefällt, so wenig kann ich ihn als Geschäftsmann acliten.
Er ist doch, trotz aller seiner vielen Kenntnisse und Talente, ein gar zu
schwacher Mann, der nacli keinen soliden Grundsätzen handelt. Wollte
Gott, ich hätte hier Unrecht!")
Am Ende des November:
Auf den ^lann, den fast alle fürcliten; .lesaia,s Kaj). 14. V. II) — lH». ••')
l"). Dezember. Die unerwartete Nachricht erfahren, dass Napoleon
Kussland und seine grosse Armee veilassen und den iL*, dieses durch
Glogau oljue Gefolpf, als in Begleitung des Duroc und Caulaincourt
passiert sei, um sich nach Paris zu seinen Kindern zu begeben.*")
1813.
17. Januar. Mittags bniui Fürsten v. Wittgenstein'"') in (lesell-
schaft des Generalis v. Jomiuy gespeist. Letzterer hat uns vieles von
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Ans den Tagebüchern des alten Heim.
lOT
allen den Unglücksfallon, die die französische Armee in Rnssland er-
litteo, erzalilt. Unglaublich ist es fiust, was diese Armee nnsgcstanden liat.
25. Beim Grafen v. Zichy*-), der morgen nach I5n'slau al)reist,
in Gesellschaft des französischen Gesandten Grafen St. Marsan, der
gleichfalls nach Breslau abgeht} gespeist.*'^)
Am Ende des Monats:
Er reiste schnell von Russland nach Paris, um sich daselbst ea
miuiatare malen zu lassen.
Wie das Glück ihm doch immer günstig ist! Als er in Rassland
keine Fourage mehr hatte, hatte er auch keine Pferde mehr zu füttern.
Von nnserm König hat er gesagt: II a de l'esprit, et il ne croit
pas, und vom Römischen Kaiser: II est un sot, mais il ne Ic sait pas.
Als er nach Russland ging, versprach er seinen Soldaten gute
Wintercjuartiere. Dies Versj»rechen ginp: aber nur halb in Erfüllung,
nämlich Winter liaben sie genug gehabt, aber keine Quartiere.
Necjuissimus, Atrocissiinus , Prijnus Oniuiuin Latrunum Ex Orco
Natus.
6. Februar. Abends vom Möns. An gl es Directeur general des
postes besucht worden, der in Russland, sowie viele, grosse Leiden aus-
gestanden, von denen er nicht genug erzählen konnte.'^*)
12. Beim Marschall d'Aagerean gespeist.*'-')
16. Beim Marschall d'Aagerean gespeist, und sehr gut von ihm
behanddt worden.
20. Wsr grosser Lärm, wegen einiger Kosaken, die in die Stadt
kamen hier. Es wurde geschossen, ond alles war in Aufruhr. Dies
gesdiah des Mittags und Abends war alles stille.*^
21. In der Stadt war alles mhig, die Thore aber verschlossen und
kein Mensch weder heraus- noch hereingelassen. An vielen Orten waren
Kanonen aufgepflanzt undSoldaten standen in Menge unter dem Gewehr.*^
26. Reiste in aller Stille der Marschall Augereau Duo de
Gastiglione von hier ab.
Am Ende des Monats:
Avant Iii naissance du roi de Korne.
Le seze de l'enfant, öBp^rö de la patrie
Memo pour l'Enipereur est cncore mi Beeret
C'est la seulc tVjis dans sa vie
Qu'ü n'a pas üu ce qu'il faisoit
Aprta la naissance.
Le sexe de Tenfant csp<^rö de la patrie
Pour l'univers dhtier cesse d'fitre un secret
L'Empereur a done su, en d^it de Tenvie
Faire toqjours ce qu'il vouloit.
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108
Georg Siegeritt
Aller WabrscheiDlichkeit naeh ist es doch nnt ein nntergefichobeaes
Kind, Qod Bonapart hat recht gut gewossty was er macht
4. März. Heute ganz frflh verliessen endlich die Franzosen mit
Sack und Pack unsere Stadt, und gleich darauf zogen mehrere 1000 Ko-
saken hier ein. Die ganze Stadt war in Bewegung. Mehrere Franzosen,
die sich verspätet hatten, worden za Gefangenen gemacht Abends war
die Stadt erleachtet Mögen die Rassen ganz Dentschland von den
Franzosen befreien nnd diese nie wieder nach Berlin kommen!
11. Kam das Wittgensteinsche Koips an, Abends war die Stadt
erleachtet
13. Abends war im Komödienhans grosser Ball, allen rassischen
Offiziers za Ehren. Jeder hiesige Herr bezahlte dazn 15 Sgr. Gonrant -
17. Das Preossische Torksche Korps, mehrere 1000 Mann stark,
rückte hier zur allgemeinen Freade in die Stadt, welche deshalb des
Abends erleachtet war, ein.*^
23. Beim gewesenen Gross-Kanzler, jetzigen Civil-Gouvemear von
Pommern, Beyme in Steglitz gespeist'^
24. Heate kam unter grossem Jubel unser rechtlicher König hier
an. Abends war die ganze Stadt erleuchtet, und Jedermann wsr froh
und guten Muths. . Trotz dem Verbot, nicht zu schiessen aaf der Strasse
und aus den Fenstern,, wurde doch t&chtig geschossen.'^
27. April. Heute sind die Fnmzosen aus der Festung Spandau
mit allen Ehren abgezogen. Warum? begreife ich nicht, da sie sich
noch lange hätten halten können. Dem ffimmel sei aber gedankt, dass
sie fort sind.^^)
4. Mai. Nach Spandau gefaliren. Mit Bedauern den Brand in dfr
Stadt und die Zerstörung der Festnog gesehen!
5. War die ganze Stadt wegen einer vorgefallenen Schlacht bei
Lützen in Bewegung und in banger Besorgniss,. ob Vortheil fOr uns oder
die Franzosen daraus erfolgen werde. ''^)
6. Vergangene Nacht, wegen der Besorgniss, dass die Franzosen
nach Berlin kommen möchten, wenig geschlafen.'')
8. Den ganzen Tag über aach wegen unserer kritischen Lage, in
der wir uns mit Napoleon befinden, geängstiget. Die Franzosen sollen
in Ticipzig sein und Miene machen, nach Witten Kerg und hierher zu
gehen. Abends spät kiun endlich die höchst erfreuliche Nachricht an,
dass Ostreich und Sachsen (?) sich auch gegen Frankreich erklärt
hätten.
9. Heute wieder laute beunrohigte Nachrichten von unserer Lage
erhalten. Ich reise mit meiner Familie ab; — bleibe aber audi
gerne hier.
10. Heute waren die Nachrichten von unserer Armee wieder
günstig.
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Aua den Tagebüchern des alten Heim.
109
1 1 . Wegon der Franzosen, die nach Berlin kuinineu möchten, in
nicht geringer Unruhe gewesen.
12. Etwas ruhifi;ei- wegen der Franzoson gewesen.
14. Audi heute wegen der Franzosen ruhig gewesen.
16. Sehr l)cunruhiguude Nachricliten wegen der Franzosen gehört,
und den ganzen Tag von nichts gesprochen, ob meine Frau mit allen
öder einigen ilnei Kinder von hier abreisen sollte? Ich bin der Meinung,
dass wii- alle zusammen hier bleiben coute <|u'il coute.'"')
18. Die Alliance mit Ostreich und Schweden ist uugewiss, uiui
kommt diese nit lit zu Stande, so ist Preussen verloren, wenigstens aller
Wahrscheinlichkeit nach.
19. Die Furcht, dass die Franzosen nach Berlin kommen könnten,
verschwindet immer mehr und mehr, da sie sich zurückziehen.
21. Die Franzosen, die sich in unserer Nähe befanden, ziehen sich
nach Wittenberg zurück; wollte Gott, bis Frankreich.
22. Nach Tische an 50 Menschen, ob sie sich zam Landstui*m
tttchtig genug befinden oder nicht, untersucht. '"*) In banger Erwartaug
gewesen, ob wir die Schlacht, die vorgestern bei der grossen Annee
stattfand, gewonnen oder verloren haben möchten? '0
24. Dem General v. B.ftlow giebt man Schuld, dass er sifh als
ein betragen habe, indem er sich Ar das Vaterland sehier weit
stärkeren T^ppenzahl, als der Feind war, nicht gehörig bedient
habe.'»)
27. Die Schlachten vcm 19. 20. und 21. sind zwar nicht zu
unserem Yortheil, doch aber auch zu keinem grossen Nachtheil fftr uns
ausgefallen. ''^ Vor einigen Tagen waren wir wieder sehr besorgt, der
Feind könne -nach Schlesien kommen, heute glaubten wir es nicht")
29. Die Nachrichten von unseren Truppen lauten bald nngAnstig,
bald günstig. 2 mal haben wir gesiegt nnd sind rdckwftrts gegangen;
dn witziger Kopf hat gesagt: er wünsche nun, dass wir geschlagen
würden und vorwärts gingen.
1. Juni Mittags beinr Grafen v. Zichy gespeist Da dieser gar
nicht an%eränmt war, so schliesse ich daraus, dass Ostreich nichts
für uns thun will, und dass Frankreich über uns siegen wird, wenn
uns nicht auf eine andere Weise Hilfe geschieht Preussen thnt jetzt
alles, was in seinen Kräften steht, seine Freiheit wieder zu erhalten —
sollten wir sie doch verlieren, so verlieren wir sie wenigstens
mit Ehre.
8. Den SO. v. M. sind Dünen und Franzosen in Hamburg ein-
gerückt **>)
4. Juni Ohnerachtet man allgemein sagt, dass Ostreich uns bei-
getreten sei, so kann ich es doch noch nicht recht glauben, so sehr ich
es wünsche. •*
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110
«
9. Der bekaimt n^emachte Waffenstillstand seheint für Preassen
sehr nachiheüig zn sein, und man ist, (xott weiss ob mit Recht oder
Unrecht, nnznfirieden damit*')
10. Jnm. Wegl mit der Politik!
25. Jnli. Abends nm 11 Uhr ist der Kronprinz von Schweden
hier angekommen nnd auf dem Schloss abgetroten.'^)
14. Angnst. Abends den Major v. Kuobelsdorff besucht, und
bei einer Bonteille Rheinwein ein paar Stunden politisiert. Der Staats-
Kanzler V. Hardenberg, dem ich sonsten gnt bin, kam dabei
sdilecht wog.
15. Vor Tische nach dem Templower Berg geritten nnd die Ver-
schanzungen besehen.
16. Leider! ist heate der Waffenstillstand zu Ende, und die Feind-
seligkeiten £EUigen ¥on neuem an. Indessen besser ist die Jfortsetsang
des Krieges, als ein schlechter Friede."^)
19. Dass der französische General v. Jouimy den Napoleon ver-
lassen und zum Moreau übergegangen sei hat mich sohr gewundert.' )
22. Die Nacht um 1 Uhr <>^iiip:en alle unsei-e Soldaten weg. Wenig
geschlafen wegen des grossen Larius auf den Strassen. Die Franzosen
stehen nur 4—5 Meilen von hier und sollen entschlossen sein, alles zu
wagen, um nach Berlin zu kommen. Von Trebbin her haben sie deshalb ,
einen Versuch gemacht, aber es ist misslungen. Einige Dörfer in jener
Gegend haben sie abgebrannt und haben sich nach Zossen und Mitten-
walde zu gezogen."') Heute den ganzen Nachmittag hat man hier be-
ständig kanoniereu g( lu)rt. Die ganze Stadt ist in Unruhe.
23. Ohnerachtet heute viel kanonici't worden ist, so ist doch keine
ordentliche Schlacht vorgefallen nnd wir leben alle noch in Besorgniss. "')
24. So unangenehm mir und der ganzen Stadt der gestrige Tag
war, so vergnügt, ja recht seelcnvergnügt war uns allen der heutige.
Die Franzosen sind geschlagen worden und fliehen. 82 Kanonen hat
nuin ihnen abgenommen'"), und mehrere ICKX) sind als Gefangene hier
eingebracht worden. Ich habe mich kaum der Thränen enthalten
können, die Unglücklichen zu sehen, so elend sehen sie aus. Aus ganz
Schlesien sind die Franzosen verjagt, und mehrere KHK) zu Gefangenen
gemacht worden. — Die ganze Stadt war voll Freude! Aus einem
Fisclizug, den sonst an diesem Tage die Stadt zu Stralau feierte, ist hier
ein Franzusenzug gefeiert worden!"*'')
25. Noch lauten alle Nachrichten von unseren Truppen günstig.
26. Nach Tische mit dem Geh Rath Forme y nach Gros.sbeeren,
2'/« Meüe von hier, geritten und das Schlachtfeld besehen. 10—15 Todte
lagen noch unbegrabeu daselbst und mehrere Pferde. Das gewährte
eintn schandenroUen Anblick.
29. Hente vor acht Tagen hatte ich einen der nnangenehmsten
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Aua den Tagebttchern dee alten Heim.
III
Tage in meinem Leben, da die Franzosen unsere Truppen bei Trebbin
geschlagen und nur noch 2 Meilen von hier entfernt waren. Der heutige
war desto erfreulicher für mich und die ganze Preussische Monarchie.
Seit dieser Zeit sind die Franzosen allenthalben gesclilagen worden, und
allem Anschein nach hat weder Berlin noch die Mark ßrandenburg
etwas mehr von ihnen zu fürchten.
31. Noch immer ist uns das Kriegsglück günstig. Dresden, wo
sieb Napoleon befinden soll, wird bombardiert.'*') Etwas freier holen
wir in Bei-lin wegen der Franzosen jetzt Athem, aber so lange sie noch
80 viele Festungen in Deutschhuid in Besitz haben, kann man sicli noch
nicht der Freude, sie los zu sein, überlassen. Doch ein guter Anfang
dazu ist gemacht, welclies wir dem Moreau und dem Kroujtrinzen von
Schweden zu verdanken liaben. Unsere Tru[iiien sind gewiss brav —
aber die meisten unserer Generale sind mittelniässig — wissen wenigstens
nicht recht, was sie thuu oder lassen sollen."'^) Sie werden nicht von
einer Intelligenz regiert.
8. September. Wegen der vielen Blessierten, die irli heute sähe,
traurig gewesen. ■'-) Und das Morden muss doch noch kein hude haben!
Eine klägliche Zeit für die Menschheit!
9. In der am 6. vorgefallenen Schlacht haben wir an 5- bis
6000 Todte nnd Verwundete gehabt, doch der Feind mehr. Wir liaben
über 12 000 Gefangene gemacht, 80 Kanonen und 400 Muuitionswagen
erobert. Moreau lebt noch! wie man sagt.
12. Wurde ein Siegesfest gefeiert.
19. Die angenBhine Nacfaricfat erhalten, dass der General Pecheur
fom Davoastsehen Korps geschlagen bei Lüneburg, wo wir 1500 Ge-
zogene gemacht ond 8 Kanonen erobert haben.'-)
21. Wie sehr bedanre ich bei dem beständigen Regenwetter nicht
die im Felde stehenden Truppen, besonders die nnsrigen. Kannte man
ihnen doch ledige Hftnser schieken.
27. Nach Tische auf den Tempelhofer Berg, der ganz verschanst
wird geritten.
30. Haben wir unser Silber nnd andere Sachen von Werth, die
wir im Mftrz ans Forcht vor den Franzosen der Prinzessin Ferdinand
in Yerwahrang gegeben hatten, bei ans znrfickbringen lassen, da wir
nns schmeicheln, dass nnn nicht ein feindlicher Franzose wieder so leicht
nach Berlin kommen wird.
13. Oktober. War die ganze Stadt wieder in Unrohe nnd Angst,
wegen der Nachricht, dass ein grosses Korps Fhinzosen anf dem lAarsch
hierher wäre.,»«)
14. Die Forcht vor der Hierherknnifc der Franzosen ist ver-
schwunden! General v. Tanenzien hat es verhindert Alles ist froh!
15. Kam der General v. Tanenzien hierher in grdsster Eile.
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112 Qeorg Siegeriat.
Uan nimmt ihm dies sehr ftbal, class er ohne alle Ursadie hierher
kommt wid seine Soldaten so abmattet. Yiele sagen, dass er verdiene
kassiert za werden, so domm zn sein nnd weganlaafen, da die Franiosen
qar schwach gewesen wären nnd er sie wohl hätte schlagen können.*')
16. Tanenzien soll doch Befehl vom Kronprinzen gehabt haben
nach Berlin zn gehen und ist dies so thnt man ihm sehr nnreofat so
za tadeln als von vielen geschieht**)
20. Heute Abend die höchst erfreuliche Nachricht erfahren, dass
die vereinigte grosse Armee bei Leipzig die französische geschlagen
habe. Die ganze Stadt war deshalb erleuchtet, Kanonen abgefeuert, und
das Scbiessen auf den Strassen hatte kein Ende. Wollte Gott! Napoleon
wäre nun todt! Denn so lange dies Ungeheuer lebt, ist an keine Rnhe
in der Welt zu denken.
21. Ein Kurier vom König, begleitet von 2() Postillonen, der
Nationalgarde zn Pferde, brachte heute Nachmittag die Nachricht, dass
wir bei und in Leipzig einen vollkommenen Sieg über die Franzosen
erfochten hätten. 14 Generale, liö (KJO Mann sind gefangen, 18Ü Kanonen
nnd über l(KK) Munitionswagen sind erobert worden. Heute früh schon
wurde in allen Kirchen Gott für diesen Sieg öflentlich f^edankt. ■'•')
22. Über den herrlichen Sieg bei Leipzig mich selir gefreut.
25 Generale sind gefangen worden. Dass der Marscliall Augereau
ertrunken bedaure ich — er war ein sehr vortrefflicher Mann, den ich
sehr geschätzt habe.'*)
2H. Hei Kosen hat Blücher aufs neue die Franzosen geschlagen,
und ihnen 5U Kanonen abgenommen. Allenthalben wird der fliehende
Feind verfolgt. Nein, nicht bei Köseu, sondern bei Weissenfeis hat
Blücher den Franzosen 10 Kanonen abgenommen und 2000 Mann zu
Gefangeneu gemacht.
24. Hatten wir das grosse Glück, unsern braven König zu sehen,
der mit grossem Jubel empfangen wurde. Abends war die Stadt er-
leuchtet.
25. Kam die ICuuigl. Familie mit dem König von Sachsen als
Gefangene hierher.'"*)
26. Mir die Ehre gegeben, dem König meine Aufwartung zu
machen Ihm Uber das Glflok seiner Waffen meine Freude zu bezeigen.
Er war sehr gnädig und trenndlich gegen mich — nnd mit grosser
Zufriedenheit verliess ich Ihn, den braven ICann.'")
6. November. Kam unser König von Breslau zurück.
9.. Napoleon ist bei Mainz mit dem Rest seiner Armee ftber den
Rhein gegangen.'**)
18. Ein Theil unserer Truppen sind über den Rhein gegangen
nnd vermutUich werden ihnen mehrere folgen. Napoleon ist in Paris."*}
Wie mag diesem Infsunen wohl jetzt sa Mutfae sein! Qott hat ein grosses
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Aus den Tagebachem des alteu iieim.
U3
Strafgericht über ihn and seine Nation verhängt Die unglücklichen
Emvohner Frankreichs bedaure ich.
"27. Torgaii hat sich nun auch au die Preussen ergeben. 2UU Ka-
nonen, haben wii' nun mehr.
1814.
26. Januar. Mich sehr geireut, dass unsere Truppen Nancy besetzt
haben."")
18. Februar. Sehr vorg^nügt gewesen, «lass Blüchur den Na[K>l('(>u
hinter Chalons pfeschlatr»'Ti und ihm 75 Kanonen abgenommen hat."")
17. Alle Naclu'ichteu aus Frankreich lauten günstig iüi' unsere
Kriegsoperationen.
'J8. Einen liriof von meinem Solm ;iiis ( 'lialon erhalten, wohin
unsere Trui>[»en, nachdem sie schon ö Mcihii hinter diesem Ort waren,
von den Franzosen zurückgetrieben worden sind."")
10. März. Über die Nachricht, dass unsere Truppen in Frankreich
wieder vorwärts marschieren und Blücher schon wieder in Meauz sei,
sehr vergnügt gewesen.
30. März. Der Friedenskongress i.st auseinander gegangen '"'), und
nun soll noch auf Leben und lud gestritten werden! 0 Elend und
Jammer!
10. April. Heute früh die frohe Nachricht erfahren, da.ss den
31. V. M. unsere Trui>pen in Paris eingenickt sind. Alexander, der
Russische Kaiser und unser Köniir wiiirn uu ihrer S|iitze. Die ganze
Stadt war voller Freud«-, und de.s Abends ward illuminiert. Bonajiarte
ist nun wohl als verloren anzusehen, Gott sei aus der Fiiür meines
Herzens gedankt, dass wir von der Tyrannei dieses Hösewichts hetVeit sind.
11. Alle MeTischeu reden jetzt fast von nichts als dem grossen
Glück, dass Boiiap:! i te fast alle seine Macht verloren hat, und wir von
ihm wohl nichts mehr zu fürchten iiabeu.
14. Die höchst ei'freuliehe Nachricht erhalten, dass Napoleon
Bonaparte vom Senat des Thrones fiir verlustig erklärt worden sei. Der
Feld-Marschall Marmont ist mit 15 QUO Mann zui' neuen Ordnung über-
gegangen.'")
25. Aller Menschen Freude ist unbeschreildicli, dass wir und die
Welt wieder frei sind. Bouaiiarte soll am Nerveulieber krank sein.
Gott muss ich uud die ganze Welt danken, dass der Unmensch
Bonaparte endlich überwunden worden ist und den Thron verloren hat.
Der Krieg wird nun ein Ende haben, und wir können wieder frei uud
ruhig lebeu. — Dass der Bonaparte sicii es so hat gefallen lassen, ab-
gesetzt zu werden, zeugt von seiner grossen Krbäi'mlichkeit und schiechten
Denkuugsart
Arob. 8
uiyiiizeo Dy Google
114
Georg Biegerift.
7. JimL Kam Unter den Linden der Kurier, Graf Stollberg,
unter Vorreitang von Gensdarmen nnd Postillonen mit der Untere
Zeichnung des allgemeinen Friedens unter dem Znlanf einer grossen
Menge Menschen hier an.
4. Juli. Kamen die Garden der freiwilligen Jäger za Fnss nnd zn
Pferde zur Stadt, nnd wurden anf das fderlichste erapfaugen nnd mit
Blnmenkränzen geschmückt
dO. Gestern Nachmittag ist der Fürst Blücher hier angekommen.
Heute Vormittags rückte die Berliner Landwehr unter grossem Jubel
des VoUgb hier ein. Nicht ohne Rührung sah ich die Landwehrmanner
alle bekränzt hier zurückkommen. Wer hätte das vor einem Jahr sich
träumen lassen!
31. Heute habe ich dem Feldmarschall v. BlÜchi^r, Fürsten v. Wahl-
stadt, meine Aufwartung gemacht nnd mich gefrent, diesen Helden so
munter zn finden.
7. Augast. Heute früh gleich nach 8 Uhr kam der König mit
seinen Garden in Pomp hier an, viel früher als man erwartet hatte.
Abends war die ganze Stadt und inelirero der vornehmen ^user prächtig
erleuchtet. Gott sei gedankt, dass wir einen solchen Tag erlebt und
noch haben feiern können.
15. Sind die Russischen und unsere Garden an 3(K) Mann stark
im Lustgarten nnd Unter den Linden auf Kosten des Königs gespeist
worden, welches ein grosser Jubel für die ganze Stadt und auch für
mich war.'"*)
November.
Celni qui forma de grands bataillons
Qni nageait dons Ic sang, qni v^cnt dans le crime
Mointenant pour pension n'a que six MUlions
Ce qni ne falt pas un sei pour victime.
1815.
Januar. Die grossen Herren anf dem Kongress zn Wien:
Der Kussische Kaiser liebt für alle.
Der Künig von Prenssen denkt für alle.
Der König von Bayern spricht für alle.
Der Künig von Dänemark trinkt fdr alle.
Der Kunig von Württemberg' isst für alle.
Der Kaiser von Oesterreich bezahlt für alle.'*')
17. Februar. Endlich sind die Beschlüsse des Kongresses zu Wien
bekannt geworden. Was Prenssen an Ländern \erlieri und wieder-
erhält, wurde gestern Abend durcli ein Extrablatt bekannt gemacht, und
die ganze Stadt hörte mit dem iuuigsteu V^erguügen die Strassenjungen
Am d«D TAgebaohMii dM alt«n Helm.
115
schreien: Extrablatt! Extrablatt! welche Töne uns im letzten Kriege oft
eiue ganz unbeschreibliche Freude verui'sachten.
13. März. Da«s der Napoleon den 2G. v. M. von der Insel Elba
entflohen sei, erregte hier allgemeines Erstaunen. Die l'^rinion setzte dies
Ereigniss in Furclit, und mehrere Miinner freuten sieli darüber, weil sie
glauben, dass durch Napoleon die jetzigen Beherrscher der Völker wieder
etwas vernünftiger werden sollen.'")
15. Napoleon ist in Frankreich im Departement de Yar gelandet."^)
18. Napoleon soll in Toulon sein.
21. Beim General v. Taaenzien gespeist. Die ganze Gesellschaft,
die aus Offizieren bestand, war gar nicht munter wegen Napoleons Fort-
schritte.
2i). Wie man sagt, ist es sehr wahrscheinlich, dass Napoleon wieder
Meister über Frankreich werden wird. Ob alsdann auch wolü über
andere Länder und über Deutsclilaud ?
27. Abends die unangenehme Naciiricht erhalten, dass Napoleon
den 20. in Paris feierlich eingezogen sei. 0! Dummheit unserer
Monarchen !
22. April. Abends kam der Präsident v. Knoblauch zu niis, um
meinen Kindern die erfreuliche Nachricht zu bringen, dass Friede sei,
da die französische Nation sich für die republikanische Regierung erklärt
habe, von der Lucian Bonaparte Konsul, und Napoleon Generalissimus
sein solle. Wir alle waren gegen solchen Frieden, der nicht anders als
sehr erbärmlich für uns wäre."")
ä. Juni Sind unsere Garden sur Rheinarmee abmarschirt'")
23. Heute die ersten Nachrichten von einer wichtigen Schlacht,
die den 16. und 17. bei Fleury stattgefunden hat, eingetroffen. Noch
weiss man nichts ganz gewisses hierüber, wie viel wir dabei verloren
haben, doch soll unser Verlust nicht gering seb.'")
24. Hente früh um 5 Uhr, da ich mein Pfeifchen in Kühe rauchte,
kam der Landwehr -Lieutenant Nerst als Kurier zu mir gefahren und
brachte mir die höchst erfreuliche Nachricht, dass den 18. d. M. der
Napoleon bei Belle- Alliance von Blficher total geschlagen worden seL
Allen meinen Hausgenossen musste sogleich diese frohe Nachricht be-
kannt werden. Jeder von uns eilte zum Hause hinaus, um diese Nach-
richt unsern Freunden und Bekannten kund zu thun. Wir alle waren
für Freude ausser uns und konnten unser Glück kaum fassen ....
Abends waren meine Zimmer illuminiert, und meine Frau konnte die.
Zeit nicht abwarten zu illuminieren.
29. Erhielten wir die Nachricht, dass Blücher in Laon sei.
Mit sehr frohem Herzen endiget sich dieser Monat, Nai»oleons so
lorohtbare Herrschaft scheint ein £nde zu haben. £s freut uns be-
8*
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116
Georg äi^eriit.
sonders, dass ohne Rassen, ohne Oesterreicher und Bayern bloss Preußsen
und Engländer diesen stolzen Mann bezwungen haben.
8. JulL Mau weiäs gewiss, dass Napoleon dem Throne entsagt
habe."»)
11. Endlich nach vielen Besorgnissen die höchst orfreuliche Nach-
richt erhalten, dass den 8. unsere Truppen von Paris Besitz genonniieu
haben. Welch' Glück für Prcusseii und fast für die halbe Welt! Tivat
Blücher! Vivat Wellington! Boide verdienton den Dank, den höchsten
Dank alier, die Napoleon unglücklich gemacht hat und sicher noch hätte
unglücklich machen können.'^")
26. Endlich die Nachricht erhalten, dass Napoleon nebst mehreren
Generalen sich den Engländern freiwillig als Gefangener übergeben
hatte. Am besten ist es wohl, dass ihn die Engländer in ihre Gewalt
bekommen haben. Er ist und bleibt ein Avanturier erster Grrw^f ."')
15. Dezenibei-. Die erfreoliche Nachricht erfahren, dass den 7. dieses
der Feldmarschall Ney erschossen worden sei."*)
1816.
14. Januar. Bei dem Kaufmann ('as]Kiri in grosser Gesellschaft
gespeist, in welcher sicli auch der von den Tugendbuudfreundeu jetzt so
verachtete Schmaltz befand.'*^)
14. Februar. Die jetzt so l)eknnnte Auguste Krüger des Mittags
bei uns zu Hause gebracht, die die Bewunderung aller der Meinigen
auf sich zog. Sie ist zwar nicht gross, aber ein untersetztes, breit-
schulteriges Frauenzhnmer, 24 Jahre alt. Als freiwilliger Jäger machte
Sit' den vorletzten und den letzten Feldzug als üiitornfjl/ier im Kol-
lu'j -fischen Infantcrioregimoiit mit. Bei Deunewitz er.stürmt<' sie eine
P>atterie, wurde zweimal st;irk hlcssiert und erhielt das eiserne Kreuz.
17 Schlachten hatte sie beigewohnt nml sich immer brav erlialteu und
während der 8 ';f Jahre ihres Soldateustaudes einen gau2 unbescholtenen
Lebenswandel geführt. '**)
Oktober. Mit grossem Vergnügen habe ich durch unseren gewesenen
englischen Gesandten Jacobi, der eben von London hierhergekommen
ist, erfahren, dass Napnieon Boimj>arte äusserst niissvergiiüi>t zu St.
Helena lebe. Er soll so stark und fett geworden sein, dass ei- nur mit
viel Mühe ein Reiti>ferd besteigen kann, und d:ibei soll sein (Jesicht \oll
rotlier, graner und schwarzer Flecke sein, so dass man glaubt, er werde
nicht mehr lange leben.'")
Am Ende des Jahres: Napoleon, Josephus, Hieronymus, Joachimns
(Mui at?), Ludovicos. Der erste hat die Hölle im Herzen und das Chaos
im Kopte.
uiyiiizeo Dy Google
Adb den Tagebflchem des alten Hdm.
117
Je leguc aux enforis mon genie
Mes exploita atuc aTaatorien
A mes partiBaiiB Tinfiimie
Le grand livre k mes eröanders.
Anx FrangoiB Thorreiir de mes crimes
Mon cxemple k tous Ics t3rraiiB
La Franco A scs rois Irj^itimes
Kt l'hopital ä mes parens.
1817.
10. Dezember. Zum erstenmal in meinem neuen Wagen gefahren,
weil heute der Geburtstag des Fürsten Blücher war — ja diesem
zui- Ehre.
1818.
5. April. Beim Kammerherrn Geh. Polizeirath v. Eamptz in
grosser Mannsgesellschaft gespeist. Gegen das Tarnen steht in der
Bibel Blaccabaeer Buch 2 Kapitel 4 Vers 12 etc.'")
18L9.
81. Ifitei. Qestom die Nachricht erfeliren, daas der so bekannte
AnguBt V. Eotzebne den 23. d. Nachmittags nm halb 6 Uhr von einem
Stad. Theologiae Namens Sand mendielmörderischer Weise erstochen
worden sei."^
Jnli. Dde Spenersche Zeitung brachte am 13. folgenden Artikel,
den Heim aasschnitt and ins Tagebuch klebte: Berlin. Die an mehreren
Orten, sowohl im Preussischen, als in anderen Landern, in den letzten
Tagen stattgefundenen Massregeln zur weiteren Ausmittelung der ent-
deckten geheimen demagogisclu'u Verbindungen und UnitrielH« sind durch
erhaltene, höchst wichtige und vollständigf T?ewois(' über die Existenz
und revolutionäre, selbst liochverrätherische Tendenz derselben veran-
lasst; man hat selbst den vollständigen, mehrmals berathenen Entwarf
der dem deutschen VaterlaTidf» zugedachten republikanischen Verfassung
in Beschlag genommen. Es geht hieraus von selbst hervor, dass diese
Massregeln nicht in den beschränkten Gesichtspunkt einer gegen Stu-
denten und Studentenverbindungen beschlossenen Verfü^jurifi: s^chören,
indem nur einip;e derselben mehr oder minder dabei impliziert und daher
von jenen Massregeln niin^rtroffen sind. Über die ausgebreiteten und
tief eingreifenden Yerzwei^niii^en jener deinaijogix lu'n Tnitriebe karm,
ohne dem so liöchst wichtigen und wohlthätigen Zweck selbst nach-
theiiig zu werden, be<2:reitlich das Nähere noch nicht jetzt zur öffent-
lichen Kenntniss kommen.
Darunter steht:
Grosses hat er pothan und weit niohr als seines Amts — Kamptz;
Kreisen läset er den Borg und lockt die fürchterliche Maus — raus."*)
•
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IIS Georg Siegerist.
31. Dezember. Heute haben die Umister y. Beyme und Hum-
boldt ihren Abschied erhalten. Vor einigen Tagen haben der Kriegs-
minister V. Boyen and der General v. Grolman den Abschied gefordert
nnd erhalten, und (>rolroan hat sich dabei alle Pension Terbeten. Hat
letzterer wohl weislich gehandelt? Wenn tüchtige M&nner den König
verlassen nnd sich von ihm beleidigt finden, so geben sie dadurch Ge^
" legenheit, dass schlechte und unbrauchbare BCenschen auf den König
wirken können."*)
1820.
Vy Oktober. Den 15. Abends um 10 Uhr starl) zu Leipzig unter
den Händen des grossen Charlatans D. II almem aiin der Fürst
V. Scliwai zen borg. Er hat vtMordiiet, auf dem Schlachtfeld bei Tieipzig,
wo er ini Jalu'e 1813 die österreichische Armee kommandierte, begraben
zu werden.'*') •
1821.
12. JnlL Die offizielle Nachricht erhalten, dass (mit rother Tinte
geschrieben) den 4. Mai Napoleon gestorben sei'") Qniescat in paoe!
Er mag viel Böses in der Welt gethan haben aber auch gewiss viel
Gutes. Unser besseres Militär hat ihm dies Glfick zu verdanken —
doch wohl ohne seinen Willen.
1822.
17. Marz. Während dem Essen liatle wegen der Gewerbe-Freiheit
und dem jetzigen so niedrigen Getreidepreis das Disputieren und Schreien
kein Ende.'«)
11. Jidi. Mittag.s zum Essen bei mir gehabt . . . . v. Caprivi,
der 4 Monate wegen demagogischer Unitriebe im Gefäugniss gesessen
und relegiert ist.
November. Den 20. dieses starb zu (»erma mein seit mehr als
%) Jahren gewesener Freund und Gönner der Staats-Kanzler Fürst
V. Hardenberg am Sclilagfluss. Sein Tod ist mir sehr nalie «gegangen.
Solch ein liebenswürdiger und kenntnissieicher Mann, als er \\a\\ wird
wohl selten zu linden sein. Er war einer der arbeitsamsten Männer
von der Welt. Aber W selir grosse Felder hatte er. Einmal kannte er
keine schlechten Menschen, er hielt alle Menschen für gut, weshalb er
meistens nur schlechte Menschen zu seinem Umgang hatte. Zweitens
kannte er niciits vom Werth des Geldes — 10, lÜO, 1000, 10 000 Rthlr.
alle Summen waren ihm gleich. Feine Liebe kannte er auch nicht,
sondern die grasseste von der Welt. Dicke feiste Menschen waren ihm
am liebsten, und denen gab er sich ganz hin, wenn sie ihn auch auf
das schlechteste behandelten und betrogen. "^')
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AuB den TAgebflchem des alten Heim.
119
1824.
12. März. Abends beim General v. Jür<^ass'**) Champagner ge-
trunken nnd vieles mit ihm von Bonaparte gesprochen, den er ebenso
wie ich für einen der grössten Lügner hält.
24. April. Nachmittags nach Cöpenick gefahren, einen Kranken
besucht und auch in Begleitung des Regierungsraths Krause den auf
dem Scliloss gefangenen D. Petsch gesellen. 80 junge Leute, meistens
Studenten, sitzen wegen demap:on^i8cher Grundsätze hirr gefangen und
werden von 100 Soldaten bewacht. Verdienen solche junge Leute, di(>
sich demagogischer Umtriebe schuldig gemaclit haben, soldie strenge
Aufmerksamkeit? Oder wiire es vielleicht besser, sie loszulassen and
die, die sie liiorherge Viracht liaben, hier einsperren zu lassen?"**)
12. Oktober. Mittags l)eim Fürsten v. Wittgenstein mit dem
Grafen v. d. Reck nebst dem Demagogenj%er v. Kamptz gespeist
«
1825.
7. März. In Cöpenick beim Regierungsrath Krause, dem Inqui-
sitor der daselbst in Gefangenschaft sitzenden Demagogen, jetzt an der
Zahl nur noch 15, gespeist. Mit dem Kriminaldirektor Schmidt fuhr
ich dahin und zurück. Der Schmidt ist ein grundehrlicher und recht-
schaftencr Mann, der mich wegen der Di Tuap^ogen gut unterrichtet hat,
und die ganze Sadie für selir unwichtig halt. Diese wenigen Gefangenen
werden von 150 Mann Soldaten und 5 Oflizieren bewacht.
L^. Dezember. Sagte man allgemein, der Kaiser von Kossland sei
gestorben. Ist dies Gerücht wahr, so ist er gewiss keines naturlichen
Todes gestorben.
18. Constantin soll nun gewiss Kaiser der Russen sein."*)
1826.
18. Februar. Abends in der Opera gewesen, um 'Wellington zu
sehen, und ich sähe ihn auch, aber wie alt und mager sieht er nicht
gegen unsern König, der ein Jahr älter als er sein soll, aus.
25. April. Hat durch den Bünister v. Motz der Ladenberg Exe
die Staats-Kontrole verloren."^)
Wir waren lang mit Gottes Zorn beladen«
Schon lag er auf uns wie ein Berg,
Wir spönnen lange keinen eeidnen Faden,
Nur schlechtes Zeug vom ordinärsten Werg. '
Die Form gebot! — Dem bessern Geist zum S(;hadcn.
Sic schor nach einem Mass den Kiesoji wU-. den Zwerg.
Fort ist die Last! Ks schlügt die J^rust nun Ireier,
Und mehr als je i&t mir mein guter König theuer. (Schmidt.)
L.ivjM^L,j L,y Google
120
Greorg Siegerist.
6. Novemiter. Der Präsident Sethe der in Westfalen von Na-
poleon häufige Kriinkiinf^en aller Art an sich und anderen erfahren
hatte, nannte ihn einen mathematischen Despoten, dem alle Mittel, um
seinen Zweck zu erreichen, recht waren.
1827.
B. Mai. Den Minister v. Stein, einen alten Bekannten von mir,
gespruchoii.'")
25, St'j)ti'iiilu'r. IJcini Minister v. Motz in t^rosser Gesellscliaft
<janz voitrcfllich liewirthet worden. Von den Demagogen vielleicht
etwas zu frei und laut gesprochen.
1828.
20. Juni. Bei Sr. Excellenz dem Gross-Inqoisitor der armseligen
Demagogen gespeist. Gott ning mir die Sünde yerzeihen, dass ick
schleckt von diesem Kamptz denke. ^^^)
11. November. Mittags beim Fürsten Wittgenstein in Gesell-
scliaft vom General v. Nostiz .... der ans vieles von Russen und
Türken zu erzählen hatte, gespeist ^^')
l8dO.
26. Juni. Endlich haben den 14. d. M. die Franzosen auf Algier
zu meiner grossen Freude gelandet .Mögen sie dem Dey mores
lehren! "=•)
14. Juli. Heute Vormittiig die ebenso wichtige wie höchst erfreu-
liche Nachricht gehört, dass die Franzosen Algier erobert haben. Nun
will ich den Franzosen gei ne den Namen einer grossen Nation geben,
den sie unter Napoleon nie verdienten. Damals waren sie eine SpitE-
buben- und Räubernation und Napoleon ihr Anführer, einer der nieder^
trächtigsten Menschen, der friedliebende, ruheliebende Nationen ohne die
geringste Veranlassung unglücklich gemacht hat, bloss um seinen Ehrgeiz
zu befriedigen und seiner Familie Throne zu geben. Alle Leiden, die
er auf der Insel Helena ausgestanden, hat er lOfacb als Krieger' ver-
dient, aber als Yater habe ich oft bedauert, dass er seinen Sohn nicht
sehen konnte.
5. September. Von den Unruhen in Brüssel nnd Aachen wurde
viel gesprochen.^**}
1831.
11. Se|tt<'iiilM'r. Den 7. Abi iuis liat W iinschau kapitulici I iiiid die
Kus.sen die Stadt eingenoiiinieii. Ich iKHlaiiie die Polen, «locli für Preussen
ist dies schon gut und für den so gutmüthigen Kaiser von Russland.'*')
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Am den TkigMdi€Ri dM alten H«im.
121
1832.
9. Februar. Endlich ist heute Abend der Kammerherr v. Eamptx
zum Jnstizrainister creirt worden. Tandem mala caosa triampbat. Dies
Glück haben ihm die Demagogen verschafft. ^*^)
^ 1834.
24. April. Die Unmhon in Lion liegen mir immer im Sinn. Dass
man mit den republikanisch Gesinnten streif verfährt, ist notliwendig
nnd recht, ja wenn alle Einwohner erschossen und die gaose Stadt der
Erde gleich gemacht würdo, müsste ich es billigen. ^^')
11. Juni. Vormittags nach Steglitz und Minister v. Beyme, der
gestern sein 5()jiUiriges Jubiläum verlebte besucht Seit 15 Jahren ist
er nicht mehr im Dienst.
i) Tlardonberg war im Jahre ITHI, nachdem er vorher in hannover-
schen und hraun^^chweigisclif 11 Diensten gestanden liatte, in dcu preussischeu
Staatsdienst getreten, und zwar Ubernahm er die Verwaltimg von Ansbach-
Bayreuth, nachdem der letzte kinderlose Herzog Alexander seine Lande an
PreuBsen abgetreten hatte.
t) Am 11. Mfirz 1798 wnrde Wöllnor enüassen. Er verlebte seine
letBten Jahre bis zu seinem Tode am 10. September 1800 auf seinem Gute
Gross Rietz bei Beeskow, das ihm sebie Frau, eine geborene v. Itsenplitz
sngebracht hatte.
3) Nachdem die Verhandhinfr^^n des Konp^resses zu Rastatt abgebrochen
waren und das östeiTeichischc Kabinett ilcn Kongress l'iir aufgelöst erklHrt
halt«', liaitüii alle Pcvollinäehtigten mit Ausnahme der Roiolisdeputation und
der iranzOsischeu (Jcsandteu lioberjot, Bonnier und Jeun Debry die Stadt
verlassen, der die Neutralität von Osteireicbischer Sdte entzogen war. Am
28. HSrz rttckten Szeckler Husaren des Obersten Barbaeasy cbi (Erzherzog
Karl hatte die im südwestlichen Deutschland stehendoi französischen Truppen
unter Jourdan über den Khein getrieben), besetzten die Thore und Hessen
niemand heraus. Nur die französischen Gesandten, von denen Bonniw sich
durch sein übermüthiges, grobes Benehmen besonders verhasst gemacht
hatte, erhielten die Erlaul)ni>s, abzureisen und tliaieii flies noch an demselben
Abend. Fast vor den Thoren der Stadt wurden sie von einem Trupp
Husaren übej fallen und zusajuracngehauon; Bonnier und Roberjot starben
sogleich, Debry stellte sich todt und entkam nach Frankreich. Die TVagen
würden ausgeplfindert, die Gesandtschaftspapicre in das Hauptquartier des Erz-
herzogs Karl abgeliefert Die Anstiftong zu diesem Verbrechen, das m ganz
Deutschland als Schandfleck auf der nationalen Ehre betrachtet wnrde, ist
wahrsclieinlieh vom österreichischen Kabinett ausgegangen. Österreich
wollte Bayern besetzen; dies konnte es thun, wenn sich eine Verbindung
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G«org Siei^ciit
des Kurfürsten Max Joseph mit Frankreich nachweisen liess. Nach einem
franz?)8ischen Bericht habe Grixi' Lehrbach, der in Rastatt gewesen war und
sich von da in« lluuptquurtier des Erzherzogs Kai*l begeben halte, auf die
Nachrlcbt von dem Horde ansgenifen: „er habe dem Obersten nur den.
Auftrag gegeben, dem frechen Bonnier einige StodcschlSge versetzen sa
lassen*. Dieser Anffassnng stimmt auch H. t. Sybel zu. Die Untersnchnng
worde in Wien geflihrt und verlief im Saiide. Man nannte das Verbrechen
einen „leidijren Verfall" (v. Ompteda, Irrfahrten und Abenteuer eines mittcl-
staatltchcn I »iploinatcii '<>), stellte schliesslich das Weitere der Weisheit
kaiseiiicher Majestät aiiheim und sprcufi^te das (Jerüclit ans, die >f')r(lcr seien
als Husaren verkleidete französische Emigranten oder schwUbische liäubcr
gewesen.
4) Dur 00 war in Folge seiner diplomatischen Gewandtheit nacheinander
Gesandter in Berlin, wo er Napoleons Erhebung zum ersten Consul an-
kündigte, in Stockholm, Wien und Petersburg. Seine ritterliche Erschebrang,
seine angenehmen Manieren verschafften ihm am preussisehen Hofe eine gnte
Aufnahme; zwar kam das von Napoleon angebotene BUndniss nieht zustande,
doch blieb Preussen auch ferner neutral.
5) In der Nacht zum l Marz iHUi wurde bekanntlich Zar Tau! I.
durch eine Verscliwr»rung, an deren Si)itze die Grafen T'anin nnd Pallien,
General Benni^'sen, l'laton Öubow, der letzte Günstling Katharinas 11.
standen, in seinem Schlafgemachc ermordet.
•) Dänemark, das dem vcmi Kaiser Paul geschaffenen Neutralitäts*
bunde Russland, Preussen, Schweden beigetreten war, der den englischen
Scedespotismus brechen sollte, hatte sieh dadurch den Unwillen Ehiglands.
zugezogen. Im MUrz 1801 segelte eine englische Flotte unter Parker und
Nelson nach dem Sunde, und Nelson erschien am 2. April mit einem Thcile
davon vor Kopenhagen, durchbrach unter grossen Verlusten die armierten
Hlockschille, mit denen die DUncn die „Königstiefe", die cinzifrc Zufahrt gesperrt
hatten uihI erzwan'r dadurch den Austritt DäiicTuarks aus dem Bunde
und die Anerkennung des englischen Secreclus. Parker iiatte wahrend des
Kampfes das Signal zum Rttckzug gegeben; allein Nelson setzte das Fem-
rohr an sein erblindetes Auge und sagte, er kOnne keine Rttekzugsflagge
bemerken.
7) Durch den Staatsstreich des 18. Brumaire (9. November) 1799 hatte
Napoleon eine ganze Keihe von Angriffen auf sein Leben heraufbeschworen,
von d<nien am l>ekanntcst<'n die Explosinn der Ilrillenniasehine in der Strasse
St. Nicaise ist, am ZA. Dezcnibc!- ison. al- 'i<'!- erste ronsul in die Oper fuhr,
f'ber «len von Heim aufgezeichneten Vergii'tungsversueh, tler in den Mörz
IHOI lallen musste, lindet sich weder in Thiers, histoirc du eojisulat etc.,
noch in Lanfrey, histoire de Napoleon I., den Pseudomemoiren Fouch<js, den
Memoiren Savarys irgend eine Spur. Ebenso geben die gerade ttber di6
Attentatsperiode nach dem 18. Brumaire sehr ausführlichen Artikel «Fouch^*
in der Biogr. universelle und Nouv. Biogr. g6n. keinen Anhalt H($chst
wahrscheinlich war dies Attentatsgerücht von der französischen Polizei selbst
in die Welt gesetzt, um das äusserst gewaltthiitige V(^ri;-ch(>n gegen die
Republikaner weiter zu rechtfertigen, wie man ja auch allgemein behauptete,
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Ans den Tagel»flebem dM alten Heim.
128
dass die meisten Anschliig^e auf das T.ohon de? ersten Konsuls „provocations
de la poliet"- waren und in Fouchü ihren intellektuellen Urliebor hatten.
,11 fit lui -menie aux conjures les moyens d'exöculion ^ui servirent ensuite
ä leB couvaincre," schreibt z. B. die Nouv. Biogr. Gen. XVIII 2üU Uber das
Ciomplott Arenas.
■) Hefnricb Julius Ton Ooldbeck und Reinhart wurde 1789 Justiz-
minister, 1795 ernannte ihn Friedrich Wilhelm II. als Nachfolgfer Ganners snm
Grosskänzler. Goldbeek wurde unfreiwillig der Veranlasser einer berühmten
Kundgebung Friedneh Wilhelms III. Er schlug als Nachfolger für den
verstorbenen RegicrungfSprUsidentcn v. Toenie in Maf^deburg den bürger-
liehen Regierungsdirektor Varif^erow vor und gab ihm das Zeugniss eines
geschickten und rechtschafteneu iieamten, der die Stelle verdiene. Da aber
der Magdeburgisehe Adel nicht gewöhnt sei, einen bürgerlichen Präsidenten
zu haben, so überlasse er es Sr. Majestät, Um in den Adclstand zu erheben.
Der KOnig antwortete, er ktJnne nicht glauben, dass .der MagdeburgLsche
Adel noch so weit in der Aufklttrung zurück sei, um zu verlangen, dass ein
Prtlsident, der die erforderlichen FKhigkeiten besitze, auch noch ein Edel-
mann sein solle, ((v. Cosmar u. Klaproth, der wirkl. Geh. Staatsrath etc.
p. 504. Beaulieu-Marconnay in „Im neuen Reich" 1876 II.)
r>) Es sind die rräliniinarion zu dem am 27. März 18<'»2 abgeschlossenen
Frieden von Aniiens, die am 1. Oktober ISOl festgestellt wurden. — Der
Marquis Heurnon ville, .Marschall von Frankreich, hatte sieh in den
Revolutionskriegen ausgezeichnet. Ein eifriger Anhänger Napoleons und
Ilelfer beiui i^taatsstreich, wurde er vom crstcu Consul zur Belohnung als
Gesandter nach Berlin geschickt Er erreichte hier die Verhaftung einiger
französischen Emigranten, die sich nach Bayreuth geflttchtet hatten und unter
denen sich auch PIchegru befand; dieser soll durch die Bemühungen der
Königin Luise und Hardenbergs Gel^enheit geftmden haben, sich zu retten.
Die Papiere der Verhafteten wurden der französischen Regierung ausgeliefert
und unter dem Titel „Papiers saisis A Bareuth* 1800 in Paris gedruckt.
10) Die Frauen l»i]deten bekanntlich den dunklen Punkt im Leben
Ilardenber^'s. Als junger Mann liebte er eine Schwester des späteren
Ministers von Stein, verliebte sich aber „mit gleicher Wärme", wie H. v. Öybel
sagt, in die ihm vom Vater bestimmte Braut, eine Gräün Reventlow und
heirathetc sie. Uüt dieser knüpfte, als sie sich in England aufhielten, der
Prinz y. Wales (Georg IV.) ein Uebesverhältniss an, das zu einem grossen
Zeitungsskandal führte und die Veranlassung wurde, dass II. in braun-
schweigische Dienste treten musste; in Braunschweig setzte scme Frau ihre
üble Aufführung fort. Es kam zur Scheidung, und unmittelbar darauf
lieir.ithete Hardenberg eine andere Dame, die sich, wie es seheint, seinet-
wegen von ihrem Manne hatte .scheiden lassen. Die F«)lge davon war
wieder eine Ortsveränderung: er ging naeli l'reusscn. Die ,, Madame'- ist
ebenfalls eine geseliiedene Frau, Charlotte I.<angenthal, geborene Seh<"»nemann,
eine Schauspielerin, die er am 19. Juni 1807 heirathetc. Ungebildet, nicht
einmal schön, ttbto sie eine unbedingte Herrschaft Ober den Minister aus,
die sie dazu benutzte, nicdr{g<m Kreaturen, die ihr schmeichelten, Staats-
stellungen zu versehaiTen. Sie musste Übrigens das Herz Hardenbergs
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124
Georg Sieg«ilsfc.
noch mit anderen Geliebten theileo. (cf. Streckfuss, Berlin im 19. Jahr-
hundort I. 33.)
n) Ursache zu dieser kriegerischen Stimmung in Preusscn, wo der
König lange zwischen dem Aiuditiiss an Frankreioli tmd Bnaslaiid ge-
schwankt hatte, gab die fransösisehe NeatraUtKtBYerletsiuig, der Manch
des BomadotteBehen Corps durch Ansbaeb» um sich mit den Bajrem za, ver-
einigen.
12) Beyme werden wir in den neimschen Änfteichnnngcn noch ver-
schiedentlich begegnen. — Das Urtheil Heims ergänzt die über Beyme
bestehende ^Foinung, dass er beim besten Willen, Grosses zu leisten, sich
von seiner Sucht, eine allg^eracin leitende Stelle im Staatsleben einzunehmen,
verleiten Hess, in allen Gebieten herumzudüettiren und sein Spezialfach,
die Justizverwaltunf»", vernachlilssigte.
is) Die Kapitulation des Generals Mack in Ulm am 20. Oktober.
h) Das Ergcbniss dieses Besuches des Zaren in Berlin war die
Potsdamer Übereinkunft am 3. November, die zwischen ihm, Friedrich
Wilhelm IIL nnd dem Erzherzog Anton abgcsdilossen wurde. Danach ver-
pflichtete sich der KOnig von Freossen, falls Napoleon nicht In die Her-
* Stellung des Friedens durch ^en emopltischen Gongress auf Grand des
dnrch den Frieden von Luncville (1801) festgesetzten Besttastandes willige,
sich Rnssland and Österreich anzuschliessen. Der Vertrag wurde durch die
Sccnc am Sarge Friedrichs des Grossen besiegelt; durch den vom Grafen
IlaugAvitz nach der Schlacht von Austcrlitz abgcselilosscnen Vertrag von
Schonl)runn, wozu Haugwitz geheime Weisungen liatie, zwang Napoleon
Preussen, seine Verbündeten ihrem Scliieksale zu überlassen.
15) Die Mohilmaeluinfx der preussisehen Annet- war am 9. August an-
geordnet worden. „Bis zum letzten Augenblick wurden die preussischen
Kricgsvorbereitongen Iflssig botrieben; . . . wtthrend die firanzOsIschen nnd
Rheinbnndstnippen schon Im weiten Bogen Prenssen und Sachsen nm>
spannton .... wahrend Napoleon schon an der Grenze stand, erging
(am 25. September 18(06) noch einmal (;in preussisches Ultimatum, worin die
Räumung Süddeutschlands und die Zulassung des norddeutschen Bundes
gcfonlort wurde.'' (Weher, Wfllireschiclite XIV. 2\i<.) Eine trcffUcbe
Illustration zu dieser Darstellung ist die Bemerkung Heims.
m) Prinz Louis Ferdinan d wurde bekanntlich nicht ei'sehossen. ßotidorn
liel auf der Flucht seiner Truppen im Handgemenge mit franzr>siseh« n llusari ti.
Der Prinz hatte die ans Prenssen und Sachsen bestehondc Vorhut des Hohen
loheschen Corps konimaudiert. Einige Tage vor seinem Tode hatte er nach
Berlin geschrieben: „Ich hoffe, dass Ihr den 10. oder 12. Nachrjchten
erhalten werdet nnd dass vielleicht die ersten Schüsse gefallen sind . . .
Nicht ohne lebhafte Bewegimg kann ich an die nabenden Angenblieke
denken und an den Kampf, der sich vorbereitet. Ich wttrde ihm ruhiger
nnd heiterer en^egensehen, wenn die, denen die wichtigsten Sorgen an-
vertraut sind, mir mehr Vertrauen einflössten,"
i-) Eine gleiche falsche Nachricht von einem }>reussischen Siege ver-
zeichnet auch die Gräfin Voss in ihrem Tagebuche unter dem 15. Oktober,
AuB den Tagebftdbflin d«« alten Heim. 125
•18 die Königin bereits auf der Btldcreise ttber Brannechweig und Tanger-
münde nach Berlin war. „Nicht die gaingstc Nachricht von den Trappen.
Plötzlich kam ein Postsekretär geritten und eohrie überlaut, die Schlaebt
sei gewonnen." (Neunundsechzig Jahre am preussischcn Hofe, p •^.'rl.)
1«) Schlucht bei Auerstlidt. Auerstildt liegt zwischen Naomborg und
Weimar, ungefUhr 15 km von Naumburg enifemt.
is) Am 17. Oktober schlug Beniadotte die 11 OOu Mann starke preussische
Reservearmee anter dem Herzog Eugen von Württemberg bei Halle und
Eersprengte sie ToUstSadig.
m) Dies gelang. Am 28. Oktober kapitulierte Hohenlohe mit seinem
10 000 Ifann starken Korps bei Prenzlaa.
2i) Gustav Parthey ersihlt in seinen Jogenderinnerungcn : ,Ich stand
an der Hand memes Vaters vor dem K. Palais, wo die neugierigen Zuschauer
in sehr geringer Anzahl sich versammelt hatten. Mehrere Hegimenter zu
Fuss und zu Ross zogen dicht gedrängt dahin. Da entstand ein leerer Raum:
ein kleint r Mann auf einem weissen Pferde, gefoi;,^t von einem Reitertinipp
in glänzenden Uniformen, ritt langsam gegen das Schioss hin, nach allen
Seiten sieh lebhaft nmsdiend. Das Ist der Kaiser Napoleon, sagte mein
Vater.« (L 67.)
») Prins Angnst, zweiter 8ohn des Prinaen Ferdinand, hatte yenmoht,
sich an der Spitze eines Grenadierbataillons durchzuschlagen, musste sieh
aber ergeben, als sefaie Leute im Morast stecken blieben und keine Patronen
mehr hatten.
m) Generalleutnant Graf Schmettau war Divisionskommandeur und
befehligte bei Auerstedt die Vorhut di s Herzogs von Braunschweig. Heim
Angrift' der Preussen auf Uassenhausen wurde er durch eine Kurtiüschen-
kugel verwundet, verbarg aber diese Wunde, bis ihn eine zweite Kugel traf:
Er starb am 18. Oktober sn Weimar. Da er su den Ftthrem der Kriegs-
partei in Berlin gehört hatte und die Denksehrift vom 8. September, worin
der KOnlg tnm Lostehlagen angefordert wurde, mit unteraeichnet hatte, er-
klärt sich das Oerfloht von Selbstmord, nachdem der Krieg etai6 ungltLck-
liche Wendung genommen hatte.
u) „Welch ein Anblick, als <1as gl.tnzende Regiment der Oen.sdarmes,
entwaffnet, abgerissen und halb verhungert, in jammervollem Zustande wie
eine Viehherde die Linden hinabgetrieben wurde", schreibt Treitschke in
seiner deutschen Geschichte im l'J. Jahrliuiidert, I. p. 250.
96) Am 8. November übergaben die Grafen Kleist, 73 Jahre alt, und
Wartensleben, der älteste yon 19 Generalen in Magdeburg, die von 84000 Mann
mit 600 OesehfltBen vertheidigte, mit Proviant und Munition reiehli<di Ter-
sehene stärkste Ftetnng Preussens an den Marschall Ney. Bltioher kapi-
tulierte nach heldenmüthigem Widerstande in Lllbeek am 7. November bei
Ratkau, weil er kein Brod und keine Patronen mehr hatte, wie er unter die
Kapitulation sdirieb. Der vorwoitlBvoUe Ton Heims ist bei ilun nicht an-
gebracht.
2fl) Dem Kurfllrsten von Hessen hatte seine Neutrulitüt nichts genützt.
Am 1. November waren französische Truppen in Kassel eingerückt, hatten
dJe-hessiache Armee entwaflhet, die Kassen mit Beschlag belegt, die Ge*
126
Georg filegwlit.
niHldegalerle geplündert. Der Karfürst war erst nach Ditneniark, dann nach
l'ra^ »geflohen, „wührond seine schmachvoll orworhoncn SchHtze in Roth-
schilds Kellern in Frankfurt geborgen wurden*^ (Webci-s Weltgcscliichtc
XIV. 22<i)- I^J»^ verdiente Schicksal dieses zweideutigen und feigen Monarchen
wurde allgemein mit Genugtlmuug begrüsöt. — Öaclisen, das sofort nach
Auerstttdt Preussens Sache verlassen hatte, musste bis Kam Friedenssehlosse
am II. Dezember sich die grössten Krprcssangen gefallen lassen; dteKOnigs-
krone war nur eine platonische Entschadigang dafür, wurde aber im ganzen
Lande mit Jubel begrfisst; stand man doch nun dem verhassten Preassen
gleich. Die Stadt Leipzig veranstaltete am Neujahrstage 1807 ein prächtiges
Fest, dem die Sonne Nai)oleons bei der Illumination den Typus aufdrückte.
27) Jede prenssische Unifonii war in Berlin verboten worden; auch die
pensionierten Oftizierc mussten ihren geliebten blauen Kock ablegen.
is) Diese Nachricht erwies sich nachher als falsch. Königsberg, das
General Bennigsen als Erholungs- und Sammelpunkt für die prcussisch«
russische Armee halten zn mttssen glanbtc, gcrieth noch nicht in fhuusOsisehe
HXnde. Nach einigen für die Verbündeten glttcidichen kleineren Gefechten
TOT Kttnigsbeig ordnete Napoleon in einer sdner Üblichen pomphaften Pro-
klamationen am 16. den Bflckzug hinter die Passarge an, nm In die Kante-
niemngen zurückzukehren, nachdem der Feind ,80 Lieucs weit mit dem
Degen in den Kip]>en verfolgt" worden sei. „Wer es wairt. tiie Ruhe der-
selben (der Kantonnierungen) zu stören, wird es bereuenl'' ^v. Lettow-Vor-
beck, Der Krieg von ISUG und 1807, III. i>. 2^-).)
2») Stein war am 27. Oktober lb04 Naclifolger ^es am 17. Oktober ver-
storbenen Ministers y. Stmensee im Departement des Accise-, Zoll-, Fabriken-,
Mannfaktaren- nnd Kimimerzienwesens beim Qeneraldirektorinm geworden.
Im April 1806 verfasste er seine Denkschrift an den KOnig „Darstallimg der
fehlerhaften Ofganisation des Kabinetts nnd der Nothwendigkeit der Bildung
einer Ministerialkonferenz", worin er dem Kabinett vorwarf, ihm fehle ge-
setzllelie Verfassung, Verantwortlichkeit, genaue VerVnndung mit den Ver-
waltungsbehörden und Theilnahme an der Austulirung. Nachdem er die
drei KabinettsrUtlie Heynie, Lombard. Oral" Haiii^witz aufs schärfste ver-
urlheilt hat, fordert er <'inc unmittelbare W-rhiiuiung des Königs mit den
obersten Staatsbeamten, schlägt 5 Ministerien (Krieg, Auswärtiges, allgemeine
Landespolizei, Einkommen, Bechtspüege) vor nnd schliesst mit der Prophe-
zeihnng, dass der Preossische Staat, ftdls der Einflnss des Kabinetts weiter
dauere, entweder sieh anflOsen oder seine Unabhängigkeit verlieren werde.
An den General v. Büchel, der die Denkschrift dem König ttbeige1>en sollte,
schrieb er: „Der höchste Grad des Unverstandes ist, das Werkzeug der Ver-
worfeiilieit anderer zu werden". Da Küchel, der in Hannover liftVhliirte,
nicht nach Berlin kam, wurde die Denkschrift dem Könige durch die Königin
übergel)en. Stein war entscliloM^i h, im Ablelniungsfalle seine Entlassung zu
nehmen; darauf bezieht sich obige Äusserung. Der König, der die ausser-
ordentlichen Schritte nicht liebte, ging auf Steins Vorschlag nicht ein; die
Sache blieb Torläollg ein Geheimniss. Erst im November thdlte Stein schien
Schritt dem Graflen Sehnienburg (,dem Manne, der fitdie für die erste Bütger-
pflieht erklUrte) mit. Sehnlenbnrg antwortete mit richtigan Einsehen: ,Wlbre
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▲w äta Tkgebttebfliii das altMi H«lin.
127
man Ihrer Denkschrift im l\Tai profolg't, so wUrden wir jetzt nicht seiUt wo
wir omd." (Portz, Das Leben des Ministers Freiherm vom Stein^ I. p. 331 ff.)
3o) Am 12. MUrz hatte der Marschall LcfVhvre (nachmals Herzog
von Danzip) die Festunji: eingeschlossen; am ^?5. Mai kapitulierte dvr Fold-
marschall Graf Kall^:rciUh nach tapferer V'ertlH•i«l!i^u^^^ nachdem Maii^o^l an
Lebensmitteln und Muiiition eingetreten wai' und die lurtwühreud verstärkte
Belagemngsarmee mit einem allgemdnen Sturme drohte, wahrend zwei Drittel
der Oarnison kampftmf&hig geworden waren. Am Hofe glaubte man allerdings,
daaa eich Kalkrentb noeh länger hatte halten kOnnen. (Gräfin Voss, p. 297.)
ti) Sdiladit bei Friedland am 14. Juni.
m) Am 21. war ein Waffenstillstand zwischen Riisaland uid Frankreich,
am 25. zwischen Preussen und Frankreich abgeschlossen worden, und am
7. .Tu Ii Avorde der Friede mit Kusaland, am 9. der mit Preussen unter-
zeichnet.
33j Ein Kaufmann stellte folgendes Transparent an sein Fenster:
Ich kenne zwar den Frieden nicht,
Doch ans Qebonam and befohloer Pfliofati
Verbzenn idi aoeh mein letstes lieht.
Bekannt ist der illominierte Sarg eines Tlsehlers, mit der Anftchrift: .Hier
ist der wahre — bekannte und unbekannte BMeden.* (Ferts, Stein I. 451.)
:i4) In seiner oben erwilhnten Denkschrift schrieb Stein dem KOnige:
„Friedrich Wilhelm II. regierte unter dem Einfluss eines Favoriten, seiner
Umgebungen ; sie traten zwischen den Tliron und seine ordentlichen Kath-
geber.*- (Pertz I. p. 332.)
3s) Eberhard Julius v. Massow war der Nachfolger WüUncrs geworden.
Am 28. August 1807 erhielt er seinen Abschied.
m) Am 3. Januar 1807 war Stein vom KOnige, da er in der Kabinetts-
r^erangsfrage nieht nachgab, ungnädig entlassen worden; nadi Abschluss
des Tilsiter Friedens wurde er nach der Ton Napoleon erswnngenen Ent-
lassung Hardenbergs znrttckgemfen. Obwohl krank, folgte er sofort und
traf am 2. Oktober in Memel ein. Inzwischen hatte er im Juni ein Programm
„Über die zweckmUssige Bildung der obersten und der Provinzial-Finanz-
nnd Polizeibehörden in der Preussischen Monarcliie" entworfen. Der König
übertrug ihm jetzt die oberste; Leitung aller Civihin^relef^eiiheiteii. Die frühere
Art der Kalnnettsregierun^ hürle auf. — Stein war nacli Berlin j^ercist. um
mit 2sapüleous Generulintendanten Daru endgiltig wegen der liäuinung der
preussischen Provinzen dnreh die franzQ^ohen Truppen sn Torhandeln. In
dem Entwurfo vom 9. März wurde Freussens Kriegsschuld auf 101 Millionen
Franken festgesetzt Die Oderfestungen sollten bis zur Tilgong in französi-
schen Händen bleiben, die ttbiigen Truppen 30 Tage nach Batiflzierung des
Vertrage« abziehen.
n) Bodart de Tezay, französischer Lustspieldichter und Verwaltungs-
beamtcr. Er war lange Zeit Generalkonsul in Genua.
38) Marschall Victor, Herzog von Belluno, Sohn eines Portiers, begann
1781 seine T.aiifbuhn als f^euieiner Soldat; 1807 wurde er Marschall. Nach
dem i'rieduu von Tilsit wurde er Gouverneur von Berlin und blieb dort bis
zum August 1$08, wo ihn Kapoleon auf den spaniadhfln Kriegatefaaaplalz
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128
schickte. Seine Frau war eine UoUttndeiin, Julie Voscli d'Aveaant, Palaat-
dame der Kuiäcrin.
aa) Pauline Cesar — so lautet der MHdchennaine (lie.ser Geliebten des
Prinzen Louis Ferdiniind — wurde luu 1777 in Berlin geboren. Ihr Vater war
Rath in Diensten des Prinzen Louis Ferdinand; er starb ArfilL Wanderlwr
scbOn, aber ohne alle Erzlehang und Bildung, bat sie niemals sittUehea Halt
besessen. Als junges lOldchen liatte sie bereits ein Verhiltniss mit einem
Russen Sdmwalow; sie bezog bis an iluen Tod eine Pension von 2000 Fres.
von der Familie Sehuwalow in Petersburg. Um 1800 vermählte sie sich mit
dem Ordensrathe Wiesel, der alle ihre Liebeslaanen flultiig ertrug. Das Paar
reiste naeli Paris, der Schweiz, Wien, innner von Anbetern Paulines hegleitet.
Heimgekehrt lcl>ten sie getrennt. Wiesel im Oasthause, .sie bei ihrer Mutter.
Den Prinzen lernte sie auf einem Balle kennen; er liel)te sie leidenschaft-
lich, wahnsinnig, wie aus seinen glühenden Briefen hervorgeht; fsie benahm
sich, wie alle galanten Damen und behandelte ihn nach Laune, bald sdüecht,
bald gut. Seinen Tod hat 'sie bald versehmertt (BUchner, Briefe des
Prinzen Louis Ferdinand an Pauline Wiesel)
4a) Marschall So alt. Hersog von Dalmatien, mit Napoleon gleichaltrig,
war mit 16 Jahren Soldat geworden, hatte es aber xaxtm dem anden regime
nur bis zum Oorporal gebracht.
«) Graf Daru, vStaatsminister und (teneralintendant des Kaiserlichen
Hauptquartiers, war General Cmnniissar während des Feldzuge.s in l^renssen
und hatte die Fiuanzverwaltung. wührend der Okkupation zu leiten, wobei
er auf Napoleons Befehl mit Uusserster IlUrte vertulir. Er berechnete be-
kanntlieh 154Vt Million Franken Kiiegscntschädlgimg. Als im Jahre 1815
der Seinepräfekt in Paris Blücber auf dessen Forderungen Schwierigkeiten
machte und um Schonung bat, entgegnete ihm der Feldmarsehall: „Fragen
Sie Se. Excellenz den Grafen Dam, zu welchen Mitteln er in Berlin g^grüTen
hat, um uns das finden zu lassen, was wir nicht besasscn."
m) Davoust, der Sieger von AuerstUdt, der rücksichtsloseste der
französischen Marschillle, Er lielianddte die Vr»]ker wie Soldaten, <lie
Banken als militUrischen Schatz, die llandelshiluser als Ilauptiiuartiere und
betrachtete das GlUck als Maitresse, sagt ein fronzüsisdier ticliriftstcLler
von ihm.
4i) General Graf Saint -Hilaire wurde iiu österreichischen Feldzuge
1809 bei Esslingen verwundet und starb an den Folgen der Wunde in Wien.
m) Beyme, den l^odrioh Wilhelm m. trotz der Aussöhnung mit Stein
und der Beseitigung der Kabinettsregierung nicht fallen lassen woQte und
der von Stein und namentlidi von Hardenberg hart angegiiffen wurde, hatte
sich, als es ihm nicht gelang, eine Verständigung mit Hardenberg herbei-
zunihren, im Juni Ib08 freiwillig vom Hofe entfernt und lebte bis £nde des
Jalires in Steglitz.
Schill, einer der Melden von Koiberg, durltc zur Belohnung llir
sein Verllallen während des Krieges als erster in die beft'eite Hauptstadt
«nrttcken. (ef. WÜh. Griebenow, Erlebnisse.)
m) Sobald österreicli anfing zu rttsten und Spanien sich gegen
Napoleon etbob« suchte Stein den König zum Anaehlasse an ötitimtkh und
Aus den Tagebüchern dei alten Helm.
129
England ' SU bewegtn. Das ganse Jahr 1803 hindnieh arbeitete er plan-
mllasig daran, einen Brach mit Ftankreleh herbeizoftthren. Da wurde ein
Brief SteioB an den Ftirsten Wittgenstein, worin er seinen Pinnen Ans»
dmck gab, von der ft'anzOsisclien BehOrde in Berlin anfgefangen und
TOn Napoleon im Moniteur officiel veröffentlicht. Stein erbat sofort seine Ent>
lassung, in die der Künip: zunJichst nicht wi!li<^-te, die er al)or, als Napoleon
zuerst indirekt, dann immer deutlicher darauf drang, auf Hardenbergs
Rath am 24. November annahm. Am 12. Dezember kam Stein nach Berlin,
wo er mit seiner Familie zusammentraf, aber nicht lange bleiben durfte,
denn am 16. bereit» hatte Napoleon von Madrid aus den .nommö Stein*
gelchtet nnd verlangte von d«r preosslsehen Beglemng aefaie AnsHeferong.
Dnrch den firanzO^ohen Oeeandten St. Marsan, der seinen Posten niebt an-
treten sollte, solange Stein noch anf prenasischem Boden, weile, gewarnt,
verliess er in der Nacht vom 5. anf den 6. Januar 1809 Berlin nnd begab
sich nach Österreich.
4?) Hardenberg, am 24. April 1806 auf Betreiben Napoleons, der ihn
für den Hauptiirheber des Potsdamer Vertrages Tom November ISOf) hielt
und im Moniteur öffentlich beschimpft hatte, entlassen, hatte trotzdem weiter
im Geheimen Antheil an deu StaatsgeschSften behalten und war am 10. April
1807 wieder zum leitenden Minister ernannt worden, Napoleon wollte jedoch
nicht mit ihm verhandein und verfügte seine Verweisung vom Hofe auf eine
Entfernung von 40 Standen. Hardenberg schlug Stein als Nachfolger vor,
ging nach Riga nnd sehrieb dort seine grosse Denkschrift ttber die Beorgani-
sation des prenssiseben Staates, nntersttttat dnrdi Altenstein nnd Niebnhr.
Inxwisefaen aber fttbrte Stein nun Glttck seine Beformen dnreb. Im FrBlding
1808 kam Hardenberg nach Preu.ssen zurück und lebte auf seinen Gutem,
vielfach auch in Tempelberg in der Mark in völliger Zurtickgezogenheit.
«g) Heinrich Schmält z war seit 1803 Rechtslehrer in Halle, nachdem
er vorher in Königsberg gewirkt hatte. 1^08 \ef;t(^ er wegen der Einver-
leibung der Stadt und Tniversität in das K(»nigreieh Westfalen seine Ämter
nieder, ging zu Friedrich Wilhelm III. nach Memel und erhielt von ihm das
Versprechen haldiger Anstellung, die jedoch erat bei Gründung der Uni-
versität Berlin erfolgte, deren erster vom König ernannter Rektor Schmal tz
wnrde; vorher schon (1809) war er als Batfa im Ober-Appclladonssenat des
Kammergeriehts angestellt worden; bis dahin hatte er in Berlin als Privat-
mann gelebt
4f ) Am 38. April hatte Schill an der Spitze seines ,2. Brandenburgischen
Hnsaren-Begiments* Berlin verlassen nnd seinen »nnglaubUchen* Zog, wie
Friedrieh Wilhelm III. die Tliat bezeichnete und was sie trotz alles PatriO'
tismns auch war, angetreten, der so tragisch in Stralsund enden sollte.
m) Prinzessin Luise Radziwilt.
ei) Am 25. November 1808, also unmittelbar nach Steins Entlassung»
dessen Nachfolger der schwankende Minister Alte nstein wurde, war die
Ernennung Bcynios r/ntn Jnstizministor und Grosskunzh-r erfolj^t. Stein hatte
Boyme allein tür liihig gehalten, das Werk der liN-foniien (lui clizusetzen und
ihn dem Könige empfohlen. Aber Beymes ThUtigkeit (er sollte die Auf-
Arob. 9
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hebung der Patrimonialgerichtsbarkeit durchführen) erlahmte sehr bald;
zudem schloss er sich in der Uusseren Politik dem schwachen Altenstein an,
der Schlesien für den Rest der Kontribution ahtroten wollte. Das führte
seinen Sturz nnd Hardenbergs "Wiedereintritt in üufs Ministerium liorboi, der
sich durchaus nicht bemUhtc, Be^nue zu halten. Mit einer lebenslUngliclien
Pension -Tou 3000 Thalern erhielt er am 4. Juni 1810 seine Entlaasimg;
Friedrieh Wilhelm III. bewilligte sie schweren Henens. Hardenberg blieb
nun, 4n8 1832 an der Spitase der preossischen Staatageschäfte.
- n> Am 16. Dezember 1809 war Napoleons Scheidung von Josephine
erfolgt; am 2. April 1810 fknd zu Paris die Vermahlung mit Marie Luise,
der „Tochter der CMsaren* statt; am 20. UEns 1811 wurde der „König von
Rom" geboren und durch ganz Europa, von Danzig bis Cadix, mit prunk-
yoüea F<'sten begrüsst.
r.3) Das Eintreten Xa])oIonn8 für Polen sowie die, Einvcrleil)ung dos
Herzog-tlmms OldenburjLj:, dessen Herrschcriamilie /um Zareniiiuise in nahen
verwandtschaftlichen Beziehungen stand, in das französische Kaiserreich
hatten Kussiand verHtimmt; am 15. August 1811 erklärte Napoleon bei dem
GratoiationBempfange, er werde in Polen keine Spanne abtreten (Rnssland
hatte, das Orossherzogthnm Warschau als Entschttdlgung für den Herzog von
Oldenburg vorgeschlagen), und da man eine Schadloshaltung In Deutschland
ausschlage, so beweise das, dass man den Krieg wünsche. Preussen musste
bei, der immer bedrohlicher werdenden Lage Stellung nehmen, zumal Na-
poleon nur noch schwankte, <»b er ihm vor oder naeli dem russischen Kriege
den Gnadenstoss geben sollte. Scharnliorsl war für Ansehluss an Kussland,
Hardenberg dagegen. Erst im Sommer überzeugte er sich von Napoleons
feindlichen Gesinnungen gegen Preusäcn. Mau eutsehloss sich zu KUstuugeu.
I>er Landsturm sdlte aufgeboten werden, die Kr Smper wurden in aller 8tilie
einberufen; gegen Ende August standen 75 000 Mann bereit Bechtzeitig
aber noeh erkannte der KOnig, dessen Torsichtige Natur hier ebmud .am
Platze war, dass Preussen allein in wenigen Wochen vernichtet sein
musste, dass ohne einen Bund mit Rnssland und Österreich nidits zu er-
reichen sei. Scharnhorst ging im September nach Petersl)urg, wo er aber
die Antwort erhielt, Russland kr>nne für Preussen nichts thnn. Da auch
Österreicl« den Kanii»f nicht Mutnehuien wollte, wurde am 24. Februar 1812
zu Paris das Büudnis.s mit i? "rankreich abgeschlossen, das der Kaiser nun, da
dlo Kriegsaussichten näher traten, selbst wünschte und durch niilltUrische
Massregcln erzwang.
64) Vom 16. bis 29. Mai weilte Napoleon mit der Kaiserin und einem
prunkvollen Hotlstaate in Dresden, wo der Kaiser von Österreich nnd der
König von Preussen sowie alle BhdnbundfKrsten dch einfanden, mn den
Gebieter Europas zu begrttssen.
66). Graf St Marsan war von 1809 bis zum Ausbruch der Feindselig-
keiten Gesandter Napoleons in Berlin und verstand sich auf diesem FosteipL
infolge seines GerechtigkeitsgefUlüs allgemeine Anerkennung zu erwerbeni
auch beim K(»nige.
6«) Schon an demselben Abend brach ou verschiedenen stellen der
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Aus den Tagebflchem des alten Heim.
131
Stadt Feuer aas; am 15. schlagen un allen Ecken and Enden die Flammeh
anf ; Bleben Tage und Niehte wttthete die Fenenbruist, die nenn Zebntd
der Stadt in Asche legte.
ot) pDie in grOester Galla Tersammelten liohen franiOslBdien und
preiuslBGfaen Autoritäten vom Militftr- und GiTiletande, das yom Minfsterimn
der answartigcn Angelegenlieiton eingelarlfne Corps diplomatique, das in der
Kirche paradierende Militär, die lu rrHrhc Musik machten einen imposanten
Eindruck und orrof^tcn 'm d< n (^eniüthcrn aller Ainvcscndon eine feierliche
Stimmung;. Beim Eintritt Sr. Exrollenz des llt^rrn Keielisniarschalls Herzoge
von Cajitiglione und des Staatskauzlers Freiherrn v. Hardenberg Excell.
begann nach etlichen Takten militärischer Musik die pompöse S3rmphonle
▼on Moxart, welche mit Fener nnd Leben von dem ganzen Königl. Orchester
exekntiert wnrde. Die Priester erschienen am Altare; Paoken nnd Trompeten
ertOntoi, nnd das ganze Orchester, vereinigt mit aXiea Solosltngem und einem
stark besetzten Chor, begann ein Tedenm von Haydn, trelcbes mit eben der
PrKcision und Energie, wie die vorenvähnte Symphonie, vorgetragen wurde;
Nach geeudigter Musik wurden die Rosponsorien gesungen und vom Chor
beantwortet. Unter I^aukcn- und Tromix tf-nschall entfernten die Priester
sich wieder vom Altare, und unter einer rauschenden militUrisehen Musik
verliessen Se. Excellcnz der Herr Keielismarschall Herzog von Castiglione,
nebst den übrigen Autoritäten vom Militär- und Givilstande die Kirche.
Während Absingnng desTedeums wurden die Kanonen im Lustgarten gelOst
Nachher war im Lustgarten grosse Parade. Mittags war grosse Tafel be!
Sr. Excellenz dem Herrn Reichsmarschall Herzog von Castiglione, zn welcher
des 'Staatskanzlers Freiherm v. Hardenberg Excellenz nnd die fremden und
hiesigen tmiion ^fiiitär- und Civilbehörden eingeladen waren." (Bericht in
der Vossischen Zeitung.)
M) Man vergleiche Troitschkes Urtheih Je Hinger der Staatskanzler im
Sattel sass, um so ofl'enkundiger wurden seine bureaukratischen Neigungen.
Olme feste Grundsätze, wie er in Verwaltangsl ragen immer war, fand er den
aufreibenden Kampf mit dem trotzigen Landadel egen Einführung 'der
Steinschen Reformen) bald unbequem und beschloss den festen Qrond der
ritterschaftlichen Macht, die Gntsherrschaft zn zerstören . . . auf gut napo>
leonisch-westphälische Art durch die Verstärkung des Beamtenthums. . . ,
Welch ein Gegensatz doch: die Gesetze Steins und die Experimente Harden-
bergs! ... In Hartlenbergs Geist kommen und gehen die Gedanken und
Einilille wie die Xebelhilder in einem Zauberspiegel. Dort alles planvoll,
lief, gediegen und darum auch al^i^ald in vollem Eniste durehgc tührt: hier
ein unsicheres Schwanken zwischen radikalen Doktrinen und despotischen
Neigungen . . . und mitten in diesem unfertigen dilettantischen Treiben doch
einige hochwichtige Reformen, des grOssten Staatsmannes wilrdig, eine Ent-
fesselung der wirthschaftlichen Kräfte, die dem Staate nachher ermöglicht
hat, die Wunden eines fürchterlichen Krieges auszuheilen. (Deutsohe Ge-
schichte im 19. Jahrlmndert, I. p. 379, 381.)
69) Die Stelle passt sehr gut; sie lautet: „Du bist auch g-esclilagen,
gleich wie wir, und gehet dir wie uns. Deine Pracht ist herunter in die
UüUe gefahren, sammt dem Klange deiner Harfen; Motten werden dein
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Bette sein,- und Würmer deine Decke. Wie bist du vom Himmel gefaUen«
du schöner Morgenstern? Wie bist du zur Erde gefiülot, der du die Heiden
seliwUchlesi? Gedaclitost du doch in deinem Herzen: Ich will in den Himmel
steigen und meinen Stuhl über die Sterne (iottfs erhöhen, ich will mich
setzen auf den licrg des Stifts, an der Seite ^r<r<'n Mitternacht, ich will über
die hohen Wolken falircu und gleich sein (iem Aiicrhoelisten. Ja, zur Hölle
flutet dUf zur Seite der Onibe! Wer dich siehet, wird dich nshenen und
amehen (und sagen): Int das der Mann, der die Welt zittern und die EOnig-
r^ehe beben machte? der den Erdboden zur Wflste machte, und die StSdte
darinnen zerbrach, und gab seine Gefangenen nicht los? Zwar alle Könige
der Heiden mit einander liegen doch mit Ehren, ein jeglicher in seinem
Hause; du aber bist verworfen von deinem Grabe wie ein verachteter Zweig,
wie ein Kleid der Erschlagenen, so mit dem Schwerte erstochen sind, die
hinunterfahren zu den Steinhaufen der H«Wle. wie eine zertr«3tenc Leiche.
Du wirst nicht wie dieselbigeu begraben werden; denn du hast dein Land
verderbet und dein Volk erschlagen; denn man wird der Boshaftigen Stimmen
n^punermdur gedenken."
-m) ]>ie VossiSGhe Zeitnng brachte diese Nachricht am 17.; am gleichen
Tage tbeüte sie einen Tagesbefdil des firansOsiscben Gonvomenrs van. Königs-
berg, Cardineau, mit, worin dieser einen französischen Sieg (!) bei Bereeiina
am 28. November bekannt macht Die Küssen hJÜten H Fahnen, 12 Kanonen,
80<M) Gefangene verloren. „Die Armee kehrt nach Wilna zurück, wo sie sich
bei den zahlreichen Magazinen von den erduldeten Strapazen erholen
wii-d" (I!).
61) Fürst Wittgenstein, Oberkammerherr und Staatsminister, der Ver-
traute Friedrich Wilhelms III., am Hofe und in Berlin bekannt durch seine
zahllosen Orden und ebenso zahllosen Schulden, seine spitze Zunge und seine
losen Streiche, deren bevorzugtes Ziel die Grfifln Voss war und yon denen
sie- selbst nnd Gubitz in seinen Erinnerungen viel erzUhlen.
62) Stephan Graf Zichy-Väsonykeö, geboren 178<>, war von 1810 bis
1827 Österreichischer Gesandter in Berlin. (Wilrzbach, Biogr. Lex. d. Kaiser«
thums Österreich, LX. p. 30.)
«3) Am 23. Januar war der K uüg nach Breslau gegangen, um in seinem
Handeln unabhängiger von der Irauzüsischen Besatzung Berlins zu sein. In
Qeriin hatte sich das Gericht verbreitet, Napoleon hätte beabsichtigt, ihn
gefangen zu nehmen nnd als Geisel für das Wolüverhalten Preussens nach
Frankr^h abführen zu lassen. .Ob dieser Gewaltstreich Erfolg g^bt
hätte, wurde stark bezweifelt; denn so treu das Volk auch zn seinem Könige
hielt, so war es doch entschlossen, die Befreiung des Vaterlandes auch ohne
ihn EU versuchen." (Parthey, .Tugenderinnerungf^n I. 338.)
ci) Angl es war während der fran/ri.siscli<'ii Okkupation im Heimschen
Hause einquartiert ^n wcsen und hatte sich durch sein liebenswiirdiges und
heiteres Wesen Aller l'reundcicliall erworben.
m) Der Marschall Augerean hatte im Jahre 1812 das Kommando des
11. Korps, das Napoleon zn seiner Bttckendeckung bestinmit hatte. Sein
Hauptquartier war Berlin. Als die ersten Kosaken in Berlin erschienen, soll
er in seinem Quartier von Volkshaufen angegrUfon worden sein; folgende
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Alis den Tagebflchero des alten Heim.
133
grusliehe firaDsOdsche Darstellung' — zugleich ein PrObchen flranzOiiseher
Geschichtschrelbong nnd Geographie — sei dem Leser nicht Torenthalt^;
»En arrivant k Berlin Ii 1a lin de la fatale retraite de Russie (stimmt nicht;
Augereau war während des ganzen Winters in Berlin), en 1813» U vis le
prcmier les Prossiens rompre la nentralit^ et fat assailli par des troupcs ivres
ot furiciiscs rlans une maison «vi il fut descendu, II s'y barricada et s'y
defeiulit, A l aid«^ do <|nolques compaja:nies franoaises avec un bonhour inoul'
et cüiunic s'il »'-tait hattu Eylau; 11 repous^a los assaillants <^t sortit de
Berlin saus avoir ou entamer sa troiipe. II se retira ?i Franklort sur
i'Oder dont il fut nomine (lo 9 avril 1813) gouverneur gön^ral. L'Em-
perenr M confidra anssl le gonvemement du grand<diieh6 de Wnrtzbonrg.*
Natttrlieh ging er nach Frankftirt a. Matal. Die Berliner Zeltongen, die sieh, so
lange die Franzosen in Berlin waren, die griteste Heserre anferlegen mnssten,
erwähnten den Vorfall gar nicht; die Vossische brachte am 23. nur eine Be^
kanntmachung der Ober-Iiegierungskommission» worin die Beirdlkenmg znr
Kulic erm;ihnt wird. Diese Aufford crnn fr bozop- sich nber nur auf den weiter
unten orwühnten Kampf zwischen Hürfjcrn und h'rauzosen an der langen
und Schleusenbrücke. Augereau versicherte der Regierungskommission am
21 , dass er die besten Absichten ttlr Ruhe, Ordnung und Wohlfahrt der
Hauptstadt habe. Auch Streckfuss, der in Band 1 seines „Berlin im 19. Jahr-
hundert" ehie sehr ansfllhrliehe Darstellnng jener Tage giebt, erwähnt nicht
eines Angrifft anf Angereao. Das genügt wohl» am die Haltlosigkeit der
allerdings hOchst poesierollea Darstellnng der „Nonv. Biogr. G^** naehsa-
. weisen.
m) Schon am 18. war es bei Werneuchen, 2 Meilen nordwestlich von
Berlin, zu einem ernsthaften, für die Franznson nachtheiligen Gefechte ge-
kommen. Am 20. schössen sich die Kosaken unter Tschernitschew und
Tettenboni mit den Franzosen an den östlichen Thoren Berlins herum und
drangen in die Stadt ein. Der junge Alexander von Blomberg, der sich
ihnen mit mehreren Deutschen angeschlossen hatte, fiel dabei als erstes Opfer
des Befreiungskrieges.
«v) Eine von diesen Kanonen wurde von den Berlineni erbeutet
und bei der SchleusenbrUeke in die Spree geworfen. Eine ansebauliebe
Schildernng des Kampfes an der langen Brücke giebt Streckftiss, BerUn im
19. Jahrhundert II. 32 f. (Parthey, Jngenderinnerungen I. 339.)
68) Die Sch.'ltziing ist etwas ZU niedrig: Yorks Korps war 12 DUO Mann
stark und hatte 7(t (Jeschiitze. — Streng und finster streifte der Blick des
„Mannes von Tauroggen" über die hoeliautjubelnden Massen. (Treitschke.)
ob) l^eyme führte dieses Amt 15 Monate lang; den ZeitverbUltuissen
entsprechend widmete er seine Hanptthätigkeit den militärischen Veriilllt-
ttissen.
7o) Parthey erzählt in den sehon Öfter zitierten Jugenderinnemngen
(I 341), dass der König sich am 20. März auf der Parade im Lustgarten
gezeigt habe; „ieh kann aber nicht sagen, dass ihm ein aasserordentlicher
Enthusiasmus entgegen gekommen sei". Diese Datierung ist nicht richtig;
der ,,Voss. Ztg." zufolire reiste der K^>nig am 21. von Breslau ab, w;»r .nn
^iacbts in Potsdam, begab sich am 24. von da nach Charlottenbnrg und
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Geatg StegeriBt
ritt am Mittag dieses Tages von dort durch das Brandenburger Thor mit den
Prinzen und der GeneralilUt nach dem Schlosse, Die russischen und preussi-
sclien Truppen bildeteu auf dem Wege Spalier. (Voss. Ztg. vom 25. Märs 1813.)
71) Spandau, das mehrere Wochen hfndureli von den Prenssen unter
Thttmen bela^rert wurde, kapitulierte am 25. April, als durch eine Bombe
das Pulvermagazin an£ der Zitadelle in die Lnft gesprengt wurde. Näheres
UT)er die Belagerung und das Aussehon von Stadt und Festung nach der
Kapitulation erzilhlt sehr ansprechend Parthey, I. 349 ff., vgl. auch Streck fuss.
72) Schlacht bei Lützen (Grossgörschen) am 2. Mai, in der Scharnhorst
seine tödtliche Wunde erhielt.
73) Grund zu der Resorgniss bot der im russischen llnupt(iuartier be-
schiüösenc Kückzug der Verbündeten über die Elbe durch Sachseu nach
Schlesien. Zum Schatze Berlins wurde der Landsturm unter die Picke ge-
rufen. Auch hierüber erzShlt Partfaey Tieles.
V4) Der Bdtritt Österreichs zum rusaisch-preussischen Bündnisse erfolgte
erst am 27. Juni zu Rdchenbach. Am 10. April hatte Napoleon in Wien
eine TheUung Preussens (Österreich sollte Schlesien erhalten) unter Österreich,
Sachsen und Westfalen vorgeschlagen. (Österreich lehnte es ab und ver-
langte im Mai von Napoleon die Auflösung des Kheinbundcs, des Herzog'-,
thums Warschau, die Herausgabe der frnnzr>sisehen Erwerl>ungen zwischen
Ems, We.ser und Elbe, sowie die Ilerstellun;,' Preussens. — Statt Saciiscu
muss es natürlich Schweden beisson; am 30. A)*ril meldete der preussiscbe
Gesandte tai Stockholm, von Tarrach, der Vertrag mit Schweden sei verein'
bart, und er boiTe auf seüie Ratifikation. Vollzogen wurde er erst am 22. Juli.
(Oescliichte der Nord-Armee im Jahre 1613 ~ Beiheft zum Uilitlirwocben'
blatt I.)
76) In diesen Tagen der Furcht vor einer neuen französischen Okku-
pation fand eine förmliche Auswanderung aus Berlin statt; viele tiüchteten
nach Schlesien. Die Furcht war begründet; wUhrend Napoleon dem Heere
der Verbündeten folgte. >nllte Ney ein»'n Vor.stoss gegen Herlin unternehmen,
wurde aber zurUckgerutcn, da Napoleon seine Streitkräfte zum Angriffe bei
Bautzen sammelte.
n) Der Berliner Landsturm exerzierte sehr ernsthaft, blieb aber Ton
dem Beriiner Witze nicht yerschont Man hatte herausgefunden, dass in der
Wilhelmstrasse Falstaflte Rekruten beisammen waren. Schatte war der blasse
Direktor Zeune, Vorsteher der Blindenanstalt, Schwächlich der unansehnliche
Niebiilir, Warze der etwas venvachsene Schleiennaeher, Pullenkalb der dicke
Buchhündler Reimer, Schimmelig der sehr blasse und sehr blonde JTranz
Horn. (Piirthey I. 3C0.)
n) Schlacht bei Bautzen am und 21. Mai. Die Verbündeten wichen
weiter bis Schlesien zurück, obwohl sie einen moralischen Erfolg davon-
getragen, hatten.
76) BfUow hatte am 2, Mai Halle genommen; am 4. erhielt er aus dem
Hauptquartier Wittgensteins die merkwürdige Nachrieht, dass die Schlacht
bei Lützen gewonnen sei; die Verbündeten zögen sieh jedoch hinter die Elbe
zurück, General Kleist ]>is Würzen. Wittgenstein forderte ihn auf, wenn es
nöthig sei, sich ebentails auf das rechte Elbufer zurückzuziehen, der König
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Am den TiisMtdMm dm «Heu Edno.
185
l)ofahl ihm das «ifleiche niitor d< in 3. Mai von Prag aus, falls der Feind die
Marken angreifen werd»'; er solle dann Landwehr und Landsturm org^ani-
siii't'n. Bülow nahm nun mit Keeht an, dass die Schlacht bei Lützen ver-
loren sei, setzte sich mit dem Gouvernement von Berlin in Verbindung mid
ging am 5. bei BoesUii sof das rechte Elbnfor. Die Fraoxosen unter Ney
hatten aieh in der Th»t nach Norden in Bewegung geeetit; die Korps Ney
und Laniiaton marschierten von Leipzig gegen Torgan, Victor nnd Sebastisni-
waren bis Bernburgf und Calbe vorgedrung^en. Am 8. /3mannle der König
BUIow zum 0))(^>rh(>t'oblshaber in den Marken. Die Landwehr war noch hOehst
mangelhaft, die Bildnnpr des Landsturms untor dem 5. befohlen worden.
Bülow wollte die Verthcidigung Berlins, wie es ihm Boyon schon früher vor-
geschlagen hatte, ge<leekt durch die sumpfigen Gegenden zwisc hen Nuthe und
Nolle auf der Linie Potsdam— Öaarmund—Trebbin—.Mittenwalde—Königs-
Wnsterhausen führen. Inzwischen waren die Franzosen bei Torgan und
Wittenberg über die Elbe gegangen. Bfilow zerstörte nun den Übergang
bei Bosslan nnd marschierte auf der Stresse von Wittenberg gegen Berlin
znrttck. Der Feind marschierte seitwttrts anf Lnckan nnd erweckte dadnfeh
in Bülow den Glauben, er wolle seine linke Flanke umgehen. Er ging bis
^reuenbrietzen und Beelitz zurück und besetzte Luckenwalde und Baruth.
Infolge dieser preussischen Bewegungen gab es in Berlin fjrosse Auf-
regung, Flucht des Uofes und der Einwohner etc. Ney, der in der That
den Befehl hatte, Berlin zu nehmen, hatte auf den Hath des Generals Jomini
eigenmächtig seinen Marsch geändert in der Absicht, sich mit Napoleon
gegen das bei Bantzen siehende prensslseh-msslsche Heer m, yereinigen.
Er marsehierte am 17. von Lackan anf Sprembeig nnd Bantien ab; In Kalan
traf ihn em Befehl Napoleons, der ihm dasselbe befahl. Diese Absicht Neys
erkannte BtUow erst am 18. L'Estoq, der IfilitHigonTemenr In dem Lande
zwischen Elbe und Oder, hatte dies schon fHiher erkannt und Bülows Zu-
rückgehen für einen Fehler gehalten. Dazu kamen Schwierigkeiten im
Kommando; L'Estoq hatte als (General der Kavallerie einen höheren Rang
als der erst vor zwei Monaten zum Generalleutnant ernannte Bülow. L'Estoq
erliess am 18. einen die Bürger Berlins beruhigenden Artikel, worin er er-
klärte, Bülow werde sofort wieder zum Angriff tibergehen. Der darin ent-
haltene indirekte Vorwurf rief die öffentliche Mlssstimmnng gegen Blllow
hervor. Am 19. brach er nach Bamth anf, konnte Jedoch nnn die Verelni-
gnng Neys mit Napoleon nicht mehr verhlndem. (Beitske, Qesehichte der
Befreinngskriege I. 404 ff.)
79) Am 19. fanden Gefechte bei Königswartha nnd Weissif statt; Barklay
deTnlly und York sollten an diesem Tage den heranmarschierenden Marschall
Ney \ ertündern, sich mit Napoleon za vereinigen, was ihnen aber nicht
gelang.
80) Die Kückzugsgefechtc bei Reichenbacb, Markerndorf und uameutlich
bei Ilaynau am 2G., wo Blflcbers Kavallerie einen ftnaserst kecken Überfoll
ansfllhrte, hemmten die Franzosen in Ihrem Vormarsch.
•i) Hit diesem Tage begann die Schreckensherrschaft des Msrschalls
Davonst in der alten Hansestadt.
8s) Der zn Poischwitz am 4. Jnni abgeschlossene Waffenstillstand sollte
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Geoig Siceeriflt
zuorst nnr 20 Ta^e dauern und wurde dann bis zum 16. August verlängert.
Während dessen erlolgtc der AnBchluss Österreichs und Schwedens an die
Verbündeten.
<t) Am 24. Juli kam Benudotte naeh Beriin, vm lieh in seiner neuen
Funktion als Oberfeldherr der Nordannee mit den Truppen, den Personen
und den Verhiltniaeen Tertraut sa maehen. Am folgenden Tage maohte er
Besuche bei den rrinz( n und Prinzessinnen, imd am 26. Abends 6 Uhr be«
sicbtigte er auf dem Exerzierplatze im Thiergarten, dem jetzigen KOnigB-
platze, die in und bei Uerlin stehenden preussischeTi Truppen, von denon er
einen selir guten Eindruck empfing. (Bericht Bülows an den König im Beiheft
zmn MilitHr- Wochenblatt. 1859. Erstes Heft, p. GH.)
m) Am 10. Augufit war der Walieuatillstand von den Verbündeten ge-
kündigt worden; am 16. nm lOttemaeht lief er ab.
m) General Jomini, ein geborener Sohweiaeri trat, naebdem er zaerrt
seiner Heimath gedient hatte, 1801 in franaOaiBOhe Kriegsdienste nnd zeicimete
sieh in Throl, ÖBterreich, Preossen and Spanien ans. Infolge einer Zmüek-
Setzung, die er durch den Marschall Ney erfhhr, verlangte er — damals
Oberst — seinen Abschied und bot seine Dienste dem Kaiser Alexander an,
der noch in innigster Freundschaft mit Napoleon lebte. Napoleon berief'
Jomini nach Paris und liess ihm die Wahl zwischen Gefängniss nnd I^et75rde-
rung zum Brigade-General; natürlich wählte der Oberst das letzte. Im
russischen Feldzuge weigerte er sich, gegen Alexander zu fechten und blieb
französischer GoaTemenr.von Wilna. Naeh der Schlacht bei Lützen wurde
er wieder Neys Qeneralstabschef j als solcher hatte er, wie schon erwfthnt,
wesentliehen Antheil an der Vereinignng Nejra mit dem Kaiser vor der
Sehlaeht bei Bantaen. Ney schlug ihn sun Divisfonsgeneral Tor, Bertfaler
verhinderte es; Jomini wurde ttberhanpt von der Avancementsliste gestrichen
und in Arrest gesetzt, weil er nicht zur rechten Zeit seinen Bericht über den
Stand der einzelnen Regimenter eingereicht hatte. Er quittierte nun den
französischen Dienst und begab sich ins Lager der Verbündeten, wo er jedoch
in keiner Weise Verrätherei trieb, wie ihm später vorgeworfen wurde. Na-
poleon selbst hat dies auf St. Helena anerkannt. Hier bei den Alliierten traf
Jomini Napoleons alten Waftangefllhrten, jetzt grimmigen Gegner Moreau,
der seit 1804 aus Frankreich verbannt, nachdem er wegen Theilnahme an
einer VerschwOnmg gegen den ersten Konsul zun Tode ▼enirtheilt worden
war, von Amerika gekommen war, um den Imperator bdlmf^lBn zu helfen.
Bn) In Trebbin vertheidigte sich am 23. Major von Clausewitz mit
5 Kompagnien Ähne Artillerie fünf Stunden lang (von 1 bis 6 Uhr Nach-
mittagsj gegen das 12. französische Korps unter Oudinot, der die Stadt mit
Granaten bewerfen liess, die aber nicht zündeten. Um 6 Uhr zog sich
Clausewitz nordwärts zurück, Oudinot blieb bei Treljbin stehen. Ebenso
machte das 7. französische Korps bei Nunsdorf Halt, welches Miyor v. Wedel
nach tapferer Verthmdigung geräumt hatte. General Bertrand stand mit dem
4. Korps nach einem Gefecht bei Mellen westlich von Trebbfai bei Schünow
und Dargischow. (Geschichte der Nordarmee 1813. p. 241 IT.)
87) Bekanntlich ging der Schlacht von Grossbeeren am Abend des
23. August du Vorpostengefecht am Nachmittag voraus; H^jor v. Sandrart,
AoB den TagebQdiem dds alten Heim.
137
der mit 3 liataUlonen, einer halben üptüncligen Batterie und dem 1. Leib-
Imsareiiregimeiit Grosabeeren 1>^uptete, wurde um 4 Uhr dureh die
d. BKehsIsebe Dtvisioii (y. Salur) des Korps Reynier angegriftea und zog sich
nach einem heftigen Artüleriekampfe bis Heinersdorf sorttek» worauf Bema>
dotte den Rttckzn^ hinter Berlin befahl. Beynier liess naeh der Einnahme
Grossbeerens seine Truppen ins Biwak rücken. Erst um 6 Uhr Abends lie-
g"ann Bülow die Schlacht s(*Il>st. (t^'ber den Verlauf verj^:!. die schon öfter
citierte „Geschichte der Nordarmee im Jalire 1813" p. 315 ff. sowie „die
Schlacht von Grossbeeren" bei Fontane, Wanderungen durch die Mark
Brandenburg, Bd. IV.)
Rs) Es war< n nur I i (Geschichte der Nordarmee I. 34b.) Auch Parthey
(p. 386) hat M) Kanonen.
89) Vergl. „Berlin in den Tagen der Schlacht von Grossbeeren" in
Tietz, Bunte Erinnerungen an Irühere Persönlichkeiten, Begebenheiten und
Theaterzostfinde ans Berlin.
m) Die Schlacht bei Dresden am 26. und 27. Augost, welche den Bilde-
zog der Verbündeten naish Böhmen, aber auch die Vernichtung des Korps
Vendanune bei Knlm und Nollendorf dnrch den heldenmütbigen Widerstand
der Rossen Ostermanns nnd den kühnen Angriff Kleists am 29. nnd 30. Angust
znr Folge hatte.
9i) Dies Urtheil Heims trifit absolut nicht za.
ri) Parthey erzählt, dass namentlich viele preiissische Soldaten an den
Beinen verwundet worden seien und begi iiiulet dies damit, dass die jungen
16— 17 jährigen Kekruten, die den grüssteu Theil vieler französischer Regi-
menter bildeten, das schwere Gewehr beim Anlegen und Schiessen etwas
sinken liessen. (p. 394.)
m) Bei Dennewitz. Es wurden 53 Kanonen erobert nnd (naeh BfUows
Bericht) 13 500 Gefangene gemacht ((rescMchte der Nordarmee. 3. Heft
1865. p. 98.)
94) Moreau war bei Dresden am 36. August an der Seite des Kaisers
Alexander tötlich verwundet worden ; eine Kanonenkugel einer ft-anzOsischen
Gardebattcrie, die Napoleon selbst leitete, sserschmetterte ihm das rechte
Knie. Er starb am 2. .September.
95) Gefecht an der Gehrde unweit Lüneburg am 16. September; Qeneral
Wallmoden schlug die Franzosen unter Pecheux.
«.,) Nn[M)leon hatte den kühnen Entschluss gefasst, mit seinem ganzen
Heere auf das rechte Ufer der Elbe zu gehen, die Mark und Berlin zu er-
obern, dann gegen die Elbe wieder Front zu machen und Magdeburg zum
Sttttsponlcie seiner weiteren Untemehmnngen zu nehmen, um so der Ihm
drohenden Umklammenmg bei Leipzig zu entgehen. Am 11. Olctober hatte
er sein ganzes Heer aof dem linken Mnldenfer zwischen Elbe nnd Hnlde
beisammen nnd wollte bei Wittenberg nnd Bosslan Uber die Elbe gehen;
das Korps Reynier und die Division Dombrowski thaten dies auch wirklich
und entsetzten Wittenberg. Ney drang auf die Hriieke von Hosslau ntid
Dessau vor. um Kundschaft v>ni der Nordarmee zu erhalt<-n, stiess auf Tau<'nzieri
und warf ibu Uber die Mulde zurück. Tuueuzien ging auf das rechte Elb-
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Ufer und zerst^vrto die Brücke liicil weise, vereinigte sich dann mit Thümen,
der die Belagerung von Wittenberg aufgegeben hatte und beide zogen sich
weiter auf Zerbst zurück. Nur dadurch, dass die liauptarmec der Ver-
bttndeten auf Leipzig marschierte and es wegzonehmen drohte» wnrde Na-
poleon zur Umkehr bewogen. (Beitzke, Geschichte der Freiheitskriege, L
p. 419 ir.)
07) Tauenzien war in Gcwaltmiirschon naeh Berlin marschiert, um die
Stadt vor einem vermeintlichen Angrifl'e Napoleons zu schützen ; in der Nacht
vom 15 zum in. kam er an; ,,dio Dunkelheit musstc den Bewohnern der
Stadt den Zustand verhergen, in weklun der Cewaltmarech seine Truppen
versetzt hatte." Gueiseuuu nannte diese rückwUrtigo Bewegung eine schmäh-
liche Flucht.
•s) Bemadotte, der mit Blücher Uber die Saale gegangen war, war
dnrch Napoleons Plan in die änsserste BestOrzung gerathen, wtthrend Blücher
ihn nnr für eine Drobnng hielt, um für die Elbebrücken besorgt zu machen.
Bemadotte meldete ihm den Übergang der Franzosen als gewiss und forderte
ihn auf, zur Rettung Berlins mit ihm auf das rechte Elbufer zurlickzukchren.
Einen Befcld vom Kronprinzen von Schweden, auf Berlin zurückzugehen, hat
Tauenzien nicht erbnlten.
99) In Wirklichkeit wurden l'jOOO Mann gefangen genommen, 300 Ka-
nonen, 900 "Wagen erbeutet. In den Leipziger Lazarethen Hessen die
Franzosen 23 000 Mann, darunter 27 Generale und 3000 Offiziere zurück.
100) Nicht Augereau ertrank, sondern Fürst Poniatowsky. Angerean,
im Januar 1814 Kommandeur des Korps bei Lyon, üel als einer der ersten
von Napoleon ab. Schon im Februar unterhandelte er mit den Österreichern.
101) Bei Kösen versperrten die Österreicher unter Oiulay den Übergang
über die Saale; das Kückzugsgele 'ht fand auch nicht bei Weissenfeis, sondern
bei Freiburg am 31. Oktober statt; der Vortrab des Yorkschen Korps fllhrte
es; abgesehen von is erol)erteu Kanonen und etwa 1000 Gefangenen war es
ergebni.ssl()s. iBeitzke I. 567.)
102} Dem Könige Friedrich August von Sachsen hatten, nachdem seine
Truppen im Laufe des 18. Oktober zu den Verbündeten Übergegangen waren,
die Verbündeten am 19. erkUtrt, dass er ihr Gefhngener sei; er wohnte den
Winter über im Berliner Schlosse. Im Frül^ahr zog er nach Friedrichsfielde,
um den Äusserungen des Grolles und Spottes, mit denen die Berliner nicht
kargten, zu entgehen. Nach .\bschlu88 des 1. Pariser Friedens begab er
sieh auf Einladung des Kaisers Franz nach Österreich. VergL das Kapitel
„J'riedrichsfelde" in Fontanes Wanderungen IV.
103) Nachdem Heim ilem Krtnige seinen niückwunseh ausgesprochen
hatte, bemerkte er, Sc. Majestät häiteu heute wohl noch Viele zu empfangen
und empfahl sich, ehe er entlassen worden war. Friedrich Wilhelm erzllhlte
mit Anspielung hierauf später oft, der alte Heim sei der einzige Menzch ge-
wesen, der ihn einmal habe stehen lassen. (Kessler, Leben Emst Ludwig
Heims. 1. Aufl. IL p. 165.)
104) Nachdem Napoleon am 30. und 31. Oktober die bayerisch-Oster<
reichische Armee unter Wrede bei Hanau gesehlagen hatte, traf er am
9. NoTember in Mainz ein; von seinen Uunderttausenden rettete er 70 000,
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Aas dem TigebOchem das alten BiAm,
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zum grössten Thcil crschiipft oder krank über den Klioin; von 700 Ge-
schützen, die er noch bei Leipzig gehabt, brachte er uur 200 hinUbcr.
(Beitzke I. 598.)
joö) Der allgemeine Übergang verzögerte sich jedoch bis zum 1. Januar;
sehr zum Zorne Bittehera imd Onefsenaus yerhaodelte man wochenlang.
Napoleon war >am 9. November in Paris angekommen, wo er mit Umgebung
des gesetsgebenden KOrpers die Abgaben betrftcbtliQh erhöhte und den Staats-
schatz von 200 Millionen Franken zur Weiterfttbmng des Krieges verwendete.
Am 11. bewilligte ilmi der Senat eine neue Aushebung von 300 000 Mann,
nachdem am s. OktTlicr bereits eine solehe von 280 000 fjenehmigt war.
loes Toriraii ri\^';ih sich, naclulcin Uesatzun«»- und Einwohjier einer der
farehtbnr>ten r\i)hu;^cpi(U'nii('u zum grüssten Theil erlegen waren. Es
starben gegen 30 OOO Menschen.
w) Blücher schlug am 17. Januar in Nancy sein Hauptquartier auf
nnd hielt dort eine wohl durchdachte Rede an die Lothringer, die Übersetzt
nnd allenthalben hin verbreitet wurde. Sie ist in Yamhagen von Enses
Biographie Blüchers abgedmckt
ioh) Nachdem Blflcher bei Brienne am 29. Januar von Nai»ob'on znrttck-
gedrttngt AvorrUn war, scldu^j er ihn bei La Rothii're am 1. Febjuar.
109) Am L Februar war Chalons genommen worden, bei welelicr Oe-
legenlieit die jtreussisehe Landwehr 50 uoo l-Masclieii Champagner die Hälse
gebrochen haben soll; in den (Jefeehten von Cliampaubert und Montmirail
am 10. und 11. Februar schlug Napoleon die Korps von Sacken und York
und drängte dann in einer Reihe weiterer Gefechte Blttchen Armee zurück
Aber die Marne.
110) Der FHedenskongress von Chatillon, von Metternich ins Leben ge-
rnfen, dauerte vom 5. Februar bis zum 18. Kürz. Die Verhandlungen
scheitcrtoTi an den nbemittthlgen Forderungen Napoleons, der Frankreich
mit den Grenzen des Kheins und der Alpen, Italien für seinen Stieftolm
Eugen etc. forderte. (Beitzke III. 339.)
m) Der Senat, am 1. April von Talleyrand berufen, >pi;ieb die Ab-
setzung um 2. aus. — Marmont, der noch Paris am .iO. Miirz verthcidigt
hatte, fiel am 4. April von Napoleon ab; ihm folgten Berthier, Ney, Lefebvre,
Ondinot, Macdonald. Am 11. unterzeichnete der entthronte Kaiser die Ent-
sagnngsurknude: „Da die verbündeten Mttohte erklärt haben, dass der Kaiser
Napoleon das ein:^ Hindemiss des Friedens in Europa ist, so erklttrt der
Kaiser Napoleon . . . dass er bereit ist, vom Throne zu steigen und Frank-
reich zu verla.ssen . . ." (Beitzke III 422.)
111 h) 300 Mann wäre etwas wenig gewesen. Im ganzen wurden
10 000 Manu ges)»fist, liOOO Unter den Linden, 4000 im Lustgarten. Der
i^ciiluss des Feste.^ \var allgemeine Betrunkenheit, icf. Streckfuss, Beriiu im
l'J. Jahrhundert, Iii. p. 144 f.)
Iis) Der Kongress dauerte vom 18. September 1814 bis 19. Juni 1815.
Kaiser Franz gab tflglieh 50 000 Gulden für die Kaiserliche Tafel, im ganzen
16 Millionen für den Kongress aus.
iti) Preussen erhielt die Hälfte von Sachsen, die Niednrlausitz, die halb«
OberlausitsE, sowie säetisiscbe Besitzungen in Thüringen (die neue Provinz
140
U60f(r BI6g0lltCi.
Sachsen), ferner Schwedisch-Vorponinioni und bildete auB den rlu inischen
Er\verl>unjJi:en die neuen Provinzen Rheinland und Westfalen, aiU den Über-
resten seiner |>ohjisclion Besitzungen die Provinz Posen.
m) Hlflcher iirthtMltc fibrr den Kongress: ,, Der Wiener Kongress gleicht
einem Jahrmarkt in einer kleinen Stadt, wo ein jeder sein Vieh hintreibt,
es zu vertauschen oder zu verkaufen. W^ir haben einen tüchtigen Ballen
hingebracht und einen sehHbigen Ochsen eingetauscht. "
1151 Najjoleon landete am 1. März in Cannes mit ODO Mann.
uo) Die l^cvolutionszeit schien mit Xaiioieoii^ Uiickkehi' wieder aufzu-
leben. Es bildeten sich Klubs, die Arbeiter verlangten Waffen, die kaiser-
liche Garde marschierte nach den Klängen der Marseillaise und sang das
ira". Lncian Bonaparte gab Beinern Bmdw den Rath, sich, auf das demo-
kratische Element zu sttttzen und als Konsul oder Diktator dem Auslände
gegenttberzutreten. Napoleon aber hatte seine alte Abneigung gegen Volks-
bewegungen und gegen den Jakobinismus nicht abgestreift und so kam es,
dass der demokratisch gesinnte Mittelstand in der am 22. April erlassenen
Zusatzakte zu der Reichsverfassung A'^e additionel aux constitutions de
Tempire), die eine gewählte Volksveriretung, Pressfrcihcit, Petitionsrecht,
Bescliriiiikung der niilifärisclicn Gericlitsbarkeit versprach und als Schaustück
das alt-merovingische Maifeld wieder aufleben liess, mit ihren übrigen Be-
stimmungen, Wiedereinrichtung der erblichen Peerage etc. seine Ho£Ebungen
nicht erfüllt sah und missvergnUgt wurde, vor allem auch, weil die Akte
erlassen, aber nldit vom Volke berathen und angenommen wurde.
117) Schon am 13. Hftns war Napoleon auf dem Kongresse für einen
Feind und Störer des Weltfiriedens erklärt worden. Die lüngs der flransOsi-
seben Orenze yon den Niederlanden bis zum Oberrhein stehenden Truppen
der Verbündeten — Engländer, Preussen, Sachsen, Russen, Österreicher —
setzten sich gegen ihn in Bewegung; am 8. Juni brach er mit 128000 Mann,
darunter die alte Kaisergarde, von I^aris auf.
iit>) Schlacht bei Ligny und St. Amand la llaye nOrdiich von Fleurus
am l»i. Juni.
uu) Am 22. Juni entsagte Napoleon zum zweiten Male zu Gunsten seines
Sohnes; an seine Stelle trat nicht eine Kegentschaft, wie er es gewilnsefat
hatte« sondern eine RegierungskommisBion von 5 Mi^liedem mit Fonohd an
der Spitze.
120) Am 3. wurde zu St. Cloud eine Konyention abgeschlossen, der zu-
folge sich die französischen Trni>pen bis hinter die Loire zurttckzogen. Am
7. besetzten Blüclior und Wellington Paris.
121) .Am 2S. Juni hatte sich Napoleon nach Hochefort begeben, um nacb
Amerika zu entkommen; enirlische Kriegsschiffe hatten aber den ITafen
l»I(u kiert. Darauf suchte er an Hord des englischen Linieiiseliitles ,.Belle-
r<>|'li(>ii" Sehntz; als er an d< i- englischen Küste ankam, erfuhr er, dass er
Staatsgefangener sei; am 31. Juli wiesen ihm die Verbündeten St. Helena
zum Aufenthalt an, und am 7. August segelte er dahin ab.
im) Ney hatte Ludwig XVIIL erklärt, er werde den Usurpator gefesselt
nacb Paris bringen; am 13. Marz ging er zu Napoleon ttber. Nach der
Ans den Tagebtkoh«m dM ■tten Heim.
141
Rflekkehr der Bourbonen wurde er, der sich noch in Frankreich aufhielt,
obgleich ihm Talleyrand und Fouchö PSsBe nach der Schweiz gegeben hatten,
verhaftet und von der Pairskammer zum Tode verortheilt, trotzdem nach
der Konvention von St. Cloud niemand wegen seiner [)olitischen irandluiigen
und Gesinnung'en verAtlp^t werden sollte. Wpllin^rton wurde von seinen
eigenen Laiiflsleuten bestürmt, gegen diesig icchlswidrif^e Verfahren aufzu-
treten, that es aber nicht. Am 7. Dezember wurde der iMarschall an der ,
, Oartenmaner des Loxemboorg erscboääen; er selbst gab das tödtlicbe
* Kommando.
ut) Im Jahre 1815 erschien Schmaltz' berüchtigte Flugschrift: „Berichti-
gong einer Stelle in der Bredow- Ventnrinisehen Chronik iUr das Jahr 1808.
Ober politische Vereine und ein Wort Uber Schamhorst nnd meine Vei'hält-
nisse zu ihnen", die eine Dennnsiatlon der nach seiner Ansieht in Dentsch-
land noch fortbestehenden GeheimbUnde, wie des Tugendbandes nnd tthn-
licher, von Schmaltz revolutionärer und unmoralischer Tendenzen angeklagten,
enthielt. Die Schrift entfesselte einen stürmischen Federkrieg; Sclileicnnacher,
Niebnhr, Koppe. Krug, Rühs u. a. traten gegen Schmaltz auf Der Streit wur<l<>
so heftig, (iass durch eine K^)niglif'iie Verordnung vom (>. Januar lölü jede
Polemik und Jede weitere Publikation über Gehcimbiinde verboten werden
muBste.
n*) Der Kuhm des weiblichen ünterofHziers drang um die ganze Erde;
Chamisao fand anf der Weltreise des Rariek in einer spanischen Zeitung aus
Mexiko In San Fraiisisco 1816 eine lange Biographie Ton ihr vor. Sie hiess
flbrigens nicht Angnste, sondern Johanna. (Chamisso, Werke, Gottasche Ans*
gäbe m. p. 1S8.)
im) Philipp Wilhelm Jacobi -KIQss, bUrgerUeher Abstammung, stand
seit 1766 im diplomatischen Dienste Prenssens. Er vertrat . Preussen in
Rastatt 1798/09 nnd schloss 1807 den Subsidienvertrag mit England ab. Von
1792 bis 1816 war er mit Unterbrechungen Gesandter in London. Geboren
1745, starb er 1817 in Dresden. — Ein Spottbild ans dieser Zeit fügt Na-
poleon eine unförmliche Korpulenz zu.
la«) „Unter der Burg bauete er ein Spielhtm.s, und verordnete, dass sich
die stärksten jungen ricsellen darin üben mussten. Und das heidnische
Wesen nahm also überhand, dass die Priester des Opfers nocli des Tcini)el.s
niclit mehr achteten, sondern liefen in das Spielhaus und sahen, wie man
den Ball schlug, und andere Spiele trieb, und Hessen also iljrer Väter
Sitten fahren, und hielten die heldntaehen für küstlich.* — Der erste
Angriff gegen die Tnmerei, die allerdings in Jahns Urteutonenthum,
der Verachtung alles Ästhetischen, der ttbermAssigen DeutschtbOmelei und
alles übersteigenden Grobheit grosse Schattenseiten hatte, im Übrigen aber
bei Hardenberg und Altensteiu in Ansehen stand, ging von Steffens in Breslau
in seinem Buche: ,,Die gegenwiirtige Zeit und wie sie geworden" (1817) aus.
StelTf'iis gOf<H aber das Kind mit dem Bade aus; er verkannte den ^utcn
Kern der Saciie. Es begann d<T Brcslauer 'l'urnstreit; Berliner iJeniiii^^o^'-en-
riecher, Wadzck, Scheerer, Colin witterten Gefahren. Jahn und seine 1 unu r
sdiimpften wahriiaft tentouiscb Uber „dieäu viclküpligo Otter, dies Gezücht,
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142
Georg 8i«g«ritt.
das sich mit Recht Schriftsteller nennt, weil es wirklich Anderer Schriften
nachstellt." Der Streit wurde immer wilder und der König, dem das ahg^e-
schmaekte und roho äussere Treiben, womit Jalin den tüchtigen Korn der
Sache wuiiderlich verhüllt liattf, olmohiii schon vcrbasst war, wurde immer
unwilliger. .So bcdurltc es nur des Anstosses der Demagogenverfolgung von
1819, nm aueh über die Turnerei den Stab zu brechen, (cf. Treitschke,
. Deutsche Geschichte im 19. Juhrhdt. IL 385 ff.)
ist) Gnstav Parthey schreibt» abweichend von der allgemehien Ver*
^rung, die der »HHrtyrer* Sand genoss, ttber die That: „Welch* eine heil*
lose BegiifibTerwirmng musste in den KOpfen der Jenenser Borsehenschafter
herrschen, dass sie sieh einbilden konnten, dnreh eine solche Blatthat, an
dem a11orob(<rflSchlichsten Skribenten vollbracht, auch nur das ÄllAmlndeste
znni Wohle oder zur Einigung Deutschlands beizutragen! (Erinnerungen II,
2^9.) Sands Mutter hatte von Kindlicit an in ihm die Untugend der Selbst-
gercclitigkeit genährt; als Student iheilte sich in seinem kranken Hirn die
Welt in zwei Lae:er: hier die reinen, freien, keuschen Hurschen, dort die
Unterdrücker mit iliren Schergen. Luden und Folien in Jena haben viel an
Ihm gesündigt; hier erfUhr er, dass der Mord eines Vatolandsyerrlthers
Tcrdienstlich sei. In Jena schreibt er schon am 5. Mai 1818: „Wenn ich
sinne, so denke ich oft, es sollte doch einer mathig über sich nehmen, dem
Kotzebne, oder sonst einem Landesvenüther das Schwert ins OekrOse zn
stossen.*' Selten ist ein Mord planmiissiger vorbereitet and ausgcfUbrt worden
als dieser. Die Folgen waren bekanntlich gerade den erwarteten entgegen-
gesetzt: die Karlsbader Beschlüsse, die Einsetzung der iMinisterinl Kommission
zur Leitung der Untersuchungen gegen die Demagogen in l'reusscn, die
Karriere des Herrn von Kamptz. Am 20. Mai wurde Sand in Mannheim mit
dem Schwerte hingerichtet. Tarthey, der damals in Heidelberg studierte,
war ein Augenzeuge und hat nns eine genaue Beschreibang der EQnrichtong
hinterlassen. (Erinnerungen II. 359 f.)
i9s) Kamptz, „der Fanatiker der Angst'S wie ihn Treitschke nennt, der
schon ein warmer Lobredner der bekannten Sehmaltzschen Schrift gewesen
war, hatte dadurch den Hass der Burschenschafter auf sich geladen, die
seinen ,, Codex der Oendarnierie'' auf dem Wartburgfest mit verbrannten.
Jetzt wurde er der rüeksicliisloseste Verfolger alles Demagogenthums : Arndt,
Görres. Jahn, von Mühlcnfels Welker, sell)st Schleiermacher und de Wette
kamen nüt <ler Polizei in Konflikt. Der unglückselige neuerweckte Begrift
fand die vagcsten Auslegungen. Ein Berliner Referendar, der als Unter-
suchungsrichter fungierte, entgegnete auf die Frage eines schweizerischen
Studenten, er wisse nicht recht, was man in Berlin unter demagogisch ver-
stehe: „demagogisch heisst jedes gewaltsame Streben nach einer Verfassung"!
(Ein Konflikt mit der Berliner Polizei im .Tahrc 1M19 in „Im neuen Reich"
1876. L p. In der nachdrücklichsten Weise benutzte Kamptz die Presse,
um vor den Gefahren zu warnen, die <'s zu beklimi)fen gelte. Das Urtheil
Heims i>t recht bczeielmend dalui", wie veikelirt die Angstmeierei vor der
Gefilhrliehkeit der so;^'^enannten ..Demagogen" war.
li'i) Der Justizminister Beyme konnte nie vergessen, dass er Kabinetts-
rath gewesen war; daher wurde die alte Diflerenz zwischen ihm und Uarden-
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Ans den Tagebüchern do8 alten Heini.
143
berg, der sieh als Ministci-präsldent Itestrebte, die einzelnen Ressorts scharf
auseinander sa halten, auoti nicht abgeschwlcht, nnd er ging in ofltene Oppo-
Bition gegen ihn Uber, als Wilhelm v. Homboldt, erst seit dem 11. Januar
Minister des Innern, nach der Vcröffentlicliung: der Karlsbader BescblUsse
diese in einer Denkschrift angriff; er erblickte in ilinen eine Gefilhrdung der
Selbst.'lndigkeit Preusaens, da der Bundestaf,' durch sie dns Ixecht erlange,
sicli in die inneren i\jigelegenheiten des Staates ein7Auuischen. Neben
Beyme unterstützte General von Hoven Knmboldt; er fühlte sieh in seiner
geradsinnigen Soldatennatur durch die Demagogenriecherei angeekelt und
forderte wegen der Angrilfe auf die' Landwehr, seme Schöpfung, die als
Volksheer den ängstlichen Leuten in der Umgebung des Königs gefährlich
erschien, seinen Abschied. Ihm sebloss sich Karl von Grolmann an, der
geniale Chef des Oeneralstabes; „die traurigen Jahre, die er seit 1815 er-
lebt", bewogen ihn dazu. Boyen forderte seine Entlassung am 13., Grohnan
am 17. Dezember. Äletternieh bepMlsste ,, diesen neuen Triumph der guten
Sache" mit iinverliolencr t'reude. Die Nachfolger der entlassenen Minister
waren Schuckniann für Inneres. Kircheisen Hir Justiz. Bcynie schied ^mit
zerrissenem Herzen", Huniboidt „mit dem Bewusstüein, immer nur des
KlInigB und des Staates Wohl vor Augen gehabt zu haben". Auch
Humboldt ▼ensichtete auf Pension. Boyens Nachfolger wurde der General
Karl von Hake, unter dessen Leitung die nothwendige Nenformation der
Landwehr als Bestandtheil des stehenden Heeres, nicht als Miliz durchge>
führt wnrde.
im) «Itfan wunderte sich allgemein, dass der starke wohlbeleibte Mann,
der geistige Getrftnke ttber alles liebte, sieh nach Leipzig in die Kur des
Dr. Hahnomann begelu i^, dessen homiföpatbische TIeilmethode in diätetischer
Hinsicht auf gUnzlich(; Enthaltung von allen Spirituosen etc. basiert war.
Der Fürst zog die NotabilitUtcn der Leipziger Universit.'it oft zur Tafel . . .
Da bemerkte eines Ta<^<'S der berühmtr Diilolo;;- GfUttVied Ilerrmann, dem
der Bediente aus Vi rsthen aus des Fürsten Flaaiehe (.•ingcschcnkt, dass dies
Getränk reiner Arrak oder Kum sei. Es war vorauszusehen, dass auf einen
an solche Kost gewohnten Körper die Homöopathie keinen sonderlichen Ein-
fluss üben werde.* (Parthey, Jugenderinnemngcn IL p. 406.)
131) Napoleon starb bekanntlich am 5. Mai. Ein heftiger Orkan brauste
am 4. und 5. Mai ilber St Helena dahhi, dessen Eindruck auf den englischen
Gouverneur so mächtig war, dass er schrieb: ^Au milien des Aurenrs et des
hurlements de la tempdte, on eüt dit que l'esprit des orages, port6 sur les
ailes du V. tit, coarait apprendre au monde qu'un 6tre puissant vcnait des-
cendre dans les sombres abimes de la nature mortc." Der Kaiser hauchte
Nachmittags 5 Uhr 49 Minuten mit den Worten ,,Tete . . . Armee . . . Mon
Dieu!'^ seinen Geist aus. Am 15. Dezember Ib-iO wurde sein Leichnam im
Invalidendom bcig-esctzt.
132) Dureh Edikt vom November IMG un<l vom 7, Septeuiher l'^ll
war der Ge\vci)»ehf t i-ioh von der Zugchürlf:!:keit zu einer Zunl't od<M' Innung
unabhängig gemaclii wonlen. — i)hcT den Stand der Getreidepreise ver-
gleiche man folgende Notierungen der Vossischen Zeitung:
i^iijM^cj L,y Google
144
<3«ng 8i«Btfii8t
14. MO» 1822:
Weizen 1 Thlr. 25 Sgr. — 1 Thlr. 12'/, 8gr.
Gerate — „22„— — ,16
Roggen 1 , - „ — — „ 26V« ,»
♦i. November 1880:
Weizen 3 Thlr. 5 Sgr. — 2 Thlr. 10 Sgr.
Gente 1 tt ß-n — 1« lt>
Boggsn l»a6„— l^aOtt
133) »Die Deutschen wollen lieben, wenn sie ehren sollen; . . . doch sie
wollen auch achten, wenn sie lieben sollen; und weil der weiche, leichtlebige
Jün^'iing im Greisenhaar 80 wenig Achtimg erzwing-t, darum wird sich die
Liebe der Deutschen, wenn sie der Befreiungskriege gedenkmi, immer den
Helden des Willens, den Stein and Sehamhorst, BIflcher und Oneisenan ro-
wenden und Hardenbergs elgenthflmliclie Grttase alieseit nnr einem kleine
Kreise politischer Köpfe ganz yerständlich bleiben. Das Gewissen des Volkes
empfindet, dass der Charakter, nicht das Talent die Geschicke der Staaten
bestimmt." (Trcitschke III. p. 253.)
13*) General Georg von Wahlen- Jürgass war 1806 Major bei den
Gensd'armcs und schlug sich, als das Regiment am 27. Oktober bei Wich-
mannsdorf in der Uekernuirk, nur noch 3.50 Pferde stark, gelangen genommen
wurde, mit noch einigen üllizieren, 4-4 Mann und einer Standarte durch.
1813 zeichnete er sich als Kommandeur einer Kavalleriebrigadc in der
schlesischen Armee bei Haynan, wo er drei Karrees Uber den Hänfen ritt,
an der Katzbaeh and bei HOckem aas. Bei Lacbaoss^ am 3. Febroar 1814
warfen er nnd Katzeier Hacdonalds Kavallerie. Infolge einer sdiwerenVer-
wondong bei Ligny nahm er 1816 den Abschied.
1S5) Die grosse Demagogenuntersaebong YOn 1819 drohte ailmlUilidi im
Sande zu verlaufen, da entdeckte Kaniptz eine neac Art von Verschwörnnp:,
den Jün^'^üngsbuud, zu dem wieder Folien aus Jena, der jetzt in der Schweiz
lebte, Anlas.s gcf^'cben hatte. Der l^uiid bezweckte »Umsturz des Bestehenden
und Begründung <ler Kinlieit Deutschlands unter einer gewühlten Volks-
vertretung". Mit allem Brimbdrium geheimer Verbindungen umgaben sich
die jungen Verschwörer; ein gewisser von Sprewitz bereiste seit dem Sommer
1821 die deatsehen Universitäten, am in zehn Kreisen nach Art der sehn
Kreise des alten Reichs den Jttnglingsbnnd in Deatsdiland in Seene sa
setzen. Gegen 150 Jnnge Lente schlössen sich an, daranter man<)he naeh-
mals klangvolle Namen: Baader, ein Sohn Anselm Feuerbachs, Arnold Rüge,
Karl Hase. Das Tollste an der Sache war, dass Folien und seine Anhänger
in der Scliweiz sehr bald sieh in Sicherheit brachten und den Bund im Stielie
Hessen, dessen Mitglieder nun erwo^t-n, oh der Hund ins Leben getreten sei
oder nicht. Diese Zweifel an .seinem Bestehen iiinderten indessen Kamptz nicht,
sich mit Feuereifer auf seine Entdecktuig zustürzen; die kleinen Höfe geriethen
dareh seuie erschreeklichen Berichte in solche Angst, dass sie ^eh sogar ihrer
Xngstlich gewahrten SoaverSnitlltsreehte in diesem Falle begaben nnd ihre Dema-
gogen nach Köpenick „aosliehen", dessen Schloss Demagogenkerker geworden
war. Am 25. Mttrz 1 826 erfolgte das Urtbeil des Oberlandesgerichts la Breslau fiber
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Aas den Tagebüchern des alten Heim.
145
einen Theil der „Hochverräther" : von 28 Inculpaten wurden die meisten mit
10- bis 15jtthrigeiii FeBtungsarrest bestraft; nur einem wurde »wegen miter-
lassener Anzeige der Wissensehaft von dem Versncbe der Stiftnng einer ge-
setslieh verbotenen Verbindung« die erlittene Untersnebungsbaft als Strafe
angerechnet. Erst 1829 wurde die Untersuchung eingestellt, weil man immer
noch nicht wisse, ob der gebeinmissvoUe MSnnerbund je bestanden habe,
(cf. Treitschke III. 439 ff.)
136) Der Zar Alexander I. starb am 1 . Dezember 1H25 pltitzlich an einem
Fifbor aut einer Reise nach der Krim zu Taganroo^ Heims Vermuthunfi:, er
sei kt in« s natürlichen Todes gestorben, ist bezeichnend für die damaligen
Zustände im Zarenreiche. Mehrere Wochen entbehrte Russland des Herrschers,
da keiner der Brttder des kinderlos verstorbenen Kaisers den Thron be-
steigen wollte. Der älteste, Konstantin, huldigte in Warsehau Nikolaus,
dieser in Fetersbuig Konstantin; der vierte Grossfttrst, Miehael, suchte zu
vermitteln. Erst naeh drd Wochen, am 84. Dezember verkttudete Nikolaus
seine Thronbesteigung. Unmittelbar darauf, am 26. Dezember, brach der
Dekabristen-Anfstand los, dessen Führer Pestcl, Murnwjew. Fürst Trubctzkoi,
Turgenjew einen politischen (ieheimbund zur Herbeiführung staatlicher Ke-
formen — Konstitution und l\'f'puhlik — begründet hatten. Die Verschworenen
brachten es dabin, dass ein Tlieü der Truppen dem neuen Zaren, der wegen
seiner miiitäriscben Strenge wenig beliebt war, den Gehorsam versagte. Der
Aufttand, dem die Ftthrer im entseheidenden Augenblicke fehlten, wurde
durch die treu gebliebenen Truppen blutig niedergeworfen.
M7) Wellington ging als engliseh«* Vntreter zur Krttnung des Zaren
Nikolaus L nach Russland. Am 16. Februar war er in Berlin eingetroifen.
Vom Volke wurde er bei der ihm zu Ehren abgehaltenen Parade mit lautem
Hurrab begrOsst; aucli in der Oper war der Empfang laut. Er zeidmete
sich übrigens dadurch aus, dass er liberall zu spät kam. Heims Urtheil über
sein ungünstiges Ans<5ehen wird von der Giüfin Elise Bernstorff bestätigt.
(Gräfin Benistorö, Erinnerungen II. p. fiu.)
138) Philipp von Ladenb<>rg stand als Direktor an der Spitze der am
.3. November 1817 eingerichteten fiencralkontrole der Finanzen, die <\cn
preussischen Finanzministern — Graf Hüiow und Klowitz — viel zu schatlcu
machte. 1823 wurde Ladenberg Chefpräsideut der (>l)errcclinungskamnier,
1825 Geh. Rath mit dem Titel Exeellenz und selbstUndiger Leiter der
Generalkontrole, die am 29. Hai 1826 aufgehoben wurde. Die Aufhebung
erfolgte auf einen Bericht des am 1. Juli 1825 ernannten Finanzministers
von Motz, den dieser im November 1825 einreichte. Als eifriger Acdse-
mann war Ladenberg nicht beliebt.
in) Sethe, GbeQ>rasident des rheinischen Bevisionshofes in Berlin, war
seit 1803 Mitglied der preussischen Regierung in Münster. Während der
französischen Zwingherrschaft leistete er als f Jeneralprokurator beim Appell-
hofe des Grossherzogthums Ik'rg in Düsseldorf den t'fbergriften der französi-
schen Beamten so mannhaften Widerstand, dass v.r Napoleon als der p-nihr-
Hchste Mann im Grossherzogthum Berg geschildert und, um ihn iu der Zeit
der £rbebaug vom Bhein zu entfernen, unter dem Verwände, sieb zu ver-
Ai^ 10
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146
Georg äiegerist.
antworten, nach l'ari.s gerufen wurde Als er dfin Kaist-r vorbestellt wenlen
sollte, crklärto diosor: „Jo ne voux |tas voir l avocat du Kliin." Auf die
Drohuiig^ des Miniäters Uöik-rcr, der Kaiser könne ihn erschiessen lassen,
entgegnete Sethe, auf den code Napoleon hinzeigend: „Alors U fant anpara-
▼ant fiisiller la loi." 1815 erhielt er den Auftrag zur Organisation der Justiz
in den prenssisch gewordenen Rheinprovinzen, 1819 wnrde er nach Berlin
berufen. Ein Brachetück ans seinen Aufzeichnungen ans der Miinsterschen
Zeit hat fJnstav Preytag fUr würdig gefunden, es in seine Bilder aus der
deutschen Vergangenheit (letzter Band) aufzunehmen.
un) X.tch achtzehnjiüiriger Abwesenheit kam Stein, seit 1S2G Marsehall
des wcstpiiähsthen Landtages, im Frühjahr wieder nach Berlin, wo er
in den Staatsrath uufgenouinien wurde, aber nur einer Sitzung lieiwohnte.
ui) Das dachten noch andere. Schön schrieb: „Aus allem, was. über
K. seit 1813 zu meiner Kenntniss gekommen, hatte ich mir ein so schwarzes
Bild von ihm gemacht, dass ich jedes Zusammentrefifen mit ihm ycrmied und,
wo es unvenneidlich war, zurUckstossend gegen ihn auftrat . . . Um in
dieser Sache («ler Demagogenverfolgung) klar zu sehen, Hess ich K. reden
und es ergab sich, dass er nur ein Werkzeug einer Parthei gewesen, welche
aus mecklenburgischen und miirkischen Ultra-Aristokraten V)est;inde . . . .
Diese Par!!iei bildete eine Kamarilla, welche d«-n König gefi'en das Volk in
Bes(>ri;niss iM liielt. . . . Kr war ein (Jetass, ans wi'lelicm zwar der durch
Abstammung darin vorhandene Unruth ausgeschüUet war, . . . welches Jeden,
der Ansehen und Macht Uber ihn hatte, nach Gefallen benutzen konnte. .
Noch deutlicher war Vamhagen von Ense, wenn er Kamptz „ein Gewebe
von oifenbar Falschem, Entstelltem, Albernem und Ungeschicktem" nennt.
Stein bezeichnet ihn als den „wahren PIiilist< r".
Ui) General Graf Nostiz, der Retter Blüchers bei Ligny, wohnte auf
Wunsch des Zaren Nikolaus, der ilm hei seiner Krfinung Is-.Mi. wo X(»stiz als
Bci^h'iter des l*rin/.<Mi Karl ziif^e^cn war, kiMinen ;:relf^rnt liattc. dem Feld-
zuge dl > Jahres i N js gegen die Türken iui kaiserlichen Hauptquartier als
preussischer Miliüirbevolhnäehtigter bei.
i4s) Schon seit Jahren hatte Frankreich unter den Ül)ergi itlcn der Dcis
von Algier, Ali Kodscha und dessen Nachfolger Üussein Pascha zu leiden
gehabt; an einem nachdrücklichen Anfügten wurde es durah die Eifersucht der
SeemAchte gehindert. Das Recht der Korallenfischerei und einer Handels*
niederlassimp: an der Algerischen Küste musste es mit einem Geldgeschenke,
das schliesslich den Charakter eines Tributs annahm, erkaufen. Als endlieh
an einem Feste der Dei den rranz<tsisehen Konsul <>inem amtliclKMi B»--
suehe mit einem Fliegciiweilcl ins Gesicht ^5ehlng und nach dessen soforligei-
Abreise die französischen Forts zu B(jna schieilen liess und alle Franzosen
zu Sklaven machte, entschloss sich die französische Regierung zu energischerem
Vorgeben. Aber erst am 13. und 14. Juni 1830 landete der Admiral Duperrä
mit eüier Flotte von 107 Kriegsschiffen fünf Stunden westlich Algier; die
Landtmppen befehligte der Kriegsminister Marschall Bourmont. Am 4. Juli
Mrurde das von 1500 Janitscharcn vertheidigte Kaiserschloss erobert, am 5.
zogen die Franzosen in die Stadt ein. Dem Dei war Leben und Privatbesitz
für sich und seine Familie gesichert worden.
Aas den Tagebfldieni de« alten Heim.
147
14«) Die firanzösiBcfae Jnlirevolntton fand in den vereinigten Nieder-
landen, wo seit der Thron ix steignng Kni-ls X.> in Franicreich ebenfalls der
KlerikalisniRs m.Mchtiß^ sein Haupt erhoben hatte, sofort Nachahmung"; am
25. August brach ein Aufstand in Brüssel los, der zur Gründunrif des König-
reichs Belgien führte. Am M.Juli ls3l hielt Leopold I. von Saelisen-Cfdiurg
seinen Einzug in Brüssel, fltor die Aachener Unruhen brachten <lie politisch
sehr knapp gehaltenen Berliner Zeitungen höchst dürftige Berichte: Danach
waren dort am 30. Aogost Arbeiteronrahen ausgebrochen, die durch die
Bflrgerweiir gedämpft wurden. Behr elegisch sclirieb der Bürgermeister der
Nachbarstadt Burtscheid: „Auch unser harmloses Burtscheid musste zum
Kampfe sich rüsten. Das Casino wurde zur Kaserne. Trauernd blicken wii-
auf unsere Xachbarstadt nieder. Schreckliche Gerüchte verbreiteten sich.
Die Wolke der Z< rstr>rung flog vorüber; aber die Ordnung und der Gcniein-
sinn meiner oillcn Mitbürger sind nicht genug zu rühmen. Mein h(>r/.lit'her
Dank begleitete sie zum friedliehen Herde zurück." Am 4. Septeml)er rückte
General v. Pfuel mit einer starken Garnison in Aachen ein.
Mi) Am 29. November 1830 war die grosse polnische Revolution aus-
gebrochen» am 4. Dezember hatte Grossitüst Konstantin das Land verlassen»
am 25. Januar 1831 der polnische Reichstag die Absetzung Nikolaus 1. in Polen
ausgesprochen. Unmittelbar darauf erfolgte der Einmarsch der russischen
Heere und Gefecht auf Gefecht mit wechselndem Kriegsglück: am 2(>. Mai
siegte Diebitsch bei Östrolenka. am 7. September zog Paskiewitsch (I)iebitsch
war an der Cholera gestorben, ebenso Oneisenau, der die an der (-renze auf-
gestellte preussische Armee liefehligte) in ^Varschau ein Diirdi das „Orga-
nische Statut" vom 2i'>. heliruar 1<S3:J wurcle P(dcn russisclie Provinz.
ue) Kamptz wurde an diesem Tage jfiim .histizminister ernannt. Am
124. Mflrz 1840 konnte er sein 50 Jähriges Dienstjubililum feiern, wobei er den
Schwarzen Adlerorden erhielt. 1842 wurde er mit Beibehalt seines Sitzes im
Staatsrath und 8000 Thlr. Pension in den Ruhestand versetzt. Am 3. November .
1849 starb er, 80 Jahre alt. Wie wir schon aus (h in Urtheile SchOns gesehen
haben, war er eifrig bemüht, das ihm vf>n der Drinagog^verfolgung her
anhaftende Odium abzustreifen un<l grilVtlal)ei zu den deni'in^trntivsten Mitteln.
Als er dem damaligen Privatdozenten .Jacob Heule, d<'ui l'icundc Johannes
Müllers, tb r 1^3') wegen Burseliensehaftei'ci mehrere Wociien in der Hans
Voigtei eingesperrt gewesen war, nach dessen Entlassung eines Tages unter
den Linden begegnete — Uenle war natürlich damals einer der populärsten
Leute in Bwlin — , ging er lAnger als eine Stunde dort mit ihm auf und ab,
wobei er nicht genug erzählen konnte, wie sehr er von der Unschuld der
armen Burschenschafter Überzeugt sei; „es muss sidi komisch ausgenommen
haben, den wildcü Demagogen und den grausamen Demagogenfänger so ein-
trUchtig nebeneinander, wie Wolf und Lamm spazieren zu sehen", schreibt
Ilenle. 1818 sah man ihn in Berlin mit clcr schwarz-roth-goldenen Kokarde.
(F. Lewald in den Erhinerungen aus dem Jahre 1848. Bd. II.)
n7) Schon is:n hatten in Lyon Unrulien stattgefunden; 1831 entwickelte
sich aus einem Ausstaude der Seidenwirker unter iler Führung von Albert
und Lagrange ein politischer Aufetand, der diesmal gctUhrlich zu werden
drohte. Die Trappen, die am 9. April von aussen angriffen, stiessen auf
XO»
148
060Kg 8l606lifki
zShen und wohlorganisierten Widerstand. Die Stadt war in sechs Operations-
quartiere eingetheilt. 4 Tage braucl\t der Gonoral Ajmar, um mit 15000 Mann
nebst zahlreicher Artillerie des Autstandes 3Ieister zu werden; der Kampf
wurde mit grösster Erlntterun;,^ j^efllhrt. Der Aufstand hatte zahlreiche Kr-
hebungen in anderen btUdtcn, in St. Ktieune, Vienne, Grenoble, Ciermont,
Avxeire, Poitien, Lunevilld zur Folge. In Paris kam es am 14. su einem
blntigen Barrikadenkämpfe. (HUlebrand, Qesebtehte Frankreichs von der
Tbronbesteigong Louis Pliilipps bis ram Falle Napoleons III. I. 446 IT.)
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^U8 den Tagebacbero des Alten Heim.
149
V.
Vom Hofe.
1795.
25. Januar. Auf Befehl des Kronprinzen habe ich gestern das
Lazareth von seinem R^ment visitiert, nnd heute gab ich ihm von
meiner Visitation Bescheid, welcher zum Vortbeil seines Regiments-
chimrgQS, des General-Cbir. Buchler, aasfiel. Der Kronprinz bat mir
besser gefallen als ich erwartete.*)
26. Februar. Vormittags dem Kronprinzen einen Beriebt von
seinen kranken Soldaten im Lazareth abgestattet, and mich lange mit
ihm nnterhalten.
1796.
21. Februar. Mittags bei Frau Geh. Rath M uz eil gespeist. Gab
mir die Frau Landgräfin von Hessen -Kassel — einen Kuss.
30. Dezember. . . . Zencker war hier, der vieles vom Tode des
Prinzen Ludwig sprach, den er in seiner Krankheit zu beliandeln
gehabt.
1797.
8. Mai. Zu Bellüvuü bei Prinz Ferdinand gespeist. Den Prinzen
Ferdinand habe ich wegen der wenigen Achtang, die man ihm von
seiner Familie beweiset, bedauert.*)
31. Mai. Mit dem Obrist v. Zastrow wegen der Kraukheit des
Königs gesprochen .
10. September. In Potsdam beim Obrist v. Zastrow gespeist.
Frau v. Zastrow erzählte mir vieles von dem jetzigen Zustand des
Königs, der allerdings kläglich genug ist.
5. Oktober. In Belle vuo von der Prinzessin Ferdinand die
bittersten Vorwürfe bekommen, dass ich gegen den Prinzen August als
Arzt nicht scharf genug sei. — Iq meiner Gegenwart sagte die Prin-
zessin ihrtüii :Si>hn solche harte Sachen, als ich nie einem meiner Kiuden
es möge gethau haben, was es wolle, sagen würde.')
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1<50
Geotg Siogeilst
Xovembor. Heute Nachmittag 1 Uhr WordoD wegen Alisterbeo
des Königs Fr. Wilhelms die Thore geschlossen. Er hat als ein
Schwacher gelebt und ist auch als ein solcher gestorben. ')
5. Dezeml)er. Älorgens früh auf dem Schloss gewesen mit meinen
Kindern, und das castmm doloris dos Königs besehen.**)
1 1 . Morgens um 4 Uhr aufgestanden, da heute das grosse Leichen-
begängniss des verstorbenen KTmigs war. Mir hat die ganze Cere-
monie sein- gut m'fallt'n, ausser dass ich es widersinnig fand, dass
Minister die Reichsinsi^niim uiul alte abgelebte Generale den Baldacliin
tragen, und Obersten die I'ferde führen mu.ssten. Wozu sich der Mensch
doch gt'biaiuhen lässt und es sich noch dazu zu einer Ehre anrechnet!
Ach! die elenden .Menschen!
15, Aix'uds im OjMTnliaus«' die Musik der Trauerkantate des ver-
storbenen Königs mitaugehOrt, die mir über ganz und gar nicht ge-
fallen hat
1798.
17. Mai. Wegen der Krankheit des Prinzen August habe ich
viele ünaniu'hniliclikeiten, da der i'rinz vin ungezogener Pursche ist und
seine sonst würdige Frau Mutter eine Afl'enliebe für ihn hat.
25. Hat mich die Prinzessin Ferdinand vor Tische wieder
sehr geärgert*
6. JnlL Warde dem jetzigen König die Huldigung geleistet. Mir
hat der Anblick so vieler Menschen ein grosses Vergnügen gemacht
Um 6 des Morgens fanden w nns im Schlossgarten ein, und nach
12 Uhr war die Huldigung geendigt.
12. Hente habe ich einen Brief an die Prinzessin Ferdinand
geschrieben, und selbige nm meinen Abschied als Arzt an ihrem Hofe
gebeten. Ich kann alle die kleinen nnd grossen Kränkungen, die ich
allbereits an diesem Hofe erlitten, nicht länger aushalten.^
13. Ans dem nachgesuchten Gesuch, den Prinz Ferdinand sehen
Hof zu verlassen, wird wohl nichts werden, indem sie mir einen höf-
lichen Brief geschrieben und mich durch die Gräfin Schmettau bat
ersuchen lassen, doch ihr Arzt zu bleiben.
10. Nachmittags in Bellevue gewesen, wo ich von der Prinzessin
Ferdinand sehr gnt aufgenommen wurde. Ich bleibe nun ihr Arzt, und
ich hoffe, dass sie mir jederzeit höflich begegnen wird, sonst fordere
ich gleich wieder meinen Abschied.
.'U. .August. Vom Prinzen Fer<linand einen sehr freundschaft-
lichen Brief, nebst einem Ohm Rheinwein, der auf der Stelle 24 Stück
Friedricbsd'or gekostet und hier 1(H) Rthlr. Wi'vih ist nebst einem
silbernen Besteck von 1'2 Mrssern, Gabeln und LoftVln 12U IJtblr. V2 Ogr.
an Werth erhalten. Dies .lahr bat ps der Prinz Ferdinandsche Hof gut
mit mir gemeint, ohnerachtet ich der Prinzessin Ferdinand gar keinen
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Aas den Tigebflcliem dea alten Heim.
151
höflichen Brief geschrieben nnd uro meinen Abschied von ihrem Hof
sehr dringend gebeten habe.
11. November. In Bellevae gewesen, wo ich alle hohen Herr-
schaften traf. Gestern hat man auf Befehl des Königs durch 3 Minister
alle Briefschaften des Prinzen v. Radziwill^*') versiegeln' lassen.
Davon wurde nun viel mit mir gesprochen. Prinz v. Radziwill war
ganz gelassen dabei. Der alten Prinzessin und dem Prinzen Ferdinand
gefiel ein solcher Auftritt nicht
1799.
25. September. Mittags bei Prinzessin Ferdinand gespeisi Der
Bruder des Prinzen, Heinrich ans Rheinsberg^') nebst mohrcren
Ministers, Fürsten Kadziwill etc., waren hier. Der Prinz Heinrich giebt
sich ein erstaunliches Anselien, — das ins lächerliche geht, — nnd heisst
nach alter Gewohnheit Jedermann Er.
i). November. Bei Prinzessin Ferdinand in Gesellschaft des
Prinzen Heinrich — des stolzen £r-Herrn — gespeist
1800.
2:^. Miirz. Den iüten stolzen Prinzen Heinrich beim Prinzen
Ferdinand weitläuftig gesprochen.
1802.
?). Auglist. Eben bei "Ifiii Prinzen Ferdinand zu Bellevno ge-
wesen, als iliiM der Prinz Louis*-) in Gegenwart der Prinzessin und
Stu be II l au eh (Kmi Tod seines Bruder Heinrichs bekannt machte. Der
alte Prinz uutl die X'riuzessin und Prinz Louiä alle weinten.
1803.
2. Septeiulur. Hat mich die Prinzessin Ferdinau«! tüchtig ans-
gesclioUeii , wclelics mir gh'iclitjültin- war. — Wenn es diese Prinzessin
zu ari; mit mir macht, so komme ich gar nicht mehr zu ihr. ich kann
ihrer si hon entbeliren.
9. In BeUevue gewesen, wo sich Priozessöln Ferdinand äusserst
artig pei;eii mich betruüf.
1. (Oktober. Von mehreren meiner Patienten Abschied f^en iiiimen,
da ich mori^en nach Ludwiijshist al)zureisen i^edenke. — Die (iross-
fürstin, Erbprin Zessin von Schwerin, i>t nach Au.ssagen ihrer
Arzte, des Boeckler und Brown, an (h'r Schwindsucht kraid<, und wird
als \erloren angeselieu. Da sich die ISachrichtcn von ihrem Befinden
so oft andern, so wünsclit die Prinzessin i'erdinand als Gros.stante
von der Grossfürstin, da.ss ich diese doch besuchen, und mein Urtheil
über ihre Krankheit geben möchte. So unangenehm mir dieser Auftrag
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152
Oootg 8ltg«rltk.
war, 80 konnte ich ihn doch nicht von mir ablehnen, besonders da der
König und die Königin ein gleiches wünschten.'')
{). Gleich nach meiner Ankunft nach Bellevue gefahren, und mich
mit der Prinzessin iiiid dem Prinzen Ferdinand sehr weitläuftig unter-
halten. Meinen aus Ludwigslust an ihr iroschriebenen Brief hatte die
Prinzessin an den König geschickt und auch dem Kaiser Yon Rassland
geschrieben, dass ich die Grossfürstin hätte lipsuchen wollen, dass dies
aber verhindert worden sei. — Ich l)in nur frob, wieder in Berlin zu
sein. Kin Arzt sollte immer da bleiben, wo er eigentlich hingehört.
29. In Bellevue bei der Prinzessin Ferdinand von 6 bis halb
8 Uhr neben der Königin gestanden, und mich wegen der Kranklieit der
Grossfürstin mit ihr unterhalten. Die Königin ist sehr gesprachig und
war sehr gnädig gegen mich. Sie glaubt, dass ich der Grossfürstin noch
helfen könnte.
1805.
24. .September. Für den Prinzen August Ferdinand einen niedi-
zinischeu Aufsatz, wie er sich im Felde bei einigen Kranklieiten zu ver-
halten habe, geschrieben, welches ich seiner Fran Mutter schon zu Ge-
fallen thun musste.
28. Oktober. Nach Tisch*« nach Bellevue gefahren, wo der
Russische Kaiser beim Prinzen Ferdinand speiste, um den Kaiser
zu seilen. Kaum war ich angekommen, um sozusagen incognito auf
i'inicre Miniifen dazubleiben, als ich sogleich zur Königin, die Krämpfe
bekommen hatte, gerufen wurde. Bis nach 5 Uhr hier geblieben, den
Kaiser, den König, die Prinzen, den Herzog von Weimar, und fast alle
hier befindlichen Excellenzen von Militär und Civil ires]>rorhen, und mir
es recht, gut gefallen lassen. Doch hat mir die Königin am besten ge-
fallen.
I810.
\S). April. Hat mich der Prinz Ferdinand zu seinem Arzt an"
genommen \md mir dafür jährlich ÖU Stück Friedrichsd'or zu geben
schriftlich zugesichert,
27. Mai. Der König und die Königin waren beim Prinzen
Ferdinand, wo ich das Glfick hatte, mich lange mit der Königin zQ
unterhalten.
31. Gestern reiste der Staafsratb and Leibarzt fiafeland von
hier nach Holland ab, und hento wurde ich zn einem der kranke<>
Kinder des Königs gerafen. ' )
19. Juni. Nach Tische nach Gharlottenburg gefahren, nnd nebs^
anderen Kranken anch die Königin besucht, die mich s^ gut auf"
nahm.
24 Vor Tische nach Gharlottenburg geritten, wo ich über V> Stund®
mit der Königin sprach.
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Aw den Tagebtichem des alten lileim.
153-
4. Juli. Vor Tische nach Charlottcnburg geritten, und den König,
der krank war, besucht. Heute zum ersten Mal einem Künig nach dem
Puls gefühlt.
5. Den kranken König in Gharlottenburg besucht.
6. Vor Tische nach Charlottenburg geritten. Du der Köni^; sich
heute wohl befand und schlief, so habe ich Sie uiciit ;;eseheu. Sein ge-
wesener Kämmerer Wolton (Wolter) versiclnite mir mit seiner
ernsthaften Miene und langsam schnüffelnder Stimme, er habe Sr.
Majestut Fredersdorfer Bier und Porter zu trinken und Ruhe empfohleu,
und das werde ihn schon bald wieder gesund machen.
y. Abends zum König nach Charlottenburg gefahren. Diesen
fand ich wohl, er äusserte aber den Wunsch, dass ich doch so bald als
möglich zur kranken Königin nach llohenzieritz (17 Meilen von hier)
reisen möchte. Da icli diesen Wunsch als Befehl ansah, so besuchte ich
geschwinde noch die iiothwendii^sten Kranken zu Charlottenburg und
Berlin — meine Frau hatte die Güte für mich und kam nach dvv Stadt
und half mir alles zur Reise in Ordnung bringen — , und so fuhr ich
mit Courierpferden in einem Wagen mit 4 Pferden um 11 Uhr aus
Berlin ab, von meinem Bedienten begleitet.
10. Mittags in Hohenzieritz gespeist. Dann gin^ es zur Königin,
die sich freute, mich zu sehen. Im Grunde fand ich selbige nicht so
schlecht, als ich nacli der mir gemachten Beschreibung h;itte glauben
müssen. Ganz ausser aller Gefahr, eventl. schwindsüchtig zu werden,
ist sie doch nicht. — An den König, die Prinzessin Ferdinand und
meine Frau geschrieben.
11. Jleute viel bei der Königin gesessen und mit ihr gesi»rochen.
Bei der Frau 0. H. M. v. Voss gefrühstückt. Diese Frau ist sehr munter
und amüsant. Die Landgräün von Darmstadt, Grossmutter der Königin»
eine Dame von 82 Jahren, hat mir wegen ihrer Mnnterkeit sehr ge-
fallen.")
12. Naeh der Tafel von der ganzen Gesellschaft und von der
Königin Abschied lo^enomnien. Da die Königin eine vomicam apertam
hat, so wird selbige so bald nicht wieder gesund werden. Um 7 'Dhr
von hier weggefahren.
13. Kam ich .Nachmittags um 2 Lhr, nachdem icli zuvor den
König in Cliarlottenburg gesprocluMi hatte, glücklich an.
16. Nach Tische zum König gefahren, der mir den Wunsch äusserte»
übermorgen wenigstens wieder l»ei der Königin zu sein.
17. Die Nacht um 1 Uhr kam der Feldjägei- Müller von der Königin
an, mit einem Schreiben vom llofrath Iiier« uiymi, sobald als möglich
zur Köingin zu kommen und den General- Chirurgus Goerke mitzu-
bringen. Abends nach 0 waren wir in Hohenzieritz. Auf einigen
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Oeovg Siegerist
Stationen hatten wir 8 Pferde Conrierpost. — Die Königin fand ich
schlechter als ich glaubte sie zu finden. Der Puls 12(> — 130 mal in der
Minute.!')
18. Fast den ganzen Tag bei der Königin gewesen. Da sie Vor-
mittags und Nachmittags einige Standen geschlafen hatte, war ihr Geist
munter.*")
19. Von gestern Abend um U Uhr an bis heute fHlh um 4 Uhr
am Bette der Königüi gesessen, die die ganze Zeit über meine rechte
Hand in der ihrigen hielt. Diese Nacht ist die fflrohterlichste Nacht,
die ich je gehabt habe, för mich gewesen. Ich war so müde, dass ich
fast alle Minute einschlief, soviel Mühe ich mir auch gab, zu wachen,
da dies die Umstände erforderten, indem die Königin immer engbrüstiger
wurde und kaum laut reden konnte und doch oft mit mir reden wollte. .
Vor 5 Uhr, da mir eben die Königin erlaubt hatte, mich schlafen legen
zu können, kam der König an. Als die Königin ihn sah, sagte sie mit
schwacher Stimme: Mein lieber Freund! Der König und alle, die im
Zimmer waren, weinten. Der Kronprinz und sein Bruder Wilhelm, die
bald darauf auch ans Bett der Königin kamen, weinten oder schrieen
ganz luut. Um 9 Uhr starb die Königin — sicherlich die schönste Frau
in des Königs Staaten, von der besten Herzensgüte!!! Der König, die
Arzte und Fr. v. Belg waren dabei gegenwärtig. Der König betrug
sich gut
20. Vormittags wurde der Leichnam geöffnet. Was wir in der
Brust zu finden geglaubt hatten, fanden wir nicht. ^ Abends um 6 fuhr
der König mit sdnen Kindern und so auch die Prinzessinnen von Hessen
und Oranien ab. Um 9 Uhr folgten Goerke und ich ihnen.'')
25. Nach Charlottenbuig gefahren, mehrere Kranken, den König
und dessen Kinder besucht.
26. Nach Tische mit Goerke und meinem Sohn nach Oranien-
burg gefahren und uns daselbst den Leichnam der Königin vorzeigen
lassen.
27. Unter grossen Feierlichkeiten war Abends der Leichnam der
Königin nach dem Schloss gebracht. Ohnerachtet viele tausend Menschen
Unter den Linden waren, so herrschte doch die grösste Stille und
Ordnung. Von 10—11 Uhr wurde im Beisein meiner die Leiche ans
dem Keise^ in den Parade -Sarg durch Goerke und mehrere Chirurgen
und meines Sohnes gebracht Das Gesicht der Leiche war doch schon
verstellt.
28. Morgens fröh um (i Uhr den Leichnam der Königin mit Gen.-
Ghir. Goerke, da ihn der König so gern zu sehen wQnschte, nochmals
begehen. Da wir aber das Gesicht, ohnerachtet es noch ganz weiss war,
schon verstellt und aufgetrieben fanden, so dass alle sonst so schönen
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AuB den Tagebüchern des alten Heim. I5ü
Gesichtszüge verscbwnndeii waren, so rielfaen wir dem König ab, den
Leichnam noch einmal zn sehen — welches Er auch that.
30. Abends wurde endlich unter grossen Feierliclikeiten die hohe
Leiche in Begleitung des Königs und aller seiner Kiiuh-r und liiesigeu
Familie in der Domkirche beigesetzt. Ich war auch in der Domkirdu',
konnte aber wegen der Menge Menschen, da ich einen schlechten Platz
hatte, gar nichts vom Leichenzug sehen, nnd von der Mnsik nichts hören.
31. Vor Tische njich CharlotteiilMn - geritten uud den König da-
selbst gesprochen, der mich sehr gut auffialiin.
1. August. Gestoi-n, als ich l»eini Kuuig war, zeigte er mir ein
Blatt Papier, auf weiciics die Königin den 28. Juni, an dem T-d<sy, wo
der König von hier aus zu ihr gckoinnien war, am Schrcilttisch ihres
Vaters folgendes gescliriebcu hatte: Mon eher Pere — je suis l)ien heu-
reuse aujourd'hui comme votro fille et comnie Epouse du muilleur des
Epuux. Louise. Neu-Stn lit/. . ce t?8 Juin 1810. Der König gab mir
dieses Bhitt, welches mau nach dem Tode der Königin erst gefunden
hatte, in die Hand. Ich bat den König, mir zu erlauben, es abschreiben
zu dürfen. — Da es ihnen gefällt, sagte der König, so will ich es selbst
für sie gleich abschreiben, welches er auch that nnd mir diese kdnig^
liehe Copie gleich einhändigte. Dies Blatt ist mir soviel werth, als die
100 Stfick Friedrichsd'or, die er mir heute durch seinen geh. Kämmerer
Wolter fiherschickte.
f\\. Zeigte mir die l'iinzcssiu Fcj-dinand v. Kadziwill den
letzten Brief, den die verstorbene Königin den 17. Junius an ihr ge-
schrieben hatte. Der Brief selbst war munter gescluieben, halb fran-
zösisch, halb deutsch. Die Ünterschrift allein war einzig und merk-
wfirdig, nämlich: Louise Auguste Wühelmine Amalle, Reine de Pmsse,
n^e le 10 mars 1770, f das weiss ich noch nicht, geborene Prinzessin
von Mecklenburg.
1811.
21. Miirz. Beim Prinzen Ferdinand gespeist. Vor Tische nach
Bellcvue geritten und daselbst den Sarir, der den Ticichinun des bei
Saalfcld gebliebenen Prinzen Louis Ferdinand entluilt, und der heute
Abend ins Königl. Gewölbe gebracht werden soll, besehen. --)
in. Dezember. Beim Kronprinzen von Preussen in Gesellschaft
v<m 5 Personen gespeist, and mit dem Wirtb besser als mit dessen Koch
zufrieden gewesen.
1813.
2. Mal. Beim Prinzen Ferdinand gespeist Abends um 11 Uhr
schlief dieser verebrungswfirdige Greis in einem Alter von 83 Jahren
ganz sanft und ruhig zn einem anderen Lehen ein.
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156
Georg Siegerist.
1816.
16. Dezember. Beim Kronprinzen gespeist und sehr gut auf-
genommen worden. Ich finde den Prinzen seitdem er mit zu Felde ge-
wesen ist za seinem Vortheil sehr verändert, so dass man hoffen darf,
er werde einst ein sehr guter König werden.
1817.
18. Januar. Blit dem König an einer Tafel gespeist Vor Tische,
sowie alle Ordensritter und auch die, die das eiserne Kreuz haben, in
der Nikolai-Kirche gewesen und d^m Gottesdienst daselbst beigewohnt
Das Mittagessen, war sehr gut, und so auch der Wein, und die Auf-
wartung vortrefflich. Alle die vielen Menschen, die ich schon gesprochen
habe, waren alle sehr gut gegen mich gesinnt und so auch der König selbst
18. März. Beim Prinzen Wilhelm, Sohn des Königs gespeist
Nach der Tafel ihm Moose und Zoophyten gezeigt, die ihm viel Ver-
gnfigen machten.
10. Juni. Vormittags Ihro Königl. Hoheit, die Prinzessin Char-
lotte, die übermorgen nach Russland abgeht, meine Aufwartung ge-
macht, Abschied von ihr genommen und ihr allen Segen des Himmels
gewünscht. Sie weinte sehr, und mir standen auch die Tbränen in den
Augen. 0! vortreffliclie Prinzessin! Mag der Geist deiner vorstorbenen
Mutter zwiefäitig und deine Ehe so glücklich sein, und langer, als die
ihrige war.'^*)
13. Juli. Heute wurde unsere liebenswürdige KönigL Prinzessin
Charlotte mit Nicolas vermählt.
2. August. Iiier den Prinzen Karl gesprochen, der mir sagte, dass
sein Bruder Wilhelm zu Petersburg von einem tollen Hunde gebissen
worden sei.'*)
1818.
IH. Januar. An der Königl. Tafel auf dem Schloss gespeist. Wurde
(las Kröuungh- und Ordonsfest gefeiert. In di'r Schloss-Kirrhe dem
(iottesdienst boii;»'Nvoliiit. Von der Predigt hörte ich bloss einzelne
Worte, und die (Jt'siuiu;«' svuidt'n bloss vom Chor, und fast gar nicht
von der (^i-nieiiidc, und zwar zum Ekel langsam gesungen. Nie, auch
aiif dorn schlechtesten Dorfo habe ich das „Nun danket alle Gotf* so
erharnilicii als hier singen gehört. Der Zug der Ritter, wold mehr als
)UH) von der Kinlie nach dem Schloss (hirch 2 Ut ilien \oii Soldaten
unter einer vortrert'liciien militärischen Musik i^eticl mir ausnehmend.
Gespeist wurde selir gut und bei Tische ging alles m der besten Ordnung,
recht königlich zu.
8. Dezembei-. IJeini Kronprinzen in Geseilscliaft von G Personen
ges]»eist. Se. Könitjliche Hoheit sind gesund munter und wohlbeleibt
von Aachen zuruckgekojuuieu.
Am den TagAbQcbeni des alten Heim.
157
1819.
24. Jannar. An der Königlichen Tafel auf tlem Schloss mit
250 Rittern aller Art gespeist, und zuvor in der Kirche gewesen. Nach
aufgehobener Tafel mit dem König über die jetzt herrschenden Krank-
heiten gesprochen.
1820.
9. Februar, Heute Abond nach 11 Uhr starb schnell Ihre König!.
Hoheit die Prinzessin Ferdinand im S2. Jahi'e ihres Alters. Gott
hab sie selig!
(). Mai. Bei Prinze<;,sin Luise mit meinem Sohn gespeist. Der
Kronprinz, dessen Bruder W|il heim und der i'riuz v. Meckieubu^rg
waren hier. Der Kronprinz lachte viel.^ )
1821.
27. Januar. Abends mit dem Prinzen Radziwill und Prinzessin
Elisa nach dem Schloss, wo heute Abend das Festspiel Lullu Rükh auf-
geführt werden soll gefahren.-)
1822.
24. April. Bei Sr. lAajest&t dem Konig mit seiner ganzen Familie,
Prinz Angnst, Radzjiwill, y. Mjecklenbjurg, Gamberland^'),
Wittgenstein nnd vielen anderen znr Tafel gewesen. Der König war
äusserst gnädig gegen mich mid hat sich mehr mit mir als mit einem
anderen unterhalten. Er yersicherte niir, ich habe erst mein 25. Jubel-
fest gefeierti da ich noch so munter sei. Für den mir gegebenen rothen
Adler-Orden 2. Klasse habe ich mich schdn bedankt Nach Tafel frug
er mich, ob ich mit seinem Tisch zufrieden gewesen seL O ja, ant-
wortete ich, hier möchte ich alle Tage speisen, so gut hat es mir ge-
fallen. Noch frug der Monarch: Reiten Sie noch so rasch? Essen Sie
noch rohes Fleisch? etc.
17. November. Im Königl. Schauspielhause, wo das vollendete
25jährige Regierungsjahr Sr. Mig. des K5nij;s durch den Magistrat und
Stadtverordneten in Gesellschaft von 300 Personen mit Musik und Ge-
sang gar herrlich gefeiert wurde, gut gegessen und getrunken. Alles
ging sehr ordentlich nnd anständig zu, wie wohl zu erwarten stand.
1823.
19. Januar. Bei Sr. Majestät dem Könige wegen des Ordensfestes
gespeist Mit dem König, der mich nicht zu sehen bekam, nicht, aber
mit dem Kronprinzen und vielen anderen gesprochen.
1. September. Mit dem grössteu Vergnügen gehört, dass unser
Kronprinz eine Bayersche Prinzessin, von der man schon soviel Gutes
gesagt, zur Gemahlin nehmen werde. ^'')
uiyiiizeo Dy Google
158
21. Vonniftans dtin KK»iipriuzcn meiue Autwartuug gemacht
und iliiii als liiiuitigan! iirntiilicrt.
IS. DeziMiiluT. Dt'iii IvroniirinztMi meine Aufwartung gemacht,
nn<l ilin ijohotcn. iiiii" st-ine Frau Gemahlin sehen zu hissen, welclies
aucli sof^Ieicii j^e.scliah. Nachth'in der Prinz nianrhes zu meinem Vor-
theil ihr gesagt hatte, sagte er auch: Dieser Manu ist immer ungeniert.
1824.
II. Nnvomber. Gestern Al)en{l schon hörte icli, ilass der König
eine Grälin v. TIarrach zur Gemahlin erwählt habe, und heute wurde
mir dies diiith den Fürsten v. Wittgenstein offiziell bekannt gemacht.
Diese Ehe wird in diesem Schreiben eine morganatische genannt, da.s
heisst, sie geht ins Blut, kann aber keine Rechnung machen auf Stand
und Gut.
1826.
25. Jannar. Mittags beim Ptinzen Angast v. Preussen mit seiner
Mätresse der Frau v. Prilwitz einigen Dames ans Rheinsberg nnd
dem Adjutanten gesiteist. =")
1827.
10. Joni. Mittags beim Prinzen August v. Proussen gespeist.
Man feierte hier den Geburtstag der Frau v. Prilwitz. SämtUcbe
Adjutanten, die ersten seiner Beamten, Geh. R. Henn''), Geh.* R.
V. Siebold^'') nnd ich waren hier. leb scb&tze die Fron y. Prilwitz
und bedanre sie oft, dass ibr kein besseres Los zu theil g(> worden.
1828.
G. Juni. Abends beim Fürsten Wittgenstein gewesen nnd da-
selbst den Grossberzog von Weimar^^), der zu sehen mich wünschte,
Prinz Karl den Eönigsohn, v. Humbold gesprochen.
1829.
11. Juni. War die Trauung des Prinzen Wilhelm mit der Prin-
zessin V. Weimar.
16. Juli. Vorgestern hat man der Kaiserin v. Russland zu
Ehren in Potsdam ein grosses Tnrnierspiol gegeben.'^) Gestern früh
sind Ihre Majestät von hier nach Petersburg abgereist. In keinem
grossen Fürsteuhaus herrscht wohl eine solche Einigkeit nnd herzliches
Benehmen, wie in dem unseres Königs.
1830.
Iii. Oktober. Der Prinzessin F^iiisc von Itadziwill, <lie ich in
8 Jahren niclit gesehen iiutte, meinen Besuch altm'st:ittet. Die Fürstin,
Mann und Tochter Elisa, wir waren über unser Wiedersehen so gerührt,
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Aus den TigebQchem des alten Heim.
139
dass wir alle Thriinon in den Aiigon liritti'ii, und Mutter und Tocliter
wir küssten uns weidlich einander ab. Beim Abschied kü.sstu die Fürstin
mich ordentlich, und die beiden IDcliter erliielten vom Vater den Auf-
trag, mich bi«! an ineinen Wagen zu führen.^')
2'2. November. Vormittags die Prinzessin Albrecht, Tochter des
Königs von ITnlland, besucht. Da sie mich sah, hüpfte sie vor Freude
im Zimmer herum und sagte: Nun, dda ist hübscb, dass Sie Ihr Mariauke
nicht vergessen haben.
27. Dezember. Vormittags der Königin von Holland meine Auf-
wartung geniaclit. Sie freute sich sehr, einen so alten liekannten wie
micli /AI scheu. Die horzeusgate Frau iät sehr uuiger uud geht guuz
gebückt.
1) Jedes Heginiont halle ein eigenes Lazareth tür Unteroflizierc und
Genieine. Für jeden orkrnnktcn Sohbiten, der darin Aufnahme fand, wurde
ein bestimmtes Mnuatsgeld ^'■i'/.ililt. l»i<- rntci-Iialiung des Lazarotlfs sowie
die Dkononiic lug d<-in lifgiment db, das lücriür einen eigenen Fonds bulte.
Nach Nicolai betrugen die Kosten einer solchen Anstalt jährlich ioo bis
500 llialcr. Den llrztHchen Dienst versahen die Regiments» nnd Kompagnie-
ehirorgen; im Hanse wohnte stHndig ein Krankcnwttrter; ein Kompagnie*
chinu^gns und ein Unteroffizier hatten beständig dicAofticht. Der Kronprinz
war Chef des in Potsdam stehenden Regiments Prenssen. (Bnmpf, Berlin
1793, p. 79. Nicolai, porlin u. Potsdam, II. 684.)
2) I.andgrätin Wilhelmine von TTessen-Kassel , Toehtei' Kr»nig
Friedrichs V. vun Dänemark, (ieniahlin Landtr'af Wilhelms IX., seit Iso:!
Kurfürst ^ViHu■llu I. Ihr Sohn Wilhelm II. vt^-niiiliite sieh 1707 mit l*rinzessin
Auguste von Preussen, Tochter l-'rirdrieh Willirlnis II. Aus dieser Ehe stammt
der 1866 abgesetzte Kurfürst Friedrich Wilhehu. (Lorenz, Genealogisches
Handbach, Abth. IIL No. 11.)
s) Prinz Lad w ig von Preussen, zweiter Sohn BMedrich Wilhelms IL,
yermShlt mit der Prinzessin Friederike von Mecldenburg-Strelitz, Schwester der
Königin Luise, starb am 2'<. Dezember 170(1, 24 Jahre alt. Die Kranlcheit
nahm nach den Tagcbuchaufzeichnungcn der Grllfin Voss einen sehr raschen
Verlauf Am 21. hatte der l'rinz etwas f'ieber, am 23. war er bereits recht
krank, man fürchtete eine Art ( lalleiiiit lM r. am 21. war man besorgt, und am
2(1. lauti^te der lierielit hoflnungslns. (Jleich darauf erkrankte auch der Kron-
prinz au entzündlicher Bräune. (Ü'J Jahre am preussischcn Hole, p. iliü IV.)
«) Prinz Ferdinand von Preussen, der Jüngste Bruder Friedrichs des
Grossen, geboren am 23. Mai 1730, Meister des Johanniterordens. Der Prinz
wohnte im Winter im Johanniterordenpalais in Berlin (jetzt Palais des Prinzen
Friedrich Leopold am Wilhelmsplatz), wAhrend des Sonnuers residierte er
▼on 1763—85 zu Schloss Friedricbsfelde, 1785 worde das in diesem Jahre
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G«aig Siegwist.
vollendete Schloss Hellovut» im Thiergarton Sommeraufenthalt und soit 1802
nach dem Tode des Prinzen Heinrich Kheinsber^!^. (Vergl. Fontane, Wande-
rungen, I. p. 129. 3. Aufl., IV. Kapitel Friedricbsl'eldc.)
6) Oberst von Zastrow war Generalacyatant dei KOnigs tmd bei der
Begrttndiing der Pepintöre lebhaft betheiligt; später, als GeneralleatDant
war er Gesandter in Mflnchen. (ScUckert, Die miUtttrUnstliehen Bildung»-
Anstalten, p. 15.)
b) Prinzessin Ferdinand, geborene Prinzessin Luise von Branden-
burg-Schwedt, Tochter des Markgrafen Friedrich Wilhelm, geboren am 22. Aj)ril
173H, eine der originellstr-n Erscheinungen am preussischen Hofe, von einer
Derbheit und ürwUeht^i^'-keit, die vielfach an Pfalzgrätin Lise-Lotte erinnert.
Heim hat ausser dem niitgetheiltcn noch einen reichen Schatz von Erinne-
rungen, die sich aber zum Theil besser für mündliche Überlieferung eignen,
aufbewahrt. Fontane sagt von ihr (Bd. IV. p. 137): Die Prbiasessin »gehörte
einem ITranenzirkel an (dem Hanse Schwedt), von dem man sagen konnte,
dass er der Nator noch nm einen Schritt nAher stand, als Franen ihr ge-
wöhnlich zu stehen pflegen*. — Über den Prinzen Angnst folgen weiter
unten einige Notizen.
7) Schon 17!fH hatte der König eine Kur in Pyrmont gebraucht, 1797
ging er wieder dorthin, ohne Hilfe zu linden. Da er seit September sehr mit
Athemnotl» zu kämjtfen hatte, so empfahl ihm ein alter Offizier, Leutnant
von Kandel, der sich viel mit Chemie beschäitigte, eine sogenannte „Lebens-
Inflknr**, d. h. der Zimmerinft wurde wAhiend der Nacht und am Tage,
wenn die Fenster geschlossen gehalten werden mussten, ein bestinmiter
Prozentsatz reinen Sauerstoflb beigemischt. Professor Hermbstldt, dem im
grünen Hause im neuen Garten zu Potsdam ein Laboratorium eingericlitet
wurde, gewann hier die „Lebensluft" ans Braunstein und füllte sie in
Ballons aus Ooldsclilägerhimtchen, aus denen der Sauerstoff infolge If ichten
Druckes hmgsain entwich. Er sollte nicht ein Hilfsmittel sein, simdern dem
Könige, dessen l^^bel nach Aussage der Arzte nicht in den Lungen, sondern
im L'nterleibe sass, Schlaf verschaflen, ,,sei es nun Wirkung der Imagi-
nazion, oder der Luft selbst", sagte Herrabstädt. Zunächst trat auch eine
Besserung ein, der aber sehr |bald eine erneute akute Verschlechterung
folgte; sdion am 11. Oktober sehreibt die Gmfin Voss, der KOnig erkenne
kaum mehr seine Umgebung, und am 12. erklltrten die Leiblrzte Seile
und Brown die Krankheit für unheilbar. Die Lichtenau duldete niemand
ans seiner Familie um ihn; die Gräfin Voss klagt am 11.: „Die GrSfin
ist immer bei ihm und keines seiiirr Kinder darf zu ihm kommen",
und am 1' : ,,Wenn die Criifin, die immer um ihn ist, es litte, so würde er
seine Familie gern und viel sehen". Ks stellten sich höchst quUlende Indi-
gestionen und Kongestionen ein, die Wassersucht entwickelte sich rapide,
und am IG. November, 8 Uhr 47 Minuten Vormittags, starb Friedrich
Wilhelm n. (HermbstKdt, Beitrag zur Geschichte der Krankheit König Fr.
W. IL 69 Jahre am preussischen Hofe.)
•) Den Katafalk.
») Bevor Heim Leibarzt der Prinzessin Ferdinand (nicht der Prinzessin
Heinriohi wie Bolüfs in seinen Klassikern der Medizin angiebt) wurde, war
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Atu den Ttgelriidiem dm alten Helm.
161
er Arzt der Prinzesain Amalie gewesen, wo er ebenfalla soUechte Erfahrungen
gemacht hatte.
10 ) Prinz Anton Ha dz i will, Fürst von Olyka und Nieswicz, g-eboren
am 13. Juni 1775, am 17. März 1796 mit Prinzess Luise vuii Preussen, Tochter
des Prinzen Ferdinand, vermählt. Bekanntlich ist der l'riiiz der f ■oini)(»nist
der Musik zum ersten Theil des Faust. Prinz Kudziwill wurde vürnehmlich
vom J'rinzen Heinrich protegiert, der eine beinahe domonsti-ative Vorliebe
fOr das annektierte Polen zeigte.
11) Prinz Heinrich, Bruder Friedriehs des Grossen. Ober das BhelnS'
berger Leben des Prinzen vdrgl. Fontane, Wanderungen (L Capitel Bhehisberg).
is) Prinz Louis Ferdinand, geboren 18. November 1772 zu Friedrichs-
felde, war der besondere LiebUng des Prinzen Heinrich.
it) GroBsfttrstin Helene, Tochter des Zaren Paul L ans dessen zweiter
Ehe mit Sophie Dorothea von Wflrttembei^, 1799 mit dem Erbprinzen Friedrich
Jjudwig von Mecklenburg-Schwerin vennUhlt. Die Krbprinzessin starb noch
im Jahre 1803. (Lorenz, Genealogisches Handbuch.)
14 ) Prinz August, geboren 19. September 1779, der nachmalige Chef
und Reorganisator der prcussischdi Artillerie. Ihm ist das obeliskenartige
Denkmal im Park von Bellevue gewidmet.
if.) Hut'cland war nach Holland gereist, um den König I^ouis Na}>oleon
zu behandeln, der an Lahmungen der Hände und Füsse litt. (Adami, Luise,
Königin v. Preussen. 7. Aufl. p. 361.)
1«) Zur Eii^bizung der Heimschen Aufzeichnungen und zum Ver^eiche
mOgen hier die gleichzeitigen Notizen der Gräfin Voss (G9 Jahre am
preussischen Hofe) feigem
„10. Juli. Nach Tisch kam endlich Dr. Helm, den der König schickt.
Et sah die Königin, meinte, es wUrc vielleicht besser gewesen, ilir noch ein-
mal zur Ader zu lassen, Im Übrigen sei sie ganz riditig behandelt worden. . . .
Heim glaubt nicht, dass die Krankheil sobald naehlilsst.''
1-) „11. Heim findet heute wieder mehr Fieber. . . . Dennoch hat er die
beste Hoffnung, verlangt nur grosse Vorsicht und Sclionung, denn er sagt,
die Lunge habe gelitten. Er dinierte mit dem Herzog, spielte Abends mit
ihm Whist und war sehr guter Laune.*
Die LandgrHfln von Hessen-Darmstadt war die Wittwe des 1762 ge-
storbenen Landgrafen Georg Wilhelm von Darmstadt
18) ,12. Heim reiste leider heute Abend wieder ab, im Grunde findet
er den Zustand der KOni^^ doefa nicht gut, Fieber, Husten und Schwttdie
immer unverSndert und sagt, dass sie nicht nur eine Lungenentzündung,
sondern in Folge derselben eine Art Abscess in der Lunge gehabt habe, der
nun aufgegangen sei, und daher kUme der Husten. . . . Hieronymi sagt
auch, er habe das alles gleich erkannt, aber ich zweifle daran, denn Heim
hat es ihm erst klar gemacht.*
19) „17. Nach Tisch kamen Heim, (ierke und Schmidt hier an und
fanden sie in grosser Gefahr, sie glauben, dass die Lungen ergriflun sind
tind halten jetzt eine Bettung ffir beuuhe unmöglich. ... Ich schidcte
Bnehner als Staffette an den KOnig mit ehiem Brief von Helm.^
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162
20) „18. Meine arme Könipn ist heute sehr krank, jedesmal, dass ich zu
ihr kam, taiid ieh si« schlechter und mehr verändert. Ueim hatte schon früh
dem Künig eine .Statlette geschickt/*
21) „20 sie wurde ^eöflnci, und mau laiul einen l'nlyjn u iui
Herzen, die rechte Lunge fa.st zcrslürt. . . . Die Arzte sagen, der lV>lyp am
Henson sei eine Folge zu grossen und anhaltenden Kummers. . . .*
Die Prinzessinnen von Hessen und Uranien sind die Schwestern des
KCnigs, Auguste, die Gemahlin des nachmaligen Knrfflraten Wilhelm n. von
Hessen, und Wilhelmtne, später Königin der Niederlande, die die Zeit der
Verbannimg dnrch die französische Herrschaft in Berlin verlebten.
m) Die Minister wollten, dass dieBeisetznng des Prinzen Lonis Ferdinand
ganz ohne Feiwlichkeit geschehen solle, um Napoleon nicht zu reizen. Diese
Übertriebene Rücksicht emi)<>rte den König, und er befahl eine Fcferliclikeit
in angemessenen Grenzen. Die Kinder des I'rinzen, der K"»nig und die
Prinzen empfingen den Sarg im Dom, ein Thoil der Garnison, der Hof und
die Minister bildeten den Trauciviiij:, der v<tn Jicllevuc herkam. Es war nur
eine m;is.sit,'e An/alil Ti upiien kommandiert worden, um das Ganze uichl als
Demonstration erscheinen zu lassen. (09 Jahre p. 387.)
ss) Der Oedanke an diese Verbindung geht bis ins Jahr 1813 zura«sk;
am 6. November erwtthnt die Orttfln Voss in ihrem Tagebuche zum ersten
Male, dass der König zu ihr von dieser Idee gespnxdien habe. Wegen des
für eine russische Heirath nöthigen Obertritts der Prinzessin zur orthodoxen
Kirche eiklllrte der Hofprediger Sack, sie könne, da sie noch nicht einge»
segnet sei, diesen Glaubenswechsel vornehnu-n. Am r», Februar 1814 kam
Gro.ssfürst Nikolaus mit seinem Bruder Michael nach Berlin auf die Braut-
schau; Grätin Vos.s schrid) damals dem Konige, ,,dass mir der Altere besonders
sehr gefallen halje. in (iidanken an unsere I^läne '. Jahre am })reus8i8chen
Hofe. p. 4011.) Danach ist die Verbindung vor allem vom preussiöchen Hofe
gewünscht worden. Am 4. November 1815 fand die Verlobung statt.
2i) Prinz Wilhelm hatte seine Schwester nach Petersburg geleitet.
•i:,) Mit der Prinzessin Luisse ist i'rinze.ssin Kadziwill gemeint. Prinz
Karl V. Mecklenburg Ist der 1785 geborene einzige Stiefbruder der Königin
Luise. Von den Berlhiem wurde er wegen seiner rflokschrittUchen Ge-
sinnung „Marschall Seitwärts" genannt (Geiger U. 539.)
u) Im Juni 1821 war das russische Thronfolgerpaar zum Besuche in
Berlin. Ein grosses Pest soUte diesen Besuch feiern; den Inhalt beschloss
man aus dem eben erschienenen und viel Aufsehen erregenden Gedichte
Thomas Jloores „Lalla Rükh ' zu entnehmen. Es wurde ein Festzug, den
Besuch Abdullahs. Königs der kleinen Bueharei am Hofe Aurengzebs, des
Beherrschers von Delhi darstellend, aufgclulirt; li rni r wurden lebende Bilder
gestellt, die Scenen ans ,,Lull;i Kükh" vorlUhrtt-ii. Das (JrossfürstHche Paar.
sUmtliche Prinzen und l'rinzeb.>iniieii, die ganze Holgesellschaft wirkli-n mit.
Die Dekorationen hatte Schinkel gemalt, die lebenden Bilder stellte Wilhelm
Hansel, die Musik war von Spontini. (Vergl. Fontane, Wanderungen IV.
p. 436 ir.) — Prinzessin Elisa ist die am 28. Oktober 1803 geborene Tochter
des Fürst Anton Badziwillscben Paares, die Jugendliebe Kaiser Wilhelms L
Ana den Tkkgebficbern des alten Heim.
163
ti) Ernst August, Herzog von CtnnberlaDd, seit 1837 König von Han-
nover. Er vonnahlto sich 181 n mit dor Prinzessin Friederike, der Schwostcr
der Kr.nif^iii Ijusc, der Wittwe des Prinzen Ludwig von l'reussen (f 1796> und
des Trinzen Friedrieh Wilhelm von Solms-liraunsfels (y1>»11).
Die VerlobiiU}^ des Ivronpriuzen mit der Prinzessin Elisabeth von
Bayern war bei den llerbstnianr>verü vericündigt worden; die VermUiiloDg
land um 29. November 1S23 statt.
29) Die Vcrmiililunjr Friedrich Wilhelms III. mit der zur Fürstin von
Liegnitz ernaunten 2ijährigeii (irlltin Auguste Uarrach war in aller Stille
am 9. November in Charlottenburg erfolgt. ,1824 traf wie ein Blitz aus
heiterem Himmel die vOIlig Uberroaehende Nachricht ein, Friedrich Wilhelm III*
wolle za einer zweiten Ehe schreiten und sieh mit einer Grafin Uarrach ver-
mählen, die noch dam eine Katholikin seL — Die £ntrQatnng war allgemein,
das Publikum glich einer Kindcrschaar, die eine Stiefmutter bekommen sollte.*
Verschiedene Damen der Berliner Aristokratie fielen in Ohnmaeht. Man er-
blickte in dem Schritte des Königs ein Saerileginm fü^effen den Schutzengel
des Landes, die anf^ebetete Luise; die scliärlstcn Urtheile. der beisscndste
Spott wurden laut. Man nannte die OrUlin die „Kfinifrin der Xaeht", man
sagte, mau würde die lleirath für eine Fabel halten, wenn nielii die Moral
daran ^fehlte etc. Die Gemüther beruhigten sich erst, als man erfuhr, daas
die Grifln nicht Königin wwden sollte, dass der Kronprinz der jungen «mor>
ganatischen" Stieftaratter mit der grOssten Frenndlichkeit beg^e, tfnd als
die Berliner erfahren, mit welcher liebevollen Soiigfalt sie den »alten Herrn*
pflegte, als er 1820 das Bein gebrochen hatte, da hatte sie gewonnen. Nie
i.st ein Hauch einer lir)sen Nachrede auf sie gefallen. (Kbcrty, Jugend-
erinnerun<j:en eines alten Berliners, }>. 77. Geiger II. OliJ).) t^bcr das Ver-
halten des Königs t?<^^?t" "^i^' jU^g^ Fürstin schi"eibt die Grälin Bernstorft'
Band 11, Seite ST) ihrer Leben!<erinnerungeu (Berlin 189G): „Die Furcht, sich
durch jugendliche Zärtlichkeit für die junge Frau ein Kidicule zu geben,
verleitete den Ktfnig zn einem Botragen gegen sie, dessen Kllte wirklich
empörend scheinen mosste. Er sah sie im Beiseln Anderer nie an, geschweige
dass er mit ihr geq»rochen hfttte. ... An der Tafel sass sie ganz unten an;
wenn der Ilof in die Kirche oder sonst wohin folir, musste sie mit; doch ihre
zwei Füchse vermochten sie nicht so schnell zur Stelle zu bringen, wie sie
gesollt, und sie war ein Nachzügler überalL*
30) Maria Arntlt, unter dem Namen von Prillwitz, nach einem in
Pommern unweit Pyritz liegenden Schlosse des Prinzen Au^^fust g-eadelt.
Nach Kneschke, Adelslexikon VII. p. 252 u. v. Ledebur, Adelslexikou II. 220,
ist das Diplom für Maria Arndt und ihre Kinder erst au» dem Jahre 183G.
31) (Icli. llotV'alh Heun. der unter dem Öchriilstellemamen Claureu
bekannte Beyi ünder der Minuli Literatur.
^2) Adam Elias von Siebold, ein Glied der bekannten Würzburger
Arzilamilie, berühmter Gynäkologe, wirkte seit 13Iü in Berlin und cröfl'nele
hier 1817 die Üniversitätsfirauenklinik.
ss) Grossherzog Karl Angnst war im Frtlt^alir 1828 einer Einladung an
den Berliner Hof gefolgt, zu dem er duroh Vermahlung sehier Enkelin Marie
11*
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164
Georg SiegtriBt.
Aniui mit dem riiuzen Karl in verwandtschaftliche Beziehungen g:etreten
war. Auf der KUckreise starb er am 14. Juni zu Gradiiz bei Torgau.
■ u) Daa berOhiatQ Fest der welüen Boee in Potsdam am 13. JuU sor
Feier des Geburtstag der Kaiserin tob Rosslaad. Eine SofaUdemiig des
Testes findet sieh.n. a. bei StreekAuSi Berlin im 19. Jabrlmndert, II. 448.
SS) Dem Fürsten Anton Radawill war im Jabre 1823 die Statthalter-
Schaft der Provinz Posen übertragen worden, um seine Familie wegen der
Neigung des Prinzen Wilhelm zur Prinzessin Elisa I^adziwlll von Herlin zu
entfernen. Xach langem Hin- und Herwügen wurde die l'rinzessin tfir niilit
ebenbürtig erklürt, nachdem vorher Savigny und Graf Stolberg Denkschriften
in bejahendem Sinne ausgeaiheitet hatten, die aber für ungenügend befunden
worden waren. Friedrich Wilhelm lU. konnte sich nicht entschliessen, aus
eigener Machtrollkommenbeit seine Einwilligung zu der Verbindnog zu geben.
(Grüfin Elise von Bemstorff I. 332.) ~ Die Angabe in der AUgem. dentseb.
Biogr. XXVII. p. IM, dass das Fürst RadzIwUlsche Paar seit 1816 seinen
stBndigen Aufenthalt in Posen hatte, ist also irrthllmlich; erst am 88. Juli
1822 vcriicss es Berlin.
3») Prinzessin Marianne, geboren 0. Mai 1810, Tochter des Königs
Wilhelm 1. der Niederlande und der Prinzessin Wilhehnine von Pn-ussen,
der Schwester Friedrich Wilhelms III., wurde um 11, Si-pteniber 18 in mit dem
Prinzen Albrecht von Preussen vermUhlt. Die Ehe wurde isii) geschieden.
Die Prinzessin starb 1883. Von ihrer Originalität erzUhlt die Griifiu Elise
BemstorlT: ,8ie tanzte und hüpfte aof den HofbSllen mit nngebnndener
Fröhlichkeit umher nnd Uess sich dnrehaos nichts Ton ihrer Gouvernante,
der Lady Bentinek, sagen. Ihre Toilette gab auch Zeugniss von der Frei-
heit, die man ihr in allem Hess; denn ihr Haar flog in fteien Locken nm
Nacken nnd Schultern, nnd weil die jugendliche Prinzess keine Art von
Toilettenzwang duldete, war ebenfalls an keine Taille zn denken." (GrJlfln
Elise von Bernstorff II. 7.)
37) Die Königin, die sieh in I^erliu immer noch wohler fühlte als in
Holland und, wenn es irgend anging, ihr Palais (das niederlilndische
unter den Linden) bewohnte, war als jugendliche Prinzessin eine grosse
Schönheit; ihre Anmnth und ihr schlanker Wnohs waren bewnndems-
würdig. „Sollten grosser Eifer nnd Flelss zam Halen sie vor der Zeit so
krumm zusammengezogen und ihr edles Haupt so gebeugt haben?" (GrSfin
Elise T. Bemstorff n. 7.)
165
VL
Aus der Berliner Gesellschaft.
1795.
19. Jannar. Mittags heim Kammerdiralclor Stabenranch*) inGe-
sellscbafl des Geh. J.-R. v. Schfits und Geh. R. Gilly gespeist
21. Mittags beun GeD.-Lieai Boyen gespeist, and recht ver-
gnügt gewesen.
6. Jnni. Mittags beim Minister Hardenberg in grosser Gesell-
schaft gespeist Mit dem Geh. R. Massenbach viel gesprochen.
23. Angost. In Lichtenberg beim Feld-Marschall v. MOllendorff
in grosser Gessllschalt gespeist
8. Oktober. Mittags beim Bachdmcker Ungar in Gesellschaft des
Grafen v. Schlabrendorff*) gespeist.
21. Deaember. Speiste der Ober-Amimann Fromme*) nnd Hof*
rath Hiller bei mir.
1796.
1. Jannar. Mittags beim Eammeigerichtsrath v. Rappard anf
einem Anstem-Picfcnick gewesen.
15. Jnli. Mittags beim Geh. R. le Coq gespeist Ausser vielen
anderen war anch der Minister v. Hanckwits hier.
26. Mittags beim Stadt-Syndikns Eoels^) in GeseUschaft von
Geh. R. Rosen stiel f), D. Welper nnd Jnstiz-Sekretftr Schlicht ge-
speist Letzterer machte ans alle mehrere Stenden lachen.
1. September. Mittags beim Geh. R. Zimmer von 2 bis 7 in
grosser Gesellschaft gespeist Solche Verschwendung ist ganz anverant-
wortlich. Abends daselbst Whist gespielt Geh. Rath n. Bflrgermeister
Mfiller ist ein goter Whistspieler. Abends nach 10 Uhr za Foss mit
meiner Fran nach Hanse gegangen. Da es etwas za regnen anfing,
brummte meine Fran, und war ärgerlich, zn Fasse gehen za mflssen.
Ich lachte.
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166
Oeoig Stogefiit.
19. Mittags beim Eanfmaim Schückler in MamißgeseUschaft ge-
speist. ^
* 16. November. Mittncr^ bei Ü"' Schmitz in grosser Gesellschaft
gespeist. Ihr Bruder, der wie ein Schwein iVisst und denkt, NVoIffs,
Faudt ls, D. Riemers, . . . 5 Grafen Hatzfeldt, ein gewesener Beicht-
vater (h'V Königin von Frankreich waren hier. Die arme Mamsell
Schmitz hat heute einen schweren Tag gehabt. Mein«* Frau und Chi i^^tiane
waren auch hii-r. In eine solche unzüchtige Gesellschalt sollen sie mir
aber nicht wieder gehen.
IH. Dezember. Abends den theologischen Schwärmer General
V. Boyen besucht )
1797.
17. Februar. Beim D. Ktirella gespeist Auf die FVeimanrerei
töchtig losgezogen.
16. Jani. Zu Charlottenborg bei Paol Hesse gesi>eJ8t Minister
y. Lncisini ) und v. Alvensleben**)^ Präsident Kircheisen") etc.
waren hier. Lncisini machte mir viel Komplimente and so ich ihm, da
ich heute ihn sum ersten Mal gesprochen und persönlich liennen ge-
lernt habe.
1798.
17. Febmar. Beim Hofagenten Ephraim V eitel'*) mit lauter
Juden gespeist, und mir es recht gut schmecken lassen.
H. März. Beim Geli. .I.-K. Bon mann in der Mutter-Freimaurer-
loge bewirthet worden. Viele Freiraaurerlieder wurden gesungen, und
flberbaupt herrschte hier ein besonderer Geist — ob dies ftbrigens ein
guter oder böser sei, mag ich nicht entscheiden.")
'22, Mai. Beim Präsidenten Scheire in grosser Gesellschaft ge«
speist Der neue Minister v. Massow mit seiner Frau war auch hier,
und fanden beide allen Beifall.'*)
18. September. Mittags beim Bfxnister v. Blumenthal in Gesell-
schaft der Gräfin v. Podewils, v. Neal, Frau v. Steinberg, sädisi*
sehen Gesandten Grafen Schlabrendorff, v. Omdada'*) gespeist
1799.
1^^ AjM Ü. IJeiin Mini«>ter V. Hardenberg in Gesellschaft von dem
hoiiandi<rhtii Admiral Kinkel), Geh. K. Pandel und Koch gespeist.
l'Ö. Dezember. Beim Minister v. Hardenberg in Gesellschaft des
G»'h. .I.-R. K'ch, Schausjdelers Ifland und des beridimten und be-
rüchtigten Laiidraüis v. Berlepsch") gespeist, und recht veignügt ge-
wesen.
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Aus den Tagebüchern des alten Heim.
167
1800.
30, Januar. Mitt boim Ministei' v. Hardenberg in Gesellschaft
des Gell. .I.-H. Koch, bcliauspieldirektor Ifiaud und eines gewissen
V. Bülow') gespeist.
l'O. April. Beim Ofen - Fabrikant Iloelih'r in Gesellschaft von
20 ii'ersonen in seinem grossen prächtigen Üsteu-Saal gespeist
1801.
14. Februar. Beim Domherrn v. Kuchow' _) in grosser Gesellschaft
gespeist.
26. September. Die für mich so unangenehme Nachricht erfahren»
dass Se. Excellenz der Ober*IIofmeister v. Dorville zu Paris den
15. dieses gestorben sei."*)
27. Dezember. Mittags beim Direktor van Zoe auf der Pulver*
fabrik .... gespeist."")
1803.
13. Februar. Beim Geh. R. v. Rappard im Thiergarten zum Früh-
stück gewesen, wo Beyme, v. Schevens and eine Menge Anderer
waren. Um 11 Uhr kam die Gesellschaft zusammen, um 1 Uhr hatte
jeder sein Frühstück zu sich genommen, man setzte sich dann noch zum
Spiel und spielte bis 3 Uhr, wo die Gesellschaft auseinander ging.
6. März. Gestern ist die verwittwete Frau Geli. Rathin Ursinns,
eine gelehrte und sehr empfindsame Frau, welche ich in der Kur gehabt
habe, nach dem Gef&ngniss der Hausvoigtei gebracht worden, weil sie
ihren Bedienten durch Arsenik hat umbringen wollen.
25. MaL Auf der Hausvoigtei vor den Richtern der Giftmischerin,
Frau Geh. R&thin Ursinus, die gegenwärtig war, verhört worden. Dies
waren unangenehme Unterhaltungen für ihr und für mich — doch
mnsste ich die Wahrheit sagen.*')
26. JunL Mich sehr betrübt, dass der Ober-Med.-R. Cosmar und
€reh. Rath v. Warsing'^, deren Arzt ich auch bin, sich bei dem Prinzen
V. Byron wegen eines Prozesses so schlecht benommen haben sollen,
dass die Justiz sie criminal wird behandeln müssen.
10. Juli. Nach Tische nach Steglitz zum Geh. K.-R. Beyme ge*
ritten, dessen 38. Geburtstag heute gefeiert wurde. An 40 - 50 Menschen
waren hier, um diesen wichtigen Tag zu feiern. . . . Alles war \or-
trefilich, ansser die Stücke, die der Bildhauer Schadow aufführen liess,
neml. der D. Yentoso, der Lampenputzer und der Tliookessel, Nvaren
recht schlecht, gemein und unanständig, worüber sieb alle honnette
Menschen ärgerten.
17. Anfällst. Beim ganz neuen Grafen, dem Geh. .T.-Kath v. Hägen
in Geseilsriiaft des neuen Ministers v. Angern'^), Minister v. Harden*
berg, V. Reck, Geh. J.-R. Sack gespeist.
168
Geoig Si^eriBt.
9. September. Mittags vom Stallmeister VVolny im Thiergarten
bei Kerstans im Loewencckscben Picknick, der dem Feldmarschall
V. MöUeiidorff zu Ehren gegeben wurde, bewirthet Nvorden. An
Musik, Lärm und Spektakel fehlte es nicht. Als des Feldmarschalls
Gesundheit getrunken wurde, wurden 12 Kanonenschüsse gethan. Jede
Gesundheit, die getrunken wurde, wurde mit mehr oder weniger Kanonen-
schüssen begleitet. Aut Ii auf die Gesumlheil ier Arzte, die dem Gen.-
Chir. Mursinna und mir galt, und die der Feidmarschall gab, wurden
mehrere Kanonenschüsse gethan.
16. September. Mittags im Loeweneckschen Picknick im Thier-
garten vom Obrist Grafen v. Schwerin bewirthet worden. Wegen der
vielen fremden Offiziere, die jetzt hier sind, bestand die Gesellschaft
wenigstens ans 15Q Personen. Wegen der Gegenwart des Königs zn
Charloftanbnrg worde heute wegen dem Gesiindheittrinken nicht kanoniert,
aber desto mehr mnsiciert
10. Dezember. Hittags beim englischen Gesandten Jackson in
grosser Gesellschaft gespeist
1804.
19. Febmar. Abends beim Hofagenten Heymann Ephraim Yeitel
auf einem grossen Sonper gewesen, wo man von 9 bis hat halb 1 Uhr
zu Tische sass.
12. Mftrz. Von 8Vi Uhr Nachmittags bis ^1^2 Uhr nach Bftttemacht
im Komödienhaus gewesen, wo ein Maskenball von 2000 Menschen ge-
. geben wurde und wo es mir sehr gut gefiel. Mit der regierenden und
verwittweten Königin und melireren fürstlichen Personen gesprochen.
17. November. Mittags bei Frau v. Berg-^) mit dem Geh. R.
Wilke, Prof. Spalding und Schwedischen Chargii d'affiures v. Brink-
mann gespeist.
1805.
11. März. Wurde der Auskultator Mar sinn a, Sohn des Gren.-Ghir.
von dem v. KrQdener, Sekretär bei der russischen Cresandtschaft, im
Duell erschossen. Der grÖssteTheil der Stadt nimmt an diesem Yorfall
Antheil.
1806.
7. Oktober. Mittags, im Densoschen Picknick im Thiergarten ge-
speist Da es heute 25 Jahre sind, dass der Kammergerichtsrath Denso
dieses Piduück errichtet hat, so wurde es auf das feierlichste begangen.
150 Personen sassen zu Tische, man speiste die Person zn 1 Rthlr.
1811.
24. Januar. Mittags beim Geh. Staats-Kath Obristen v. Hake^-)
gespeist
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Am d«ii TfegMelMai det altaa BMm. 169
9. April. Mittags beim Rammergerichts-Präsideiiten WoldermBDii
in grosser Gesellschaft von allen K. G. Rathen nnd mehreren anderen
sehr gut gespeist.
7. yhü. Tn der tcntscfaen Tisch-Gesellschaft vom Prinsen ßadzi-
will bewirthet worden.
I8I3.
24. Januar. Mittags in einer grossen Gesellschaft, die den Ge-
burtstag Friedrichs des '2teii feierte, und von der der Geh. J.-Kath
Heller der Pickenicksvater war, gespeist, und wegen der vielen alten
Männer, von denen noch mehrere Zöpfe trugen, sehr vergnügt gewesen.
5. Februar. Mittags beim Minister v. Brock hausen-'') gespeist,
in Gesellschaft vom Minister Alopaeus ■•''), des schwedischen Gesandten
V. Taube, Staatsräthe v. Klewitz'''), Küster, Stegemanu, Major
V. Anhalt'') ötc.
1814. *
1. Juni. Mittags heim Gouverneur v. L'P]sto(i'°) in Gesellschaft
von 40 Personen, unter denen sich der Prinz v. Cumberland, Erb-
prinz V. Mecklenburg-Strelitz, l'Tu-st Dolgerocky, alle hiesigen Ge-
sandten und Minist(»rs und Generale pp. befanden, gespeist. Bei Tische
.sass ich glücklicher Wt'ise beim Adjutanten des Herzogs v. Cumberland,
Mr. Dawkins, einem Knglander, der kein Deutach verstand, und mit
dem ich englisch viel gesprochen habe.
1815.
213. Januar. Beim Grafen v. d. Goltz**) in kleiner Gesellschaft
gespeist. Vor Tische vom Fürsten Blücher bei Sala Taroni mit Austern
und Champagner ti^aktiert worden.")
29. Betember. Im Englischen Haas, wo man den Tag, an dem
der Präsident v. Orolmann'*) vor 50 Jahren Rath wurde, sehr herrlich
gefeiert, in Gesellschaft von 42 Personen gespeist Der Ffirst Harden-
berg, alle liOnister nnd vornehmsten Staatsmänner waren hier, auch
Beyme.
1816.
19. Januar. Beim Hof-Postmeister Brese recht gut gespeist.
24. Mittags auf der Börse vom D. Aleyer in der teatsch-dirist-
lichen Gfresellschaft bewirthet worden.
26. Febmar. Beim Geh. Rath Grelinger in grosser Gesellschaft,
in der sich auch Blficher nnd Hardenberg befonden, gespeist Mit
BlQcher mich am meisten unterhalten.
10. September. Speisten bei mir die Minister v. Kircheisen and
T. Schnckmann'*), der schwedische Gesandte Taube und Admiral
V. Gyllenskjöld aus Schweden,' Staatsrath Borschs, K. Direktor
Ludolff, Stadt-Direktor Beelitz*^), Hufeland, v. Kamptz etc.
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170 , Georg Siegeikt..
1817.
24. November. Wurde des Gcueral-Fostmeistera v. Seegebarth
5U jahriges Dieust- Jubelfest gefeiert. ^'^')
1818.
'20. Jauuar. B^nm Fürsten Blücher in grosser Gesellschaft ge-
speist, sehr ifut aufgcnoimnen und bewirtliet worden.
23. Februar. Vom Ban(|uier Lipke l)ei Dallach in grosser Gesell-
schaft gut bewirthet worden. Ich sass neben dem Fürsten Blücher,
mit dem icli mich sein' {i;ut unterhalten habe.
in. November. lieim Fürsten IJlücher gespeist, und olmerachtet
viehi Gaste zu Ti.sche sassen, so sprach fast keiner ein Wort, ausser er
und ich.
1819.
39. Juli. Mittags auf der Börse, wo das 50jährige Amtsjabiläum
des Stadtpräsidenteil Gersheim in einer GeBelischaft von 150 bis 160
Gästen gefeiert wurde, gespeist.
13. I>ezember. Beim v. Wulffen, einem Spieler von Profession
(gamster) in grosser Gesellschaft überaus gut bewirthet worden. Zur
Rechten den General v. Ranch Ezcell.*'), einen sehr verstandigen, und
zur Linken den General v. Natzmer'^ einen eingebildeten und wie man
sagt, naseweisen Mann bei Tische zur Seite gehabt.
1820.
6. Januar. Beim Gouverneur v. Gneisenau in Gesellschaft von
einigen 50 Personen sehr hoch gespeist.
14. August Beim General-Procnrator Eichhorn in GeseUschaft
von 11 Personen, meistens Rheinländer, gespeist Vom Marschall
Davoust wurde mehr Gutes als Böses erzählt
19. Gestern ist der Sonderling, mein seit vielen Jahren ergebenster
Verehrer, Freund und Diener, der sich einbildete und vielleicht auch
war, der erste Schilfer in der Welt zu sein, der Graf v. Schlabrendorff
zu Potsdam beim Baden in der Havel ertrunken.
1821.
22. Januar. Heim Krio?:sniinister v. Hake in Gesellschaft von
12 Personen gespeist, und da ich den Minister schon seit mehr als
40 Jahren kenne, sehr munter gewesen.
1823.
20. April. Mittags bei .lagor, wd das "jitj-ilirige Amtsjubiläum des
Präsidenten Wolder mann von l.'KI Personen mit Musik und Gesang
hoch gefeiert wurde, gespeist. Der König ertheiite ihm den Titel £x-
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Ans den TugebOehtra dw «Itaa HUm. 171
oeUens, lud sein Bild in ganzer Gröflse wurde im Ksmmergericlit auf-
gehangen.
1827.
16. Febmar. Den General v. Eiekebasch, Kommandanten von
SUberberg, kennen gelernt.
1831.
27. November. Den Referendarine Hinckeldei anfl Sieders-
bansen, eine kleine Meile von Solz, znm Essen bei mir gehabt.
i) Friedrich HeiDrich Stnbenrsacb, königlicher, prinzUeher (Direktor
der Prinz Ferdinandschen DomSnenkammer) und Ordenskammerdirektor, ge<
boren an Dessau 1743, Stadieagenosse and Jngendfreuid Heims. (Gel. Bert
1795. II. IU3.)
i) Der Feldmursehall v. Möllendorff, der Held von Lcuthen and
Burkersdorf, bcsass in Lichtenberg: ein Landliaiis mit Garten, dessen Glashlluser
unil eiifrlij^che Anlagen seiner Zeit berühmt waren. (Nicolai, Wogweiser durch
Berlin und Potsdam, 179!. j), 176.)
3) tiraf llelnridi Sehl abrendorf f , Erblierr auf Gröben, seit 17S0 im
Besitz des Grafentitcis. Eine ansprechende Schilderung dieses Sonderlings giebt
Fontane, Wanderungen IV. p. 371 ff.
4) Oberamtmann Fromme in Fehrbellin, einer der Mitarbeiter an der
EntwMssenmg und Besiedeluug des Dossebrucbs. (cf. Fontane, Wanderungen
L 3. A. 333 fr.)
ft) Syndikus Koels war im Jahre IHOÜ zweiter Bürgermeister von B«'rlin
und empfing als solcher am 23 D<'zember in Vertretung BUschings das hoim-
kehrendo Königspaar. (Geiger II. 243.)
ß) Geh. Kath Kosenstiel, ein brgoistcrter „Gesellschaftsiiianii'' Herlins;
wir finden seinen Namen in den Mitgliederlisten fast aller geselligen Ver-
einigungen dieser Zeit, im HontagsMub, Fenlers Mittwochsgesellscbaft etc.
(Geiger n. 199, 201.)
7) Mitchef des Bankhauses Gebrüder Sehiekler in der Gcrtraudten-
Strasse 16.
ö) General Emst Siegmund v. Boyen, Direktor des 6. Departements des
Ober-Kri< j,'s-Ko]1cgium8 (fllr Moiitierungs- und Armaturwesen), Oheim des
nachmaligen ( Jeneralfeldmarschails Hcrnianu v. Moyen. Kr war wie dessen
Vater ein .Vnh.'lnger Jenes Chri.stcnthum-s, ,,wie e.s im Ileon' Friedrichs des
Grossen nicht selten war und eine gewisse historische Bedeutung in Ansitruch
nehmen darf". (Meinecke, Da.s Leben des Gcueralfcldmarschalls Hermann
V. Boyen, I. p. 12.)
•) Marquis Girolamo Luechesini, 17.51 zu Lucsa geboren, kam 1779 nach
Berlin, wo ihn Friedrich zum Kammerherm ernannte. Er gehörte bald zur
tSgliehcn Tischgesellschalk des KOnJgs und vermittelte dessen literarischen
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172
G«o«g Stogedü
Verkehr mit italienischen (ieh hiton. Unter Friedrich Wilhelm II. trat er in
(Ion diplomatischen Dienst rreusscns und hat 20 Jahre lang an dessen aus-
wärtiger Politik wesentlichen Antheil gehabt, vornehmlich als Gesandter in
Petersbiu'g (Warschau), wo er die Interessen Proussens in den polnischen
Angelegenheiten wahrzunehmen hatte, in Wien seit 1793 (in demselben Jahre
wurde er znm Minister ernannt) und in Paris von 1800^1806; dort sachte
er trotz seiner persönlichen Abneignnsr gegen Napoleon Preossens Ansdilnsa
an Frankreich festzuhalten. 1807 wurde er mit einer Pension von 1000 Thalem
entlassen und kehrte in seine Ueimathstadt zurück, wo er, vornehmlich mit
wisBcnschafllichen Arbeiten besch.'Iftig-t, 1825 starb.
10) Minister V. AI vensleben, seit 1 '^<'<i Graf, war 1791 zum Geh. Staats«,
Kriegs- und Kabinettsminister ernannt wurden.
it) Friedrich Leopold v. Kirch eisen, geboren 1749, gestorben 1825,
prcossischer Justizminister. Hit 23 Jahren war er bereits Kammergerichts-
rath. Als solcher war er an dem Erkenntnisse im Mttller Amoldsdien Prozesse
betheiligt, en(;ging aber einer Bestrafong. Wesentlichen Antheil hatte «r an
der Entstehung des preussischen Landrechts, worin er das Sachenrecht be>
arbeitete. 1809 wurde er Kammergerichts-Präsident, 1^10 Justizminister.
Als solcher vertrat er lebhaft die Carmer-Suarczsche Gesetzgebung. Auch
um das Gemeinwohl Berlins f RUrgerrettungsinstitat, Armenspeisungsanstalt)
hat er sich hohe Verdienste erworben.
12) Sohn des am 16. Mai 1775 gestorl)enen Uofjuweliers und MUnz-
entrepreneurs Friedrichs des Grossen Veitel Heine l'.phrnim. Mit seinen zwei
Brüdern zusammen hatte er die von seinem Vater übernommene Erbpacht
der Königlichen Gold- und Silbermanufaictur, deren Betriebswerkstfttten sich
in dem .Jadenmtthle* genannten I^tabUssement am Schüfbauerdamm be-
fanden (No. Z0\ 1783 wurden dort 813 Personen beschSftigt und tftt 299 651
Thalcr Tressen, Borten, Schntlre und Flittcm an^refertigt 1821 ging die
Manufaktur als Eigenthuni an die Nachkommen Ephraims ttber. (F. Meyer,
Berühmte Männer Berlins II. j.. 109 fl'.)
n) In Heiiin bestanden damals folgende Logen: die Mutterloge zu den
drei Weltku^^^eln, 1740 errichtet, Eintracht 1754, flammender Stern 1770,
Friedrich zu den drei Seraiihim 1774 (franz<»si8ch), Verschwiegenheit zu den
drei verbundenen Händen 1775. Ihr Heim hatten diese vier Logen im Behr-
sehen Hause in der Leiiizigerstrasse. Zur grossen Landesloge in Deutsch-
land gehörten die drei goldenen Schlüssel 1769, Stewartsloge 1770, das
goldene Schiff 1771, Pegasus 1772 (französisch), die Bestllndigkeit 1775, der
Pilgrim 1776, der goldene Pflug 1776, der Widder 1777 (die Johanneslogen) ;
die 1752 von einigen fr.ni znsischen Maeons gestiftete Loge Royal York de
Tamitii' im eliemals Dankelmannsclien, l'!'^ von Schlüter umgebnuten Hause
in <ler 1 )(>rntlHM'iisfrasse. — Ein sehr ahsjirochfMides IJrtheil über das Berliner
Logenwoücn füllt der allerOin^'^s Ubertreil)en(lf Kriedrieli v. CiMln. Sie ständen
mit den Kcssoui'cen auf einer Stufe; ihre Arbeiten iiüi/.ten der Menschheit wenig.
Die Loge Royal York habe man als „ein Vehikel für die geheime Polizei«
vorgeschlagen. Den Brauch des Singens beim Mahle swischen den einseinen
Olingen findet er lästig und nur als Lückenbttsser, weil die Mehrheit »theils
maulfaul, theUs zu vorsichtig ist, eine warme Unteihaltung anzufangen und
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AoB dea I^bachecn des alten Heim.
1T3
fortzu.spiimeii.'' Der gute Zweck der Logen, alle gein-nmen Stünde „mit
sauften IJmuliii" zu umschliosson und in ihren Zirkeln all»- fr<'l'ildtten
Menschen aurzunehnien, sei durch die Ressourcen aui'genoniuien. Auch der
alte HoIWrth Parthey erklürte sdnodd Sohne Gnetay, bei der Freimaiirerei
«komme nichts herans*. (Krug, Berlin 1793. p. 156. v. COUn, Berlin und
Wien in Parallele p. 140 If. Parthey, Jngenderinnenmgen I, 115.)
14) V. Massow war am 2. April 1798 Xaehfolger WOllners geworden.
1807 verabschiedet, starb er 18 L6. Seine Frau war die Tochter des Kriegs-
nnd DomUnenratlis Spalding.
if.) V. Ompteda, hannöverscher Gesandter in Berlin.
16) Friedrich Ludwig v. Berlepsch, hannoverscher Landratli und Ilof-
richter. Als solcher stellte er 1794 den berühmten ^Calenbcr^ischen Antrag'', als
der Friede von Basel bevorstand, and das FUrstcntham Hannover, des Schutzes
Prenasens beraubt» fttrehten musste, von Frankreich als deutsche Provinz Eng-
lands, das sich noch im Kriege mit Frankreich befisnd, betrachtet sn werden.
B. verlangte, die vom König von England als Kurfftrst von Hannover er«
grißenen Massregeln als verfassungswidrig zu raissbj|lligen ; die Bewohner
der Provinzen Calenberg und Grubenhagen sollten am Heichskriege keinen
Antheil nehmen; der Kurflirst sollte für die < alenborgische Xntion eine
NeutralitUtserklärung an Frankreich senden; widrigenfalls würde man selbst
mit Frankreich verhandeln. H. wurde al)g«'8<'tzt , als vr den Antnig ver-
üU'eniiiclite, klagte heim KeichükamniL'rgericht und erlangte ein Urtheil auf
Wiedereinsetzung. Die hannoversche Uegierung appellierte nun an den
Reichstag und verwies Berlepsch des Landes. Er verfasste eine wahre
Flnth von Streitschriften bis zum Jahre 1803. 1813 trat er gegen den Kur-
fürsten von Hessen auf, dem er nachwies, dass den Gerichten die Ent*
Scheidungen vorgeschrieben würden, und dass seine Unterthanen dreimal
soviel Steuern bezahlten wie ISOH. Von Hannover forderte er 40 000 Thaler
Schadenersatz; er wandte sich deswegen an den Bundestag, aber vergeblich.
Er starb 1818, ohne etwas erreicht zu haben. fAllg. d. Biogr. II. \>. 403.)
17) Dietrich Adum Heinrich v. Bülow, Bruder Bülows von Dennewitz,
17Gü oder 63 geboren. Er ist eine der merkwürdigen Erscheinungen aus
der Wende des 18. Jabrfauoderts, welche dem Geiste ihrer Zelt zum Opfer
gefallen sind; seine Genialitttt wurde sein Verderben. Geistig hoch bedeutendi
aber unstKt, ohne Buhe und Ausdauer, dabei ausschweifend, fand er nicht
Anerkennung, sondern Misstraura; das verbitterte ihn. Er war nach einander
preussischer Offizier, hollitndischer Insurgent 1790, Theaterdirektor ohne Auf-
führungen, J.'jger in den amerikanischen Urwüldcrn, Swedenborgianischer
Aj>(»stel*), Kauiniann; eine Spekulation mit (ilaswaaren nach Amerika gemein-
sam mit seinem Bruder Carl raubte ihm sein Venn")gen. Voller Entrüstung
darob schrieb er „Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustande"
•) Nach seinem Tode erschien emo Schrift: „Nunc penniasum est. Coup d'oeil
sur la üocthue de la nouvelle ^glise cbretieuue ou le Swedenbor^anisme. Ouvrage
potthnnie de HL de Bnlow. 1809.** Er sucht dsrin tu beweisen, dsss der Swedeii'
boigiSDismns In den Jahien 1817 mid 16 an die Stelle des katholischen nnd pfO>
iMtantiscbA OhriHeBflmms tietsn weide.
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174
Geoig 8i0geriBt.
(1797), worin vv die Vereinifj^tcn Staaten und die Amerikaner aufs llettipste
anj^^rifl*. lu den nächsten Julircn erütluen eine Iveilie treHlich geschriebener
Bücher strategischen und politischen Inhalts. (Geist des neuen Kriegs-
syBtemi.) 1799 kehrte er naeh Berlin znrUck. Seine BemfUningen, im diplo-
matiechen oder GeneralstabsdlenBte eln^ Anstellung zu finden, waren firacht-
los; deshalb griff er die bestehende Staatsfonn immer heftiger an. In
den nächsten Jahren niaclite er, von seinem Bmder Wilhelm imterstlltst,
Reisen In Prankreich, England, Deutschland. Seit 1804 entfaltete er in Berlin
eine reiche schriftstelU rische TliMt!«:keit ; unter vielem andern erschien 1805
„Prinz Heinrich von Preusseii, kritische (Jeschiehte seiner FeldzUg-e", worin
Biilttw, getreu seinen absprechcn<leii und zersetzenden Grundsätzen, den
l-'rinzcn als Feldherrn weit Uber Friedrieh II. stellt. Eine beisscnde Kritik des
Feldzuges von 1805 fUhrte im August isoe auf Veranlassung des russischen
Gesandten in Berlin ta seiner Verhaftung. Beim Nahen der Franzosen wurde
er nach Kolberg gebracht, wo er einen Plan zu einer allgemeinen Volks-
erhebnng im Kficken des Feindes ausarbeitete, der imverkennbare Ähnlich-
keit mit dem spUtcren Landwohrsystem zeigt Von Kolberg beförderte man
ihn bei Beginn der Belagerung nach Königsberg. Seine weiteren Schicksale
sind dunkel. Kr soll nach Kurland entkommen sein; dort hiitten ihn Kosaken
anf^'-e^riffcn und nach Riga gebracht, wo er im Juli Is07 am Xervcnfieber
gesiorlien ist. d'aul v. Bülow, Familienbuch der von BtUuw. p. 288. Erscb
und Gruber, EncyclopHdie I, Band 13. p. 30.jrt.)
18) Friedrich Eberhard Freiherr v. Bochow, Erbherr auf Rekahn und
Domherr zn Halberstadt, der Reformator des norddeutschen Volksschnlwesens.
Zaerst Ofözier, mnsste er in Folge einer Verwundung den Dienst quittieren
und bewirthsohaltete seine Gflter. Hier lernte er die Unwissenheit und Roh-
heit des Landvolkes kennen. Friedridi der Grosse ging auf seine Plttne zur
Allhülfe ein. Bochow forderte ausgebildete Lehrer, nicht Handwerker oder
Invaliden; der Lelirer müsse mindestens 100 Thaler baares Geiialt nebst allen
Nebeneinkiinften haben: narli M"i;:Iii'hkeit seien eigene Schulgebllude zu
errichten, jedenfalls lielle Klassen. .Seit 1771 richtete er Muster.-chulen in
seinen Dürfern liekahn, Güttin, Koschcrlinde und Brüekermark ein, die bald
über Deutschlands Grenzen hinaus berUhmt wiu'den. 17 .2 iiatte er seinen
„Versuch eines Schulbuches für Kinder der Landleute oder zum Gebrauch
in Dorfschulen* unter dem Motto: «Dittcile est proprio oommunla dlcere*
erscheinen lassen; 1773 folgte der .Kinderflreund, ein Lehrbuch zum Gebrauch
in Landschulen', der 1834 seine letzte Auflage erlebte; in demselben Jahre
schrieb er seine „Instruktion für Landschulmeister". Bochow war vollständig
Autodidakt, ein Verelirer Rousseaus, Freund Gellerts und Basedows. Er
starb (19 Jahre alt 1805. (Allg. d. BiogT. XXVm. p. 727, Nicolai, Berlin
und Potsdam III. 1034.)
19) V. Dorville war Uofmarschall bei der Gemahlin Friedrich Wil-
helm II. gewesen.
m) Die Königliche Pulverfabrik, 1717 von van Zee und Bauer angelegt,
befand sich auf dem Gelände des jetzigen Landes -Ausstellungspalastes hi
Moabit (Berlin wie es ist. p. 207.)
n) Dem am 12. September 1803 publleierteii Urthefl erster instans wider
Ans den Tagebaeheiii dttB alten Helm.
1T6
die Geheime Justizrlithin Ursinus, geborene Weingarten, von Weiss genannt,
■eSen folgende Ang-ahen entnommen: Im Alter von 10 Jahren hatte sie sich
im Jahre 1779 mit dem damaligen < )bergeriebtsrath Ursinus, dem Hausfreunde
ihrer Eltern vermlihlt; er war kriinklich und seh\verhr»rifr, sie li<d)t*' ihn nieht.
Die Ehe blieb kinderlos. Sie ging noch zu Lebzeiten ilires Mannes ein Ver-
hliltniss mit einem holländischen Offizier Kaquay ein, das Ihr Mann billigte.
Raiiaay starb im Jnli 1797. Am 11. September 1800 starb ihr Mann, nach-
dem er ein Brechmittel aus ihrer Hand eingenommen hatte. Am 23. Januar
1801 starb ihre Tante Witten in Gbarlottenburg, bei der sich die Ursinns zur
Zeit aufhielt. Als in Fflamnen, die sie Ihrem Bedienten Klein gegeben liatte,
Arsenik festgestellt wurde, erfolgte ihre Verhaftung. Sie erklärte, am Tode
ihres Mannes und ihrer Tante imschuhbv zu sein, aueh den Klein habe sie nieht
tikllen wollen; sie hätte die Absicht gehalft, Sell).stnionl zu begehen und an
Klein studieien wollen, wieviel Gift sie nehmen müsse, um sieh zu tüdten.
Zenker und Heim, die i <9V Kaquay behandelt hatten, erklärten, dass sie ihn
nieht vergiftet habe. In aebiem Krankenverzeichnisse 1797 verzeichnet Heim
am 4. Febraar: „v. Raqimy, ans Holland gebürtig, phtbysls pnimonalis".
Ursinns* Leiche wurde untersucht; Klaproth und Rose hielten es nach Unter-
suchung der Eingeweide für wahrscheinlich, dass er an Folgen des Arseniks
gestorben sei, indessen sei Gift seilest nieht gefunden. Dem widersprachen
die Aussagen der Ärzte, die ihn behandelt hatten, K(»rmoy, Laube. Bremer.
Bei der Tante Witten stellten Klaproth und Kose \'er^'ittung dureh Ai-sonik
fest. Klein war der Vertraute der sehr liebcbcdUrfti/^-en Dame; s.ie liatie
Hm als Kundsciuiller über die Verhiiltnisse iiirer läebhaber j.febraucht und,
da sie Elnthlillungen fUrclitcte, bei Seite zu schafl'eu gesucht. Sie wurde des
Giftmordes, begangen an der unverehelichten Witten und des Giftmord-
versuches an dem Bedienten Kleui ftir schuldig befinden und zu lebens-
länglichem Festungsarrest verurtheilt
n) v. Warsing hatte seit Doebbeilns Abgang die geschäftliche Ver-
waltung des Nationaltheaters geleitet.
is) Der Geh. Ober-Finanzratk v. Angern, der 1802, nachdem er Prttsi-
dent der magdebnrgischen Kammer gewesen war, die Verwaltung der im
Reichs-Deputationshaaptschlasse erworbenen Länder übemonmien hatte, wurde
1803 zum Staats-, Kriegs- und dü'iglerenden Minister beim General-Direktorium
ernannt.
m) Frau v. Berg, die Freundin der Königin Luise.
w) Carl V. Hake, geboren am 8. August 1758 zu Flatow in Osthavel-
Innd, nach dem Unglück von Jena ein Mitarlieiter Scharnhorsts am Werke
der Armee Reorganisation. Im Juni IHlO übernahm er die von Scharnhorst
abg-epfebenen Geschäfte des Chefs des allgemeinen Kriegs ! )eparteiiientH. Hier
hat er unter sehr schwierigen Verhältnissen, gehemmt durch den xVrgwohn
der Franzosen, getrieben dui'ch die Ungeduld der l'atrioten, Rücksicht nehmend
auf die Eigenthttmlichkeiten des Königs und gebunden durdi Schamhorst,
mit Treue und Gewissenhaftigkeit gearbeitet 1812 wurde er Generalmi^or.
1813 fiel ihm die Soi^ge fttr die Mobilmadiung fast allein zu; spSter wurde
er prenssisoher BevollmAchtigter im Hauptquartiere Schwarzenbergs, dem er
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Geoig 8i«gtiiBt
sich allzu sehr anschloss. 1815 focht er als Brigadf'koinniaiuleur unter Hülow
bei Helle-Alliance. 1^<16 bekam er dm rheinische Armeekorps, 1^*19 wurde
er Xaelitolger B<'yens und blieb Kr iegämiaister bis lb33. Erstarb am 19. Mai
lb35 zu Castellauiare.
2ö) V. Brock ii a Usch war nach dem Kriege bis 1812 Gesandter Preussens
am Hofe Napoleons gewesen, wo er sich durch ein festes, würdevolles Atif»
treten aiwEeiehnete. Bis 1814 anbeschofUgt, wurde er in diesem Jahre
Gesandter in Haag bis 1816. Er starb 1829.
») Der rassische Gesandte in Berlin.
u) Nachmals von 1817—24 Finanzministcr. 1807 war Klewits Vor-
sitzender der mit Wahmehmnng sämmtlicher Gcidoperationen and der
Armeeverpflegting betrauten Iromediatkommission und hatte als Mitglied des
Finunzdopartomciits und Chef fler GosetZfrcbuiiirsk'Miuiiission bedeutonden
Antheil an der Wiedergeburt Preusseiis. Seit Ittio war er Staatssekretär im
Stuatsrath.
29) Friedrich Wilhelm v, Aniialt, jjeslorben als Generalmajor 1837,
Nachkomme des 1737 gestorbenen Erbprinzen Wilhelm Gustav von Anhalt»
DeBsau nnd der Tochter des Saperintendenten Chardins in Dessau. Den ans
diesem VcrhSItnisse hervorgegangenen beiden SOhnen worden 1761 der
preossiscbe Adelstand verliehen. (Kneschke, Adelslezikon I. p. 85).
m) General der Kavallerie von l'Estoeq, 1738 geboren, war SchfUer
Friedrichs des Grossen nnd Ziethens. Er zeichnete sich namentlich in den
KovolationsknV^en aus; am bekanntesten Ist sein entscheidendes Eingreifen
bei Prcussisch-Kylnu ISOT. Xach dem Krlcffo wurde er Gouverneur von
Berlin, verlor alter diesen Posten wegen Scliills I jitweichen. Beim Ausbruche
des Befreiun^'^skrieges wurde er zum Militär-Gouverneur des Landes zwischen
Elbe und Oder ernannt. Er starb 181'».
3v) Graf V. d. Goltz, abwechselnd Offizier und Diplomat. 181*' war ef
Gesandter in München, 1813 Generulstabsoftizier Blüchers, nach dem Frieden
worde er preusBischer Gesandter in Paris. Er starb 1822. (Allg. d. Biogr.
IX. p. 318.)
m) Sala Tarone» an der Seblensenbrlicke, der bekannteste «Italiener-
keller* (Delikatessenhandlung nnd Weinstabe) Berlins» spKter unter den
Linden 32.
Vi) „Der alte Grolmann", Dietrioli Heinricli von Grolmann, einer der
intimsten Freunde Heims, den er noch um »i Jahre überlebte. Geboren um
Dezember 1715 in Bochum, wurde er im Alter von JO Jahren Kammer-
gerichtsrath in Berlin, 17Sü geadelt, 1787 Mitglied der Ge8etzg-ei)ung^s-
kommission, 1804 PrHsident des Obertribunals. Bei seinem 50 jährigen
Jubiläom 1817 wurde er Mitglied des Staatsraths. 1833 worde ihm die naoh-
gesaehte Dienstentlassang unter Verleihung des schwarzen Adlerordens er-
theUt. (Allg. d. Biogr. IX. p. 713.)
m) V. Behuckmanui 1814 Minister des Innern, hatte sich namentlich
bei der Uebemahme in der Verwaltnng von Ansbach-Bayrenth ausgezeichnet
Am 10. Mai 1807 wurde er als preussischer Umtriebe verdächtig von den
Franzoien verhaftet und nach Mainz gebracht; bis zum &. Mai 1808 hielt er
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Ana den Titebachera des alten Heim.
177
sich als Gefangener auf Ehrenwort in Heidelberg anf. 1810 wurde er
Staatsratb. Er starb 1834.
as) Beelitz war Prltsldent des Berliner Stadtgerichts, „ein stattlicher,
woblbcleiliter Mann, mit llberaas freundlichem Gesicht, das sich durch eine
ungewöhnlich kleine Nase auszeichnete , . . (fiberty, Jugenderinnerongen
eines alten Berliners p. 361).
36) Generalpüstnieister v. Secg^ebarth leitete bis 1^31 das Postwesen
Pi •ensscns; sein Njic]itiij}4cr war Nag'ler. Unter seinem Keg^uueut wurde die
Grobheit der Postbeamten spiichwürtlich. (Eberty p. 11).
57) General von Rauch, bewährter Gehilfe Scharnhorsts. In den
Befreinngskriegen war er erst Genera]8tal)schef Yorks, dann vorfibergehend
bei Blücher. 1814 wurde er Oeneralinspectenr der Festungen und Chef
des Ingenieurkorps, das er 1816 neu gestaltete. 1837 zum Kriegs-
minister ernannt, starb er 1841.
sb) Oldwig von Natzmer, 1782 geboren. Im Pagenhause zu Potsdam
erzogen, in der Garde aufgewachsen, stand er in ptTsöiilicli freundschaft-
lichen Bezichung-en zum königlichen Hause. Bekannt ist s^ iiio Sendung zu
York im Januar Lsl2. 1814 wurde er militärischer Begleiter <li s I'hnzen
Wilhelm, des nachmaligen Kaisere, der ihn gern seinen Lehrer in militiirischen
Dingen nannte. 1815 wui'de er, 33 Jahre alt, General. 1830 naluu er seine
Entlassung und starb 1861.
w) Der am 16. UKrz 1851 von dem Premierlieutenant Ton Bochow-
Plessow erschossene Polizei-PrSsidcnt von Berlin. Geboren 1805 auf Schloss
Simmershausen bei Wasungen in Sachsen-Meiningen, trat er am 30. September
1826 In den preussischen Dienst.
Axoh.
12
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178
m
Zur Lokalgeschichte.
1795.
8. Hai Mittags mit meiner Fraa und beiden ältesten Töchtern im
Georgischen Garten') in grosser Gesellschaft gespeist.
15. Abends vom Bmder Baersch in GeseUschaft mehrerer im
Theerbnschischen Garten^) bewirthet worden.
10. JnlL Mittags yom E. G. R. Beyme in grosser GeseUschaft
bei Richards im Thiergarten^) herrlich bewthet worden.
1796.
16. JnlL Vormittags in der Bank^ ' miph gebadet, nnd von da
nach Gharlottenbnrg geritten, nnd bei v, Bomsdorif des Mittags ge-
speist, und nachher mit ihm nach dem Schlossplatz gegangen,' wo er
seinen Soldaten Bier zu trinken gab, welches jährlich einmal geschieht
140 Menschen bekamen 5 Tonnen Bier nnd 12 — 16 BouteiUen Wein. Es
wurde getanzt Alle Frauen und Kinder der Soldaten waren hier ver-
sammelt, — welches mir sehr wohl gefiel.
9. August Mit Frau und Kindern nach dem dustem Keller ge-
fahren und den Abend daselbst geblieben.')
18. Nachmittags nach dem Welling mit Frau nnd 4 Kindern ge-
fahren, und daselbst die Kirschen vom Baume geholt, die ich vor einiger
Zeit schon gekauft hatte.*)
28. Nach Tische mit meiner ganzen Familie nach dem Schützm-
platz gefahren, wo ein gewisser Ensler aeroslätische Experimente machte.
Er liess nämlich einen grossen Hirsch mit 2 Hunden, eine Sau mit
einem Hund und einen grossen Reiter, die mit brennbarer Luft geffillt
waren, in die Luft steigen. Der Zulauf der Menschen war unbeschreib-
lich gross. ^
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Aus den Tagebüchero des alten Heim. 179
U. Oktol>6r. Ifit dem D. Hnffland und semer Frau und D. Riemer
die Zimmer des Grafen von Dönhoff das Radiiwilifiche Palais and
Schneiders Menbles-Magazin besehen. 0
1797.
20. Angost Nach Tische nach SehOneberg geritten. Viele Menschen
waren hier und auf dem Wege dahin, um das in den Zeitungen ange-
kündigte Wettrennen mit anzusehen. Es war aber keina und die
Menschen waren g^fil worden.^
22. November. Heate starb die berfthmte nnd berftehtigte Hnren-
wirUiin Madame Schnwitz» zn der ich vergangene Nacht gerufen
wurde.")
1798.
15. ApriL Nadi Tische mit meiner Familie bei den QSrtner Zittel-
mann") gefahren, wo ans die mannigfaltigen schönen Blnmen ftberaos
ergötzt haben.
1804.
10. Januar. Hente war der feierÜehe Einzog der Prinzeashi Amalie
V. Hessen-Homburg, der viele Tansende von Menschen in Be>veguug
setzte. Ich wollte bei Schmitz in der Leipzigerstr. diesen Einzug
mit ansehen, ich frfihstdckte aach daselbst, allein die Zeit worde mir
zu lange nnd ich ging mit meinem Sohn nnd dem jungen v. Karstadt
nach Schöneberg und von da zorflck, in den Garten des Kanfinanns
Nietze^ wo der Zug vorbeiging. Nachher ging ich aofi Palais des Prinz
Heinrich zam Eammerdirektor v. Granenthal, wo der Anblick von so
vielen 1000 Menschen mich sehr vergnügte. Schade! dass bei diesem
Volksfest an der Opembrflcke im Gedränge 8 Menschen theils todt ge^
dr&ckt, theils todt getreten, nnd mehrere sehr besdddigt worden sind.*')
1809.
12. JnU. Anf dem Gesnndbrannen, der hente als Loisenbad ein*
geweiht wurde, in Gesellschaft von beinahe 300 Personen gespeist Ich
bedanre nnr den Besitzer desselben, den armen Apotheker Assessor
Flittner, denn aller Wahrscheinlidikeit nach wird er bei dieser Anstalt
seine Rechnnng nicht finden.**)
20. September. Grestem Abend ging ich gegen 12 Uhr zu Bette
and kaum hatte ich eine Stande im Bette gelegen, als Feaerlänn war . . .
Da ich bemerkte, dass es so helle in meinem Schlafzimmer wnrde, als
es fest bei Tage za sein pflegt, so stand ich anf, sah znm Fenster hin-
aas und fand die Petrikirche in vollen Flammen stehen. Ich weckte
sogleich meinen Sohn — Eriegsratii Nagel nebst seiner Frau kamen
zn mir, nnd non gingen wir anf den Boden nnd sahen das granen-
vollate prächtige Fener, wodvroh die ganze Stadt, wo man alle Straaaen
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Georg ffiegerist
and Thürme fast so gat wie bei Tage sehen konnte, einem Panorama
gleich. An 9 Häuser haben mehr oder weniger dorchs Feuer gelitten,
und der grosse Thurm des Waisenhauses ist auch damit abgebrannt")
1811.
'28. Januar. Mu ihIs im Komddiensaal den Baucbsprecher Charles
reden gehört Einmal liurt man so etwas, 16 ggr., die jeder Zuhörer
bezahlen musste, ist die Sache nicht werth.
1812.
24. Januar. Fast die ganze Stadt feierte den Tag, wo vor
lUÜ Jabreu Friedrich II. geboren wurde.
1813.
10. Juli. Ist der Ober -Bürgermeister v. Gerlach auf eine
gläii/.endo und ausgezeichnete Art begraben worden, welches er in
jeder Hinsicht verdiente.*"^)
1814.
22. Januar. Kam die Russische Kaiserin Abends spät hierher, warn
grossen Verdruss der- Einwohner. ^''}
29. Dezember. Vor Tische auf dem Schloss in Gesellschaft Von
15 Personen die dort im Keller befindlichen Rheinweine vom Jahre 11,
die dem Kellermeister HabeP') angehören, geprobt Jeder konnte so-
viel ihm beliebte trinken.
1815.
24. September. Kam der Kaiser von Russland hierher. Bei dessen
Einzug wurde die Nationalgarde so beleidigt, dass sie ihre Fahne zer-
rissen und mehrere ihre Gewehre zerschlagen haben.
22. Oktober. Im Thiergarten das grosse Volksfest, welches durch
den Hedianikus Winkler zum Gedftchtniss der vor 400 Jahren er-
haltenen Kurwflrde der HohenzoUem gegeben wurde, mit Vergnfigen mit
angesehen.
6. November. Abends war wegen Verlobung der Prinzessin Char-
lotte mit dem Grossffirsten Nikolaus die ganze Stadt erleuchtet, und
einige Gebäude vorzflglich schön.
1816.
13. August. Im Thiergarten die Kunstreiter und von ihnen Van-
dammes Gefangennahme vorstellen gesehen.
1817.
9. Februar. Abends im Universit&tegeb&ude der Feier wegen des
vor 4 Jahren geschehenen Aufrufs der Studenten zum Kampf gegen die
Fnmzosen beigewohnt, die mir recht gut gefiel.
^ ij . .-Lo Ly Google
Axa den Tacebftcbera dM alten Heim.
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29. Juli. Heute just in der Mittagsstuude kam im Koinödicnhaus
Feuer aus, und in Zeit von einer Stiinde war nichts mehr von dessen
Dach zu sehen. Eine stärkere Flamme sah ich nie zuvor. Aas Löschen
\fsa hier nicht zu. denken.
1818.
22. April. Ifittegs beim Oob. Kath Pochhammer in Gesellschaft
mehrerer Ärzte gespeist, nachdem wir zuvor seine neue Bado-Anstalt
besehen hatten. Recht gut hat ans allen diese Anstalt gefallen.")
18. Joni. Wegen der grossen Parade Unter den Linden zur Feier
der gewonnenen Schlacht bei Belle-Allianre von halb 10 bis 2 Uhr in
der grössten Hitze Kranke zu Fuss besuchen müssen. Vor 3 Jahren
hat jeder Soldat bei dieser Schlacht doch wohl mehr als ich aosstehen
möflSen, das hat mir das Gehen erleichtert.
1820.
11. Juli. Nach Tische nach dem Tempelhofer Berg geritten, und
die Arbeiten zur Errichtung des Monuments in Augenschein genommen.
Die Aussicht, die wir oIkmi auf dem Gerüste hatten, war Uber alle Be-
schreibung schön und prachtvoll, wie man sie von keinem hiesigen
Thurme haben kann. Statt dieses Monuments, welches in der Ferne
wenig Eindruck machen kann, da es nur 70 — 80 Fuss Höhe hat, hätte
man lieber eine Säule, wie die zu London ist, errichten sollen, so dass
man von oben die ganze Gegend von wenigstens 12 Meilen im Doroh-
messer hätte übersehen können.'')
1828.
12. JalL Vor Tische mit meinem Sohn nach Schöneberg und von
da nach der Hnsarenstrasae gefahren, nnd das Lokal der kflnstlichen
Oeeondheitswässer besehen, welches ans sehr wohl gefiehl"')
28. Angost Viele Exekutionen als Hängen, Rädern, Eöplbn, Spiess-
mthenlaafen habe ich mitangesehen, aber daas mehrere aasgeprfigelt
worden nicht Gestern hatte ich anf der Stadtvoigtei Gelegenheit, dies
tranrige Ereigniss mltanznsehen. Vor einigen Wochen hatten die Schnster-
gesellen die Schneidergesellen geneckt, wobei es zu heftigen öffentlichen
Streitigkeiten gekommen war. 150 solcher Gesellen wurden arretiert
und auf die Hausvoigtei in Arrest gebracht. In Gegenwart aller dieser
Gesellen und einer Menge von Gensd'anncn und Gerichtspersonen wurden
mehrere der unruhigen Gesellen mit 15 bis 20 Kantschuhiei)cn bestraft
Nur bei dreien dieser Unglücklichen konnte ich die Strafe mitan^clipn.
Der Anblick dieser :» und der übrigen, die noch Strafe erleiden sollten
und ohne Röcke blass und furchtsam beisammen standen, ergriff und
rührte mich so, dass ich gerne laut zu weinen hätte anfangen mögen,
nnd ich eilte diesen traurigen Ort zu verlassen.
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Ctooig Siegeiitt.
2'*^. November. Heute war der feierliclio Einziij^ der Prinzessin
von Bayern.^') Ich stand am Brandenburger Thor bei den Magistrats-
personen, und bekam die Prinzessin ganz genau zu sehen. Sie hat oine
ausgczoichiu't scliöne und liebenswürdige Gesichtsbildung. Von halb 12
bis halb 4 habe ich am Thor gestanden. Abends wollte ich um die
Illumination zu besehen fahren, allein allenthalben waren die Wege ver-
sperrt und ich nmsste über 2 Stunden zu Fuss ^^cben und kam selu-
müde nach Hause. Ganz Berlin war heute in Bewegung und Abends
gegen 8 ülir wurden auf der Nothbrücko am Zeughaus -' ) 72 Menschen
zu Tode gedrückt. In Paris hätte ich einmal beinahe das nemliche
Schicksal haben können.
1824.
10. November. Bei Jagor-*) in der Stadt-Verordneten-Gesellschaft
wegen Einführung der Städte- Verordnung vom Jahre IÖ09 diesen Tag
in Gegenwart von 125 Personen gespeist.''')
1826.
10. April. Gestern starb wider alles Yermnthen der PoUseirath
Eckert, worfiber sich alle Spitzbuben sehr freuen werden.
11. Juli. Heute fr&h den Leichnam des König!. KeUermeisters
Habel, dessen Arzt ich ftber 40 Jahre war und den ich immer als
meinen wahren Freund erkannt habe, zu Grabe geleitet.
1829.
10. Juni. Mit meiner Frau ausgefahren, um den Einzug der
Weimarisclien Prinzessin anf der Charlottenburger Chaussee mit anzu-
sdien, wir kamen aber zu spät.-"*)
6. Aagast. Nach Tische vor das Hallesche Thor nach Tivoli ge-
fahren und daselbst eine ganze Welt gesehen. Wenn dies«- Welt noch
das wird, was sie werden kann, so wird sie zur grossteu Zierde von
Berlin gereichen.")
1830.
2"). Juni. Heute vor 3ü() Jahren wurde die Augsbnrger Confession
sanktioniert. Dieser Tag wurde in allen evangelis<'lu n Ländern und so
auch hier hoch geschätzt und durch Blumen iu den Kirchen gefeiert.
Alle Windmühlen trotz des günstigen Windes standen still. Alles Volk
war geputzt.
IS. September. Vorgestern, gestern und heute 'sind Abends und
die Nächte über prosser Aufrahr in der Stadt gewesen. Die ganze
Garnison hat in den Strassen unter den Wulfen gestanden.
21. Vergangene Nacht ist es ruhig in den Strassen gewesen. Aber
gestern und vorgestern war in den Strassen noch ein grosser Auflauf
von Menschen. Die ganze Garnison bat seit ü Nächten unter den
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Aus deo lagebacbem des alten Heim.
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Waffen gestanden, und dnrcli flaches Einhaueii hat die Cavallerie die
Meoge von Menschen auseinander gejagt.
22. Die Unralien des Pobels und der Neugierigen haben ein Ende.
Vom ersten sind viele tiichtii; ab|2:e]>rügelt worden auf Befehl der
oberen Behörden und das von Keclits wegen."')
2. Oktober. Vormittags nach Tivoli gefahren, daselbst recht gut
gefrühstückt und uns besonders an der herrlichen Aussicht auf die
Stadt gai' sehr ergötzt.
1832.
30. Juni. Vormittags das Schloss des Prinzen Albreoht besehen.
An Schönheit, Pracht und Reichhaltigkeit der in den Zimmern befind-
liclien Sachen übertrifft es wohl alle Palais in Deutschland. Aach die
Gärten zeichnen sich sehr aas.*')
1833.
80. Juli. Nachmittags nach Pankow gefahren. Hier wurde das
Fliep^enffst gefeiert, die Menge Menschen war hier so gross, dass wir
kein l iiti'rköminen finden konnten. Im Scliönliausischen Garten, wo
wir hinfuhren, war die Menge des Volkes ebenso gross, als icli sie fast
nie gesehen habe. Der ganze Weg von hier bis Berlin war voll
Menschen.
28. August. Nachmittags nach Tivoli, wo der im Jahre (1813)
ül>er die Franzosen bei Grossbeeren erhaltene Sieg durch ein Volksfest
geleiert wurde. An OÜÜOO Menschen waren gewiss versammelt.
0 Das Georgesclie Lokal oder „Geoil^'', wie die Berliner kurzweg
sagten, befand sich in der BellevuestrasifK' auf der linken Seite auf df-m
Gelände (Xo. K; Iiis ','0). das der Direktor der kgl. Kealschule Ilecker auf
Hefelil Friedrielis des Giossim von der Lietzower Kirche in Charlottenbarg
in Erbpacht erhalten hatte und wo er ursprünglich (als Prediger an der
Dreifaltigkeit^kircbe) den FriodrichBtädtischeu Kirchhof anlegen wollte, der
aber auf Befehl des KOnfge aof den Fiats links vom Pofsdamer Thore ycr-
legt worde, wo sich hente noch ein Ueberrest von ihm vor dem Potsdamer
Bahnhofe befindet. Das Land in der Bellevaestrasse pachtete la Garde,
nachher George. Zu unterscheiden von diesem Lande der Kealschole ist
der eigentliche Kealscbolgarten zwischen Bellcvue-, Königgrätzw» und
Lenn^str. (cf. v. Ixaumer, Der Thiergarten bei Berlin p. 57.)
•i) Der Therbuschisclie (iarten war in <ler Oranienburgcrstrasf^e \o. 18,
wo noch heute das bekannte Festlokal „Therboscbsche liessourcu ' sich
I
184 Qwug SteguM.
befindet. Die Ressource selbst befand sich damals in der Niederwallstr. 12;
der Garten in der Oranicuburgerstrassc diente den Mitgliedern als Sommer-
aufenthalt.
3) Richards Ciartenwirthschait (nachher Kemper) war in der Thier-
gartenstrasse, in der sich zn jener Zeit Lokal an Lokal reihte. Schon zur
Zeit Friedrieb Wilhelms I. war dort ein Wirthshans „Zum letzten Heller'.
Richard verschönerte es im hohen Grade und machte es zu einem LiebUngs-
anfenthaltsorte der Berliner; der jüngere Chodowiecki hat es in einem Kupfer-
stich Ton 1781 der Nachwelt aufbewahrt, (v. Kaumer, der Thiergarten bei
Berlin 1840 p. 55.)
4) Die Panke ist gemeint Sie war Helms Lieblingsbadeplatz im
Sommer, da es in der Stadt aosser an der langen Brücke zu dieser Zeit
keine Flussbadeanstalton gab.
») „80 nennt man einen Erdfall oder Vorticfungf mit Gebüsch im-
geben, vor dem Ilalleschen Thore. Auf der Anhöhe ist eine IlUtte, von wo
man f'ino sehöne AusHicht auf die Stadt hat " So beschreibt Gardicke in
sciiKMii Loxiron von Berlin i soii diesen berühmten WalHahrtsort der Berliner
am Kusse des Teiiipelliol'or Berges, dorn Bornemann in seinem lS3o in der
Spenerschen Zeitung erschienenen Autsatz: „Die Umgegend Berlins im
Jahre 1790 und 1830" folgenden Dithyrambos widmet: „Der dustore Keller
— ominOsen Namens — war es fast aUein, der in wolkigen Gemächern
lechzende Stammgüste trftnkte, nnd Winters allmonatlich ehimal aas weiten
Schflsseln krSftig speisete, dass hoebnothwendig zwischen Gemttsen und
Braten ein geschmeidiger IlUringssalat wirksam eingreifen mnsste." (StreckAlss,
Berlin im 18. Jahrhundert III. 490.)
•) Der Wedding war damals eine '/« Stunde vor dem Oranienburger
Thore belegene Meierei an der Panke, die lSi)ü vier Feuerstellen und
91 Bewohner hatte. In seiner Nachbarschaft befand sich noch das Licsen>e!K-
Etablissement an der I'aiike, woher die heutige Liesenstrat^se ihren Namen
hat, das Ft)rstliaus, die Scharfrichterei und das Ilochj^crieht.
7) Der Schützenplatz, den die Berliner Sehützcngilde 1717 von
Friedrich II. erhalten hatte, befand sieh in der neuen Schiit zenstrasse
( Linienstrasse 5) in der Kr>nigsvorstadt und stiess an die Stadtmauer zwischen
Prenzlauer- und KönigstlKU'. Am 27. August fand das Königsschiessen der
ebenfalls von Friedrich wieder hergestellten SchtttzengUde statt, an das sich
das Vogelschiessen anschloss. Natürlich durften auf diesem beliebten Volks-
feste aerostatische Künstler nicht fehlen, nachdem 1788 Blanchard durch
seine Luftfahrten Berlin in einen Taumel von Begeisterung versetzt und
reichen goldenen Lohn davongetragen hatte. Die neueste Damenhutform
i"! la Montgoltier erregte bald den Z< rn aller, denen diese Fngetiittme im
Theater jede Aussieht versperrten. Aucii Blanchard hatte schon Scherze
mit Ballons in Gestalt von Thieren getrieben. Die ..brennbare" Luft Knslers
war Wasserstoff. (Nicolai, Besclireibuug von Berlin u. Potsdam 1. Plan,
üacdicke, Lexikon p. biV?.).
a) Das Kadziu illsehe Palais, j(!tzige Reieliskanzleramt. Wilhelmstrasse 77,
liess der General v. bchulenburg 1734 von lüchter erbauen.
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Ana den TagfltbQ«li«ni des alten Helin.
185
9) Die Voaslsehe Zeitung vom 19. August 1797 enthalt folgendes Inserat:
,Die Linnische gymnastische Kunsthoroirrr Ct sellschaft macht einem hohen
Adel und vcrehrungswünlijr^^n l'ublikuin hierdurch bekannt, dass sie Sonn-
abend den !9tcn, Sonntag' d»'n "iOten und Alontaj^ den 21ten August zum
letzten Male mit vielen Vcrllnderungen spielen wird, und bittet um zahlreichen
Zusprach.* Heims „Wettrennen* wird eine Darstellung circensischer Spiele,
Wagenrennen etc. gewesen sein, wie sie auch Rens noch in seinem Zirkns
in römischem Gewände auffttbren Hess.
10) Madame Schuwitz berüchtigten Angedenkens hatte ihre Wirth.schaft
in der lichrenstrasse. 1798 erschien die berühmte „Standrede am (Jrabe der
Madame Sefanwitz. Ein Neujahrsgeschenk fttr Incroyahles*, vnd 1800
»Schreiben der Madame Schawitz an den Verfasser nnd Verleger ihrer Stand-
rede. Stralau, in des Küsters Handbnchdraekerei.'
u) Die Zietelmannsche GUrtnerei befand sich in der Magazinstritöse und
lieferte vortrcflnichcs Obst, schüne Blumeu sowie alle Arten feiner Küchen«
gew&chse. »Die Gärtnerei ist in Bedln zn einem hohen Grade der Voll-
kommenheit gekommen. . . Überhaupt haben die Gärtner mit nnglanblicher
Indnstrie seit 50 Jahren den meist sandigen Boden . . zu natzen nnd zu ver-
bessern gewnsst . . Es sind viele Gegenden in und um Berlin, die vor 50,
ja vor 31) Jahren noch blosser todter Flugsand waren, die jetst in schönster
Kultui' stehen." (Nicolai iL ö69.)
la) Prinzessin Amalie von Hessen-Homburg war die Draut des Prinzen
Wilhelm von Preussen, des jüngsten l^ruders Friedrich Wilhelms III. Die
Vcrmiihluiig fand am 12. Januar statt. — Kammerdirektor v. f'trunenthal,
ehemals Verwalter <\qt Prinz Ileinrichschen (Üiier, hatte vom Pi i!!/' n eine
Wohnung auf Lebenszeil in dessen Palais erhalten. Als dir Tnivc rsiutt das
Palais bezog, weigerte er bich, diese Wohnung zu verla.ssen, Hess es auf einen
Rechtsstreit ankommen imd wich erst, als der König ihm eine jährliche
Miethsentschadigung bewilligte. (Köpko, Gründung der Universität Berlin
p. 71.) — Die Opembrücke, auch Neustttdtor Brücke genannt, von Bouman
dem Alteren 1774 aus Sandstein erbaut, führte im Zngc der Linden über den
F( stungsgrabcn, den .stinkerigon Graben", wie ihn Kronprinz Friedrich
Wilhelm (IV.) einst nannte.
m) «Die Quelle dieses Bades ist auf einer Wiese, und wird durch Söhren
nach einem einzelnen Gebäude hingeleitct und einige tausend Schritte von
demselben entfernt ist noch eine (^>uel!e. Die Kntdeekung dicsi s mineralisehen
Wassers geschah zuHilH^- IT'»! durch dm Ki'u'iu: Friedrich I. Derselbe wolmtc
nämlich in einem in tlrr P'olge weggrliuaciieu Lustwnlde, welcher der Ka-
ninchengarten genannt wurde, einer Jagd iiei, und verlangte Wasser zum
Trinken. Es wurde ihm von diesem Quellwasser geltracht, luid der König
fand in dessen Genm» etwas so vorzügliches, dass er noch mdir davon trank,
die Quelle zu reinigen und von den Ärzten zu untersuchen befahl. In der
Folge haben viele Menschen, sowohl Gesunde als Kranke, sich dieses Wassers
nicht ohne Nutzen bedient. Es wird mehr zum Baden als Trinken gebraucht,
und hat in rheumatischen und chronischen Gliederreissen, bei Hautkrank-
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heiten und bei SchwMche, nach Beschaffenheit der Umstände kalt oder warm
gebraucht, öfters heilsame "Wirkungen geäussert. . . Das Wasser ist schon
mehrmalen chemisch untersucht worden und enthält: Kochsalz, salzsaure
Kalkerde, schwefelsaure Kalkerde, liiftsaure Kalkcrde und Eisen, und Kiesel-
uud Thouerde. Sehr grosse Wirkungen hat mau sich von diesem Wasser
nioiit snt Tersprechen." (Gaedicke p. 245.) Zu dem Feste batte auf Bitten
der Schanspielerin Bethmann, einer Schwester des Besitzers, des Medizinal-
assessors, Apothekers und BnchhSndlers Flittner, Friedrich Wilhelm Gnbitz
eine Cantate „Erinnerung nnd Weihe*« gedichtet» die Tom KapeUmelster
Seidel komponiert nnd unter seiner Leitung von Königlichen Sftngem nnd
Sängerinnen — auch Friederike Bethmann wirkte mit — ausgeführt wurde.
Unter dem I.aul. dache alter Bilume war die Mittagstafel für 500 Personen auf-
geschlagen, in deren Verlauf Flittner immer anffrrregter wurde und schliess-
lich nicht mehr zureelinungstahig war. Den Scliluss des Festes l)ildete Tanz
in einer mit Blumenbchängen geschmückten Scheune. (Gubitz, Krlelmisse
I. Mi Ii. Dort ist auch die Festcantatc abgedruckt.) Bekanutlich hat in
diesem Sommer der Gesundbnmnen sein 200 jähriges Bestehen festlich
begangen»
14) Dieser gewaltige ürand war dadurch entstanden, dass eine der
Hftokerinnen, die in den an die Kirche angeklebten 43 Baden ihren Kram
feilhielten, ihren blechernen Kohlentopf in noch nicht erloschenem Znstande
unter die hölzerne Khrchentreppe geschoben hatte. Sehr yerderblich war
der herrschende Westwind. Durch Flugfeuer worden auch der Thurm der
' Waisenkirche nnd mehrere ITUuser in der Stralauerstrasse in Brand gesetzt
In der Gertraudtenstrasse geriethen 7 IlUuser in Flammen. Einzelne in der
Spree stehende rtlihle hinter der Stralauerstrasse brannten wie die Lichter.
Der l»rennende Thurm stürzte um Mitternacht gliicklieherweisc in sich zu-
summeu. Die Kirche brannte bis auf die IJnifaäsungsmaueni nieder; erst
nach Tajien erloschen die Flammen im Innern. Die Mauern blieben
lange Zeil als gewaltige Kuine stehen^ wurden dami abgerissen; der Platz,
mit BUumen bepflanzt, diente als Tummelplatz für die Kinder, bis sich auf
ihm 1852 die jetzige Fetrikirche erhob, nicht ohne groasm Widerspruch der
Umwohnenden, welche diese „Stadtlunge" gern erhalten gesehen htttten.
(cf. Parthey, Jngenderinnernngen I 140. Streckfüss II. 337.) Hoffentlich
wird dort Jetzt dnroh Niederlegnng der alten Häuser zwischen Petriplatz,
Gertrandten- und Scharrenstrasse ftir licht und Luft gesorgt
») Der Geheime Ober-Finanzrath und Kammerpräsident von Gerlach
war am 28. April 1809 zum ersten Oberbtttgermeister Berlins nach EinflUimng
der StAdteordnung gewählt worden. (Strecktuss, Berlin im 19. Jahrhundert L
p. 107.)
1$) Kaiserin Elisabeth, geborene Prinzessin von Baden. Sie kam um
5 Uhr Nachmittags an, was doch nicht spät ist; der Verdruss der Einwohner
wird Mohl nur dadurch hervoigerufen worden sein, dass es schon diHik<-l
und die Berliner Strassenbehmchtung nicht dazu geeignet war, abends
einziehende Fürstliciikeiten den neugierigen Hi'rliiiern yji /eigen. DatÜr
entschädigte sie die iiaiäcrin durch die Feiei' ilires Geburtstages am
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Am dem Tigobaäiera des alten Heim.
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24. Jannar, der durch Cour, Diner, Illamination gefeiert wurde ; am
25. reiste de weiter. (Grüfin Vom, 69 Jahre am PrelUAischen Hofe
p. 407.)
n) Johann i>imon Habel, geboren den 3. November ITHS, krnij^licher
Kellermeister, war aus dem Wlirttembergisohen in Berlin ('iiif,a \vandert.
1779 begründete er die bekannte, noch heute blUlieude Weinhandiung unter
den Linden 30. Er starb am 9. Juli 1S2G.
18) Die Berliner Nationalgurde war 1806 von den Franzosen organisiert
worden, um in der Stadt die öffentliche Ruhe aufrecht zu erhalten.
•
la) Am 20. Olctober 1415 hatten auf dem hohen liause zu Berlin die
SCInde der Mark dem ersten bohenxoUemseheii EnrftirBten als ihrem erb-
lichen Landeehenrn gehuldigt Das Fest am 22. Oktober 1815 bot den
Sehsnliutlgen viel. Am Vormittag war nnter den Linden nnd im Lvslgarten
grosse Parade und darauf Festgotteedienst im Dom. Am Nachmittag fand
das Volksfest auf dem Exerzierplatze im ThieigartCE (den jetzigen Königs-
platze) statt, an dem* an 60 000 Menschen thcilgcnommeii haben sollen Es
gab Wettlaufen, Stangenklettern, Llahnensehhigen um Preise (Ualstücher,
seidene Westen, Chemisetts, Pfeifen, Hiieftaschen, selbst silberne Löffel und
Uhren), Luftballons stiegen auf iu allen möglichen Formen; Musik, Tanz
and nach eingebrochener Dunkelheit Feaerwerk felilten nicht. Trotz der
ungehenren Menschenmenge» die da versammelt war, passierte kein Unglücks-
fall; alles yerlief in TOllkommenster Bahe und Ordnung. (Streckfliss» Berlin
19. Jahifa. n. 225.)
m) Durch diesen Brand wmrde das alte von Langfaane erbaute xmd am
1. Januar 1802 erOffinete Nationaltheater vernichtet Auf seinen Grundmauern
erhebt sich der jetzige Bau Schinkels. Darstellungen des Brandes geben
Streekfiise II. ö9b ff. und K. Genöe, Hundert Jahre des Königlichen Schau-
spiels.
ai) Die Pochhammersche Badeanstalt, da.s Mariannenbad genannt, befand
sich Neue Friedrichstrasse 18 und 19. (Dosse, Berlin oder Nachweisung
sämmtlichcr Strassen etc. p. 77.) 1802 bestand iu Berlin nur ein öffentliches
Badehaus, vom Geh. Ob.-Med.-Bath Welper an der langen Brücke auf einem
Schiffe erbaut; warme nnd kalte, aueh mediiinische Bäder wurden dort ver-
abfolgt 1830 gab es innerhalb und ausserhalb der Stadt einige swansig
Badeanstalten. (Berlin wie es ist p. 99.)
u) Am 19. September 1818 hatte die Grundsteinlegung zu dem National-
denkitial- auf dem Kreuzberge stattgefunden; die EnthtUluDg erfolgte am
3m. März isiil, <lem Jahrestage der ersten Einnahme von Paris. Heim, dessen
Vorliebe liir Thürme seinen Unwillen darüber erklärlich erscheinen IHsst, dass
das Denkmal nicht bestiegen werden kann, meint mit der Säule, wir die zu
London i.st, wahrscheinlich das Monument, das zur lOrinnerung an den iiireht-
barcn Brand Londons 1666 dicht bei London Bridge errichtet ist, und von
dem aus man einen grossartigen Blick über die City und die Themse hat.
Eine Aussicht von 12 Meilen im Durchmesser vom Kreuzberge ist aber
trotz der höchsten S&ule doch etwas zu viel verlangt Auf der Peripherie
dieses EreiBes wUrden wir die Städte Werder, Trebbin, Zossen, Fttrsten-
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Gmmv SI«fUlit
walde, Strausberg, Bieseiithal, Oranienburg, Nauen finden. Heim haben
offenbar bei der Erinncriinjj: an London enfrlische Meilen vorgeschwebt.
23) 1823 erbauten r)r. Struve und der Apotheker Holtmann ihre Fabrik
künstlicher Mineralwasser in di r ln-migon Ilollmannstrasse. „Man rindet hier
die künstlichen Karlsbader-, Kfj^er-, Emscr-, Maricnljadcr-, Öelter- und andere
Wasser in der möglichsten Vollkommenheit, Ein grosser schöner Garten
und bei lugttnstigem Wetter ein bededctor 360 Fuss langer Gang dient den
Trinkenden zur Bewegong.*' (Rompf II. 175.) Leider ist der schöne Garten
Jetzt der Bauspeknlatlon zum Opfer gefalle
u) Die Kronprinzessin.
ift) 1823 wurde die alte Hnndebrileke durch die nene SchlossbrUcke von
Schinkel ersetzt Die nene Brücke, über welche der feierliche Zug gcgang^en
war, um sie einzuweihen, war am Abend gesperrt worden, so dass die schau-
lustigen Vülksniasscn die alte Nothbrlickc passieren iiuisston. Das (Jcdrän^c
war dadurch entstanden, dass alles nach dem Lu^t^^a^^t'n wollte, wo tlie
Studenten, die der Prinzessin einen Fackelzug gebracht hatten, die I'^'ackelii
zusammenwarfen. 2ij oder 2b Personen waren theils zertreten, theils ins
Wasser gesttirzt nnd ertranken. Die Berliner Zeitungen meldeten Uber das
Unglttek kehl Wort. (cf. die Erzählung Ludwig Bellstabs bei Streekfiiss
I. 443 ff.)
m) Hofiraitear Jagor, Unter den Linden 23.
17) Die prenssisehe Stlldteordnung ist am 19. November 1808 erlassen.
m) Prinzessin Angusta von Sachsen^Weimar, die Enkelin Karl
Augusts, nachmalige Kaiserin Augusts.
9») Nach der Vollendung des Nationaldenkroals wurde der ncugetaafte
Kreuzberg ein beliebtes Ziel der Spaziergänger nnd der Fremden. Diesem
Umstände verdankte Tivoli seine Entstehung. In zwei Jahren schufen die
unternehmenden Gebrüder Gerieke dort liaumptlanzungen, Laudhiiuser ent-
standen, und der cif^entliche Vergnügungsort Tivoli wurde der Sammel-
platz der Berliner. Hören wir den schon zitierten liorneniann: „Es
ist die feinere Welt, die sich vor unseren Blicken hier versammelt hat und
an den mannigfaltigen Vergnügungen eich ergOtzt oder daran iheilnimmt
Hier kreiset ftohsinnlge Jugend mit hastenden Schritten in den Ingftngon
eines Cireus . . . dort ladet der Sehnellbaum, dort die Schaukel, dort das
Drillseil zu lustigen Schwingungen ein; vor allem aber die Bollbahn, die auf
und abschleudert und schneller ist der Kinglauf durehfiogcn. ehe noch der
Furchtsame sieh besinnen kann, sich fürchten zu wollen. Uniformierte und
nett gckloidote Dienerschaft bewirthet mit geschäftiger Hand die begehrenden
Gäste. . . Wir treten ein, waltet etwa noch winterliche Zeit, bewillkoninniet
von hundert Stimmen gesangreicher Vügel, versteckt zwischen den Blütheu-
zweigen erlesener Orangen ; StrOme von Balsamdüften wehen uns entgegen . . .
noch höher steigert sieh das Feenartige, indem die immensen Speise- nnd
Ballsttle sich uns Offlien. . . . Becht in der Mitte untschliessen diese Salons
das Küchen» und Bestellungslokal, ausgeschmückt mit Zartheit und Eleganz
sonder gleichen." (Streckftiss II. 492.) Weniger begeistert schreibt der Ver-
iluser von „Berlin wie es Ist" 1831: , , e» iBt nötbig, dass die Berliner für
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Ans d«n Tagelifldiem tfei iHen Helm.
189
dies TTntemehmen thAtig mitwirken, und sieh dadurch in dem Tivoli einen
Nntionalvergnflgnngsort verschaflrGn. . . . Solch gemeinsames Streben kann
aber nur ans Nationalität hervorgellen, und diese würde selbst Diogenes in
Berlin nicht finden." (p. 302.)
•o) Es handelt sich um die berflchtigte SehneiderreTolntion. Es
ist beseichnond, dass erst am 24. September, nachdem schon am 16. der
LUrm begonnen hatte, die Spenersche Zeitung einen ofliziilsen Artikel zu
brinf^on wag-to, der den Ursprung des Aufruhrs so darstellt: ,,Am 15. Sep-
teuiber hatte mau oincn Scluicidcrirt'sellon \ f'rh;iftet, der unter seinen Zunft-
genossen Neuerungen predigend, vun diesen selbst der lichfirde war ange-
geben worden. Dies mochte wohl einen rolizeibeamten dazu geführt haben,
am folgoiden Tage einige andere Gesellen als arbeitslose Hemmtreiber zu
▼erhallen, die es nicht waren.* (Dies Verfahren wird gemissbiiligt, Selbst-
hilfe aber den Oesellen ni<dit zogestanden, da es Sache der Behörde sei, ein
solches Verfaliren zu bestrafen.) «Dessenongeachtet erlblgte am Abend des
16. September in der zehnten Stunde ein Zusammenlauf von Gesellen auf
dem Köllnischen Markt, welehe mit Geschrei die T.nslassung der Verhafteten
▼erlangten. Diese Unordnung veranlasste das ller/iistrünien der Neugierigen
in nicht gerin^^er Menge, wodurch der ganze Öclilossplatz gefüllt wurde.
Schnell erschienen die Behörden .... Ihre einfache Einiahnung genügte,
die Neugierigen zu zerstreuen Am 17. Abends zwischen 7 und
8 Uhr loclcte die Neugier eine Menge Mflssiggänger auf den EOllnischen
Marict und den Schlossplats. Ohne ihr Erseheinen würden es keine Ruhe-
störer gewagt haben, sich heute zu teügen, doch in der Menge ▼ersteckt,
erlaubten sie sich unziemliches Geschrei, und insultierten durch mehrfache
Steinwürfe die Polizei und die Gendarmerie, die .... die ganze Masse zer-
streuen musste. Niu* die Widersptxüehen zogen sieh gefJIngliehe Haft oder
Verwundung zu, durch Hache Säbelhiebe, von denen in der Dunkelheit und
im (iewühl manche scharf gefallen sein können." Dass dieser Bericht seltr
rosig gefilrbt ist, zeigen die Notizen ileiius und auch verschiedene andere
Berichte, die sieh namentlich Über das brutale Vorgehen der Polizei imd
Soldaten entrüsten. VergL Streckfhss II. p. 358.
31) Den Ui-sprung des Prinz Alhrechtschen Pidais in der Wilhelnistrasse
bildet das l'alais, welches der Baron vun Vernezobre 1737 bis 39 erbaute,
und dessen Baugesehiehte der Birch'Pfeiflter den Stoff zu ihrem Lustspiele : , Wie
man Httuser baut* lieferte. WiUirend seiner mannigfachen Schicksale ~ es
wurde ▼erkauft, Friedrich der Grosse logierte 1763 den Türkischen Ge-
sandten Achmed Effendi dort ein, der wahrhaft türkisch gewirthschaftet hat,
1772 kaufte es Prinzessin Amalie, die Schwester des Königs, schliesslich
arbeiteten Lithographen darin, der Kammermusikus Tausch bildete H(>boi«ten
aus, 1812 wurde das Luisenstilt hinein verlep^t, ein GeraUldereparatur-Atelier
wurde aufgeschltigen — verfiel es immer melir, l)is ls30 Prinz Albrecht es
übernahm und Schinkel ihm in den folgenden Jahren seine jetzige Gestalt
gab. 1833 wurde es von seinem neuen Besitzer bezogen. L. Schneider
(Schriften des Vereins für die Geschichte der Stadt Berlin, Heft IH) fasst
die abweehselungsrelehe Benutzung dieses Hauses in folgender drastischen
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190
Oeoig Stogeiiii Ans dan TigebaohflRi Am dtMi Hain.
Weise zusammen: ÄfusikkoTiservatorinm und Armenspeisungsanstalt, Ge-
mäldegalerie und Wohithütigkeitsstiftuug, Bauiiiwollendepot und öffentliche
Drehrolle, französische Feldpost, fürstliche und PenBionttrwohnang, Vacci-
nationslokal und türkischer iiareni!
sa) Das als allgemeines Volksfest sehr beliebt f^'-ewcsene Sommerfest
der Tuchmacher, das in der Zeit zwischeu den Bcfrciungüki'iegen und lbl8
in hoher Blüthc stand.
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Register.
Ackermann 12. 41.
Albrecht, Prin» von Preussen 183. 189.
— , Prinzessin 169. 104.
AlOTundwr 1, Kaiser von Rusaland 99.
U& 119. 194. 14K. 162. m
Alopaeus 169. 170.
V. Altenstein 32. 71. 129. 141.
V. Alvensleben 1»)6. 172.
Amalie, Prinzeaain von Hesaen-Hombiug
179. iSfi.
V. Angern 167. 176.
Angle-s 10. 107. 132.
V. Anhalt 109. 170.
Augereau 107. ll:i. 132. 133. 138.
Aogoat, Piias von FreoMan 101. 102. 103.
12& 149. m 162. 167. 16& 161.
Aogurtai PrimeHdn v. FlretUNMn 168. 182.
1B8.
Auguste, Prinzessin v. Hessen-Cassel 154.
169. 162.
Aiu|mm:!i 67.
Baretz 33. 6&
Bause 87. 93.
Bayhcs 3.
Beelitz 109. 177.
BeOennanii 64. 81.
Berands 26. 29. 82. A3.
V. Berg 108. 175.
V. T^erlei.Hch 160. 173.
licrnaUolte (Kronprinz von S<'hweden)
IIL 125. 186. 138.
Bwrson 86. 90.
Brthmann 87.
, Frau 88.
Beurnünviile 99. 123.
Bmith 80. 90. 96.
Bvym» 16. 87. 99. 104. 106. 108. 118. 121.
126. 128. 129. 188.. 142. 167. 169.178.
Beyrich 68. 83.
Bieater 13. 61. 78.
Blflcher, Fttrst 112. 113. 114. 115. 110.
117. 125. 12a 136. 189. 140. 169. 170.
-, Graf 89. 94.
V. BInmemthal 160.
Bodart 103. 127.
Bo<le 04. 81.
Boehm, Dr. 8. 14. 15. 16. 32. 40.
Boehr, Dr. 1. 8. 9. 14. lö. 38.
Bohrer 89.
V. Bomadorff 178.
Bonaparte, Lncbui 116.
Bünnes 8.
(hl Bonnet 05.
Bonnier 98. 121.
Bonpland 63. 78.
Bomemann 67. 82.
Borsche 169.
Bouman 106.
V. Boyen, Kriegsmiuister 118. 143.
— , General 1G6. lÜO. 171.
Biemer, Dr. 1. 6. 8. 12. 23. 24. 88. 60.
Bre.so 100.
Rrft«?» hneider 70. 86.
Breuer, IV. 23.
V. Briukuianu 108.
V. Broekbanaen 160. 176.
Brown, Dr. 4.
V. Buch 04. 78. 79.
V. Buchholz 63.
Buchler 149.
V. Bttiow, Genanl 109. 134. 136.
— , Heimich 167. 178.
Bnrdach 12. 41.
Bnttmann 65. 07. 08. 82.
y. Byron, Prinz 167.
V. Caprivi 118.
V. Oaimar, Graf 96.
Caspari 116.
Charlotte, Pr-nze.ssin vonPreu8sen(K.ii.senn
von Kussland) 166. 168. 162. 164. 180.
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192
Begiftor.
V. Cichocki lOß.
Cosmar 107.
Crelinger, Kaafmaim 89. 95.
Geh. Rath 1C9.
Oos 17.
Cnrier 71.
Dam 104. 128.
Davonst 104. 128. 185. 170.
Dawkins 169.
Debry 121.
Des^onettos Iti. 45.
Dicffeubacb tl.
Doftbbdin 87. 92.
Dolgoraekit FOnt 160.
V. Dorville 107. 174.
Duroc 98. 122.
Eck 30. £6.
Eckert 182.
Elirenberg, Dr. 86. 68. 69. 70. 84.
l'.itliliom 170.
Elisabeth, Kronprinzessiu 157. 158. 1031.
182. 188.
EUwbeth, KaiBeiln ytm Bnsaland I8O1. 186. 1
Ephraim 166. 168. 171.
Erhard, Dr. .32. 68.
Erman 61. 7<i.
Emst August, Herzog von Camberland
157. 168. 169.
V. Faudel 63. 88. 166.
Ft'ihi.-r R7. 88. 89. 92.
l'erdinand, Prinz von Proiissen 100. 102.
103, 104. liJh 151. 156. 159.
— , Piiuesaiii 149. 150. 161. 162. 167. 160.
Faadnr 61. 74.
Fichte Ol. 78.
Fiedler 00.
Fischer, Dr. 9. 40.
Heck 86. 90.
IVaii 87.
Flittner 179. 186.
Fonney 1. 2. 4. 0. 8. 13. 14. 15. 16. 19.
20. 24. 25. 27. 30. 38. 40. 64. 1U2. 110.
Frank, Job. Peter, Dr. 6. 43.
JoMf. Dr. 14. 4a
Friedrich Wilhehn H. 149. 150. 160.
— ni. 32. 105. 106. 108. 112. 113. 114. 124.
128. l:is. 149. U'o. ir.2. 153. 154. 165.
156. 157. 158. 163. 164.
— , Kxonpiiiii 164. 166. 166. 167. 168. 168.
Fritze 3. 9. 15. 40.
Fromme 165. 171.
Oall, Dr. 15. 16. 43. 44.
Gebel 24. 51.
Gedicke 61. 76.
Geoffgee 178. 188.
V. Getlftch 13. 7a 180. 186.
Gcrslioiin 170.
Gesenius 70.
GiUy 165.
Girtanner, Dr. 4. 5.
▼. Gneis, nan 08. 139. 170.
V. GdiH-kiiigk Ol. 74.
V. (Tol.lbeck 12.3.
V. d. Goltz, Graf lö9. 176.
G«iiiier 16. 44.
Goereke 1. & 9. 14. 15. 16. 21. 27. 28.
29. 37. 44. 153. 164. 16t
Goethe 71. 93.
Grabe 31. 58.
Gftfe, Karl Ferdinand, Dr. 21. 26. 26.
37. 38. 82. 88. 49. 68. 64. 68.
Grapengiesser, Dr. 9. 11. 20. 84. 40. 60.
Graun 86. 91.
Grcien 158.
V. Grohuann, General 118. 143.
— , FrBaident 169. 176.
V. Grunenthal 179. 186.
GyUenfkjOld 169.
Habe! 1<^0. 180.
V. HaK' ii. (iraf Ol. 04. 167.
Hahneuianu 2U. 55. 118. 143.
Hake 168. 170. 17&
Hardenberg, Fflisfe 34. 60l 62. 86. 87. 98.
99. 100. 104. 100. 110. 118. 121. 123.
129. 131. 141. 142. 144. 165. 106. 167.
169.
Harraeh, Gitfin (FOntfn Liegnitz) 168.
16&
V. Hatzfeldt, Grafen 106. 166.
Ilauck 29. 30. 54.
Uaugwitz, Graf 126. 165.
Hecker 15. 16. 21. 30. 44. 48. 66.
HedenoB 88. 68.
Heiuibach, Dr. 61.
V. Heinitz 13.
Heiiirieb, Prinz von Proas.scn 161. 101.
llelene, Erbprinzessin von Mecideuburg-
Sdfawwia 161. 161.
Digltized by
BflgiBtor.
m
HeUer 169.
Uengstcnbcrg 70.
Henke 10. 45.
Herdt 87. 91.
Hering (Willibal.l Alexisl 71. 85,
Hermbstiidt 22. 30. öö. 04.
V. UeimsdorS 08.
Hen, Dr. 2. 13. 14. 89. 42.
Herne 30. 67. 160.
Hessen Dftmurtadt, LandgrAfin 163. 169.
lüi.
Hean 158. 103.
T. Hiero&>nii 20. 46. 163.
mner, Dichter 61. 77.
— , Hofrath 8. 105.
Himmel 87. BS. 02.
V. Hiukeldey 171. 177.
V. Hoffmannseck, Graf 64. 70.
V. Holtejr 89. 05.
Horlacher 29. 30. 54.
Horn, Dr. l". 10. Sa 21. 23. 80. 44. fiO.
V. Horn lol.
Horuschuch, Dr. 67. 82.
Hfibener 90. 97.
Hafdand» Dr. 2. 12. 14. 16. 16. 20. 21. 22.
24. 25. 28. 29. Sa 88. 47. 62. 162. 161.
169. 179.
V. Huhn, Dr. 20. 46.
Humboldt Alexander 83. 60. 62. 63. 67.
68. 69. 71. 78. 16&
— , WUhelm S2. 46. 48. 60. 67. 71. 143.
Jackson 168.
V. Jacobi 116. 141.
Jagow 182. 188.
Jeniaeb ni. 77.
Jenner, Dr. 11. 28. 29.
Iffland 63. 86. 87. ÖÖ. ÖO. 166. 167.
Joinville 103. 104.
V. Jominy 106. 110. 136.
Jordan 21.
Jüngken. Dr. 32. 58.
Junker, Dr. 2. 30.
Kalkreuih, Graf 64.
Kalow, Dr. 33. 58.
V. Kamptz 68. 117. 110. 120. 121. 142. 144.
146. 147. 100.
Earbe 8.
Kari| Prina von Mecklenbmg'StarelitB 31.
157. 162.
Karl, Prins von Preussen 166. 158. 164.
Karl August, Groäslierzog von Sauhaen-
Weimar 158. 103.
Karsten 64. 70.
Ka.seUtx 87. 92.
Kepler 20.
Kessler 99.
V. Kickebusch 171.
Eieaer, Dr. 29. 56.
Kieeewetter 67. 82.
Kinkall 166.
V. Kirebeisen 166. 169. 171.
Klnatsch, Dr. 30. 56.
Klaproth 22. 27. 60. 64. 72.
Klemnann, Dr. 1. 19.
Klenze 67. 82.
V. Klewitz 160. 176.
Klotz ()0.
Kluge, Dr. 14. 28. 31. 43.
Knigge 60. 71.
V. Knobeledorff HO.
V. Knoblauch 115.
Koch 86. 166. 167.
Koelpin 2. 38.
KoelB 87. 166. 171.
V. Koeneo, L. E. 16. 22. 43.
— , Eberhard 29.
KoWrauscb, Dr. 20, 21. 2^. 16. 50.
Konstantin, Grussfürst 119. 145. 147.
T. Kotiebae 16. 61. 62. 78. 117. 142.
Kianicbfeld, Dr. 82. 68.
Krause, Dr. 82.
— , Keg.-R«th llf».
V. Krüdener IGS.
Krüger, Johanna (Auguste) 116. 141.
— , Maler SO.
Krukenberg 24. 62.
Kriinitz, Dr. 1. 8. 36.
Kuii.stinanu 31.
Kurelia, Dr. 1. 8. 36.
Köster 160.
V. Ladenberg 119. 146.
V. Laniprecht 61.
Langenthal, Oharlotte 123.
Laube, Dr. 1.
Lavater 60.
Lecoq 165.
Lehmann 2.
Lents 61.
Leoyeo, Dr. 3.
V. L Estoc.j 20. 169. 176.
Levi jun. 87.
13
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Begiater.
Lichtensiein, Dr. 64. 68. 80.
Link 05. 71. 81.
Lipke 170.
Lipten 60. 73.
Lobttein, Dr. 12. 42.
Loder 14. 42.
Lnbnig 99.
LonilKud 02. 87. 126.
Luiiuser 22. 34.
Louis Ftedinand, Prins vonPronssen 100.
154. 128. 161. 161. 162.
Lnccbesini 166. 171.
Ludolff l;]. 109.
Ludwig, Prinz von Preussen 149. 159.
Luise. Königin 28. 40. 105. 152. 15S. 164.
155. 101. 162.
Mack 124.
Malfatli, Hr. 25. 53.
Maofredi Öl.
Mangold 24.
Uaxcus, Dr. 6. 19. 20. 46.
V Masseubach 62. 165.
V. iMassow 103. 127. 166. 172.
Meckel. Dr. 11. 41.
Meierotto OO. Ol. 72.
MUnbard 104.
Melchior 66. 90.
Mewdorff, Dr. 1. 20. 22. 29.
Meyer, Geb. Ratb 1. 15. 30. :?8.
Dr. Heinrich 19. 20. 32. 4ö. 1G9.
liofapotheker 21. 4A. CO,
Scbauapieleriii 87.
MogalU 16. 43
Moldenbauer, Dr. 30.
V. MoelU ndorK 98. 165. 168. 171.
V. Moltke 104.
Moreau III. 136. 187.
Moscbeles 89. 94.
T. MoU 68. 119. 120.
Mühry 2. 20. 39.
MttUer, Jobannes 59.
— , Geb. Rath 105.
Muiaiinia» Geii.<Chir. 1. 2. 11. 14. 10. 20.
21. 87.
— , Auskultator 108.
MiueU, Frau G«b. Batb 149.
Napoleon l. 07. 98. 99. lOL 102. 106. 106.
107. 108. 110. III. 112. IIS. 116. 116.
118. 120. 122. 124. 126. 126. 129. ISO.
134. 137. 136. 139. 140. 148. 146.
Naase fi7. S2.
V. Natzmer 170. 177.
Naumann 90.
V. Neale 166.
Neaadw 68. 88.
Neist 116.
Neumann 29. 54.
Ney 125. 134. 137. 139. 140.
Nicolai 12. 18. 61. 62. 73.
Niemann 90. 67.
Nikolaus I. 120. 146. 166. 162. 180.
T. Noatis 120. 146.
T. Omptoda 100. 173.
Pallaa, Dr. 8. 4a \
Partbey, Hofratb 04. 81.
- , Gustav 126. 133. 134. 137. 142.
Pauli 1.
Pecbeux III. 137.
Petacb, Dr. 110.
Poebhammer 181. 187.
V. Podewil-s 100.
Pourtal^.•*, <iraf 102.
Prahuier 0. 10.
Preuss 29. 37. 51.
Priitwits, rnn 168. 16$.
PorUnje 80. 67.
V. (^oast 87. 92.
Radalwm, Piina Anton fi& 61. 87. 88. 161.
167. 161. 104. 109.
— , Prinzes-sin Eli.sa 158. 164.
— , Prinzessin llL'lene 14.
— , Priiizeäaia Luise 129. 155. 157. 158.
16L 162.
Prins Micbael 105.
Ramler 60. 73.
Ransicbon 20.
V. Rappard 105. 107.
Rauch, BUdbauer 68. 89. 00. 95.
V. Bancb, General 170. 177.
V. Raamer 18.
Ranpacb 90. 95.
V. d. Recke, Graf 119. 167.
V. Reden 03.
Reich 9. 24. 30. 32. 08.
Beichardt 87. 90. 93.
Bett 17. 21. 48.
V. Reitzen.strin Gl.
Bicbards 178. 181.
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Register.
195
Richter, Dr. 2. 23. 38.
Riemer, Dr. 166. 179.
Bobeijot 96. 121.
Robert 67.
V. Rochow 61. 167. 174.
Roloff 40.
Rose 60. 63. 73.
Bmenstiel 18. 166. 171.
T. Rachel 126.
Rackmann 99.
Rudolph! 21. 31. 36. 49. 51. 63.
Ruat 25. 27. 28. 29. 31. 32. 33. 34. 53. 54.
Back 24. 167.
Saint-Hilaire 104. 128.
SaintMnrsan 105. 106. 107. 129. 130.
Saud 117. 142.
Sender 61. 77.
Schadow, Gottfried 67. 68. 69. 92. 9dL 167.
-, WUhelm 88. 93. 94.
Scharnweber 62. 63.
V. Scbeibler 15.
T. fidieve 6. 8. 90. 166. 167.
Schiavoneltl 87. Ol.
Scbickler 166. 171.
V. Schill 104. 105. 128. 129.
Schiller 61. 77.
Schinkel 88. 89. 90. 95.
Schlabreodoril, Onf 16& 170. 171.
— , säcb.s. Gesandter 166.
Y. Schlechtendal OL 76.
Schlegel 61. 76.
Schleiermac^er 71. 7S.
Schleiiiita 13.
SdÜMnin 90. 57.
Sdilicbt 165.
Scbmaltz 101. 116. 129. 141.
ScbtuetUu, Graf 101. 125.
— , Otttfln 160.
Sdunidt» Dr. 28. 51.
— , Kriminal-Direktor 119.
Schmitz, Fräulein 166. 179.
Schneider 64. 79.
BchrOtter 12.
Schaar 64
V. Schuckmann 25. 169. 176.
V. Scliulenburg 15.
Schulta, Hofrath 29. 30. 31. 54. 99.
— , ^Tbeater-SchulU) 30. 83.
Behulse, Theaterdichter 67.
V. Schütz 165.
Schuwita 179. 185.
Schwarzenberg, Fürst 118. 143.
Schweigger, Dr. IG. 46.
Schweitier, Dr. 24. 62.
Schwerin, Graf 168.
V. Seegebartb 170. 177.
Seile, Dr. 1. 2. 11. 12. 37.
Sethe 120. 145.
SiebeiMchiih 20.
▼. Siebold 16a 16S.
Solms, Prinz 104.
SontHg, Henriette 89. 90. 95. 96.
Soult 104. 128.
Spalding 61. 76. 16a
Sprengd 14. 48.
Steffens 68. 83. 141.
Stegemann 169.
Steglehner 30. 55.
V. Steiu, Minister 102. 103. 104. 120. 123.
126. 127. 12a 139. 146.
Stein, Professor 64. 61.
V. Steinberg 1G6.
Sterneinann, Dr. 1.
Stich, Schauspieler 89. 94.
Angoete (Crelloger) 89. 94. 95.
V. Stolbcrg, Qraf 114.
Stosch, Dr. 1. 2. 14. 16. 37. 65. 6a
Strauss üS. 84.
Stubenrauch 165. 171.
Tarone, SaU 169. 176.
V. Taube 169.
V. Tauenzien IIL 112. 115. 137. 138.
Teller 61. 75.
Tbaer OS. 6a 78.
Tbeden 1. 87.
TheerbuBchiaeher Garten 17a 183.
Thiele 71.
\ V. ThioUatz 105.
V. ThtUnmel 63. 78.
Tieok 8a 88. 90. 94 95.
Ttomnudortt eS. 81.
ITnger 75. 165.
Unzülmann 87. 92.
— , Friederike 67. 92.
Uninna 167. 174.
Victor 103. 127.
ViUanmo la
Voigt 2a
Voitus, Dr. 11. 41.
Voss, Gräfin 124. 153. 161. 162.
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196
Register.
Wackeniagel 71. 85.
^Vagenel• GH. 90. OG.
V. Wahlen-Jafgaee 119. 144.
Walbeig 70.
-VVall, Dr. 1. 8. 12. 16. ÖO.
. Walther 20. 47.
Wander 2.
V. Warsiug 1G7. 175.
V, Wartenflleben, Graf 66*
Wegscheiiler 70,
Weikard, Dr. 6.
Weinhold 30. 66.
Weiss 71. 8ö.
Weitsch. Dr. 16. 20. 24. 20. 60. 46. 60.
Wellington 116. 119. 140. 145.
Welper, Dr. 8. 14. 16. 16. 24. 30. 40. 10&.
Won.lt 1. M.
Wichel 31. 57.
Wiesel, Pauliue 103. 104. 128.
Wilhelin, Prims tos Preuesen (Sohn
Fkiedricb Wilhelms IIL) 81. 164. 166.
157. 102.
Wilbelmine, Landgrftfin von Hessen-Kassel
149. 169.
Wilhelmine, Prinzessin von Oranien
(Königin von HoUand) 164. 169. 162.
164.
Willce 168.
Willdenow 64. 79.
WinkJer 180.
Witte, Dr. 67. 82.
V. Wittgenstein, Fflrsl C2. 106. 119. 120.
129. 132. 157. 168. 169.
— , General 108.
V. Wuellner 98. 121.
Wolderm.inn 169. 170.
Wollart 22. 28.
Woltt, Dr. 1. 2. 13. 14. 104. 166.
— , Dr. (Posen) 1(1. 45.
— , Schauspielerin 89. 94.
Wülfsohu 12. 42.
Wohiy 168.
Wolter 163. 166.
V. Wnlffen 170.
V. York loö. laa.
Xadig, Dr. 24. 68.
V. Zastrov 149. 160.
van Zee 1G7. 174.
Zelter 9n. 90.
Zenker, Dr. 1. 3. 12. 14. 16. 10. 37. Ou. 149.
V. Zicby 107. 109. 132. 166.
Zimmer 166.
Zittelmann 179. 186.
ZoeUner 60. 61. 78.
Browuscbes System 4.
Charit« 6. 21. 23. 24. 32.
Cholera 88.
Drehmasehine 17. 19. 45.
Friedrichs Vorlt-suni'i-n 24. 52.
Gesellschaft aaturlorschendur Freunde
62. 68.
Gesetdose Gesellschaft 66.
Qinstinianische Gemäldesammlung 88. 03.
llnfelandsche Gesellschaft 20. 21. 22. 24.
25. 28. 29. 30. 31. 17. 69.
Influenza 13. 42.
Inokulation 3.
Irren» und Arbeitshaus 16.
Kuhpückcn-implung 11. 23. 51*.
Magnetismus 22. 23. 24. 61.
Medinnisch-physlkaliache (Klaprothsche)
GeseUschaft 21. 2& 27. 80. 31. 60.
04. 05.
PliiloniathiHche GcscUschaa 21. 60. 64.
lieichsches Mittel 9.
Bhinoplastik (TagUacocsische Operation)
- 26. 26. 27. 63. 64.
Singakademie 08. 91.
Univerwitält CA. 80.
7. Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte 68. 69.
Walthersches Kabinett 16. 43.
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ARCHIV
D£K
JRAHDENBUneiA"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DSR
PROVINZ BRANDENBURG
Uuter Mitwirkuug des Mürklscheu FroYinzial-Miiseums
herausgegeben
vom
dMtUiohifts • VonUadt.
8. Band.
— .
Berlin 1901.
Druck und Verlag von P. Stank icwicz' Buchdi'uckerci,
Beniburgerstrasse 14.
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Aus der märkischen Heimat
Natur- und Landschaftsbilder in Gedichten
gesammelt
von
Dr. L. H. Fischer.
Den Genossen seiner Wanderfahrten
der Heraungeber.
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4
Vorrede.
Die eigenartigen Reize der märkischen Landscliaft haben von Jahr
zn Jiilir in Folge der Herstellung und VermebroDg billiger Verkehrs-
inittel und durch die Verbreitung des Kadfahrens einen immer gröfseren
Kreis von liewunderern gefunden. Wer dieser Bewunderung wolil dieh-
terisdicn Ausdruck vorlieheii lial'c, d;is war die Fi:iir'\ welche den
Herausgeber zur ZusannnenstclliinL; der naclifolf^enden Sainnihnif; ver-
anlafste, einer Arbeit, die zur eigenen Belehrung und Ei'banung niitci-
nomnieii wurde und nicht für die ( )rtcntlichkeit bestimmt war. Wenn
diesem Vorsntz ungetreu, der Herausgeber schlielslich doch die Ver-
örtentlicliung untcrninunt, so thut er es in dei' Hoffnung, dal's das Buch
in den Kreisen der Naturfreunde und Litteraturfreunde, für die allein
es in lii'liacht kommt, hier und da Anregung l)ieteii und Freude bereiten
wird: vielleiclit dal's dem Naturfreund l»cini Dur( lil»lattern des Huches
die Erinnerung an genufsreiche Stunden auf der Wanderung durch die
märkische Landschaft neu sich belebt oder die getreue Scliildei uiig
scharf beobachteter Naturvorgänge Freude bereitet, vielleicht dafs dem
Litteratnrfreund diese Übersicht über die märkische Landschaftsdichtung
einiges Interesse abzugewinnen vermag.
Schon allein die Rücksicht auf den Umfang verbot aucli nur
das Streben nach Vollständigkeit bei dei" Auswahl der geeigneten
Gedichte ; ja es ist nicht au>gesclil(tssen , dal's trotz aller aufge-
wandten Mühe einzelne über den engen Kreis der von ilinen be-
sungenen Heimat hinaus nicht bekannt gewordene Dichter nicht er-
mittelt sind. Streng genommen gehören die Gedichte der Vorgänger
unseres Schmidt von Wemenohen nicht in diese Sammhing, denn sie
enthalten keine Natnrschildemngen, sondern Empfindungen nnd Be-
trachtungen, die eine bestimmte Ortlicbkeit der Mark in dem Dichter
hervomift, aber keineswegs dnrch die Eigenart des Ortes bedingt sind.
Als die ersten Versoche landschaftlicher Dichtong in der Mark sind sie
aber litterarhistorisch und knltnrhistorisch interessant, nnd dies mag
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— vm —
ihre Aufnahme entschuldigen. Dafs die Gedichte des vielgeschmähten
and erst in den letzten Jahrzehuten besser gewürdigten Wemenchener
Predigers den breitesten Ranm in der Sammlang einnehmen, bedarf
keiner Rechtfertigung. Ist er doch der eigenartigste nnd bisher nicht
flbertroffene Poet der mftrldschen Landschaft Zwar hat Lndwig Geiger
in seinen Berliner Neadrncken auch eine Auswahl der Gedichte von
F. W. A. Schmidt (Mosen nnd Grazien in der ICark. Berlin 1889) her-
ausgegeben. Diese Sammlung will aber ein Bild der gesamten dichteri-
schen Persönlichkeit, nicht blofs des märkischen Landschaftsdichters
geben und ist deshalb fdr unsere Zwecke za wenig ausfährlich. Dafs
unter den lebenden Dichtem dem bekannten Botaniker Carl Bolle ein
verh<nism&fsig grofser Raum fiberlassen ist, werden seine Freunde mit
um so gröfserem Dank begrOfsen, als es durch die Gute des Dichters
mir irergönnt ist, eine ganze Anzahl bisher nicht verOfientlichter Ge-
dichte zum Abdruck zu bringen.
Die Orthographie der Originale ist beibehalten, im wesentlichen
auch die Zeichensetzung. Die von den Dichtem herrfihrenden er-
klärenden Anmerkungen sind in Anffihrangsstricbe gesetzt.
Herzlichen Dank schulde ich and sage ich anch an dieser Stelle
dem Vorsteher der Göritz-Lübock-Stiftang, Herrn Otto Göritz, dem
liebenswürdigen und selbstlosen Helfer bei wissenschaftlichen Be-
strebungen. Ebenso bin ich Herrn Geh. Begierungsrat Stadtrat Emst
Friede! für mancherlei Anregung und UntersÜtzung zu reichem Danke
verpflichtet.
Dr. L. H. Fischer.
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Inhalt
Friedrich Ernst Wlliiiseu
1. Der Weidendamm 1
2. Die Castauien-Baeume 2
3. Der Thier-Garten 8
Flu E. Raafsey sen
Ode an die Stadt Bei^in 5
CnroilM Laise jvn Kleake
An das Belle Vae dea Frinaen Ferdinand 6
Carl PkUipp Xeilti
Sonnenaufgang Aber Berlin 6
Carl Philipp ConTt
Im Thiergarten zu Berlin ' , . g
Friedrich Wilhelm Au^ast Schmidt (Schmidt von Weruonchon)
1. Natur 9
2. An das Dorf Fahiiand 10
3. Der ffipont bei Fahrland 13
4. Unser Berg 15
5. Die Gegend von Potsdam . , 16
Ü. Das Dorf Döbritz 18
7. Der Frttblingstag auf der Dorfpfane ...» . 22
a Der Bonntag im Dorfe Üts 94
9. Die Wiese beim Weddiug 26
10. Die Pichelnberge bei Spandau 27
11. An den Jungferuwald bei Berlin 29
12. Der Kirchhof za Tegel 30
18. Eüsladiing tu einer Lqstfahrt nach Tegel 82
14. Der See bei LanlEe 84
15. Frohe Aussicht «... 86
1(5. Werneuchen 38
17. Das Frühjahr 40
18. Unare Gnwebank 42
19. Die Wadnifa 48
20. Meine Gegend .44
21. Das Landleben 46
22. Der Meierhof 47
23. Der Bauerhof 48
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— X —
24. Entsrhuldigung CO
25. Froho B^.tscbaft 61
20. Lied im Frühling 52
27. Frühliiig8-Lied 62
28. Bor ApiU 6S
89. Der Bauer in Ostam 63
30. Die Dorfbewohner 61
31. T)vr Friihliugsabeud auf dem Lande 56
82. Maitreude 67
33. Der Joninaabend £8
84. SommerdOrre 60
86. An die Natur im Herbst 60
86. Der Landmann im Winter 60
87. Ländliche Winterscenen 62
88. Der Wald im Winter 63
Fr«nz Freilierr von Gaadjr
Berliner Mai 04
fr* BnuoM
1. Der WeibelliB 66
2. Denkst da des Tttge? 66
3. Stillleben 67
4. Herbstatimmen 67
6. Wintenieeht 68
6. Winterschlaf 68
7. Am Moor 69
8. Fiiedhoi im WiUde 69
Karl Webe
1. Das klingende Fiiels am Schlofsberg 7ü
2. Die bt lligen Hallen 72
Kmauael (ron) Geibel
Senasond 72
Ctoeige Heteklel
1. Zwischen 8nmpf und Sand 74
2. Auf niürkischer Haide .76
;j. Out of-tlie-way-plnces 78
4. ^Märkischer Frübliugsstrauis 81
6. An» der Dreiliaden-Gbronik 82
Theodor Fontane
1. HftTelland 83
2. Alles still 86
3. Mittag 86
4. Auf der Ku^pe der Müggelberge 86
C'iurl Bolle
1. Kin Heim am Wasser 80
2. Aus der Inselwelt des Tegeler Sees 87
1. Scharfenberg 87
2. Baumwerder ..88
8. Reis werdet 88
4. Valentinawerder 88
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— XI —
.Seit«
6. Maienwerder 89
6. Haeselwerder 80
7. Lindwerder 90
S. KeiluTWorder 90
9. Schujtpt'tt.swt riler 90
10. An die in alle Wiude verspreugte Colonio von Valenlinsweider . 91
11. NftebtUebe Feuer 91
3. H»ttBbaa in Scharfenberg 92
4. Zu nah' dem Scbiefsplatz 92
T). Aui Grabmal Kuntbs im Tegeler Schlofsgarten 94
6. Die Fichte von Ilasselwerder 04
7. An unsere Spree 9G
8. Der Stein im Htiinboldthidn 97
9. Der beilige Helbogweg 96
10. Pfaueninsel {tf>
11. Per Hnvenow 99
12. Am Uuvenowsee lÜO
18. Der Wartthorm von Gransee ^ 100
14. Bonte Sommervfigel 101
15. Möven überm Wasaer 101
1<5. Die Weindrossel 101
17. Die Ilftidelerche 102
Ib. Die liacbötelzo 102
19. Die Turteltaobe 103
20. Der Eisvogel 103
21. Der Stint 104
22. Die Buche lO")
23. Der Eisbeerbaum luö
24. Utmua eAisa 100
26. Der Stnmpf der Silberpappel 107
26. Der Weinbei:g im Norden 106
27. Dracaena Dra<'o ' lOS
28. Die Linde am Scbildhorn 109
20. Die Arve auf der Pfauenin.sel 109
SO. Linnaca borealia 110
31. Taxodinm diBtichiom 110
Waldemar Kopp
Freienwalde a. O. cur Welbnacbtaselt III
Bldolf (irlmin
In der FichtenbaiUe 112
Heleuo von liill^r^n
An die Mark IIS
Engen TrewUiHeb
Alt-Brandenburg 113
Otto Fnmi Oenaiehen
I. Auf; der Gedichtsammlmtg: „Unter dem ZoUemaar**.
J. MUrker-Lied III
2. Eislauf 115
& Heiniicb von Kleist . . . . ' 116
4. Erika 116
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— XU -
II. Aus Pfarrhauasegen.
1. SoDDtagsgloeken 116
2. Das Dorf eben im Warthebrach 117
8. Erik» 117
4. Gut Brandenbmg hie allerw^ 118
LodOTlka Hesekiel
Ein Blick auf Potadam 119
Bmui Georg Moyor
1. An die Mark 119
2. l liuriii , 120
Kobert Behl«
1. Der Sefalofaberg bei Borg 120
2. Uebenwhwemnrang 121
Panl lUseli
1. Märkische Wanderung 124
2. Aui der GUenicker Bracke 126
Ewald Müller
1. Treis des Spreewahits 126
2. Uie gut Brandenburg allweg 126
a Auf dem Sehloilibeige 127
4. Nftchtttche Fahrt 1S7
Haas Gerhard Grlf
San8430oci ISS
VtH» Eiehbergr
1. Auf den MUggelbergen 130
2. iüoater Cborin 131
8. Ein Gang dorch die H0lie ia2
Mta Uwe
Die mirkiaohe Heide' 184
▲delf Brittd
Kahnfahrt 134
Hubert Malier
J. Be^Tüföung der Mark 135
2. An emem märkiscbeu äue 136
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Friedrich Ernst Wilmsed.
Geb. 29. Janoftr 1786 wa Halle, Prodiger der deotsdi-refoniilerteo Gemeinde in lüigde-
borg, 1777 Frediger an der ParochielMrche in Berlin, atnb nm ISOOl
1. Der Weidendamm.
Die Muse flieht zu dir, einsamer Cranz von Weiden!
Wo ihr doin West in kühle Schatten winkt.
Ihr Bäume! die ringsum der Sproc Oestadc kleiden.
Wo oft mein Herz die Euh in ätrühmen trinkt.
Seid ihr mein Liedl ~ Fem Tom gesebXfUgeii GetOmmeL
Wohnt die Natur, die das Einsame liebt
Iii euch, und rund umher wölbt sich ein heitrer Hlnunely
Von keinem Ranch der stolzen Stadt getrübt
Auf euren Wipfeln spielt mit iliren letzten ötrahleu
IMe Abendsonn', eh' sie ins Meer sich senkt:
Moeb will sie dieh, o Spreel mit flttTB'gem Golde mahlen,
Eh' sie der neuen Welt ihr AntlitK schenkt.
Ein ^^rüner Käsen, den HestrHuche wild umpfangen.
Beut zum kunstlosen Kuhesitz sich dar:
Wo haaricht über ihm der Weiden Blüthen hangen:
In ihnen jauchzt der Vögel muntre Schaar.
An seinem Kücken fcbwUlt anf grttnenden Terrassen
Ein Garten sanft zam schönsten Tempe an;
Hier schwizt Vertumnus, ihn in Lau1)en einzufassen,
Und Bacchus pflanzet Tranbenhügel dran.
Er ziert dehn stflles Haus, worin die Weisheit wohnet,
O Snlzer*)! den sie ihren Liebling nennt
Und ihm mit EVenden der Natur sein Forschen lohnet,
Die nur ttir SohtUer sohXit und kamt
•) Der bekannte PUloaoph und Ästhetiker (1780-1779).
AMh. 1
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2 -
Hier fll6(lB«n ruhig dir die Tage deines Lebeiu
Dem Dienst der ernsten GOttin heilig hin:
Wie StrOlime, schwer von Gold: denn Iselner flieflit vergebens»
Und jeder bringt die Wahrheit zum Gewinn.
So sei sie stets vor dich mit Uiren besten SchBcsen
Freigebig, nnd bei Enkeln einst dein Rühmt
Noch lange dein Gesehttft, die SehOpfong dein ErgtSzsen
Und dieser Garten dir ElysiomI
(Die Spaziergänge von Berlin. 8i quid vacui snb umbra Insimas. 1761, ohne Ort
und Namen des Verfassers. 4 BU. in 4**. BibliotbelL der GOrito-Labeck-Stiftung.)
t. Die Caatnnien-BMiime.*)
Euch, Zierden von Berlin I und seines Volks Vergniigeo,
Die ihr in seiner Mitte blüht!
Lieblingen gleich, die sanft im Schoos der ICntter liegen,
Bttch» BKnmet feyrt mein dankbar lied.
Freundschaftlich nehmt ihr mich in eure stillen Schatten,
Wo mich ein kühler West erfreut.
Und krönet jeden Tag, eh' Kuh' und Schlaf sich gatten,
Mit Freuden der Geselligkeit.
Ich seh des Flusses (Tott, wie still mit Wohlgefallen
Sein trliuleliul Haupt empor er liHlt:
Ünd schaut sie lilchelnd Hand in TTund vorUber wallen,
Die junge und die schöne Welt.
Von seinen Ufeni eilt ein Ilcer .'Schalkhafter Weste,
Zu schwiirmcn um die frohe Schaar.
Muthwillig sehcrzen sie. die stets willkommen Gäste,
Um blüh'nde Wangen, Brust und Ilaar.
Sie rollt indessen fort, nimmt still in knraen Wellen
Durch Königstadtc ihren Lauf,
Die majestätsche Spree! und ihre StrUhme schwellen,
So wie sie forteilt, stärker aui'.
An Ihren Ufern prangt der Bau, den einst Bellonen
Ihr königlicher Freund zum Tempel gab.**)
Mit trozig:em Gesicht schaut hier von ihren Thronen
Des Schreckens Göttin hoch herab.
Zehn Thore Ofhen sieh. Ans ihrem Heiligthnme
Versoigt mit Waffen sie den Held:
Ihr donnerndes Gcschofs trUgt schnell zu Friedriclia Ruhme
Des Krieges Schrecken durch die Welt.
*) Das Kastanionwäldchcn.
*) Du Fdadrieb L «rbsute 2«ai^as.
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— 3 —
0 möchten wir doch bald von deiner Hand, Irene,
Die Thoro fest verschlossen sehn!
Und friedlich Uunn mit uns, Bellouu! deine Sühuo
In dieser Bäome Schatten i^ebn.
(IMe Spaziergänge von Berlin. Vgl. oben Nr. 1.)
8. Der Thler^Oarteii.*)
Empfange mich, heiliger Ilain! den neben die Tempel Mincrvens
Silvan dir, Friedrich! znr Ehre gepflanat!
Empfangt mich, ihr Laaben, wo oft am Morgen in grünender WGlbong
Hein Herz die Ftenden des FrUhlingB gefühlt!
•Hier bin fehl — In langer Allee an Wanden frischdnftender Tangem
EU* ich zum Bette des FlnOlgOttB hinab !
Vom Abhang hernnter sieht schon mein Blick dem Scbanplaz entgegen,
Der Pracht und Anmuth und Hoheit vereint.
Da will ich am stillen Gestade die Sorgen des Tages vertränicen.
Auf! Seele! sei heiter und sanft \v\p der Bach!
Wie hier in silberner Fluth die Abendsunue sich spiegelt,
So strahlte der Kuhe Bildniis in dir!
Hier atiune BrlMadinng mein Geist! nach den OeMhSIten des ICoigene
ünd nach der Hitze des sehwttlen Mittags;
Hier wo der Abendwind ktthl 4nroh die Qebftsdie daher schlfipft
Und sefaetsende Weste am Wasser hinfliehn.
Ein heitrer Himmel, den nicht das kleinste W^llk'gc n Vfflrdnnkdt»
Erscheint auf der zitternden Flache des Bachs:
Der Gottheit Ebenbild stellt sich so in der Seele voll Unschuld
Und in dem Herzen des Kedlichen dar.
Nnn fuhren mich grünende Gänge zum stillen Tempel Pomonens
Und laden zum einsamen Lustgaug mich ein :
Wo nichts im Denken mich stöhrt, als etwann ein fliehendes liehe,
Das schnell sidi im dlehten Gestrftnebe ▼erliehrt.
Der Nachtigall zBrÜiohes Lied tOnt ans dem dichtem Oestrftnche
Und lockt den Gatten durch schmachtenden Lant:
Wetteifernd schallet ihr dort der Gesang der Gespielinn entgegen,
Und 'reizt ihren edlen, willkommenen Stolz.
Ein sohlanpennirmiger Gang von jungen frisehgrttuenden Fichten
Vf-rliphrt sich in feierlich düstrer Allee.
So leiten den Sterblichen stets duixh Krümmung die Pfade dea Lebens
O Todt! allgemach in dein dunkclos Thal.
Fern in der Tiefe des Hains und eingebobcmt in Sträuchcr
•) Den Tiergarten hatte vor "Wilmscn schon Wippel besungen : Der Tlrspnuip dos
BeriiniBcben Labyrinths. Berhn 1747. 4 Bll. in 4*. CBibhothek der Göritz-Lübeck-
Btiftmiir.) MyUiologische Spielerei, kdne Landsdiaflaaehildennif . Über den Tiergarten
2Ur Zeit Frictlrichs des Grossen vgl. Der Tiurgarten bei Berlin, seine Entslolning und
seine Schicksale. Berlin 1840. S. 43 fi. imd Ferd. Meyer, Der Berliner Tiergarten von
der iltesken Zeit bis nr Qssenwart. Bsfün 1892. S. Vitt,
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Erhebt sich und winkt mir ein einsames Hans:
In blflhender Einsiedelei schuf es einst sich ein Liebling der Musen
Und zähKe hier Tage dem Herzen gelebt.
Ein Freund der schönen Natur gcno(b er die ruhigen ^^uden,
Die sie mit freigebigen Hilndcn uns reicht:
Und pflanzte Gärten, die ihm Ponioim, Ceres und Comus
Mit ihren Schlizzen verschweudrisch gefüllt.
In ihnen sammelt sich nun in jedem blumigten FrUtiliug
Zu Festen der Freude dit: Jugend Berlins:
Und feyert bei Liedern und Wein, und Saitenspiclen und Tänzen
Sein Angedenken in fröhlichen Reihn.
Doch welche Aussicht sieht dort mit unwiderstehlichem Reize
Das weit umherschweifende Auge zu sich!
Dort, wo die heitere Spree in stiller GrOsse dahin rollt
Und auf ihrem Klicken Reichtbümer uns trügt
Da eilt der begierige P>li<-k angemessen und nimmer gesättigt
Ins Ferne der liindliclien Scenc dahin:
Erblickt hier |[<"prdrii und Triften, dort Hiiuser, verstockt ins Gebüsche,
Und Felder, auf dem-n der Segen schon blüht.
Die Aussicht eröfnet das Herz und füllt es mit süfser Emptindung
Des lebhafteu Dankes zum Uerru der Natur:
Dann kehrt der irrende Flufs zurück zu etaisameren Lauben,
Wo ganz die Seele in Ruhe Tcrslnkt.
£ttch, stille Lauben! hat oft ehi Freimd der harmonischen Musen
Mit seinem göttlichen Flaccua besucht.
Und hier nach Jahrhunderten noch der lyrisclien TOne Begeistrung,
Die Rom und Milcenen entzückte, gefühlt.
Auch oft ein liebendes J'aar, von Tugend und Unschuld geleitet.
Euch reiner Zlirtlichkoii I- rcuden geweiht,
Und hier mit umschlungenciu Arm die wahre Wollust getrunken,
Die nur die Seele fühlet und schiizt.
Seid, einsame Lauben, seid stets nur den banfleren Freuden geheiligt
Und Schauplttze reiner unschuldiger Lust,
Euch müsse der Thoren Schwärm nie, noch der Sdave sch&ndlicher Lttste
Durch pöbelhaft niedrigen Auftritt entweihn.
Und wenn Ja sein ftrevelnder Fuss sich eurem Heiligthum nahet,
Dann foltr' ihn im Herzen der Anblick der Ruh,
Mit der die unschuldige Xatur vor seinem strafbaren Antliz
In milder Seh"mc und Heiterkeit prangt.
Wenn aber mit frohem Gesicht und auf dem Antliz die Seele
Zu euch ein Edler, ein Menschenfreund kommt,
Dann giefst in sein fühlendes Herz Zufriedenheit, Seligkeit, Ruhe
Und Freude in vollen Strühmeu herab.
Den Jflugling besonders, der euch ein Herze voll neuer Empfindung,
Ein weiches Herze noch bildsam euch bringt.
0 dem seid günstig, und weckt durch mftchtigen himmlischen Einflute
Die Kehne der Unschuld und Tugend in ihm!
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I^ch euren besseren Reiz bewahret vorm lokkenden Lwiter
Die junge Srde, die beugsam iiocli wankt;
Daun segnet sein Ih-rz euoli noch einst an der Seite der zärtlichen üattiun
Und filhlt euren Kinflufs gedoppelt mit ihr.
Flicht denn auch ein Dicliter etwa in eure geheiligten Öchallou .
Zu spiihn euren mannigfaltigen Heiz:
O dann en^tUIe da Hain, vor ihm, dem Seher der Schöpfung,
Ganz deine nnerscliOpflicbe Pracht!
(Venniiehte Gedichte. Berlin bei Arnold Wever. 0. J. 104 8. S. 1S-2&)
Ph. £. Raufseysen.
Qeb. 1743 in Daiudg, studierte in J«M| hielt als Megieter Vorlemingett in Oreifewald,
wurde Im Erlege Soldat und Sekntlr beim General Kldet, geet 31. Deaember 177&
Ode an die Stadt Berlin.
Der Tttchter Thüfskons niHchti^'e Königinn]
Berlin! du grofsen donnerbewehrten Thors
tind der süsslUchehid holden Frya
heiliger Tempel! eey mir gegriilst!
Weit ^VAnyA drin Scepter über die Auen hin —
einst Sund und Wüste; izt ein Arkadien! —
Aus hoher Hayne Labyrinthen
winkt ein Arkadien mir entgegen.
Ana ihrem Jungen Schilfe erbebt der Spree
Ni^ade ihr mit I^otos bekränztes Hanpt,
and staont sich an, der Thema and Seine
Nimphen doreh sich beschXmt za sehen. ^
Mit Ehrfhrcht tret ich in (h-iiifii Portikus,
wo mir dein Schimmer dämmernd entgegen wallt,
ich seh in dir Athen und Spaita — —
darcb der Corintbfer Pracht verschönert.
Hier herrsehet Friedrich! Er seines Volks Odin!
hier streuet se-ine segnende Hand die Saat,
die einst ein künftiges JahrlniTnlert
Glücklich, und dankbar ihn segnend, erntet.
(Raniseysens Gedichte nach dem Tode des Verfasaera herauagegeben von
G. Danowina. Berlin 1782. S. 209 ff.)
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Caroline Luise von Klenke.
Todif» r (1. r Karschin, am '21. Juni 1754 in Fraustadt (Provinz Posen) geboren, wie
ihre Muller zweimal in den Fesseln einer ungh'h kliclien Klie, lebte nach der Trennung
von ihrem Zweiten Mann still und zurückgezogen im lluuse ihrer Mutter in Berlin.
Qeat 21. September 1802 in
An das Belle Vue des Prinzen Ferdinand K. H. (1788).
Ihr jugendlichen Bäume!
O wachset bald empor!
Und hfillet goldne Trämne
In euren Sehattenflohr,
Der Zukunft holde Bcencn
Lafst schweben um euch her,
Kntlocket Wonncthräuen
Ihr I'rust, die Freudenleer,
Ihr ewi;^ stillos Leiden
Nur eurem »Schutz vertraut.
Gebt reinre, hOh*rB IVenden
Dem Bräntigam, der Brant,
Die sieh hier zfirtlieh sagen:
„Ich lebe nur für Dich!»
Und unter Lebens Pla^^en
Lab' hier das Altrr sich.
Denn dal's in siirser Fülle
Ein jedes Herz hier tanzt,
Das ist der Fürstin Wille,
Die Kueh hieher gepflanzt.
(Gedichte. Berlin 1788. .S. 336.>
Carl Philipp Moritz.
Geb. am ;16. 8|epteinber 1757 «1 Hameln, wurde Hntmadieilehriing hl Braunschiroig,
beauehte das Gymnaaiam in Hannover, studierte hl Erfurt, war vorübergehend Scbaa-
apider, wurde Lehrer an Basedows Philantropin in Dessau, in Potsdam, am Grauen
Kloster in Berlin und naeh einer Heise durch England Professor am Cöllnischen
Gymnasium in BurUn ; bereiste Italien, lernte in Born Goethe kennen, wurde Professor
der Altertumskande Jn BerUn und Mitglied der Akademie. Qesi S6. Jon! 1798.
Sonnenaufgang über Berlin.
Aull dem Tempelhoilschen Berge; am 10. August 1780.
Die Sonne, die den goldamsilamten Fächer
Des Morgenroths entfaltet hat»
Vergüldet nnn mit ihrem Strahl die Dädier,
Und grüfst, mit Lächeln, onsre EOnigsstadt
Aus grauer D.iinmrung wälzen hohe Erker,
Besonnte Gipfel sich hervor,
Des blaugcwiUltten Tages Glanz wird stärker
lud miyestütisch steigt Berlin empor.
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— 7 —
Mit Beiner H.'Uiscr und Pallästo Menge
Hat es die ganze Flur bedeckt:
Dort dehnt es sich in ungeheurer Länge
Und hat die weiten Anne ausgestreckt:
Von da, wo geiner Däclur lielles Schimmern
Sich in des Waldes Grün verliert,
Bis an die "Wiesen, deren sanftes Flimmern,
Im Sonncnglanz, die Morgenseite ziert.
Schon seh' ich hier Palinste an PaUBBten,
Die ihre stolz<M) Illiupter blähn,
Und, wie an einer f^eraden Schnur, in festen,
Gescblofsnen Keiim, gleich unseru Kriegern, stehn.
Wie eine Stadt, erhebt in Ihrer lütte»
Der Königssitz sein Hanpt, und ragt
Hoch über Sie, wie über eine Hütte
Das kleinste unsrer Felsenhäoser ragt.
Rand, nm «lie hohe Kfinigsbiirg za sehmttcken.
Im Kreis', erheben Überall
Pall.'lst' und Tempel sich vor meinen Blicken,
Und wie ein Fels das müeht'ge Arsenal
Wie in dem Ofen goldne Fenerglnthen,
Wie TrOpfehen, die der Morgen tfaaat,
So gUast der ganxe Strom, in dessen Finthen
Der Stildte KOnigtam ihr Antlits sefaaut
Nan strömt das Licht herab wie FlammcnbUclie,
Und alle Gipfel sind besonnt,
Unttbersehbar Ist die weite Fläche
Der Stadt, nnd reicht bis an den Horizont.
Und Thürnie diinuncni noch in weiter Ferne,
Und sind beinah dem Aug' entrückt,
Das dennoch, voll von siUlier Sehnsaeht, gerne
In diesen DSmmerschein hinüber blickt.
Wer mit der Morgenröth' erwacht, den lohnet
Sie mit der Fülle jeder Lust,
Und Heiterkeit und sUfser Fri(>de wohnet
Dann einen fi^mzen Tag in seiner Bmst
Du aber, triinfer Schlummrer, o erröthe
Vor ihrem holden Anfjesicht,
Das dicli so freundliehlächelnd weckt, und tödte
Die besten Stunden deines Lebens nicht!
(Sechs deatacbe Gedichte, dem Könige von Preusscu gewidmet. Zweite Aid.
1*00. Beritn 1781. a 11 n. 12.)
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Carl Philipp Conz.
Geb. am 28. Oktober 1762 in Lurcli; Schillers JugoiKigespiele ; slndierte in Tübingen
Theologie und war in der Foigeieit mn mehreren Stellen als Frediger, seit 1801 in
TnbingMi als Professor der klas^ehen litterstiir und seit 1812 als Piofessor der
Eloqaeiis ebendort thltig. Gest. 20. Juni 1827.
Im Thiergarten m Berlin.
September 1792.
Entflohen dem Gewühlc
Der stolzen Königsstadt,
Müd' ihrer bunten Spiele
Und ihres Lännens satt,
Ell' ich zu deinem Frieden,
Du kÖniiL^lichor TIain!
Nimm segnend du den Müden
In deine Schatten ein!
Wo, fircnndlicber nmschlnngen
Von der gewölbten Nacht,
In deinen Dttmmeiiingen
Mir Rohe wieder lacht;
Hier kann mein Geist sich linden;
Hier kann ich wieder rein
Mein Innerstes empfinden,
Und mit mir selber seyn:
Der Sonne Strahlen sjiiclen.
Gemildert durch da;? Grün,
Und heben zu (ü fUhlcn
Der stillen Unschuld hin:
Wo die Terasse winket,
Wo milde Schönheit thront,
Lnstwandl' ich Jetzt; es sinket
Die Sonn' am Horizont;
In herbstlicli mildem Glänze
Bricht, wie durch rothen Flor,
Die Landschaft dort, im Tanze
Der Weste, sehOn hervor;
Fem trttgt ihr lindes Wehen
De^i Sefrens Düfte fort;
Der Mühle Flügel drehen
Am Hügel stiller dort.
Die Auen, schweigend, liegen.
Getuscht mit Rosenglut;
Die bunten Scenen wiegen
Sich schöner in der Flut!
•
Es sonnt sich im Gesträuche
Die grane Schwanenbmt;
Dort piutschert sie am Teiche,
Und mdert auf der Flut:
Wie freudig seh' ich immer
Der stolzen Taucher Kuh'
Und in der See dem Schimmer
Der DoppelbUlse zu!
Wie reiner doch nnd milder.
Denn Kunst und eitle Pracht,
Natur sind deine Bilder,
In ihrer Zaubermachtl
Was anch der StJ&dter Spiele
Dnrchlttrmen diese Flor,
Ich hOre nichts, ich fUhle
Nnr dich allein, Natnr!
(Gedichte. Zfliich, bey OroU, Fflssli und Compagnie. 1806. 4*. 8. 193-195.)
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Friedrich Wilhelm August Schmidt.
(Sdunidt von Wenieiicli«!.)
Geb. am 28. mis 1764 sii Fahriaad bei Fotadam, itodierte in Halle Theologie
und schlofs äieh hier besonders an Christian Tleinridi Schnitze an, der ^püter Pfarrer
in Döberitz, einem unweit Fahrland gelctrenon Dörfclien, wurde. (Vgl. Nr. 0 der fol^'i^nden
Gedichte.) VerhftltnißmRfsig juiiLr wurde or Prediger am Invalidenhause zu Berlin und
vertauschte dieses Amt am 1. Oktober 1795 mit der Stelle eines Predigers zu Wer«
noachen bei Bevnan, in der er bis aa seinem am 26. kjpA 1SS6 erfolgten Tode ver*
blieb. Die in aeinen Qediditen vielfadi erwlhnte Henriette, ist adne wate Gattin,
Johanna Henriette Friederike geborene I'rcndel, mit der er sich schon in Berlin ver-
heiratet hatte und die bereits am 1. November IPOn starb. Goethes bekanntes Spott-
lied „Musen und Grazien in der Mark" stempelte unsem Dichter als den Vertreter
des Platten und AllzunatOrlicheu in der deutschen Dichtung und vernichtete aui Jahre
binans aein litterariadies Anaeben. SpMer trat Jakob Grimm gans entaebieden fflr
ihn ein and nannte Qm „einen wiridichen Didbter vnd einen begabten^. In der
neueren Zeit haben Theodor Fontane, Johannes Trojan undLodwig Geiger dem Viel*
gsadunähten eine gercolite Würdigung zuteil werden lassen. Vgl. Ludwig Geiger,
Musen und Graiieu in der Mark (Berliner Neudrucke Bd. 8), Berlin 18ti9.
1. Natur.
Wann ein Fink im stillon Holze schlugt
' Zum Gesumm der Wespen und der Fliegen,
Wann der Wind die Birken sanft bewegt,
Knarrend sieb die jungen Tannen wiegen,
Und die Erdbeem an des Hohlwegs Seiten
Liebliches Gedttft verbreiten.
Oder, wann Tom Abendhanch gekühlt
Sieb die ElsenstrUncb*) im Wasser mahlen.
Weiften Scbaam der See an's Ufer spflhlt,
Sebneckenbansehen, ffles nnd Unschelschalen,
Und der Rohrspatz, vom GescbUf amblättert,
lYOhlicb dnreh die Wiese schmettert.
O dann kann ich oft Im wüsten Bmeh**)
Oft im wilden Wald mich selbst vergessen,
Meine Ranpeig'agd, mein Taschenbuch,
Stadt und Hans, und Zeit und Abendessen,
Kann oft stundenlang im Walde stehOD,
Stundenlang aufs Wasser sehen.
Wohl mir o Natur, dass ich mich dein,
Mehr, als ttber Ball und Maske, freue,
Dich zu sehn, vor hoifseni Sonnenschein,
Und vor Wind und Kr-erfn nie mich scheue!
Kf'nint' ich hnld auf deinen stilLsten Auen
Mir mein einsam Iliittchen bauen!
(Calender der Musen und Grazien für das Jaiir 1796. S. 6 n 6.)
*) „EUer fietttla alnua. Lin.** •*) „Sumpfige Wiese, T^wfmooi«*.
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2. An das Dorf Fahrland.
Da, dem die stUbesten Freadea der Mhen Jugend ich danke,
Das mein romantiBch Gcfllhl in seinen traulichen Winkeln
Frlih mir geweckt, o Doifl wie gern mag ich deiner g^enken!
Ha! ich kenne dich noch, als hJltt' ich dich gestern verlassen,
Kenne das hangende Pfarrliaus noch mit verwittertem I?ohrdach,
Wo die treuste der Mütter die erste Nalirung mir schenkte,
Kenne die Balken des Gicliels, wo IHngst der Regen den Kalk schon
Losgewaschen, die I hür mit grofseu NUgeln beschlagen,
Kenne das Gärtchen vom mit dem spitzen Stacket, und die Laube
Schräg mit Latten benagelt, und rings vom Samen der dicken
Ülme des Naebbars nmstreat, den gierig die Hühner sich piekten.
Nfanmer, nimmer Teigefe* ich der herrliehen Schaukel von Stricken,
Die an den Nnssbaom selbst ich geknttpft, der Pfütze des Hofes,
Wo nach dem Regen die Enten sich wuschen, m o öfter ich mnthig
Neckte die zischende Gans, die die wolligen Kleinen in Schuts nahm,
Jenes Winkels im Hof, wo der Htis hinter dem Holzstofs
Schlau sich versteckte, wo forschend hinter modernden Hrettem
Hühnereier oft fand, die jauchzend der Mutter ich brachte;
In der Mitte des Hofs der Futterraufe, die müfsig
Oft ich Ii erumgedreht, der ^Scheune durchlöcherter Lehmwand,
Von den Bäumen des Gartens beschattel^ wo einsam die ^ster
Haust', und auf kleinen Rabatten, mit hohem beschnittenen Bnxbanm
Eingefasst und Salbei, die sehOnen Johaimisbeerbttsehe,
Nicht viel grosser als ich mit rothen Trotteln mich lockten.
Mochte die Zeit mit geschäftiger Hand doch Alles zerstören,
Wenn, o Dörfchen! nur Du die Gestalt, die ich kenne, bewahrtest!
Wenn ich, von keinem gekannt, in deine Stille mich schleiche,
Find' ich des Kirchhofs Mauer, von Wind und Wetter zerbröckelt,
Noch? die gelloclitenen Zliune, mit lilal)lühenden Disteln
Und Kamillen am Boden umkränzt, düs knarrende Heek*) noch,
Und die Schmiede dabei mit dem Abends funkelnden Schornstein?
Noch im Walde von Sakrow die Stelle, wo röthliche Reitzker**)
Suchten mein Vater und ich, um sie Abends gebraten zu essen?
Noch die Löcher voll Schwalben am sandigen HUgel der Windmilhr,
Und das Becken der Heide voll hoher schupplchter Fichten,
Duftend von Harz, voll Hambutten und hunder^ährlger Eichen,
Deren EicbelnUpfchen so gern ich gesammelt? die öde
Kräiienbtttte mit lockendem Uhu, zur Seite das Scheusal,
Pas sich im Hirscfelde zum Schrecken der Vögel bewegte?
Grünt in jenem Gebäge der tiefgewoudeue Busch noch,
*) ,J' Heck heisst in Niedersachsen t\h- aus Reisern geflochtene oder aus
Latten zusaaiuieugeschlagene Thtire, welche den Kiiignng und Ausgang eines Dorfes,
der ganzen Breite des Fahrweges nach, verschliefät.'
**) „Reitsker, eine Art wohlschmeckender Erdachwttmme, Agariciw deliciosas.
Linn/*
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Wo, trotz hüpfenden KrOten, die heimlieh rettende Bartnnfs,
Sonst von keinem erspSht, vor mir sich vergebens versteckte?
Säuselt auf halbem Wege nach Carzow*) der knorrigte wilde
Birnbaum noch, wo Zijjeuner und Bettler gewöhnlich sich lagern?
O! wie warst du so schün, wann zum erstenmal wieder die Kühe
Wateten brüllend am Ufer der Havel durch blühende Mumraelu**),
Dumpf von Wespen nmsommt, wenn im Bltttensehatten der Muren
Kirschen die Kttefalein so Droh dnrefa die Flügel der glückenden Henne
Knokten, im Strolihm Weiber auf blnmiger Wiese die Leinwand
Bleiefaten, nnd singend am Graben das nene Oraa sieh die Knhmagd
Sichelte! Schlug es denn Fünf im Thürmchcn, so langte vom Nagel
Meister Katsch, der Scliulraeister, den grofsen Schlüssel, um dreimal
Anzuziehn den Hammor der Betglock'; über des Kirchhofs
Blühende Wolfsmilch sehritt er in schweren Pantotieln; os glänzte
Unter der Mütz' ihm hervor der gelbe Kamm; aus dem Schalloch
Grüfst' ihn die lärmende Schaar der liebegirrenden Schwalben.
Beim Backofen der Bauern, geschwttrzt am dampfenden Rauchlocb,
Schief Tom Wetterdaehe beschirmt nnd von Nesseln nmwnchert,
Spielten fröhliche Kinder im 8and\ am Bttekon den Poblroek***)
ZogelmOpfl, mit dem alten geduldigen Hnnde des Jttgers;
Andre bUesen vom Stengel die wolligen EOpfe verblühter
Butterblumen, und lauerten still am Garten des Amtmanns,
Wo die schlechtesten Tulpen der fJärtncr über den Zaun warf!
liings war dann Alles so still; denn im Felde sii teii die Bauern
Haber, fällten Holz für der Stadt Theerofen, und suehicn
Watend die grünlichen Eier der wilden Enten im Schilfbrueh.
Doch, wann matter die Strahlen der Sonne wärmten, und sanfter
Die durchlöcherten Kasten voll Fisch* 'am Ufer der See hob,
Schlenderte jeder naeh Haose mit Axt nnd Kober nnd SA'tnch.
Dann erqnidct von der nährenden HUch und dem kräftigen Schwarzbrodt,
Reckten Männer nnd Weiber, tmd Knecht* nnd Kinder und Uägde,
Samt den ehrbaren Spitzen mit schweren Knüppeln am Halse,
Unter dem Rüster f) vor'm Hause sieh aus. Der blüh'nden Ebreschen
Bittersüfses Gedüft, die grünlichen Dächer voll bunter
Tauben, der trommelnde Tauber, der schönen Kttötanieublütcn
Niedliche Pyramiden, der hohen Weiden am Dorfpfuhl
Erstes gelbliches Grün, und der wiederkehrende Kuckuk,
Der vemebmiieh herUber vom andern Ufer des See's rief,
Alles war dann so herrlich, und Alles weckte znr Freade!
0, wie warst dn so schOn, wann die Fliegen der Stnb' im September
Starben, nnd rotfa die Ebreechen am Hause des Jägers sieh färbten;
Wann die Beiher zur Flucht im einsam schwirrenden Seerohr,
*) Kartzow, Dorf nordwestlich von Fahrland, «a der Strasse nach I)jioii.
**) „Mummeln, Caltha palustris. Linn/'
***) „Pohlrock, ein, nach pohlniacher Alt, bis auf die FOsse geiade htrabgelMnder
Leibrock, ein Neglige für Kinder."
t) „Rüster, oder Ulme, Ulmus campebtris Linn."
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— 12 -
Ahndend den Stunii, sich versammloten. wann er am Gitter der Pfarre
Heulend die braunen Kastanjen aus platzciulm Schalen zur F.rde
Warf, und die schüchternen Krannuctsvo^j^el vom Felde zu Busch trieb;
Wann im November er Abends die Wetterdächer der kleinen
Fenster zerrt', und nur selten die Wolken serrids, dab der Vollmond
Mahlt* ein Wellohen die Scheiben ab auf die Dielen der Stabe 1
Froher alsdann als der Sperling Im Dach, dem von hinten die Federn
Ueber*s KOpfdien der Sturmwind blies, unterhielt ich so gerne
In dem rothcn Kamine die Glut mit knitternden SpKnen,
Die auf (Irm Hof ich trosainmclt, indessen die redliche Mutter
Spann, und dem lesenden Vater die wiinucndo Schnautze der Dachshund
Traulich über die Lende legte. Mit inniger Wollust
Wandert' am Morg'en ich dann durch d<;ini' Gaj>sen, bckuckte
Deine Ziiune vom Kegen geschwärzt, die zerbrochenen Aeste,
Und die LOcher im Sande, die Nachts vom Daohe die Tropfen
Ansg^Ohlt. 0 wie tanzte das Herz mir, so oft ich die Flocken
Rieseln hört* an den Scheiben des Nachts, und nicht wnbte, was Himmel
Oder Kirchdach sei, sobald ich am Morgen erwachte.
Um mit Hnnden zugleich und hungrigen Dohlen die erste
Bahn zu machen. O Dorf! soll einst ich des ländlichen Friedens
Schmecken mit meiner Getreuen, so sei er .'ibnlich dem deinen.
Labe, mein Herz, auch entfernt, dich oft an il< r Sülsen ICrinncrung!
(Calender der Musen und Grasien für das Jahr 1796. 8. S^—Q^.)
3. Der Sipunt bei Fahrland/)
An *,
Folge mir, Verehrer Da der nackten
LUndlichen Natur — hlt ^^eh' voran —
In «'in Märkiseli Thal: drim Katarakten,
Feucrber^-, Kaskad' und Sccorkan,
Ponieranzonwald und helst iisiirucn,
Die mit Trotz dem Blitz entgegen zürnen,
Sind nicht immer Dein GemUld'; im Geist
Folge dann, wohin Dein Freund Dich weis*t:
Denke dir, wir sind in Faluiand mitten
Unter Kindern noch, die froli mit Ball
Oder Drachen spielen vor den Hütten.
Eben winmiert Vier der Glocke Schall.
Munter kr&ht der Hahn mit gelber Tolle;
Denn der Tag Ist schOn, und Wolkenwolle
Birgt der Sommersonne Flammenstrahl.
Doch wir eilen nun zum wttsten Thal.
*) „Der Sipunt ist ein wüstes, romantisches Thal beim Dorfe Fahrland, ohn>
weit Potsdam«
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— 13
Hinter'm Dorf anf dieser morschen BrQeke
Stchn wir billig erst ein Weilchen still.
Hier schon finden Deine Ii eitern Blicke
Vorspiel dessen, was noch kommen will:
Uferried und Rolir und Wasservr)fjel,
Kleiner Fischerkiihne woils«- Sögel,
Auf der Hägewiese Zicf^-' und Kuh.
Aber weiter, Freund, dt ni ^Sipaut zu! —
Wir sind da! — Fallrt Dich ein sttfees Schrecken
Zwischen diesen Bergen hier von Kalk,
Wo der Blntflnk baut fai Krenzdombecken,
In der Eiche Kranz der Lerchcnfalk?
Wuchert irgendwo die Heidenessel
Üppiger, als hier in diesem KesselV
Ü})}>ifr«'i' 'l''t' f.'"f'nn' Roltzkor am
Aulgeborstuen, dicken Kieferstamm?
Witterst Du der wilden Erdbeer Würze
Und des wilden Wennuths bittern Duft?
Mahnt Dich an des Herbstes Regcnstfinse
Des zerrills'nen Berghangs tiefe Schlaft,
Wo des WIndekraates Ranken klettern?
Schwürt* es je von Zitterpappelblättem
So romantisch in Dein horchend Ohr?
Sang Dir je ein solches Vügelchor?
Si(')ist Du reolits die wiiilc Katze ^a'ioaeu
In der Grul)e, liinterni Krieciigerauk y
Hörst Du links die Siedler in den Binsen
'i'i'iiurig unken ihren Kiiigeöungl
Sprich, entzückt Dich dieser wilde Quendel*),
Dieser Schmetterlinge LustgotSndel?
Dieser Schwarzdoin, den Gtespinnst* mndehn?
Dieser KrötenmUnze schwMrziich Grün?
Hier in dieser Hecke nisten Ottern.
Horch I wie schauri«:»' diese Tanne rauschtl
Nach der Vo^'elnester Eierdottern
Sehlüpt't hier ol't, vom Jäj^cr nie belauseht,
Selilau der Iltis aus des Küstern i5aucho.
Urliben streiften jüngst im Scldeiieuslrauclie,
Als der Lenz den letzten Schnee zertbaut,
Heideschlangen ihre bunte Hant**)
*) „Feldkflmmel."
*) ifii» hiesigeii Sehlangsn htatan sieb snr Zelt des gWlbllmwigiiiiioktiunM.'*
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- 14 —
Der ▼eifairne Zann an jenem Httgel,
Den der Holz wann tingcitört zernagt,
Ist ein Schlupfort liir den feigen Igel,
"NVt'iin sf-in grimmer Feind, dnr Fuchs, ihn jagt.
DirsL's Sumpfrohr — sah'st Du je es grOfser? — ■
Birgt die schwarze Ente vor dem St^H'ser;
Und die Eidechs ruschclt mit dem Molch
Zwisehen Bteinen dort nnd hohem Loleh*). —
Und nun wollten wieder heim wir kehren?
Ueberfallen itzt Dich Furcht und Grau?
Nein! erst pflücke diese Heidelbeeren!
Fandest nirgend sie so reif und blau.
So, mein Freund, und nun die Wendelstiogen
Dieses Bergs hinan! Die Zweige biegen
Wir im Klettern Ja so leleht sorttflk,
Und die Anesieht lohnt dem tnmknen Blick.
Muthig weiter, Freund! Der wildo Tauber
Freu't mit Gurren uns'rer Ankunft sich. —
Und nun staune! — Dieser Gegend Zauber,
Diese Sccncn überraschen Dich!
Komm! auf jenem Kaseiisiiz voll Eckern**)
Bnh*n wir ans. Indefe die FrOsehe qoAckem,
Weide sieb Ddn Ange froh nnd frei
Neben mir an dieser Schilderei:
Ol betrachte diese Labyrinthe
Von Rothbtichen, Kiehn- und Birkgehulz,
Scliaurig still, wenn nicht des Fürstrrs Flinte
Driuneu blrscht auf eines Eichhorns reiz;
Diesen sehilhgen Kanindienwerder!
Diese Tannen, wo der TanbenmOrder
Ans dem hohen Neste gierig lansehti
Wenn des Amtmanns Floebt vorttber ranscht!
Dieses dichten Weiiiichts***) gelbe Ruthen!
Diesen Acker, roth von Heidekorn!
Dieue eingehägten Pferdehathen!
Diesen Glimmer anf dem Wiesenbom»
Der dnreh £iehen flmkelt! o! nnd diese
GrUne Bürste der gemSh*ten Wiese!
Und die Havel! die ihr Uler wäscht,
Wo der Spiefaerf ) oft den Dnrst sich lüscbt.
*) „Trespe, Lolium. Ltnn.'*
♦•) „Eicheln."
•*•) „Ein mit Weiden besetzter Platz."
f ) ,yBin Junger Uvraob, der das erste gabeliormig« Geweih noch nioiit abgelegt hat."
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— 15 —
Jene Eiehen dort voll Bindenriwe!
Jenes Leinföld mit dem Wannrngswisdi!
Vom im stOlm See der Wassernüsse
StaclielhiUsen zwischen Erl^^cbüsch!
Jene Fichten, wo. Trotz hariuMi Schleifen,
Unbesorgt die Sommerdrosseln pfeifen!
Die WacIiholderstrJluche, rinjjs zerstreut,
Wo der Sonne Glath die Beeren bläut I
Drüben Fahrland's Thurm, atu dessen Lnke
HOrbar kaom die Abendglocke singt!
Dort die Hirtenfiran, die Napf nnd Krake
Ihrem Mann nach jener Huthung- bringt!
Fern des Buchenwaldes NebelschwUrjse!
O! und hier des Abendsternes Kerze,
Die so hell, so hell im Westen blinkt,
Du der Feuerbail der Sonne sinkt!
Sprich, ob Dich nicht Alles, Trotz den MUngeln,
Die des welschen Mahlers Kunst erblickt,
Ob nicht Alles rings, bis zu den Stengeln
Dieser wilden Nelken, Dich entzflckt? —
O wolanl so soll's uns femer stiemen,
Deine Reitze, Vaterland, zu rühmen,
Wenn ein Undankbarer, dir nicht hold.
Nur dem Ausland Lohp;esilnge zollt.
(Almanacb Knuaotisch-lAiuiUcher Gedichte fOr 1798. Airiin 1798. & l~a)
4. Unser Berg.
Wer da will, mag siechen
In dem Ranch der Stadt;
Wir cntfliehn, wenn Bitith' und BlaU
Aus den Knospen kriechen,
In die freie Welt,
Schweifen Uber Wies' und Feld.
In verlafsner Oede
liagt am Havelmoor
Hocih des Waldes Beig hervor;
Hier, so geht die Rede,
Wankt, vom Spuk gehnrt,
Längst kein Jiger mehr und Hirt.
Oben ist ebi SteUehen,
Einsam und geheim,
Recht gemacht fllr Kurs und Reim,
Wo aus hundert Kelchen
Bergrviol' und Dom
Duften um des Bächleins Born.
Keine Kunstlaterne
Zaubert'S an die Wand,
Was hier Liebchen Schönes fand;
Rtaigs, in NMh* und Feme,
Schaut der trunkne Blick
Hier, Natur, dehn Mefstentttek.
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— 16
Vor uns scbieAt der HaTol
Blitzend SObemafe
Hin dnrch Kress* und Schlaogengras;
Trotz der Warnungstafel
Schlüpft (Irr Mardrr, k<'ck,
Seitwärts durch der äciionang Heck.
Ans den Schifl^ki^tt^
Krftnselt grauer Qualm;
Hinter Schilf und Binsenhalm,
Am Gestade, braten
Wasserschnepf und Schwan,
Ungeetttrt vom Fischerkabu.
Wiesel, Dachs' und Füchse
Und Kaninchen baun
Oben in des Dickicbts Graun;
Unten knallt die Büchse
Nach dem Habichtsnest,
wahrend fem das Posthorn bllst
Beefats der Hufen Teppich,
Und der Wiese Gmmmt,
Wo des Sumpft Rohrdommel brummt!
Links der Stamm voll Eppich,
Der von Alter borst,
Mit des Falken Wipfelhorst!
Unterm Daeh der Eller
Ruht sieh's hier so ktthl
Auf der Gmse*) Seidempfllhl.
Herrlich ohne Taller
Schmeckt beim Abendroth
Heideibeer' und Hasenbrot
O, verschwiegne Wüste,
Deine Hühncngruft,
Deiner Turteltauben Klufl,
Deiner KrMh'n Geniste,
Deiner HOhle Tuf
Gilt uns mehr als Gold und Bnf.
O, was ist sein Schimmer
Gegen dich, Natur?
GOnnt mir, grolto MSnner, nur.
Blieb* ich gleich auf immer '
Gegen euch ein Zwerg,
DieA GefOhl und diesen Berg!
romantiBeh-lSiidlidher Gemihlde ffir 1796. 8. 132-198.)
6. Die Oegend yoo Potsdam,
an «, sls decselbe die königlichen Zimmer dsselbst besehen wollte.
Du brennst, die innre Pracht der KüiiigsschlOsser
Durch's Augenglas mit Staunen anzusehn;
Ich eile, Freund, nach diesen, wilden HOh*n,
Und ntttae, traun! den sehOnen Morgen besser.
Bei todter Kunst verweilt dein Auge nur;
Hier aber lebt und webt Natur, Natur!
Hier will ich ruh'n an dieser hohen Föhre**;,
Am ZwilUngsaste hängt ein Dohlennest,
Zu Trotz dem Regensturm von gestern, fest
Sflfls tOnen rings der firohen Finken ChOre.
Der Schufer trieb auf dieses Berges Bauch;
Denn LämmerwoU* hUngt noch am Dornenstrauch.
*) Raseiibtink.
*) „Fohre, Kiehnbamn, phios ^hestris, Lfam.**
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- 17 —
O! keinen Rheinfall, Iceine Kokosinsel,
Kein Lavathal und keinen Palmenhain»
Nur diese Wunder wiird' ich konterfeien,
Jiäll* Einen Tag ich Lütki ns*) Mcist«Tpiiiscl ;
Nur diese Gegend hier, vom Lenz verjüngt,
üo weit der Arm der Havel sie umschlingt.
Diefs grüne Thal, wo kleine Bauerpferde
Sich über'n Hals in stiller Eintrarlit scliun ri.
Vom Korn getrennt durch vSumj)!" uml >ciueicn Zaun;
D< « I^i igiiangs Adern hier von Holust rd«-,
\V(t lioeh die wciisc Milchkuli. brauny<Hcfkt,
In s ciichlc (iras sich wicderkaui-iid streckt;
Die Weide dort, die, in den Bach gei)urzoIt,
Den Lauf ihm hemmt, bespritzt von Wasst rstaub,
Die keck noch tn ibt ihr blUulichgrüiies Laub,
Übschon sie längst der Wiiitersturm entwurzelt;
Dcg Baches Forchen, himmelblaii und klar,
Der Uferschollen langes, grünes Haar;
Den Efeu an der Brücke iiiürln in Steine,
Der lang herab von ihrem Bogen liiingt;
Die Schleuse dort, von schneller Flut gedrHngt;
Die rothen DistelkOpf am Ackerraine;
Das Baumskelett, quer Über'n Weg gestreckt.
Vor dem bei Nacht das Pferd des Reuters schreckt;
Am Wege fem den weUlsen Meiicnzeiger,
Des Weinbergs RebenpfAhr und Vogelschcu,
Die Fähre dort, und hier die Schäferei,
Hoch ttber mir den Zug der grauen Reigcr,
Drr WassenuUhle gl.Mnzendschwarzes Rad,
Des gelben Dorfthunus blaues Zifferblatt;
Die Weiber dort, die Milch nach Potsdam tragen,
Von Sonnenglnt wie von der Last geplagt;
An jenem Fichtenwald, wo nie es tagt,
Das lleiigstgespann vor'm* wcirs«'n Kämerwagen;
Der Villen ntthe Üaclier, o! und da
Des alten licitlentempels Hudera;
Dieis PlUtzcheii hier, voll brauner Eichelschalen,
Von Kosendorn und Schling-^estliud" umrankt;
Den Hänfling hier, der froii am Zweige sehwankt:
Dies Alles, Frcun<l, wollt' ich entzückt dir mahlen,
Doch weil ich das, trotz j( (lern Wunsch, nicht kann,
So staun icii still die WuJlde^ Gottes an.
*) Peter Ludwig Lütke, geb. den 4. Hin 1760, gest den 19. Mai 1831 lo Berihi
als Professor der Landschaftsmalerei und Hitg^ed des Senats der Akademie der Kflnste.
Anh. 2
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0! rücktest du in dieser Nacht der Tannen,
Mit mir unif^clnvit rt von dreistem Federwild,
liier dfiiirii 'l'ulms fort von Bild zu Bild:
Du ginjjest, traun 1 befriedi^'ter von danncn;
Ja! hättest mehr als Moislcrwerk erblickt,
l'nd niclits dem Pirirtm-r in die Hand jj^»-driiekt.
(CaleuUer der Musen und Grazien lür das Jahr 1796. Berlin, üaude uud Spener.
& 107*-«.)
6. Das Dorf Döbrits,*)
an Rudolph Agrlkola.**)
Trotz dem blendenden Pomp der weitgepriesenen Hauptstadt,
Ihren PallSsten, die stolz mit Altanen sich blähen und Löschhorn,
Ihren Hoidackcn und Negern und Leiblakaien, von Goldtahn^^'f)
Starrend, den blitzenden Kappeln der ThUnne, dem prahlenden Kunstscbrank
Voll Antiken und Tand, den Sarkophagen von Marmor,
Trotz des vergötterten Parks Fasanen, Statuen und Taxus,
Sübfrt •^chen, Knskad' und Lerchenb-iumen und Ahorn,
Bliel» niir's im Herzen so leer; denn sii li! es kannte von Kind auf
Jene Keitze der reinen Xatur. Voll (lUäb'jidcr Selmsueht
Floh ich, zu heitern mich, jüngst in die stillen Scliatten von Dübritz.
Auf dem verblichenen Zlferblatt des verödeten Tliurmes
Wies der Zeiger auf Acht. Gestärkt durch ein ländliches FrOhstttck,
Eilt* ich zum Dörfchen hinaus am Arme des redlichen Freundes,
Zu durchwandeln im trauten Gespräch die entzückende Gegend.
Aber noch Einmal wandten wir um, denn es kratzte sein Dachshund,
Winselnd laut, an die Pforte des Hofs und wollt' uns gclr-toii,
Vor uns vrrjag-t' er den Schwann mnthwillig^er Sjiatzen, di<t hadernd
K<)rm*r suclil«'n im Stroh des bcsehattcten f b-iiscluMis. Moin Auge
Weilte betrachtend so gern bei der Mauenaute des Kirchhofs,
Bei «ler (iruse dei' Dächer von Kohr, bei dt iii struppichlen Storchnest,
13ei Korbweiden und Pllug, und Eggenziukeu und Holzscheit,
Bis wir am Mtthlenende den Zaun erreichten, auf beiden
Seiten mit Stufen vcrschn, um bequem Iiinübcr zu steigen.
Hier verwehret dem Fremdling den Steig ein warnender Strohwisch
lieber die Wiese des Dorfs, doch nimmer dem redlichen Pfarrer;
Dennoch betrat er ihn nicht. Wir schlenderten neben der Hutbung
Nrsselumwuchertem Hagy), umflattert von jubelnden Finken,
Hin nach der Lindenallee: O der netten, ländlichen Aussicht!
*) Einst nördlich von Fahrland gelegen, jelzl seit der EinricLiung des Döberitxer
Trappen-Übungsplatses von der Erde verschwimden.
**) Johann G ittfrii «! Rudolf A., geb. am 7. Mai 17il-2 zu Ncu-Zittau bei Heeskow
in der Mark, wai \ <>i.stt lier einer von ihm gegrünileten KnabeuschiUo in Berlin und
danach PrLMÜger an der Sophienkirclie daselbst. Gest. S. Januar 1833.
♦**) Lahn = dünne Metallplatte, Draht
t) „liag, Verzauuung."
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— 19 —
Fem die Hofen des Dorfli voll gelber wellender Qertte
Stachellthrenp am Wald die weifte Kuppe des Sandbergs,
Wo Holzhasen nur laoscbeD, versteckt im gewundenen Kniebuscb,
Voll Walilschnepfen die Sclionung, ein Volk Keppliülinor im Brachfeld,
XHher im t ])cneu Thal der Wipsen gehHutV ltc Heumahd,
]Ia}xero'?pn*l und l^uendol**) und Haferdisti'ln und Windhalm.
Langsam klimmtpii wir nun ber<ran nach der rasselnden Mühle
LHngs dorn einsamen Ilüttchen du» .Müllers mit nuiosigem Pultdach,
LHrmender Sperlinge voll Ks meckert" am .schielen Gehäge
Mit MilchklOckchen am Uals die dreiste Zieg' uns entgegen.
Freundlich nickte die Frau, und schalt den yerfblgenden Hofhund,
Bis herab von der schwebenden Treppe .der fleißige Mann kam.
Herzlich drückt' er uns beiden die Hand, und wies mit der Mtttze
Vor sieh hin; hier sehn sie, begann er, die Thünne von Potsdam
Alle du i, und Sanssouci rechts, und jenseits der Havel
Drülx 11 doli Brandenburgischen Dom, hier hinter uns Sj^andau.
Nauen dort links, der Thurm versteckt sieh nur hiiitei- dem l'.irkholz,
Unten ein Dorf hei dt-m andern, am Berg mein verfallenes Wohnhaus.
»Selten komm' ich in's Dorf, auch selbst idcht immer des Sonntags,
Leider, aber der Weg ist so weit, liier zieh' ich im Garten
Bohnen und Kohl, und wie scbOn dort meine Tulpe, der Hohn, blüht!
So der Müller. Wir schieden, und fanden am Berge den Holzweg.
Ha! ein dunkler, romantischer Hain voll rissiger Eichen,
Heidenhonig und Ginst***) und Wespennester und Ilirschbmnstf),
Lagerranken und Plifferling'ff) Und wildwuchernder llimbeem
Säuselte trauliclie Schauer umher. Hier girren die wilden
Tau Inn in seliger Kuh; hier nistet im Wipfel die Weihe,
lüift der bninstende Hirsch, am Laubholz nagend, die Hirschkuh,
Seltner noch vom anschlagenden Huiul und helltrmenden lliclhorn,
Als von der Nacht Schlagrcgen erschreckt, und dem krachenden Windbruch.
Endlich dümmerte heller im Vorholz wieder das Togsllcbt
Müde sanken wir nun am Kessel des rohrigen Torftnoors
Nieder, in stille Betrachtung vertieft, auf den moosigen Markstein.
Qnappen spielten im schlanunigen Fennfff), Robrschnepfen ninschwirrten
Fröhlich der I'ferdeschwemm«' Geschilf; sanft netzte der Krebsbach,
Schleichend durch KnitenfiiiinzcijV die nithliehen Wurzeln der lOrlen.
Herrlich er;.;öt/(en das Au^' hier iMann;isehwirigel §§) im Kuhgrund,
Dort des Knoblauchs purpurne Blum' iu den Fabren der Hufen.
*) „Hagcrosen, die Blflfbe des HagcbuttenstrsQclis, Bosa canina, Linn."
•*) „(iuendel, Thymus Serpillum, Linn."
***) „Ginst oder Pfriemenkraut, Genista, Linn."
f) „Hirschbrunst, ein Waldscliwaium, rhallus impadicos, Linn."
■^j-) „i^itiurling, Agaricu» piperatua, Linn." •
-; ; ; i .,Fenn, im Mark Braodenbnygiscben ein Sumpf voll Bhisen, Schilf und Ge»
röbricbt.'
§) „Krötenmflnze, ein Name der Laclimünze, wuil sich die Kniteii gern unter
ihr aaftialten, Mentha aquatica, Linn."
§§) „Mannaschwingel, Feetnoa fluitanSi Unn."
2*
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I
— 20 —
Diese ])rangten hier golb von Hederich*), jene dort röthlioh
Von Buchwelzen, liier kam von tler Lämmervvoido der Schäfer
NUher lioran mit dem schnobernden Hund; umgürtet vom Scbmacbtriem,
Kiefer: gebe docii (Jott uns bald cimn j^'^nädij^cn Kegen I
Drüben, Herr I'rediger, stellt es reelit schwarz, dort jenscMts der Havel;
Aber ich fürclUe. - der I'^luls lüist kiin (Icwittcr hfrültcr.
Sagt man. Du Iii in r Goltl hier versengt uns noch alle» im Sande.
Zwar das Wetter ist schön, gcwil's recht schön zu der Erndte;
Rocken nnd Gerste sind gelb, und bald ist der Weizen auch todtreif,
Aber, aber die lieben Kartofioln. — So schwatzt er noch manches,
Seinen Kober erüfnend, von seinem Häuschen auf Rädern,
Von Windwurzel**) und Schur. Da sagt meüi redlicher Führer:
Einen, mein Lieber, besuclien wir noch da drüi)cn im Hüttchen
Xcben der Maulbeeralice, den Jlolzscliuhmaehcr des Dorfes.
(). wahrhaftig ein gliieklieher Mann: doch hOren wir selbst ihn.
Vorne sals er am Tisch mit sieben Kindern und Hausfrau
In der Laube, die jüii^-^st er am heiligen Abeufl vor Fliii-^stcn
Neben der Pforte »les Hofs aus (lullenden Birken gellochten.
Herr, begann er zu mii", iu der weiten umliegenden Gegend
Giebt es der fröhlichen Menschen genug, doch ich bin der frohste.
Sehn sie nur hier mein wirthliches Weib! so giebt es nur Eine.
Weirser blttht ihr der Nacken als Hirse, das redliche Angc
Blauer als Wicken nnd Blachs, und die Wange rOther als Feldmohn.
Fieke! was schämst du dich denn? — Zwar liefs sie lange mich zappeln;
Denn so rasch und so jung war ich nicht, als der Gärtner der Herrschaft,
Und der rüstige .Tiigor mit frrofscn Stiefelmansehetten ;
Al>er doeli zwanzigmal klüger als die, und wahrhaftig auch besser.
Ehinals war ich ein tüchtiyfer Kerl: im vordersten filiede
Stand ich nahe beim Flügelmann; eine tücksche Granate
Sengte mir ehist bei Torgau den Bart und rückte mir'» Kinn schief.
Dennoch sagte sie Ja; und seit dem Tage der Hochzeit,
Wo sie der Rosmarin, mit purpurner Seide bewickelt.
Patzt', nnd hier Herr Schultz* ihr den Ring auf den quellenden Finger
Schob, vertragen wir uns nicht anders wie Engel im Himmel.
Kecht als sollt' ich es hören, und desto verträ^rlielicr leben,
Jubelt den ganzen Tag in der hohlen Weide der Feldspalz
Hier von der liebenden Sie, die treu <lie sperrende Brut ätzt
Brodt, Herr, hab' ieli genug; dcmi Krull wird noch innuer gerufen,
"Wo es auf Sehweii.s ankoiiinit und Geduld, und nie litt er noch Muugul.
lat die Arbeit auch i'ar, und dingt ihn keiner um Taglolm,
Deimoch feiert er nicht; denn Ik'I wer Wülste wohl besser,
Wo der Kiebitz brütet im Brach, wo das flüchtige Repphabn
Heckt, in welchem Gcstäudc die schlaae Nachtigall nistet?
*) „Hederich, Sinapis arvensis, Linn."
* ) „Windwurzel; wenn die Wolken die Gestalt einer Wurzel annehmen, so nennt
der Laudmann diefa eine Windworsel; die Folge dieser £r8cheinung ist Stunnwind.*'
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— 21 -
Wer wohl anders als Krall versorgt die Stildter mit Morcheln,
PfifferliDgen und Koitzkcm, und sacht im verwachsen rn Kiehnliolz
Unter dem weifslichblinkenden LauV» <iie herrlichen ErdherrnV
Sie, Herr Prediger, tJaiicn micli si lbst vor di r iiicdrijjfen Iluusthür
Oft, wie ich Vo^«^n»aner jjescliiiitzt und Hc^en gebumleu.
Zwar mein Hültohen ist klein, und >ciinial der niedliche Garten,
Aber doch grofs und weil noch genug für verträgliche Leute.
Sehn bic nur hier (wir krochen hinein) mit gewürfelter Leinwand
Ist mein geräumiges Bett* nmhungt, und mit Schttssel nnd Tellern,
Die der TOpfer bemahlt mit schienen Versen und Vögeln,
Prahlet der Schrank, und es fehlt mir an keinem nOthlgcn Hansrath.
Bald twar rasselt der Herbst in den welkenden Ranken der Erbsen:
Doch dann kriech' ich in's Httttchcn und sclnnr»r" am Winnenden Ofen.
Zerrt dann Abends der Sturm die Klinke des l'^irtehens. als wollt' er
Wiitlicnd hinein, so ich vergnügt dem knatternden Kiehn zu,
Sing" auch eins wohl da'/u. «lenn s<> manches lustige Stückchen
Hab' ich ja von tlcn Soldaten gelernt nnd so muneltes vom Bergmann. —
Aber nun kehren wir heim, begann mein geliebter Getalirte;
Mittag ist es wohl lang', und DOrtchen mHgte schon warten.
Näher führet von hier ein selten betretener Fasspfad
LSngi dem Krähenberge zum Dorf, dnrch der Gräfin Gehäge;
Diesen verfolgten wir itzt Umschwärmt von Käfer nnd Homifs
Könnt' ich nicht müde mich sehn an Heidenelken nnd Erdschwamm.
T'nd nun, sieh! onpfing uns der Garten des adligen Hofes.
Vom Kunstjjärtner gepfli-gt, g«'d« iliteu an wHnncnder .^onne
Rechts Zwi rgViMumclien voll iiergamotten. Citronen, Ix'enetten,
Amarellfii und <^Miitten, am ^^aueI•gelälld. r die l'tii>clien,
Links .Amai-anien, Lf\kf)i.n und .Iniitnkir-clM'n und Fuchsschwanz,
Kaiserkronen und Mirlhe, Je länger je lieber und Nelken,
Jenseits der Rasenallee ein Beet voll gestäbelter groiser
Znckerscboteu, ein andres voll Netznielonen, bei Jedem
Stand ein Stäbchen und dran auf Papier der lateinische Name.
Vom auf gepflastertem Hof des Kittergates stolzierten,
Blähend am Fensterstaeket,*) der Malva porpome Qaäste.
Mitten erlmb sich die Sonnenuhr an dem Steinernen Pfeiler.
Türkische Junten wandelten da, Perlhühner un<l lYanen
Bei Fischreüi' P und Kranieh und Storch mit vcrsrlinittenen Schwingen.
ländlich gelangten wir drauf an den Zaun der frie.dliehen IM'arre,
Fanden gedeckt d« n l.indüehen Tisch: und mit freundlichen Worten
Schalt die AVii:!iiu uns au>, dai's ln ut wir so lange geblii ltcn.
(Culendcr der Blusen und Liruiien iür dau Jalir ITliO. Bedin, Uaudc und Suener.
S. 71k -Tl«.)
♦) „Stärket, VerzlltmnnR von Latten, o<hM- Stillten. (lotL'I.'irhm vürzilL'Uch bei
Landwohnungen vor den Fenstern, zu beiden Seiten der UaustliUr, angcbruclit zu
Bcyn pücgt."
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7. Der FrUblingstag auf der Dorfpfiftrre.*)
Rings von Elsen und Haseln und breiten Eichen umsHuselt
Hat nicht fern von den Krttmmcn der reichern.'! hrenden Havel
Sich citi einsames Dörfchen versteckt, von redlichen Bauern
Froh bewohnt, doch von keinem so froli. als dem glucklichen Pfarrer.
Töne, iJindliche Leier, nie li^ld (lern städtischen Schweiger,
Töne du laut von den Fi-cudcn mir Eines entzückenden Tages,
Die der Glückliche kotint, itzt da das lierrlichc Frühjahr
Lacht, und zum erstenmal Abends mit Idebehen er wieder den Frosch hört,
Frfih, wann der Kuhhirt stOIbet in's Horn, und die Sperlinge jubeln,
Flieht ihn der Schlaf, gestOrt von keinem nSchtliehen Schrecken,
Nur voh des Tttchtercbens Quarren vielleicht, und dem bellenden Hofbund.
Still noch schlummern ^futter und Kind, da eilt er im Schlafrock
Schon hinaus in den Hof, wo laut ihm entgegen der Hahn kräht,
Forscht hausvUterlich dort nach den Riegeln an jeglichem Stalle,
Ob nicht lüstern nach Pferd, und Kühen nnd gaxenden Hühnern,
Nachts ein schelniisclier Dieb das t>iisclicn llab' ihm entwendet,
Oder gierig der Marder die niedlichen Tauben ihm würgte,
Deren schon manche spatzieren am Dach und gurren am Flugloch.
Dicht ai;^ Hof Ist der Garten; auch diesen begrttIM er mit LScheln,
Athmet den Duft' der Violen, und sieht, wie herrlich die Kuhblum**)
Ihre gelben Blätter nach warmen Regen entfaltet
Guten Molden! rufen vom Gäftchcn die Bauern, zur Arbeit
Eilend, wandelt in's Haus er zurück, ihm übrr den Zaun zu.
Nun ist Weibchen erwacht, erwacht die fruhUehe Kleine,
Die, ver^^'cssend des Urei's im inlcnen Tiegel, dem Vater
Olm' ein Auge zu wenden, mit grofser Verwunderung zukiickt,
"Wie aus gewaltigem Napf ihm so sUis die geronnene .Milch schmeckt.
Dreist ihn packend nachher bey Mütz und Nase beginnt sie
Jucbend in seinen Armen den Tanz, ^idessen die Hausfrau
Wischend viel und kehrend die luftige Stube geputzt hat.
Klein ist der Bücherschrank, wo lange der glückliche Mann nun
Weilet im trauten Gespräch mit l.'lngst vermoderten "Weisen,
Wo er innig vertraut mit jener himmlischen Wahrheit:
Brüd<M* wir alT und Kinder des liebenden Vaters im Himmel,
Sinnt, sie so zu verkünden, dais Jung und Alt ihn verstehu kuun,
Bis der lieblielie Duft von Kierkuchen und Zwiebeln
Sieh aUuiahlich verbchieichl hin zu des J^esenden Drehstuhl,
Und mit unsichtbarer Gewalt den Quartanten ihm zuklappt.
Frtthlicb steigt er, macht Liebchen noch keine Hoflfhung zum Essen,
Hoch in's ThUrmchen, umschriecn von hundert scheltenden Schwalben,
Rings zu schau'n, ob vielleicht ein Hingst erwarteter Stttdter,
*) Eine l)0.stiinnito i »rfliclikeit hat «ler Pi' 'itrr witbl nirlil im sinne, doch weisen
einztlue Stellen auf die vom Freunde des Dichierä Christiau Heinrich Scbultxe ver-
waltete DObeiitxer Dorfpfarre hüi.
**) „Leontodon taraxum.'*
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— 23 —
Oder ein ohrlichor Nachbar 7A\m Mitt.iirfssen noch komme.
Oder er wandelt allein im schonen Gohiigc der p:utcn
rJrafin. dos Dorfes Mutter, wo alles so traut und s<t still ist,
Wann nicht etwa licrüber vom Erlenbusche der Kuckuck
Ruft» und mit krummem Messer vertilgend den üppigen Auswuchs
In der Berberisheckenallee ihm der GftrtDer begegnet
Herrlich schmeckt es zu Mittag^ den lieben Leuten, wann endlich
Zwölf es ^schlagen im Thurm mit leisem, klagenden Klange.
Emsig singen sie drauf ihr kleines Mädchen in Schlummer.
Liebchen suchet nach Hut und Handschuhen, wehrend f1*T Sonne
Lüstern zu lecken den Schnee vom weifsen Xaeken und Arme,
Und nun schlendern si«- licitcr in s Dorf. Vor jeglicher Hütte
Heckt ein gewaltiger Küster*) sich aus, der Sperliii^i' ZuUucht;
Räder lehnen daran, und Hopfenstangen, und Leitern.
Freundlich stehn sie oft still, und reden gern mit den alten
Mttttem, welch' im Arm* flachshaarigtc Buben und Mägdlein
Tragen, oder aufs Gras zu den Küchlein sie fUbren am Leitband.
Freundlich reden sie auch an der langsam mahlenden BockmUhl
Hinter dem Dorf mit den Jungen des Müllers, die statt der AgraffSen
Blüthen o^rstockt :in den Hut und Schillebolde**) verfolgen.
Hinter der Mühle des Dr»rfs erhebt sieh der schattige Her^'-wald.
Duftend von Vogelkiclin ''^*) am schmelzenden Str.ihle' der Sonne,
Dorthin wandeln sie nun, und ziehn sich links um den Waldsee.
Lachend des schüchternen Frosches, der hinter der Münze des Ufers
Sicher blieb', und erschreckt vom uaheu Geräusch in den See plumpt.
Dürtchen sanmielt im Gehn Schafgarb* und runzlichte Morcheln,
Während der liebende Mann vom Stamm ihr niedliche Querle
Schneidet und schillt, und Birken, ihr Wasser zu sammeln, eich anzapft.
Bald ist Liebchen ermüdet, und sinkt an der knarrenden Fichte,
Da, wo die wenigsten Nadeln der Sturm vom Wipfel gesll't hat,
Sorglos bin und hüpft wieder auf, denn der trügende Rubsitz
War ein .\ineisliauf< n, dureliwininiolt von seinen Bewohnern.
Kher nun will sie niehf ruli n, bis l)cydü die (»rotte der Gräfin,
Ausgeputzt mit .Miiseliehi und weilser Rinde von Birken,
Auf dem Rückweg wieder erreicht. Sie erblicken von weitem
Schon den Hügel von Steinen, den Aberglaube zum Grabmal
Jenem Verzweifelnden gab, der hier selbst am Baum sich erhenkte.
Stille horchend im Felde dem klüglich singenden Pttug nach,
Oder dem Specht, der fern im £ichengehr>lz in den Stamm hackt,
Winden sie langsam sich ilzt am wüsten Rrn< lM icr Schnepfen
Hin durch junge Elsen, und Haseln, und wilde .Joiiann^sbecni,
Bis die Wetterfahne des Thurm's, die lange verrostet
Immer nach Osten hin zeigt, nah' über die Linden hervorragt.
*) „Ulme."
**) „Bän bekanntes fliegendes Insect, der Wasserjungfer oder Libelle fthnlleh.*'
ffiaa Han in den Gipfln der Klehn- und Tannenbäume.*^
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— 24 —
Nun beflüg-elt Liebe die Seliritte der sorgenrlon Mutter,
Liebe zur lallenden Kleinen; im Arm der TfU geriii liiipft sie
Schon den Eltern entgegen, erkennt die Rufenden beide,
Freut sich mit Händen und inilsen, und sucht am Tuche der Mutter.
Spttter steigen sie drauf, bevor der Abend sich rötet,
An der Brttcke, bemahit mit weiften Streifen und grünen,
Unter mancherley Scherz, vergnttgt in den niedrigpen Wildlcahn.
Diesen seliiebt der Pfarrer, nictit ohne Sorgen der Gattin,
Kundig des leichten Rudei-s, zurück von der sandigen Anfiirt
Rechts nm, wo das Dörfchen der See bespühlt und die Fischer
Wohnen. "Würzig duften vom Ufer her blühende Kii*schen,
Und Holunder am hangenden Zaun, und mit inniger Wollust
üurgeln, versteekt im Geseliilf, die Frösch' am kreidigen Ufer.
Doch am westlichen Himmel zeigt fern ein schwarzes Gewölk sich;
D Örtchen bOret zuerst den Kackuck lachen im Seerohr,
Sebreien die wilden tancbenden Enten, und knarren den Lanbfiroeeb,
Sieht schon Blitze kreutzen, und wtlbnt sich vor Regen nicht sicher,
Bis sie am Arm des Geliebten erreicht die fMedliehe Wohnnng.
Wirthlich tischt sie darauf in der labenden Kühle dos Abends
Herrlichen Krllatcrsalat, und halbdurehsehnittene Eier
Unter den Linden auf vorn an dem Stackete d< r Pfarre.
O der entzückenden 'J'afi lniu.sik I wann mit wcideiier langer
Ruthe sein muntrem VfHkehen der Giinsi-jun^^e vorbeytreibt!
O der l;indliehen Lust! wann spUterhin in der iJiinunrung
Von dem jungen Kastanjenbaum Maikäfer sie schütteln,
Und, in*s Kflmmerchcn schleichend, auf fementlegener Hntiiimg,
Wo der Pferdehirte mit eisernen Ringen am Knttppel
Seiner Heerde gebent, sein nachtliches Fener erblicken.
(Catender der Mosen und Gr«il«i fOr das Jsbr 1706. Beilni) Hsode und Spener.
8. 80-89.)
8. Der Sonntag im Dorfe Ütz.*)
Die Früliling>>oniu- schimmert schon so früh
VVmi hohen Hascjherg in's Thal hinunter;
Entgegen jubelt ihr das Federvieh ;
Die Schwalben schrei'n, der Truthahn kullert drunter.
Wie reitzend sind, du schOnes Dllrfchen Uetz!
Heut deiner Gfirtcn Apfelblfltenreiser,
Dein gothiscfa Kirclilein, deiner Fischer Kietz,**)
Dein PfarrgehOftc, deine Bauerhäuser!
) „Eh liegt im liavellande, swischen Pot^daiu, .Spandau und Nauen.'
) .^Derjenige Tbeil eine« Dorfs, in welchem die Flseher wohnen/'
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— 25 —
Der Landmann ruht von scinera Fröhnd ienst heut;
Kein l'fhifrrad sing-t auf seinen Gersten Uckern,
Der ruihe Ölier, vom harten Joch hefrei't,
FrU&l Klee im Thal, wo Bock und Ziege meckern,
In's Stttdtchen tragen Mägd' und junge Frau'n
Heut weder Buttermilch noch Kibitzeier.
Das Zugpferd reibt sich an der Hnthnng Zaun,
Und firent Bich anch der lieben Sonntagsfeier.
•
Des Kirchthurms Klocke, die im Schalloch ruht,
Tönt rings umher mit IHndlichem (rcbimmel:
Der Kandidat aus Potsdam spricht so gut
Von Rcdliehkeit und Fleifs und Ruh' im Himmel.
Und jeder Greis erwHhlt mit heiter m Blick
Dann auf dem Kirchhof seine Sciilummerstelle;
Die Jugend aber eilt in's Dorf zurück,
Und sehnt sieh hungrig nach der Erbsenkelle.
Nach lisch' ersteigt des DorfeslSeelenhirt
Den Mfihlenbeig, um rings umher zu blicken.
So weit im Gnmd die tiefe Wublitz^ irrt,
Indefs im Gras die schönen Tiiehtcr stricken.
Jetzt kömmt ein Kahn, und Gästp steiften aus,
Sind's Stiidtrr? ja! — Die siilsi-n Mädehen wiek'^ln
Ihr iStriekzeug auf, und hüpfen schnell in s Haus,
Um Zucker dort zum Kaifee zu zerstückeln.
Sie bringen vor die Thür, so wirtblich schön,
Uit schwarzer Sdiieferplatt* ein Kaileetischchen.
Hier ist man froh, sich wieder wohl zu seh'n;
Man athmet Duft Ton hundert Blttthenbfischehen,
Und findet hübsch des Gartens Tulpenflor,
Der Linde Grün, des Fensters Blumentöpfe.
Aus Vorsicht bringt der Wirth — sein Dach ist £ohr —
Dratbdeckei fUr der GUste Pfeifenköpfe.
Die stiidt schc Frau sehleieht nun die (ilass' entlang,
Wo manches Kind ihr: ^guten Ahend!" stammelt,
O! wie entzücken Egg' und Schneidebank I
Gehftuftes Rohr bei'm Winterfrost gesammelt!
Kiehnstubben hör ans fernem Forst geschleift!
Der dicken Linden losgesptthlte Wurzeln,
Worüber oft, so viel die Klucke keift,
Vom Hund gejagt, die Jungen Hühner purzeln!
*) „Ein Arm der BaT«!.**
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— 26 —
li.iU'-ti! -•' i n. V'.n >' :jn< D!,itz<:- braun.
Im IlrTi'ttuch da uii'i r*-in*-n. "w* i^en H* mdeii.
I^ic- JJirnen gaflvü dur« L dc-Ji i'ianiwc-nzaun
BIM* nnd v^i^cbamt nach den g^esehm&ekteii Fremden.
Doch dieM zieht der Schenke Jubel an:
IM lacht der jon^ Schwann und UUmt nicht wenig.
I>l< Knechte Jaoehzen bei der langen Bahn
Und wcrft'n oft acht Kegel nm den Kr>nlg.
Pf* rdi- -'.lA zur liüi klahrt ange?jijnni:
Vom Felde trcil-t d'-r Kuhhirt durch die GatseD.
O! schönster Ort im gaozen Havelland!
Wer kannte je dic:h ungerührt rerlassen?
Ja! wJUr' ich KGnig: heut verschmyht* ich Bnig
irnd JUtterftaa! und Thrr»n und MarmorBchwellen,
Tnd b-'-rtr- <;em die fran/.*- N'aeht hni<lun-h
Dein P'ro^'^hkonzert und deiner Uonde Beilen.
(Almaoach der Moaen and Grauen fOf das Jahr 1M02. Berlin 1602. S. 10:*-10«.)
9 Die Wiese beim Wedding.*)
Di.-.
Bliebe
Zwar 80 nett beblttmt,
Dennoch ungertthmt,
Wenn »ie nicht
Zwischen
Breiten
Büschen
Gleiten
Ihre Wellchen fort.
Niemand lauert dort,
Krebs' im Kahn
Schlau zu fah'n.
Und die schnelle
Bachlibclle
Zu erwischen.
SiilM- rnicht! —
Tiiml' lnd raeine
Krohc kleine
LeycT priese.
Jene
Helle
.Scheine
«.Miclle
Mfiinr ^Vi«•>•<•. wir
Li<-l»Ii( h >ch\väuelt «iel
hals ich li-fth
Xir;;cii«l'> srt.
Als in Sträuclicn
IhrcH weichen
Kand'B, mioh wflhnc.
Munter
Zappeln
irnter
Pappeln
L'cber'm (^Uiell j^'clx ii<xt,
Fiscliclien flink und leicht.
SctiiH uikI l\i)lir
Spriel^l im Moor,
Und Gewäsche
Froher Frösche
LSrmt darunter.
*) „£in Landgut bei Berlin.**
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— 27 —
Hfttto
Liebchen
Bottc,
StübchcD,
Selbst ihr Gartenbeet
Doch wohl schon verBehmaht,
Um nur dort
Lang-' am Bord,
Trotas der Glücken,
Kloc zu pflückrn
Kress' und Klette.
Oede
Stelle!
Jede
Quelle
UnsersGrams verrinnt,
Wenn wir bei dir sind.
Heiterst mich
So, dass ich
Neugeboren,
Soll Olm und Thoren
Nicht befehde.
Alle
Morgen
Walle
Sorgen-
Frei in dein Revier
Frauchen neben mir,
Bis der Frost —
Wenig Trost! —
Kicd und Kankon
Diurt am blanken
Wasserfalle.
(Nener Berlinischer Musenalmanach für 1794. Herausgegebon von Friedrich
Wilh. Aug. Schmidt und £ni8t Christoph Bindemann. Berlin. iS. bl-til.)
10. Die Picheisberge bei Spandau.
An Herrn gehviuien äükietar Uerzbcrg in Berlin.
Lebendig schwebt vor meiner Phantasie
Der Festtag noch, der uns vom Lager kOmte,
Der uns, bothaut von Morgonnebel, früh,
Auf jen<' Il'.irn, voll f5<'istergrau'n, entfernte.
Was fand ich, o! für dich Mdancholio,
Dort für ein Cbermaas der reichsten Ärndte!
Dort war's, wo Wodan einst in greiser Zeit
In der Alrune Obr die Zukunft hauchte,
Wo einst der Priester Teut's im Feierkleid
Des Messers Kling in*s Blut des Widders taachte,
Wo sühnend einst, dem Heidengott geweih't,
Das Opfertbier auf hellem Holzstoß rauchte.
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Dort war's, wo sonst im sichern Diebesloch,
Trotz Sohwcrd und Stranfr und allen Frevelrächern,
Der Tullian der Vorzeit sich verkroch,
Und iSchiiippchcn .schlug bei vollen Moslerbcchern.
Dort blutete der Pilgrim: sah'st da nooh
Die Schadelrost' in jenen Iltislöehcm?
Ha! welch Gewühl dort von Insektenbrut I
— Dem Forscher der Xatur die schönste Schule —
Von Wills utiil Stint in waUlunnvachs'ner Fluthl
Von Schlang' und Ki-ra' im grilngogor'nen ITulel
"Wie gräislieli lockt im Busch, voll süsser Wulh,
Die Iliadiu sich der breitgehömto Buhle!
Ein Myriadenheer "WaldvOgel ntthrt
Dort von Wachhoiderbeercn sich und Wiepenj
Dort wanken Vogler nur, auf deren Ueerd
Verführerisch die Idauen Meisen fii' pen,
l'nd seltner arme "VVcihcr noch, bi schuert
Mit abgestürnitcni Katlholz in den Kiepen.
«
Wenn iirgreodwo ein seheuer Berggeist hau8%
So mufi» er dort in finsterer Wüste lauem:
Was isfs, das sonst das Wipfclluub durchsaus't?
Vernehmlich iichzt aus jener Klüfte Sehauörn?
Was packt' uns sonst niit nnsichthan r Faust
in jenes Götzentempels ödeu Mauern':'
Geht dort einmal ein mflder Wand'rer irr,
So mute er tagelang von Vogelkirschen
Sich sftttigen, umflattert vom Geschwirr
Des Federwildes, begafit von Keh'n und Hirschen,
Noch glücklich, wenn aus dickem Dorngew-irr
Der Bache Hau'r ihm nicht entgegen knirschen.
«
Er rettet »elljsi aus dieser \Vüste Grüul
Zum Pfad sich nie hinaus, und überschrie er
Auch gleich der wilden Katze Nachtgeheul,
Bis ihn der Jager leitet, oder früher
Vielleicht im Thal des KlafterschlSgers Beil
Sein Kompafe wird und fernes Korngcwichcr.
Zwar von <les l'rncnberg's verrufner Klutt,
Die wilder Apfelbaum und Schleh'n umdunkcln,
Und d« ren Zugang Kegen abgestuft,
Hört man im Dorf viel Wundersames munkeln:
Dorthin gebannt durch Hexenzauber, ruft
Ein Bies' heraus, sobald die Sterne ftinkeln.
- 29 -
Doch hätt* ieh, trotz dem Grimm des Tüokenbold*8,
Der dort, wie im Asyl, keck und vermessen
Den Waller neckt, so gern auf Wurzelholz,
Voll gelben Sand, Iiis in die Nacht gesessen;
Ja, hiitt' auf dicli, GotÜhl der Seliwcrmutli, stolz, .
Kin Weilchen seihst mein Ilüttendach vcr^jffssen.
(Almanacb romantiscb-lttndJicher Gemfthlde für 1798. Berlin. S. 100—104.)
II. An den Jungfernw^ald bei Berlin.
Im October.
Du, den seit Tier Jalu?en ich nnn kenne,
Oft dorebwandelte bei^auf, beigab,
• Hai der erste Park der Kunst gewönne
Nie bei mir den Kang dir wieder ab:
Fühllos ^eh' ich ihn vorbei, verachte
AI!" sfin Spichvcrk, seit ich dich gesehn,
Seil icli (Ii eil zum Busenfreunde machte,
O du GoitesgartCD, wild und 8ch»in!
Lieber sind als seine INIarmorbiisten,
(Jrabmal, Grotf u;id Otaheitisch Dach,
Mir di»' 'r.'vnncnliiilicr, die hier nisten,
l'nd die licli' im stillen Fichtensehlag,
Lieber deine krummen EieiienstUmme,
Deine weiften Birken, schwarz ge:»treii't,
Und dein heimlich Thal voll FJiegenschwlimrae,
Wo Holnndcr fttr den Rothbart reift.
Nie im Lenz und Sommer milde laufen
Konnten meine Ftlfte sich in dir;
Und beinah schon jeden Ameishanfen,
Jeden Platz voll Reizker*) kenn' ich hier,
Jeden Busch, wohin des Jfigers Stapfen
Nie vielleicht gebahnt sich einen Pfad,
Wo den abgefallnen Tannenzapfen
Nie ein RothwUd auf der Flucht zertrat
Aber jetzt, da du in Nebclbroden
Und in dicken Ilccrrauch dich gehfillt,
Da der Sturmwind auf den falben Hoden
Deine Blätter scliüttelt kalt und wild;
Da die Amsel sieh zur weiten Reise
P\*rtig maelil, kein lliinfling l.'in;:»'!- harrt,
Und, den liegen witternd, hucli im Kr( ise
Haben schweben, und der Grünspecht knarrt:
*) Reisker, ein Waldschwamm, Agaricmi ddicioeas. Linn.**
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— 30
Jetst, 0 trauter Wald, wttr*s auch am trAbsten
Regentag, darcbsnch* ich weit umher
Auf vcrwachsncm Sclilcifweg dich am liebsten,
Sausten deine Wipfel nocli so sehr;
IaIiu am Baum, hetrachtond, wenn die Tropfen
Dicliter fallen, mieh auf meinen Sto. k,
Oder lausche durch den wilden Hopfen,
Wann die Kicke*) pfeift nach ihrem Bock.
Wie sich's dann, wann mit zerzausten Locken,
Both* und gelbe Blätter auf dem Hut,
Ich bei'm fernen Schall der Hammelklocken
Wiederkehr', in Liebchens Armen ruht:
() das weifs nur der, der das Gepränge
Kitler Stlldtei- pern verp^iist bei dir,
l'nd dem (iott im StiilK.'lu'n traut und enge
lOin zufriednes Herz beschert, wie mir.
i^Üedichte. Berlin I7ü7. S. 210— 22H.)
18. Der Kirchhof cn Tegel *•)
Dieses Doifes graue Gicbclhtttten,
Von Holundcrstriluchen wild umwachsen,
Seiner Bauersleute biedre Sitt •?),
Seiner Ililhne Ivräirn, der Iliihm r Gaxen,
Haben oft mieh, kam der Storeh g^ellogeu,
Aus der Stadt Getümmel hergezt>gcn.
Aber öfter wahrlich I deinethalbcn,
Stiller Wohnort nllchtlicher Gespenster,
Sehlieh ich her; denn deine tausend Schwalben,
Dein, lang-en, trüben Kirchenfenster.
l lul dein Pfriemenkraut, dein wilder Wermuth
Sind so recht fUr meiner Seele Schwermuth.
Sei gcgrüfst, vcrfairne Kirehhofsmauer,
übergrUnt von hohen Maulbeerbäumen!
LKfet sich nirgends, als In deinem Schauer, .
Doch so stlfe vom bessern Leben trOumen.
Ha! des alten Thorwegs schiefe Pfosten,
Wie sie sinken! Ilflsp' und Klinke rosten.
*) „Ricke, das Weibchen des Behbocks.**
♦♦) „Bei BerUn.*«
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- 81
Ans der Orabgpebeine morscben Tbeilcben
Sprierst, o Tod, auf deinem Eigenthame
Zwar nur hie und du ein blaues Veilctien,
Xebcn Ehronpreilb und GjinseV)lume :
I^ci den schwarzen Tafeln, halb verwittert,
Doi'Wt Flieder nur, vom West crsciiUttert:
Docli am Beinhaas, wo des Maaerpfeffers*}
Blttttersterne sich im Scliatten rttnden,
Kann ich endlich vor des stildt'schen KUliTers
Fadem Witz ein ZuflaebtsOrtehen finden.
Ol wie einsam! nur der Küster hftmmert
Manchmal an der Thurmahr, wenn es dämmert
Und auch ihr ktinnt hier in P'rieden bloilx n
Vor dem Lärm der \Vt')t, ihr Grabcsschliiler:
Unter Kletten, die am Orab belcleiben,
StOrt encb nicht der stUle Todtenkäfer;
Ruhe Wehn die Nesseln, die den gelben,
Eingesnnknen HOgel überwölben.
Ohne Furcht \<>v >>;iii<lulir oder Sense
Auf lies sortren Amtmanns Leiehenstcine,
Grasen zwar des Pfarrers juny:e Gänse
Manchmal hier im FrUhllngssoimeuscheinc;
Zum Geschrei der Medermäus' nnd Eulen
BlOkt auch hier des KUsters Lamm zuweilen:
Docii was schadet's'.-' In dem Todesselilummcr
Seid ihr doch vor Men.sehcn nun gehorj^en,
l iul von Menschen kam doch euer Kummer,
Kanu-n euie Thränen, eure Sorgen.
"Wold! dal» Tugend euch den Fulssteig bahnte
Zu dem Glttck, von welchem hier euch schwaimte.
Achl wie ihr, in euren stillen Sifrgon,
Wünscht' i( !i nft, im innersten beklommen,
Vor den Menschen tief mich zu verln'rgenl
KTinnt' ich doch, wenn einst mein StüruUein kommen,
Nach des Sehicksnls Scldä^n n. die mich trafen,
Unter diesen Maulheerljäuiacn sehlafcn!
(Almanach romantisch-ländlicher GcmäliKlu für 1798. BerUn. S. 10—22.)
*) „Hauswurz, Uaoülaucb.**
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— 32 -
IS. Einladung zu einer Lustfahrt nach TegeL
An Herrn Regituentfiquartiorineistcr und Aaditour Knüppel in Berlin.
(Abemda im Jnny 1798.)
Soll im Ernst, iiioin Lieber, in dem dumpfen
Arbeitsj^tübclien, vor dem Aktenschrank,
Frohsinn und Gesundheit dir verschrumpfen?
O! zerbrich einmal der Lai;e Zwang!
Morgen soll ein kleiner Bauerwagen
Frfih um Fünf uns durch den Jungfemhahi
Nach dem wimderschODen Tegel tragen:
Schlechterdbigt mutet du Geflihrte seynl
Von des Auslands Pflanzen und Gebüschen,
Säumt dein G.ii'iiior zwar im Sommer nie
Diefs und .Ttucs, f reund, dir aufzutibchen :
Manche (iiujipen vitn Oranfrorie
Auszustellen in beniahlten Kasten,
Keiu zu schaufeln jeden Gartensteig.
Dennoch mute dein Hen, das fOrchf ich, fasten;
Denn Natnr allem bleibt grote und reich.
Anders zielm in Tegels Paradiese
Feld und See dich an und wilder Park;
Jal der Weinberg dort ist schon ein Kiese
Gegen andre Berg' in nnsrer Mark.
Iiier zu Lande kam dir wohl, ich wette!
Solche Landschaft selten zu Gesicht.
Nnr vergifs, das bltt' ich, die Lorgnette,
Und die fh>he, heitre Lanne nicht.
^lorg^en statt des Kochs verwUrzter Speisen,
Genüf^e dir ein ländlich Mittagsmahl;
Ärmlich soll's nicht seyn: aus seinen Keusen
Holt der Fischer uns den besten Aalj
Ihren fettsten l'uter uns zu köpfen
Weigert sich die flinke Wirthin nicht;
Wilde Erdbeer'n bringen uns in Tupfen
Auch die Kinder gern zum Nachgericht.
Bauerbrod, und frische gelbe Butter
Soll uns mehr, .ds Wionortort'. orfreu"n.
Aber freilich, Freund: ein P'lasrlionCutter,
AVohlgefüllt, mul's unsre Sor^^e seyn!
Brunncnschwengel, Hahn und (Jluckc stimmen
Ein Terzett uns bei der Tafel au.
Und des Weinbergs schrägen Hang erklimmen
Wir Tergnligt mit Weib und Kindern dann.
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— 33 ^
Dort wird Halt gamaeht an Jener Stelle,
Wo im Kreise blaner Flieder bMUit,
Wo dein Aage Spandan's Citadelle
Mit dem Thurm im Hintergründe sieht,
Vom den langen See, voll weisser THubchen,
Links des Schlosses Dach, mit Blei ^'cdeckt,
Neben uns vielleicht im grünen Leibchen *)
JLuch die Giirtuerfrau, die Samen steckt. •
Über langgestreckte Gerstenhafen
Hören dort, aus Nadelholz hervor,
Wir gewil^ «b n fernen Kuckuck rufen
Und den Krauirli schrei'n im Wiesenrohr.
Hat dir das l)eluigt, so geht's berguntcr,
Um der Thiller Schönheit nah' zu sehn;
Aber ungern nimmst du Abschied, unter
Lantem Ansnif: ol wie schOn? wie schOn!
Müde sinkt mein Weih, ht-ira Schlag der Wacbtel,
Unten hin auf weichen Kusenhang,
Und wir sammeln Raupen in die Schachtel,
Oder Heidelbeeren, den Kam entlang.
Während neben uns die Feld-Cikade
Im serkerbten Farrenkrante singt,
Sohlendem froh wir naoh dem Seegeatade,
Wo ans Furcht der Frosch in*s Wasser springt
Welch Nattirgemälde! Wunderdinge
Bannen hier aof ESnem Fleck dich fest:
Dort des Schilfes lange grüne Klinge,
Wasserlilien hier, Ton Schaum benäfkt,
Fem der Kohlensehiffe leichte Wimpel,
In der NUh' ein angepfllhltes Flofs,
Und zur Seite Wasserspaz und Gimpel,
GrflCBend uns auf jungem Elsensprol^ — *
Doch des Gastfaoft S<diom8teinwolken winket
Von dem einsam scfaOnen Zauberort, •
Der Levante schwarzen Trank zu trinken, '"^
Leider! viel zu früh uns wieder fort.
Herrlich kühlt die Laube von Ebrcsclien o'''^
Nun die Wandrer mit hestäubtom Schuh; " ^^f^
Während Bauern in der Scheune drösch^ii, ''"^'.^
Und im Stalle brüllen Stier und Kuh. ' ^'«i»*»'*
Zu der Nachtigallen Luslakkorden imTj
Blöken, bei der Rückfahrt über Feld,
Lämmer uns eutgegeu aus den Hord^,,jiiii ii:)fiii iut)'il., t
tnad vAi J^aa ob .jJisit ati^^V
*) Ja, aadem .Gsgendsn DaataeUaiida Mieder.*"'*'' nabaesiul mb lOl lioia
Anh. S
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— 34
Wo der Fix de« Schllfere Wache hiUt
Ans den Thangewölken, lieht und wollig,
Lauscht der Vollmond o! so glau hervor.
Und tif'r Fr<".s('ho Völkchen scliwat/.t so drollig
Zwificben l^lerdemünz* und Kolbenrohr.
Alle diese ländlich netten Sachen
Sollst da morgen hOren, morgen sehn;
Aber lange mufst du heut nicht wachen.
Um bei Zeiten wieder aufzustehn.
Immer war ich des Kalenders SpfUtcr;
Doch von iiiiir^i n spricht or mit Verstand:
Morgen, er hat Recht, ist schönes Wetter,
Denn das Abendroth zieht über Land.*)
(Ahiiauacli rumaniisch - llLadlicher Gem&hlde fUr'B Jaiir 1798. Berlin 1798.
S. 146-160.)
14. Der See bei Lank«.
Uns schmeckteu von des Landuiann's TLscü,
Im BirkgebÜBcb,
Vortreflnidi Kretie' und Fladen;
Doch itzt, ihr lieben Weiber, läftt
Ein sanfter Weet
Znr WasBcrfohrt nns laden.
Der See, umkrllnzt
Von Erlen, glftnzt
So hell, wie Silberglätte;
Wir lOsen gleich
Dort im Gesträuch
. Den Kahn von seiner Kette.
Gar lieblich anf der Wasserfahrt,
Gefährten, paart
per Scherz sich mit Gesänge,
Nur fange nicht, du büser Kahn,
Zu wackeln an;
Sonst wird den Weiblcin bange.
Vergnügt wie wir,
Als wenn sie schier
Sich ipit nns freuen könnten,
Kreiset nm den Kahn
Der dreiste Schwan,
Und sehrei'n die schwarzen Enten.
*) „Wenn nach untocgdgaiigener Sonne der Wind die Wolken von Osten gegetf
Waslen tnibt, so sagt der Laodttami: die AbendrOtbe deht Aber Land, und venpricht
Bich fOr den £elieiid«n Tig beiftsrai Wetter/'
e
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Du, Imsen Vatertaod'B Natur»
Ein Dummbart nur
Kunn deinen Reitz bezweifeln:
Auch hier, o Sonne, strahlst da hold,
Dul's blitzend Gold
Die nassen Ruder trUufeln;
Und Thal und Höh n
Aach hier so schön,
So Toll der Gottes Wnnderl
Und blfiht uns kein
Zitrooeohain,
So blflbt iina doch Holunder.
Du aber, lieber Fährmann, iachtl
Nimm dich in Acht,
Und lenke fein verstllndig!
Wir kltmen, ohne Zweifel, dort
Nach jenem Port
Doch alle gern leboidig.
Ein Fischerhans
Knekt dort, heraus,
Umstellt mit Bens* nnd Netsefaen:
Ihr Lieben, hier
Erreichen wir
Ein niedlich Landongsplätzchen.
Und nun zum Busch! Die iSonne meint
Es brav, und scheint
Gerad' uns auf den Scheitel.
Zum Stricken ist hier nieht der Ortt
Drom, Weibehen, finrt
Fort mit dem Strickzengbentel!
Doch habt ihr drin
Nach unserm Sinn
So irgend was zu sehmaiisen:
Ei so beschert!
Und schmaus't, und hört
Die hohen Fichten sausen.
Wir sammeln, wenn wir aosgeroht,
Eaeh in den Hat
Auch blane Heidelbeeren;
Denn ans dem schönen, wilden Wald
Mul's man so bald
Nicht wieder heimwärts kehren.
Erst wenn der Hirt
Zum Dörflein irrt,
^ 86 —
Und rm^s die Kinckehen schweigen,
Der Schuhu sclircrt:
Dann ist es Zeit
In unsern Kalin 7.n stci^'-en.
(Almanach der Museu uud Urazieu für daa Jalir 1802. Berlin 1802. S. 76—80.)
15. Frohe Aussicht.
Bald bist du mein, ereehnter Friede
Des stillen Fleckens I Herzlich müde
War ich sclmn lUng'St der eiteln Stadt,
.War liiugsl s<ehon ihres Zwanges satt.
O sergcr Tag, du wirst ersdieinen,
Wo Jett eh cn mit den lieben Kleinen,
V on Kapp' und Mäntelchen ge»chiitzt,
Auf Stroh, im Korb des Wagens sitzt
Daun geht es nach dem schönsten Ort»
In deinen Schoos, Werneuchen*), fort!
Ja dann, ihr lieben Leutchen, dann
Bin ich erst recht ein froher Mann!
Ha! welch ein Leben dort in frischer
Gesunder Luft! Hai«! bin ich Fischer
Und fang' im ein;<esenktrn Xi-tz,
Am Kand des Teicha, Karausch und PIöt2**Jj
Bald Vogelsteller, der am Sprenkel
Rotiibiiri erwischt, im Dohneiüieukel
Krammtsvogelchen mit schwanen Schleifen,
Wann die Ebresdienbeeren reifen;
Bald GOrtner, der am Orabensteg
Die Gartenkanne füllt von Blech,
Sich mit der Heck6n8Cbe< re trügt,
Vom Stamm die dürren Za kf-n sligt;
Das Moos von Bast und Kinde kratzt
TTnd durch den Zaun mit Xacbbar'ii schwatzt.
Auch sucli' ich gern mit lier Lorgnette,
Nicht ungeneekt von meiner Jette,
Vom Beet, voll Gurken und Schallotten,
Das geile Unkraut auszurotten,
Und schUg* am Baun mit langem Stab
Den Kindern reife Maulbeer'n ab.
Auf unserm Hof, so still und traut,
Wo imgestOrt der Hausspats baut,
StOrt uns kein fader Thor der Stadt;
•) „Ein Flocken, drei Meileu von Berlin."
**) „Ein beluanter Weifsflsch mit plattem Leib; dsher dsr Nsme. 8^
Wrtb."
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- 87 -
Hier scblKgt der Puter uns ein Bad,
Und drollig blHht am Wass(;rborn
Der Hofhahn sich mit krummen Sporn.
Wenn Mutter ihre Betton sonnt,
Kein Wetter droht am Horizont,
Und Tauf und Trauung nicht verhiiideru,
Wird oft lUMli lOttag mit den Kindern
Ein LvBtgang nacb dem Bnseli gemacht,
Der Hase weidlich aofgelacht,
D«r sldi Yon fem ana sicherm Neet
Vom kleinen Dachshund schrecken lUlst
Die Taschen füllt man hier mit rothen
Hambutten oder Aokorsclioten.
Steckt sich im Sclilenderii manchen 6tein
Mit schüaen blauen Adern ein:
Und selbst das Kleinste jjuciit zum Siruus
Sich Pimpinell*) und Bocksbart ♦♦) aus.
Heimwandelnd Über Heid* nnd Wiese
EntBÜckt nns Hond and Wolkenriese.
Dann sitzen wfar am Undenbanm,
Ergötzen ans an manchem Traum
Aus Zukunft und Vergangenheit,
Indeis die Gans des Nachbars schrei't.
Und hie und da noch blockt ein Schaf,
Das Vögelein zum leichten Schlaf,
Im Stehn, von Lindrnlaiib bedeckt.
Das Küplclicn unter n Flügel steckt,
Die Mllcherin bei frommer Kuh
Den Eimer fttUt, und singt dazu«
Und auf dem Hof der Knecht» gebftckt,
Noch Kielm nns für die Küche pickt
Wann spllt die KrOt' im Garten hüpft,
Nach Mücken durch den Braunkohl schlüpft,
Hirschkäfer und l^halUne schwirrt,
Und todtenstill das CTül'schen wird:
Dann riefjrcln wir die Ibmsthür zu,
Und schlafen aus in guter Ruh',
Bis Frühroth durch die Luiden blinkt,
Zum letzton Mal der WScbter shigt,
Und Schwalb* mid Sperling, wieder wach,
Sich grüben auf bestrohtem Dach. —
Wenn Herbstwind Busch nnd Banm entblättert,
Mir Fenster nnd Stacket zerschmettert:
Dann nehm* ich noch zum Traubenschpitt
♦) „Pinipini'lla, T.iiin."
♦*) „Tragüj>ügon, Linn."
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- 88 -
Die Eleiiien nach dem Weinberg mit;
Und herrlich labt, dnrch frühen Frost
Verstlfst, des Winzers rother Most
Wenn späterhin die Scheiben schwitzen,
Vom Frtlhreif Bauin und Wieso blitzen,
Vom Frost die Seen tibersehelfem,
Der Hofhund heult, die Füchse belfern,
Der Nord die Flocken kräuselt, hu!
Penn kleben wir die Bitschen zn
An Stabenthür nnd Fensterrabm,
Und fren'ln nm, dall der Winter kam.
Im Sttlbeben, Idein nnd sehr antik,
Macht nna ein Zeisig Waldmusik;
Im Bauer, nnter'm Tische, steckt
Ein Staarmatz, der die Gäste iiockt,
Oft schimpfend mit der Hausfrau keift,
Dessauer Marsch und Polisch pfeift.
Die Mutter wickelt weiche Knocken
Von gelbem Flaehs sieh um den Bocken,
Hein Jonge glitscht mit nassem Strmnpf,
Erstairti anf sogefttmiem Sompf ;
Und Gnste spielt mit Wtibnaebtsntlssen,
Mit Fibel, Pupp* nnd Nadelkissen. —
So schleicht — o wer nur warten kann —
Die liebe Zeit aufs neu heran,
Wo an's (iesiins' der kleinen Hütten
Die Schwalben ihre Nester kitten. —
O sel'gc Zeit, du wirst erscheinen
Für mich und Frau und liebe Kleinen I
Ja dann, ihr lieben Lentchen, dann
Bin ich erst recht ein froher Mann.
(Almsaaeb der Mosen nnd Graden fOr 1802. Beriln 1802. & 254—280.)
1%. Werneuchen.
An Friedexike Brendel*)
Im April 1796.
Wenn's künftig' Jahr um diese Zeit
Vom blauen Himmel nieht mehr sehnei't,
Wenn vor der Pfarre kleinen Zellen
Der LindcnbUume Knospen schwellen,
Schon hie nnd da die FrOsche qnäckem,
Die eiBten jungen LXmmer meckern,
Der lockern Erde FrOhlingssaft
*) ScbwAgerin des Dichters.
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Steigt in der Birk' und Erle Schaft,
Und Vögel in den Ahornhecken
Die wcillsen Eierchen verstecken :
Dann kommst du. unsere Glilclces froh,
Im Hute von geflochtnem Stroh,
Zu athmen hier voll Veilchendnft
Weroeuehens reine Frttblingsliift.
0 Flreiiiidiim! taiuend Freuden warten
Auf dich in Hans und Hof xmd Garten.
Im Erknerstttbcfaen Beblüftt da hier
Doch nur bis morgens fVüh nm Vier'.
Die Henn' erweckt dich dann vom Schlaf,
Sitzt auf (]ov Pfort', und kakelt brav.
Auch pfeift und singt mit frohem Sinn
Der Grofsknecht und. die Melkeiiinn.
Wir tragen dann den Fliesentisch
In ODsrer Laube NuCsgebüsch,
Um Thee dort von Salbei za trinken.
Die sclirSgen Beetenfenster blinken
Am reinen, rotlien Morgenstrahl,
Der Kibiz roft im Binaentbal.
Mit freiem TT aar and nngeschnttrt
Wird dann im Gartonsteig spatziert.
Wer wird .so Mngstlicli sich verstecken
Vor .Sonnenbrand und Soiumcrticcken?
Dann hilfst du gelbe Kuben fegen,
Siehst nacl), ob Giius' und Hühner legen,
liesuchbl iiucli unter'm Dach die Tauben
Mit glattem Hals nnd blanen Hauben.
An'8 PfOrtchen lockt die Neugier dich:
Ein Bronnengast erkundigt sich,
Wie weit nach Freienwalde sei;
Anch singt mit warnendem Geschrei
Ein Bettelmann am Wanderstab
Ein Lied vom Delinquenten ab.
Nach Tische kommt im «rriinen Kock
Ein Pachter mit dem Krückenstock,
Um sich von Holland oder Polen
Die wilrmste Neuigkeit zu holen.
Wir wandeln nun mit mäls gern Schritt
In's Feld; er nimmt ein Bronnglas mit,
Am Schlehdom, in Tersteckten Gründen,
Die Pfeife, mhend, anzuzünden.
Indem man traulich schwatzt, ersdiallt
Hervor aus schwarzem Fichtenwald
Die V>reite Holzaxt fleifs'ger ^liinner
FUr Schneidemttbr und Ziegelbrenner.
— 40 -
Die Wachtel sehUigt im grünon Korn,
Und fernher tönt ein JJtgerhorn.
Uat über SIoos und Maulwurfshauicn
Mein Junge müde sich gelaufen:
So steofirn wir mit heiterm Blick
Gemach nach mueim Thami zarttck.
Doeh wird der Omg nooh oft gehemmt
Vom Hirten» der die Sehaafe schwemmt.
Vom Bauer, dessen Ackerpferd
Nach Uause mit der Kg-ge kehrt;
Denn wer dich kennt, mag gerne zaudern
In deiner (iegenwart, und plaudern.
Im Flecken eilt am kiUilen Abend
Die Jugend uns entgegen tra>)end,
Wird gern beschenkt und gern gcküfst,
Und jede fleifo'ge Frau gegrülst,
Die hinterem Zaun im Garten j&tet,
Und derben Teig zum Backen knAtet
Dem Eticfalein auf dem Pfarrhof mengst
Da Brot und weichen Käse, trHnkst
Sic vor dem Born aus kleinem Küliel;
Und lüstern schaut die Kräh' vom GiebeU
Auch hast du Fehd' und Spais genug
Allt.'lglieh um dein Busentueh
Mit unscrm grolsen Puterhahn,
Der helles Roth nicht leiden kann. —
Doch Fraocben mft snm Abendessen!
Bei Btilirei nnd Salat von Kressen,
Schafkäs* nnd Heth nnd Birkenwasser
Bespötteln wir den reichen Prasser.
Spät schleicht man bis zum Heck hinauf;
(iic))t sieh im Gehn manch Käthsel auf,
Erzählt von Fee und Zwerg, und laelit.
Und wünscht >^ich lier/.licli ^'Ute Nacht;
Schläft, o! so sanft und s<) gesund.
Und hHrt nicht Horn noch Bauerhund.
(Aimauacii der Musen und Grazien t d. Jahr 1802. S. lU— 15.)
17. Das Frühjahr,
an Henriette.
Von des Frühlings Wunderdingen,
Wann der Winter ausgetobt,
Dir ein Liedchen vorzusingen,
Hab' ich jUnj^st dir angelobt:
Nimm denn liier, was ich versproclieu,
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— 41 —
Nimm ee, holde Minncrin!
Die mir nie ihr Wort gebrochen,
AuB der Hand des Treusten hin:
Sieh! 0 sieh! die Sohwalben streichen,
Aus dem See imd Uber Meer
Eilend mit den weiflMn Bftnchen
Vor dem Fenster hin und her.
O nnd clraiifsen welch Gewimmel
Auf den Fluren weit und breit!
Im Gewässer, unter'm Himmel
Lauter Freud' und Herrlichkeit!
Seit die Sonne holder laohtei
Auch den letzten Schnee zerschmolz,
Und den Kuckuck wieder brachte,
Strebt im diohtverwachsnen Holz
Bald der Keim der jungen Eichel
Unterm Laube braun und kraus,
Und, besciiUumt von Kuckucksspeichel*),
Jedes Erlenblatt heraus.
Übersät mit KräuterblUten
Wird der Fichtonhüfifel bunt;
Braune Heidelcrclien brüten
Im versteckten Erdbcerp-und.
Ein verborprnes Aestchen suchen
Zeisig, Graaemück und Fink,
Still zu bann, in hoben Buchen,
Thnn so fHJhHch nnd so flink.
In dos Ackers Gänsedisteln**)
in der Vo^relmilch***) am Rain,
In den Foldkaniillcn nistein
Küfer, Griir und Sprengticlein.
Froh umsuuimt von l'ferdebreuibcn
ÖAien sich im Winterkorn
Hie nnd da schon blane Tremsen f),
Neben wildem Bitterspom.
Rohr und Pferdemünze ff) sprielsen
An der Panke hohlem Bord;
Ihre kleinen Wellen sehiersen
Ueber breite Blätter fort
• i „K u c kuck 86p ei c hei, welGBer Scliaoni, der sich im Fiilhling an den Zweimen
angelegt, und von den kleinen Flöhensclmecken herrührt; der grorae Haufe halt ihn
fflr Kucknckispeichel. S. Adelungs Wörterbuch." ••) „Üänsediateln, Sonchus,
Linn." ) „Vogelmich, Omitiiogalum hiteum, liott." f) „Tremsen, Koniblttmeil.*<
tt) „Pferdemünse, Mentha sylvestris, Linn.'*
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— 42 —
Lanpr im nassen Sai^rle strecken
Vor ficm bnntprereit'ten Haus
Klein und p^roise Uferscli necken
Sich im Weidcuschatteu aus.
Jenen Garten, wo vor Jabreil,
Trautes "Woibclini, wir so gern
Seitwärts bei einander waren,
Wo begrUlst vom Abendstern,
Mit des Apfelbaumes Triebe,
Mit dem öproi's am Bcotoubox"'},
Unsre reine Seelenlielie
So allmählich keimt und wnehs,
Hat der junge Lenz aufs neue
Uns so herrlich bunt gemacht:
Tulp', Auiikel und Levkoie
Lachen da in voller Pradit;
Botfaer Mohn kackt» weift gerttndelt,
Ans der grünen Schal' henror,
ünd der Abendvogel tKndelt
Um den Hyadnthenflor.
Dorthin laTs noch oft uns wandern,
Trene, mit yergnügt^ Mntfa,
Anf dem Rarcn, wo vor andern
Wir 80 gern uns auegemht,
Uns von neuem angeloben;
Unterm Dach von Moos and Stroh*
Das uns Gott hat ;iufgoliol)en.
Mach' uns ganz ihr Segen Iroh.
(Calender d«r Musen und Grasien Ittr das Jahr 1796. S. 88—98'.)
18. Unare Grasebaak.**)
Unterm Jnbel froher Lerehenhähne
Schleicht so gern den Acken-ain entlang,
Zwischen Lolcli***) und kriechendem Gerank
Mir am Arm die minnigUche äcbOne,
An des Heideberges Schattenlehne
Ansznrahn anf nnsrer Qnuebank,
Die der Huldin stille Freudeuthr.Mnc,
Um Uur Loos, oft mit Entzücken trank;
•) „Beetenbox. Buxbaum, womit die Gartenbeete häufig eingefafst zu sein
pflegen."
**) „Gnuebank oder Kuiunbank."
„Lolch odw Trespe, LoUum, Linn.*'
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— 48 -
Wo ihr oft beim Finkemiohlag im Bwiehe
An dor Pnnkr dichtborohrtem Bog-,
Um des femeu Waldes graue Tasche,
Um der Wiese Kleid am Entenbracb,
Bunt TOD roth imd weiikier Blnmemnusche,
Ach! 8o froh das Hebe Herzchen schlug.
(Oalender der Mosen nnd Cbaden für dos Jahr 1790. 6. 71 ^)
19. Die WUdnirs.
Bndlich bin ich hier In deinen Sohanem,
Schone WUdnilb du; der Tag ist schwül,
Und der Sand so tief; doch labcndktlhl
Wehn die liirken, die am Wege tranern.
Sei nicht furchtsam, bunter T>istelHnk,
Jubh^ du und hüpfe froh und Hink,
Unbesorgt vor allen Vogelbaaem.
Nein wahrhaftig! selbst der keckste Bube
Stellt fUr dich hier seine Sprenkel kaum.
Sei du ruhig, Kautz, im hohlen Baum,
Und du Tlamster dort in deiner rirube;
Uh' er matt sich in der Hitze «uclit,
Blei)>t der Jagdhund lieber in der Bucht,
Und der Fürster in der kühlen Stube.
Kämen Weiber, Morcheln hier zu lesen,
Nicht zuweilen noch vom nUchsten Ort;
Karrten nicht aus jenem Dorfe dort
Bauern her, um Hirkenreis zu Besen
Abzuschneiden; irrte, auiser mir,
Manchmal niclit der wilde Jäger hier:
Wür't ihr lilngst vorlassen schon gewesen.
0! ich mufs durch diese Haseln tiefer
Mich hinein arbeiten: innner frisch!
Welch ein wilder Dickigt! welch Oezischl
War's von Nattern? oder rauscht die Kiefer
Seitwärts hier voll Harz und Kindenschwamm?
Ha! dich kenn' ich, alter Ulmenstamm,
Bengt der Storm doch jedes Jahr dich schiefer.
Ungern freilich sehn (\e< liebetollcn
Rothwilds Augen eines Wan<lrcrs Kunft.
Schreeklich zeugen von des Ebers Hrunst
Dieses Hügels aufgewühlte Scholien.
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— 44 —
Doch wa BtOren euch fiel mir nie ein;
Meinetwegen mögt ihr fröhlich seyn,
4 Weidlich rammehn, broneten oder rollen.
Dietes Eppichs sehwarse Beerentrauben
Sind doch BeMer für meinen Oanm sa herb,
Sfaid fllr euch, die Ihr im EUdienkerb
Einiam heult, Ihr schOnen Bin^tanben;
Und so durstig meine Zunge lecht,
Scheint es minder rathsam mir als rocht,
Honig hier aus diesem Spalt zu rauben.
Nagst dn Zeit aach hier, wie allenthalben?
Ach! vom KOhleiliftiistäien, das hier stand.
Blieb nichts mehr, als diese morsche Wand;
Raupen spinnen ruhig auf der falben
Ilockc nun, und in des Daches Kest
Haben Wespen nur ihr jjraiies Nest;
Denn zu öde scliien er selbst den Schwalben.
Schade wär's, diefs Bftmnchen zu verderben,
Mit dem schlanken Wuchs, sonst schnitt ich gleich
Seinen zarten Bast von Stamm und Zweig
Für mein häuslich Weib zu Erdbecrk^rben.
Doch genug zerknickte schon der Sturm
Und durcli micli soll kein Marieuwurm
Hier, kein Waöserschois am Baume sterben.
Schrie der Schuhu dort? Komm nur und mahne
An den Rückgang mich; schon dämmert's hier.
Sicher ging' ich irre, zcitrti- mir
Nicht den Weg des Thunnes Wetterl'aime.
Jettclien hat gcwils schon .infgctischt,
Was so süfs nach iu-irsem Uang orlrisclit:
Gartenerdbeer'n oder Schaftuilchsabne.
(Almanach romanüsch-lilndücher GemiUilde für 1708. Berlin 1798. S. 36—40.)
80. Meine Gegend.
O du Anger, wo der Wolfsmilch Blüte
Sparsam kaum gedeiht im dürren Sand,
Wo ich kanm, so viel mdn Blick sich mühte,
Einen Strand von wilden Rosen fand;
Ärmlich GUrtchen, das mich oft empfangen
Hit der Aemmerlinge Bymfonie,
\ur im kleinen Thurm von Hopfenstangen
Vor der Sonne Glut mir Schutz verlieh;
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45 -
O du Berg, bestreat mit Fichtenäpfeln,
Wo ich «innend manchen balben Tag,
Moclit' CS stürmen und vom Himmel trdpfelll,
In drr Ila^'cbutto Düften lag;
Oedor Busch, nach dessen Dohnenbilgeln
Einsam oft mich stille Si Imsucht trieb,
Wiese du, besä t mit Maulwurfshügeln,
O warum dcmi hab' ich euch so lieb?
Du entlegnes Thal, in dessen Mitte
Noch im Herbst ich oft die halbe Nacht
In des Erbsenwiichters Ilalniciilitttte,
Die er längst verlassen, zugebracht;
0 ihr heimlichtrauten Scliauerstellen,
Wo ich oft den liebsten Namen schrieb
In des Ilügelsaudcs gelbe Wellen:
O waram denn haV ich euch so lieb?
Ha! die Schönste, der in Liebesfesseln
Längst ich sang der Liebe Huldigung,
Wandelt mir in Kosen eure Nesseln,
Eure Armuth um in Königsprunk!
Ach in diesem Thal hat sie gesessen,
Hat diefs Gärtchen hier einst hübsch genannt,
Von dem Brombeer'n dieses Bergs gegessen,
Sich ennttdet einst in diesem Sand!
Darum hat mit seinen Wundergrupp'rn
Nun für mich kein Welschland, keine Schweiz,
Kein St. James mit seinen Marmorgruppen,
Keines Sultans Park den kleinsten Keiz;
Darum fühlt, trotz ihren Lorbeerbüachen,
Ihrem WasserfiEdl nnd Dach von Gold,
Doch mein Satyr Drang sie anssozischen,
Damm, darum bin ich euch nur hold.
Fiel' es einst uns in der Mohren Steppen,
In der Lappen knlte Wüstcnoi'n,
Zu den Eskimo s un.- hinzusclileppen,
Fem vom Vaterland, dem Schicksal ein,
Und Sie hstte dort es schOn geftmden,
Ginge dort auch gern an meiner Hand:
O so fitnd* ich dort nach wenig Stonden
Meine Gegend und mein Vaterlandl
(Oslender der Mosen imd Gnoien för das Jahr 1706. 8. M— 66*.)
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21. Das Landleben.
Fort mit eurer grofsen Stadt!
Wer OefUhl im Bosen hat
Wird, nmsänmt von Wald und Wiesen,
Sich ein friedlich Dorf erkieson.
Früh erwacht aus leichtem Traum,
Jubeln im Kastanjenbamn
Grascmück' und Nachtip:an.
öfT^iet man den kleinen Stall:
Kuokt mit freundlichem Gebrumm
Sich die Kuh vcrstiiiidi)? um.
Entchen buden bei der Tenne
Sich im Pftibl, indeAi die Henne,
Die sie gestern ansgebracht,
Ängstlich sie am Band bewacht
Bei des Entrichs Lnstgeschnatter
Grüfst man freundlich den Gevatter,
Der vorbei am Zaune geht,
Wo die liohe Linde weht,
Und an grünbemoosten Tlankeu
Kürbisse mit Warzen ranken.
Frei vom duninuMi 15('ttel8tolz
Sägt man unter m Schoppen Holz,
Dafe die Erbsen besser schmecken,
Wenn wir unser Tischchen decken.
Anf dem Teich, vom Schilf nmzischt,
Ftthrt man sich im Kahn, mid fischt
Hechte, die am Ufer pltttsohen,
Pflückt im Garten Nüss' nndZwetschon,
Wo der Stieglitz niclit erschrickt,
Der um reifen Mohnkopf pickt:
Wo die Gans mit grauem Flügel
An des Wa.sf^crgrabcns Spiegel
Mit den Töchtern, gelb und jung,
Emsig zupft am grünen Strunk;
Hört entzttokt im Banm voll Mispeln
Bienen snmmen, Weste lispdn,
Sieht erpicht anf sttfeen Banb
In der Lilje Blüthenstaub,
Fröldich wimmelnd, raache Hmnmeln
Sieh mit grünen Küfern tummeln;
Flickt das schiefe Weinspalier,
Jätet dort, und schaufelt liier;
Lies't vom Beete Stein, uud Stecken,
Nascht von dichten Aalbeeriieeken,*)
Sncht, wenn Frauchen kochen will,
KOrbel, Petersiy* nnd Dill.
Nach dem Wolfsberg geht es dann,
Wo der Spuk nicht ruhen kann;
Dort, umkrächzt von dreisten Raben,
Ziehn den Hock wir aus, und graben
Aus dem Sande, hoeb erfreut,
Urnen von der Ueidenzeit,
O! der schOnen Gegend Keitz:
Fern der grauen Mühle Kreutz,
Des gepflügten Ackers Streifen,
Dirnen, die die Hemnahd hänfen«
Und der Bleicherin Gesänge
Kürzen nns des Weges Länge.
Auf dem Gang nach Hanse sltat
Man ein Weilchen, naDsgespritzt,
An dem See, wo Binsen ruschein
über Schneckenhaus und Muscheln}
Schilift zu Haus auf einer Schütte
Frischen lleu's, ist's in der Hütte
Im August einmal zu schwül.
Sorgenlos imd herrlich kühl.
Wenn der reiehe Mann anf Schwanen
Rache mnlb nnd Richter ahnen.
Nett ist unser Stttbchen, da
Hängt gemahlt die Groftnnama
Bei dem braven Eitervater;
Unter'm Ofen spinnt der Kater.
O* wold! Ifindliehes Gemisch
Bunter S^kIk n: über m Tisch
Die beblümte grüne Decke,
Vor dem Fenster Nelkenstöcke,
Auf den Dielen gelber Sand,
Hundert Nägel an der Wand
Voller Flinten nnd Pistolen,
Stiefeln auch mit breiten Sohlen;
Fliegenklapp' nnd Sohlttsselbnnd.
Jägertasch' und WachteUmnd.
In der dmikelu Laube, vom
Vor dem Haus, von Schotendorn**)
Sieht man blinken, welche Wonne 1
Weilse Tauben an der Somie,
Aalbeere = sehwane Johannisbeere. Bibes nigram.
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Oder hOrt znr AbeEdseit,
Wie des Thurms Horncule schrei't.
Sp.'lt begielst im Garten man
Seine Zwiebelnbectc dann,
Eing^efalst mit Amaranten,
VVemi der Sunue Ütrulden bräunten;
Oder flielielt noeh zuletzt,
Wenn der Than die Wiese netzte
(Almau&cb der Museu und Grazion
Knieend mit der krummen Hippe
Kleegras fUr die Pigrdekrippe.
Stildtorl sieh, gesund iiii<i roth,
Lachen uns bei'm Abendbrot
Bei Salat und derbem Schinken 1
Sieb den reinen Landweiu blinken,
Preise loat des Dorfos Olttck,
Kehr* in seinen Schoos znrOek!
r das Jalir 18ü2. Berlin 18U2. S. 90—96.)
22. Der Meierhof.
An einen Fround in Berlin.
Didi drttekt» o Freund, des StUdterlebens Last;
leb Bchwlnii umher auf kleinen Wandenmgen,
Da hab' loh dir ein landlich Lied geenngeni
Das du zum Trost von mir gefordert hast
liier nimm es hin: vielleicht, mein Lieber, wird
Es dem Gefühl in deinem Busen frommen;
Doch muls dein Kopf ei-st wieder zu sich kommen,
Vou allem Lärm, der dich bisher muschwirrt.
Sah' neben mir im Geist aof dieser Bank,
Von Flicderlaiib und Haseln dich umbl&ttert.
Und sieh empor: die weilse Ivatzc klettert,
Vom Spatz' gefloh'n, das Scheonendach entlang.
An dieses Taubenhauses rundem Tfahl,
Den Vorsicht jüngst mit glattem Blech beschlagen,
Kann nie der Iltis mehr hinauf sich wagen,
Der oft bei Nacht dort heimlich würgt* und stalil.
I>ir lilanf Taubenilucht pickt neben mir,
Und zeigt mir dreist die gelben Außenringe
Im Stalle klappt des Knechtes Futterkliiige; *)
Dort blükt ein Kalb und Hengste wiehern hier.
Der Pächter kommt; er drttckt mir treu die Hand,
ErzShlt mir viel von seinen Fohlonstuten,**)
Zeigt dann im Garten mir die edeln Ruthen
Gepfropfter Bäum' und ihren Kunstverband.
*) „Die breite Kliage an der Futterbank, das Stroh damit zu Uexel zu scheiden.*'
**) „Stuten, die ein sftugendss FoUmi habsii.'*
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— 48 -
0! schlichest, Freimd, da Dor ein einsig Mal
Durch dieses WeiiiB gewölbte Lattcngänge,
Durch dieser hohen Rosenhecken Enge,
Durch dieser Eiben*) schattendes Portal;
Und sHhst von hier der Aussicht Kolorit,
Des weiten Thals getuschte Perspektiven,
Den Biehenfont mit aasgehaa'nen Tiefen,
Wo durcli GewOIk die Sonne Wasser zieht;
Und sähest dann in diesem HUttchcn hier
Die Pächterfrau den neuen Flachs sich hechelni
Die Kinderschanr hei'm Vesperbrote lächeln,
Den Vater selbst bei seinem Kesselbier;
SUh'st vor dem Fenster an die rauhe Wand
Der Hütte sich die EUrbisranken hfikeln:
0 Freimd, o Freund, wie wflrde dann dich ekeln
Vor deiner Stadt und ihrem Flittertand!
Schon krankt dein Geist; genesen knnn er nur
Weit, weit entfernt von Fasching, Ball und Bühne.
Komm, rette dich in raeinen Ann, und sühne
Dich wieder aus mit Einfalt und Natur.
(Almaaaeh der Mosen und Oraiiea fttr das Jahr ISOSt BeiUn 1802. S. 97 »100.)
21 Der Banerhof.
Mit tiefem Spalt, wo Spatzen bau'n,
Schwirrt auf der Gasse vorn die Lmde;
Dahinter lie^t der Kei.serzaun,
Durchrankt von grüner Efeuwinde.
Die Pfort', auf keinen Klopfer stolz,
Schliefst eine Klinke, nur von Holz.
Vom auf der Hfltte ragt erbOht
Des spitzen Giebels lEramme Gabel,
Der Storch, der gern im Neste steht,
Biegt klappernd oft zurück den Schnabel
Die lange Feuerleiter schmückt
Das graue Strohdach, gelb geflickt.
*) nlaxnsbiome.**
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- 49 —
Der Hfitte nmde Sehelbeii, grdii
Und rOlhUdi linkst vom Re^^wetter,
Mit brauner Fensterlad', umziohn
Mit Bast gebundner Reben Blätter.
Vom Flugloch schwebt die Taub' herab;
Baaclischwalben scbieüBen auf und *b.
Oodrückt vom groteen Feldstein knarrt
Der Ziehbom oft mit nassem Elmer.
Die schwarze Henn' im Hofe scharrt
Mit ihrem Buhlen in geheimer
Verträglichkeit; das Küchlein zipt
Am grünen Wassertrog, und nippt.
Am kleinen Backhaus, schwarz von BnflB,
St eil n Ofenwisch und Fladenschiebor;
Daneben reift die welsche Nuls,
Des Flieders schwarze Traube drüber;
Rings liegen Reis und Nadelholz,
Voll Harz, das an der Sonne schmolz.
Bald hUmmcrt auf der Schneidebank
Der Bauer seine stumpfe Sense;
Bald flickt er Rad und Wagenstrang,
Bald seiner Pferde Kummt und Trense,
liier hängt im Schoppen Seil und Sieb;
Dort krankt ein junges Hohn am Pip.
Lang unter'm Erndtewagen streckt
Sich Wasser*) aus, des riofs Gebieter;
Längst war, von keinem Dieb geschreckt,
Er Nachts der Gans und Ente Hüter,
Die leiiiuittemd aof des TeioheB Flut
Voransehwimmt vor der gelben Brat
Zur Seit' im wüsten (Jarten, wo
Mohnblüte sich und Rose rüthet,
Hoekt still im gelben Hut von Stroh
Ein altes Mtttterchen und Jätet.
Hier blOhen Nelk* und goldner Lack;
Dort grünen Höhr* nnd Pastinaok.
Dicht hinterm Garten rufen dumpf
Rohrdommeln her vom Schll^ewSsser;
Am ausgehöhlten Weidenrnmpf
Röhn Fiscfaenreose, Netz nnd Eesser**);
Hier schreit der Kiebitz im Gezweig,
Der Kranich dort am Eisenteich.
*) „Ein gewdhnHchsr Hame der Banemhimde.** — **) „Kesser. ein Ueiiies
FIseheraets, gew^dmllch, aber uiriditig^ KOsoher genamut 8. Jkdetang's WtMerimoh.**
Axtth. 4
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- 50
Das Abend roth im West^ welkl - '
Stolz nickend ttihrt die rothen Kühe
Der Bulle heim, und Aenne molkt.
Verplaudert wird nach Schweils und Mtthe
Der Abend uuf dem Bäiikchen voni,
Iiis spät ertönt des Wächters Uurn.
(Calender der Musen und Qrazien fOr das Jahr 1796. S. 131.)
24. Entschuldigung.
An ein«! Freoad in Bailin.
Im Mbi 180a
Alwcbied hat der Winter zwar genommen,
Und der Weg, im J&nner zngeschnei't,
Bessert sich; doch nach Berlin zu kommen,
Hab' ich itzt wahrhaftig keine Zeit:
Soll umsonst der kleine (larton
Auf des Hauswirths rtlegc wartm?
Soll den Frühlinp^, hier so schön, so ^( Ik ii,
Ich im Rauch der Hauptstadt schöner sehn?
Unsre Gartenfreude zu veroitehi,
Ist der Frost zu schwach auf seiner Flucht;
Was von kleinen grauen Samenbeuteln
Man nur hat, wird dreist hervorgesucht,
Und der FnfiBBteig zwischen Beeten
Naeh der HeCascbnnr festgetreten;
Und gesehwind, wo sich's noeh blieken MAt, '
Weggepntat der Banpe weillMs Nest.
Was der Storm im Januar zertrttmmert
Hie nnd da an Lanben und Spalier,
Das wird emsig nun soreeht gesimmert.
Ausgebessert Zmuji und Lattenthttr.
An der Jurche Feldsteinmauer
Suchen wir uns dann in lauer
Mittag:;^tun(le schon den schönsten Straus
Blauer Veilchen zur p]rhohlung aus.
Täglich halten itzt mit Sülsen Bitten
Ueberau mich meine Kinder fest:
„Hasch' uns, lieber Vater, docli Kalitteul '';
Zeig' uns doeh der (iraseniiieke Xestl"
Soll' ich, stall die Lust zu theileu,
Freund, nach deinen Mauern eilen?
Hätt^ auch itzt mein Weib nicht mehr zu thun.
Als auf BSnken deines Parin zu mhnV
*) „ticbmetterlioge."
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Bald lAftt fto «in IfeHeben lNni*ii aEiim BiHten
Für ein Hahn, das niiAnfhOrlich gpinckt,
Bald dem jungen Pater Krümchea bieten,
Der Bochen ans der Schalo kuckt,
Bald, verhütend groisen äcbadeu,
Mich die Vogelflinte laden,
Wenn der Habicht über'm Hofe kreis't,
Der SU gern einmal ein Entleiu speis't.
Komm du selbet, die Grillen zu verjagen,
Wieder za uns her aufs schtbie Land!
Berstende Kastaiyenkeime ragen
Schon in's Fenster, wo dein Bette stand.
Nach dem Ritt dich zu erfrischen,
Eilt dann Liebchen auf'zutisciien.
Was du vor'ges Jahr mit Recht erhobst:
Ihr geschältes Maskatellerobst.
(Ahnauach dur Musen uud Grazien für das Jahr 1802. S. lü— 10.)
25. Frohe Botschaft,
an Henrietten, im Aprill.
Immer war dir's noch za kalt,
Gutes Mädchen; aber bald
Wird's der Sonne wohl gelingen.
Froho Botschaft dir zu bringen,
(rin^' ich aus; hür, Liebchen! an,
Was ich schon erzählen kann:
Hinter den Berliner HOh'n
FSngt der Morgen schon so schOn
Durch die Elsen an zu dMmmem, •
Und mit krausen Blütenl.'iiiiüurTi
Hat, Min wärmern ]^'ni!i1i!i^^>l;;iuch,
Sich geputzt der Hascistrauch.
Halb erwachend qnaken dnmpf
Schon die FrOsch* im Wiesensnmpf,
Hachen Ring* und kleine Blasen
Auf dem Wasser; übcr'n Rasen
Hüpfen manche schon licnim,
Sonnen sich und sehn >ich um.
Und das Stachelbeergebtlsch
In den Gärten grünt so frisch,
0! und Fink und Lerche singen,
Und mit gelben Schmetterlingen
Freu 11 ira Grünen inniglich
Schon die gelben Gänschen sich.
Herzchen! zwar verdrieftt es dich,
Dafli der Schnee noch immer sich
In den Fahren*) will verstecken.
Und die liebe Sonne necken;
Doch Gedult: der arme Wicht!
Lange necken soll er nicht.
Bald, mein sOI^ Mttdchen, bald
BlOhen Garten, Feld, nnd Wald.
Freu dich, liebe gute Seele!
Nächstens komm' ich und erzähle.
Sind die Schwalben wieder hier,
Von noch schönern Sachen dir.
(Galender der MoMn und Gxaiien iflr das Jahr 1790. & 32 u. 8S.)
*) „Die tiefun Furchen swischen den Ackerbeeten. 8. Addongs WOrterlraeb.**
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— 62 —
81, Lied im Frülilliig.
An HenriAtton.
Am Birkenzweige blättert
Der volle Krim sich auf.
Das frohe Eichhorn klettert
Am Stamm hinab, hinauf.
Die trugen WinterschlUfor:
Waldbiene, Wesp' und Käfer
Und Hummel wachen auf.
Ult grünen Wasserlinsen
Fiirbt sich das Wiesenmoor.
Es hüpft aus Schilf und Binsen
Der muntro Frosch hervor.
Die Wasserjungfern fliegen
Am Ufer hin, und wiegen
Sich froh aui jungen Kohr.
Und an den G arten biiumen
Wird alles weii's und grün.
Die Maienbliimchen keimen,
Hohmder und Jeanin.
Bald wird die Bob', o Wonne I
Am wlrmem Strahl der Sonne
Für dich, mdn Jettchen, blfihn.
27. FMhlingy-Lied.
Die liebe wanne Sonne sangt
Daa Undenblatt herans;
Vom Weste lieblich angehaucht
Kriecht Jedes Veilchen ans.
Der Kalmus sprofst am Weidendamm,
Die Wasserlilj' im Teich ;
Der Laubfrosch hüpft am Elsenstamm,
Die Krüt' im grünen Steig.
Im Grünon srli wärmt der Schmetterling
Vergnügt um Kalb und Kuh,
Und klappt, auf KirächenblUtcn, flink
Die Flüglein auf und zu.
Der Sperling mit dem Liebchen thut
So tranlicb, so geheim,
Und piekt dabey sieh wohlgemnth
Der Erbse zarten Keim.
Der Himmel rings so frei nnd hell,
Im Straneh das VOgelein,
Die Blttt' im Wald, die Blflt* am Qaell,
0 Mensch, ist alles dein.
Hinaus, hinaus aus Stub' und Stadt
Was hören kann, und sehn,
Und fühlend Herz im Husen hat;
Der Lenz ist Ja so si liün.
(CaleDÜer der Müsen und Grazien far das Jahr 1796. S. 9 u. 10.)
(Gedichte. 1797. & 140 ff.)
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— 63
S§. D«r AprlL
Sie heben an, der Lerchen Feldg^ei>iingc;
Die Unk' erwacht aus ihrer Winterrull;
Zum Anger eilt im blökenden Gedränge,
Voll Uebermuth, der Stier mit seiner Kuh.
Süfs dnften uns von jedem Fenster zu
Aus Wassergläsern Veilchen schon im Menge.
O schöne Zeit! O holdes Dörfchen du!
Wer tauscht dich itzt um eines Throns Gepränge?
Am Zaime sprieflBt, diurefawlirmt von FrtthUiigsiglath,
Das Junge Gras; und frohe Kinder sehndden
In*8 XOrbehen Nesseln für die Gaosetmit.
Und Liebchen Uilst, geschirmt vom Sonnenhut,
Den Silugliiig heut zum erstenmal mit Freuden
Am jungen Grün die Wnnderaugen weiden.
(Almanacli der Muüeu und Grazien iür das Jahr 1802. S. 22. 23.)
St. Der Bauer in Ottern.
Endlich hat der Wind den Schnee zerhaucht;
Endlich sieht man wieder Schwalben üiegeu.
G(»tt sei Dank, dafs man nicht länger braucht
Hinter'm Ofen auf der Bank zu liegen.
Grasig wird des kleinen Dörfchens Plan:
0! so freut euch wieder, Schaf und Binder!
Alle Dutterblumen fan<jen an
AufzubliUin zum Spiel für unsre Kinder.
Seht doefa hier am Heek den Sehlehenboseh!
Wie gepudert prangen Zweig* nnd Iste:
Seht, das frohe Zeislein flattert hnseh!
Ein und ans, und baut wohl schon am Neste.
Stut" und Wallach wiehern uiiter'm Joch,
Und der rüugsterz wird zur Hand geiiouimen.
Frisch aar Arbeit! Endlieh kann man doch
Wieder leieht in Gottes Erde kommen.
Ja! bald schmaust man nach des Tivges Last
Nicht des Al»ends mehr bei Kiehn im Heerde;
Nein, hübsch draufsen unter'm Lindenast
In der Abendröth' auf Rasenerde.
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— 54 —
EdtB* im Oarteii um den Ofoi bald,
liebes Weib, mit trocknen Flohtenzacken;
HOnt du nicht? Die Osterklocke schallt:
Fladen, Fladen mafii die Matter backen!
DafB im lieben grünen Feste man,
Wenn die Frösche hinter'm Garten unken,
Bier dazu im Froirn zapfen kann;
Denn im Osterfest wird Bier getrunken!
Lustig-, Jnnf^' und MMfrdlein! baarfufs springt
lleut' iu's l^ng, um Kalmus drin zu suchen;
Wer nicht Futtor für die Kühe bringt,
Der bekouiint auch licincu Fe>ltaf:^skuehen.
(Aimunacii der Musen xmd Grazien lür da« Jabr 1802. S. 42—44.)
SO. Die Dorfbewohner.
Im FrObjflhr 1800.
Hailtiftchen flichem;
Ans Snmpf nnd LOehem
Scblllpft Haselmans
Und Frosch herans.
An unsem Dächern
Klebt froh ihr Nest
Die Schwalbe fest
Zu b«den Beiten
Der Laube spreiten
Lind' und Jesmin
Ihr helles Grün,
Und Lllmmchen liiutcn,
So weils als Schnee,
Ira Wietienklcc.
Kirscliblüthen zittern
An n artengittern
!Mit süfsem Ruch;
Bewegt vom Flug
Des Hünflings, schüttern
Sie olt, nnd schnei'n
Sein Nestchen ein.
Der ITasc rammelt;
Die Biene sammelt
Im Iforchelnthal
Znm ersten Mal.
Per Tauber dammelt.
Und macht sich kraus
Am Taubenhans.
Die Fische laichen
In Kalmnsteiohen*
Von VOgelein»
Die groft und klein
Nun wieder streiehen.
Tont Minnesang
Die Heid' entlang.
Die Qntille strudelt;
Der Westwind hudelt
Den Apfeizweig.
bn Lümmersteig,
Den Schnee besudelt
Und schmelzelnd Eis,
Spri<-l'st Elirenpreiö.
Die Küclilcin ziepen;
Nestvögel pic{)cn
Im FliedergTün,
Und Frauen ziehn,
Mit iMilch in Kiepen,
BarföCSig hin
Zur Städterin.
Frühmorgens pfropfen
Wir, stängcln Hopfen,
Und sä'n Spinat
Und Kopfsalat
Der Wehl, voll Tropfen
Und knospend itzt,
Wird angestützt
- 66 —
Drmf geht'8 yon dannen
Zum Hain voll Tannen,
Wo man auf Moos
Sich, wie in Schoos
Von Ottomannen,
Vom Waldinsekt
Umsumset, streckt.
Um kalte Schale
Zum kleinen ^lahle
Zu geben, hockt
Die Frau, und brodct,
Vom Abendatrahle
Der Sonne roth,
Schwarz Banerbrot
Wenn Tnlp' und Nelken
Aus ThaugewOlken
Der Abend nUfst,
Ist's noch ein Fest,
Die Schafe melken
Zu i^chn auf Streu
Der Schüferei.
"Wie's Ahendpfeifchen,
Von Mücken i lii Lüchen
Am Zaun geueckt,
Uns herrlich schmeckt,
Schwebt hiAter Streifcfaen
Von Wolkenflor
Der Mond herror!
Und wenn für Moiigen,
Vom Berg verborgen,
Das Abendroth
Gut Wetter bot:
Schlaft ohne Sorgen
Im KJimniorlcin
Man frülich ein.
(Almanach der Musen und Grazien für IfiO'i. Berlin 1R02, S. 48—55. — Neuer
Berlinischer Musenalmanach fflr 1794 herau8ge$;eben von F. W. A. Schmidt und S.Ch.
fimdemaim. 8. 101—107 unter dem Titel: Die Dobritzer. Im Frühjahr 179a)
Bei ihrer Bleicbe
Singt dnrch Oestrftnehe,
Den Arm geschürzt,
Den Rock gekürzt,
Die Dim' am Teiche,
Und spritzt auf Gras
Die Leinwand nal's.
Des Hüttcliens Mutter
Macht Käs' und Butter;
Denn itzt beschert
Die Kuh, genührt
Mit grünem Fntter
Im Elsenbnich,
Ihr Milch genng.
Dfe Lnst an mehren,
Wenn's warm ist, scheren
Wir Schafe noch:
8o schmaust man doch
Um Zwölf mit Ehren
Sein klein Gericht,
Und schämt sich niciit.
Nachmittags waden
Im See und baden
Wir, leicht bedeckt,
Im Bohr yersteckt,
Und mh'n anf Schwaden
Von Thymian
Am Ufer dann.
Sl. Der Frtthlingsabead auf dem Lande,
an
Seit ich geplagt von Gicht und finstem Launen
Der AVinterstub' aufs stille Dorf entrann,
Um hier den jungen Frühling anzustaunen,
Bedaur' ich dich, der 's so nicht haben kann!
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— 56
Mehr, als bei dir der OpernsHiigrcr Fistel,
Der Bühne Praclit, der GalhxhüUe Prunk
Entzückt der Grille Lied in junger Distel,
Der Liiminer Tanz, des Heupferds frolicr Sprung.
Hier steh' ich, fern von TTöferoy, zu angeln
Nach Barb' und Schleih auf schmalem Grabenstog.
Wie Pills durchwüi"zt den Zeisigbusch von Tangein,
Au uicincr Seite, Nelk' und i-'iclitcnpuch!
Wie lachend grünt der gell)e Sprols der Weide
Bei Wasserkolb' und jungem Entengras!
Wie UebHoh tOnt ans HaeelnuisgestSiide
Des Aenunerlings Diskant» der Amsel Bads!
Auf Eiem lauscht im schilfgen WasserbeokeDt
Vor'm Schüfe des Jttgers scheu, die wilde Gans.
Li liehlbeerstraadi*) und Berberitzeuhecken^)
Baa^^i runde Nester Fiok und Seidenschwanz.*^)
Das Eiehbom sehmaust der Bhrke Bltttenzäpfcfaen
So drollig hier, und putzt sich Bart und Ohr.
Am Boden schau'n mit runden, weifsen KOpfchen
Die Pilz* aus Moos und llaidekraut hervor.
Der flachen Quelle Amkelndes Gerinne
Füllt sanft hinab in's niedre Wiesenthal.
Auf ihren Weilchen schwimmt die Wasserspinnej
Das Ufergras durchschlüpft der glatte Aal!
Der Gärtner schwitzt bei Bcetenschnur und Spaten,
Obschon am Wald das Abendroth erlosch,
Und seines Giebels treue Störche waten
Derweil' im Sumpf nach Wasserschlang' und Frosch,
Laut quaken scliou des Teiches kleine Völker;
Und heller gllinzt des Neumonds gelber Schein.
Der Dilmm*rung froh umfliegt der Ziegenmelker f)
Des Schafttalls Oitterthor, und scblttpft hinein.
Vom an des Zauns gestutzten Weidenflechten,
Die Wallntü^baum und Flieder ttberragt,
Schwatzt, wemi sie ausgemolken, mit den Knechten
Vom nahen Jahrmarktsfest die Junge Magd.
Ol welche Lust! umflattert von Phalttnenff)
Im Blütenduft des Pflaumenbaums zu mh'n,
Indofs im Erlenbusch mit Wonnetönen
Der Sprosser klagt, and ferne Kühe muh'n! —
*) .fUehlbeerstrsuch, eine Art des Weifsdonis, Crataegus Ozyacsntha, Lina.«
— **) „Berbcrit/enhecken, I?prbrrip, I-inn." — •♦•^ „Seidenschwanz, eine Art
Drosseln. Die Spitzen einiger Feüeru am Schwänze sehn aus, als wenn sie mit Seide
geatickt wSren, TurdtiB eristatua.** — f) „Ziegenmelker, oder Nacbtacbwalbe, von
welcher der AbergIaa})0 vorgiebt. dafs sie den Kahen, Ziegen und Schafen die Milch
ansaauge." — ft) »l'halanen, oder NacbtTögeln."*
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— S7 —
HStt' ich mein Wdb noeh hier und meiiie Kinder
In diesem Thal, 8o recht fOr nüeh allein:
Dann könnt' ich traun! vergnügter und gesfinder
An keinem Ort der weiten Erde seyn.
(Oalender der HuseD und Gxaiien IOk dM Jahr 1799^ 8. HO«-*.)
88. Bftaifreude.
An Henrietten*
Fort. Liebchen, mit dem Wiuterpelz!
Der Wubi uiuliebelt dich.
Konnert ertönt im Birkgehttlz,
Bebn frühen Vogelstrich.
Und tlglieh (9xbt der Wiese Sehmels,
Die Heide frischer sich.
O sich! wie froli um Lindenbast
Die Wickelraupe kriecht!
Der Sehillebold*) Tom Narbenast
Des Birnbaums niedeifliegt!
Und dieser BItttbe Dnnenqnast
Des Frfihlings Odem wiegt
Iklit ausgespuiuiten Flügeln sciiitilt
Der Schwan iMif nnsrer Spree.
Der WasserblUmchen LenzgedOft
Umhancht den Unkensee;
Und anf der weichen Gansetrift
Sprieftt Wegewart nnd Klee.
Wie Alles, Alles weit und breit,
Vom linden Schmeicbelwind
Hit Wonneblttthen Überstreut,
An warmer Sonne minnti
Vom Storche bis zum Spats sich freut,
Vom Karpfen bis zum Stint!
Weh dem, der itzt bei StMtertand
Den Mai verlieren mnUl —
Komm, konmi nach nnsrer Quelle Band,
UmJarSnzt von Qytisus,
Zu ruh'n an grfiner Heekenwand
Bei Eis' und Wassemufs.
(Ahninadi der Mosea nnd Giaiien fflr das Jahr 1802. 8. 29.)
*) „Ein fliegendes Jjisekt, Ubellula granüis, Linn."
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— 58 —
' tt. D«r lonlbsalMnd.
Ein matter Parpurschimmer dilmmert
Noch graugesHunit von Westen her,
In seiner kleinen Esse bUmmert
* Der müde Nachbar Schmld nicht mehr.
Bs hflpft' auf Behrlgen Leiteivproaseo
Das Hflhneryölkehen lingst zur Roh.
Die Schwalb* hat Ihr Konzert geschlossen,
Und eilt dem Hangebettcben zn.
Wir seh'n uns ~ drückend war die Hitze —
Nach einem KflhlnngsCrtchen um:
Dort lockt mit seinem Rasensitze
Der Laube Kaprifoliura.
O Hüttchen, das nach SommerschwUle
Uns manchen Ab<>nd schon vcrharüf,
Empfang-' nns; sind in deiner Külde
Die Mücken gleich ein wenig arg.
Wie still! es knarrt der Perpendikel
Vcniehmlich an der Kirchenuhr;
Es rauscht mit Düften der Aurikel
Ein leises Schauerltiftchen nur.
Und o! dort über m Eichelkumpe,
Von grauem Heetranch ttberdeckti
Wird eben itzt die goldne Lampe
Des groÜBMk Mondes angesteckt
Sanft möge rings dein Abcndschlummcr,
Hecht sanft, gellebte Gegend, seyn!
0 schlief auch jeder kleine Kummer
Der guten Mensehen mit dir ein!
Schliefet dort in Beiersdorf*), ihr Lieben,
Schliefst woUgemnth die Augen zu!
Euch, liebe gute Nachbarn, drüben
In LOhm*) mid Seefeld«) sanfte Roh!
Auch dhr, wo ich in Hittt' und Sargen
Manch th eures Kleinod hinterliefe,
0 Heimath hinter jenen Bergen,
Auch dir heut Ruhe sanft utkI sills! —
Doch Htill davon! Die Thr.iticn schicisen
Tn's Au^c mir; kommt, Weib und Kind,
Lalst uns die Primeln noch begieisen;
iSie trauern schon: geschwind, geschwind!
(Almanach der Musen und Grazien fOr das Jahr 1802. S. 63—65.}
*) Dorfer in der KlUbe von Weraenehen.
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— 69
84. Sommerdttrre.
Noch immer bUat der trockne Ost:
FUr Beet und Flur ein Bchlediter TrOBtl —
Kein Wölkchen rings am Horizont!
Lein, Garst' und Wicken, heifs durchsonntj
Stehn klfiglich da, versengt und falb;
Und hungrig brüllen Kuh und Kalb.
Die Wasserkanne, voll und schwer,
Schleppt man im Garten hin nnd her
Und giQt» im BehwelAi des Angestohts;
Doch Schweife imd Iflihe fraehten idehts)
Die Schaf erregen dicken Staub.
Znsammen schrumpfen Blttäi' nnd htnb»
Die Rose darbt im Blumentopf;
Der Mohn im Garten hünfrt den Kopi.
I t
Die Nelke stirbt am grünen Stab;
Und unreif fällt die Pflaum' herab.
Die Bienen tragen wenig Seim
Zum Honigkorb des Schauers heim.
Das Entlein lernt nicht schwimmen; denn
Am Dorf vertrocknen Fftihl nnd Fenn.^
Nnr Küfer,' Brems* nnd Raiq»entarDt
Gedeihen in der Sonnenglntfi. — • •
Nach Kühlung athmend, sitzen wir <
Des Abends vor der Htittcnthür.
Selbst was im Dorf nur lallen kann, • ,. *
Kuft Gott um milden Regen an. . ' L • .. . '••■v.
0 möchte bald der Hof bahn kräh'n! ' • • '•
Die ^lühlc sich gen Abend drch'n!
Im BImenbanm der Lanbfkosch schreib
Und fernher zncken Wetterschein!
O Wonne! w;enn toU Hofbimig dann •
EVohlockt der arme Ackersmann!
Wenn Pferd und Stier und Gans und Huhn
Und selbst die Wünnchen fröhlich thunl
Und auf die li( }»e Aerntezeit -
Zum Voraus sich der Dri)sc]ier freu't!
(Almanach der Mosen nnd Grasien für daa Jahr IflOB. fi. 71-*78.)
*) „Fenn, Snmpt** *
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— eo -
St. Aa die Natur im HeriMt
Wann die Kirdieosoliwalb* ihr Giebelneet)
Und der Storch sein Seheimendach yerlStet,
Wann die Fledennans sieb in der Ifaner
Vor dem nassen Wind ein Obdach wttblt,
Und im Tannenwald ein schinnend Zelt
üas' und Dammhirseh vor dem Begenschaaer;
Wann die Erithe sehon so nlediig alreiehtt
ffittterte Nebeldnnst die Sonn' erbleicht,
Wann die Wolken treiben, und der Regen
Von dem Birkenbusch die Blätter leckt,
Wann der Fufssteig drunter sich versteckt, .
Und da« Fahrgleis' in den Seitenw^en;
Wann der Herbstwind dnrch die Brache sanst,
Wild am Bohr die dttrren Bttachel zanst,
Und das Schflf zerknickt, und tiefe Kerben
In der angeschwollnen Havel zieht,
Wann die letzte Blum' am Bord verblttht,
Rötblich sieb die Ufer weiden fllrben:
O Natnrt anefa dann begrttfli' ich so,
Wie im Blüthenmond, dich innigfroh!
Wird mir doch, wann ich nun Liebchen eile.
Bald, von ihrem weifsen, weichen Arm
Sanft umschlungen, wieder wohl und wann:
Schwirre Regen dann! und Sturmwind heule!
(Gedicht«. 1787. 8. 89—40. Vorher im Göttinger Musen-Almaoacb fflx 1790.
aii6i)
S6. Der Lnndmaim im Winter.
Wenn rings der Winter saust und scbnei't,
Der StMdter sich der Opern freut,
Sich näiT bch vcrmuimut, auf Biüleu springt,
Und Punsch bis an den Morgen trinkt:
. Hann fehlt*s nns amen Banerslenten
" Aach nicht an Fread* and Lnstbarkeitfln.
Wie lustig I wenn dnreb Schneegewölk
Die Morgensonn' am DachgebUIk *
Die Zapfen von Krystall durchschimmert,
Und Rauhreif an den R.'lunieii flimmert!
Wenn vor dem Hüttchen, sonder Scheu,
Die Meise hackt in's Fensterblei!
Und sich am Born, mit Stroh umwanden,
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— 61 —
IMe KrBh' «ntzweft mit Hahn und Hunden I
Dann giebt's hier Zeitvertreib genng^:
Wir flicken Wagenrad and Pflug,
Und bessern Garten, Schcnn' und Hans
Und Flegel, Sens' und Harken aus.
Wenn's im Dezember friert, so laufen
Wir nach iler 8tadt, um einzukaufen
Für s kleine Volk, zum iieii gen Christ,
Was sehmeekt, nnd nickt so tlieaer Ist:
Spinojangfem, welsch» Nttn' nnd Kringeln*);
Da hOrt man SdiUttenpferde klingeln.
Und eilt ans alt* dem städtischen Sans
Vergnügt mrllek zum kleinen Haus. —
Schlägt nnsre Uhr Nachmittags Vier,-
So wird's erst recht lebendig hier:
Dann schliefst der Küster seine Schule,
Und auf des Dorfe« Enten pfuhle
Prüft, mit dem Schreibzeug unter'ni Arm,
Das Eis ein froher Bubenschwarm.
Hier, nnter Linn nnd lautem- Wftze,-
Fliegt mancher Schneeball an die Mtltae,
Bis rings der Kiehn der Hutten lodert; .
Und Vesperbrot der Magen fodert , .
Um Weihnacht singen Abends gerne
In weifsen Hemden, mit dem Sterne,
Die Weisen aus dem Mohrenlund:
„Die Sonn' hat uns so schwarz gebrannt.*
Dann lUufTt zusammen Kind und Greis;
Gewaltig jucht der frohe Kreis,
So oft, mit Goldpapier gesekmttokt,
Herodes ans dem Fenster nickt —
Oft lauem wir im wannen Kittel
Den Füchsen anf mit derbem Knittel,
Die nnsre HühnerstHlle wittern,
Wenn hell von Frost die Sterne zltteni,
Ertappen auch den Hasen wohl,
Der sorglos nascht vom braunen Kohl.
Geht's einst im Schlitten nach dem Wald,
Wo keines Jägers Hicfhom schallt,
Kehl Dammhirsch gras t, das EleUiom kaum
Sich seigt im hohen Tannenbanm:
Wie lächelt dann im Schnee nnd Stnrm
Entgegen nns des DOifchens Thurm,
Sobald wir wieder heimwärts lenken,
Zn mh'n anf nnsem Ofenbänken!
*) ffBin nicht kostbares Backwerk."
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^ 02 -
Im hMm BtObehan, eng und traut,
Gicbt's nufi Kartoßeln mit der Haut,
Gesundes Halbbier, hat man Durst,
Auch, wenn es hoch kommt, frische Wont. .
Dann reiist die Mutter GUnseledera,
Und zum (Jeschnurr von SpinnenrUdem
Erzählt man viel von j^ruusen Sachen:
DreifUTs'geui Hasen oder Drachen,
Der tmaAg in den Bchoretdn springt,
Und Kancbeiii Speck imd EHer briagt;
Selüttpft dann In't Bettdieo, hoehgethUrmt»
Schuft fester nnr, Jemebr ee ittlnnt,
Und will um aller Füreten Fracht
Nicht Wttchter Beyn in aolcher Nacht.
(Abaaaach ioinaiittMli4indlicfa« Cto^^ asi— 8ft.)
87. Ländliche WinterteeoMi.
Nach der alten Begel
Ploh'n die Reisevögel
LSngst schon in die Fremde.
Wie ein weifses Hemde
Deckt der Schnee die Wintersaat,
Und der kalte Jänner naht.
Bings Tom SomienBeliimmer
Eis- und Schneegeflimmer!
Wie die Tannenzacken
Von der Schneelast knacken!
Wie der Sturm im Dickicht Uchzt,
Wo die Dohl' im Wipfel krächzt!
Durch yerdorrte Stoppeln
Sucht, mit Hnndekoppehi,
Über Heid' und Fluren,
Nach des Wilddiebs Spuren,
Nun der .7:iger mit dem Kohr,
Oder hetzt den Dachs hervor.
Drüben eilen Schlitten
Nach der Heimath Hütten.
Wie die Pferde raaehen!
In die Hände hauchen
Sich die Wandrer, weite bereift;
Denn der Schnee im Wege pfeift.
63
Unter Bauerfafifvem
Hebt auB Ulmenroisem > • .
Dort, mit Kopf und Steine,
Sich des Thurms Laterne.
Horch! wio schwach die Glocke smgt,
Weil der Schnee den Ödudl verschiiD^
Auf des DorfeB breiten, .
Waavergriben gleiten,
Unter Kräh'n nnd Baben,
■\Vilde ßauerknaben;
Und so kalt der Nordwind stürmt, •
Wird ein Sehneemann anigethttnnt.
Still im Spinneratübchen
Sitzt daa Baneriiebciien,
, Haq^eind für den Bnlilen
Garn von vollen ^olen, ,
Der sie frei't zum Osterfest,
Wenn der Froeoh sicli hfiiren UUbt .
1 Draulsen wird vom alten \
Vater Holz gespalten.
• Mutter quirlt indeasen
Hehl zum Abendeaeen,
Facht xait grauem Flederwiaeh
Kohlen an, und deckt den Tisch.
• ' Lalst das Leichhuhn immer •
Schrei'n bei Stemenschimmer!
Lafst den Kobolt spuken!
Sind doch Krug und 'Erokeu,
Stüter TroBtl noch voll Eofent*),
Und der Torf im Ofen brennt!
(Ahnaiiaeh lOnMBÜBqh-iaitdtlBlier ^GevUflde*!» «1796. a 186-189.)
• • 1 /:
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. • * * ««
tS, Der Wald im Wlnftar. ? j; r i -.i
Dicht über Eis und Fliiniuorflooken wiegt
Sich nebelgrau, umflorend das Gebüsch.
Ist s müglich, schöner Wald, bist du derselbe,
Der mich im Lenz 'entsflckt? Kein Bab* umfliegt
Mich heut, da sonst hi Uebliobem Gemiseh
Hier tausend VOgldn htxg das BlattgewQlbe.
*) I>Omi«a Bier.
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- 64 —
Wie wild der Nord den Tangelstranch zerknickt,
Und Klumpenschnee von seinen Nadeln schlägt!
Wie todtig ring-s! hier diese leise Fährte
Hat ani' der Flucht ein KUuber eingedrückt,
Den ans dem Nest, von Dornen eingeliägt,
Der PeitBCbe Knall, das Horn der Treibjagd störte.
In ihrer Grub' im Büchclforste bannt
Der .THnnorfrost, trotz grimmer Ilungersnoth,
Schon laii^^e fest das Schmalthier und den Keuler.
Dem Kölil< r selbst erstarrt die Schwielenhand;
• Vergebens lordem Weib und Kinder Brodt;
Verlassen steht der halbgethürmte Meiler.
Wie? ist es Zauber? — blntg^fKrbter Sehneel
Und hie und da noch Reste von Gebein! —
Ein Streich votn Fuchs und seinen Raubknmponen.
Ha! locktet ihr das unbesorgte Keh
Mit List in diesen Hinterhalt hinein?
0 hütet enchl der Förster wird es ahnen.
Doch, Wandrer, nicht sa wdt! denn dicker wird
Der Xebeldilft; die Sonne schwand hinab;
Noch bringt zum Dorf dich fem er Hunde Blaffen.
Well dem, der bin^^' in dieser Wildnifs irrt!
Er findet leicht bey Nacht sein kaltes Grab,
Wenn tief im Schnee ihm Knie und Muth erschlaffen.
(Ahnanach der Mnsaii und QiaiieB lOr daa Jahr 1808. a 167--1W.)
Franz Freiherr von Gaudy.
Qeb. 19. April 1800 zn Frankfurt a. 0. «Is Sohn eines preursiscben Generaneatnsnta,
besuchte daa CoUöge fran^ais in Berlin, dann die K!oRt< rsrhnle zu Pförta, die er mit
dem Zeugnis der Keife vorliefs; trat in daa 1. Garderegiment zu Potadam ein, nahm
aber, da er ea in 15 Jahren nicht über den Rang eines Leutenanta hinaus gebracht
hette, 1888 Mliieii Abiehied imd lehta in BerUn littttrariaehen -Studien. Oeiterben
6. Fehrau 1840.
Berlioer Mai.
Der Nachtigall und der Zeisig,
Die leiden am Schnupfen boid',
Verlcriechen sich stumm in lieisig
Und etrlnben ihr Federkleid.
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— 65 -
Blaisgrliue EichenblUtter,
' Sie zittern nackt und blofs;
Gern krochen ^Ae bei dem Wetter
Znrttek in dea Knospen-Schoote.
Es fror von der Kastanie
Die BlUtlic starr uud steif,
Denn als sutyrische Frang-e
Umspielt sie Schnee und Keif.
Doch wenn auch die VOgel Terstommen,
Rollt auch der Frost das Blatt —
M;iik;iCer siiTmiion und bronunen
Diensteifrig vor der Stadt.
Maikäfer, drei ganze Dnteend',
LiefB schwärmen die Poiizci,
Sonst wähnten Berliner statsend:
Verboten wäre der Mai.
(Poetische nnd prosaische Werke hersnsg. Arthur Muellw. Berlin 1858.
1. Baad, a 14 fg.)
Fr. Brunold.
Fseadonym Iflr Augast Ferdinand Meyer.
Geb. am 19. Noyember 1811 sn Pyrits in Pommern, Lehrer in Stettin, spftter eine
ganse Reibe von Jahren in Joaehimsthal in der ückennaik, wo er, nachdem er
Ostern 1879 in den Bnhestaad getreten war, am 27. Februar 1894 starb.
1. Der Werbellio.
Wie «'in ( Jitltesauji;«' trl'iti/cct,
Drüber dunkl«! Brauen ;^'lilh'ii,
Lieg-t, von Berg und AVald umkrlinzet,
Märchenhaft der Werbcllin.
Und das Xobclkinfl, die Sage,
Schmücket ihn mit Blüth' und Kranz,
LUngst vcrgoss'n«' schöne Tage
Steigen auf in vollem Glanz.
Anf der Flut, in Abendfeier,
Schwimmt ein Schi£f!ein sonder EU*,
Branngelockten Haar's am Steuer
Lebnet Otto mit dem Pfeil.
ÄMCh.
lleihvig, seines lleiviMis Minne,
Seii.dit ihn Iilauen Auges an,
L nd <'s geht ihm durch die Sinuc,
Was sie einst fUr ihn gctban.
Wie sie ihn aus Haft und Banden
Jüngst belleil durch Muth und List
Vi'wsi nnd Held er seinen Landen,
Dichter üir geworden ist.
Lieder tOnen, Harfen klingen!*
Und ein Stern vom Himmel fällt.
Ferner, femer schallt das Singen,
O, wie schön Ist doch die Welt.
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Well* auf Welle schäomt zur Stande,
Mond vollendet seinen Lauf,
Ana vemmk'ner Stadt Im Oronde
Laaten Glocken dumpf herauf.
Wie ein Gottesaiige glUnzet,
Draber dunkle Branen glllh'n.
Liegt, von Bei^ und Wald nmkrSiixet,
Mttrebenbaft der Werbellin.
Wal(i und See im Wolkeiulonkel!
Trugen Flug's ein Weihe dort,
Stille rings — dann Sterngefankel,
Und die Sterne läuten fort.
(Gedichte. Dritte Auflage. ZOrich und Stuttgart 1887. B. 4 u. (».)
2. Denkst du des Tags?
Denkst du des Tags? Es war sor Sommerzeit;
Wir ftahren durch den Wald, den dicht belaahten,
Weglos, wie's Frohgemut so gerne thut —
Wir Sttnger, die wir zwanglos uns gefhnden
Auf Kaiserjagdgninrl, n;u'h Ilubortusstock —
Wo Kaiser AVilheliu oft, der sieggclcrönte.
Mit seinen Paladinen, jagdfrob, jagte.
Es lag vor uns die Kanzel, wo der Herr
Vielmals gestanden, weidreeht, Wild eiiej^end.
lOin Blick dorthin, und elr ein Wort ge.sproclien,
Wur'n wir, als künui' es gar nicht anders sein,
Ein Lied anhebend, singend aueh schon droben.
Wie feierlich klang*s durch die Sommerfirische,
Im Waldeadom, das Eiehendorfl^che Lied:
,Wer hat dich, Wald, so hoch erbaut hier droben,"
Indes zu lausenden die Hirsche gingen,
Im Waldgrund, rudelweis, wie andachttranken.
Wer es erlebt, vergessen wird er's nimmer.
(Jesegnet wird die Stunde stets ihm bleiben;
(Jeheiligt ihm der Tag, die Stunde sein.
leh lenke heimwärts meinen Wandersehritt.
Die Ilirbchc ziehen wieder rudelweis
Zur kUhlen Flut des schönen Werbellin,
Indes im Waldesrauschen mir's erklingt.
Wie damals: Lebewohl! du schOner Wald!
O, lebe, lebe wohl! — Denkst Du des Tags?
(Der Bftr. lUustrierte Wochenschrift fOr vaterlttndische Geschichte. XIX. (1893.)
8. 287.J
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- 67 -
3. StUUeben.
Thahvärts liegt ab vom Wege
Das Dorf im m;iik'sclien Sand,
Als wUren Schicksalsschläge
Hier vüllig unbekannt.
Stillleben heiCst's, und fiachtig
Das Aug' darüber schweift^
Als wUre eitel nichtig",
Was durch den öinu hier läuft
Das Vieh, die Haasgenoflseii,
Der Storch im Nett fehlt nicht;
Im Teich, wie ausgegossen,
Sich spiegelnd, Sonnenlicht.
Gleich bleibt sich Jahr und Stunde,
Der Tag geht, wie er kam,
Und doch wie bracht* die Konde,
Dada Krieg sei, hier auch Gram.
Wie hat der Sohn gelehnet
Sich an die Mutter an,
Wie war das Aug* bethrttnot
Dem braven Landwchrmann.
Wie hat die Arm" geschlungen
Er um sein Weib und Kind,
Schmerzvoll auch hier erklungen
Die Absehiedslieder sind.
Wie wurd' auch liier gelauschet
Auf jeden Kriegsbericht,
Wie Wort um Wort getauschet,
Wo fehlte Nachricht nicht.
Und als sie heimw.'irts kehrten,
Durch Sieg und Kuhni b«'<7läckt,
Wie war für die Geehrten
Ein jedes Haas geschmückt.
Nur drüben in der Htttte
Ein Mädchen weinte dort,
Sie lenkte ihre Schritt«'
Nicht zum Begriiisungsort.
Den sie in heiftem Lieben
Getragen in der Brust,
Der war bei Toul geblieben,
Des Dorfs einz'ger Verlust
Nicht Kohl* und Feuer brennen
Ver8ehwteg*ner Liebe gleich "
Nun macht der Tod ihn nennen,
Ob arm sie — und er reich.
Nun haben ihre Schmerzen
Sie allen gleich gestellt
£8 wogt in jedem Herzen
Der Fulsschlag einer Welt
Es klopft in jedem Kaume
Der Stnndenschlag der Zeit,
Darüber wie im Traume
Woget Unendlichkeit
ThalwHrts lief^-t ab vom Wege
Das Dorf im uKirk schen Sund,
Als wären SchicksalsscblUge
Hier völlig unbekannt
Die Sonnenstrahlen dehnen
Sich Uber Dort und Feld.
Auch hier Glück, Freud' und Thräncnl
Stillleben nennt's die Welt.
(Gedichte. Dritte Auüago. Zarich u. Stuttgart. 1887. S. 84—80.)*
4. Herbststinimen.
Herbstgefilde ! Morgenfri.schel
Neblich rings die weite Welt;
ürUnroth ranken Hronibcc rreben
Thaugetränkt im Stoppelfeld.
Tief am See in lidheni Si hilfe
Gellend laut Kibitzc sehn i n:
Wilde Enten, hoch mn ilimmel,
Ziehen fort in hingen Keih'n.
6*
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- r,8 —
Der Wind pfeift bohl und eisig
HIb fiber den Oden Raum,
IMe Sperlinge sitzen za Hänfen
Im alten Weidenbaam.
Die alte Ertlhe im Gipfel
Verktlndet schreiend Gefahr,
Und bin zum nächsten Banme
Zieht sehwirrend die Sperlingsschaar.
Schnell ttber die Stoppelfelder
Schreitet ein Wanderer hin,
An seinem Leibe flatternd
Die Sommerfllden zlebn.
(Gedichte. Diitte AofUge. Zdrich n. Stattgait 1887. & 278.)
(. vnntaniacht
Mondlioht anf der Haide liegt,
NachtflXMt sich anf Windhaim wiegt;
Droben glänzt der Sterne Schaar
Hoch am Himmel, hell nnd klar.
Einsam rings im üden liaum
Sffdi* Ich still am Fiditenbaom;
Über meinem Hanpte zieh*n
KrähenzOge schwirrend hin.
Windhauch kalt dureiiseliüttclt mich —
Herz, mein UerzI wie winterlieh!
Öde Heide, weit nnd hni%
Winter In mir, um mich hent
(Gedichte. Dritte Auflage. Zflrieh a. Stuttgart 1887. 8. 283.)
Die 'raiinenhäuiue wiegen
Uli' ir;iu|»t so M)r<jfeusc]iwcr ;
Aul' allen Zweig«,'!» liegen
Schneeflocken rings umher.
Kein Vogt-l lälsl ssicli hören,
M'ii C still ist's in ih'm Wald;
kiiigs um die idtfu Fi'ilircn
Liegt Winter rauh und kalt.
Im Wald lierrseht lu-ilig Schwelgen,
Keiri Sriinictistralil ilin traf —
Dil' P.äuine sich trauernd neigen
Zu langem Wintc-rschlal'.
(Qcdicbte. Dritte Auflage. Zürich u. Stuttgart 1887. S. 282.)
6. Winterschlaf.
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— 69 —
9. Am Moor.
Es wiegen die Wasserbinsen
Sielt tief in dunklem Moor;
Die kalten Abendwinde
Raaaeln in reifem Bohr.
Das Heer der wilden Enten
Bricht scheu ans dem Schilfe jetzt;
Rohrdommel sich diclit am Stamme
Der gekappten Weide Betzt.
Sie schaut nach den dunklen Hnmmeln,
Die auf dem Wasser sind,
Die Enten ziehn am Himmel,
Im Kohrc rasselt der Wind.
(Ctodicbte. I>ntte AoOage. Zftiicli ätattgart 1887. S. 280.)
8. Friedhof im Walde.
Vom Dorf entfernt, im Fichtenwald,
Wcgab, thalwUrts, waldein •
Liegt, ringsum Föhren, ^'^rau und alt,
Ein Friedhof, eng und l<lein.
Am Krenze Moos und Moos am Zaon,
Kein Laut die Ruh' durchbricht j
Altklugen Aug's hinUberschau'n
Die Reh' im Hondenlicht.
Die Todten längst vergessen sind,
Kein Name lebet fort;
Man trog schon Kind nnd Kindeskind
Zorn Friedhof dicht am Ort.
Schlaftrunken riii^rs die Fichten steh'n,
Die Rehlein schau u darein —
Der Herr scheint durch das Thal za geh'n,
Es kann nicht stiller sein.
Vom Dorf klingt Abendläuten het;
Der Ton ruft: Weihnachtszeit!
Am Friedhof wird's Xacht mehr und mehr,
Diclittiockig still es schneit.
(Gedichte. Dritt« Auflage. ZOrich u. Stuttgart 1887. 8, 284.)
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Karl Weise
Geb. am 10. November 1S13 zu Halle a. > , orU rnte das I »rcohslerhandwerk und Ii» , ■«
sich nach längerem Aufenthalt in Frankfun a. M., Lübeck und Berlin in Freien-
mlde 0. als Dredutonndster nieder, wo er am 31. Ittn 1888 starb. „Freieiiwalder
Wh« Sadia.**
L Das kUngende FIteb am Schlobberg.
Was tOnt diirdi die nXchtiicfae Stffle
Herfiber an'a Uuuehende Obr?
Dort dringt es ans scfawiizlicher Hfllle
Umwaldeter Berge hervOT.
Laut stimmt es die Seele zur Freade,
Leis' weckt es Gefühle so bang.
Erst t"«nt es -wie AbendgelUute,
Daun rauächeud wie Kirchengesang.
Einst lauschte dort Abends ein Sänger.
Das freundlichste Plfttzchen der Flnr,
Es fesselt den Lauscher nicht länger,
Er sachte des Klingenden Spur.
Vom prangenden Teppich der Felder
Verschwand er, die Harfe zur Hand,
Hinüber In s Dickicht der Wälder,
Hinwandelnd auf felsiger Wand.
Was klingt hier aus duftenden Gründen?
Ein Bächlein mit flinimcnidcm Glanz;
In reizenden Schlaugengewinden,
Die Wellchen holdkrttnseind im Tanz,
Durchzieht es bewaldete Strecken,
KlUst Veilchen im Rasen und Moos;
Ihm Oflhen bei knospenden Hecken,
Zwei Hflgel den blühenden Schooft.
Wildwachsende Rosen zu frischm,
rniflnt« t < »Ii-' X.'sseln am Steig;
Wallt atuvärts y.u KrN nir^^Kiisehen,
Noch tiefer zu Ilasel/^-^t /w . i-j^;
Nun hüplt es von Klipjt. n zu Klippen
Hinunter zur blomigen Au',
Empfangen mit schmachtenden Lippen,
DnrcbAinkelt vom himmlischen Blau.
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- 71 -
Der Sänger zop: f^egen's Gefalle,
Bis, wo es, von Bergen umringt,
Auf wonniger heiliger Stelle
Verborgener Tiefe entspringt;
Bis, wo es in labender Friselie,
Von kosenden Blflmcben nmechmflckt,
Ans lieblichem Farbengemische
Die blühenden Flnren erblickt
Auf grünenden, bügelnden Matten,
Von rauschenden Buchen begränzt,
Wo Birken die Quelle beschatten.
Wo Epheu sie dunkelt und kränzt,
Hier lieb er die Harfe erklingen,
Eier sang er, von Andacht dnrcbglttht;
Der Banger, die Quelle sie ringen
Dem ewigen SchOpfer ihr lied.
In Kronen des Waldes versunken
Sinkt tiefer und tiefer hinab
Die Sonne, ein leuchtender Funken,
Hinunter in's purpnme Grab.
Nnn prangen in perlender SdiOne
Die Floren, o WonnegennDi!
Es kOhlt rie die himmllsdie Thrllne,
Es netzt sie der gOttUche Enb.
Es setzt sich der Sänger zur Quelle,
Die ninnuer und nimmer verstummt,
Die ewig, ob dunkel, ob helle,
Ihr Lied dem Allmächtigen snnunt.
ErzSble, Dn Tränte, erzähle,
Was hast Du erlebt nnd geschaut?
Vertrau' es der denkenden Seele,
Date sie es dem Liede vertraut
ErzHhle aus glücklichen Zeiten,
Wo Götter Dich kosend umlauscht,
Wo herrlich, zum Spiele der Saiten,
Hier Bardengesänge gerauscht
Erzähl' aus verflnsterten Tagen,
Entries'le aus schaurigem Grund
Urstoffe graus klingender Sagen,
An Wundem so reich und so bunt —
(Gedichte. Brater Band: Blumen dorWAlder. Zur Erinnerung an Fieyenwaldes
Fliuren. Freyenwalde v. J. S. 12— 1&)
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72 -
2. Die heiligen Halleo,
(GeeaogweiM: Lobe den Heizen.)
Sterbliehe P%er, die Hallen dem GOttlfehen banen,
Kommetp die Hallen ans göttlichen HSnden za sehanen!
Pilger erwacht!
Wenn sie bei ^forgenrots Pradit
:,: Himmlische Thränen bethanen. «,:
Herrliehe Sttolen, hoch raoaehfe in den Wipfeln! dort IBaten
Mahnend die Glocken, den grünenden Dom ta. dnrehflchreiten.
Bleibe nicht fem,
Wo sich die Anne des Herrn
Ueber die Betenden breiten!
Heilige Stille! — Wer predigt? Es tönt in der Tiefe
Fühlender Seelen, als ob der Allmächtige riefe!
HOrst Du es nicht?
Ja, der Allmächtige spricht:
:,: .Wandle gerecht, denn i<di prttfe*.
Wo Dich die Säulen des GiUtliclien blühend umwallen.
Lais auch Dein Loblied dem Göttlichen blühend erschaüen!
Jauchzend dem lierni,
Pilger von nahe und fem
Zieh't dnrdi «die heiligen Hallen!* :,:
(Gedichte. Erster Band: Blumen der Wftlder. S. C7.)
Emanuel (von) GeibeL
Geb. 18. Oktober 1815 za Lflbeck, empfängt sdne Bildung auf dem Katharineom
sehier Vaterstadt, ividmet sieh in Bona nnd iptter in BeiUn dem Btadiom der klassi-
schen litteratnr, wird HansMirer bei dem nissischen Oessadten in Athen, bereist
mit seinem Freunde Emst Curtius die griechischen Inseln, widmet sich, in seine Vater^
Stadt zm-ückgekehrt nnd IS}:? vom Könitz Friedrich Willieltn IV. durch ein lebens-
längliches Jahrgehult geehrt, ganz der Diditkuiist. Vom Konig Maximilian II. von Bayern
1852 nach München berufen und mit hohen Auszeichnungen bedacht, kehrte er nach
dessen Tode 1868 nach Lflbeck sarttck, wo er am G. A|Ntü 1884 starb.
Sanssouci.
Dieis ist der Knnifr>^iiark. I\in<,'-s Ulinine. lilumen, Kasen;
Sieh', wio ins Museliclliorn di«' Strintritoiifn blasen,
Die Nymphe spiegelt khtr sich in des lierkeiis Sehol's;
Sieh hier der Flora Bihl in holier Kos« n Mittm,
Die Lttubeugäüge sich, so re^airecht ge^schnitten,
Als würcn's Verse Boileaa's.
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~ 73 -
Vorbei am lntt*gm Hnb, toU fremder YogfMmausa,
LaA uns den Htng empor zu den TernuMen Uimmen,
Die der Orange Wneha mnkrttnzt mit lUbem Grün}
Dort obm ragt, wo IHsch sich Tann' und Bache nüscfaen,
Das schmucklos heit're Schlofs mit breiten Fenstemischen,
Darin des Abends Feuer glfibn.
Dort lohnt ein Mann im Stuhl; sein Haupt ist vorgesunken,
Sein blaues An^o sinnt, und oft in hellen Funken
Entzündet sieh'b; so sprüht aus dunkler Luft ein Blitz;
Ein dreigespitzter Hat bedeckt der Schlttfe Weichen,
Sein Krückstock irrt im Sand nnd schreibt verworme Zeichen —
Nicht irrst du, das ist KOnIg Frita.
Er sitzt und sinnt und schreibt. Kannst du sein Brttten deatenV
Denkt er an Kunersdorf, an Roftbach oder Leuthen,
An Hochkirehs Nacht, (iurchgflUht von Flammen hundertfach?
Wie sie so roth geglUnzt am Lauf der Feldkanonen,
Indes die Reiterei mit rai'selnden Schwadronen
Der Grenadiere Viereck bracht'
Schwebt ein Gesets ihm vor, mit dem er weis* und milde
Sein sebiacfaterstarktes Volk sa schOner Menschh^t bilde,
Ein FHedensgmte, wo Jüngst die Kriegespaoke scholl?
Ersinnt er einen Beim, der seinen Sieg verklXre,
Oder ein Epigramm, mit dem bei Tisdi Voltaire,
Der Schalk, gezüchtigt werden soll?
Vielleicht auch treten ihm die Bilder nah, die alten,
Da er im Mondenlicht in seines Schlafrocks Falten
Die suiiiic Je lüt" ergrül", des Vaters Ärgernis;
Des treaen Freandes Geist will er heraaf beschworen,
Dem — ach, am ihn — das Blei aas sieben FeaerrOhren
Die kühne Jflnglingsbrast zerrift?
Träumt in die Zukunft er? Zeigt ihm den immer TOllem,
Den immer kühnern Flug des Aars von Hohenzollem,
Der schon den Doppelaar gebiinrligt, ein Gesieht?
Gedenkt er. wie d« reinst ganz Deutschland hotl'end lausehe
l ud bangend, wenn tlaher sein schwarzer Fittich rausche?
O nein, das alles ist es nicht.
Er morrt: ,0 Schmerz, als Held gesandt sein einem Volke,
Dem nie der Mose Bild erschien aof goldner Wolke;
Aagost sein aof dem Thron, wenn kein Horaz ihm singt!
Was hilft's, vom firemden Schwan die weillien Federn borgen!
Und doch, was bleibt uns s^uist? Erschein, ersehen, o Morgen,
Der ans den Götterliebling bringt!''
L.iy M^cvJ cy Google
— 74 —
Er spricht* 8, und ahnet nicht» dafli jene MorgenrOthe
Den Horizont schon ktUIrt, daft schon der jnn^ Goethe
Mit seiner Rechten fast den vollen Krans berührt.
Er, der das schouc Kind, noch roth von süfscm Schredien,
Die deuteclic Poesie aus welschen Taxnshecken
Zum freien Dichterwalde fUhrt.
(Gedidkte. 72. Auflage. 1873. a 317.)
George Hesekiel.
Geb. am 13. Aogost 1819 sa Halle als der Sohn des Genendsnperintendentea und
Dichten FHedridi Hesekiel, empfing seine Schnlbilduig in s^er Vaterstadt und aaf
der Klosterschnle m Borsleben, studierte zuerst Thcnlorrje. dann Geschichte und
Philosophie und {fing noch als Student zur litterarischen Laufbahn über. Lan^ro Jabrt*
war er ßedaktear der Neuen Preursischen (Kreuz-) Zeitung in Berlin, wo er am
26. Februar 1874 starb.
I. Zwischen Sumpf und Sand«
Gott griiis' Dich, mMrldsche Haide
In heilem Sonnenglanz,
In grün und grauem Kleide
Und dunkler Kiefern Kranz!
Wie wogt*s von edeln Düften
Von Harz und Haidekraut!
Und drüber in den Lüften
Wie wirbelt's da so laut!
Die blauen Glöckchtji lauten,
In Waffen steht der Dorn,
Die Bienenschwärme beuten
In Schwad' und Haidekom.
Es summt und surrt geschäftig —
Ileimlieh Wallen und Weli'n —
Die Sonne spie<;eit sich prUchtig
In tiefen blauen See n.
Im Sande lialli begraben
Der hohlen Weide Stumpf,
Die Lijide st<>lii < rb;(I)cn,
Die Erle still im Sumpf.
Die Sagen werden lebendig,
Die grauen Zeiten jung,
Die Ilaide, sie ist beständig
Und hat Erinnerung.
Die Kiefer senkt am Brudie
Den Wipfel wie im Schlaf,
Als trUumt sie von dem Fluche,
Der einst die Wenden traf.
Hier an der Hügelwange
Da riefen: Waidmanns Heil!
Schon Markgraf Hans der Lange
Und Otto mit dem Pfeil;
Dem ist manch' Lied erklungen,
Wenn Liebe ihn verwund't.
Hier hat er sttlb besungen
Manch sttfSen rothen Mund.
Und seine Minnelieder,
Hier kling-en leis' sie fort,
Das Weh'n und Flüstern wieder
Wird sein melodisch Wort.
Dort auf dem Damm, dem langen,
W^ogto die grimme Schlacht,
Die zornigen Pommern zwangen
Mai'kgral' Ludwig s Macht.
Und ttber'n Wald herüber
Zwei stumpfe Warten seh'n,
Die Quitzow's Uedsen drüber
Ihr Stemenbanno' weh'n.
Digitizüu by C(.)0^1e
75
An jener grttnen Schanze,
Wie tehlng der Derffling gat!
Da brach im blut'grai Tanze
Der Schweden Uebeirnnth;
Da fuhren, wie eiserne Wetter,
Brandenburgs Reiler darein,
Und ihr Trompetengeschmetter
Brans'te dnreh Hark mid Bein.
Dort auf der schlanken Spitze
Am fernen Horizont,
Dort hat mit Fricdrich's Blitze
Sein Adler sich gesonnt.
(Zwischen Sumpf und Sand. Vi
Im Kirchlein dicht daneben
Ward eine Schaar geweiht
Zum Kampfe für das Leben
Und die Unsterblichkeit
Vom Kirchlein auf der Haide,
Wo sie den Segen nuliui,
Zog sie im schlichten Kleide
Mnthig naeh Notre-Damet
Was Alles einst gewesen,
Schrieb eine feste Hand,
Wer Augen hat zn lesen,
Zwischen Sompf und Sand.
dische Dichtungen. Berlin 1868. S 1—4.)
& Auf märkiscber Halde.
I.
Hast Da die Haide gesehen»
Wenn die Stfinne im Herbste wehen?
Die Kiefern sich tröpfelnd neigen
Mit regenschweren Zweigen?
Die Thiere fröstelnd im Lager liegen,
Die Wolken zerrissen darüberfliegen?
Die Raben am Dnrncnhago
Mit schwerem Flügelschlage
Und iieibrrni Schrei
Rudern vorbei?
Hast Da die Haide gesehen?
Den Hond darttber stehen
Mit fahlem licht
Und unbewegtem Angesicht,
Wenn die Nebe^ sich heben
Und wallen und weben
Uei)cr dem Luch
Ein Leichentuch?
Ferne verhallend ein Tlunilen^ebell
Und ein Lichtstrahl \ erschwiudcud schnell!
Ich habe die Haide gesehen
Im Herbst an solchem Tag,
Da mocbt* ich ancfa verstehen,
Was leise sie zu mir sprach.
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Vor sechs und fünfzig Jahren
Ein Herbsttag war's wie heat,
Da hat die Halde erfahren
Ein bitter Herzeleid.
Da stoben über die Haide
Die Trümmer von Friedrich's Armee
Der Sturm, der heulte sein Leide,
Die Kiefern, sie bebten vor Weh.
Durch märk'sche Haide flogen
Die raschen Wagen dahin,
In's Unglück fortirezogen
Die schone Königin.
Die bange Mütter im Wagen
Zwei Knaben h&tt sie mnfaftt.
Die sollten einst Beide tragen
Der KOnigskrone Last.
Hinüber Tielgestaltig
Jagte die schreckliche Flucht,
Nachraaeelte gewältig
Des Frankenheeret Wucht
Blutend und zerrissen
Hinsank das Vaterland,
Da barg das Preuisengewissen
Sich tief in Sunij i und Sand.
Da zuckt' es über die Ilaide,
Da raschelt's im Schilf am See —
Wir tragen um l'reufsen Leide,
Wir rufen um PreuüBcn Weh!
n.
Tiefer Schnee liegt auf der Haide,
Schwarz vom Kiefernwald umkränet»
l'nd als trüg' sie selber Leide
Matt die Sonne niedergUluzt
Ob der Eiche kahl und dflster
Sich die Dohle krUcbzend wi^ft,
Um den nackten Zweig der Rüster
Sich der Baahreif duftig schmiegt
Ueber glatte Wegesstrecke
Qner des Wildes Fährte länft,
Mächtig an der Domenhedte
Sich der Schnee im Winde häuft.
— 77 —
Wald uiul band und krumme Lauken,
Alles gleich in Eis und Schnee,
Wie wir Alle im Gedanken
An des Vaterlandes Weh.
Schwoigond lieg-t die märk sclic Haide,
Dicht ^^chüilt iu's Sclint'f<^c\vaiid,
Schweigend liegt in seinem Leide
Still das ganze Vaterland.
Und der Fremde t,'-laul>t's begraV)eu,
Und di r Fronide {glaubt es todt —
Uei! zum Lelelienschmauü die Huben
Krttcbzen schon das Gastgebot.
Df»eh die Haide ist an!" Wache
Unter weiiseni Leichentuch.
Und die p^rinnne Prenisenraehe
Flüstert ihrcü leisen Sprueb.
m.
r)a war der Lenz pfekommen
i'iiichtig iu Grüu und Gold
Und hat auf Lnch nnd Haide
Sein bnntcs Banner entrollt;
Ihm gingen die zarten Schäfchen
Am Weidenbanme vorauf,
Am Domenhage die Blttthen
ErrOthend sprangen sie auf.
Balsamisch wog-tcn die Düfte
Uelier das feuchte Kevier,
Die alten »Störclie bezogen
Freiiiliir das alte (Quartier.
In all' den Luclicn und Laaken
Waren «lie AVa^ser «'rwaeht,
Die Kielern lau>< lilcn und tauschten
Ihre Grülse sacht.
Die Schwalbe zwitschernd die Lüfte
Anf spitzer Schwinge durchftihr
Der Auferstehung erfreute
Sieh jegliche Creatur!
Da donnert's über die Haide —
Wittert's so fHib schon im Jahr?
Den reichsten Erntesegen
KUndct das immerdar.
Da wettert's mit Macht h erUber
Da donnert's Schuis aul Sehuis.
Da braust' es Uber die Haide
Wie ein eiserner Grufs.
Ein Len2 auch war gekommen
Ueber das Vaterland,
Der wettert Uber die Haide,
Der rasselt tlber den Sand.
Laut rief des Königs Stimme
Zum Kampf in Noth und Tod,
Du rüstet und da raffet
Das Riesenaufgebot;
Ks weht' uns an wie Kisen,
Kisen reckte ilie h'aiist,
l)ie alte lu.'irkiselie Ilaide
In Sturm und Dwnner brahst;
Denn als der Küni;^ «ji^erulen,
Da rief auch die Haide: „hicrl-'
Die alten Fahnen rauschten
Ueber das alte Kevier;
Die Wälder wurden lebendig.
Die Kiefern, sie hielten Tritt,
Die Luche und Knttppelditmme,
Sie kämpften gewaltig mit ;
Sie fafeten und /.ogen die Feimle,
Sic zopfen nnd hielten sie fest. —
Das ist die miirkiseiie Haide,
Die sieh iiiclit spotten l!if>^t I
(Zwiscbea Sumpf und Sand. VaterländiacUe Dichtungen. BerUu 1863. S. (iO— G7.)
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8. Ont-of-fhe-way-places.
Ziellos durch das Land zu fahren,
Kleino Stüdte aufzutinden,
Ötiidte, die in wenig Jahren
Werden ganz und gar yerschwinden,
Weil sie, fem von Eisenbahnen,
Leben müssen von der Ahnen
Oft nur karg gemess'nem Segen;
Solche Städte such' ich gerne
Mttbsam auf in Wald und Wiese»
Denn sie sind ein Rest vom Keine,
Draus erwachsen ist ein Kiese.
Freilich mUhsam ist solch Jagen
Nach den lieben alten Zeiten,
Knüppeldämme, Leiterwagen
Werden JAr manch' Weh bereiten;
Oft wirst Da des Sandes Beate,
Thier nnd Menschen bleiben stecken,
Und die Festkost braver Lente
Ist mitunter zum Erschrecken;
And're haben Eisenbalmen,
Hie behalten stets die Ptiltze,
And're speisen die i'asanen,
Sie vcrzrlireii ihre tirütze.
Einer kann nicht Alles tischen,
Nicht für Alle ist das Eine,
Wer sieh will am Wein erfrischen,
Nun, der fliege nach dem* Rheine!
Zu den Bergen zieht's die Damen,
An das Meer die Austerix sser,
Und die Kranken oder Lähmen
Fühlen sieh am Heilquell besser.
Doch wer von den alten Tagen
Hören in<M-hte leise Kunden,
Steig" jnii auf den Leiterwagen
Und vertrilume ein Paar Stunden!
Lieblich welit's vom See lierUl)er,
Leise, langsam, wie vel•dro^seu
Ziehen still die Wolken drüber
Gleichen Schritts mit nnsem Russen.
Um den See die kax^e Waide,
Die dem Wollvieh kaam behagte.
Und dann weit and breit die Ilaide,
Drin Herr Waldemar schon jagte.
Stille trüumeiul fortgezogcn
Und uiugaukelt von Gestalten
Sind die Stunden uns Terflogon — «
Lassen wir den Wagen halten!
Drühen liej^t im SoiiiK'ii-chi iiie
So ein alt und sauber Ü< ru lieiy,
Kiroh' and Thurm von rothem Steine»
In der Mauer Ansfallpförtehen.
Anf der langen Bohlenbrtlcke,
Drüber unsere Schritte drOhnen,
Wandeln wir mit heiter'ra Blicke
Zu der Stadt, der alten Seliünen!
Seit Jahrzehnten wie be^j^raben,
Ist sie doch noch schön geblieben,
Und mein Lied, das soll sie haben —
Scliün ist immer, was wir lieben!
Ei! sie lächelt uns so milde,
Zeigt sich nns im alten Glänze
Mit dem Fisehleln in dem SchUde,
Mit dem Thnrm nnd Maoericranze.
Tritt durch's Thor nnd »Herr Gevatter!«
Grüfst auch Dich der Thorwart bieder,
Sieh' es schwirrt kein Eiseng;atter,
Nur die Flucht d^T Tauben nieder.
Kühl und reinlich sind die Stralsen,
Wie gewuschen blank die Steine,
Menschenkind, o, kannst Da s fassen?
Da betrittst sie ganz alleine!
Draoflsen noch in Sand nnd Sompfe
An der Arbeit sind sie wacker,
Still die Frauen an dem Strompfe,
Laut ist nur der Gottesacker.
H( i (Im Hellen 'J'odten spielen
Olmc Scheu die lieben Kloinen,
Nach den Gräl)erii, ew'«::en Zielen,
Laufen sie mit nackten Beinen;
Und die alte Mutter Linde
Haoscbt mit leiser Mahnung driiber,
Doch das btmto Kleingesinde
Tobt in Jagendlust Torttber.
Zu dem Markt sind wir gekommen,
Und ein Huus mit Gicbelspitzen
Uat uns gastlich aufgenommen,
Lftfot uns freundlich niedersitzen.
Auf der Bank, der blanken, alten,
Die niitsammt dem schmalen Tische
Dem Jahrhundert Stand gehalten
iiier in dieser Fensternische.
— 80 —
UKdchen dann mit IHadiea Lippen,
Blondbezopfte, blaai^eaiigte»
Brachten Bier, das nur zum Nippen,
Aber nicht zum Trinken taugte.
Still und kUli! ist's im Gemache,
Kühl die weilson Sandsteinstufen,
Still vom KelK-r bis zum Daclio.
Xir<jen(ls Lärm und lautes liutcn.
Lieblicii Kauschen in den Bäumen
Drauisen, nirgends Fuhren, lieiten —
Ei! wie lieblich laikt rieh's tiHumen
Hier von alten stillen Zeiten!
Vor dem Fenster, kühn gezogen,
Steinmetzwerk, voll Kunst bereitet,
Hobt sich hoch ein Bronnenbogen
Grttn, von Hanslaach übcrkleidet
Doch kein Wasser füllt das zierlich
Ansgeschweifbe Bmnnenbecken,
Draus die Gräser nngebttrüch
Ihre dOrren Ilulme strecken.
Giebt kein Wiisser mehr der l^roimon
Mit dem hübsehen Sandstcin i-.ny-eiy
Nicht? die IMumpi- hat s ^^cwonnen
Mit dem ubgeriss'ucu Schweng«-!?
Frenndlich gab Bescheid die Alte,
Die im Kämmeflein gesessen
Und durch eine Vorhangspalte
Uns gemustert hat indessen.
„Ei durch eines MUdehens Locken"
Klef die gute Alte ehrlich,
«Ward der schüne Brunnen trocken
«Und die Plumpe unentbehrlich!'
«Ach!* sprach sie anf unsre Fragen,
„S'ist 'ne traurige Geschichte,
^Uiid sie hat sieh zngctrap;'en,
„Als noch juny: war mein (üesiclitc.
,Seht, da sehrä;^e i^ogenilber
_Hei dem Wirili /mv «j^riinen Tanne
„Dient', 's sind sechzig Jahr und drüber,
„Meine Muhme, die Johanne;
„War die schOnste, frommste Dirne,
„Soweit klingen uns're Glocken,
„Und um ihre weifte Stimc
„Flogen lange sehwarze Locken.
,AIle .Mäinier, jun;^' und alte,
„Sind umsonst ihr nachgezogen,
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— 81
^Dalö sio's mit dem Ilauswirth halte,
^Sagten sio, es war rrloj^foii.
^Einrs Abcmr.s hat t'rliitti rt
„Ihre Frau auch so gescholten,
«Und Johanna hat gezittert,
,,Doch*B mit keinem Wort vergolten.
^Aber schwer hat sie's empftuden,
»Und der Haueknecht aus der Eiche
„Hat am Morgen sie gefunden
.In dem Brunnen, eine Leiche.
^Ei, das ging von Mund zu Munde,
„Lafst ans Hais und Groll begraben!
, Keiner wollte seit der Stunde
„"Wasser aus dem Hriiimrn haben.
„Alse durch des Mädchens Locken,
„Die ihr srltter .so getahrlich,
„Wurde die>er nruunen trocken
„Und die Tuaipe unenibehrliehl"
Emsthaft sprach's die Frau im Eckehen,
Und mit ihrer blanen Schürze
Wischte sie ein kleines Fleckchen
Von der blanken Messingsttirze.
Solche traoiigen Geschichten
LalJB ich gerne mir erzUhlen,
Was die Menschen auch bericliten,
irrfii ist es, oder fehlen,
l'nd in uieiueni khünen Stiidtchen
Fliegen iihulirlir (iesejnehten
Oft nur an wie Sunnenfadchen —
StotV zu inaneiierlei (Jediehten.
(Zwiscbeu Sumpf uiiü Saud. VaterULudische Dichtungen. Berlin 18G3. S. 80—92.)
4. Märkischer Frtthlingsstraufs.
Drei Zwciglein von der Weide,
I>u (brachtest sie in's TIans,
Das ist von meiner Haide
Der erste Frülilingüstraufs.
Die Seliäfchcn an der W< idr
Sie sind liir luieli nicht >tuuuu —
^Vic stall' von Kieferzwrigi'ii
Das grüne Band darum!
Arcb.
Noch fegt der Stnrm dit; Haide,
Hestreut nnt Schnee die Bahn,
Und doch rückt schon von Weitem
Der cdlc Frühling an.
Va' (Ii<'*r1 w ie l'Iorki'lix ide
' L'nTs hiauiic Kuospeuhaus,
Die Schäfchen an d< i- Weid«',
Sie rücken muthig aus.
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— 82 -
Das siutl die ersten Boten j .So gehen die Gedanken
Des Frühlings hier zu Land, Den Thaten still voran,
Die halten auch dem Toben Und deuten, leicht noch schwankend,
Des SchneeBtnniis wacker stand. | Was bald soll werden, an.
Drei Zweig^lein von der Weide
Da brachtest sie in*B Hans,
Das ist von mttrkischer Haide
Der erste FrOblingsstraiite.
(FfeUend Ltnb. Gedichte. BevUn 1871. S. 79 -80.)
&. Aut der DreUlnden-Chronik.
Sommer 1866.
Drüben auf der hn itcn Halde,
An dem See, dem blauen, blanken,
Wo in ihrem gold'nen Kleide
Lieblich die Nyniphäen schwanken;
Wo das Sandmeer tief und tiefer
Leicht bewegt die Felder decket.
Und die fiehte märk'sche Kiefer
Sich zum Himmel knorrig recket;
L
I Wo im Luch die Erlen lauschen
Und die Birken ängstlich stöhnen.
Wenn die Finthen niederranschen
Und die WetterschlKge dröhnen;
Drüben in des Prinzen*) Walde,
In dem Jagdhaus zu drei Linden,
Bei den Linden, ach, wie balde.
Will ich neue Lieder linden.
V.
Erst war's ein alter llaidekni^,
.iel/t heilst das Haus drei Lindiii.
Und einen bessern Namen könnt'
Aach Meyerinck**) nicht finden;
Ks liegt in Lindenblfithen schier
Versanken and begraben,
Ein recht erquicklich Waldrevier,
Das Dichterherz zu laben.
Oft hat der Prinz die Jligerrast
Behaglieh hier gefunden,
Von drückender Gedankenlast
Ward er hier frei fUr Standen.
Im Hause IKfst er ein Asyl
Den Dichter freundlich haben —
Und edle Bosse Ittfist er still
Im Garten dran begraben.
(Fallend Laub. Gedichte. Beriin 1871. S. 98 n. 100.)
*) General-FeldmerschAll Prins Friedrich Carl.
**) „Oberhofjägeniieister von M., damals Hofmaischali des Printen.**
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— 83 —
Theodor Fontane.
Geb. am 30. Dezember IblD zu Neu-Huppia, verlebte seine Kindheit in SwinemOnde,
kttii mit 18 Jahna auf die G«w«rbflsQliiiIe in BerUn und unrde 1886 gegea seinen
Wnuioh Apotheker. Seine Sehnsaeht, in die litterarische Lanfbafan einzutreten, fand
erst 1S49 ihre ErffiUang. Reisen nach England, durch die Provinz Brandenburg, anf
die Schlachtfelder von Schleswig, Böhmen und Frankreich >,'iiben .seinem littorarisohen
Schaffen Bichtung und Inhalt Hochangesehen starb F. in £erlin am 20. September 1898.
1. Havellaad.
(Statt eines Vonravt's sa dem 8. Baad ^Wanderangen'*.)
Grüfs Gott Dich, Heimath! . . . Nach langem biiumen
In Deinem Schatten wieder zu träumen,
Erfüllt in dieser MaienlnBt
Eine tiefe Sehnsneht mir die Brost.
Ade dqh Bilder der letzten Jahre,
Ihr Ufer der Somme, der Seine, Loire,
Nach Krieges- und flremder WSsser Lauf
Nimm, heimische Havel, mich wieder anf.
Es spiegeln sieh in Deiiirui Strome
Wahrzeichen, Burgen, Schlösser, Dome:
Der JnlinB-Thnrm, 'den HHrehen nnd Sagen
Bis BOmerseiten rückwärts tragen,
Das Sehildhorn, wo beewnngen im Streite,
Fttrst Jazko dem Christengott sich weihte.
Der Harlnnger Berg, defe oberste Stelle
Wcitschanend trug nnsre erste Kapelle,
Dns Flauer Sehlofs, wo fVr>stelnd am Moigen
Hans Quitzow steckte, im Köhridit verborgen.
Die T' faue 11 i nscl , in <lcren Dunkel
Rubinglas glühte .Joiianiies Kunkel,
Schlots liabelsbcrg und ,,Schlörschen Tegel",
Nymphäen, SchwUne, blinkende Segel, —
Ob rothe Ziegel, ob steinernes Grau,
Du verkliirst es, Havel, in Deinem Blau.
Und schönest Du alles, was alte Zeiten
Und neue an Deinem Bande reiliten,
Wie seh(»n erst, was fürsorglirli lUogst
Mit liel»ondein Arme Du inüTHnirst.
Jetzt Wai?ser, drauf Elsen büselie schwanken,
Lücher, Brüeher, Horste, Danken,
Nun konmit die Sonne, nun kommt der Mai,
Mit dei' Wasser- Herrschaft ist es vorbei:
Wo Snmpf nnd Lache jüngst gebrodelt,
Ist alles In Teppich umgemodelt, —
6*
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— 84 -
Ein Biesenteppicb, blomengeziert,
Viele Meilen im Geviert.
TansendsohOnehen, gelbe Bannntel,
Zittergräser» hell and dunkel,
Und mitten inne (wie das lacht!)
Des rothen Ampfers lenehtende Pracht.
Ziehbnmnon Uber die Wiese zerstreut,
Trog um Trog zu trinken beut,
Und zwischen den Trögen und den Halmen,
ünt«^r nUhrendem Käuen und Zermalmen,
Die stille Heerde; . . . das Glücklein klingt,
Ein Lul'tzag das Läuten herüberbringt.
Und an dieses Teppichs bltthendem Sanm
Die lachenden Dörfer, Ich sühle sie kanm:
Linow, Lindow,
Rhinow, Glindow,
Beetz und Gatow,
Dreetz und Flatow,
Bamiiic, Damme, Kricle, Krielow, »
Petzow, Ketznw, Ferch am Scli\vilo\v,
Zachow, Wa(!hu\v und Grois-Bliliiiitz,
Marquardt- Uetz um Wublitz-Schlanitz,
Senzke, Leuzke und Marzahue,
Lietzow, Tietzow nnd Rekahne,
Und zum Schluft in dem leuchtenden Kranz:
Ketzin, Ketztlr nnd Vehlefanz.
Und an D< iiieii Ufern und an Deinen Seen,
Wim, stille Ilasei, sali>t all Du ge.scIiehnV!
Aus der Tiefe herauf die Unken klingen, —
Hunderttausend Wenden hier uniergingen;
In Lflften ein Lärmen, ebi Bellen, ein Jagen,
„Das ist Wlildemar^S sie flUstem nnd sagen;
Im Torfmoor, neben dem Cremmer-Damme,
(Wo Hohenloh fiel) was will die Flamme?
Ist's blos ein Irrlicht? . . . Nun klärt sich das Wetter,
Son n en .schein, Trompetengesehmetter,
Derfliinger greift an, die Schweden iiiehn,
GrUlb Gott Dich Tag von Fehrbellin.
Grüft Gott Dich Tag, Du Preuteen-Wiege,
Geburtstag und Ahnherr unsrcr Siege,
Und Grufs Dir, wo die Wiege stand,
Geliebte Heimath, Havelland!
(Gedichte. Zweite Tennehrte Auflage. (Berlin 1875.) S. ja l - jjj.)
^ kj i^Lo Ly Google
85 -
8. AllM atittl
Alles BtiUt es taxust den Beigeii
Hondenstrahl in Wald nnd Flur,
Und darüber tbront das Sdiweigen
Und der Winterhimmel nnr.
Alles still! vetgeblicli Jansehet
Man der KrKbe heisrem Schrei,
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bäehlein snnunt Torbei.
(Gedichte.
I Alles still! die Dorfes-Hfllten
Sind wie Gräber anznsehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofe stehn.
Alles stnil nichts bOr* Ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht; —
Heifte Thrflnen niedertropfon
Anf die kalte Winterpracht.
7. Auflage. Berlin, WiUk Herts 1001. a 18.)
S. Mittag.
Am Waldessaume träumt die FOhre,
Am Himmel weifse Wölkchen nur;
Es ist so still, dafs ich sie höre
Die tiefe Stille der Natur.
Bings Sonnenschein anf Wies' nnd Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als ström' ein
Leis tönend auf das Blättordach.
(Gedichte. 7. Auflage. Berlin, Wilb. HerU 1901. S. 16.)
4. Auf dar Kufipe der Müggelberge.
(Semnonen-Vlsion.)
Uebcr den Müggelsee setzt mich der Feiige.
Nun crklctt r ich die Miiggelberge,
Mir zu liäupieu lausclien die Kronen
'Wie zu Zeiten der Semnonen,
Unsrer Urahnen, die hier im Eichwaldsschatten
Ihre GottheitsstAtten hatten.
Und die Spree liinauf, an Buchten und Seen,
Seh' ich wieder ilir Lager stehn,
Wie damals beim Aufbruch. Tansende siehn
Hin Uber die Dahme . . . Der Vollmond schien.
Am Eierhjiuschon bebt es an:
P'ino Vorlmt. etiiciie dreii'sig Mann,
Ein Bardentrupp folgt von Friedrichshagen,
Wo noch jetzt Nachkommen die Harfe schlagen,
Bei Kiekemal and b^ Kiekebnscb
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— 86
Blasen Horner den Abscbiedstosoli;
Auf Flöfsen kommen Andre geschwcmmen,
Ilaben den Weg bis Schmöckwitz genommen,
Bis Schmöckwitz, wo, Wandel der Epochen,
Jetzt Familien Kaft'ee kochen.
Aus der „Wuhlhaidc treten, wirr und verwundert,
Geschwindschritts immer neue Hundert,
Und bei Woltersdorf und am D&meritz-See
Sammelt sieb sdion das Corps d'armde.
Jetzt aber — der Dümeritz ist iiberschriUen —
An des Zuges Ausgang: und inmitten
Erblick' ich Mädchen, erblick ich Fraun,
Alle thusneidisch anzuschaun,
Alle mit Batten, alle mit Hacken.
Dräns blond die kleinen Germanen kaeken —
So ziehen sie südwärts mit Kiepen and Kobern,
Von der Htiggel ans die Welt za erobern.
(Gedichte. 7. Auflage. Bsiün, WOh. BoU 1901. 8. 7&)
Carl Bolle.
Geb. 21. November 1821 zu Berlin, brachte drei Jahre seines Knabenalters in Chu-
lottenburg za und vollendete nach mehrfachem Wechsel der Schale die Haapuett
seines Gjrmnssislrtndinms auf dem damals nnter dem Dliektorat des spitena Ksd*
sistorialrats Fournier stehenden Collie. Besuchte die Universitäten Berlin und Boon,
medizinische Studien mit naturwissenschaftlichpn vertanschend und solche die jüngeren
Jahr«^ hindurch vermöge nelfaeher Reisen praktisch bethfttigend. Längere Zeit bie!?
ihn viie Erforschung der capverdiachen und canarischen Inseln von Europa enifemi,
aal wdchen letsteien er eine hervorragende Neigung zur spanischen fllpcaefae oad
latteratar gefnmn. Aoeh die Kematnis nnserer heimisehen Flora ist nach Kitltan von
ilim gefördert worden. Grofse Liebe zur Botanik hat ihn anf der ihm gehörigen Insel
Scharfenberg ein Arboret grOnden lassen, welch<'< -ü»' Mehrzahl der im mftrkischen
Klima gedeihenden Bäume and Stn4ucher in sicti vereinigt. Im Ehrendien5t seiner
VateiBtadt als Mitglied der Parkdepatation tbätig, wohnt Dr. C. Bolle gegenwärtig in
Beriia, wo er den grofsten Teil semea Lebens nigebraeht tiat
1. Ein Heim am Wasser.
T8nladnng an einen Freund.*)
1868.
Ein lieblich Fleckchen onsrer mSrkschen Erde
Hab' ich erwShlet mir znm beimachen Heerde
Daranf der Tage Best, den Gott will geben,
In Grün nnd Stille harmlos za verleben.
•i „U. Epenstein.''
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— 87 —
Rings Wald und See, umtönt von Rohrgeüüßter,
Die wilde Ente und den Schwan als Xistcr
Zu Nachbarn, und durch weite Wasserfluthen
Von Bösen ich gesondert wie von Guten.
•
R'm^^ Wald und See, doch nicht in fernen Zonen,
Wie im Exil die Weggezognen wohnen,
Xein, nah' dem Orte, wo wir All' geboren,
Kaum btundenweit von unsres Babels Thoren,
Auf diesem See, an Wimpeln reich und Booten,
Mit Ufern, die Asyl von grofsen Todtcn,
Wiegt sich der Jugend Lust mit Sang und Kliingen,
Erfrischt sie sich auf feuchten Wogengängen.
Dorthin sei nach des Tages Müh geladen,
Wenn's dir gefällt im Strom die Stirn zu hadon,
Wcnn's dir beliebt, dem Fall der Frucht zu lauschen,
Die sich vom Zweig löst mit freiwül'gem Bauschen;
Wenn da die HOdi dir Ittftt von meinen Ziegen
Und meiner Bienen Honig dir genügen;
Und nicht begehrest andrer Biiume Schatten
Als die zum Gast einst Humboldts Kindheit hatten.*)
(Biahisr nicht gedrackt.)
S. Ava dar Inselwelt des Tegeler Sees.
1. Scharfenberg.
1867.
Ist's nicht das Ufer, wie gemacht aum TrUumen,
Des Sees, an dem als Kind mein Herz schon hing?
Das niedre Dach, von ries ^;^en Waldesbäomen
Wie eingehüllt in einen grünen King?
Ist's nicht der Berg, den Ficht' und Flieder säumen,
Wo sich ihr Nest ban n Grasemück' und Fink? —
Was braucht von jenseit dieser Wrllo Schäumen,
Wer solch' Idyll von dem Geschick emphog?
Sei Ziifia<dit mir naeb schweren Sehieksalstonden,
Du hold' Asyl zu guter Zeit geftmden!
Nieht soll die Zukunft Gröiuw mir bewahre
Als dieser Inselwohnnng stille Laren.
Femher nur dring* ssom weinmnrankten Hanse
Der lauten Welt alltltgliches Gebraose.
„Ein aralt«r Apfelbaum auf Scharfenberg gilt der Tradition nach als gelegent-
Ucher LieblingMrits AleKandera v. Homboldt in seiner Knabeaseit"
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88 —
2. Baamwerder.
Gern grtUlB' ich deines buschigen üfen Kante,
Baamwerder, lang^' entwöhnet schon vom Pfluge,
Dorchflatiert nnr von wilder Vögel Fluge,
Das einst man nadi dem hohen Waldwucbs nannte.
Nur eine Säehe noch, werth, dato sie bannte
Des Baomfireunds BUck, blieb an des Strandes . Boge
Ganz nnversehrt, in vollen Saftes Zuge,
Als einzige vom Beil nicht übermannte.
Ein Espciibain säumt zitternd kleine Wiesen.
Der Kahn legt an voll lebenslnst*ger Paare,
Die jnbelnd freie Brache hier begrttften.
Rtrandabwärts aber auf feinsandgen Banken
Gewahrt man Badende mit feuchtem Haare
Tritonen gleich sich in die Flut versenken.
3. Reiswerder.
Am Schlimmsten hat da wohl der Meuscli gfewilthet.
Noch kein Jahrzehnt ist's, als hier hig- ohi Garten,
Den Erl' und Fichte als (Jcheg' bewalirten,
Drin man zur Sonmicrzeit das Eis geliütet.
Da kam't ihr Kugeln, die ihr Unheil sprühtet. —
Ein neuer Hei r. \vnhl einer von den Harten.
Weg mit dorn liaumwiiclis, dc?;s schon Kiiufer harrten.
Weil für das lloiz man wcn'gc Tliaier bietet
Hin sanken auch die blendend weillsen Wände,
Die einst, anheimelnd, deckt' ein wohnlich Dach.
So ging mit KeiBwerder es schnell zu Ende.
Zur Wüstenei ist er seitdem geworden,
Bei der der Kngelsucher ein nur sprach.
Der scheuen Tritts schleicht an verbotnen Orten.
4. Valentinswerder.
Unähnlich ganz den Schwestern, de-n .so >iillen,
Von denen sonst er wenig unterschieden,
Ist Jetzt dem Valentin das Loos beschioden.
Sich mit der Menge lauter Lnst zu fUllen.
W«'ithin erglänzt der Strand \un weiisen Villen.
Die Dampfer lassen ihre Kcsst l si. d«'n.
Nie von der Passagiere Strom gemieden,
Per froh sich dränget nach verschiedenen Zielen.
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MiiBik dnrchtOnt des Tanssaals weite Hallen,
Und Tische stehen rdh'nweis unter Linden,
Durch die im Sonntagspatz die Gttste wallen.
Anders bei Vater Bruckmanu war's vor Zeiten.
Da gab man nur die Segel preis den Winden,
Allein sich firenend an der Boote Gleiten.
5. Maienwerder.
Fast kalil und liin^rst von jedem l?eiz ^csp&net
Liegt Maienweider nah des Festlands Kunde,
Das schwach besuchte, Wengen nui- bekannte,
Wo keine Birke sfiften Saft mehr tbrOnet
An harte Arbeit hat man es gewöhnet,
Das nur des Lebens Prosa znirewandte,
Die Feldirueht n;ihrend auf ^ediinf^tem Sande,
Vom Lied des Kulurspatz nur im Schilt' umtünet.
Da AschenbjrOdel nnter den Geschwistern,
Von diesen Inseln dn am meisten liagd,
Warst niemals da nach besserem Schicksal lüstem?
Sah'st tritumend nie du der Veranda Kebcn
Und, hell erschimmernd durch Cypressenpracht,
Auf dir sich dnes Schlosses Bau erheben?
6. Hasselwerder.
Ein hohes Land, so darf man wold es nennen,
Ist Hasselwerder, grad' im Angesichte
Von Tegel, dem viel wilden i}uscli\\ erks Dichte
Bekleidet noch die blumenreichen Lehnen.
Karg nor darf sich des Vorlands Hasen dehnen,
Auf dem emporwuchs jene ries gc l ichte,
Die nnt des Wipfels dinikcinrh-iii (Gewichte
Des Seees Horijsoute liebt zu krönen.
Von Menschen anbewohnt, aof schmalem Grate
Selbst von der Heerde Zahn noch nicht zerbissen.
Blieb diese Insel firel von Hack* and Spate;
Und sjtit^istcn nocli dei" l'iclienstiimme Lehden,
Die sie umhüllt mit grünen l-insternissen,
60 war' sie heut noch jungfräulicher Boden.
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7. Lindwerder.
Nicht wUr' envünscht es, dafs Lindwerder fehle,
Ein winzig Glied im kleinen Archipele,
Den iiiebenflUtig ans der 8ee gespendet,
Wo Tegel Ktthne hin zur Havel sendet.
Wie lieblich wirft sein Bild zurück die Welle,
Auf blauer Fluth allein 'ge grüne Stelle,
Wohin ein Aug', das stttin'gea Flimmern blendet,
En hoher Rttoter Schatten gern sieh wendet
Ein wild Gewirr von Busch und Vt roniken,
Drin selt ne Menschen^pur auf gras'geni Stege,
Vom Rohr verhüllt vor indiskreten Blicken,
Des Ortes Zauber in ein Wort zu fassen :
Fernher ein Nachen auf dem Schwancnwegc
Scheint er von Feen einstmals stehngelassen.
8. Reiherwerder.
Noch hUng^t der stille Ort am alten Namen,
Geht auch der Ptlug, wo Hochwald einst gewesen
Aul Keiherwerdcr, den sich auserlesen
Zum Horst einst Angler ohne Kuih' und Hamen;
Bis dals die Tage minder prünstig kamen
Kür Nest und Brut in dem gemeinen Wesen,
Drin die von schupp ger Wasserbente äsen,
Kiiiiii mit dem Falken selbst den Kam])i aufnahmen.
Das luftgetrag ne Dorf der grauen Fischer
Verschwand, gescheuclit von hoher l'ferzinne,
Wo von der Havel her der Wind weht frischer.
Im Waldesdickicht birgt der Keiherstilndc
Verlomer Hest sieli Hingst zur Zeit der Minne,
Gel'afst drauf, date auch diese Ein'gung ende.
9. Schupperlswerder.*)
Wer viel aus alten Büchern hat erfahren
T^nd eifrig schr.pft" aus Klios Wissensbronn,
Dem ward wolil Kunde vdn San Borondon,
Nicht unberühmt als aelitc der Canarcu,
Die selten nur, ein geisterhaft Gebahren,
Erschien als paradiesische Region
Und die zu suchen mehr als ein Colon
Vergebens war aufs hohe Meer gefahren.
*) „Diesen hslbvergessenen Namen trog tbatsftchlich fraher der Osffiehe Theil
des Valentinsy von diesem doreb einen jetst veisampften Wasserarm getrennt.**
— Ul —
Dem ähnlich spukt's in onsres See's Nebeln,
Dnrdi kleinrer Wasser DOnmieilidit yerhüllt,
Ganz nnerwtthnt bei Bergbaus oder Scbwebehi.
* Von Schuppertswerder kennt maa nur den Namen,
Gefragt, lebt Keiner, der die Nengier stillt;
Doch wnfSten's Manche, welebe vor uns kamen.
10. An die in alle Winde versprengte Colonie von Valentins-
werder.*)
1878.
Noch stebn die Bftnme, die ench Schatten boten
So lang' zn fHedlicher Villeggiator,
Wo, wenn der Wind durch hohe Wipfel Ahr,
Ihr Frende hattet an den Segelbooten.
Entlang dem Ufer, dem für Euch Jetzt todten,
SpKh' ich nach enrer kleinen Zellen Spur
Nie spät genug schlug dort der Rückkehr Uhr
Den damals vom Exil noch nicht Bedrohten.
Wer kannt' hier besser Buchten und Gestade?
Wer auf den Inseln war ein lieh'rer Gast,
Furchtloser kreuzend jene Wogenpfade?
Drum lasset den, der Eure Liebe theilet,
Auffrischen Bilder, die nun bald verblalst.
Wer weiÜB, wie lang* er selbst am See noch weilet!
11. N ii c h 1 1 i c h e Feuer.
Die Nacht ist stcrnenlos herabgesunken;
Da sieht am iSee man Feuer sich entzünden,
Die, angefacht von lauen Sommerwinden,
Goldhcll aufsprUhu in Flammen und in Funken.
Wie schön ist doch der Loho rothes Prunken!
Genährt vom Kirnkiuick neben dürren Rinden
Mag sie des Anglers spüte Wacht uns künden,
Wenn rings die Welt schon ruhet schlafestrunken.
Ks folgt, wem solchen Bivaks Lodern winkte,
Gleichgültig gegen weich'ren Lagers Mangel,
Wohl einem allgewaltigen Instinkte.
Mii'sgönnct nicht dem Manne sein Behagen,
Wenn er die Beut' emporschnellt mit der Angel!
LaTSt Fischer fischen, wie die Jttger jagen.
(Vorher noch nicht gednickt.)
♦) „Voui Dichter an seinen lieben Freund H. Scbalow apeoiell gerichtet, der
lange Zeit Sonunergast auf Valentinswerder gewesen ist und daselbst den Gnmd su
seinen wertbvoUen ornithologischen Beobachtimgen legte.'*
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— 92 —
8. Hawbsa In Sditrtaberg.
1888.
leb bau* ein Hans — und morgen wird gerichtet —
Am Inaelbofd, ans Steinen fest geselilclitet»
Wohl tiefer sieh yersteckend zwischen Orttn,
Als sonst es Brauch nnd Sitte am Berlin;
Ein Obdach, drin man trftnmt, vielleicht auch dichtet.
Was sonst die Parze noch nns gOnnt, verrichtet
War einst gewohnt von Strand zn Strand za ziehn
Und sah der Tropensonne goldroth OlUh'n.
Gar manchen holden Ort hab" ich bewohnet.
Jetzt eignen Heimes Ranch allein ersehn' Ich,
Dera schon d!e Jahre eng'rc Schranken stecken.
Ob wolil der Bau die kurze Frist noch lohnet?
Dem Sjfielnest gleicht er, das ein kleiner König
Gefiedert flicht sich zwischen Zaun und Hecken.
(Vorher noch nicht gedruckt.)
4. Zu oah' dem Schlefiptatz.*)
(Fragment in Teninen.)
Ein See liegt nordwärts von Berlins Bannmeile,
Zn dem Im Sommer, grttn den Hnt bekränzt,
Viel Volk sich drKngt in flrohgcstimmter Eile.
Da, wo an^ Hn velland der Barnim grenzt.
Sieht Wälder mau in seiner Flulh sieh spiegeln,
Die blan, wie nnr das Mittelmeer, erglänzt.
Leicht brandet sie am gras gen Saum von Hügeln,
Bald klar sich dehnend, uiiermelslich weit.
Bald sanft versprühend unter Scliwanentlügeln.
Bi'seliirmt vom Dach, das Taunrndickicht leiht,
Mit dem sich kuorr'ge Kicht'nkronen gatten,
ümduftet von der Kosen Lieblichkeit,
Giebt's Steine dort, geweiht erhab'nen Schatten,
Mit hehren Namen drauf, die Deutschlands Stolz,
Die glänzender nie fremde Länder hatten.
Und sieben Inseln, reich an Kohr und Holz,
Die, wie Xympli.Tn, auf Strömungen sieh breiten,
Erfreu'n sieb da des Beifalls flüchtigen Zolls.
Sie mhn in tiefen, bnsch'gen Einsamkeiten,
Als hätten nie der Weltstadt Schein nnd Bauch
Nächtlings geschanet sie auf Meilenweiten.
*) „IKwer vicljährigen Gefährdung, welche Scharfenberg lange einen anhdinUclMii
Baf verliehen hatte, wurde dasselbe 1883 durch Beichstsgsbeschluss ledig.**
Drei dieser Inseln, also s^laubt' ich andi,
3ei*n mir zu aieherem Besitz beschieden,
Weil ich erworben sie nach Rechtes Brauch,
Well anf der Einen ich ein Hans üi Frieden
Gebaut hatf , nestgleich, hinter Spreewaldsrrttn,
Das Flora nicht nnd nicht die Mosen mieden.
Ks wollte Niemands Blicke auf sich ziehn,
So schüchtern barg sich 's unter ries'gen Bäumen.
Nur Wen'gen war bekannt es in Berlin.
Mir war's Asyl. In seinen solilichten Hiiuraen
Zehn jahrlang' lebt' ich, als des Eilands Gast,
Dem Pflanzen hingegeben und dem Träumen;
Bald stumm gelehnt an meines Fahrzeugs Hast,
Bald wiegend mich in meines Rosscs Bügeln,
Bald Ton.den Ästen schüttelnd silfse Last;
Dem Reiher folgend nnd der Möve Fitigeln,
Des FisebM Silberblick, der aufwärts schnellt.
Nicht moeht* an der Natur die Lust ich zügeln.
Vergessen von der Welt, mied ich die Welt.
Es war allein auf jene Seegestade
Mein Wunsch und meiner Sehnsucht Ziel gestellt.
Dort liebt' ich es, zu lagern nach dem Bade,
Froh an den Ii'liederhecken sanft zu ruh'n,
Hinabzuschanen anf verwachs'ne Pfade.
Es war kein lautes Glück, kein w^os Thun.
Nicht Vielen, aufser mir, mocht' es ^( iiü^en,
Mir war's was ich erstrebte einst und nun.
Wer liätt' auch nicht geschauet mit Vergnügen,
Wie grün un<l grüner Baum sich hob und Strauch,
Die rasch empor mit üpp'ger Jvroue stiegen.
Wie von dem Rietgras zu des Daches Lauch
Jedwede Pflanze sich mit Urwaldsfrische
Entfaltete in feuchter Seeluft Hauch;
Wie keine Axt mehr scheuten die Gebüsche,
Und wie man hoffen dürft' in kurzer Frist,
Da(^ junger Wald sich mit der Feldfrucht mische.
Das war's, was du, mein Seharfenberg, nur bist.
Zu viel der Freude dünkl's wohl dem Geschicke,
Das Wermuth gern in Nektarschalen giefist.
94 -
Wohl ftchien die Intel naohbarioe dem Blicke,
So hatte anfangs selber ich geglaubt
Und fast geArenet mich an diesem Stdcke.
Der Wahn ward leider mir zu bald geraubt,
Als drUbenher. fern aus der Jungfeniluiide
Die mUclit gcn Kugeln mir gesaust um's Haupt,
Die Sobiffsgescliosse iu dem Gui'sstahlk leide,
Blitzschwnngrc Bolzen, die vom Schiofsidatz aus
Darch Luit aud Wasser kamen, mir zum Leide.
Jetzt hatt' ich Krapp zom Nachbar, der, o Graus!
Thor und Vulkan, mir den erhitzten Hammer
Vernichtend schmetterte auf Flur und Haus.
«
Seitdem flofe viel des Wassers hin ztmi Heere.
(Ksher noch nicht gedrodtt)
6. Am Grabmal Knnths im Tegeler Schlofiigarteo*
Fünf Linden ragen hocli in Waldestiet'e.
Ein Grab daran ter, angelehnt an Mauern.
Manch Menschenalter mag es ttberdauero
Mit seiner Inschrift kurzer Hierogh phe.
Ist's nicht, als ob gudUmpft ein Eelio riefe
Zu allen Hörern und zu allen Schauem,
Die Seele füllend mit tiefernstem Trauern,
Denkt dessen, der hier ruht, als ob er schliefe.
Ein herrlieh Erdenl<i< s sich ihm entrollte.
Sein Wissen, reich und schön. 7m taiis' ndmalen
Dürft' er es giedsen in demautne iSchaien.
Es deckt dies Grab den Lehrer der Humboldte.
Wer mOehte gern Yor dem das Haupt nicht beugen,
Der seinem Ruhm erzog zwei solche Zeugen?
A. Die Ficbte von Hasselwerder.
Kine Fflnprsche an Frau Gabriele vom Bfllow, geborene von Humboldt
1877.
Auf Hasselwerder hebt sich rothumrindct
Ein Fichtenbaum als ragen4,er Colol%
Den, weithin schweifend, leicht das Auge findet
Von jeder Scholle, die der See umflofs.
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— 95 -
Wohl blieb von euch, ihr Riesen, die ihr sehwindetf
Er übrig noch als letzter Urwaldsprofs,
Der hoch sein Schirnidach trägt, wo's stürmt und windet,
Ein Schmuck des Eilands, einsam, stolz und groi's.
Ihn grIUiBteii Haaehe, die den See befahren.
So gern wie mein's, kein sterblich Ange wohl,
Weil er und ich so iaage Nachbarn waren.
Vom Steinsitz, der die Stirn des HUgels krOnet,
Webt Bwischen nns ein Band sich liebevoll,
Und seines Anblicks wir' ich schwer entwöhnet.
Drnm fOr die mirksche Pinie will Ich bitten,
Die länger ntfn als ein Jahrhundert schon
Sich fest and fester dürft* ins Erdreich kitten.
Des Seeaars nnd des Kormoranes Thron.
Die Eiemeute waren s, welche litten,
Daita sie tkh wölbte mit so mttchfger Krön';
Es schonten ihrer in des Sees Mitten
Blitz, Sturmwind, Schneedruok und der Finthen Drohen.
Sie war ein liiiuinclipn, für ein Kind zu brechen,
Als neben sich, auf aeiner Väter Land,
Sie einen Knaben f^ndlich hörte sprechen,
Der nicht sie brach. Nur leise wollt' er reiben
An ihrer Knospen Balsamharz die Hand,
Die einst der Menschheit sollt' den Kosmos schreiben.
Gleich einsam sind wir: ich und die Dryade,
Dio in <ler Ficht' auf" Hass^chvcnlcr haust;
GhM< li prcisfjfgeben und der M;ichi'^n-n Gnade
liedUrltig, gleich verfolgt von stärkrer Faust,
Ihr drohet von geschliffner Axt der Schade,
Mich schreckt das Wui-fgeschol's, das graunvoU saust
Um Scharfenbergs verwunschene Gestade
Au dem da, Flora, holde Gälten baust.
Ob uns der Strahl noch leuchten wird, wenn wieder
Der Frühling naht und sanft auf Tegels Flur
Die Sylvien wieder schütteln ihr Geiieder?
Wie düstre Schneelnft durch der Wolken Risse
Jetzt sinkt, verwehend weiAer Flocken Spnr,
Schaa*n zagend Baum nnd Mensch ins Ungewisse.
«
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- 96 -
Dir aber mag das bessre Loos pcwUhrcn
Die Herrin, weldic mild dein Schicksal wäfjft.
\(H'li Inii^''' Hingst du am Saum der Malche*) wUbreu,
Deiu ew gcö ürüii vom Zephyr leicht bewegt.
Zwar sanken um diel), gleich dem Ualm der Ähren,
Die alten Eichen, die dich treu umhej^t.
Sei's ein Grund mehr, dais nicht der roniferen
Erhabenster das Beil den Stamm zerschlugt.
Dich hätte jener grofse Baomverehrer
Fürst Pückler wohl bezahlt mit vielem Gold,
Dafe er dich schützen möcht' vor dem Verheerer.
Ich, der der Groben Schwelle nie beschritten,
Kann heut nur thnn, was ich schon llCngst gewollt:
Um Schutas dir dich die Tochter Humboldts bitten.
(Monateschrift des preossiscben Gartenbauvereins. Februar 187R)
7. An unsere Spree.
Xajad«', bekränzt mit Klsen,
Fluisgilttin heimischer Sjin c.
Sanft Hilst dein Xais du bich wiilzcn
Stromabwärls zum Jlü^^gelsee.
Vom Walde, dem blieb dein Name, |
Der traumhaft im Schallen ruht. ■
Bis wo >ich vermischt die Dahme
.Mit deiner windischen Flut;
Bis wo du hast Kuh' gefunden
Im Flüsse, (b'n Schwänen hold,
Wo S|ian(lau (b ii Tiii'iii. (b'ii runden,
Läist ragen voll t'rankniiiobi.
Ihi hast nur ein schlichtes Kinnen,
Das einfach und stille <:;-eht.
Den Weltruf dir zu j^ewinnen,
Dran hast du gedacht erst spät.
\Vohl rollt mit stolzerem Prangen
Manch Kinnsal, Europas Zier,
V'om Xcwabord, eisuniha!i<rcn,
Fcndiiu zum Guadalquivir;
Vom Tajo, camoensbcsnngen,
Ins writf Wcltnreer entleert,
Zur AN olga, die leckeren Zung-cn
Den ätcrlet schenkt und beschccrt.
Frfrischet hat mich voti tb iien
>laii< Ii eines mit kühlem Kuis:
Wif konnnt s, dais allein mich sehnen
Xach dir ich. o Spreea. mulsy
Dal's mehr als der Donau \ValleD,
Die".s mächtiii" />'!<'lsi zum Kuxiu,
' Mir tä-licli flu willsi gefallen,
' Bescheidner Fluis von Berlin?
Ich denk' an deine ("arinen,
An Käscher und Anj^elruth',
An Stralows AVri'len. im (irünen
Drn Schatten werfend so gut;
An Aale, die Rensen spenden — .
Ob Fische, ob Schlangen sind'sV
An Fnische mit satt'gen Inenden,
j Grois wie ein verwunschener Prinz.
' leh danke in Traum und Wachen
i Dir S]>r<'e, an der Kind ich war,
j l'ür Bad und Fisbahn und Nachen,
I Für Brii>en, wclieud durchs iiaar;
■
Für Schufö, der im Binsicht knallet
Die Fietzc, die Kntc schreckt,
l'ür ^Va>serwrasen, der wallet
Und leidvoll Krinncrmig weckt;
*) „Die MaMie i.st l iiie weite Bucht des in Rede stehenden See's, welcber
Haaselwerder sich vorlagerU"
Digitizec
— 9T —
Für tjuisende von Geschenken, j
Durcli dich «geboten ^^ar mild,
Soweit, lün^s den schilfg«'!» Hlänkeii, ;
Die Strömung olivenfarb quillt. >.
Sie haben im Lied m'-epricsen
Dich wen'jj^cr oft als den Rhein,
Hast doch zwischen Busch und Wiesen
öu Eiu'gcs mit dem gemein.
Seid beid' ihr niclit deatsehe FlflMe,
Abspiegelnd in euren Wellen
Des Vaterlands GrOfs' und Sttl^e
Bei diesem und jenem COln?
Auch wo du springest aus Grotten,
O Rhein, in der Rhlitier Gau,
lici (ieniswild und l)ei Marmotten,
Von Gletschern, so Icalt und so blau;
Auch wo dn dich birgst in Rohren,
Mein Spreefiufs, ein Sorbenkind
Aus niedrigerra Fels geboren,
Im Kicsbett murmelnd geschwind,
Da klfaigts eneh in flremden Zungen :
Ladlnerwort, Wendenlaat. —
Was einst an der Wieg* gesungen,
Bleibt bis zum End' uns vertrant.
Drum mOgc der Strom gedenken,
Den sieh die grofse Stadt labt:
Kann's die Berlinerin krMnken,
Dafe sie wcnd'sehe Amme gehabt?
(DerBftr. Illnstriorte Woehcnsehriit f. vatnländ. Geschichte. XIX. 189.1. S. 100.)
8. Der Stein im Humboldthaia.
(1888.)
Kill Tumnlu-^ ans niiirkisclicii (Icschiebcn,
Don <lir getliürmi die licV)e \'atrr.stadt,
Die nicht den (Ji-öiseren geboren hat,
So lang nie auliagt aus dem Sprecthal drüben.
Du schiedst. — Dein grolser Name ist geblieben.
Vm Stein, geschlitf«'!! von der Crflnth glatt.
Soll hier er schweben als ein Ruhmesblatt,
Wie sich kein schOnres je Berlin geschrieben.
Mag Erz und Marmor kUnden deinen Namen,
Mag prangen er anf glHndzend'ren Altfiren,
Als dieser hier, wo wir dich fh)mm verehren,
Vor allen Andern, die von fernher kamen,
Sind wir vcrbiiiidiii dir durch inn'ge iiande,
Der Wcltenstaub gemischt hat unsroni Sande.
(Miltbeilung des Veicius für »iie Geschichte berlins, 1888.)
ü
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— 98 —
9. Der heilige Bielbogweg.
Ein Kloster stand im Pommerland,
Eh' Ponimeriand ward Protestant,
Beibog von altersber genannt,
Darin der Abt, der Jesum pries,
Den Heidennamen dauern liefe.
Denn Bielbog war des Lichtes Qott,
Deik mild erlösendes Gebot
Von Land and Heer verscheacht die Noth,
Solang' als Svantewit er stand
Hoch auf Arkona's Feisenwand.
Der gleiche Nam' an andrem Ort
Hat heimlich sich gepflanzet fort.
So heiilst ein Steg nach jenem Wort
Xdcli hout'f^cn Tag^ nah Tx'i I^crliii*),
Hinschlängelnd sich durch WaldesgrUn.
Indefe viel hundert Jahre lang
Das Wasser rann die Spree entlang,
Vererbte sich der Vorweltsklang
Vom Urahn stets dem Eiikelsobn
In stiller Brust als lieber Ton.
Den Bidbogweg mag gern ich gehn,
Wo hoch die Fichten ringsum stebn
Und Obdach leihen frommen Reh'n.
Auf ihm CS Ntcts wie Frieden lag,
Glciciiviel wohin man wandern mag.
O, wSr* doch rings um unsre Stadt
Jedwede Strab' ein Lichtgottspfad
Für edle That und guten Rath.
Wir bitten, dafs ein Seg'en lag*
Auf balbvcrgcfs'nem Bielbogwcg.
Gegrübelt ward schon hin und her.
Ob auch der Nam' authentisch wUr*.
Ich halt' es nüt der alten Mähr.
0, wischet nicht mit Illtnden rauh
I^ns weg (las bischen Himmelblau.
(Der Biir. lUostrierte Wochenschrift für vaterllUuiische Geschichte. XX. (1694.)
S. 229.)
•) In ciiuMii Ciri nzprotukoll ans tlor Zeit des GrofBon Kurfdrstcn, in welchem
ilir iin-nzi'n zwix'lif'ii 'Icr Jk'rliner Ilci'le uwA il* r nlti'ii Si)an<luiier Nonmiihcitle ffst-
gohftzt wurden, las liiiicui eiiu- «cliwer zu eiilzilU-imle St»'lle uls; Ibili;;«'!' Ilfiiuijiweg,
eine Auffassung, die allgemeine Anerkennung nicht ^cfnnden hat.
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— 99 -
10 PfiniMiiiiseL
IS. August 1891.
Ein Eiland, keinem sweiten zu ▼ergleichen,
Sc'lnviinmt lotosg-leich auf blauen Ilavelseen.
Das Heim scheint's noch zu sein der holden Feen,
Die längst von andrem Orte mullsteu weichen.
Der Pfaucntiupp liiiat unter "Woduuseiehen
Des Schweifes Rad in farb'gem Glanz sich drehen.
Higr durften KOn'ge kommen oder gehen,
Vergessend, dab sie Herrn von mitcht'gen Beiehen,
Und wünschend nur, am stillen Strand zu bleiben.
Wenn jetzt vorbei den FHhnunnn Flutlicn treiben,
stül'st ans Land ungern sein Boot im Dunkel;
Es schaudert ihn, denn sah n nicht nUchtlings Fischer
Den unigohn, der einst haust' hier als Giftmischer?
Das ist's, was noch die Sage weil^ von Knnkel.
(Mittlieihingeu des Vereins fQr die Gesclüclite iierlin». 189L)
11. Der Hnvenow.
Es birgt ein See sicii in des Krdreiehs Falten,
Wo man die GrafschniTt hieis einst nach Kappin,
Dem alle* l?»'ize die Natur verlieh'n.
Die märkscher Boden jemals duri'l' cntl'altcn.
Als ob er schlnmmre, liegt er da im alten
Und miyestät'schen Buchenwaldes OrQn.
Ein jedesmal, wenn er mir neu erschien,
Anfblitzend durch der Vorzeit Baumgestalten,
Fühlt' frf'titli^rr die I'nNo icli orbclM'n.
So weltviT^Tsscn schlän^ch bWli diT SiMi-^^^el,
Um den die Kicsenslänuue aufwärts streben.
Von fernher sieht man nur die Spitzen ragen
Aus tiefer Waldschlncht, schreitend Über Hügel,
Die Saatengrttn allein und Fichten tragen.
(Bisher nicht verftifentlieht)
7*
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— 100 —
12. Am Huvenowsce.
Scbarfenbei]g im Mai 1880.
Der lluvenowsec lag im Frtthlingsgewaod,
Vom Buchenwald j»erlgrau und maigrUn umspannt
Bald aufwärts, bald abwürts, den Hcr^ipfad ontlano:,
Durch rasclielndcs Laub hin verlor sitli mein (iMnjr:
An Wassern, dem KJord «>-leicli von Xorwe^^ens Meer,
llercynisclicn "Wald s schmaler Streif rings umher.
Und da, wo die Wildnifs am heimlichsten graut,
Ein Tumulus ragti in der Urzeit erbaut,
Dem der Borgwall sich anlehnt im Schirm der Fluth,»
Drin der fischende Wilde barg karges Gut
Wem thftrmten sie wohl hoch einst dies Httnengrab?
War's ein HSnptling greis, wankend gebückt am Stab?
AVar's ein Knabe 1>lond oder ein weises "Wc ib;
Ein l'ricstei', dem Linnongewand liüllt' den heil).
Der die Opferklinf; zückt', ins ZukfintVjije schaut',
Dem man eiirfurchtsvoll horciitc, wenn er sprach laufr' —
Wohl fra^'t PS sich leicht, fhu'li <ler WiederhaU stumm
Giel>t als Antwort zurück nur Bicnengesunini.
Nur den Pfiti' dos Pirols und der Amsel Schlag,
So treu wahrt sein Käthsel der blühende Ilag.
Eins aber ist sicher, ma;; Hronz* oder Stein
Ihre Waffe, ihr Werkzeug gewesen sein:
Jene schweifenden Stttmm' im Urwaldrevier,
Galt's Todte za ehren, sie ftlblten wie wir.
(Erster Tlioil oines in der Monnts.schriff de.s Verein.'^ zur r.ef.u.lernnR des Gaiien-
Iwues in den konigl. preulij. »Staaten (Maiheft 18äü) vcrOiTcutlicbten Uedielites auf
Karl Koch, den berahmten Professor der Botanik.)
13. Der Wartthurm von Oransee.
Ein Thurm steht auf der HOlio,
Blickt weit hinaus ins Land,
Der vor viel hundert Jahren
Schon stolz dort oben stand.
Von Feldstein und von Ziegeln
Bant' einst ihn BUrgemnith,
Zn sclüitzen un<l zu schirmen
Des Städtchens Hab und Gut.
Den Luginsland verschonte
Bisher der Zahn der Zeit;
: Die Treppe nur am Grunde
' Mahnt an Vergänglichkeit.
Das Denkmal deiner Viltcr,
! Wo man sieh tapfer schlug,
Gransce, hast du vergessen,
Ehrst da nicht hoch genug.
Ein Wandrer zog vorüber.
Der die Vorwtistung sah. —
Vielleicht, kehrt er einst wieder,
»Steh'n neu die stufen da.
(Iluppiner Kreisblatt, Anfangs der äieUuger Jabre./
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— IUI —
14. Bunte Sommer vögel.
Der Tropen vogel folgt des Wanderns Zuge.
Er schweift hinüber selbst in unsre Zone,
Ihm gab, dals er auch n<irdiseh Land bewohne,
Ein Gott das Mittel im pfcilt»cbnollen Fluge.
Den Kirschbaum plündert der Pirol, der kluge,
Blauraken nisten in d< r Eichen Krone,
Die Weide dient dem Wiedehopf zum Throne,
Aus der er mit gebog'nem Schnabel luge.
Sie Alle tragen hell'ren Lichts GeprSgc
Auf ihrem Federkleide bont und zart,
Sic Alle fliehn der Sonnenstrahlen Schrtfge.
Nur kurse Zeit auf grünem Zwe^ sieh wiegen,
Das ist bei uns nun einmal ihre Art,
Weil südwärts ihrer Heimath Fluren liegen.
(Ondthologiscbes Centralblatt, 1878.)
1&. Möven tlberm Wasser.
Die Mttve adelt auch die^ still (Tewii^^ser.
Sir gaukelt drauf in lichter Woiilgestalt,
Bald rasch hinjagend, leise bchwebend bald,
Und tauchend, aber niemals darum nttsser.
Xiclit scheint s, der Ocean geli« ! ilir Vicsser,
Wo sich der Tang am Dünen>trantlo bailt.
Auch unsre Welle liebt, krybtall'n und kalt,
Der nimmer mütU-, weilse Luftdurchmesser.
Wie traundudt ist ihr Kommen und ihr GLhen!
Ein See Viedarf der Möven und Seeschwalben,
Manchmal dem Meer ein wenig gleich zu sehen.
Einst sang von euch, ihr Vr)gel, Hemrich Heine,
Gewöhnet zur Unsterblichkeit zu salben.
Was er verklärt mit seüicr Dichtung Scheine.
(fibeudaselbst.)
16. Die Weindrosael.
WehidroBseln führt der Herbst zu uns hierüber
Vom Land, gelegen weit nach Mittemacht
Wir sehn sie plötzlich bei uns, wenn es tagt,
Sdbald der erste nächt'ge Keif vorüber.
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- 102 —
Wohl wurden Luft und "Wasser rauh und trüber,
Das f'rtll'nde I.aub hat dr^nnoch seine Pracht.
Am Siockc, sflit, wie blau die Traube lacht,
Siils für uns Menschen, Vögeln wohl uodi lieber.
Die ersten Beeren sind's vom Kel>enliange,
An denen rastend die Weindrossel pickt.
Wenn sie die Mark erreicht aut' ihrem Gange;
Zwar ärmlicher und schwerer grofs zu ziehen,
Als Wclschland von der Pergola sie pflückt,
Doch für die Vögel wertb, daTs sie versiehen.
(Ebendaaelbst.)
17. Die Haidelerche.
Ist's ird'scher Sang noch, der die Luft durchmessen
Und nieder sich zur sand'gen Lichtunfj senkt,
Wenn kaum der See des Eises Bande sprengt?
Es klang so selig und so weltvergessen,
Als mOcht' es traumhaft Freudenthränen pressen
Aus Augen, die der Kummer lang' bedrängt,
Und Frühlinjrssehnsuclit, hold aufs Neu' geschenkt.
Erwecken unter traurigen Cypressen.
Du bist*8, o Lied der Lerche Ton der Haide,
Das, bei der mildroi Sonne erstem OrlUton,
Die Seele fttllet mit woUttst'gem Leide,
Das aus der Wolke sich auf dUrlt'ge Fichten,
Auf Silbermoos und Ginster will erglefeen
Als lieblichstes von der Natur Gedichten.
(Ebendaselbst)
18. Die Bachitelze.
Von kleinen Vügeln, die sich zugesellen
Des Menschen Ueim und seinem trauten Dache,
Ist keiner, den ich lieber kund euch mache,
Als diesen, den im Flug und Laufen schnellen.
Er wohnt, lein Freund, bei Scheunen und bei Stlillen,
Des Hofes rege, nimmer müde Wache,
Und nicht verstummet vor des Habichts Bache
Sein Ruf, eh' Htthne krüh'n und Hunde bellen.
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108 —
Als Ackermännchen folgen die Bachstelzen
Dem Landwirth, hinter dessen Pfluges Schar
Sich braune 6choileu unablässig wUlzen;
Als Wippstert machen sie ihr Beverenzchen
Dem Hanswirth, der sie flrüh begrttfet im Jabr,
Und ohne Aufhören wackeln sieht Ihr ScbwMnzohcn.
(Noch nieht vsrOffentUcht.)
19. Die Turteltaube.
Ein Bibelwort. — Es ist der Lenz erschienen;
Die Turteltaube INfst sieh wieder hören
In Tinsrem Lande. — Ja, so ist's. Nicht stören
Darf die Natur der Zeiten endlos Binnen.
Noch hent, wenn neu die Maienbttsche grttnon.
Will trHumerisch die Seele uns bethören
Der Taube Girren in den hohen Führen,
Die ihrer Lieb' als Zufluchtsttttte dienen.
Wir hier am See erwarten nie veiigebens,
Dafs sie des Südens LUfte zu uns Idten,
Wenn Alles schwillt von sttfeer Lnst des Lebens.
An meinem Ufer auch baut sie ans Stecken
Ihr Nest, wo Schwarzdomdiddchte sich breiten. •
Geh* leis yorttber, nicht sie za ersehrecken.
(OniithologiBches Centnabhitt» 187a)
80« Der EiavogeL
Wer hascht Tordber, glänzend wie Juwelen,
Am Werftstranch rasch entschwindend nnsren Blicken V
Wer will des Wassers Borde lieblich schmtlcken,
Wo er sich sonnt anf eingeschlagnen Pfühlen?
Kein Colibri kann schimmernder sich wählen
Das Federkleid, dem Ang* ein fh>h Entzücken,
Als du, Eisvogel, der mit blauem Rücken
Und Scharlachschnabel tauchst in diese Wellen.
Die Alten wul'stcn von aleyonschen Tagen,
Wo Meerfluth sanft in wonniglichem Wiegen
Des Vogrels Nest und Eier Hebt' zu tragen.
l>ei uns bereitet er die Wochenstube,
Nur Ufer wJihleud, die erhaben liegen,
Und bohrt ins Erdreich eine tiefe Grube.
(Ebeudaöüibst.)
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- 104 -
21. Der Stint.
(Zar Zeit, wo man ihn fäii>;t, iin<l wenn auch weniger begehrt wie sonst, als rnne alt-
berliner :Speise zu Markte bringt)
Du Zwerg der SalmonideD,
Die Edelfische sind,
fJesuclit und auch g'<'raieden,
HerzUeber Jdeiuer Stint,
Bist keine Fürstenspeise,
Schmeckst doch gar Vielen gat,
Wenn dich, beAreit vom Eise,
EmportrSgt FrOhlfngsflut.
Gewimmel, silbeiii-blHulick,
So zieht man dich an*B Lidit.
Fast Jeder ruft: Abscheulich!
Der dich im Netze riecht.
Mit Haut und Darm und Kragen
Gebacken aul dem Ileord,
Wirst dann du voll Behagen
Von alt und jung vorzehrt.
I
Auch schmoret Flamm' und Fankc.
Die an die Köchin blies,
Dich gar in jener Tunke.
l>ic sauer heilst und süis.
Wenn wilde Winde blasen
Und heult der Boreas,
Wirft oft der Sturzweir Rasen
Den Stint aufs Üfer-Gras.
Wo Möven dann und KrUhen
! Gar lilstem nach ihm sind,
' Und sammelnd auch erspSben
! Ihn darf manch armes Kind.
I
I
Dir f^h'iclu drin, dais sicii s melde
Der Xas', kein Sehuppeniier,
Doch heii'jst'ö, gleichwie vom Gelde;
Xon <t]«'t auch von dir.
(Der Bär.
a 108.)
Illustrierte Wocheniächrjtt lür vaiorlanUiscbe Geschichte XX
U. Die Buche.
Du edelster von unsern Waldcsriesen,
Holdserge Buche, denen, welche lieben.
Beutst du die glatte Rinde, dafö sie schrieben
Drauf Namen, welche Herzen sanft umschlieilien.
^lit dir hat hieh Xatur un?- karg bcwit scn.
Wohl moglieh auch, dais nur die Keate blieben
Vom Hain mit Blättern, die orang' verstieben,
Wo havelwärt« die Sprcegewüsser fliegen.
Drum, still gelehnt an deine lichten Spuren,
(Jehl stf'ts ein Ktwas gh ieli gelieinieia Grul'se
Zu deiner Krone wehciideu Contourcn.
Du Gast des Bergwatds und der OstseekQsten,
Willkommen da, wo in geseH'gem Schlüsse
Als heimischen Baum dich märk'sche Lüfte küi'sten.
Dort Huchiiolz. «Ins \vir heut franzrisiseh heiisen,
Spiiclist laut zu uns von hoher Fürsten Gnaden,
Die liebreich zu sieh die Verstoi'snen la<len
Und Glaubensbrlidcr bittrer Noth entreiisen.
— lüo —
Ihr, die hierher ihr Höht vor Blut uud Eisen,
Vetfolgte Opfer wüster Dragonaden»
£ach Wallenden auf des Exiles Pfaden
Ma|f hold die neue Heimath sich erweisen.
Zwar sind's nicht mehr die ThHler der Cevenuen;
Kill ruuhrcä Land cmpfUDget die V'crbunnten,
Die zOgemd sich von schtln'rer Heimath trennen.
Weit war der Weg, ei- f^iiijjf durch Sand und Luche.
])cr erste Markstein, den sie froh «M'kannten
Vom Ort der Zutlucht, war die groise Buclie.
Ich habe wohl sio noch j,'ckaiinf «Ii«' alt«-.
Xnn lai!^---! veiMii(>r.<<'!ito, die hcrüliuiUj i'.uche.
Wo staiMj >ioV Dort, am l'arkrand südwärt;> .suche
Den Fleck auf leicht gewellten Erdreichs Falte.
Da war's, wo über kurzem Stamm sich ballte
Des Wipfels Rest, der des Verderbens Fluche
Kaum zu entrinnen maciite noch Versuche,
Um den sich grauer Flechten Grabsehrift malte.
Sonst von der Buche ist nicht viel zn sagen,
Sic vijeehte langsam bin und schien vergessen,
Noch eh' mau ihre Trümmer abgeschlagen.
Mir lebt sie in getreuem Angedenken,
Weil manchesmal ich unter ihr gesessen
Hab' jugendfrisch auf jabresmttden Banken.
(Noch nicht verOffeDtlicbt.)
23. Der Eisbeerbaum.
Ein Bild sei festzubannen mir gestattet,
Daa auch hinabsank zu Erinnerungen.
IjalM von ihm reden mich zu Euch, ihr Jungen,
Von moos'gen Trttmmem spricht es laubumschattet.
Im weiten See, wo sparsam Kohr sich gattet
Mit BmsengUrteln, schwank und bleich geschwungen,
Erhebt ein Werder*) sich aus Niederungen,
Drauf, Äbte, vor Chorin, gebaut ihr hattet.
Nun, um zerborst'ne Quadern wild Gcranke.
Ein mftcht'ger Eisbeerbaum, nah* der Kapelle,
Stand träumerisch am steinbcsüten Hange,
*) Der Pehlitswerder im Parsteiaer See.
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106
Desgleichen nirg-ends in dpr ^fark zu finden.
Noch ist's nicht lang, seit an des Paarsteins Welle,
Vom Windstois umgeweht, er mofst' verschwinden
(Noch nicht veröffeotliciit.
S4. Ulmos «AiML
Zar Erinneniog «d den Orkan vom 22. ICai 1891.
I.
4
Vielhunderljährig, an des Eilands Pforte.
Standst du. o l^aum, mit miicht'f^cm Stamm und Acstcn,
Inwendig: fiohl, nach auisen ohn' (icbi(>len,
Um den ich klagend reihe heut die Worte.
Noch lang' schien's hin, bis einst dein Lanbwerls dorrte,
Gewohnter Schatten nngeztthlten Gästen.
Ein StUrk'rer kam: der Sturmwind aus Südwesten,
Der dich zerbrach, leer machend deine Orte.
Wer durch den Forst znm scharfen Berg wollt' wallen,
Der liefo, dalis ttber ihn der Kahn sollt* holen,
Vom FofB der Rttster her den Rnf erschallen.
Mohr als der Marder, Insais deinem Mulme,
Vermisse ich, die bald verglüht zu Kohlen,
Dich meines Hofes naebbarliche Ulme.*)
n.
Vielfach Gethier mag warm und sicher wohnen
In hohler Bäume rar gcw^nem Stamme,
Den noch der Forstmann opfert* nicht der Flamme,
Asyl der Honigbien* nnd ihrer Drohnen.
Die Ulme war, wenn nicht lür Millionen,
Doch Tausenden so Unlcrschlupf wie Amme.
Ein schlimmes Völklein auch, das ich verdamme,
Sais lang' einheimisch unter ihren Kronen.
Xun hat der Schwärm von streitbaren Momisscn
Hei jähen Sturzes furchrharcm Gekrache
Aus altem Wohnsitz liichn und weichen müssen.
Zum Tod des Menschen, hciCst's, genügen sieben,
Ihr Horst hängt jetzt an meines Tbnrmes Dache.
Ich wollt', die Rüster wäre steh'n geblieben.
(IQttbeUangen des Vereuis fOr die Geschichte BeiUns. 1801.)
' ) Der beim öturz des Rieseubuumes urschrcckt ÜieUeude Edelmarder ist liistoriscli.
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— 107 —
29. Par Stumpf der Silberpappel.*)
I.
Der Banni i^^t todt Nar seinen Stampf noch ragon
Sieht kurz und dick man, wo des Haines Kühle
Grenzt an der Menge lastwandelnd Gewühle;
Doch war er Bles* in kaum verflosanen Tagen.
Dreisaekig dürft' er mtt€ht*ge Gabeln tragen.
Sein Laubi dem Sohnee gleich in der Lüfte Spiele,
Geschattet hat es für nnendlidi Viele,
Die ihn pasBireten za Fni^ und Wagen.
So ward er Freund von Genei-ationon :
.Man hioi^ ihn Stiefelknecht des alten Fritzen;
Ihn kannten Alle, die Berlin bewohnen.
Und als er fUhlf , dass ihm sein End' ersdiiene,
War*8 eines Kaisers Wort^ das noch ihn schützen
Gewollt hat and erhalten als Raine.
U.
Man sagt, es sei der letzte Rest gewesen
Von Silberpappeln zar Allee gereihet;
Jetzt seheint zu Flora*s Altar er geweihet,
Zn ew*gen Grünes Sitz er aaserlesen.
Denn statt verdorr ndcii Abtwerks strupp gcr l^esen,
Sind's, drauf gepüanzt, dai's sich das Aug' erfreuet,
I'pheu und Taxus, gegen Frost gefeiet,
Klematisrankeu, deckend alle Blüfsen.
Wenn aber mild des Sonmiers Brisen fStcheln,
RokrHnzt den Stummel aacli der Fuchsia Blüthe
Und mengt ihr Roth zu andrer Blumen Lächehi.
So sprieist aus niorseher Papi)el junges Leben! —
Gcscluuack und l'ietiit in dem Gemüthe,
Das ist's, wovon sie mag ein Beispiel geben.
(Hüttig's Deutscher Gartuu. Ih7«. t>. tiou.i
*) Stand am hinteren Ende «1er TiergartenstraR.se unweit des Bogens, den diese
mit (Ut Hof jilger Allee bildet, l'iest- Ruine der einst stärksten und^höcli.sten Silber-
pappel iu Berliua Umgebung wurde zu einer Art grandiosen Blumenständers um-
gewandelt.
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— lUÖ —
so. Der Weinberg im Norden.
Ein kleiner Weinberg, nah des Woinstocks GreDSe,
Aufs Neu' beptianzt, wo Roben sonst sich wanden,
Die Winzer fröhlich an die l'fHhle banden,
Erfreut im Uerbste mehr mich als im Lenze.
Ein Zeuge sei er, wie uns mild erglänae
Die Sonne ancti in diesen mltrksohen Landen,
Wo traiibenschwer einst Bacchus Hügel standen
Und Keltern trieften neben Pfiag und Sense.
Nicht wollen wir, wie einst, am Most uns laben.
Wir sind sclion froh, die Traube nur zu pflttelLen
Und zu geseirn sie zu Pomona's Gaben.
So wird ein Kl«'ines uns doch vom Genüsse,
Den andrcnnrt?:. auf sonn>ci- Hüngc Kücken,
Das Füllhorn spendet, voll zum tibertlusse.
(Bisher angedruckt.)
27. Draeaena Draco.
Gelegentlich der Ankunft zweier Drsehsnb&nme, die Herr Faul Haberkern auf
Valentinswerder unserer Stadt schenlit.
a September 1691.
Nicht8][8cheint zu kostbar, um Berlin zu schmücken,
Zu femgeboren, ihm zu sein Geschmdde.
Seid drum gegrtUkt, ihr jungen Dragos beide,
Die oflhe Hand der Heimath lied entrücken.
Von hohlen Küsten, die den Sinn entzücken,
"Wo veilchenblau den Schatten wirft der Teydc,
Trug Spröi'slinge canar'schcr Felsenhaide
Der Ocean zu uns auf breitem Bücken.
Oft schaut' ich,' Urbauni, dich, gewalt'ger Drache,
Der, schattend über Tcneriftas Frieden,
Lang' hütete die Frucht der Hcbpcrideu.
Bald halten deine Enkel Ehrenwache
Am Malstcin Humboldt's, der von dir geschrieben
So schto hat auf der Guancheninsel drüben.
(Mitteilungen de« Vereins f. d. Geschichte BetUns. 1801.)
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— 109
29. Die Linde am Schildhorn.
Noch blüht der Grunownld von Avildf>n Lindenf
Dio hier und (hi, zorj^trriit an der Liniere,
Zum Wasser kehren ihrer AViptel j^chwere,
Uralt, des Laubwalds frilh're Pracht zu künden.
Die mächtigste kannst da beim Scbildhorn finden.
Sie ladet dich zu ihres Stammes Leere,
Wo, wenn du wthisehest, daflB sie ihn gewittire,
Sie Schutz dir bent vor Regen oder Winden.
Die Baumwelt rechnet nach ^imz andren Jahren
Als wir PygraU'n, auf welche tlillt ihr Schatten;
So hat auch viel wohl diese Lind' erfahren.
Sie stand, als Jazko hier den Strom durchschwömmen,
Der letzte KOnig, den die Wenden hatten,
Eh* er, besiegt, die Taufe angenommen.
(Noch nicht verOfFentticbt)
19, Die Arve auf der PfaueninseL
(Pfaras Cemhrs.)
Ans IIochp:ohir;?e mahnt der Arve öchulteu,
Die, zweifjetheilt, als düstre Pyramide,
Wie wenn der Alpen Schnee sie ung-crn niii'de,
Kiuporsteigt auf des l'i'aueneilands Matten.
Gar Viele, die dies Paradies betraten,
Sah*n sie Ich aber will zuerst im Liedc
Sie feiern, dafs si<» Poesie umfriede,
Du, ihres Pflegers Geist magst es gestatten.
Hat K(>n {^»"en aucli sie naeliharlich gestanden,
Gestreut für sie der Zapfen süfse Manduin,
Zwei waren's doch, die besser sie verstanden.
Ein Fintelmann, der sie vertraut der Erde,
Ein Andrer, der gehegt sie und umwandeln
Mich oft sie Heils mit eines Freunds Geberde.
(Noch niclit veröffentlicht)
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80. LinoAea bortaUi.*)
Die Stelle ist's, die einsame, pracllose,
Im tiefen Forete zwischen Heidelbeeren,
Zu der so gern wir unsre Schritte kehren,
Weil hier Linnaea ranket dureh die Moose.
Wrr nie sio pflückt in schatt ier Wälder School'se,
Obgleich er Flora will als Göttin « liron,
Der muts wohl uii^^ern ^roiscii Gut entbehren;
Nicht stand das Glück zui* Seit' ihm als Genosse.
Bald sind es hundert Jahre, daft sie kennen
Am gleichen Fleck hier in der Tegler Haide,
Die sich der grünen Trommel Brüder nennen.
Und jedesmal, irescliaut am IIcim.iN'M te,
Krweckt sie wieder tief enqd'iindiie I i i uih-.
Die unaussprechbar bleibt durch biniple AVi itr
(Noch nicht möffentlicbl.)
31. Taxodium disüchium.
Ihr Was6< rcedem oder Sumpfeypresson,
Die man geplianzt auf fcuehtem Wic'^cnijlan,
Wo nachbarlich den Spreestrom furcht der Kahn,
KOnnt ihr des Südens laue Luft verj^ressen,
Den Hissisippi, welcher unermcsscn
Entgegen rollt Westindiens O'-can
Und jener Ströme urwaldrciiehe Bahn,
Au welchen i'ünl' A'ationen einst gesessen?
Man staunt darüber, wie bei uns ihr dauern
Wollt und den breiten Gipfel üppi^ heben
Trotz winterlicher Fröste argem Lauem.
Wie seltsam ra^^t ihr mit fremdart'f!:en Stämmen,
Anmuthif*' breitend zarten Lanbwerks liehen,
Wo Moder sonst und Sumpi' die Schritte hemmen.
•) iHSMiiders in Skandinaviens WilMcrn liiinli^'o inimerjn'flne nordische
>hi08gl»kkclien gfhOrt mit soini'n fadeul<irniigi'n KriiH-hzM eitlen und den nickenden,
hell rosafarbigen, dtifti^en BlfltenglÖckcliCD xu den sierlichstcn Uebilden der inBansen-
welt uml \\ni.h- di shalt) dazu atisersehcn, Linn^'fl unsterblichen Namen zu tragen.
K. Schubert, Pllaiuenkuudo II, S. *J(».
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— III —
In Gusow, wo <lei' rauhe alte Degen
Derftlinger sich erschuf (mh Tusculum,
Um reich an Jahren, reicher noch an Ruhm,
Der BlumengOtliu Kiudcr dort zu püegeu,
Erblickt, wer wandert auf vorwachs'nen Wegen
Und in dea Parkes Wirrsal schaut sich mn,
Den wundersamsten Baum, den da herum
In weitem Umkreis wohl das Land mag hegen.
Die ait'ste ist es mftrk*8cher Sompfc^^ressen.
Wie lang* sie steht, mag kaum noch jemand wissen»
Auch hat man ihren Umfang nie gemessen.
Man liest von ihr in uns'res Fontane Schriften.
.So ward sie der Vergessenheit entrissen
Und Ireut der Ehre sich, der wohlverbrioften,
^Nüch nicht veni£Ft*ntlieht.)
Waldemar Kopp.
Lli h. am H. September IS^ü zu Doniinin in Pomtnorn, stuiliorte klassische Pliilologie,
war (i vinnusinllehrrr r.n ' iri'ifenbt'rg in roniiucrn, übernahm isiii' 'Vu- Li-itmi«? ilcs
Progyiiinasiunii« in i rt-itnwulde a. 0., das ISdÜ zu einem vollen UvuinaMiini erweiteil
wurde. Er starb daselbst am 17. Januar 1881.
Freienwalde a. O. zur Weihnachtszeit
Der Winter brach herein. Ein Bild auf Avciiscin Ciriimle.
So li('o;t die .schniuekc Stadt, nnd rings in weiter iiunüe
Hat alles weil's sieb anj^-ethaii.
l>as Oderbrueh t rglüht im Sonuensirahl< iiy;lanze,
Und durch die weite Au in ihrer Berge Kranze
Schielet schwarz der Zng der Eisenbahn.
Was brinjji-t er heute mit? Es sind nii lit Sonmiergilste
Wie in der Badezeit, nein, zu dein A\'eihnuchtste!>te
Sneht ^i'vn nuinch Kind das Vaterhaus
„Willkommen!" ttint es laut in seiner Lieben Kreise,
„ Willkommen I** winkt ihm leis in wohlbekannter Weisse
Die Weihnaehtstanne, j^rün und kraus.
Verliefst ihr uns, als noch in ihrem vollen Laube
Die Waldeskrone stand, als sie noch nicht ZUm liuubc
Dem Herl)>t<'slri>sr i,^eworden war?
'Iiii<,''t jj;-ar ihr \\<•L^ als liell die T,ereh(>n sani,''en.
Piro! und Drnssi i sieh von Zweij; zu Zweige schwangen
In ali der kleinern Öanger »Schaar?
Doch jetzt im l'.i'umiciitlial er^rlitzort rs wie Funken,
L nü knirsclit es unteiin Fuis, von weilser Last gesunken
Siehst du der dunklen Zwcij^c Pracht.
Die ernste Führe ragt an schnecbedeektcn Hiingen
Bereift zum Himnoel auf tmd braune Stamme drHngcn
Sich in der hellen Waldesnacht.
Wie lautlos still ringsum I Da schnarrt es von den Zweigen:
Des Holzes Heher war's, zuerst brach er das tichwcigen,
Der bunte Specht erwiederi bald,
Und nuuiter zwitschernd wiegt am Strauche sich die Meise.
Die graue KrKhc schwebt erst ob den Wipfeln leise,
Dann krüchzt sie hallend durch den Wald.
Zwei Hohe stellen dort, sie scheinen still zu lauschen,
Ob durch das Unterholz auch Treiber klappernd rauschen,
Verschwunden sind sie nun waldein.
Doch sieh', wie vogelgleich, von Hunden laut getrieben.
Die Schwaben in dem Tann wild auseinander stieboni
Begrtti^t vom roten Feuerschein!
Am schönsten prangt der Nord im säubern Winterkleidc,
Auch Freienwalde strahlt, hart auf der Landschaft Scheide,
In*s Thal Jetzt hell und hoch und ftei.
Doch flicht der Blttten Schnee dir wieder wcifoe Kranze
Und setzt sie dir auf's Haupt, crtünt'it im neuen Lenze:
„Du bist am schönsten doch im Mai!"
(Bilder ans der Mark. Dichtmigen. Freienwalde a. O. ISTr». S. 13 ff.)
Rudolf Grimm.
Als zweiter Sohn Wilhelm üriainis geb. niu Msirz 18.il in Güttinyen, studierte in
Berlin und Bonn Philologie und Jnra nnd statb als K^erungsrat ttei der Regiemng
au Potsdam im November 1889 in Beriin.
In der F;
Hoher 3f iktagTi' stülc Haide!
Schlanke Fichten streben aufwärts.
Wo durch ow '^ct Ilimmelsbläuc
Weilse Wrdkchen einsnni so<2fcln,
Einham, wie des Herzens Sehnsucht;
Hoher Mittag, slille Haide! —
Wfinnc brütet rin^ der Boden,
Nadel^latt und nadelduftig.
Dafe es lieblich dttnkt die Thierchon:
Rfifer summt und Ämeis* wandert;
Hoher Mittag, stille Halde! —
Horch, da singt ein einsam VOglein,
Singt eintönig gleiche Weise,
Flieget auf und singt sie wieder.
Und laut schallt es dnrcli die Stille;
Hoher Mittag, stille Haide!
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— 113 —
Helene von Hülsen.
Geb. «n 16. Febrnar 1829 auf dem Bittergut Blankenfelde bei Beriln als die Tochter
des Grafen Edoard von Haeseler, yermShlte eich 1810 mit Botho von Httlaen, der
von 1851 bia tu a^em 1S86 erfolgten Tode das Amt des General-Intendanten der
Konischen Theater zu Berlin bekleidete. Qeat, & Mai 1893.
An die Mark.
. Ftlr dich, o Mark, wird stets mein Horz erglQh'n»
iPag mich die Welt mit delnoa Reisen necken,
Mit deinen weiten, Oden Sandesstrecken,
Mit deiner Kiefernwälder fahlem Grün!
Nur wer dich Heimat nennt, der kennt dicli ganz,
Liebt deine stillen, schiIfVerwachs'nen Seen,
Die Saatgefllde mit den sanften Höhen,
Der schlichten, anspruchslosen Dörfer Kranz!
Drum schweig ich, Mark, von deinen Reizen still,
Nur heimlich lächelnd, anstatt sie zu neiden,
Die ihren Blick an Fels und Meere weiden,
Die ich mit dir doch nicht vertauschen will.
Dfiin: was er liebt, nur heilst dein Jlenschen schön!
Nur was ihm iVlühe bringt, weils er zu schützen,
Was schwer sich fügt, ist einzig sein Ergötzen,
Drum will ich, Mark, stets treulich zu dhr stebn!
(Der Bär. inustriorte Wochenschrift fOr die Geschichte Berlins und der Mark.
1880, 8. 381.)
Eugen Trowitzsch.
Geb. am 2(>. Marz isk', lebt als Inhaber der bekannten Ktinigl. irofbnchdrackerei und
Vorlagsbucbhandlong Trowitcsch n. Sohn in Frankfurt a. O.
Alt-Brandenburg.
Aus Sand und Kiefern hat dich Gott gesehaft'cn,
Alt-Brandenburg, mein liebes Heimatland.
Im Schweifs mufs deine Güter sich cn^affcn,
Wer dich bewohnt, mit harter, starker Hand.
Still ist es rings. Der "Wind pr« ift durch die Wipfel;
Von weitem klingt's wie ferner rilockenton.
Und stolz wie deiner schl.uikcn P..'(niiK' tlijjfcl
Geht durch die Heide festen Schritts dein Sohn.
Arrii. a
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Ein trotzig Volk and stark sind deine Mannen;
In Sorg^ und MOli' zogst da sie liebend grofe.
Erst wenn die Perlen von der Stime rannen,
Giebst da die Schatze, die da birgst im Sdioofs.
Doch dafür spendest da aach reiche Gaben,
Die man von Jo an deinen Kindern schätzt;
Was !>io im Eni>t sich vorgcnominen haben,
Mit Fleite and Treae wird es darcbgesetzt.
So baaen weiter sie der Vater Hafen
Und leben still, die Manner in der Mark.
Doch wenn des Vaterlandes Trommeln rafen,
Dann sind sie da and löwenstark.
,,Sicg oder TodI" so tönt's aus ihrem Sande.
Lieb Heimatland, wie ^Mlrdest da so grofiB!
Ja, mitten drin im Brandenburger Lande,
Da ragt es lioch, das dont-^chp Kaisorsclilolsl
(Alt r»randenbiir<.', Text von Kiigeu Trowitzsch. Für vierstimmigen Mäimerchor
komponiert vuu I.dwiu Scluiltz. Berlin, Butc imd Bock.)
Otto Franz Gensichen.
Geb. am 1. Febrnnr ISA! zu Driesen in der Neumaric, vorgebildet auf dem Gymnasinm
ED Landsberg a. d. Warthe ond auf dem Friedrich Wilhelin8>Gymnaidiim in Berlin,
siitdiorte in Bertin Mathematik, später Philosophie nnd altklan^che Philologie, war in
der Folge ebendort als kritischer und politischer Schriftsteller und KtMiilletonlst un
mehreren ZdtscLriften ibütig. 1871 — 1S7S Dramaturg am Walluer-Tbeater, lebt seitdem
alä unabhängiger Schriftsteller in Berlin.
I. Aus der Gedichtsammlung: „Unter dem Zollernaar*'.
1. MarkerUed.
(Singweise: Es liegt eine Krone im grOnen Bheut)
O märkische ncimath, o Brandenbarg-Land,
Von Fremden bespöttelt and flUschlich verkannt,
Mir lächelt so lieb deine trauliche Flar,
Und ich jaachzo hinauf za dem blaaen Azar:
( ) du 1I( rz meines Deutschlands, so schlicht und so stark,
bei gegrüföt, sei gegriU^t mir, du heimische Mark!
Dich schmückt kein Gebirge mit ragender Praclit,
Kein wolkenlos stldlicher Himmel dir lacht,
Doch stolz ist dein Wald und lieblich dein See
Und reizvoll die Inseln der Havel and Spree
Nur wer dich nicht kennt, schilt dich üde und karg;
Sei gegrüllst, sei gegrttM mir, du heimische Mark!
— 115 -
Es zieht nach don Bergen die Sohne der Schweiz,
So zieht mich dein still melancholischer Kelz
Allinimcr im Wachen und Triiunicn zu dir.
Und ewig entringt sich der Sohnsuehtsrul mir,
BiB einst meine Lippen ▼eratnmmen im Sarg:
Sei gcgrUfst, sei gegrilföt mir, da belmisoiie Mark!
(„Unter dem ZoUenuMr". Beriin, Alexander Dimcker. 1899, S. 9.)
S. Eislauf.
Lüssest du den Lenz nchon alineu,
Wintertag, so lind und klar?
Wie sich auf des Eises Bahnen
Kreuzt die stahlbcschuhte Schaar I
Wie im Glanz der Morgensonue
Sich die Paare sacheo, fliehn!
Sei ipegrflilBt mir, Born der Wonne,
RoQSsean-InBel zu Berlin!
Fernher, kaum noch unterschieden,
Braust <lrr Weltstadt wirrer Schall,
Findet iiier im Waldcbfrieden
Nur gedämpften Wiederhol],
Bricht sieh an der Bäume Zweigen,
Die, bewegt von keinem Hauch,
Schneebedeckt Bich tiefer neigen
Zu dem frisch bereiften Strauch.
Welch' ein Glitzern, welch' ein Prangen!
I^eich mit Diamanienpracht
Scheint so Halm, wie Beis behangen
Von der guten Mutter Nacht.
Spröder Schönheit achUchte FUllo
Schmückt die märkisch ernste Flur, —
Leiser unter Wintenihttlle
Pocht der Herzsdilag der Natur.
Oh beglückend Irohcb Schweifen,
Oh erfi'ischcnd heitrer Tanz,
Wenn mich holde Blicke streifen
Aus geliebter Augen Glanz;
Wenn, vereint zu einem Paare,
Leicht beschwingt wir gleiten hin,
Zauberin im Lockenhaare,
Meuies Herzens Königin!
(„Unter dem ZoUemaar". 8. 90 n. 31. Str. 1-4 des achtetrophigen Gedichtet.)
9»
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— 116 -
S. Heinrich von Kleist
Der .Sonno Stralilen sunt't erV^laistcn,
Leis rauscht das welke Laub herab, —
Hier will ich einsam sinnend rasten
An diesem Oden Dichtergrab,
Das auf des Wannsee*s sandigem Hfigcl
Im Waldesschatten sich erbebt,
Darüberhin auf weichem Fltfgel
Der Herbstloft leiser Seufoer bebt.
Den dir das Leben nicht beschieden,
Du ungestümer Fenergcist,
Hier suchtest sterbend du den Frieden,
Du miirk'selier SHiigcr, Heinrieh Kleist.
Wenn auch sein Heim dein Todtenbette
In un;Lrr\veiliU'r Erde faiid, —
Du srll>er weihtf^t diise Slätte
Zum Heilig'thuin fürs Vaierhmd.
(„Unter dem ZoUeniaar". 6. 18. btr. 1 u. 2 de» zt>hn»tiophigen Üt-dicUtea.)
4. 1
Zum trauniuniu ubciK'ii Walde
Die Krähe langsam zieht:
Ehitünig umschwirrt die Haide
Der Grillen Abendlfcd.
Du Kiuil <lcr ernslrji Heide,
Kothbiahende Erika,
In deinem grünen Kleide
Stehet du gar lieblich da.
Gleichst einem AVeilmaclitstllnnlein
Mit rothen Aepfelcin, —
VA, solltest der Wicbtelmäunlcln
ChrUtbUumchcn du wohl sein?
Traun, jeiu-s Orfllonprliclit«'!'.
Das sinj,^end sieh um dieli >eliuart, —
[ Die langen, welken Gesichter
! Sind recht nach Zwergenart.
j Verzauberte AViehtellcutc
I Können sie füglich sein
Und Üben vielleicht schon hentc
Ihr Wcihnachtsliedclien ein?
I Lass' hier am Waldessäume
^ In deinem Dufte mich mim
' Und saubre empor mir im Trauine
. Der Kindheit Avalun!
(„Unter dem ZoUemaar'*. 8. 11 u. 12.)
II. Aus: Pfarrhaussegen.*)
1. Sonntagsglocken.
Sonnta^>;rl<H'ken verhalicu . l ud mit ehernem Munde
rclM-r das Wartlichnich. ■ Stinnnen all»;<-niaeh ein
J.an(lsl)cr;:s (;inrk, n v»»r allen | Au<-Ii <lie Dr>rler der Kunde:
Tüncn über das Lueh. j Burkow, Dechüel, Koruein.
*) Die nachfolgenden Proben sind BmcbstQcke ans einem grofseren enttblenden
Gedicht
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- 117 —
Wonn^ Augenweide
Bietet so Flar, wie Hag,
Hell aoB hohem Getreide
Jabelt der Wachtel Schlag;
Fröhliche Lerchenstimmen
Jauchzen von droben darein,
(irillen, Ilumniehi und Immen
Fallen di*unten mit ein.
(Pfarrfaannegeii. Dicbtang.
Zwischen den Höhen zur Rechten
Und der Warthe Gerinn
' Rasseln gleich ehernen Knechten
Dampfend die Züge dahin.
Fördern in ruhlosem Hasten
Schneller als seg^clnder Kiel
Unermefsliche Lasten
' Aucii am Sonntag zum Ziel.
BerUn, Alexander Ihmcker, 1806. S. 1 und S.)
2. Das Dörfcbeo im Warthebruch.
Friedlich in der MorgenBonue i
Lag das reiche DOrflein da, I
Dran des Pfarrers Blick mit Wonne |
Sitt*ger Ordnung Spuren sah.
Hans und Hof fast stets aus Steinen |
Einfach, doch massiv gebaut;
Tfin und wieder nur von kleinen
llUtten noch ein Strohdach schaut. |
Auf den Tele<rrniihen(lr;ihtfu :
Sal's der Schwall k-m frohe Scliaai",
Und des Duri'es llälnie krähten
Unmclodisch immerdar.
Zu des Tttmpels tiefstem Grunde
Taucht der Enten Federkiel; I
Mauikorbledig treibt der Hunde
Rasselose Schaar ihr Spiel.
Auf dem Dache pfirrt der Tauber
Um die Taube iTalilf-riseh,
Und der Aniincr sirälik sich sauber,
Singt sein Liedclicn, kurz und frisch.
Zeitweis' aus dem nahen Pferche
Tönt der Schafe Blöken drein;
Nickend Utuft die Haubenlerche
Traulich über Steg und Stebi.
Wie so klar die Fenster blitzen I
An der Kirchhofsmauer schon
Röthen sich die Berberitzen,
Und es blüht der wilde Mohn.
(Pfsrrfaanssegen. S. 16 n. 17.)
S. Erika.
Erika?
Miirkische Heide liegt schweigend da«
Mittagssonne haucht Itthmende Gluth,
Alles Leben entschlafen ruht.
Kttfer und Immen nur summen schwer
Um die röthlichen BlUthen daher.
Aus harzduftifrem Föhrenwald
Dumpfes Girren der Wildtaube schallt,
Wie wenn im S<-hhimmcr von Zeit zu Zeit
Tief aufallmic die Einsamkeit.
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— 118
Erika!
Mtfgdlcin sitzt trSomend im Heidekraut da,
Achtlos hat sie sich Blilthen gepflückt,
Sie, die nie inclir mit Blumen sich schmückt
Klar wie des Harzes langsames Nafs
Weint sie Thränen in s licidegras,
Seufzt, ein Bihl der Verlassenheit,
Kückhall dem Atheui der Kinsamkeil:
„Mn\> ich, der Leid nur von Liebe geschah,
iMiibam verblühn wie die Erika?"
(Pfarrhaassegea. S. 28 a. 29.)
4. Out Braodeoburg bla «llorwege.
Scheltet mir nicht mein märkisches Land,
Will es nicht hriren und leiden I
Zeigt's nicht sclnoff gipfelnde, felsige Wand.
Hat's doch an Wäldern gar reichen Bestand,
Strömen und Seeen and Weiden.
Ist auch sein Stammvolk vielleicht nicht ganz echt,
Mischling von Deutschen und Wenden,
Ist's doch ein markiges, stolzes Geschlecht,
Trutzend auf Freiheit, unbeugsam Im Beeht,
FleUlsig mit rastlosen Händen.
Warf ihm Natur auch nicht reich in den Schoolb
Fülle der irdischen Gaben,
Ist's doch durch eigene Thatkraft jetzt groA,
Wulste der Schollen dürrsandigem KloDs
Lohnende Fracht za entgraben.
Einst als des Keiches Sitndbüchse verlacht,
Hält in der Marken Gehege
Horstend der Katseraar heute die Wacht,
Hier ruht das Scepter, das Siegsschwert der Schlacht,
I>ram: Gut Brandenburg hie allerwege!
(rfarrliaussügen. 8; 30.)
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— 119 —
Ludovika Hesekiel.
Geb. am .'5. Juli lKi7 als älteste Tochter von George Hesekiel (.S. oben .S. 74). Bereits
im Alter von 20 Jaltreu litterariscb thätig, zeichnete sie sich während der Kriege 1866
und 1870/71 wf dem Gebiete der freiwilligen Knuakenpflefe ans und iridmete eich, necfa
dem Tode ibree Vaters (1874) in Potsdam lebend, den Beatrebungen rar Hebung der
BrwefbsthütiRkcit des weiblichen Geschlechts. Im Jahre 1887 verrailhlte sie sich mit
dem Dialconus Johnsen in Neustadt bei Koburg. Gest. 6. April IbSO.
Ein Blick auf Potsdam.
Dranten liegt im Sonnenscheine
Eine bunte Zauberwelt,
Die aus San«! uiui Sumpf alleine
Sieh die Zollein aufgestellt.
Wie ein MUrchenschlofk Euch winket
Dort von Marmor der Palast,
Drüben blaues Wasser blinket,
Drauf die Sonne schon Terblaftt
Duft'go Nebel zaubriseh hüllen
Kings die weite Haide ein,
l'nd die Seele ganz erfüllen
Lieder uns und Melodei'n.
Lieder aus den alten Tagen,
Die vergangen und dahin,
All' die heim'schen alten Sagen
Wehen leise durch den Sinn.
Grüne weiter, liebe Haide,
Strahlet Ihr PalKste stolz,
PreuAwns stolzeste Oesehmeide
Schnitzte Fritz aus Kiefernholz.
Die aus Sand und Sumpf alleino
Sich die Zollern hergestellt.
Prahle stets im Sonnenscheine,
Wunderbare Zauberwelt.
(Der Bär. Zeitschrift für vaterlandische Gesduchte und Altertumskunde.
8. m)
V,
Hans Georg Meyer.
Geb. 11. >'ovember lö49 zu Berlin, studierte in Heidelberg, Berlin und. Leipzig Piülo-
sophie. Geschickte und Geographie, nahm am Kriege gegen I^ankrelcb teil, aetate
seine Stadien in MOndien, Berlin und Halle fort und vorde Lehiar am Gymnasium
som grauen Kloster in Beriin, wo er noch jetzt als Professor thfttig ist
1. An die Mark.
Traute Mark, mein Heimatland,
Mir von Jugend auf verwandt!
Mit dem Sülsen
Klang der Lieder
Lafs im Frühling dich begrülsen!
Deine schönen
Wälder tönen
Tansendfadie GrUllse wieder.
Weifse Federwolken wchn
ttber sehilfiunkrftnztcn Seen.
Auf den Feldern
Gold ne Wogen,
Sonncnlii'lit in Buchenwäldern;
Husch und Weide,
Braune Heide,
Von Gewitterfaaucb umzogen«
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120 —
Bleibe fromm und bleibe stark,
Stern der Ehre, deutsche Mark!
Treulich halte
Fest am Rechten!
Waffenfroh des Amtes walte!
ine Söhne
Werden sclWuie
Bosen nm die Schwerter flechten!
(G«dichte. Berlin 1898, S. 4.)
2.
Glatte, weiise Felder jn-angen,
T^nser Sehlitten saust dahin;
Schellenklingeln, rote Wanden,
Frinehe Luft und freier Sinn.
Alle IL'ihen, alle Flüchen
Seliwei^'-end in krystallncm Gia;«i ;
Horch, die stillen Willder brechen
Von der weichen, weiisen Last.
llinfi^edehnt in •,'^raueni Schimmer
Schläft der regungslose See,
Und des Himmels matter Flimmer
Zittert von verhaltnem Schnee.
Nieder von den llöbn im dichten
Walde geht der rasche Lauf;
Fldtzlich ans verschneiten Fichten
Sagt das alte Kloster anf;
I
Chorin.
Hoch und Hchlaiik und vielgestaltig,
Sehneebcfh ckt und altersgrau,
Halb zerstitrl und doch gewaltig
Steht der wunderbare Bau.
Zart vom Himmel abgehoben.
Hingehaucht, zum Greifen nah,
Wie aus Luft und Schnee gewoben,
Wie gedichtet steht er da.
Si lumer kann er nicht erglUnzcn,
Wenn der Frühling wieder prangt,
Der in dichten BlUtenkränzen
Um die Bogenfenster rankt.
Ach mit deinen griinra Zweigen
StOr' ihn nicht in seiner Rnh*;
Schlaf nnd Stille, Winterschweigen,
Weilte Flocken, deckt ihn zo.
(Gedichte. Beilin 188& B. 1061)
Robert Behla.
Geb. am 2. Jtmi 1850 zu Lnckau i. L., studierte in Leipzig, Berlin, Prag and Wien AnaMi-
wissenschaft, nahm am Feldzug 1870/71 teil, liess sich 1876 als Arzt in seiner Vaterstadt
nieder, wo er l^fiS zom Kreiswundarzt, 1893 zum Sanitfttsrat, 1901 zom Kreisarzt ernannt
Murde. 13. int Oberarzt der Landwehr und beschäftigt sich hauptsiichlich mit zoologi-
schen, antliroprtlo'^isclipn, parasitolotrischen, hygienischen, ethnologischen und arch.'vo
logischen Sludien und voronenliiclite thiriibcr /.ahlreiche Ahh.indlmitrtMi in verschiedenen
Z^tschriften. Ein warmer Verehrer heiuer Ueiinatsscholle luid Erturscher der Lausitoer
Vollgeschichte, namentlich des Spreewalds, trat er 1895 als Dichter auf, als Singer
des Spreewalds.
1. Der Schloarberg bei Btirg.
Du Schlorsber^, stolzer Bau ans alten Zeiten,
Oewalt'ger Erdwall, dn, so sagumsponnen,
J;i nianrh Jahrhundert ist an dir verronnen.
Der Wandrer blickt zu dir anf, schon yon weiten.
üiyiiized by Gop;
121 —
Da gleichst a& Rohm dem Brocken und Oybine, .
Du Residenz des EOnigs einst der Wenden,
Erriclitet Torher von german'schen Händen,
Dich schaat der Forscher an mit emster Miene.
Dein Alter zeugen Bronce» Gold und Steine,
Ocftmden in nnd neben dir im HalnCi
Da strahlst, o Berg, in einem Heiligenscheine.
Um dich da ranken sich su viel der Sagen,
Noch lauge Zeit magst du bei Burg dort ragen,
Ein Denkmal stolz aus Mh'ren Spreewaldstagen.
(Spreewiadskl&nge. Lflbbenau, 1890, S. 120.)
2. Ueberschwemtnnng.
Ringsum im Walde
Auf BUujiiea und Striiuchem,
An HHoseru und Höfen.
In Grüben nnd Kähnen
Lagert der Schnee, der blendend weilise,
Fnfthoeh deckend die Erde.
T^n absehbar, weit auf den Wiesen
Endlos dehnet sich aus
Des Schneees Fläehe, glitzernd und schimmernd
Im hellen Schein dor niedriiren Sonno.
l'n«! da«! fernschwi itiiule Augo schant
Nichts als des Schneees Weiis und den llinimel darilber, den blauen.
Eilig weht ttber den knirschenden Schnee,
Den hartgefrorenen,
Der eisige frostige Wind
Und treibt der Schneekrystalle Trümmer,
Die zierlichen, losen,
Wie auf dem Meer, dem ewig beweglichen.
Lieber die weite Ebene,
Und weiise, flUchtige Wölkchen huschen dahin,
Pfeilschnellen Schlangen vergleichbar.
Klirrend und säuselnd
Fegt der rauhe Wind Schneemassen kreoz nnd quer,
AosfUllend Tiefen und Gräben,
Aofwerfend Bei^ nnd Thäler
Und an den Ufern kUhne, gcwOlbte Bogen
Phantastisch bildend.
Weifs erscheint der Wald allerorts,
Ein weiCscs Schneefjinvand
Trägst du. alter Spin wald,
Aus dir ward ein Öcbneewald. —
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122 —
Da plötzlich nahen geschwinde
Südliche Winde Und und lau,
Nässig und trübe erscheint der Schnee,
Sinket zusammen,
Hier und du blicken hervor
Die Kücken der Wiesen, die wintci'bgrttuen.
Trübe auch wird der Ilinnnel,
Wolken ziehen zusammen,
Schwere, niedere, düster und grau:
Immer finstrer wird der Himmel, ,
Und fanmer schwSrser die Wolken,
lYopfen fallen herab, einzeln zuerst,
Dann dichter und Immer dichter stürzen herab
Regengflsee in grofter Menge.
Schnell schmilzt der Schnee, der nttssiggrane,
Und mit dem Schmelzwasser
Mischt sich der Regen, der plirtsehernde,
Der wassorbringende, und l)aldigst
Füllen sich Wiesen und (Gräben,
Und hundert Kanäle, die grolseu und kieiucn,
Schwellen zum Kande.
lieber das Vfer treten die Witeser
Und schnell sich verchien
Zu einer Fläche, der stürmisch bewegten.
Hoch gehen die Wogen,
Vom Winde gepeitscht, dem pfeifenden,
Sich brechend in weiften WeUensehMomen
An Erlenstampfen nnd Wurzeln,
Ueberschweramend ^Wiese und Wald, Höfe und Ställe,
Fortreilsend mit sich im wilden Getose
Brücken und Bänke, Bäume nnd Kähne,
Heuschober, hoch^'-ethUrmte,
rnibrcchend die Stanji^en, <\\o Stützen.
In den brausenden P'lutlien, den >Yilden,
Schwinniien wirr durcheinander
Trümmer von Mühlen, Bänken und Brücken,
Feldgerälhen und Fischcrneizen,
Wurzeln von Bäumen, Aeste und Zweige,
Bündel von Heu,
Ertrunkenes Vieh.
Machtlos schauet der Mensch aus dem Blockhaus,
Dem wasserumwogten,
Auf das wilde Element,
Die verderbliche Ilochfluth.
In einem Bett, in breiter endloser Strömung,
Zwischen Bäumen, auf ebenen Wiesen,
Brandet daher die Spree,
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— 123 —
Gleich einem reii'senden» wilden Gebirgsstrom»
Meilenweit sieht das Ang-e nur Wasser,
Einen einzigen, grolsen See,
Baume und Sträucher stebn im Wasser,
Ueberau Wasser, —
Alter Spreewald
Wardst Uber Nacht du zu einem Seewald V —
Und wieder kehret soharf nnd rauh,
Der eiaige Wind, der nordgeborene,
Der kältebringende.
Hell glänzen in der Nacht
Die Sterne am klaren Himmel,
Die Mondscheibe, die volle,
Spiegelt sich wieder im Wasser,
Dem weitausgedehnten.
Und am Morgen welch Wunder!
Eis, spiegelndes Eis
Bedeekt die Wasserflilche,
Ein Eispanser hat die Wellen gebannt,
Zu glatter, glänseuder Ebene.
Endlos dehnt steh aus das Eisgeflld,
Das schimmernde, blinkende,
Und meilenweit über den Wiesen
Gleitet dahin der .Mensch auf stählernem Scliuh.
Ihm zeigen den Weg
Reihen von Sträuchem und Bäumen,
Ragend hervor ans dem Eislabyrinth,
Der elnst'gen GrSben stumme Grenzen.
In ein gewaltiges, groAes Eismeer
Ist verwandelt der Spreewald,
Geworden zu einem Eiswald. —
Lange Monde, in stiller Oede,
Trägt er sein Wintergewand, das weiise,
Das Trauergewaud im Wandel von Eis und Schnee,
Unter sich bergend die schlummernden Knospen und I'Uanzen,
Der Erlösung harrend.
Sehnsn^tsvoU nach erwärmendem Lnlthaucfa»
Blicken die Knospen der Bttume,
Bittend den Lens, den firinger der Wärme,
Endlich zu kommen und einzukehren,
Dals unter dem Kusse der jungen FrtthllngSSOnne
Das Eis nun schmelze, das IHstige,
L nd die Wolle, die so lange geträumt im Winter,
Wieder erwache.
Schon ist gekommen der MUrzenmond,
Und noch stehst du immer kahl und Od,
Wirf ab, da eisiger Spreewald,
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— 124 —
Den Winterpelz, den weiften,
Setamttcke dich wieder mit Grttn,
Mit dem bunten leichten Sommerkleid,
DaOs da prangest im Festesgewand
Und würdig erscheinst,
Zu cnipfanpfon zur Sommerzeit
Besucher aus nah und fern,
Von allen, die suchen
Stlirkun^ au Körper und Seele
Und Trost in deiner wclicinsameii Stille
Und den ransehenden Erlenhallen.
Sei bald wieder der Alte,
Du herrlicher,
Elirftirchtgebictender,
Herzerquickender.
Schattenspendender
Grünender Laubwald.
(Spreewaldklänge. S. 26—30.)
Paul Risch.
Geb. am 20. Januar 1802 zu Fehrbellin, empfing seine Ausbildung nls Lehrer aaf dem
SemiiMr in Oranienburg und ist seit 1885 in Berlin ala Lehrer thäUg.
' 1. Märkische Wandrung.
Wie einsam geht der Weg dabin
Durch Sand und arme Heide,
Und doch thut mir in meinem Sinn
Das Wandern hier nicht leide.
Ein Flüstern liür' ieh wohlbekannt,
MuÜB still oft stdh'n und lauschen.
Mein Herz vernimmt's, o mHrkisch Land,
Was deine Föhren rauschen.
Vom Hügel dort am Heidesaom
LafB ich die Blicke fliegen,
Da unten, schön wie Hürchentraum,
Seh ich es lachend liegen,
Kin Hdttesauf^e, dessen Rand
Lichtgriine AVicscn kränzen.
So lieb ich dieli, o mürkisch Land,
W^o deine Seeen plauzen.
Das Dorflein drüben, wie SO traut
Im dichten Laubpehe<:;-e!
l)ei- Siorch vom Kireliiurmneste schaut,
Ob riugs sich alles rege.
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— 1^5 —
Ja, Segen blüht ans kargem Sand,
Den trutzgen FleiA za lolmen.
Ich rtthme dich, o mitrlüsch Land,
Wo Kraft und Treue wohnen.
Ich sfir don Arm. der stark hindurch
Sich ringt aus Sumpf zum L(!b(Mi,
Seh deinen Adler, Brandenburg,
Empor ZOT Sonne aehwebenl
Mich knüpft ein hefmatselig Band
An deine schlichten Heiden!
Dir gilt mein Lied, o mUrkiseh Land,
Gilt dir gleich taneend Biden!
(Zuerst gedruckt mit einer Komposition von Ad. Z&ndet in: Lledenchatz. Saium-
hm^ viel stinm)iu:er Chorlieder far Knaben und Mädciien herausgegeben von Ad. Zander
und L. Li. Fischer.)
2. Auf der Glienicker Brücke.
Jungfemsee! ~ in dem Jungfemsplegcl
Soll sich die Schönheit rings beschauen,
Grünes Laubwerk und rOtliohe Ziegel,
Silberne Wolken und leuchtende Auen. —
Von der Heiland-kii < Iic da drüben
Kündet den Abend der Gloekenklang.
Weiise SchwUne, sie rudern und üben
Üingcludeu iicigcn am Ut'cr entlang.
Zwischen schwarzgrUnen Waldkulissen
Schimmert die Hayel fern dahinten;
HOgclkroncn, gezackt und zerrissen,
GlUhn in dem Goldlicht verlöschender Tinten.
Aus des Purpurs fetuigem Glänze
Ivagt's wie ein riesiges Löwcnhaupt,
Kielerngipfel der Kömersehanze,
Welche man also gestaltet glaubt.
Ach, wohin sich die Augen wunden,
Hierfabk und dorthin ohn' Ermüden, —
Kotzende Bilder an allen Enden,
Ueizcnde Bilder gen Nord und Süden!
„Überfahrt nach dem Babclsbcrge!*'
Lockt dort der Knabe aus dem Boot. —
Heute zu spHt schon, du kh iner Ferge! —
Leise verglimmt ist im Westen das Kot.
(Bisher nicht gedruckt.)
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— 126 —
Ewald MOller.
Geb. am 21. Januar lt^<i2 in Drebkau in der Lausilz, lebt ab I^hrer in Cottbua.
1. Preis des Spreewaldes.
Sangbar nach der Weise: „Es liegt eine Krone im grOnen Kliein".
Dir gilt mein Singen, o Spreewaldland,
Smaragdene Perle im märldBchcn Sand,
O Kleinod, vom Spreestrom in Silber gefafst,
O Wald, drin die Sage noch hcrbergrt als Gast,
Du «jrllnc Oase im heimischen Thal:
Sei gegrüüst mir, o Spreewald, ^-iel tausendmal!
Ihr ragenden Hallen im Waldesdom,
Wie rauscht euch va FttDsen der murmelnde Strom,
Ihr Wiesen, ihr Fluren vom Segen so schwer,
Wie schmiegt um di«' Hütton ihr traulich euch her.
Du zaub'risches Kihmd im Schönhoitsstrahl:
Sei gegrtUSt mir, o Spreewald, viel tausendmal 1
Du schnftt dir die Burschen so stark und so kühn
Und die Mädchen so hold wie die Rosen bltthn.
Es lebt deutsches Fühlen in wendischer Brust,
Zn Sang und zu hohem Streben die Lust
Treu schlagen die Ilerzen zu Brandenburgs „Kral":
Sei gegrttÜBt mir, o Spreewald, viel tausendmal!
Dir gilt mein Singen, o Sprcewaldland,
Dir trag* ich entgegen des Herzens Brand.
Manch' Land wohl rühmt sich schOn'rer Natur,
Doch giebt*8 auf der Welt einen Spreewald nur.
Drum, reizvolles Eden im heimischen Thal:
Sei gegrtUlBt mir, o Spreewald, viel tausendmal!
(Bisher nur als Einseldmck verOlfentlichtO
t. Hie gut Brandenburg aUwegt
Md.: .,8tr0mt herbd ihr VOlkerBcharen".
Unter allen deutschen (Jauen j Ob du Reichtum an Metallen
I'r<'is ich dicli, o Mark« liand, ' Auch niclit birgst im Bergesschacht,
Sinti aueli liiige] nur zu schauen, i Körnerschwer docli Saaten wallen
Dehnt aucl» weit sich dürrer Sand. ! Auf dem Feld in gold'ncr Pracht.
Doch mich grUlüt mit schliciiten Heizen j Zwar statt Feuersaft der Heben
Flufe und Wies' und lYaldgelieg', Beutst du Baumfindit nur am Ste^;
Mag Natur mit Fracht aucli geizen: ■ Dennoch mOcht' nur hier ich leben:
Hie gut Brandenburg allweg! . Hic gut Brandenburg allwegl
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— 127 —
Und das Volk, das dir enlsprossen,
Ist ein iiiaikiges Geschlecht,
Freiheitliebend, mutdui'chtiossen,
Zftfa, Tinbcugsam stets im Recht,
Voll Gkmttti voll Gottvertrauen,
Nie zur Mttb' und Arbeit tr8g\
Auf sein Wort darf fest man banen:
nie gnt Brandenbarg allweg!
In Alldeutischlands weiten Marken
Strahlst als Haupt du licht und klar:
Denn zum Horst, zum stolzen, starken,
WShlte dieh der Kalseraar.
Drom, wenn In den Landen allen
Prüfend ich den Beichtom wüg*,
Besser will mir keine gefallen:
Hie gut Brandenbarg allweg!
(Bisher nor nls p:inzeldrack und als Text für Kompositionen von M. Ostermeyer
W. Handweg und Fr. Leitmsnn veröffentlicht)
8. Auf dem ScUofaberge.
Das ist der Grand, von dem in fernen Tagen
Man sah die Wendenbarg ins Blane steigen,
Der Grand, auf dem beim wilden Altarreigen
Die Sklaven graasem Opfertod erlagen.
Auf diesem Plan hat Schwert an Schwert geschlagen,
Manch Pfeil gebot dem Kühniilcn ew'ges Schweigen.
Hit Zittern mocht' der Christ die Burg nur zeigen,
Nur zitternd ihres Herren Namen sagen.
Und jetzt? — Ein Wall, dreizinkig, giebt uns Kunde
Vom Fuls der Burg, kein Ki'st, kein Stein der Mauer;
Des Königs Nume tönt von keinem Munde.
Jetzt mit der Pflngschar fttreht den Plan der Baaer,
Der Lanzenspitzen oft entnahm dem Grande
Als werten Fond dem sinnenden Beschaner.
(Verhsitene Qloten, Dresden, Eflhtmami. 1888. S. 137.)
4. NäcbtUcbe Fahrt
Die DSmmerang begräbt die Tagesneige,
Die Nacht spannt schwarze Schleier dorch den Wald,
Kein Hanch bewegt die schlammerschweren Zweige,
Nur aas der Fiat der Wellen Marmeln hallt
Da gieiist der, Mond die volle Silberschale
Anf Waldcswipfel, Wiesen, Schilf and Fiat
In lichter Zaaberpracht mit einem Male
Bin Märchenland, der stille Spreewald raht.
Und hier und dort taucht zwischen Kiesenbäumen
Ein Stern den Strablenblick znm feuchten Grand,
Als wollt erspfthen er in lichten Schtfamon,
Wovon geheim erzählt der Wellen Hand.
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— 128
O bist du je den Wemlonwald durcbfabrcn,
Wenn magisch drinnen webt die Sommoniacbti'
Dir ist uls wär' aus tVrnrn Kindesjabrea
Das holde MUrchenaller neu erwaeht.
Vor trunk'nen Blicken aus der Flut sieh heben
Siehst du der Nixen Schar im Mondenseliein
Und fern am Wiesenuter Klfen sehweben,
Die hold umschlungen wiegen sich im Keih'n.
Da trifit das Herz ein wiindorsanies Schauern,
Als wUr' es noch von Ju{j;endträunien voll,
Und was die Welt dir sandt zum Zürnen, Trauern,
Dich falst die Wehmut, und es weicht der Groll.
Und wieder grüisen, wie aus Naelit, die Sterne,
Dich selig Stillscin, frohen Il(>llVn> Dlück
Aas zeituninaclitet-gold'nor .Tiifreiutferne,
Und was einst dein, im J'iauiii k« hrt dir's zurück.
O bist du je den WendenwaM dinH'hfahren,
Wenn magisch drinnen webt die Sonnnernacht?
Dir ist's, als wilr' aus fernen Kindesjahreu
Das holde Märchenaltor neu erwacht.
(Kdier nur als Einxeldnick in Zeitschriften verOif entlicht.)
Hans Gerhard Gräf.
Geb. am 5. Mui ISÜl in Wt iiiiar, verlebte seiue Kiiulheit in Dresden, wo er auch das
Gymnasiam besachte, stndierte in Beriin und Jena Natarwissenschaften, deutsche
Sprache und Litteratnr sowie Kuns^eschichte. Nach einer Reise durch Italien und
die Peloponnes und seiner Doktuqiroinotioii in Jena 1802—1901 Hilfsarbeiter iin der
Herzoglicht'ii Bibliothek in Wolfenbftltel , darauf r.ililiutlu'kar der st:lilti«(lit'n Volks-
bibliuihck in Freihurg in Breisgau, lebt jetzt cbendort ohne amtliche Thatigkeit.
Sanssouci.
Ein Jnlitai^. Schweigend brUtet das Sonnenlieht,
Und Sonnenwitime, zitternd, fluthct rings amber
Auf zierlich rein gepflegten Beeten, wo Rosen blfihn
Und Lilien, wo an Spalieren Reben still
Und Pfirsiche reifen, schwellend junjre Feigen auch,
Lustig zu sehn. Aus grüner Nacht der Ta\ns\vand
Blickt geisterhaft hier eine wcilsc Marnioi'bank,
Älit Greilenlüisen, dort die runde Hrnst
Von einer Sphinx. In jenem schattigen Laubengang
Welch zierlich Golicrkinderi>aar, das sieh bckriinzt?
Sprich leise, Frennd! Psyche and Amor ist's.
Wie lieblich krOnt die Rosenlast das Haar! wie sttte vertrAomt
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— 129 —
Lauscht sie dem Kauschen jenes Wassers, das
In schön geschweifter Schale Rund die Nymphe gieftt.
Und dort! die Wipfel überthttrmend ragt ein Scbloft,
Hit Säalenballen» Nischen, Stataen reich gescbmttdkt
Wo bin loh hier? in welch erträamtea Dlditerlaad
Führt mich, allgatig leitend, hent' mein Genius?
O welch ein Frieden! Selige Weiteinsamkeit
Häng^ hier den Rätliseln hingeschwundener Tage nach,
Und in den Wipfeln heimlich weht ein Flüsterwort,
Als si»räehcn sie von denen, die gestorben sind.
Und diese Stille I wunderbar gewürzt
Durch einen heilsen Haueh voll Sülsen Urangendufts,
Den mir der räuberische, buhlende Wind herab
Von der Terrasse Uber die Stufen führt.
Siebl ein Bothkehlchen, das in kecker Wirklichkeit
Und G^^wart neugierig sich niederläßt
Und anf dem Arm einer schlafenden Venus munter wippt
Des Ortes Schntcgeist! sag' mir, zogen sie aUe fort.
Die Schöpfer dieser Schönheit? güigen sie schon zor Rnh?
Warum denn treten sie nicht hervor, daft alisQgleich
T>i< Marmorbilder hören und Blumen rings
Kin froh GelUchter, ein bedeutend, sclühi Cles})rUch?
Doch siehe da! Hier löst vielleicht das K'Hthsel sich:
Steinplatten, liegend, auf dem Boden lanfrg:<'reilit ;
Die Inschrift? Thisbe, Phyllis, Alkmene — seltsam kiiiigt's!
Wer grub die Asche sorglich ciu der GriechenlVaua?
Und dort ebi neues Wunder thut sieh meinen Augen auf.
In frischem Eichcugrün ein Tempelmnd:
Auf SSulen, schlank und zierlich, zweimal vier;
Um ihren Leib, den glatten, blendend wehren, marmornen.
Schlingt Epheu grüne Anne. Drinnen sitzt
Auf hohem Sessel, sinnend ein junges Weib,
Im Selixjofs ein Hündchen und ein aufgeschlagen Buch.
Wer ist die seluint', wclmuiivoll Nachdenkliehe V
Mit iMarmurschiidern sind die Sltnlen all {jfezierf,
Und jedes trägt das Bildulis eines Ileldenhaupts:
Hier Philoktetes, Ntsos dort und Pylades —
Wer schuf dies? war*s der Freundschaft fromme' Hand?
Gewift, sie war's. Und jene Frau? Da plOtsUcb küftt
Die Sonne ihren Busen, der Marmor tOnt,
Und leise klingt es: „Friederike' durch die Lnft^
(Lyrische Stadien. Weimar 1808. 8. 87 f.)
♦) Gemeint ist der in der NKhe des Neuen ralaih gelegene Freandschaftstcmpel
mit der Marmorstatiie der Markgröfin von Bayreuth, der geistreichen Lieblingsschwester
Friedrichs des Grülscn. (Beschreibung yon Sans-Sooci, dem neuen Palais und Ctuur-
lottenhof mit ümgebuogen. Potsdam 1844. 8. 23.)
Areh. 9
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- 130 —
Fritz Eichberg.
G«b. «m 6. Angnit 1864 so SoMia i d. Keanittk, liMaehte die llittobchqto seiiiet
Heimateortety widmete Bidk dem Kaiifmennimtende and lebt in Bcritn, e«t 1887 eis
Mutber einer dguettenlftbiik.
1. Auf «teil Mtl8g«lbefg6fi.
Dich p;rürs' ich, herrliche Oberspree,
Euch Müggel berge, dich Müggelsee!
Wie sohimiiicrt in leuchtender Soimenglat
Im Wellcntanze die weite Flut,
Aul" der sich, gleich ütulzcii Jiicscnschwiiuüu,
Der Boote Segel blähen und delinoa.
Hier grfiften die Dächer von Friedrichshagen,
Dort Rahnsdorf, ein Ort aus den Wendentagen,
Und drliber hin geht der Augenmerk
Auf Woltersdorf und den Eranichberg.
Auch Rüdersdorfii HOhe voll Kalkgestefn
Erscheint in der Ferne bläulichem Sclicin.
Mit seinem Schlosse sieht man zur Linken
Das uralte KtJpenick freundlich winken;
Tiul fern aus dem Dun^to recken sich kUlm
Die stolzen Thürme des grolsen Berlin.
Das bcliinucke Orüiiau liegt an wcmlischer Spree,
■ Das liebliche Z<'Utht?n am Zcutlicner See.
Und siehe! auch Schmöckwitz, an Kelz nicht karg,
Das traolicbste Fischerdürfchen der Mark,
Das von drei Seeen liebend nmschmiegt,
Wie eine Perle im Meere liegt. —
So schweift der Blick Ton den MttggelhOhen
Entzückt hinaus Uber Land und Seeen.
Ihn lallt (k r Waldungen weiter Kranz,
Der blauen Gewisser Silberglanz,
Die aus der sinnenden Kieferiihaide
Hnt^j^efrenleuchten wie ein Cochim ide.
Sie sind di r Mark belebende Zier,
Sie winken wie Augen der Liebe dir
Zu frOhlieliciu Kasten im ^^'allk■sscho^s,
Auf schimmerndem Sande, auf schw eilendem Moos. —
Und hObnt auch der Fremdling den märkischen Saud,
Mir ist CS ein liebes, ein reizroUes Land
Mit seinen Brttchen, Seeen und Mooren,
Mit seinen Bergen, so traimiverloren,
Mit seiner Kiefern kraftigem Hauch
Und selbst mit dem bösen Sande auch.
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— 131 —
Denn auf dem Baad, an den Beeen voll Blftne,
Da lebt ein Volk von seltener Treue;
Sein Wort ist frei, wie der freie Wind,
Sein Blick ist klar, wie die Scceu sind,
Und wie die Fichte auf Bergeshnhn
MuTst' manchen Sturm dieses Volk bcstchn,
Und dürftiger ScIidIIc mit regem Fleil's
Hat es doch entrungen der Früchte Preis.
Um dieses Volk schon, so schlicht, wie stark,
Beneide, Fremdling, die stille Mark. —
(Mark Bnuideabufg in Sage und Lied. Ein Kranz heimatlicher Qedichte. Ver-
lag TOD F. Footane Go^ Berlin W. 1894. 8. 19 n. 20.)
t, Klottar Cborio.
An des Waldsccs stillem Strand
Liegt des Klosterbaus Ruine,
Wo aus lilüh'ndem Gartenland
Tanne ragt, die dunkelgrüne.
Einsam liegt der weite Bau
In des Mondes bleichem Schinuner,
Und der Wind streift kühl Und rauh
Über moosbedeckte TrUmmer.
Hohe Giebel, zackenreieh,
Und das Kirchendach, das seiiliehte.
Heben sich verschwommen, weich.
Ab im Ungewissen Lichte.
Um der WUnde rot Qesteln,
Um die spitzen Fensterbogen
Und der Pfeiler stolze Keihn
Uat sich Epheu reich gezogen.
Und durch P'enster, Thor und i'iiür
Lugt er in die Innenrinme,
Daft mit seiner grünen Zier
Alles Öde er nmsftume.
(Maik Bnmdenbnig in Sage und
18D4 8. 98, 97.)
Drinnen aber ist es stumm,
Stumm uiiti sefiaurig wie im Grabe,
Buchend schweift der Hliek herum,
Dafs ihn Glanz und Pracht erlabe.
Doeh was Augenweide schafft.
Fehlt dem altersgrauen Steine,
Schatten nur, gespensterhaft.
Dehnen sich im Mondenscheine.
Durch den Boden, schuttbestreut,
Durch die nackten Kirchenmauern,
Bilder der Vergänglichkeit,
Geht es hin wie Todestrauem.
Hin ist alle^Herrlichkeit,
Die erfüllt die weiten Hallen,
Was verschont vom Sturm der Zeit,
Ist durch Menschenhand gefollea.
Nur die Bäimie ringsumher
Rauschen wie in düstrer Klage,
Rausehen eine Wundermär
Von der Pracht yerblichner Tage. ~
Lied. Verlag F. Fontane & Co., BerUn W.
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182 —
8. Ein Gang durch die HOUe>*)
Mit Grausen werdet ihr es lesen
Mifstrauisch meinem Wort nicht glauben,
Dftfe in der HOUe ich geweeen.
Ich will eneh allen Zweifel rauben,
Vom Mifttrann sollt ihr edbnell c^nesen;
Die HOUe will ich wahrhaft achildem
Und malen euch in prUcht'gcn Bildern,
Was ich p^osehn. Schnell wird sich mildem
In eurer Brust dann aller Schrecken;
Ihr werdet gar an euch entdecken,
Dafs Triebe sich im Herzen rühren,
Die Hölle selber aufzuspüren.
Nun hOret meiner Schildrang Worte:
Es lebt im Volk ein alter Wahn,
Dafs gar verlockend stets die Bahn,
Dai's breit der Weg und weit die Pforte
Zur IKUle sei. Ich mufs bekunden:
Das Gegenteil hab ich gefunden.
Auf engem Pfade, viel versclüungen,
Da war ich ans des Sommers Helle
Ans gltth'ndem Sonnenbrand, zur Schwelle
Des HOUenreiohee Torgedrongen.
Erwartend, dafli des Abgrunds Lohe
Alsbald mir heifs entgegenschlage,
Dafs mich die Teufel sschar, die rohe,
Erbarmungslos mit allem plage,
Was eine Hölle schrecklich nineht —
Gewärtig, dafs aus Schlundes Nacht
Gelichz, Gewinsel and Gestöne
Viel armer Henscbenseelen tOne,
So drang ich vor — and seht, Ich fand
Nicht Tenfelsgrimm, nicht Hollenbrand,
Zur Qual und Folter kein Verlieft,
Fand statt der Hüll* ein Paradies.
In einem Thale, eng begrenzt
Von WUnden, die sich steil erheben,
Ward, was Katar kann SchOnes geben,
Vom güt'gen Schtfpfer mir kredenst.
Nach heüben Sommertages Schwüle
Umpflng wohlthuend mich die Ktthle
Des stillen, friedcvollen Thals,
Durchs dichte Blätterdach dringt kanm
*) Eine Waldschlneht nmdOstUdi roa Boekow fai der Kihe der PritihageiMr Hafai«.
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— las —
Dm müde Lieht des Soimeiutrabls
Hernieder in den Dämmerraom.
Nur hie und da verstohlen Irrt
Der Lichtschein über .\foos nnd Kräuter,
Wo um die Blume lebensheiter
Der Falter und die Biene schwirrt. —
Froh schritt ich fort. Ein Blichh iu zit iit
Mit muntcrm PlUtschern durch die Schlucht;
Es singt ein firtJhlieh Wanderlied
Und eilt, als sei es anf der Flneht,
Durch SteingerOll nnd Farrenkrant
Vom moosbedeckten Steine schant
Eidechschen mit den klugen Augen
Ihm nach und denkt: für dich mag taugen
Der ungestüme Wanderdrang;
Ich bleib daheim gern sommerlang. —
Und weiter schritt ich schauend hinr*
Bei Jedem Schritt ein schOnres Bild,
Bei jed«n Bild mit weichrem Sinn
Pries ich die Gottheit dankerfUlt
Aus schattenreichen Buchenzweigen
Erklingen süfse Vogelstimmen,
Die mit des Büchleins Sang Tcrschwimmen
Znm wohlgemuten Liederreigen.
Das Schlinggewttchs wild wnehemd sitzt
Am Wurzelwerk der glatten Erlen,
Dran glHnzen hell, glfich Silberi)orlen,
Die Tropfen, die der Bach verspritzt.
Und zwischen Eiii Ti, Buchen, Fliehen
Und dunklem Grün der Tannen wirken
Die weifsen Stämme schlanker Birken
Wie Harmorsllulen, die den reichen,
FrisehgrQnen Bltttterhimmel stfitzen,
Dnreh den die Sonnmlichter l»litzen,
Durch welchen auf des Thaies Pracht
Tiefblau der Äther niederlacbt. —
Das ist der Ort, den ich gesehn.
Die Hölle, die ich aufgesucht;
Wer hatte solcher Je geflucht?
W'f nicht den Wunsch, selbst hinzugehn?
iio g^eht: euch winkt mit süisc^m Heiz
Der Ort, dr>n TTf>Ile man benjumt,
rn(i den icii als ein Eden fand,
Bei Buckow in der niHrk'schen Schweiz. —
(Mark Brandenburg iu Sage und Lied. Verlag von F. Fontane & Co. Berlin W.
18M» 8. 100-103)
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— 184 —
Fritz Löwe.
Geb. am 10. April 1865 zu Finkenwalde als Sohn eines Pastors, studierte Philologie
ond !ElieolQgie in Oreif8w«ld, Tflbingen, Berlin. 1892 evangeUscher Pftmrar in Oflli-
f oznien, dann in Espiiito Santo in Bnurillen, wo im einsamen Ürwald-Pfarrhaoae daa
mlrUsoiie Reiteriied ,3anatiifl" entstand. Seit 1806 Pastor in Rathenow.
Die märkiscli« Heide.
Ein melancbolifloh BUd die dürft'ge Heide
Mit ihrem wei(teii Sand nnd dttrren StSmmen;
Und doppelt tranrlg gar im Abenddämmem,
Wo sich die Schatten recken, wo mit Krttcbzen
Dem Horste zu die magern Krähen flattern,
Von fem noch eines Hähers schriller Sclirei
Und einer Klule dumpfer Kiif ertchit
In dieser trüben, sand'gen Kinsainkeit
Mit ihren Kiefern, ihrem Heidekraut. —
Ein dfüMg Laad und doch dem Mlikerhenen
So lieb nnd traut, öbSs ihm des Südens SohOne
Nur Sehnen weckt nach seiner mlirk'schen Heide.
Und wenn er wieder stumm und lässig zieht
Durch ihren Sand: er fiihlt sich stark und ftroh
T'^nd p^lücklich wie am Muttorherzen wieder
Bei seinen Kiefern, soim m iicidekraut.
(Reoatoi. hAn märkisches Beiterlied. Leipzig 1894. S. 33.)
Adolf Brand.
Geb. am 14. November 1874 zu Berlin. Herausgeber der Zeitschrift »Der Eigene"*.
Lebt in Neu-Kahnsdorf am Müggelsee.
KahnhJirt.
Des Abends Schatten schleichen auf den See
Und folgen hmscliend unseiin kleinen ivahn.
Die Tiefen bliek^n stumm und rätliselvoll —
Die Sterne aber sinnen in die Nacht.
Dort durch den l'ferwald kommt still der Mond,
Im Kiefernhaar blinkt bleich sein mattes Gold,
Und aus dem Schilfe steig'en Nebel auf —
Die Sterne aber sinneu in die Nacht.
Die Wasser glllnzen und die Tiefe bebt.
Da siehst mich grofö und bang nnd fragend an
Und meine Polse po<^en sehnsuchtsvoll —
Die Sterne aber sinnen in die Nacht . . .
. y i.uo Google
135 —
Die Wellen schmeicheln leise um das Boot,
Die Finthen träumen und die Kuder ruhn,
Der Wind nur zieht uns schweigend stromhinab —
Die Sterne aber sinnen In die KMtit.
Wir faliren wieder auf den See binaos,
Und wieder lab der Mond so bleich und groib
Und wieder spielt' im Bobr der Abendwind.
Leicht glitt der Nachen anf den Waaeem hin,
Sie saft am Stener und ich fuhr den Kahn,
Da lagst zu ihren Fttften wie eiv Kind.
Sie sang nnd sprach von ilirer Einderzeit,
Du Irni^f ]ito8t still nnd thatst mit Worten schön,
Und deine Stbnme klang so weich nnd lind.
An meiner Seite aber saflB der Tod
Und zeigte stumm mir mein verblutend llerz,
Und meine Ruder Jagten pfeilgeschwind.
Wir stiegen aus und ihr gingt dann allein,
l'nd als mein Herz verlilutet war im Wald,
Saug in den Blättern noch der Abend wind.
Hubert Müller.
1800 als Sohn eines märkischen Gutsbesitzers, der vciaimtr, geboren, besuchte das
Seminar in Oranienburg, wurde Lehrer, wanderte nach Amerika aus, kehrte verzweifelt
larttck und starb mn 1880 im IiteiihaiiBe.
t BegrÜGiung der Marie.
0 schlichte Hark, da Land, das mich geboren,
Sei mir gegrllf^t ans tiefttem Hensensgmnd!
Ich kehre heim . . . Dir sei aufs nen' geschworen
Der frevelhaft gelüste Treaebund!
Oehetzt. zorlVt/.t und bis zum Tod prmnttet,
Betret' ieii \\ iod('r deinen leichteu Sand,
Drin meine sel"gc Jugendzeit bestattet —
Sei mir gegrülst, mein teures Heimatland!
Zwar sah ich scliöirre Ilininiel, schön're Auen,
Mit allen K'eizen der Xatur erlüllt:
Doch ach, auch manches Elend, manches Grauen
Hat sich dort schreckhaft meinem Blick enthüllt!
Es wachem überall die gleichen Plagen,
Und zUg* man aaeh zom fernsten Erdenrand!
Will gern mein altes Kreaz nan wieder tragen —
Sei mir gegrttibt, mein teores Heimatland.
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— 136 —
Das Hiitth'in, dort am dunklen Erlenteiche,
Der Fiilireiihain, von Wiesen ^lün umsäumt,
Der breite Aeker hier, der frücbtereiche,
Der boffhuugsvoU dem Herbst entgcgentirKamt:
Gewife, die Heimat i8t*8, die ich gemieden,
Dieselbe, die so sehnOde ieh Terkannt!
Mir ist's, als wftr' ich nie ron ihr geschiedenl
Sei mir gegrtl&t, mein tenres Heimatland I
Es liebt der Bednine seine Wtfate,
Der Älpler seine Berge, hoch und stark;
Es liebt der Normann seine Meeresküste,
Und ich ^ ich liebe meine dfiUit'ge Hark!
Das Glück, das mir nnr karg hier zngemessen.
Die Trübsal, die ich überreich hier fand:
Ach, alles, alles habe ich vergessen!
Sei mir gcgrül^t, mein tenres Heimatland!
(Gedichte. Zweite vennehrte Auflage der Lieder eines ausgewanderten Kor-
uiärkers. Berlin 1»92. Juliuä Lieber. S. 93 u. 94.
8. An einen märkischen See«
Blauer See, der aus Gebüschen freundlich wir ein Auge lacht:
() wie manche holde Stunde hab' bei dir ieh froh verbracht!
Oft auf deine Zeichensprache hab' ieli träumerisch lauscht,
Und mir ist in schnellem Zuge drüber Zeit und Leid verrauscht.
Und was du mir da verkündet, ward in mir zur Melodie —
Heimatland, da vielgeschmKbtes, auch auf dir mht Poesie!
Da auch bist nicht bar des SchOnen, bist auch nicht an Reizen karg;
Doch da durftest nicht in Muibe zeigen, was dein Bosen barg.
Mulstcst ja dein Schwert oft zücken für so manchen blnfgen Stranib,
Und von dir, mit Stolz orlUUt niich's, ging die Rettung Deutschlands, aus!
Zwar wirst du vergeblich spähen, WO dein roter Adler lebt,
Während Picuisens Aar gewalt'ii-on Fluges auf zur Sonne schwebt.
Ja, du bist, mein Land, mit Lorbeer wie kein andres reich gcseliniüekt,
Aber ach, der Kranz der iJiehtkunst l)heli noch immer dir entrückt!
Wohl in allen deutschrn (iaucn klingt und bingt es herrlicii rings —
Du nur gleichst di r sanduiuwehten, rUist Uiaften stillen Sphinx!
Doch lal's es dieh nicht vi-nlrieit^en, blicke froh mein Heimatland!*
KOnnt' ich dir die liarfc drücken in die narbenvolle Hand!
Solltest dann ein Liedlcin singeu, warm und wahr und stolz und stark,
Dafs man nicht mit Spott mehr spreche von den Musen in der Mark! —
Blauer See, der aus Gebüschen flreundlich wie ein Auge la^t,
0 wie oft hast du im Herzen Helmatsohnsucht mir entfacht!
(Gedichte 8. 95.)
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ARCHIV
DBB
BRANDENBURBIA
GESELLSCHAFT FÜR HBIHATKDNDE
DBB
PROVINZ BRANDENBURG
Unter Mitwirkung des Märiüsolieii ProYiuzial-Museuins
herausgegeben
OiMllfohifti - Vontaiidt.
9. Band.
-»HK«
Berlin 1902.
Drnck und Verlag von P. ätankicwicz' Baohdmckeroi,
Bemborgerstrasse 14.
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Festschrift (I)
zur
Feier des zehnjährigen Bestehens
der
Biandenburgia
Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg
den Mitifliedeni, Gtonern und Prennden,
vom Vorstand und Ausschuss.
Hi* gut Brandenburg alhweget
Vorwort.
Am 20. Marz 1892 begründet» feiert die Brandenborgia in diesem
Jahre ihr ZolinjiDirisreR Bestehen.
Zu Elirpii ilit'ses Ereignisses, jinsseidpiii aber um iliivn Ilolieii
Gönnern, ihren Freunden und ihren Mitgliedern ein Zeichen der
Erinnerung zu widmen, hat der Vorstand nnd Ansschnss am 9. Febrnar
(I. J. bcsclilussen, zwei Fostsclirifteu, gleichzeitig uls Baud U und lU
des Archivs der Gesellschaft, drucken nnd verteilen zn lassen.
Die Festschrift (1), 9. Band des Archivs, erscheint zum Tage der
.liibiläinnstVioi* und enthält einige Arbeiten von Mitgliedern unserer
Gesellschaft.
Die Festschrift (II), 10. Band des Arcliivs, wird den Bericht über
die wissenst haftlichc Feier am 22. April d. J. und etwaige Nachträge
euthulten.
Wir bitten nm frenndltche Aufnahme unserer literarischen Gaben
nnd nm ferneres Wohlwollen fRr unsere vaterländischen wissenschaft-
iiclieu uud gemeinnützigen iiestrebungeu.
Berlin am (jeburt.sta^ ivaiser Wilhelms des Grossen 11)02.
Brandenburgia
Gesellschaft für Heimatlcunde der Provinz Brandenburg
Ernst Priedel
Geheimer HogierungHrat and S(Acltr*t
J. Vorsitsender.
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
Denkschrift über die Heraoflgabe einer bnmdenburgiscbeu Heimatkunde. Von
Robert Slielke 5
L ber den Auteil der gebirgsbildenden Krttfte bei der Huiaubbilduug der uiarkisclieu
Landschaft. Von Ednaid Zaelie 26
JNe alte Doilkirdie vom Knhadorf in der OstrPrignitB. Von Pastor Kupp in Kuhsdorf 89
Wandhugen des Waldes. Von Cari BoUe 60
Markgrttfln Hargarele von Brandenbnig. Von Georg Schuster 58
Brandenburger in Italien fan Zeitalter der Benalssanoe. Von Friedrich Krflner . 70
Znr GescUcbte der Bleaendorf (Blftsendorl). Von Geoig Galland 78
Goethe In seinen Besiehongen m Berlin. Von Ferdinand Meyer 07
FUnfhimdert und fflnfag Jahre Berliner MAnsgeschiehte 1160—1700. Von Emü
Bahrfeldt 104
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DENKSCHRIFT
ÜBER Dl£ HERAUSGABE EINER
Brändbnburgisghen Heimatkunde
DER
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
IMi PROVINZ BRANDENBURG
zu IHREM
10 JÄHRIGEN STIFTUNGSFESTE
• GEWIDMET • -
VON
ROBERT MIBLKE.
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Zehn Jahre der Thätigkeit hat onsre Gesellschaft der heimatlichen
iMirschung gewidmet. Whs sie geleistet hat, ist in den bisher erscliieneneu
IH Binulcii ihrer V<M öfV<'utlicliimi>eii Mii'dergeU'<it. Sit- bezeugen aher aucli
xuglei(-)i, dass wir erst ani Anfange UQsrer wisseuscbaftiichea Arheit
stehen. Wer mit der Liebe des Eingesessenen das Einzelne und dos
Zusammenhängende der engeren Heimat verfolgt und sieht, wie immer
wieder neae Reiser aus anscheinend schon verdorrton St&mmen treiben,
wer aber auch beobachtet, wie häiiiig eine alte Überlieferung unter dem
lleranwaehsen einer neuen Zeit verkünuiu'rt, dw wird es mit mir
bedauern, dass noch kein abschliessendes Werk den Stand des gegen
wärtigen Wissens für die Zukunft festlegt. Aus dieser Wahrnehmung
heraus habe icb schon seit der Gründung onsrer Gesellschaft den
Gedanken verfolgt, den Stoff zu einer brandenbnrgischenYolkskunde.su
sammeln, um ihn vielleicht einmal geschlossen zu veröffentlichen. Blit
grosser Freude gritt* ich es daher auch auf, als mein verehrter Freund»
Herr Professor i)r. Friedrich Wagner zunächst gespiüchsweise die
Notwendigkeit einer unifassemlen Landeskunde der Provinz Brandenburg
eröi'terte und seine Vorschläge einem engeren Kreise unsrer Mitglieder
darlegte. Wenn ich nun meinen bescheidenen Entwurf, der mir ur-
sprunglieh nur als Arbeitsplan zu einer brandenbnrgischen Volks-
kunde diente, an diesem Festtage der Öffentlichkeit vorlege, so habe
ich manche Bereicherung jenen ITerren zu verdanken, die mir auf unsem
vei trauliclu'ii Zusammenkünften mit vielen Anregungen zur Seite standen.
Ks ist mir eine aDgenehme Pflicht, diesen Herren, unsren Mitgliedern:
Geheimem Regieniügsrat E. Priedel, Prof. Dr. Friedrich Wagner, Prof,
Dr. Krfiner, Dr. G. Albrecht, Rektor O. Monke, Dr. O. Pniower,
Dr. Regling und Dr. Zache öffentlich zu danken. Ich darf hoffen,
dass ihre Mitwirkung sowie die andrer Mitglieder und Freunde unsrer
uiyiiizeo Dy Google
Gesellschaft auch welterhiu für das Zustaadekommen des Werks über
brandenbnrgische Heimatkunde nicht fehlen wird.
Die Gesellschaft für Hoimatknnde der Mark Brandenbur«^ tritt
beute in ilir zweites Jaliizehut ein. Möge es ihr uud ihrem verehrteu
Vorsitzenden vergönnt sein, das Werk erstehen zu sehen, dessen Grund*
linien ich im Folgenden zu skizzieren versucht habe.
Berlin, im Februar 1902.
Robert Mielke,
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I
Aufgabe und allgemeiner Plan der Heimatkunde.
Eine brandenbnrgische Heimatkande za schaffen, ist eine Aufgabe
die alle Freunde und Kenner unsres Landes dringend zur Mitarbeit
auffordert. Die Grände fQr diese Forderung treten bei uns vielleicht
mehr zu Tage als in andren Gebieten, in denen man vor Jahren schon
erfolgreich an diese Arbeit ji^^^ngen ist. Obwohl in den Branden-
burger Marlcen ein Arbeitsfeld vorliegt, das durch seine Beziehungen
zur allgemeinen deutschen Geschichte und zu den grossen um-
gestaltenden kulturgeschichtlichen und wirtschaftli( hen
Fragen der Gegenwart in erster Linie nach einer wissenschaftlichen
Benrl'fitun^:: drängt, so fehlt hier noch jeder Ansatz zu dieser. In
andren Landesieilen ist dagegen schon viel in dieser Hinsicht geschehen;
man ist nicht nur friih(>r sondern zum Teil auch mit umfassender
Organisation an diese Aufgabe herangetreten. Es sei nur an die mehr-
fach aufgelegte vierbändige „Bavaria" erinnert, die auf Veranlassung
des Königs Maximilian II. von Bayern einen grossen Stab v«»n Gelehrten
unter Führung W. H. Riehls bis zu ihrer Vollendung vereinte; es sei
ferner auf die vielen Bände der „ Oberamtsbeschreibungen "
Württembergs hingewiesen, die mit Landesmittelu unterstützt werden
und ebenfalls schon zum Teil in Neubearbeitungen vorlietreTi. Solrhen
Werken gegenüber beweisen andre, welche der Opfei Ns illif^keit einzelner
Verleger oder der Thätigkeit örtlielier Vereine ihre Herausgabe zu ver-
danken haben, daas eine in grosser Anlage beabsichtigte Ijandoskundo
geradezu auf die Mitarbeit vieler und auf «lic; Unterstützung mindestens
ständischer und städtischer Bchörflen angewiesen ist. Du die einzelnen
Herausgeber unmöglich alle naturwissensehaftlichen, geschichtlichen,
volkskundliclien und sj>raehlichen Gcliicte beherrschen konnten, so
beschränkt*!! sie sich uaturgomäss auf die Bearbeitunfj: selbstiindicfer
Teile. Aber aucli in dieser wissenschaftlichen Beschränkung sind uns
andie Läuder und Proviuzen weit voruuä geeilt. Baden hat mit
uiyiii^ed by Google
6
Aufgabe und allgemeiner Plan der Ueimaikunde.
E. II. Moyors ^Badisclips Volksleben im 19. Jahrliundei-t'', Brann-
schweig mit K. Andre's in zweiter Auflage erschienenen „Volkskunde",
treft'liche Arbeiten dieser Art. Aus Mecklenburg sind die Kaabe-
Quadesche „Vaterlniidskundc" und die mit staatlicher Unterstützung
bisher erschienenen drei Bände der Wo.ssidlosehen „Volksüberlieferungen"
zu nennen; Sachsen ist mit der R. Wuttkeschen „Volkskunde",
Schlesien mit seiner „Landeskunde" von Partsch und 'l'hüringen
neuerdings mit dem „Geographischen Handbuch" von Fritz Regel ver-
treten; dieso allein kennzeichnen genügend (h-ii Kückstand, in dem sich
das Stammland des Prcussischen Staates befindet.
l>ie Provinz Brandenburg uiiisclilips^t ein Gebiet, dessen plan-
miissige Durchforschunir und Beschreibung uu\ so diingender sind, je
mehr sich liier <lie Verhältnisse von .lahr /.u .lahr amiern. Was wir in
mühseliger Arbeit lieutc noch für spätere Geschlecliter festlegen können,
ist nach kurzer Zeit viellciclit unvvicdtMlninglich (hdiin. Kein andres
Land im Deutschen luMchc ist durch Zu- und Abströmen der Be-
völkeruntr derartig umgestaltenden Veränderungen ausgesetzt wie die
Brandenburger Marken, deren einheitliches Tiefland weder trennemle
natürliche Erhebungen im Innern noch nach aussen hin besitzt; k«'in
liand wird seilest in seinen Oberllächen-Verhältnissen so durch Verkelus-
bauten aller Art verändert wie die l'rovinz Bratidenbure;. Blicken wir
nnr auf die steinernen Arme, mit »denen die Hauptstadt in einem 4<i km
grossen Radius über ihre alte Peripherie hinausgreift, so muss es klar
werden, dass sich vor nnsren Auq:en Veränderungen der < )l)ei"tläehe und
der Bevölkerung und damit auch der Kultur vollziehen, die grund-
bewegend für das \Olkstum sind.
Die Maik \>\ auch ein dankbares Land für die Forschung, weil
die Beziehungen eines so modernen Wesens, wie es sich in der Gross-
.stadt Berlin darstellt, zu dem alten Kolonialboden ganz neue Gesichts-
punkte bieten. Nicht nur die grundänderuden Einflüs.se wirtschaftlicher
and geistiger Art (Absatz von Milch, Briquets nach Beilin, Zusannnen-
strömen oiner arbeitenden Bevölkerung, Zeitungen, Bücher-Zentrale
Q. a.) sind weithin verfolgbar, sondern die Aufgabe selbst ist neu und
anziehend) weon man die Einwirkungen eines so riesenhaft empor-
geblühten Gemeinwesens auf ein geschlossenes x>olitische8 Landgebiet
in Betracht zieht Da zeogen die Rieselfelder von einer zur Zeit noch
garnicht abzuschätzenden landwirtschaftlichen Betriebsmacht der Gross-
stadt; da drängen die emiH>r8trebenden Vorstädte auf die Lösung eine^
andren Zeitproblems, das mit einer ins Auge zu fassenden Einverleibung
durchaus noch nicht erschöpft ist Die Kreisbahnen, welche sich immer
mehr zu einem Riesenverkehrsnetz ausgestalten und mit allen ihren
kleinen Verbindnogsadem dem wirtschaftlichen Zentralpunkte zustreben,
machen dieseo nicht nur zum Stapilj latz ungezählter Gflter, sondern
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Aafiabe und tdlgemeinmr thn der Helmatkiiiule. 7
wirken dorch das Aufblfthen Örtlicher ladnstrien (Niederlausitzer
Brannkohleiiindastrie, Ziegdindastrie) aaf eine enge Verbindung zwischen
Stadt und Provinz.
Und diese selbst — die Mark Brandenborg im alten Sinne — ist
ein Kolonisationi^biet, das durch die Dauer nad die Ergebnisse dieser
Entwicklung ganz einzig in der Menschheitsgeschiclito dasteht. Ein
so weitblickender Geschichtsforscher wie der Leipziger Universitäts-
professor Karl Laniprecht» Spricht es geradezu aus, dass die Germani-
sation der Slavenländer „ein wahrhaft erstaunlicher Vorgang, eine
Grossthat unsres Volkes während dos Mittelalters'' ist. „Während
Habsburg im S&den im Besitz der Kaisorlcrone verbleibt, wächst im *
Norden langsam Brandenburg hervor, durch welches der koloniale
Osten zum Föhrer der deutschen Geschichte wird". Wie in Nordamerika
die Kreuzung der verschiedenen Zuwanderungen ein besonderes, praktisch
beanlagtes, unternehmendes Geschlecht heranwachsen lässt, so haben
wir in der Mark Brandenburg eine gleiche Erscheinung. Männer
von hervoira^cend scharfem Blicke für das Naheliegende und Thatsäch-
liche (Barfuss, Schöning, Arnim, Knobelsdorf, Knesebeck, Schinkel,
Zelter, Fontane, Bismarck, dessen Wiege ja noch im })olitischen Ver-
bände der alten Mark stand, u. a.) sind die Ergebnisse dieser Mischung,
die sich in den Ta^en der Not (30 jähriger Krieg, Schwedenkriege) am
glänzendsten bewährte. Wie gross die Anziehungskraft dieses Kampf,
Arbeit, aber auch Lohn verheissenden „armen" T^andes war, bezeugen
die bedeutenden Männer, welche nach der Mark strömten, um im Dienste
eines starken, weitblickenden Herrschergeschlechts Ansehn und Ver-
mögen zu erwerben (Lynar, Derttliuger, Adam von Schwarzenbere: pp.).
Was die Grossen dem Zeitgemälde in weithin sichtb;irt'n Linien auf-
zei( ImetPD, wurde durch die stille Arbeit am engeren Volkstum von den
kleineren Adelsgeschlechtern ergänzt. Die Arnim, Bredow, Buch, Ilake,
Itzenplitz, Klitzing, Kracht, Marwitz, Pluel, IMotho, l'utlitz, Rocliow,
Röbel, Knill, Schulenl)urg, Treskow, Wedeil und wie sie alle heissen,
sie landen auf dem neuen Boden eine Heimat, in deren geistigem Leben
manche von ihnen sich auszeichneten, in deren landschaftlichem Bilde
die alten Familiensitze ein so charakterisches Element sind. An An-
sehen, Regsamkeit und zäher Schaffensfreude wächst in den Städten ein
lUirffergesclüecht heran, das — ein weiteres Zeugnis des klarsicbti<<en
miirkischen Charakters — sich nur bedächtig den weltumspannenden
Thuteti dir Ilansa auschliesst, das sich im engeren Heimatlande zu
politischer Wirkung stählt (Städtebund), sich selbst gegen höhere
Gewalt auflehnt (Tyle Wardenberg, Wilke Blankenfelde) oder in starrer
Entschlossenheit sich im Kampfe am „sein" Recht aufreibt (Hans
Kolhase). Und auch der Baaer verleugnet nicht sein Kolonenblnt. Ob
er immer mehr Ödländereien in fruchtbare Acker umwandelt, oder sich
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Aaf^be nnd allgemeiner FUm der Heinutkiinde.
zam Schutze des £iTUDp:eiien waffenstark zusammenschart, (^Wir sind
Bauern von geringem Gut nnd dienen onsrem gnädigsten Kurfürsten
mit onsrem Blut". — Landsturm 1813) so weiss er stets sein Lebenssiel
mit der Heimat Wohl zu verbinden.
Auf solchem Boden konnte sich allein die grosse Reaktion des
permanisclien Volksgeistes vorbereiten und vollenden, die das Mittel-
alter abschliesst: die Reformation, auf solchem Boden der Geist eut-
wicki'lt), fhn' die Schlachten von Fehrbelliu, Leuthen, Waterloo und des
Kriegt'S IsTO 71 schlug.*
Das wasserreiche, dürftige T/and wandelte sich von den Askanier-
zeiten an in ein fruclitbares ackerbauendes und gewerbliches Gebiet
um, und je mehr dein NVasser Scholle auf Scholle entrissen wurde, um
so grösser wurde dit* Bedeutung des Wassers selbst für das Land.
Durch Hohenzollernfiusten siud Rhin- und Ilavelluch und der Oder-
und Warthebruch der Kultur erobert: durch dieselben Fürsten sind die
grossen Kanäle angelegt, die den engen Wirkungskreis der Provinz
erweiterten, und sie an die weit verzweigten Flulasysteme des libiigeu
Deutschlands ansddossen. Das erste KriegsschitV, das vor mehr denn
zwei Jahrhunderten den einstigen Auteil Preusseu-Deutschlands an der
lierr^('haf■t über die J'.rde vorauskündete, trug die Flagge Kurbranden-
bui-y:>: vielleicht vermittelt der gejdante Mittellnndkanal, indem er die
scliitViiare Spree und Oder an den Rhein aiischliesst, eine erneute Be-
teiligung des Märkers an der Gi-oss-SeeschilValirt.
Die Beziehungen des Landes zu dem übrigen Europa sind ohnehin
s< li(»n durch seine Mittelpunktslage vielseitiger, als sie in seiner reichen
(leschiclite iuissi i licli zum Ausdruck gekommeji sind, liier begegnen sich
maritimes und kontinentales Klima, entwickeln sich atlantisclie und j)ontische
Flora, bezw. Fauna, und dank der Einflußsphäre des skandinavischen
Nordens ist sein Boden zu einem wichtigen Archiv iür die Schöpfungs-
jierioden unsrer Erde geworden. Der Geologe lindet in seiner Tiefe die
überzeugenden Beweise der einstigen Vereisung, die ihn geradezu zu
dem klassischen Boden für die G lacialgeologie machen. (Rüdere-
dorf, Urstromthäler, Endmoränen, Moränenlaudschaft und Abschmelzzonen.
Torf, Braunkohle, Ziegelerde u. s. w.)
Eine brandenburgische Landeskunde ist — falls sie geschaffen
wird — ein inhaltreiches Werk von grösster Bedentang. Ist eine solche
heute an nnd für sich schon mehr als das Erzengnis fhichtloser
wissenschaftlicher Spekulation, so wird sie, seit man die tiefen Be-
ziehungen erkannt und verfolgt hat, die zwischen Land nnd Yolk,
zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen wirtschaftlicher nnd
politischer Gestaltung bestehen, auch ein Archiv werden mfissen, ans
dem die Znknnft manche L^hre nnd Anweisung zn holen hat Nur
zwei Erscheinungen seien hier hervorgehoben, die ffir eine solche
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Aafgftbe and aUgemeiner Plaa der Hcimutkimde.
9
WertoDg der landeskoDdlichen Forschung sprechen: die auffallende
Yermehrnng der hier in Betracht kommenden wissenschaftlichen Vereine,
die teils neu gegründet, teils aas bestehenden Geschichts- nnd anderen
Vereinen heraus Sektionen gebildet oder ihr Arbeitsgebiet nach der
natur- nnd volkskundlichen Seite hin erwdtert haben. Dann die Reihe
streng wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die in Deutschland von
Jahr zu Jahr steigt und bei den Universitäten selbständige Lehrstühle
anstrebt Noch ist es vielleicht zu früh zu behaupten, dass auch die
Volkswirtschaftslehre überall auf solche Studien zurückgeht; es
lässt sich aber voraussagen, dass in absehbarer Zeit sowohl diese wie
die Yerwaltungswissenschaft jene in der Volks- und Landeskunde' ein-
geschlossenen Worte wird beachten müssen; besonders aber wenn sie
so stark in die Erscheinung treten wie bei uns.
Wir haben ein Land, das Bewohner ans allen deutschen Stämmen,
selbst aus andren Völkern an sich zog; sie sind alle zu Märkem
geworden, haben sich in die neuen Verhältnisse gefügt nnd ihren Ur-
sprung abgestreift Es wurd stets für die Volkspsychologie eine be-
achtenswerte Erscheinung bleiben, dass eine Stadt wie Berlin, die um
1700 halb französisch war, diesen Bevölkerungszusate bis auf wenige,
künstlich erhaltene Erinnerungen, gänzlich hat verschwinden lassen.
Andrerseits findet der Wirtschaftsstatistiker eine Reihe von Vorgängen,
die gewlssermassen das Gesetz vom Werden und Vergehen am eignen
Volkskörper blosslegen: Städte, die zu Dörfern geworden sind (Heckel-
berg), andre, die diesem Schicksal entgegengehen (Sarmund) oder un-
versehens aufblühen (Wildau seit 1899 Station, heut 60U0 Einwohner),
vergangene Industrien, welche einst das ganze Land belebten (Seiden-
industrie) und neue, welche im Aufblühen begriffen sind (Töpferei —
Velten, Ziegeleien — ^Eberswalde und Batiienow, Geschfltzfabrikation^
Spandau, Torf— Linum, Braunkohle — ^Niederlausitz, Tabak— Schwedt und
Vierraden, Obstbau— Werder, Maschinenbau— Berlin u. a.). Überall im
Vordergrand Leben und Regsamkeit, mit andrem Worte Wechsel nnd
dahinter der historische Begriff: Mark Brandenburg, mit all (hm
schlummernden Kräften, Trieben und Verheissungen, ans denen jene in
langer aber stetiger Entwicklung emporwuchsen.
Es sind also nicht allein wissenschaftliche Gründe, die sich für
die Herausgabe einer brandenbnrgischen Heimatkunde anführen lassen.
Erwägungen praktischer Art sprechen mindestens mit^ wenn man für
sie die Opferwilligkeit der Behörden aufrufen und ein Interesse in
weiteren Kreisen voraussetzen will.
Vorläufer eines soh-lien Werkes liegen bereits vor, die — obwohl
sie mit breiter (irnndlage augelegt — nach der Schätzung heutigen
Wissens nur anziehende Zeugnisse füi' ihre Zeit sein können: die
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Attl^be und aUgeoMliier Plan der UeimatkUDde.
„Hcsf lircibung der Chur- und Mark Brandenburg von J. C. liekmanii
(Berlin 1751/58) und das dreibändige iuhaltreiche ^Laodbacli der Mark
Brandenburg und des Markgrafthums Niederlausitz'' von H. Berghaus,
das auf Veranlassung des Staatsministers und Oberpritsidenten FlotUvell
mit StaatsuDterstützaDg herausgegeben wurde (Brandenburg 1854— öii),
Ist das erstgenannte ganz im Sinne seiner Zeit eine Zusammenstelluog
aller nur erreiclibaren alten und merkwürdigen Nacljrichten — in vielen
Fällen leider die einzige Quelle für ans! — so ist das andre mehr eine
Finanz- oder Besitz-Statistik, die anch die natnrwissenschaftUcbe Unter-
lage nnr in der Anfreihnng der Erscheinungen, nicht aber in der
logischen Entwicklung erkennt Und doch beruht der dauernde Wert
des Berghausschen Werkes auf dieser naturwissenschaftlich geo-
graphischen Grundlage, während seine Statistik für die Gegenwart keine
Bedeutung hat; seine geschichtlichen Hinweise unzureichend, sein«
sprachlichen Erläuterungen vielfach von falschen Voraussetzungen aus-
gehen und darum verfehlt sind, und der Mangel jeder volkskundlicbeo
Rücksichtnahme zu bedauern ist Zudem wird die Benutzung dadurch
erschwert, dass sich die Besitzverhältnisse in einem halben Jahrhundert
fast fiberall verschoben haben, und dass die systemlose Anordnimg
und die trockne Sprache einer praktischen Benutzung sehr hinderlich
sind. Hat der ausserdem noch recht lückenhafte Bergbaus in Er-
mangelung einer Neubearbeitung trotzdem jahrzehntelang nicht unwesent-
liche Dienste der märkischen Wissenschaft geleistet, so fordert die
Gegenwart eine vollständige Keuschdpfung, die durch gleichmSssige
Berücksichtigung aller Seiten moderner Forschung zu einer wissen-
schaftlichen Landeskunde wird und damit auch Wert für die Znkonft
behält Dass eine solche Arbeit die Kräfte des einzelnen übersteigt,
ist wohl ohne weiteres klar, dass sie aber auch nur mit Unter-
stützung der staatlichen, ständischen und stildtisohen Behörden durch-
zuführen sein dürfte, wird begreiflich erscheinen.
Die Verbältnisse haben die Entwicklung an und für sich dahin |
geleitet, dass die Beteiligung von Behörden in keiner Weise mehr be-
fremdet oder über die Aufgaben diesci- Ivörperschaften hinauswächst |
Schon in der unter dor Autsicht des Kgl. Miiiistcriuins der geistlichen |
Anf^elegcnheittMi stetip; sich entwickelnden 1 )tMikinul|itlegt' und der Unte^ j
Stützung (irtlichcr Saniiiiluugen und \'('reine IihIm u wir Zeugnisse dafür,
dass die Kreis- und Provinzv» ! \v.illuii<2:eii auch für wissenschaftliche
Bestrebungen Mittel zur Verfügung stellen können. Bei einer so weit-
ausschauenderi, umfassenden Ailieit wie der geidnnten „Heimatkunde"
dürfen wii- unisoniehr ein Beharren auf diesem Wege erhoffen, als
ja auch ein ihiu<lbueli von (lauerndem Wert für die Behörden und
den einzelnen Beamten wie für den wissenschaftlich Arbeiteudeii
bleiben wird.
Angabe und allgemeiner Plan der Heiroatknnde.
11
Es kommen siinäcbst ia Betracht das genannte Königliche
Ministerinm, der Provinzial-Landiag,* die Kreise nnd Gemeinden sowie
unter diesen in erster Reihe die Stadt Berlin als das Gemein-
wesen, welches trotz formeller politischer Trennung von der Verwaltung
der Provinz Brandenburg dennoch als grösste Grundbesitzerin mit ihr
in vielfacher behördlicher und kultureller Yerbindung steht, ab-
gesehen davon, dass neuerdings durch das Versicherungs- und Innnngs-
wesen pp. gesetzlich auch neue wirtschaftliche und verwaltungs-
rechtliche Verbindungen Berlins mit den Vororten geschaffen
worden sind.
Zu (li'ii oben aufgezählten (n ünden, die für die Ilt i aii.Nf^alu' ciriiT
biandenburgischcn Heiiiial künde s|)rechen, lassen sich noch andre l>ei-
bringen. hie WisMM]>chaft gewinnt daduicli ebenso wie dio Aidiihig-
lichkeit zur lleiinat. Geiade der Zurtiiss der Bewohner aus andicn
Gebieten und der stetige Wechsel der Bev<dkerung innerhalb Berlins
und der Provinz Brandenburg legt eine grössere Einwirkung auf die
Einwohnerschaft nahe, wenn sie durch ihr<'rseits dargebrachte Mit-
teilungen zur Herstellung einer solchen Heimatkunde thätig fieran-
gezogen wird; sie lenkt auch umgekehrt die Aiigen wieder mit Liebe
und Teilnahme auf die Eigenart der engsten Heimat, ihrer Bewohner
und ihrer Geschichte. Auch ist es sicher nicht allzu kühn, anzunehmen,
dass durch diese Verstärkung heimatlicher Empfindungen die Achtung
vor den Resten der Vorzeit ebenfolls gesteigert wird, dass in der Folge
weniger Mittel zu ihrer Erhaltung bereit gestellt zu werden brauchen
und doch wahrscheinlich die Schätze der Vergaugeubeit besser vor
Vernichtung geschützt bleiben.
Welche Verluste in dieser Hinsicht besonders die Wissenschaft der
Ur- und Voi-geschirhte zu bekhigen hat, ist jedem Kenner der Ver-
hältnisse 7.ur GiMMi^^t' bekannt: entziehen sicii doch diese veiciiizelten
und kleini'ii'U Funde nicht mir der Beobachtmii; des Forschers gar zu
leicht, sondern es werden \ iele ausgedehnte Uriienfeldei-, Stein)»;ickungen,
VerwalMingen n. a. tTir (he Wissenschaft ausserordentlich wertvt»lle
Keste in ihrer Bedeutung geschwächt, weil man sie nicht genügend
aufgezeichnet oder beobachtet hat. (lorade jetzt, w"<» die Forschung
ininier mehr den Schleier von der- fernen \ ergangenheit hebt, <lrangt
die Flage zu der Entscheidung, ob sich durch die Mark und die
Niederlausitz schon in graner Vorzeit eine Völkerscheide zieht, die die
altgernianischen Vulksiande von den südlicli vordringenden Kulturen
sonderte. Dass sich eine solche Trennungslinie «juer durch die Provinz
zieht, dass sich möglicherweise noch andre vorgeschichtliche Völker-
scheiden auflinden lassen, sind Fragen von wissenschaftlicher Be-
deutung, die durch die Heimatkunde der Lösung näher geführt, ja
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Welche Mittel erfoidert die Hflimatkande?
vielleicht gelöst werden könneo, wenn man andre volkskundliche Beob-
achtungen mit heranziebt.
Von gleich grossem Werte kann sich die planmässige Durch-
forschong der Flurnamen gerade jetzt erweisen, wo die Frage, ob die
germanischeu Urbewohner in der Volkerwanderong ihre Heimat gänz-
lich verlassen haben oder bedeutende Reste zurückgeblieben sind, wieder
erneut aufgeworfen ist. Es lässt sich folgern, dass eine gänzliche Ent-
blössung des Landes von den germanischen Bewohnern für die nach-
rückenden Shiven Veranlassung werden musste, die hervortretenden
Urtlichkeiten mit ihrer Si)racli<' zu heneimen, dass sie jedoch im andren
Falle sicluT altgermanische Sprnchreste übei-nommen haben. Da zu
dersrltH'ii Zeit die zweite sogenannte Lautverschiebung der deutschen
Sjirache vor sich ging, so kann man annehmen, dass sich unter den
Flurnamen, welche die Slaven in Süd- und Mitteldeutschland vor-
gefunden und mehr oder niiiuier ihrer Sprechweise anbequemt haben,
sich solche mit den ältcicii Konsonanten wenigstens in den süd-
lichen Grenzgebieten der Mark finden werden, was einen sicliert-n
Schluss auf di*' nnunterbrocllene Fortsetzung dir iievölkerung erlaubt.
Auch die Volkssjjiache, welche in ausgiebigerem Zusannnenhange noch
nie in unserer liciiiuit untersuclit worden ist, die Sagen, die nach den
grundlegenden Fuis( Hungen von W. Schwartz für die eben gestreifte
Frage von Bedeutung sind, die Ilausarten und vieles andre, was aufzu-
zahlen an dieser Stelle zu weit führen würde, könnten durch die
Heimatkunde eine neue wissenschaftliche Bearbeitung erfahren und da-
durch das beabsichtigte Werk auch dem Fernstehenden näher bringen.
Alles dies rechtfertigt sicherlich eine Beihilfe für unser Unternehmen
seitens der ständischen und städtischen Behörden.
II.
Welche Mittel erfordert die Heimatkunde?
Da die nötigen Geldmittel die erste Voraussetzung für die Arbeit
sind, so sei diese Frage zunächst erörtert. Sie dflrfen nicht zu gering
angenommen werden. Ein Werk, das für Jahrzehnte den Stand der
wissenscbalQiclien Forschung abschliessen soll, das also kommenden
Gescblecbtern nur die Ergänzung und die Kritik der Einzelheiten
zumutet, kann nur mit Mitteln ins Leben gerufen werden, welche die
Wdehe Mittel erfordert die Beimatkoade?
18
Dracklegnng nicht nur sichern, sondern auch die eiiizelm'n Forscher in
den Stund setzen, ihre Wissensgebiete iui Lande selbst dunli p:elegeiit-
licbes Stadium an Ort und Stelle sowie darch eine aasgedehote Frage-
bogen •Organisation zu prüfen und zu vervollständigen. Dass die
Dni< kbogen auch durch viele Abbildungen, Karten und Skizzen erläutert
weiden müssen, Ist ein weiterer Gmnd, beträchtlichere Geldmittel an«
zustreben.
Es sind mit Benifang anf den angehängten Arbeitsplan-Entwurf
zonäcbst fünf Bände im Lexikonformat für die Heimatkunde in An-
schlag gebraclit, von denen jeder 25 Bogen, bezw. 400 Seiten Text ent-
hält (die Seite mit 26 Zeilen zn 21 Silben gerechnet). Danach ist der
Voranschlag:
Druck, Satz, Papier und Spesen ä Bogen 150 M.
bei 5U(K) Auflage 125x150 M 18750 M.
1000 Drackstöcke zu 100 cbcm ä 0,08 M. ... 8000 „
Für Photographien, Reisen, Ausgaben der Leitung 10 000 „
Aaslagen für Fragebogen and Porti 5.000 „
Yorbereitnng, Petitionen n. dergl 1060 „
Honorar an die Mitarbeiter 50 M. pro Bogen . . (5250 „
Unvorhergesehenes . . 960 „
Summa M. 50UU0 AI.
Es kann sich selbstverständlich bei dieser vorläufigen Aofetellang,
die lediglich erfolgt, nm ein ungefähres Bild des höchsten Kosten-
betrages zn skizzieren, welcher von dem geschäftsfuhrenden Ausschnss
in keiner Weise fiberschriitai werden soll. Für Dmck and Ab-
büdangen wird sich vieIMcht eine Yerminderang erzielen lassen, die
zu einer ErhÖhnng des Bogen-Honorars verwendet werden sollte, das
nicht als eine entsprechende Bezahlung der Arbeitsleistang aafisofassen
ist, sondern nur als ein kleiner Ersatz für unmittelbare Auslagen
dienen kann. Die wissenschaftliche Leistung lässt sich bei solchen
Arbeiten ohnehin nicht bezahlen; sie kann nur durch die Opferwillig-
keit der Mitarbeiter ermöglicht werden, denen aber nicht noch bare
Opfer aus der eigenen Tasche zugemutet werden dürfen.
Um der Ausgabe von rund 50000 Mk. auch eine Einnahme ent-
gegenzustellen, sind natürlich nur die Beitrage ins Aoge zu fassen,
die ä fonds perdu gezeichnet werden. Der Geschäftsanssobuss wird
nicht umhin können, bei den hier in Frage stehenden Körperschaften
und Personen gleich um die Bewilligung bestimmter Summen zu
bitten.
Es würde sich empfehlen, vielleicht — auf drei Jahre verteilt -
die nachfolgenden Beträge aufzubringen:
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14
Welche Mittel erfordert die Heimatkunde?
1. Das königl. jUTUSsisrho Kultiisiiiiiiisteiium . . ölMjO M.
2. I>it' Fio\ itizial-Stilude Versainmiuug ir>0(M) „
3. Die Stadt Berlin olMH) ,
4. Die ;U Kreise n m) M «K^HI „
ö. Die 185 Städte ä öl) M. (im Durcliscliiiitt) . . 0 TöO „
Ö. EtwaSOwissensclKittliclieGeseilscbafteuiilÜOM. iMHK) „
7. ZuäcliusK des Verlegers . . (ntöQ ^
ijüüUÜ M.
Auch diese Anfstellnog kann nor eine vorläufige sein; sie wird
bei der DnrcbfQhrung sich nach der Beteiligung der einzelnen Faktoren
richten müssen. Das aber lässt die Aufstellung erkennen, dass das
Aufbringen der Kosten nicht zu den unüberwindlichen Schwierigkeiten
gehört und zwar umsoweniger, als sich die Ausgabe selbst — wie an-
gedeutet — auf einen 2teitranni von mehreren Jahren verteilen Hesse.
III.
Iii welchem Umfange soll eine brandenburgische
Heimatkunde bearbeitet werden?
Es bedarf keiner Begründung, dass sie nnr sichere Ergeb-
nisse, wenigstens bestrittene Auslegungen nur soweit aufnehmen darf,
als diese zur Beleuchtung gewisser — in unserer Heimat allein zu
Tage tretender — Erscheinungen herangez<»gen werden müssen. Z. B.
dürfte die Frage, ob einzelne Thftler und Seen der Mark oder Nieder-
lausitz durch tektonische Kräfte oder durch die Wirkung ehemaliger
Schmelzwässer entetaudeu seien, durch die Cii>geuüberstellung der beob-
achteten Thatsachen zu beantworten sein. Andre Streitpunkte, wie die
Entstehung der Finower Thalrinne, das Verhältnis der im Gefolge der
Lausitzer Vorgeschichte ermittelten Kultur zu andren europäischen
Kultnrstromnngen, der Zweck und die Unterscheidungen einzelner Wall-
bauten, die Entetehung des märkischen Backstunbaues n. s. w. können
nur durch eine möglichst genaue Schilderung der festgestellten That-
sachen und Erscheinungen einen festen Grund für spätere Forschung
bilden. Dagegen ist es erforderlich, das Thateachenmaterial soweit zu
sichten, dass es immer nur in seinen Beziehungen zur Mark bezw.
Niederlausitz hervortritt, eine Gefahr, die z. B. bei der politischen
Geschichte leicht über den Rahmen hinwegführt oder eine neue
märkische Geschichte liefert, die schon von andren Seiten vorliegt.
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ÜmfcDg einer brandenbnrgiachen Beinatkiinde.
15
Der Stoff soll ferner mit BerQcksichtigaDg der jüngst festgestellten
Ei^bnisse zu einem geschlossenen Bilde unserer Heimat fahren und,
weil das Werk auch keine Qnellensamndnng sein darf, die gedmckten
Quellen nnr in der Hauptsache und mit Auswahl angeben.
Da die Geschichtsereignisse für eine Heimatkunde nnr soweit in
Betracht kommen, als sie sich als Folgen der im Lande selbst vor-
handenen und erzeugten Kräfte äussern oder fOr das Land eine grössere
Bedeutung gewonnen haben, so ist auch die Frage nach der Beröck-
sichtigung der einst znr Mark gehörenden oder später angegliederten
Gebiete schon zum Teil beantwortet. Eine Heimatkunde der Provinz
Brandenburg kann die ersteren Gebiete ebenso wenig unbeachtet lassen
wie sie die Kulturanfänge der letzteren auf ihre manchmal weit ab-
liegenden Ursprfinge zurück verfolgen muss; aber sie wird beide nur in
ihren unmittelbaren Beziehungen streifen dürfen. Wie jene hauptsächlich
in geschichtlichen Ereignissen mit der Mark zusammenhänn^en und dem-
entsprechend in den Rahmen einer brandenburgiscben Heimatkunde
hiiH'in2:oz()gen werden müssen, so gewinnen diese für die Mark — vnu
vereinzelten früheren Erscheinungen abgesehen — erst Bedeutung, als
sie in das politisclie Gefüge des r.ainlps treten nnd damit auch in ihrer
Volks- nnd Landeskunde von erheblk-lier Bedeutung werden. Ebenso-
wenig kann man von einer Heimatkunde erwarten, dass sie bei der
Behandlung gescliichflirlier Fragen sich zu einer Entwicklungsgeschichte
des Staates answächst. Etwaige Abscliweifuiigon können nur dazu
dienen, die Bedeutung der märkischen Begebeniieiten in ein richtiges
Licht zu setzen. So sind beispielsweise die Bewegungen der Sciiwedeu-
kriege nicht von der Eigenart des Lucligebietes, Friedrichs des Grossen
strategische Massnalimen nicht von der Oderlinie zu trennen. .Ta mehr
als das! Der Bewohner des Tiandes gewinnt durch das Verstiiiuliiis
solflicr Voro^änge einen Blick l'iir die Notwendigkeit der piiizeliuMi
Mas<!Ktbiii(>ii wie für die Bedeutung der Landschaft, der ihm lieute
vielfach fehlt.
In ähnlicher Weiso wird sich die Behandlung der Sagen und
Märchen einsclniiiiken müssen. Wir können nicht jede einzelne Sage
aufzeichnen, sondern nui- auf die grössere oder geringere Stärke hin-
weisen, mit der bestiniuite Sagen innerhalb des Landes die ganze
Gattunu vertreten. Erst wenn sie für die Mark besondre, tiefere Be-
deutung; erlangen wie beis|»ielsweise die Sagen von der Frau Gode,
Harke, Frick oder sich zu einer rein ortlichen Fassung wie bei den
Sagen vom alten Sparr liera\isgebildet haben, gehören sie zu den
besonderen ujärkischen Sagen, die in einer Landeskunde ebensowenig
fehlen dürfefi wie die (Iründungssagen von Städten und Klösturn, die
Gescldechts-, Baum- uud C^uel leusagen.
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Wie soll die Mitarbeiterachaft oiganisiert werden?
IV.
Wie soll die Mitarbeiterscbaft
organisiert werden?
Vor allem ist os not\vendi<^ , die Einzeldarstellungen der ver-
schiedeneu Mitarbeiter nach eiueiii einheitlichen Plane und nach den
naher noch zu bestimmenden Gesichtspunkten zu verfassen, die von dem
gesciiäftsleiteuden Ausschuss mit den Bearbeitern ui gemeinsamen Zu-
sammenkünften aufgestellt werden. Das setzt voraus, diesen Ausschuss
unter der ehrenamtlichen Oberleitung eines Präsidenten, dem unter
Umständen ein Geschäftsführer beizugeben ist, und aus den Vertretem
der wissenschaftlichen Hauptgebiete zusammen zu berufen. Es dürften
Vertreter für Geschichte, Naturkunde, Volkskunde und Sprache sein,
die mit dem V'orsitzenden — falls der ev. Geschäftsführer aus diesem
Krei.se entnommen wird — aucli der Zahl nach in einem guten Ver-
hältnisse zu einander stehen würden. Sehr zu begrüssen wäre es, falls
sich hinter diesem eiij^eren Arbeitsausschuss ein Kranz behördlicher
Vertreter und wissenschaftlicher Gr<lssen zu einem weiteren Ausschusse
vereinigen würde, der den vorbereitenden Schritten mehr Gewicht
verleihen könnte.
V.
Spezieller Arbeitsplan.
Wenn nnn noch im Anschlnss an das Vorhergehende ein Arbeits^
plan für das Gesamtwerk folgt, so ist dieser selbstverständlich nicht
abschliessend sondern nur bestimmt, weiteren Kreisen über den
Umfitng und den Inhalt eine Vorstellung zu geben. Die einzebien
Stoffgebiete werden von ihren wissenschaftlichen Vertretern mehr oder
minder ergänzt werden müssen, um ihren Ansprüchen zu genügen.
Doch schon jetzt dürfte diese Grundlage, die in den beratenden
Sitzungen des vorläufigen Ausschusses gebilligt wurde, erkennen lassen,
dass die beabsichtigte Landeskunde nicht eine Nachahmung älterer
Landeskunden ist, sondern nach ihrer Anlage zum ersten &fal viel-
niniti7Pdh\/QQQQlf>
Arbeitsplan fftr eine Biaiideiibiu|^Mhe Hiim«tlniiid«. 17
leicht den Yersach maehti den Begriff einer engeren HeimaUninde nacli
einheitlichen and örtlich gegebenen Verhilinissen tu omBchreiben.
Schon jetst wird sie erkennen lassen, dass sie lediglich «of branden-
bnrgische Verhältnisse zag^chnitten ist, dass sie diese aber auch nach
allen Seiten hin verfolgt
Der Plan selbst entstand unter dem Einfloss des Gedankens, dass
sich die natürlichen Znsti^de des Landes za einer besonderen Wissens-
gmppe znsammenschliessen, die sich der zweiten Omppe voranstellt, in
der der Mensch mit seinem Denken, Glanben nnd Arbeiten im Ifittel-
pnnlEt der Betrachtang steht. Als dritte selbständige (trappe folgt dann
die Sprache, die von beiden ablUtogig ist and doch in ihrer Entwiddong
von gewissen natfirlichen nnd knltorellen Gesetzen beeinflnsst wird, bei
der das Einzelwesen zarflcktritt zn Gunsten der Gattung. Es sondert
sich demgemftss der Arbeitsplan in drei grosse Gruppen:
1. Die natfirlichen Zust&nde.
2. Enlturznst&nde (die ftusserlich nnd innerlich in dje
Erscheinung treten).
3. Die Sprache
uad im einzelnen in die nachstehenden Unterabteilungen.
Arbeitsplan
für eine Brandenburgische Heimatkuade.
I. Natürliche Zust&nde.
Luft und Klima.
(Büttelpunktslage der Mark; maritimes nnd kontinentales Klima.)
Geologische Verhaltnisse.
Urzustand (Inlaudeis — Tlieorie).
Gegenwart (Sand-, Lehmboden, Kieferhind, A( ker).
Niederiing(»n und Höhen (WiesensthUi^e, Acki'ihiud).'
Wasserverteüuug (günstig für Kanäle).
Waldverteilang (das reichste Waldgebiet in Preusseu).
Heiden und Moore (wird nur von Hannover übcrtroD'eu).
Die l'flanzenweit
Ausgestorbene iMlan/en (Eibe).
Durch Kliniaveiimderung ausgestorben (Eiszeit).
Durch die Kultur verdrängt (Hirse).
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18 ArbdtspUui fftir dne BnmdenlxiigiBclie Helmttkonde.
Lebende Pflanzen (atlantische nnd pontiscbe).
Landständige (E^iefer, Zackerrüben, Elche).
Etngeföhrte (Kartoffel, Tabak>
Die Tierwelt
Ansgestorbene Tiore.
Durch Klimaveräiiderung ausgestorben (Mammnth).
Durch die Kultur verdrängt (Wolf, Wisent^ Bär, Ur).
Lebende Tiere.
Landstäiiiligo Tiere (nn("lis, Fachs).
Eingewanderte Tiere (Ratte).
Der Mensch.
1. Be völkeruugsdichte einst uud jetzt.
2. Körperliche Anthropologie der Gegenwart
Grösse.
Hautfarbe.
Augen und Haare,
ächädeiformen.
<J. Bevölkernngsweclisel.
a) In der Vorzeit (Gräberfunde, Germanen, Slaviscbe Stämme).
b) In der geschtchtlichen Zeit
1. Die deutsche Bevölkerung.
Sachsen (Prignits, Sachsendorf, Sachsenbarg).
Franken (askaiiische, hohenzoUemsche Kolonisation, der
fränkische Adel).
Flaml&nder (Fläming, die Wische, Gross-Wusterwitz).
Spätere Kolonisten:
Pfälzer (Müggelheim, Nea-Trebbin, Altenhof, Beig).
Holländer (NenhoUand).
Schweizer und Tiroler (Töplitz, Kreuzbmch).
Vereinzelte Ansiedlangen (Franken-Nen-Anspach), Württero*
berger- Mittel- and Nenmark).
2. Fremde Bevölkerung.
Slaven
Böhmen (Rixdorf, Berlin, Oderbmch).
Polen (Oderbrach).
Rassen (Potsdam).
Wallonen (Uckermark, Kottbns).
Franzosen (Berlin, Uckermark).
Juden (jüdische Kirchhöfe).
Zigeuuer (Sagen).
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ArtMittplaii fOr eine BrandenlnnglMhe HeimaUnmäe. 19
II. Knlturaustinde.
1. Äussere Zustände.
1. Die liandesentwicklang der Provinz.
2. BesiedelnngfSYerhältDlsse.
a) Vorgeschichtliche Wohnplätze anf festem Lande ^Wachow).
b) Pfahlbauten (Spandan, Alt-Görzig, Zechlin, WerbelUnsee).
c) Wöste Dörfer ^emow, Thyre, Wedding).
d) Slaviaehe Siedelnngen (Stralau, Postnplmi-Potsdam, Oeliti-Oeltow).
Der Rundling (Krenzburg, Jachzenbrilck)«.
e) Deutsche Sieddungen.
Hofonsiedelnngen (Honehof a. d. Sipunt b. Potsdam).
Haufendörfer (Beiersdorf b. Werneuchen).
Strassendurfer (Schönfeld b. Werneuchen, Mödlich).
f) Dorf-, Stodt- und Gutsfluren (Die Almende, Weichbild). Grenz-
zfige (Strausberg).
Fiskalische Ländereien und Domänen (Grunewald, Dahlem),
h) Die Ortsanlagen.
1. Ackerbauniederlassangen (Schmargendorf, Schöneberg).
2. Fischerdörfer, Kieze (Fahrland, Spandau, Rummelsbui^).
3. Wehrbauten:
Germanische Anlagen (Knoblauch, Runierschanze).
Slavisclie Anlagen CJahi 1. ^^tralau, Treiienbrietzen).
Die Landwehren (Fölirde, Treuenbrietzen, Zootzen).
Die iiiittelaltorliche Burg (Lenzen, Jarina, Wiesenburg).
Die Fe'^tniig ^^l)a^dau, Pcitz, Küstrin).
4. Handelsniederlassungen (Berlin, Frankfurt a. 0.).
5. Residenzen (Berlin, Schwedt, Potsdam).
Ü. Die Landeshauptstadt (Kur— und llaupstadt i^raudenburg
Berlin).
)l Wirtschaftliche Zustände.
a) Ackerbau (Dreifelderwirtschaft, Fruchtf«»lge, l^übeubau, künst-
licher Dünfror).
Lose, ( iciiieindeland.
b) Viehzu(;ht (Milchwirtschaft, Mästung, Kassenzuclit).
.higd (Hoch- und Niederjagd, die Hofjagd).
d; Fischerei (< )derbrucli, Müggelsee, Biologische Station),
e) Miihlenbetrieb (Wasser-, Wind- und Dampfmühleu),
t) Garten- und W'eiubau (Werder, Kros.sou, Guben).
g) Tabakbau (Schwedt, Vierraden).
h) Imker wesen (Zeidler-GeoossenscUafteo, die Uouiggulde).
i) Gewerbewesen.
2*
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20
Arbeitsplan für eine Brandenbaigtsdie Heimetknnde.
Haasgewerbe (Lehmziogel, Spinnerei, ITolzschnhe).
Innungsgewerbe bezw. Handwerk (Hechtreisser-Wriezen).
Manufakturen and Industrien (Seiden- und Wollwebereien,
Ziegeleien, Ofen- nnd Porzellanfabrikatioii, filsengiessereien).
k) Bergbau (Kalk, Gips, Braunkohle).
1) Handel.
Strassen- und Verkehrswesen (Römische Aiünzfuude, iiacksilber-
funde, Herwoge, Cliausseeu).
Fuhrmannsweseu (Gobriiuche, Herbergen, Zollscliniiikeii).
Wasser\Nege (Ströme und Kanäle, Abgaben, Deichwesen,
Schifterei, Hamburger lleihefahrt).
Eisenbahnen (Vcrkelirsbahnen, Strategisclie Bahnen),
Die Post (Das alte Boten wesen, die Postbauteu).
4. Grundzime der inneren Geschichte.
1. Stünde wesen.
a) Bauern und Koloneu (Büdner, Kossät, Knecht Die Ritter-
Bauern von Zaucliwitz).
b) Bürger (der Ackerbiirger).
(Bewegungen zur Erlangung politisclier Rechte).
c) Der Adel und städtisches Patriziat, der Bürgermeister.
d) Die Geistlichkeit (Wittstock, Fürstenwalde, Lebus, Domkapitel
zu Brandenburg).
Kirchenlehen (Palsdorf und Hohengörne a. d. Grafen v. Lindow).
e) Die Fürstenhäuser.
2. Rechtsgeschiclite.
a) Ding- und Gericlitsstätteii (Die Klinke, der Roland).
Der üpstall (Berlin, Havelland).
Das Wröhegericht (lierlin).
Der Pristabel (Oberspree).
b) Öffentliches Recht (Die öffentliche Meinung).
c) Privatrecht (Gesinde-Ordnung).
3. Yerwaltungsgeschichte.
a) Dorf- und Stadtverwaltung (Vögte, Lehnschulzeu, Domäneu-
ämter).
b) Kreisverwaltuug.
c) ProYinzverwaltung.
Stenern and Abgaben (Ablösungen).
Stiftungen.
Armen- und Waisenwesen.
Beamtenwesen (Dei M&rker, Zuströmen aus anderen Pro-
vinzen, Thätigkeit Danckelraanns).
Die Wehrverfossnng (Garnisonen und Regimenter).
d) Münzen und Masse.
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Arbeitsplan für eine Brandenbuigische Heimatkunde. 21
5. Grundzüge der äusseren Geschichte.
a) AltgerinaDische Zeit (Karpodakische Einwanderung).
b) Slavische Zeit (Pribislaw. Jacz<i).
c) Deutsche Kolonisation (Albrecht d. Bär, Anselm v. Havelberg,
Piasten, Ordensritter).
d) Die Askanier (Albrecht der Bär, iFohann T.. Otto TIT.).
Die Maik in ihrem Verhältnisse zur Hansa (Brandenburg,
Perlebei'fi:, Prenzlau, Frankfurt, Ruppin).
e) Die Wittelsbacher (Der falsche Waldemar).
f) Die Liitzelburger (Karl IV., das Landbuch).
g) Die HohenzoUern.
Fränkischer Einflnss unter den drei ei-sten HohenzoUern.
Selbständigkeit und Eigenart der Mark von 1486 — 1598.
Die Mark als Grandlage eines grösseren Staates 1599 — 1701.
Die Mark nnter den prenssischen Königen und deatschen Kaisern.
2. Innere Zustände.
1. Konst
a) Die bildende Knnst.
Yorgeaehichte (Stein1>auten, Mellen, Seddin, Oiabfonde).
Eolonisationssdt (Der Einflnss klösterlioher- Enltnr. — Havel-
berg, Brandenburg, Lehnin, Heiligengrabe).
Zeit der Stftdteblfite (Fhmkfnrt, Königsberg, Frenzlan. — Ratfaans).
Zeit der kleinen Dynasten (Grafen v. Lindow. Die Patlitze. Die
Biberstein. Der deutsche Orden. — Freienstein, Wiesenborg).
Zeit der Residenzen und des Hofes (Rbeinsbeig, Dobrilugk. —
Die Akademie).
Die modernen Bestrebungen (Kunstgewerbe-Ansstellongen, Garten*
kunst [Hohenfinow]).
b) Dichtkunst.
Vor der Reformation (Minnegesang. Otto IV. m. d. Pfeil).
Bis zum grossen Kurfürsten (Das Kirchenlied, Paul Gerliard,
Die geistlichen Schauspiele, Hans Clauert, Peuker).
Bis sa den Freiheitskriegen (Schmidt v. Werneuchen, das
politische Lied).
Bis zur Gegenwart (Willibald Alexis, Fontane, Einfluss Berlins).
c) Die Musik.
Die kirchliche Musik.
Die bürgerliche Musik (Der Gassenhauer, Zelter).
Die höfische Musik (Friedrich der Grosse).
d) Tänze,
2. Wissenschaften.
Scholastik (Zinna, Lebnin).
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22
ArbeitBplaa fflr ebao Brandenbufi^die Heirnfttlrotide.
Universitäten (Frankfart, Berlin) und Privatgelehrte (Leatinger,
Haftiz, Kankel, Thumeisser, Bekmann, Fr» v. Elöden, Leop.
von Buch» A. von Hnmbold, Heümholts).
Tiertatlicbe Hochschule.
Forstwissenschaftliche Scholen (Eberswalde, Tbaer in Moegelin).
Scholen (Graoes Kloster^p Joachimsthalsches Gymnasinm, Saldria)
Yolksscholen (v. Rochow-Reckahne).
Druckereien (Lehnin-Marienpsalter, Frankfdrt a. O., Berlin).
Bibliotheken ond Zeitongswesen (Egl. Bibliothek, Geschriebene
Zeitongen).
3. Technik.
Wirken der Festangs-Ingenieure (Ohiaramella de Gandino. Rochns
Goerini de Lynar. Memhard).
Hecker und die Gründang der Realschole.
Technische Hochschale (Beuth).
Bei^kadeinie.
Gewerbeschulen (Konstschole, Wredowsche Zeichenschole inBranden-
borg).
Gewerbeausstellangen (Berlin 1844, 1879, 1896).
4. Sittengeschichte.
Die Religionsanschaiiungen.
a) Yorwendische Koltorte (Harlungerberg, Schlossberg Borg,
Wandlitz).
Näpfchensteine, Teufelssteine (Triebe!, Gehren).
b) Wendische Kiiltorte (Jüterbog, Frenziao).
c) Christliche Kiiltstätt<>n.
Kiixhcn (Mutter- and Tochterkirchen, Havelberg mit
1") Parochien).
Sciuitzheiligo (TVtrus, Nikolaus, P.Firrius).
Patronatsverhaltnisse (Koosibtorium, iStaadespersoneo, Ge-
meinrlcTi, Mng-istrate).
Altäre im Freien (Niemeck, Trebnitz).
Rundniarken (Müncheberg, Preozlau, Kremmen).
Schleifrillt'u (Frankfurt a. ().).
Kloster (Miittfr- u. 'J <M !it* rk]öster, Zinna, Lclinin, Chcrin, Kagel)
Die ()r(leii(( 'i«t''rzit'iis<'r-Zinna, Lehiiin, Friinionstrateiisi'r-
Tiindow, l)ümiiiikauer-.Strausberg, (Johi, Benedektioer-
Wallfalirtsortc (Wil^nat k, Ueiligengrabe, Belitz).
d) Verhältnis ilo' K"!ilV'>siörit'n.
e) (lescliicliti' dtT Konfcsvidnen (hie Relbrniation}.
f; Judentum (Judenvert'ulouno^ lu'fnrnijudeil).
g) Sektenwesen (Calviuisten, Baptisten).
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Arbeit«pl«B fOr eiiie Bfandeobingisehe Baunatknnde.
23
8. Volkskande.
1. Äassere Volkskunde.
a) Bauernhans (Sächsisch-MOdlicb, Fränkisch-Görsdoff, Wendisch-
Lebde, Lanbenhans-Zäckerick).
Giebelseiohen (Pferde, Hunde oder Hasen, Hahn).
b) Das Stadthaus (Giebelhaos, Iianghans, Laubenhans^Schwiebus).
Hänsemamen (Hirsch, 3 Linden-Berlin).
Banopfer (Berlin).
c) Die Wohnung.
Herd und Schornstein, Küche (Schwibbogen, Rauchhaus).
Schlafräume (Der Butz-Seedorf).
d) Der Zaun (Reiszaun, Spriegelzauu, Rickzaun).
e) Geräte.
W;i£^pn und Schlitten (Schlittknochen).
Scinilü (Einbauin, Zille, Polte, Prahm, Schute).
Ackergeräte (Karreu- und Hakenpflng).
Oewerbegeräte, Werkzeuge (Webstuhl, Buttergeräte}.
f) Trachten und Schmuck (Spreewald, Ziebingen, Uckermark).
g) Speise und Trank (Erbsen, Fische, Bier).
Gebäckformen nnd -namen (Schrippe, Stollen, Strützel,
Mohnpielen).
b) Wetterregeln („ Abendrot- Wedder got, Morgenrot-Wedder Tun
begot*).
i) Yolksheilknnde (Bdten, Sympathie).
k) Wahrzeichen (Neidkopf, Kenle [Jaterbog, Mfindieberg], Kii>pe
[Berlin], Hünenhacke (Templin]).
2. Innere Volkskunde:
■
a) Das Jahr und seine Feste.
Weihnacht (Die Zwölften).
Neujahr (Bleigiessen, Karpfen, Quappe, Strfltzeln).
Fastnacht (Schimmelreiter-Niederlausitz).
Ostern (Ostereier, Osterlaufen, Osterwassersachen).
Pfingsten (Pfingstrdten, Pfingstkrone, Wettlauf, Rosenbaum-
Beeskow-Storkow).
Johannis (Feuer, Kräutersammeln, Reinigung, Stollenreiter).
Siebenschläfer (Frühaufstehen).
Ernte (Der «Alte", Erntefest, Komstapelnngen).
b) Sitte und Brauch.
Geburt und Taufe (Paten).
Hochzeit (Hochzeitbittor, Brautkranz, Brautlösen, die Schwelle.
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24
Arbeitsplan fQr eine BranUenburgiscbe Heimatkunde.
Tot nnd Bogriibnis (Verkündigung, die weisse Frau, Toten-
krone, Umgehen, Tote Männer, Obolus, Grabinschrifleo,
Nachzehrer).
Aberglauben (Unheilzeichen, Viehsterben, Verhexen, BUtsröhreD,
Feuersegen).
Handwerksbrauch (Grüsse, Wanderschaft, Zunftgebräuche, ßeezen-
gasse in Berlin).
Spinnstaben (Spinnrad, Has|>el, Wockeo» Lieder}.
c) Volksdichtung.
Das Volkslied (Kaiser Carolus sün bestet Peerd etc., Albar du
nester, breng mi'n klene Schwester etc.).
Arbeitslied (Wander-, Turn-, Soldaten-, Handwerker-, Studenten-
lied).
Historisches Lied (Jan Kuck, Herzog Casimirs Tod).
' Rätsel und Sprichwörter (Besser twemftl nt det W&ter treckt, as
knuAl hinner de Hell Yoer).
Inschriften (Haus eto.: Wir bauen liier sehr feste etc., Prendan),
Ortsneokereien, H&nseln (Havellaad-Schmeerland, Berliner Wind-
beutel).
Volkstfimlicfae Geschichten (Sparr, Derfflinger, der alte Frits,
Zieten, Blücher, Wrangel).
d) Tiinze.
Reigentänze (Erntefest).
Singtänze (iioppeldei).
Kundtänze (Einfluss höfischer und städtischer Art auf den
Volkstanz).
e) Spiele.
Kinderspiele (Zeck-, Kroisel-, Murmel-, Knudel-, Ballspiel).
S|»iele der Ledigen (Wettlanf, Kullern, Sport).
Spiele der Älteren (Einfluss des Wirtshauses. Schafkopp, Skat,
Kegeln).
f) Saften und Märchen.
Bauin-, Quellen- und Steinsagen (Brielow, Mansfeld, Teufelssteine).
Mythologische Sagen (Königsgrab, der wilde Jäger, Mittags-
göttin, Frau G«ide, laitclien).
Christliche Sagen (Teufel, Abt Sebald, Pater Wichmann).
Kirchen-, Haus-, Mühlensagen (Der Puck, Müller Pumpfuss, die
V. Bredow und der Kirchturm von Friesack).
Geschichtlielie Sagen (Der wendische König, Zieten).
Stadtsagen (Der Krebs von Mohrin).
HüheDzr.llernsagen (I>er alte Fritz, Prinz Friedrich Karl).
Märchen (Volks- und Kunstmärchen, Grioims Sammlung).
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Arbeitsplan fflr eime BrandenlnusiBehe Heimtlkniide.
25
HL Die Sprache.
Wortgruppen.
1. Flnss- und Borgnamen (Rarband-See, Sipunt-Berg).
2. Orts- und Fiurnanien (Die „Berlins", Berlineken, Nobiskrug).
8. Personennamen (Sippen- und Vornamen).
4. Pflanzen- und Tiernamen (Kukkuluren, Muggel, Kneppner).
5. Flüche und Schimpfworte (»Der Töruebock soll dich holen*.
Wendscher Pinak).
6. Gaunersprache (Metzen, Ausbaldowern, Schmiere stehen).
Die Volkssprache und die Mundarten.
Äussere Vorgänge.
Unterschied zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen
Wort (Verkchrss})rache, Si)rache der Gebildeten, Zeitungssprache).
Sprachgrenzen (Ergebnisse des Wenkerschen Sprachatlas).
Niederdeutsch (Verhältnis Berlins, Schwankungen der Grenze).
Fränkisch (Eintluss der HolienzoUemschen Kanzleisprache).
Wendisch (Sorbisches Sprachgebiet),
Ehemaliger und gegenwärtiger Bestand.
Deutsches Spracbgut im Wendischen.
Innere Torgänge.
Wesen der Sprache.
1. Konsonantismns (p und b, t und d, g und k n. s. w.).
2. Vokalismns (a und e, ei und i, an and au und e, en nnd ü).
3. Betonung (Wort- nnd SatEaccent, Sprachmelodie).
4. Satztempo (In Berlin und auf dem Lande).
Formen der Sprache*
1. Deklination (mir und mich, „do keem een groten Kierl**).
'2. Konjugation (er that gehen).
i]. Wortbildung (Lengde, Höchde).
4. Diminutive (Kerlchen, Karlineken).
ö« Satzbau (Da hab ich keine Meinung für,. Verbindungen mit
„und*, ,aber", „doch" u. s. w.).
6. Wortgeographie (Wische).
Das Idiotikon.
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26
Edmund Zache:
Über den Anteil der gebirgsbildenden Kräfte
bei der Herausbildung der märkischen Landschaft
Von
Eduard Zacbe.
Herr Professor von Koenen*) hat eino Reihe von Abliandlnngen
veröffcntliclit, welclio sich mit der Entstellung der I^nndschaften des
westlichen Deutschlands beschiiftip^en. Er koumit thuch diese
Untersuchune;en zu dem Resultat: „Thiilei- und Thalbecken in unserem
Gebiet verdanken ihre Entstehung viel wenigei* der Erosion als dem
Einsturz, der Versenkung". Er geht aber am .Scliluss noch weiter, in-
dem er sagt: „In ähnlicher Weise ist vermutlich auch der Untergrund
der Norddeutschen Tiefebene gebaut, und ist somit auch die Möglich-
keit gegeben, dasa dort die Grestaltung der Erdoberfläche in ähnlicher
Weise wie in liGtteldentedhlaad t. T. doreh Dislokationen und Ein-
stdrze bedingt worden ist, nunal, wenn dieselben, wie wir annehmen
mfissen, erst in asiemlioh junger, postglacialer Zelt anstanden sind.
Namentiich ist es nicht unwahrscheinlich, dass mit ihnen die Bildung
der hratigen Norddeutschen Flussläufe und Seeen in ursächlichem Zu-
sammenhang zu bringen ist, zumal, da bei diesen die Nordwestrichtung
und die^Südnordrichtung ebenfalls vorherrscht; und da die Flussläufe
ebenfalls häufig aus der ursprünglichen Nordwestrichtung in post-
glacialer Zeit auf einige Erstrecknng in die Südnordrichtung abgelenkt
worden sind^.
Die gebirgsbildenden Kräfte sind es gewesen, welche das Antlits
unserer Erde geschaffen, d. h. die Niveauunterschiede hervorgebracht
haben. Es sind dies Kräfte, welche wohl niemals znr Ruhe kommen
werden; jedenfalls erst dann, wenn die Schollen der Erdrinde^ so stark
geworden sind, dass sie sich nicht mehr zusammenschieben lassen.
Vorläulig geschieht dies aber noch, wie die Erdbeben beweisen, bei
denen es gelegentlich zu Verschiebungen von Schollen kommt, so dass
die Spalten bis an die Erdoberfläche reichen. Der Grund för die be-
standige. Unruhe der Erdrinde ist darin zu suchen, dass sie sich beim
Erkaltungsprozess ununterbrochen zusammenzieht
In den gebirgigen Strichen Deutschlands kann man die Spuren
der Erdrindenbewegung an zahlreichen Stellen beobachten. Bei den
*) über das Verhalten von Dislokationen im ncurdwestiicben Dentodiland. Jahr-
buch der Kgl. Frenas. Geolog. Landeaanstalt iflr 1885. S. 88.
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Antdl der gebiigsbildmiden Ktilte bai der mirklseben Landscbsfi
27
Verschiebungen der Schollen aneinander kommt es vor, dass eine
Scholle einsinkt, während die benachbarten stehen bleiben, oder nm-
gekehrt Diese Bewegangen gehen natürlich unendlich langsam vor
sich und erstrecken sich über sehr grosse Zeiträume. Ein scliönes
Beispiel für die Spuren der gebirgsbildenden Kräfte innerhalb Deutsch-
lands ist die Rheinebene zwischen Basel und Mainz. Sie ist eine ein-
gesunkene Scholle der Erdiinde, ein „Graben". Unigekehrt wieder ist
der Thüringer Wald ein stehengebliebenes Stück der Erdrinde, ein
„Ilorst", während die benachbarten Gebietsteile abgesunken sind. Je
älter die Gebirge sind, desto häufiger sind in ihnen derartige tektonische
Linien zu finden, an denen die Gesteiusmassen sich verschoben haben.
Am deutlichsten erseheinen sie in Steinbrüchen, wo sie die Grenzlinien
zweier verschiedener Gesteinsarten bilden. Vor allem zahlreich sind
sie durch den Bergliau aufgeschlossen worden, wo sie sich oft sehr
störend benierklich machen.
Im Gegensatz nun zu den gebirgigen Teilen Deutschlands haben
wir es in der Norddeutschen Tiefebene mit den jftngsten Schichten
der Erdrinde zn thun. Es ist daher natürlich, dass in ihnen jene
Störungen weniger häufig sind als in den älteren. Vor allen Dingen
aber fehlen im nördlichen Deutschland die grossen Niveaudifferenzen
des mittleren und südlichen Deutschlands. Wir haben keine hohen
Gebirgszüge und tiefen Thäler. Die einfachen Linien der heimischen
Landschaft scheinen es direkt zu verbieten, jene Kräfte zur Begründung
ihrer Entstehung herbeiziehen zu dürfen.
Es ist aber nicht blos das jugendliche Alter des Diluvium^, es
ist auch seine merkwürdige Entstehungsweise, welche ihren Einfluss anf
die heimische Landschaft ausgeübt hat. Die jüngsten Schichten unserer
Norddeutschen Tiefebene, das Quartär, sind entstanden durch die Auf-
schüttungen des grossen lulandeises; und zwar haben an diesem
Moränenmaterial die Kies-, Sand- und Thonschichten den Hauptanteil.
Es sind aber gerade diese Sedimente, welche die Mulden und Tiefen
des grossen Gietscherbettes ausgefüllt haben, s<» dass unsere Heimat
einen vorherrschend ebenen Charakter erhielt. Daiier stammen auch
die grossen Unterschiede in der Mächtigkeit des Quart;irs*\ Eine Tief-
bohruni; in S|iaiidau ergab eine Mächtigkeit der Quartärbildungen von
li^O Kl, eine andere bei Joachimsthal eine solche von 14U in, während
sie Sonst in der Berliner rmgegend zwischen oO und (iO in schwankt.
Vor der Aufstellung der Inhindei-^flicMic zweifelte niemand daran, dass
die St<ti unf,nMi in den Quartärbildungeii ebenfalls auf die Kingrifie der
q:(>birgs)iildendeu Kräfte zurückgeführt werden müssten. Mit dem Aus*
*) WahiiscLiafte: Die Ursachen der Oberüttcbengestaltung des Norddeutschen
Flachluid««: Stattgert 1901. 8. 80.
uiyiiizeo Dy Google
28
Eduard Zache:
bau der Inlandseistheorie ist aber hier ein uierkw ürdiger Wandel in den
Ansichten eingetreten. !Mau hat in dem thätigen Gletscher eino
gestaltende Kraft ersten Ranges eikanut. Sowohl durch sein Gewicht
als auch durch die schiebende Kraft bei seinem Vordringen soll er den
weicben Untergrund nicht unerheblich beeinflusst haben. Deshalb führt
man jetzt emen grossen Teil der Störungeu im Boden, sowohl des
Qnarttrs als auch des Tertiärs, besonders alle Stanchungsersdidnoiigeu,
auf die Eingriffe des Inlandeises znrflck. Endlich aber, und das ist für
die Entstehung der heimischen Landschaft das wichtigste, erklftrt man
die grossen Stromthäler nnd die meisten Seeen fär die Betten der Ab-
schmelzwasser des Inlandeises.
I. Die Oderpinne.
Der Oderbrach-Graben.
Der merkwürdigste Abschnitt der Odeninne ist das Oderbmch.
Es geht bei Wriezen bis anf 6 m N. N. hinab nnd erreicht dort eine
Breite von 12 km. Dieser stattliche Thalabschnitt mit seinen Dörfern,
Feldern, Strassen nnd GriLben macht von den benachbarten Hdhen-
nie XMliVafMbAntdM OdtrVraeh-OrabtBt.
riindern gesehen durcliaiis den Eiiidnick einer selbständigen Landschaft
und durchaus nicht deu Eindruck eines Flussthaies wie etwa das
untere Oderthal.
Auf dem Balmhot Wriezen ist eine Tiefbohrung ausgefübi*t worden,
weiclic folgendes Profil*) geliefert bat.
Monatsblatt der GeMttacfaaft fOr Heunatknnde der Provini BnndeDbnig.
Jahrg. X, 8. 183.
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Anteil der gebiigsUldeodeii Kxtflte bei der mlikiecheii Landechalt
29
ß,ö m lehmigier Sand.
4,0 .
5,0 „
1,0 .
2,0 „
1,0 „
4,0 m
0,5
1,0
1,0
0,5
12,5
1,0
1,0
1,0
2,0
1,0
3,0
12,0
2,0
2,0
2,0
Sand.
Kies.
Sand.
Kies wad Sand,
grober Kies,
feiner Kies.
Quar^<>
biidongen.
n
9
Schwemmsand mit Tlion und
Brannkohle,
fester Tlion.
weicher Thon and Braunkohle.
Kohle nnd Sand.
Kolilenstanb.
Kohle.
Sand nnd Kohle.
Kohle.
Sand.
Kohle.
Sand nnd Kohle.
Kohle,
scharfer Sand.
weicher Sand nnd Kohle.
reiner scharfer Sand.
weicher Sand.
Tertiiir-
bildungeu.
Es sind somit in Wriezon 4 Flöze dnrclisunken worden. Es ist
ein Bild,*) wie wir es auch in der Grubo Willeubücher bei ßoUers-
dorf in der Naclibarschaft von Buckow wiederfinden. Das Braonkohlen-
p:ebirge begleitet den gesamten Oderabliang des Barnim-Plateaus, den
„Hollen Barnim'', während es auf dem Abhang zur Spree fehlt. Es
deutet diese Thatsacln* zweifellos auf einen Zusammenhang hin zwischen
dem Oderbmch und dem iloheu Barnim. Neben dem Braunkohlen-
gebirgc weist auch das Moräuengebirge auf eine f!:ewisso Zusammen-
gehörigkeit hin, denn es findet sich eine annähernde Ül>ereiiistimmung
in der Mächtigkeit. Bei Ilerzliorn **) ist das Diluvium cn. Kim mächtig,
hei Itaselberg 11 m, in den Aufschlüssen der Grube Willenbiiclier einmal
12,5 m und das andere Mal Hf'),5 m. Wäre das Oderbruch ein grosses
£rosionsthal, so dürfte sich wohl in so grosser Tiefe schwerlich das-
) Wahnscbnffe: Dii T.a<:onmgOTerblUtiu88e des TerUttn und QiuurtttfB der
Gegend von Buckow. Berlin lsf»:J. S. '2i.
**) Zarhp: VhoT die IlerntisbiMiin? iiiid den Verlauf der dihivialcn Morüne
in den Ländern Teltow und Bamim-Lebus. ZeiUcbr. f. ^'atu^wisBenschalten Bd. üi, 8. 1,
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30
Edfurd Zaebe:
selbe Gebiirge finden, wie hoch oben auf den benachbarten Höhen, d. h.
also in einem Niveau, das KM) ra höber liegt. Es müsste dann hier
ein viel älteres Gebirp:e gefunden worden sein. Das Vorkommen des
Bravmkohlengebirges diclit nnter der Oberfläche des Oderbrnches und
dicht unter der Obertläche des benachbarten Plateaus ist ein deutlicher
Beweis für die ehemalige Zusannnengeliörigkeit l»eider Landstriche.
Dieser Zusammenhang wurde durch das Absinken des üderbruches
gelöst. Somit ist das Oderbruch ein Einsturzgel )ict. ein ^Graben"
zwischen den Itenaclibarten Plateaus. Es fragt sich nun, wie verhält
sich die Nachbarscliaft dieses Eiusturzgebietes.
Am Topographie.
1. Das Barnim-PlateaQ.
Der „IIoIh' BarFiiiii" »Mieiclit südlicli von Freienwalde bei dem
Vorwerk Tol lheit )\v mit löiJ in .^t iiu' höchste Erhebung über dem Meeres-
spiegel. Wenn auch das Geländ»^ an Höhe abnimmt, so bewahrt es
doch parallel mit dem 0<lcrbriichian<lt^ l»is zur Cliau.ssee Wriezen-Prötze!
eine Erliebung von über KHJ m. Erst südlich dieser Strasse flilU es
unter llNI m und erreicht in diesem südöstliclien Abschnitt nur einige
SO m Meeresholle. Nur dicht am Rande neben der Buckower 8j>alte
steigt es im Krug-Berg noch einmal auf KU) m. Von dieser höchsten
Flache nun fallt es nach allen Stuten ab, am energischesten nach Freien-
walde zu, wo es mit steiler Böschung in das Oderlnucli abstürzt.
Besonders beachten«?\vert ist der Absturz hinter Wriezen. Es sind hier
zwei deutliche Terrassen ausgebildet. Die unterste, schmal.'^te, hat eine
Erhebung von 51) Iiis (i'.l ni. An ihrem Innenrande liegen die Güter
Landliof und Münchhof. Hierüber erhebt .sich die mittlere Stufe mit
einer Meereshöhe von 70 — 80 m. Auf ihr liegen die Dörfer Lüders-
dorf, Schulzendorf und Frankeufelde. Der südöstliche Teil des Uoheji
Barnim hat einen mehr ebenen Charakter und senkt sich ganz all-
uiählicU zum Oderbruch, so dass eine niedrige Böschung vorhanden ist.
Ton der höchsten Erhebung Wlt das Gelände ganz allmählich znm
Finowthal, zur Havel nod zur Spree. Neben dem Finowbett erreicht
das Gelände 40 m Meereshöhe, neben dem Havelthal 45 bis 60 m and
neben dem Spreethal 60 m. Die Folge dieses Höhenanfbans ist es daher,
dass die grösseren Flässe und Bäche des Bamim-Plateans sich auf den
langen Böschungen zur Finow, Havel und Spree finden und dass nur
wenige kurae nnd unbedeutende in das Oderbrach fallen. Die Wasser-
scheide zwischen der Oder und der Spree liegt dicht neben dem Oder-
bruchrande. So kommt es, dass das Bamim-Flateau den Eindruck einer
schräg aofgerichteten Sdioüe macht, deren höhere Kante neben dem
Oderbrach hinläuft. . Die Scholle ist von ihrer Umgebung völlig los-
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Anteil der gebiigtbttdenden Krüte bei der mftrklschen Luidsehaft 81
gelöst. Am weDigsten deafclich ist die Trennung yon der Uckennurk, und
dodi entofclif sie einom aufmerksamen Beobachter aucli hier nicht. Da.s
Barnun-Plateiiu geht ganz allmählich in dns Finowtbal über, ohne jede
Spur einer Böschunie:. Umgekeiirt lieht sich dagepren der Südraud des
Uckemiärkiseheii IMateaus hinter Lichtenberg mit scharfer Böschiinn;
aus dem Fiiiowthal heraus. Auf der «?;ef»ciiül)erliegendeii Seite ist die
Abti'ennung vom Lebuser IMatcnu durch eine Kinne bewirkt, in welcher
das Rote Lach und der Scharmütxelsee bei Buckow Platz haben.
2. Der neumärkische Rand.
Im Bamim-Platean hatten wir eine kleine, aber gnt isolierte Scholle.
Gans anders Terhält es sich mit der Höhe anf der neumärkischen Seite.
Hier haben wir den Abbmchsrand des grossen baltischen Horstes. Die
Böschung ist anf dem ganze Rande eine sehr gleichmässige und ziemlich
schroffe. Schon in einer geringen Entfemnng von der Kante finden
sich Höhen von 60 m und eine nicht viel grössere Erhebung behält
das Gelände weit ins Innere hinein bei. Erst im Gebiet der Seeen
werden 80 und mehr Meter erreicht. Die Zahl 100 wird aber nicht oft
und nur unbedeutend überschritten. Der Plateanrand wird ungefähr
in der Mitte des Abschnittes von der Schlibbe durchbrochen, welche aus
dem Mohriner See kommt. Sie besitzt teilweise ein schmales Bett mit
schroften und hohen Rändern. Parallel mit der Schlibbe läuft noch die
grössere Mietzel, welche im Soldiner See entspringt.
Wenn wir uns die Abwärtsbewegung des Oderbruches als geschehen
vorstellen, so mfissen wir aus der Topograpliie der beiden benachlMi tcu
Höhen schliessen, dass diese Bewegung auf die neumärkische Scholle
keinen Einfluss gehabt hat, sondern nur auf die Bamimscholle, w elche
bei dieser Bewegun^: nicht nur ihre Loslösung sondern auch ihre Auf-
richtung erfahren hat.
B. Geologie.
Nachdem wir in den obio^en Zeilen dargelegt haben, wie die Heraus-
bildung der Landschaft beeintlusst worden ist durch die Bewegung der
Erdrinde, wollen wir nun übergeben zur Bescbreibuug des Bodens.
1, Die Moränenlandschaft des Barnim.
Aul dem hödisten Abschnitt des Barnim herrscht eine sehr merk-
würdige Ausbildung der Landschaft. Es besteht ein bunter Wechsel
von Belg und Thal, aber beide sind kurz und unbedeutend, so dass es
anf dem ganzen Eamm zu keiner deutlichen Thalbildnng kommt Dio
Tiefen sind z. T. mit Wasser erfUlt wie der Baaeee bei Freienwalde.
Namentlich in dem östlichen Strich zwischen Bartzlow und Reichenberg
finden sich die kleinen abflusslosen Seeen ganz besonders zahlreich. Die
herrschende Bodenart ist der Obere Geschiebelehm, und wo derselbe
fehlt, finden sich doch seine Überi'este, die Steinbestreunng bzw. die
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32 Edufd Ztche:
grossen Feldsteine. Es ist ein Boden, welcher in regenloser Zeit hart
'wie Fels wird, so dass im Sommer häofig die Feldfröchte leiden. Von
dem ebemaligeu Steinreichtum jener Gegend ist das meiste ver-
schwunden. Bekmann*) berichtet, dass noch im Jahre 1689 der
Blumenthal fonnliche ^fauern von Mannshöhe ans ihnen beherbei^
habe. Als letzter Überrest lagert dort auf der Stadtstelle der Mark-
stein. Silber Scillae:**) giebt folgende Schilderung der Gegend von
Prötzel. „Es sind walire Kraters, nur nieht von Vulkanen, rings um
denselben lagen zunächst Steinklampen, mehr denn äOÜ Gtr. schwer,
Oeognostisoh« Skiese des Bariiiin*Plat«aQS.
Dto Diolit« dmt SelumMwoag b»Michn«t dtn SrbaltwiKtiut«ad des 0b«r«i QMcliicbalehmt.
diese waren wieder umringt mit Kieselsteinen, nnd immer folgten
kleinere Steine anf grossere, endlich verlor sich dieses Steintheater in
gemeinen Sand; nnd aller Orten, wo ich damals hingekommen bin,
fand ich diese Lagerang sowohl in den Feldern als in den W&ldem**.
*) Bekmann: Iiistor. Besclireibuug der Chor- und Mark Brandenbaij^
Berlin 1751, I. Teil, S. 440.
**) Silberschlag: Cieogenie oder Erklärung der inosaiscben Erderschalfiiiig. •
Berlin 1780, Bd. I, 8. 10.
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AnteO der gebitgsbüdfliulen ^Ifke bei der miikiecheii Landaclwft ^
Iii der Stofailandschaft oberhalb Wrieten stallt sich^ mehr and mehr
der San4 . ein, der. auf der niedrigsten Stnfe das hMnrschende Gebilde
ward. In dem Morftnengebiet haben wir daher den Strich des Barnim-
Plateans, in welebem sich die Gmndmorftne des Inlandeises, wenn anch
nicht gan< intakt, so doch den benachbarten Crebieten gegenüber her-
vorragend gnt erhalten hat
■
2. Die Abschmelzzone des Barnim«
Je . mehr wir. ans von der Höhe entfernen, desto mehr verschwindet
der Geschiebelehm. Zaerst findet sich noch eine Zone mit grossen
Inseln aus Geschiebelehni, schliesslich werden diese immer kleiner und
endlich herrscht nur noch der Sand. Diese Anordnung ist aber keine
regelmässige, etwa concentrisdl snm Moräuengebiet, trotzdem findet sich
anch hier eine merkwürdige gesetzmässige Ausbild iin^i^. Am aus-
geprägtesten ist das Sandgebiet neben dem Finow- and Havelthal. Der
Boden der Kgl. Biesentlialsclien Forst, der dei- Bcrnaner Forst nnd der
der Mühleubecker ist Sand. Es ist hier der Gescbiebelelini gänzlich
zerstört worden. Es ist das ein Zeicben dafür, dass die Schmelzwässer
in der Richtnng der hentigen Fließe abgeflossen sind. Diese Fließe
sind das Nooneniließ, die Finow, das Briesefiieß und das Tegeler Fließ.
Ungefähr in der Mitte zwischen den beiden letztgenannten Fließen, bei
dem Dorfe Stolpe findet sieb ein Vorspnmg aus Oberem Gescbiebelehm,
in dessen Bereicb sich auch der landscliaftiiche Charakter der Gruud-
moräne erhalten hat. Es ist dies oflenbar ein ausgespartes Stück, das
hier zwischen den beiden Hau])tgletscherbächeu der Zerstörung durch
die ^Schmelzwässer entgangen ist.
Der erste grössere N»'benflus<^ der Spree ist die Panke, östlich
pai'allel mit ihr münden eine Anzahl unhedeuteuder Fließe in die Spree
und erst kurz vor dem Lebuser Rande des Barnim-Plateaus stellen sich
eine grössere Anzahl von Fließen und Seeen ein, die diesem Rand-
Streifen ein charakteristisclies Gei)räge verleihen.
Ostlich neben der Panke in der Umgegend von Wt'isseusee bis in
das Weichbild von Berlin hinein hat der Boden und die Landschaft
wieder eine gewisse Ahnlirhkeit mit dem Stolper Vorsprung. Aber auch
mehr in das Innere hinein behauptet sich der Geschiebelehm. Es ist
hier senkrecht zum Plateaurand»' ein breiter Strich vorbanden mit
grossen Inseln aus Geschiebelehm, die hey renzt werden von Niederungen
mit kleinen Bächen, welche hier in grosser Zahl die Böschung durch-
kreuzen. Die bedeutendsten von ihnen sind die Wühle, das Neuen-
hageriener Fließ und das Fredersdorfer Fließ. Ks hat sich hier zwischen
Bernau und Alt-Landsberg »in , Mittelstück zwischen Abschmelz-
zone und Moränogebiet erhnlten, ein Zeichen, dass hier die Absclnnclz-
wässer eine geringe erudierunde Thätigkeit entfaltet haben j dafür spricht
8
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weiter d«r nnbedeotende Charakter dieser Rinneiif denen fast jede
Böschung fehlt, so dass es meist nnr weite flache Wiesengrflnde sind.
Nordlich von der Ostbahn hat das Qeltade den Charakter einer weiten
flachen Ebene. Die Br»6chnng sum Spreethal ist nor gering. Ana dem
Eisenbahnfenster sieht man die Dftcher der Dörfer Bliesdorf, Mahlsdorf
lind Dahlwitz eben über die Kante hinftberragen.
Im auffallenden Gegensatz au dem beschriebenen Bdscbungstöck
mit seinem ruhigen Charakter steht das benachbarte. Es bildet den
letzten Rest des Barnim«Plateau8 neben dem g^rossen Riss, welcher das
Barnim-PIatean rom Lebnser trennt Es ist das ein schmaler Streifen
mit besonders gehäaften Rissen und Rinnen. Es laufen hier eine An-
zahl Rinnen parallel mit einander nach Süden, von denen die westlichste
die längste ist. Sie beginnt mit dem See bei Neu Gersdorf, ungefähr
10 km vom Nordrande des Bamim-Plateans entfernt und verläuft in
last Nordsfidrichtung darch den Gamengrnnd, über den Langen-, Mittel-
und Gameu-See zum Fänger- und Bötz-See. Auffallend tief ist die
Rinne erst vom Langen See abwärts, aber auch die südlichsten Seeen
haben wieder ganz flache Ufer. Parallel zu dieser Rinne in einem Ab-
stand von 4 km läuft eine zweite, welche im südlichen Blumenthal
beginnt und durch den Latt-See, Herrn- und Banern-See mit dem
Stiauß See in Verbindung steht. Die Form der Rinnen ist hier die
gleiche, nur kommt hinzu, dass auch ihr südlichstes Stück, der Strauii-
See, noch von steilen Ufern eingefasst ist. Die gau/e lange Rinne endet
heutigen Tages im StrauU-See blind. Der Bötz-See entwässert durch
das Müliienfliess bei Eggersdort zum Fredersdorfer i litv^s. in der Höhe,
in welcher diese beiden Rinnen gleichsam bliud endigen, denn das
Eggersdorfer Fliess ist nur ein schwacher Graben, beginnt eine neue.
Auf der Ostseite der Stadt Stiaiislicrg entsteht in einem Wiesengrunde
ein Wasserchen, das in cineni Thale zum Stienitz-See hinabfliesst. Die
Ränder des Thaies w erden nach uuterwärts zusehi'uds schrutfer und höher.
Es hat der Spiegel des Strauß-Sees eine Meereshöhe von 64 m und der
Spiegel des Stienitz-Sees eine solche von 'M') m; daraus ergiebt sich für
diese (5 km ein Höhenunterschied von 28 m. Was den geologischen
Bau hetrirtt, so entspricht er ganz der landschaftlichen Gliederung. Im
Gebiete der unteren Seeen herrscht der Sand. Das gilt von der Straos-
berger Feldmark, der Strausberger Stadtforst und der Eggersdorfer Feld-
mark. Nördlich von diesom Strich, w*'liin die Rinnen schmäler werden,
stellt sich der Cieschiebelehm insehn-tig ein. Merkwürdig ist es, das<
neben der westlichen Seeenkette der Gesciiiebelehm bis au den Rand der
Rinnen heranreicht.
^. Der Neumärkische Anteil.
Das Neumärkische Plateau ist der südlichste Vorsprung des
grossen baltischen Moränengebietes. Der Obere Gescbiebelebm reicht
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AuMSL d«r gebiigsbUdenden Krifte b«i der miildadken Laadaehaft 85
daher fast flberaU Ins an den Plataanrand heiaa. Er fehlt nur in
einem kleinen Strich sfidlich von Mohrin, wo sich im Oberlauf der
Schlibbe ein echtes Abechmelggebiet ausgebildet hat, gleichsam das
Sammelgebiet fdr das Dnrohbmehsthal durch den Rand. An den
Gehftngen des Schlibbethals ist daher gelegentlich der Untere Qeschiebe-
lebm angeschnitten. Südlich dieses schmalen Sandstreifens tritt wieder
am Bftrwalde und Fflrstenfelde ein umfangreiches Geschiebelehm-
gebiet auf.
II. Die Scharmützel-Rinne.
Südlich von Ffiistenwalde liegt einer der scfaftnsten Seeen der
Mark, der Scharmfltzelsee.*) Er ist lO^a km lang und IV^ km breit
Er ist fast seiner ganzen Ausdehnang nach von steil einfallenden Ufern
umgeben. Besonders das westliche Ufer fällt mit schroffer Böschung
ein, während das östliche zwischen Pieskow und Diensdorf neben der
Böschung noch Platz für eine Strasse lässt. Diensdorf selber liegt auf
diesem Vorland. An einigen Stellen ist zwischen beiden Dürfern neben
der Strasse noch eine höhere schmale Torrasse ausgebildet. Grössere
Schluchten und Fliesse, die zum See hinabführen, fehlen gänzlich, so
dass der See eine vollständig geschlossene Rinne bildet. Der Spiegel
des Sees hat eine Meereshöhe von 86 m, und das westliche Qelände
eiTeicht bei Silberberg 94 m Höhe und das östliche hinter Diensdorf
74 ra. Aus diesen Zahlen ergiebt sich schon, dass ein Blick von der
Höhe hinab auf diesen See einen sehr imposanten Eindruck hervor-
rufen wird.
Der Scharmützel-See liegt auf dn- Hohe eines Plateaus, das im
Süden und Osten von der Spree, im Westen von der Depression um
Storkow und im Norden vom Spreethal begrenzt wird. Am bekannte.sten
in diesem Gebiet sind die Rauenschen Berge mit den Markgrafen-
steinen. Die Rauenschen Brr{re. erheben sich südlich von Fürstenwalde
als ein kleiner Gebirgsstock deutlich aus dem Spreethal heraus. Sie
erreichen in ihrem höchsten Gipfel 148 m. Zwischen dem Gebirgs-
stock und dorn Spreethal belindet sich noch eine schmale Terrasse von
45 m Meereshöhe, welche aus Oberen Geschiebelehm besteht. Im Gebiet
der Rauenschen Berge sind zahlreiche Aufschlüsse vorhanden, welche
alle eine iiinii^e Veiknüpfung des Brannkohlengebirges mit dem
Moranengebirge zeigen. Auch nacli Süden an beiden Ufern des Sees
ist die Beziehim«; beider Gebirgsaiten eine sehr enge, und es sind
gerade hier einim' Aiifsclilüsse vorhanden, welche es erlauben, eine
sichere Vorstellung von der iCotstehung der Landschaft zu geben. £s
*) Z ach Vi Siiurcn tektonischer Kräfte in dem Niederlauaitzer Vorlande.
Arcliiv der Geaellacbaft für Ueimatkunde der Provinz Braudeubuig. 5. Bd. 1890. S. 4A.
3*
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m
Edaaid Zadiei
sind dies die Ziegeleigrabon von Silberberg und Saarow an f der wehU
liehen Seite sowie die von Diensdorf und Pieskow auf der ösüiishen.
Die Silberberger Grobe liegt auf der Höhe, d. h. in nngefUhr
8() ni Meereshöhe. Sie stösst mit ihrer Längsachse auf das Seeufer.
Die beiden Längswände der Grube zeigen die Braunkohlenflöze eiiH
gebettet in Formsand mit zahlreichen Stauchungen. Plötzlich hört das
chokoladenfarbige Tertiär an beiden LängSNvänden neben einer senk"
rechten Linie aof (Taf* I) ond hinter ihr folgt das hellbraune Dilavium^
ein sebr kieBiger und sandiger Geschiebelehm. Die Grabenwand ist
Scb«in»titob«s Profil durch den 8eh»riDttts«l-Se« bei Fftrsiea.walda. . .
Bl* LiniMi X xuvd y «BtopiMhMi d«n LIbImi e mnf d«D TalUn I and II.
7 — !^ in hoch. Das Braiinkohlensrebirp^e erstreckt sirli fast bis au das
Seenter. Auf seiner Oberkante haben sich nur schwache Keste von
Diluviuni erhalten.
Am Ausfraiige dieser Grube blickt man nun in eine zweite Grube
hinab, welche hart am Ufer mit ihrer Snlib» in Höhe des Seesjiiegels^
liegt. Diese zweite Grube, welche ncfli reiciilidi ÖO ni breit ist,' steht
im Diluvium. Auf ihrer Sohle wird ein heller l)rauiier Diluvialthon
gegraben, der sehr gut geschichtet ist. Er wird überlagert vou einem
sehr gut geschichteten scharfen Sand. Auf der Seeseite der Grube
h«"»rt der Thon neben einer senkrechten Linie auf (Taf. II) uud es folgt
bis zum Seeufer gut geschichteter scharfer Sand. Die Sand- und
Thonschichten sind an der Verwerfuugslinie etwas geschle})nt. Der
Sandblock zwischen der Grube und dem Seespiegel ist durch einen
Abzugsgraben autgeschlossen und zeigt dicht neben dei* Verwertuiigs-
liriie energisch gestauchte Schichten, die zum See hin eine horizontale
bis flach muldenförmige Lagerung annehmen. '
Die eben beschriebenen beiden Aufschlüsse befinden sich ungefähr
neben der Mitte des Sees. Korz Tor seinem Nordeude ist, ebenfalls auf
der westlichen Seite, ein zweiter Anfschlnss vorhanden. Die Grube
liegt ein Stück vom Seenfer entfernt Uan gelangt in die Gmbe durch
einen künstlichen Hohlweg. An beiden Hängen desselben ekibi. mto
horizontal geschichteten Dilnvialsand. Sobald man die Grabe hetritt,
ändert sich das Bild. Man befindet sich g&nzlich im firaankohlen*
gebirge, und nur die rückwärtig Wand» d. h. die dem See am nftchstsD.
Antaii dttr gebiigsbUdeodea Krftft« bei der mirkisehen Leadscheft. 37
gelegene, besteht zum grössten T»m1 aus diluvialen Sandschichteu,
welche nach unten ganz allmählich in tertiäre übersehen. Eine scliarfe
Grenze . liisst sicli hier nicht anp^eben. Es ist also diese Wand der
Grube ungetahr auf der Verwerfungslinie gelegen.
Die eben beschriebenen Aufschlüsse lial)en zweifellos gezeiG,t, dass
das westliche Ufer aus einem schmalen Streifen Diluvium besteht, an
welcheji ein Streifen Tertiär sich anschliesst und auf den wieder Dilu-
vium folgt. Auf dem östlichen Ufer kann man dieselbe Beobachtung
mächen. Der eine Aufschluss betindet sich bei Pieskow. Vor dem öst-
lichen Eingang zum Dorf ist eine flache Grube vorhanden, in welcher
unter einer dünnen Decke von Diluvium das Braunkohlengebirge sich
lindet. Es liegt diese Grube auf der Höhe. Die Diensdorfer Grubej
befindet sich ein beträchtliches Stück vom Seeufer entfernt, und eine
Feldbahn, welche in sie hineinführt, hat mehrmals schöne Aufschlüsse
geliefert. In der eigentlichen Grube liegt auch hier eine dünne Decke
von Diluvium auf Teritär. Sobald das Gelände «iin Seeufer hin za
fallen beginnt, stellen sich zahreiche Stauchungen eip, welche Tertiär nhd
Dilnvinra begreifen. Gerade neben der Kante ist eine besonders schdne-
aofgeschlössen. Zu unterst lagert das Tertiär, darüber folgt eine grnn-
braune, gleichförmige, nngeschichtete Masse, hierüber liegt ein gelber
kiesiger Sand, welcher sackartig in das Liegende hineinragt. Die Decke
des Ganzen ist endlich ein Geschiebelehm, Welcher seinerseits sackartig*
an iswei Stellen in die Unterlage hineiogreift. Die Böschung selbst ist
scharfer diluvialer Sand mit Steinen. An anderen Stellen wird dieser öst-
r
liehe Abhang ganz von Geschiebelehm gel)ildet, oder letzterer reicht doch
bis auf den ersten Absatz hinab. Auch dort, wo die Terrasse fehlt, ist der
obere Rand der Böschung Geschiebelebm. Wo die Tagenwässer den'
Geschiebe] ehm angegriffen haben, liegen die Geschiebe sehr dicht. Es
scheint also ans den Anfschlüssen auch hier hervorzugehen, dass sich
neben dem See ein schmaler Randstreifen aus Diluvium findet.
Wie sich die Oderrinne vom Oderbruch aus nach beiden Richtungen
hin fortsetzt, so ist das auch Itei der Scharmfitzelrinne der Fall. Nach
Norden lässt sie sich über die Wnrich- Wiesen und den Petersdorfer See
bis an der Einsattlong zwischen den Rauenschen Bergen und den Soldaten*
beigen verfolgen. An das Südende des Sees schliesst sich eine lange
Schlacht, welche mehrere Seeen beherbergt; die grdssten von ihnen heissen
der Grosse Glubig-See, der Spring-See, der Melang-See, der Tiefe See
und der Godna-See. Von ihnen stehen die vier ersten noch mit dem
Scharmfitzel-See in Verbindung. In der weiteren sfldlichen Fortsetzung
der Spalte liegt dann noch der Nenendorfer oder Prahm-See und der
untere Spreewald.
In der nördlichen Fortsetzung des Scbarmfitzel-Grabens findet sich
neben dem Petersdorfer See noch ein sehr schöner Aufschluss. Eine
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38 £^ Zache: Anteil der gebirgsbiidenden Kräfte bei der märk. Laodfchaft.
Grube zeiß^ ciiion flachen Sattel, dessen Sattellinie parallel zum Peters-
dorfor S» »' streicht. Der Sattel ist flachwellenförmig zusammengeschoben.
Zu Unterst lagert cliükoladenfarbiges Tertiär, das auf den Wellenbergen
zahlreiche Geschiebe trägt; nach den Seiten gebt der Kies in Sand und
Thon über, and in der näheren Umgebung findet »ich Geschiebelebm.
Auch in der weiteren Umgebung des Scharmütxel-Sees stOest das
Tertiär noch durch das Diluvium hindurch. Einer der merkwürdigsten
Punkte ist der Alaun-Berg bei Wilmersdorf. Am Fusse der Bergkappe
ist eine Grabe mit gatgeschichtetem kiesigen Sand vorhanden. Sobald
der Weg zu steigen beginnt, tritt Geschiebelehm anf nnd ein rötlich
branner Eies. Beide lagern neben Brannkoblengebirge. Dieses Tertiär
bildet in Höhe der Strasse eine Art Absats. Darfiber erhebt sich die
Spitze des Berges, welche ans einer 62 m hohen Wand ans Oesehiebe-
lehm besteht, der einen dentlicben Stich ins Schwarze besitzt
Durch die Beschreibung der geologischen Verhältni.sse des Oder-
bruches und des Scharmützel -Sees hoffe ich einige Belege beigebracht
zu haben für die Ansicht des Herrn \i>ii Koeneu, dass die Bewe-gungen
der Erdrinde bis in die jüngste Zeit gedauert haben, auch in der nord-
deutschen Tiefebene, und dass sie einen nicht unerheblichen Anteil
der Herausbildung dei- beimischen Landschaft gehabt haben. Ich las.-e
es unentschieden, in welchen Abschnitt der (^uaitarzeit die Bewegung
getallen ist. Das Wahrscheinlichste ist wohl, dass die Beweguuf; erst
gegen Ende des Abschmelzprozesses einsetzte, als die Eisdecke schon
verhältnismässig dünn geworden war, su dass sie durch die Bewegung'
zeriissen wurde, wodurch Eisinseln entstanden, weldie nun, bedingt
durch ihre Neigung zum Horizont, beim Abschmelzen ihre geologische
Ausbildung erhielten.
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Patlor Kopp: Die alte Dorftdidie von Kubedorf in der Ost-Prignitc.
39
Die alte Dorfkirche von Kuhsdorf
in der Ost-Prignitz.
Von
Pastor Kopp in KubsdorC
Im siebpnhürgi.schtiD Sachsenlande gieht es sogenannte Bnrg-
kirchen, in denen sich in liöchster Bedrängnis die Bewolmer der
Dorfschaften gegen die Türken verteidigten. So giebt es aucli in
unserer Prignitz alte trutzige, feste Gotteshäuser, die einst den Vor-
fahren Schutz und Ilui-t gewesen sind in schwerer Zeit. Die alten
Dorfkirchcii unserer Gegend sind aus ungefügen Granitblocken er-
richtet; der Turm, so breit wie die Kirche selbst, ragt steil in die
Höbe und Absätze, fensterlos bis auf die Turnduken oben bei den
Glocken und schmale Schlitzfenster in den Wänden. Ein einfaches
Dach, das quer zum Kirchdach steht, schliesst das Mauerwerk oben ab.
Aach wo ein spitser Dachreiter diesem Dach anfgesetzt ist, vermag er
doch nicht dem Ganzen den Eindruck des Wuchtigen, Plumpen zu nehmen.
Alle Anzeichen sprechen eben dafflr, dass nicht bloss' frommer Sinn
einst diese Tfirme so fest gebaut hat, um dem Gotteshaus AbscUuss
und ragende Höhe und den Glocken einen erhöhten Standort zu geben,
. sondern dass die harte Not der Zeit diese Tfirme hat bauen lehren als .
Yerteidigungspunkte der bedingten Ortschaften.
Unter den Kirchen der mittleren Prignitz trftgt ganz besonders
die Kirche des kleinen Dorfes Kuhsdorf, etwa 6 Kilometer südwestlich
▼on Pritzwalk gelegen, diesen Charakter als Yertudigungs- und Wehr-
kirche deutlich zur Schau.
Wann die Kirche erbaut ist, hiUlt sich in Dunkel. Nachweislidi •
hat im Jahre 1818 der Pfarrer Heyso zu Curdestorp der Nikolai-
kirche in Pritzwalk Landbesitz in Predule (Predöhl) vermacht. Diese
Notiz giebt zugleich Aufschlnss über den ursprfingliohen Namen des
Ortes „Gnrdes (ans Conrads)-Dorf, woraus im Laufe des ffinfzehnten
Jahrhunderts Knrstorf, Kusdorf, dann Kuhsdorf geworden ist* Warum
übrigens der Pfarrer von Curdestorp von dem Landbesitz der Pfarre
etwas abgetreten hat, wird nicht gesagt Vielleicht hat er, wie es da-
mals gang und gäbe war, mehr in der Stadt als in seinem Dorfe
gewohnt und wenig Interesse mehr für Kubsdorf gehabt. Ein plobanus
(Dorfpfarrer) Heyso ist in der Pritzwalker Stadtkirche begraben. Ob
es derselbe ist, ist nicht festsustellen. Jedenfalls geht ans dem kurzen
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40
Pastor Kopp:
Bericht hervor, dass damals die Kuhsdorfer (oder Kurdsdorler) Kirche
bereits mit festem Landbesitz ausgestattet war, und dass dieser keines-
\ve^ unbedentend war, denn das Dorf Predöhl liegt reichlich 1' a Meilen
entfernt.
Wer vor dem Turm steht, vor dem ragt die breite wnchtige
Steinmasse in fast erdrückender Massigkeit empor, ohne dass das Auge
einen Ruhepunkt an Absätzen, Simsen oder Fenstern tUnde. Der
Die Kirche von Kabsdoit.
Gnmdriss ist fast «luadratisch (9' 4 m zu 8' « m). Wie von Riesen-
händen scheinen die gewaltigen Feldsteine, roh behauen senkrecht auf-
geschichtet zu sein. Die Mauer hat unten eine Stärke von 2*/< m
(ungefähr *.) Fuss). Über der niedrigen, spitzbogigen Eingangsthur
befindet sich im Mauerwerk eine etwa 2 Fuss hohe Nische, die in
katholischer Zeit vielleicht ein Heiligenbild barg. Hinter der Thür \fit
der Eingang höher, rund gewölbt. Der Innenranm ist dunkel, nur
spärlich eriiellt durch das Licht, das aus dem oberen offenen Turmraum
und diin h die Kitzen der schadhaften Thür hereinfällt. Die Mauern
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Di« alt« DorfUrehe von Kufasdovf in der Ost-Pirigmti.
41
Teijfingeti 8ich in drei Absätsen nach oben zu, doch ist die Maaer m-
olMffi^ bei den Glocken immer noch 1,15 m , Fuss) stark. Der erste
Absatz ist -ttftf zwei Seiten hoch abgernudet, offenbar bestimmt, edn
Q«W6lbe tu tragciii;' - Ob ühtir dies jenMÜs ^nsgeffibrt ist, erscheint
zWfnfelhafl^ Wenn- «s auch Jserstort wäre, so müsste doch wohl noch
eine Spur davon vorhanden sein. Das ist aber nicht der 'EislL' Mftditig6
fiichenbalken liegen auf den Maitferabiätzen auf.' Sie tnsg(ie»"wiederom
senkrechte Eichen pfostisD, ^atif disiien ' wieder Querbalken ruhen, sodass
tnSKll» wedn das Auge sith aü 'das spärllehe Licht geivohnt hat, vo&
nibten 'bis za' den ßoblen hiuanfsehen kann/ die den Glockenboden
' bilden. Eine stiüle Trepj^e ffihrt von der Mitte ans anf 17 Stufen za
i^eir WdUdeitreppe, di«l iniieilialb der sfldliciieB Maner anf 10 StdfSdn
wieder^in den inmiren Tnrmrantn föhrt. • Die Stufen sind von unfegel-
tüftssigen Feldsteinen l^bildet, '.vor einigen Jahren aber mit Gement
ttbenogeit^ in» aneh * jetzt (tine eiSertfe fialtestaitgS für die Hand aii der
Ifandr angebra0lit ■ Ist. 'Eind< kleins' • rnnde öitnang, dttibh ' die «taan- nicht
einmal' idiii Anin' steeken kOklnle, dnrchbrioht die an dieser dftnnsten
Stelle immerhin noch fast meterdicke Mauer nach aussen, ohnie- freilich
die Wsndelfar^p« eilencbten an können.
' , 8W6i 'üreitare lireppen 'vOn Hdz fQhreta auf 16 und ^ StQfen zmn
Glockfinboden ttnanf.' Voli der erster^n: [disser Treppen Sieht inaH Mol
ein in eine jetzt nnzagängliche gewaltige Schiessscharte, die nach innen
sseli weit ausdehnt, nach ankseif sieh absr nur in «inem etwa doppel-
hattdMiten Schlitz dfl^et Yerleidigtsr, di« in diesem Schlitz lagfen oder
standed, 'könnten mit ihren 'Schnsswäi)i0n «einen stOrmenden Feind üb^
'wehren, ohne dass so leicht ein Worfgeschoss in 'die sishiiiale Manerritze
hineiiiti'af. Eine gleiche Maberdffimng im der Kordseite des Turmes ist
von' tfosfaen zugesstzt ' worden.
''M^ir erklimmen, ^Vorstditigi im Donkeln tastend« den Glocken-
b öd en, 'eintti'' weiten Baum, 'der eine ni<äit' v^g ^juadratisch^ Fläche
von' 69 qm bildet Sechs grosse, fast ^ ih breite nnd über 8 m hohe
FenstsrGIf nötigen mit je zwei Iftnglieh schmalen ftundbogenfenstern und
eioem kleinen Fenster oben unter dem das Ganze abschliessenden Rund-
bogen, im Korden nnd Süden je eine, auf den andern Seiten je zwei,
nnr dmvh HolzAftbe nnd Drahtgitter verschlossen, gev^hren dem Licht,
aber anch' dem Wind, Segen nnd Schnee fireien ' Zutritt nnd bieten
ungehinderten Ausblick tiber die Feldmark und nach den Nachbarorfeii
hin. Mitten im< Raum stehen die beiden Glockenst&hle. Die grössere
Glocke, mit vollem schonen Klang, hat eine Höhe von 85 cm^ eine
untere Weite von 1 m. ■ Bei der kleineren betragen beide Masse 60 und
65 cm/ Beide Glocken tragen keine Inschrift, sondern' als ünzigen Schmuck
am oberen Rande einen Kranz von je 7 MMaülons etwa in 'der Grösse eine^
Ffinfiimrksttckes, an der grösseren Glocke unterbrochen durch sieben.
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42
Pastor Kopp:
kleine Medaillous in Grösse eines Zweimarkstücks. Die grösseren
Medaillons zeigen in fortlaufender Reihe Darstellungen aus der Leidens-
geschichte in sehr altertümlicher Weise, an beiden Glocken die gleichen;
die kleineren zeigen geflügelte Tiergestalten. Der gleiche Schmuck
beweist, dass beide Glocken zugleich gegossen sind, Ihr Alter scheint
beträchtlicli zu sein.
Neben den beiden Giockenstiihleü ist reichlich Platz vorhanden für
diB Uhrkammer. Die grossen weissen viereckigen Zifferblätter von
EiS€D stehen, einfach und praktisch, aber unschön in den Fenster-
öffnungen. Die jetzige Uhr ist im Jahre 1898 aufgestellt; nachdem die
im Jahre 1685 besobsffte ihren Dienst versagt hatte. Dichtgefügtes
Gebälk trftgt das Dach, das auf seinen vier Seiten mit Ziegeln gedeckt
ist Daehreiisr imd Spitan iit mÜ Schiefer gedeckt Bis zum Jahre 1820
ist der Torrn noch höber gevesen als jetzt; dunals aber wegen einiger
bedenklicher Bisse im oberen Manerwerk bis anf seine jetilge Höbt
abgetragen -worden. Die Wetterfahne oben aof der Spitze trftgt die
Jahressahl 1820 und die Bnchstaben AHVQ (August Heinridi von
Qnitatow).
Vom Tnrm ans fahrt ein niedriger Eingang zu ebener Erde in
das Innere der Kirehe. Wie alle andern ist ancb dieser Eingang mit
einem eichenen Balken, der in die Maner snrttcksoschieben ist^ ver»
riegelt gewesen.
Doch wir verlassen den Tnrm wieder durch den ftnsseren Ein-
gang, um die Kirche von aussen in Augenschein nehmen au können.
Sie ist genau so breit wie der Turm, sodass kein Manerwinkel einem
Feinde Deckung ge^bren konnte. Auch die Mauern der Kirche, aus
starken Granitsteinen geflgt, erheben sich hoch ohne Strebepfeiier, Ab-
s&tse oder Gesimse. Nur die in beträchtlicher Höhe angebrachten
schmalen Fenster mit Spitsbogen unterbrechen die W&nde^ je drei an
den Längs- und der Giebelseite. Das mittelste der Fenster in der
Giebelseite oder Altarwand ist zugesetzt worden, da die Kanzel es ver>
deckt. Es mag anfßUlig erscbeinen, dass jetzt die Thür- und Fenster^
Öffnungen sämtlich Spitzbogen zeigen, während zur Zell der Erbanuag
sonst nur der Bundbogen gebräuchlich war. Vielleicht erklärt es sich
so, dass ein späteres Geschlecht die schadhaft gewordenen Öffnungen
ausbesserte und ihnen dabei ihre jetzige Form gab. In der sfidöst^
lieben Ecke befinden sich noch in geringerer Höhe zwei kleine
schmale mit Eisenstäben und Querbalken versicherte, nur etwa meter-
hohe Fensterohen.
Dichter Eplieu überwuchert fast die ganze Giebelseite und liest aar
nodi wen% von der Giebelverzierung erkennen, drei Reihen \ on schmalen
Blenden, aus Mauerstein gebildet, oben durch zierliche Doppelbogen
abgeschlosiMn. £in kreisrundes Fenster, das den Kirchenboden erhellen
Die ilto Doilldreb« von Kubadorf der Ost-Pvlgnits. 48
soll, ist jetzt vom Ephea gaoB verdeckt. Die Giebelepitie trägt einen
Hahn als Wetterfahne.
Ein Eingang, der sich früher in der Nordseite der Kirche befiand,
ist zngemaaert. Im Innern ist die dadurch entstandene Nische znr
Hälfte offen gelassen.
Der Eingang an der Südseite ist noch niedriger als der im Tarm.
Man kann nur gebfickt hindurchgehen. Ein höchst unschönes Gebäude,
das sog. Liekenhiis, später angebaut, verdeckt rlen Eiogang. Die schwere,
aber nur selir unvoUkuramen schliessende Eiclieiithür mit f^lnom plump
gearbeiteten uugefügten Schloss, (»ffnet ein gewaltiger Schlüssel. Wir
treten ins Innere der Kirche, einen einzigen, rechteckigen, hohen, weiten,
weissgetünchten Raum. Der Fussboden ist mit Mauersteinen belegt.
Manch alter Pfarrer von Kuhsdorf hat unter diesen Steinen sein Grab
gefunden, auch selbst Pfarrfrauen und -Kinder sind in der Kirche neben
dem Predigerstahl begraben. Die Balkendecke des Bodens ist auch
weissgetüncnt.
Ins Auge fällt zunächst die Kanzel, die mit Altar und Sakristei
ein Ganzes bildet, kunstvoll in Holz geschnitzt, und dem Geschmack
einer vergangenen Zeit entsprechend, reich bemalt in allt^n Farben. Eine
Inschrift auf der Wange der Kanzeltrepi)e belehrt uns über die Ent-
stehaug dieses gewiss zu seiner Zeit mit Recht bewunderten Werkes:
v,Dieses Altar, Cantzel und Heichtstuel ist gemacht 1707. Da Patronus
gewesen der Hochwohlgeb. Herr Achatz Allireclit von Qwitzow, Predigei'
Hen- Job. Feddi r, \on Mr. Sweidner, Tischlei* aus Perleberg. Abge-
mahlet 1729 von Herrn Friedrich Koppen aus Perleberg. "
Aus alten Rechnungsbüchern ist ersichtlicii, dass dies Werk im
ganzen 168 Thaler gekostet: eiiu^ für danialigo Verhältnisse gajiz bedeutende
Summe, die Patron, Kirche und Gemeinde selir mülisani zusammen-
sparen mussten, wenn aucli einiges ge.schenkt wurde, so «-twa 6U Thaler
von Frau und Fräulein von der .lahn und 4' -j Tlialer von den Dienst-
boten des Ortes. Man mass bedenken, dass in derselben Zeit auch das
heute noch stehende Pfarrhaus gebaiut wurde, mn die Opferwilligkeit
der Beteiligten würdigen za können.
Der Plals für den Geistlichen vor dem Altar ist durch Schranken
abgeschlüBsen, das sog. Naditmahlgestdhl. Es trägt an der Vorderseite
zwischen Blathrersiernngea das Wappen derer von der Jahn, einen
.springenden Hnnd mit goldenem Halsband, als Belmsier denselben Hnnd
zwischen awei HeUebacden. Die Unterschrift lautet: Christine Elisabeth
Ton der Jahn. Zwei Paare von gewundenen Sftukn tragen die Kanzel
und den mfiditigen SchalldeckeL Vor den Säulen steht auf der einen
Seite Moses mit Stab und Gesetzestafeln, auf der andern eine JQnglings-
geataU (Johannes) mit Kelch und Palme als Darstellungen von Gesetz
und EvangeUain. Die Kanzel ist mit Rankenwerk, Engelsköpfen und
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44
BMtor Kopp:
Säulen Windungen verziert und beniaH and triigt an ihren dr^i Seifen
drei Wapix'n: vorn das Quitzowsche — ein «^chraptretoilter Sctiild '
gchwarz und rot; im roten Felde ein schwarzer und im schwarzen
Felde ein roter Stern; ein Wolf zwischen zwo! Bäumen als Helmzier —
nait der Überschrift Achatz Albrecht von <\)uitzo\v: rechts das Linstausch*»
-~ der Schild wagerecht p^eteilt, schwarz und weiss, als Helmzier eine
weisse und eine schwarze Frau, einen grünen Kranz zwischen Pich haltend
und darüber: Ursula Hedwi«: von Linstau (die erste Frau des Eben-
genanuten); links das Jahnsche Wappen, darüber: Magdalena Miii^r^a
von der Jahn (die zweite Fr»u)- her Schalldeckel zeigt im Inneren die
Taube, das Sinnbild de4> heiligen Geistes. Die Kanzel ist darcb eine
schmale Thür abgeschlossen, auf der mit Goldschrift die Worte Jes. 58, l
stehen: ^Rufe getrost, schone nicht, erhebe deine Stimme wie e\m
Posaune und verkündige meinem Volk ihr Übertreten und dem Hans^
Jakob ihre Sünde.** Hechts und links neben der Kanzel sind schwebend
F]ngeigestalten mit Posaunen angebracht. Unter der Kanzel träg;t die
Rückwand des Altars das Bild des Lammes mit der Si^gt^sfabniB und
die Worte: ,,Siehe das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde tra^t
Merkw'ördig Ist noch ein kleines alt^s Bild, das über den» Schal Ideckei
der Kanzel aogebracht die Decke berübi-t; es stellt in altertämUciMf
Malerei die EtiisetsaDg des heiügeii Abendmahls dar» sonderbarerweise
13 Jfinger ausser dem Herrn.
Die Sakristei ist oben ollen, aber durch ziemlich hohe Wände
von der übrigen Kirche abgeschlossen. Die obere Hälfte der Wände
hat Rankenschnitzereien, auf den unteren Hälften stehen die. Sprüche
Hatth. 18, V. 18: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden bindet
werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was' ihr auf Erden
lösen werdet, soll auch im Himmel los sein". Joh. 2i\ v. 22:» „Nehmet
hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie
erlassen: und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten**.
Jesaia i v. 18: „Wenn enre Sünde gleich blutrot ist, soll* sie doch
.schneeweiss werden: wenn sie gleich ist wie Bosint'arbe, soll sie doch
wie Wolle werden". — Die Sakristei ist eben auch in evangelischen
Kirchen noch lange Zeit hindurch Beichtstuhl genannt worden.. Der
alte „Beichtstohl" ist nach einigen Kennzeichen zu urteilen, etwas
kleiner gewesen. In der Wand ist eine durch die Rücklehne der Bank
halbverdeckte Nische, eine gute Spanne hoch und tief und etwas über
2 Spannen lang. Früher hat sich darin gewiss der Kaston. für den
Beichtgroschen befanden. <
Auf der andern Seite in derselben Wand ist noch eine doj^talt so
grosse Nische, von Spitzbogen und Gesims nnuogen, davor ein ver*
scbliessbares Qitter von staikem JSisenblech. Ein gioaser TbOrlmlcea
daneben verrät, dass ehemals vor dem Gitter noch .eine schvrörec«
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Die alte Dorflcirche von Kuhsdorf in der Ost-Prignitz.
45
Thür gewesen ist. Diese doppelt versicherte und verzierte Nische hat
gewiss die lieiligen Geräte geborgen.
Das Fenster darüber, das nördlichste der drei Giebelfenster ent-
hält die kiinstgeschichtlich grösste Sehenswürdigkeit des alten Gottes-
hauses. Es ist ein kleineres Fenster mit Glasmalerei, deren einzelen
Alt«> Qlatgcmfcld« in d«r Kubsdorfar Kirebt.
farbige Teile in Blei gefasst und so miteinander verbunden sind.
Einzelne kleine Stücke, etwa drei, fehlen im Rande. Es ist ein zwei-
teiliges Gemälde. Die linke Seite (vom Beschauer aus gesehen) stellt
einen Ritter dar, er trägt schlichtes braunes in Stirn und Nacken
fallendes Haar, ohne Kopfbedeckung, das Gesicht ist bartlos. Über
einem gelben Untergewand mit engen Ärmeln trägt der Ritter ein
blaues, ärmelloses, enganliegendes bis zu den Füssen herunterfallendes
I
46 Pastor Kopp:
ObfTgewiind, oben an der Brust durch drei goldene Knöpfe, an den
Hüften durcl» eiiion ljunten (lürtel zusammengehalten, unten mit breitem
Saum. Die Füsse stecken in langen gestickten Schuhen. Die Rechte
trägt ein breites Schwert, das über die rechte Schulter gehalten wird,
mit goldenem grossem Knauf und nach der Schwei-tspitze zu gebogener
Parierstange. Die Linke stütit sich auf das Schild, der die beiden
Sterne der Quitzows in schräggeteiltem Felde zeigt, aber nicht
schwarz- rot, wie auf dem an der Kanzel befindlichen Wappen, sonderD
rot-gold. Der Rand zeigt auf drei Seiten verschiedenartige Arabesken.
Ausserdem weist er die Inschrift auf in Uncialen COSVV. DE.
QVJTSO — Cüuradus . . . de [von] Quitzow — . Die rechte Seite
ist ausgefüllt von dem liiidnis einer Edelfrau in hoher gelber Haubo,
in blauem und gelbem, über die Füsse wallendem Gewände, darüber
ein rotes Obergewand mit weiten Ärmeln und Hermelinbesatz. Die
VVRU. RERTHE — etwa Frau Margarete? Da der Rand an vielen
Stellen schadhaft ist, so können einzelne Buchstaben weggefallen sein.
Nach dem Urteil Sachverständiger stammt^ dies Glasgemäldo ans dem
14. Jahj^nndert, also noch in die Zeit vor dem mftchtigen Ao&chwung,
den um das Jalir 1400 das Haas Quitzow nahm, wo es darcli sdmelle
Ifelmmg seiner Haasmacht ans der Reihe des niederen mftrkischen
Adels in die Stellang der Vormacht nnd FAhrerschafk des Adels gegen
St&dte und Fürsten trat und es selbst wagte, dem neuen Kurf&rsten
Friedrich yon Uohenzollem die Stim au bieten. — Ans welchem An-
lass das Büd an seinen jetzigen Fiats gekommen, von wem nnd aus
welchem Anlass es gestiftet ist, darftber feUt zonftcbst jeder Anhalt
Es ist ein glfickliches Geschick, das ttber diesem Bilde gewaltet hat und
es durch fttnf Jahrhunderte, durch Brand nnd ZentOrung so unversehrt
eihalten hat. Als ein Werk von hohem geschichtlichen nnd knnst-
geechichtlichen Wwt» ist es eine einzigartige nnd hochbedentende Zierde
der Kuhsdorftr Kirche, um die manch reiches schönes Gotteshaus sie
beneiden könnte.
Mitten in der Kirche steht eio, jetzt mit einer grünen Decke be-
kleideter Tauf stein. Er ist ans Sandstein, massig nnd schwer, in
Becherforro, oben achteckig, einen Meter hoch und breit, mit runder
56 cm Üefen Aushöhlung, die einst dazu gedient haben rouss, die Täuf-
linge völlig ins Wasser zu „tauchen** (das Wort „taufen** leitet sich
ja von „tauchen ab). Eine spätere, dem alten Gebrauch abholde Zeit
hiit dies nrNvüchsige „Tauch"becken durch eine flache Schale von
getriebenem Kupfer (\$ m im Durchmesser) ersetzt, auf der in der Mitte
der SAndenfali in rohen Formen dargestellt ist; der Rand ist mit Blatt-
werk verziert, mit je zwei Hunden, Hirschen und Eichhörnern. Nur
eine lebhafte Phantasie kann vennut^^n, in welcher Beziehung das Jagd-
stück mit der Taufe gedacht ist Hirsch and £ichora iiessen sich wohl
Die alte Dotflcirehe von Enbadorf in der Oat-Prigniti.
47
allenfalls bibliscli -symbolisch deuten, aber der Iliind verstört alle
Gedunkenznsamnienhänge. Diese Taufschüssel liegt auf eioem liölzenien
Deckel, der das alte Becken verschliesst. Leider hat das unansehnlich
gewordene Aussehen des Sandsteins Veranlassiing gegeben, ihn zu über-
malen (gi*an mamioriert), sodass das eigentliche Material nicht mehr
zu erkennen ist
lieber dem Patronatestuhl, der heutzutage kein Wappen oder sonst
Bemerkenswertes iiielir zeigt, l)emerkt man in einer der Fensterscheiben
ein kleines Wappenfenster mit dem Jahtischeii Wappen. Unter diesem
Fenster führte vom Patronatsstuhl aus eine niedrige Thür in die ums
Jahr ITtKl errichtete Familiengruft der Quitzows, Das Gruftgebäude
ist vor 4() Jahren abgerissen und die Thür zugemauert. Die Särge sind
dem Erdboden übergeben, '21 an der Zahl. In die Füllung der Tliür
ist eine Sandsteinplatte eingelegt, die die Inschrift trägt: „Ruhestätte
der vou Quitzow aus Kuhsdorf und der von Beuhvitz aus Bullendorf".
Der Wortlaut ist nicht glücklich gewählt. Es sind dort begraben die
drei letzten Herrn von Quitzow, Achatz Albrecht f 1720, Franz Julius
f 1774 und August Heinrich f 1824, ihre Kinder, Frauen uud sonstige
Familiengeuosseu, ferner der Schwiegersohn des letzten, Rittmeister
von Beulwitz und seine Kinder. Nur mit tiefer Erschütterung kanu
man das schnelle Aussterben des blühenden Hauses verfolgen. Flieder-
gestrüi)p und Epheu wuchert jetzt über dieser Gruftstätte, und mühsam
nur dringt der Fuss zu der Stelle, wu die Letzten eines einst so stolzen
Geschlechts gebettet sind.
In der Kirche bietet sich nicht mehr viel Bemerkenswertes. Das
Gestühl ist vor 2U Jahren neu gestrichen, ebenso die für den grossen
Raum recht kleine Orgelempore. Die Emi)oreubrüstung tragt die
Spruche Matth. 5, 3: Selig sind, die geistlich arm sind, denn das
Himmelreich ist ihr; Matth. 5, 6: Selig sind, die da hungert und
dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden; Matth. 5, 8:
Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott sehaaen. —
Die Orgel ist im Jahre 1883 aufgestellt; das €^d ist damals darch
freiwillige Selbstbesteaemng des Patrons, der Gemeinde und des Pfarrers
aiiilKebracbt; 250 Haik waren das« verwendbar als Erlte ans einem alten,
ans katholischer Zeit stammenden Altarsohrein, der für das Mtueom
in Frankfurt a. M. angekauft war. Er enthielt im Mittelstflck die
Dnrstellnng Gottvaters, der den Sohn sendet, in den Seitenfeldem die
zwOlf Apostel, alles schon Iftckenhaft und wnrmstichig. Da die Kirche
nicht den Zweck hat, zur Rarit&tensammlnng zu dienen, so ist vom
kirchlichen Standpunkt die Berechtignng der Entftassemng durchaus
ansueriiennen.
Auf den Kirchenboden, der vom Turm aus nicht zugänglich
ist» führt eine an eine Bodenlake über der Orgelempore anzusetzende
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48
Fiwtor Kopp:
Leiter. Hier soll sich im letzten Jahrzehnt des dreissigjährigeu Kriet^es.
als alle übrii^en Einwohner getötet oder geflohen waren, ein alter Kuh-
hirt mit seinem Hunde aufgehalten haben. Nur des Nachts wagte er
es herabzusteigen, um in der ihn umgebenden Wildnis kärgliche
Nahrung zu suchen. Die Leiter zog er 2a sich b«rftu^. und w^r so vor
allen) Raubgesindel sicher.
W(»lil hatte die Kirche und der Turm mit ihren starken Mauern
der allgemeinen Verwüstung getrotzt, aber auch sie trug starke Spunn
jener Kriegsnöte an sich, die in jener aru^^igeu Zeit nacl^.dem Kxiegt
so leicht ni< ht zu tilgen waren.
Im Jaliie lüiSöj also fast .')() Jahre nach dem Friedeussihlus.s
schrieb der damalige Pfarrer Stargardt: (zur besseren Lesbarkeit ist
die Recht.s( hreibung geändert) „Und stehen uns des vorigen dreissig-
jährigen unseligen Kriegsruins und grausamen Verwüstung Fussstapfen
ietzt aqnoch allenthalben vor Augen, wodurch dieses Land und unser
Kuhsdorf nicht aliein etliche Jahre ganz, öde und wüst gestaodeu.
sondern auch diese Kirche und Gotteshaus neben dem Glockenturm
daher ganz schadhaft worden, wären auch allem Ansehen und Bt-
findung nach diese ansehnliche Gebäude wohl gar über Haufen gangeu.
wenn nicht aus sonderlichem gottseligem Eifer der Wohlgeborne Herr
Achatz All)recht von Quitzow, ruhmwürdiger Patronus hiesiger Kirchen
und Pfarren als auch zugleich Obrigkeit und Gerichtsherr alllüer zu
Kulisdorf und Bullendorf (nach Absterben seines wohlseligen lleiru
Vaters tit. Herrn Viktor von Qiiitzowsi samt seiner sehr gotter
fiirchtiuf'n , christlichen und hochtugendl»egabten Eheliebsten unii
Frauen, Frauen Ursulen Hedewig Wohlgebornen von Linstowou mit
ziemlicher und unersparter Anwendung ihrer eigenen Mittel zum Teil
dazu verehret und zum Teil aiw h vorgeschossen, weil die Kirche gar
arm gewesen, gute Hülfe und möglichste Beförderung gethan, dass die
Kirche und der Glockenturm möchten reparieret und in voUekommeijeD
Stand gebracht werden, wie bereit, Gott Lob, geschehen und es der
Augensrliein bezeuget .... Weil auch wohlerwähnter Hochznverehrender
Herr Patronus der von Q.uit/ow wegen der Po.sterität zum Andenken
vor gut und nötig angesehen, die Ki^ßten des Glockenturmes und der
Kirchen zu annotieren und zu verzeicbnen, Also hat maa sie folgttidcr-
ges^t spezifizieren wollen. ; . •
1. Der Glockenturm, denselben alldieweil er answfmdig no<I
inwendig von unten bis oben au<r ganz baufällig gewesen, ta ver-
fertigen, ganz neu zu decken, Bänder und Balken einzubringen, die
Mauer ausserhalb wieder instand zu bringen, mit Dielen, 8paho zu
reissen, Nägeln, Hlecli, Stange, Wetterfahne, Bändern, mit. den Zieg«l-
steioen, Kalk, Steinkohlen, Rinderblnt, eiserne Klammern, mit dem
Zimmer-, Schmiede-, Decker- und Maurerlotm and für ^ Bier, so bei
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Sie alte Dorfkiiohe «oa Kohidorf in der Ost^Prigiiits.
49
der Arbeit aasgetranken (ohue das Holz, so darzü angeschaffet und
▼erbrauchet, ohne die Speisekosten und Fuhren der Dielen, welche
man von der Schneidemühleu des Cburil. Amts zu Zechelia bei 5 Meilen
Wegs holen müssen^ auch ohne alle andern tägliche Handreichung, die
dabei geschehen, nicht gerechnet} An barem Gelde gekostet 212 Thl. 8 Gr.
2. Die Kirche zu reparieren und wieder in Stand zu bringen,
als ausserhalb das Dach, die Mauern des Giebels auf beiden Seiten des
Daches, wie anch inwendig der Boden, die Stühle, die Wände oder
trauern zu renovieren, die Fenster, etliche Fiiclier ganz nen und etliche
auszubessern, auch was hieneben antrifl't die Dachsteine und Mauer-
steine, der Kalk, die Bretter, das Glas, Zinn oder Blei, wie auch das
Maurer-, Glaser- und Tischerlohn und das Bier, so dabei ausgetrunken,
hat iiisnosamt ohne das Speisen und ohne andere dabei gethaue Hand-
reichung und Fuhren bar gekostet 27 Thl. 10 (tiv — "
Ehre den Männern, die damals in liarteni, unendlich niühseligeni
Hingen aus dem Brnndschutt der Zerstiuuiii; heraus eine neue Zeit
haben herbcifüliitMi helfen! Welch schwere Kulturarbeit hat da auch
die evangelische Geistlichkeit geleistet!
Für den, dor sich in jene Zeit hineinversetzt, lassen die alten
Kirchenbiiclier und ganz besonders auch die Kirchenreclmungsbücher
manch helles Sclilaglicht auf jene dunkle, äusserlich so trübselige Zeit
fallen, in iltM ujisim- Volk langsam, sehr langsam die furchtbaren
Folgen des grossen Krieges überwand. — Doch wir wollten nur die
Dorfkirche von Kuhsdorf schildern, uiciit die Geschichte der Kircheu-
gemeinde schreiben.
Wenn das alte Gemäuer reden könnte, wieviel könnte t*s nns
erzählen von vergangenen Zeiten! Sechs Jahrhunderte sind drüber hin-
gezogen, manch Geschleclit schlninmert unter dem Rasen des alten
Kirchhofs im Schatten des Gi^tteshaiises. Die Burgen der Ritter sind
längst verschwunden, ja von ihnen gilts hier: Ihn* Stätte kennet sie
nicht mehr; aber fest und stark wie vor Alteis steht <his ehrwüidige
Gotteshaus, heute bloss eine Stätte gemeiusanier Andacht, ein Zeuge
des Glaubens der Väter, einst aber auch ein Bollwerk im Kampf, Burg
und Hort in Kriegeszeiten, Zuflucht der Bedrängten, Trotz bietend den
Feinden: Die alte Wehridrehe von EahBdorf.
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oO
Oftri BoUet
W^andlungen des Waldes.
Von
Carl Bolle.
Als ein kostbares Erbteil, von unseren Altvordern hinterlassen,
ist ans der dentsohe Wald flberliefert worden, Sie hatten ihn aus den
landen der Allmntter Natur selbst empfangen und bewegten sieh in ihm
wie in einem für das Dasein nnumglinglich erforderlichen Elemente.
Dass er noch snr Stunde das Grfln seiner Lanbmassen in nnerschöpfter
Fülle Ober das Vaterland ausbreitet, darf als eine Segnving waltender
Mächte betrachtet werden, fOr die wir nicht dankbar genug sein können,
nmsomehr da sich nicht alle unsere Nachbarländer gleichen Vorzugs
erfreuen. Möge es daher allseitig als Aufgabe der Gegenwart aner-
kannt werden, was von Seiten deutschen Forstamtes in ebenso hoch-
intelligenter wie gewissenhafter Weise geschieht, ein Gut zn hftten, an
pflegen, ja sogar, wo möglich, zu vervollkommnen, welclies inmitten
einer aUem Ursprünglichen abgewandten Gesittung fast allein noch an
naturwüchsige Dinge erinnert und demgemäss in der Volksseele, wie In
dem Empfinden des Einzelnen nicht minder zarte wie mächtig vibrirende
Saiten anklingen lässt.
Denn der Wald war für Europa das Primitive. In der Urzeit hat
seine Unermesslichkeit, mit Ausnahme des höchsten Nordens und einiger
Haide- oder Steppengebiete, den Weltteil den wir bewohnen, allüberall
in seine Falten gehüllt, gleichviel ob eine wärmere oder kältere Zone
ihn mehr immergrün oder mehr laubabwerfend erschuf. Es ist un-
bekannt geblieben, weldie Bruchteile des Menschengeschlechts die
frühesten Lichtungen darin geschlagen, welche zuerst als Hirten oder
Ackerbaaer den Jägerstämmen, die ungern aus ihm hervortraten, sich
in Friede oder Feindschaft genähert haben. Vor dem Menschen mochte
der Bär Herrscher im Walde gewesen sein, nur langsam vor der Stein-
waffe Jenes zurückweichend. Noch der Pfahl bauor, dem Höhlenmenschen
bereits weit überlegen, flüchtete vor den wikicn Tieren in den Wasser-
dunst grosser Seen, du- von schwarzer Waldnacht umschlossen dalagen
und wohnlicher als die Landfeste erscheinen mochten.
Was wir Altertum nennen, das hatte hinter sich bereits ein
anderes Alterthum, ihm ungleichartig und schauriger, nach Annen
zählend, von keinem Lichtstrahl der Geschichte erhellt: die Nacht der
Zeiten; heut nennen sie's Priihistorie. Jenseit dei- Kelten und Pelasger
in Europa undurchdringliches Dunkel. Als der Urmensch aufhörte
MTandlimgeii des Waldes.
61
allem HdUtnbewohner su sein, worde Roden des Gehölzes gleich-
bedeatend mit aufkeimender Gesittung. Man fing an die Feldfirncht der
Ceres, die Rebe, den Ölbaum, nordwärts der Alpen das dOrftige Haferfeld
und die Wiese mebr als den Wald zu lieben, ja diesen mit ungünstigerem
Auge anzusehen, gut genug lllr den Faun und ffir den auf niederer
Stufe stehngebliebenen Wilden. Unter wärmerer Sonne, als sie jenseit
des Scheidegebirgs leuchtet, einsetzend, hat solche Gegnerschaft die das
Mittelmeer nmlagemden Länder zuerst an ihrer geselligen Baumvegetation
geschädigt. Noch heut kranken sie an den Folgen dessen was ur-
sprünglich sociale Notwendigkeit, ja ein Segen gewesen war. Wo auf
italischer Erde noch Virgils Hirt sttb tegmine fagi gesungen, ist die
stolze Bnche jetzt fast allerorten zum zweighaften Strauchwerk des
Niederwalds geworden, der Edelkastanie etwas tiefer abwärts, ihrer hahr-
haften Flrucht zu Liebe, allein noch den eichengleichen Höhewuchs
gönnend.
Neben deiii Wal<ll)raii(le, dürfte das Weidevieb, voran die Ziege,
sich dieser Waldfeindschaft als verderblicher Bundesgenosse am
wirkungsvoUsteii angeschlossen haben.
Wie anders. Gottlob, unser deutscher Wald. Über ihm haben
günstigere Sterne gelenchtet. Immer noch Steht er siegreich da als
Schmnck und Reichtum des Vaterlandes, prangend in nicht allzustark
angetasteter Ausdehnung. Nicht Bei'ge, nein, dem lateinischen Worte
saihis entsprechend, Wald nennt sicli in Böhmen, in Thüringen, am
Oberrhein das Mittelgebirge Unser Volk liat niemals aufgeliört, sich
mit nnzerreissbaren Fäden an seine Waldungen geknüpft zu fühlen.
Kaum weniger Lioho wird diesen schattenspendendeii Wölbungen
f^esrlienkt wie in der \ orzcit wo das Märclien sie sich zum Sitz erkor,
das weise Weib zauber- oder heilkräftiir*' Kräut»'r darin sammelte, (Um*
Klausner Wiu-zelu grub, vielleicht durch Buscli und lianken liinabs[>ähend
auf die unheimliche Wolfj^sclducht, in der unter satanischen Aurufungeir
der Freischütz seine nie tVlilenden Kngehi goss.
Der Lauf der Zeit allerdings änderte viel und hat dies \<m jeher
unvermerkt gethan. Unter dem Schein unwandelbarer kobinischei- Kuhe
die stille Minirarbeit durch die Naturkriifte gf^förderten ewit-en Wechsels,
Vet^etatinn mit Vegetation vertauschend ancli im Bann des Baumgewogs
urwiiclisigster Landesweiten. Ein auf ewigen Oesetzen beruhendei- Um-
sciiwung des Baumbeslandes vollzielit sich in s( hw eigender Periodicilät,
darauf hinzielend dem durch zu lange Gleiehmassigkeit der Begrünung
prschö]»tten Waldboden neue Säfte wieder zuzuführen, indem er die ver-
schiedenen Baumarten, deren Zahl in Deutschland nichl allzugr^ss ist,
.sich gegenseitig in priistabilirter Harmonie ablösen lasst, wobei freilich
sehr lauge Zeiträume in Betracht k(»nnnen. lYw Edeltanne mit der Buche,
die Kiefer mit Bii'ke und Espe, in bestimmtem ivieiäluuf gleichsam
4»
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52
Call BoUe:
rhytlmiisch aliwecliselnd: der hiiiglebigen Eiche, im Auenwald oder auf
HöhelxKlen, bald die Hainbuche, die Eberesche, der Faulbaum, bald an
bevoi'zugtercr Stelle, die uia-^si^eren Gestalten \ <m Esche, Küster oder die
der sn scliöneu Ahorne sich beimischend; also stetes, wenn aucli
fjoräuschioscs Rinken um den Besitz des Erdreichs, das sich unter den
lloclistäinnien im Hcicli der Ki-.nitcr, Gräser und Farrn noch gelu'imniss-
voller wiedeilioit. Hicj lH'i mochte t)t'i ungestörter Ursprünglichkeit fnilier
unter seltneiem Vorwalten reiner Besfiiiide doininirender MischwaUI
Vieles versrhleieru und die l'flauzeu gröbsere Verträglichkeit unter-
einander lehren.
Man weiss dass gro»e Liinder, zum IVil noch in gescliichrliclier
Epoche, ein von dem iref^eiiwärti<4en verschiedenes Waldbild dars>:eboteii
haben. Als Julius Casar in Britannien landete, vermisste er daselbst
die ihm vertraute jetzt an jenen Kii>ten so häutige Buche. Hiitte er
seine Erobennmen bis Dänemark ausgedehnt, so würde das gleiche
negative Phänomen sich seinem S<"hart'blick nichl entzogen haben; er
hätte vielleicht die jetzt buchenreichen Inseln, innui')i>'o i}isnJurniii <jiiitiii.
wie Tacitus si( h ausdruckte, allein mit Kiefernwald bewachse?i gefunden,
währeiul jetzt daselbst Stämme dieses Nadelholzes nur noch subfossil
im Moor l>egraben liegen.
Mehr Coniferenwuchs scheint auch in Deutschland, wie er ihm
später künstlich erzeugt gefolgt ist, alleiDigem Laubliolze voraug^aogen
m sein; wenigstens lassen alte Schriften die Ereignisse sicti am liebsten
im dnnkeln Tann abspielen; kber im GegensaUe dasu sch&tscte nnd
hfiteto das Mittelalter vorzagsweis Eiche und Bache. Diese Beiden als die
stämmigsten and nutzbringendsten, dabei anch reiche Mast för das anter
ihnen weidende Borstenvieh spendend, galten allein als Uartliolz,
während die fibrigen Bäame, unter den Begrift* des Weichholzes fallend,
in <>;eringerer Achtung standen.
Wahrlich, eine Welt an I^oesie, diese alte, giflne Waldlien'lichkeit,
wie sie, ans nahe, zuletst noch u. a. der wendisch gebliebene Spree-
wald innerhalb Menschengedenkens bewahrt hatte; je nach Ort und
Zeit bevölkert vom Waldschrat oder der Dziwisa, vom Köhler, vom
Jäger nnd der Beerensammlerin, der liebste Tummelplatz der Phantasie
unserer Vorfaiiren zu denen die Thiere darin nocli mit Menschenstimmen
zu reden schienen; anch religiös geweiht durch die Kolosse ungeheurer
Eichen, dem Wodan oder Perkuu heilig, nicht alle vom Beil de,«<
Christenapostels gefällt. Ein Marienbild in hohler Lärche wunderbar
erschienen oder ein ebensolches der Nische einer tausendjährigen Linde
einverleibt, was waren sie wohl anderes als wechselnde S\ iti hole, imter deren
Deckmantel der primitiv arische Baundvultus sich der Menge nnbewusst
verbarg, ja in der That unausrottbar T-rtleMe? Hier war die Ileinuit
des in Kudeln schweifenden Hochwildes, hier leitete sdiätzend der
Wwdlmigeii des WaldM.
63
gewaltige Eber die Schaar Rostroifter Frischlinge, Iiier sprang der Aflfe
dm Nonls, das schelmische Eiclihörnchen, von Ast zu Ast, oline es
nötig zu haben zwischen Rliein und Weser den Erdboden zu In rühren.
Vogelstiminenlant, Bpechtdurchhäinmert, bienenum summt, und dann
wieder durchtränkt von jenem nnaussprechliclien Schweigen in dem
der gi'osse Pan schliift, schwellend von >[oos|t(tlstern und biirtiii: durch
Flechtenbehang, so lässt tinsere Eiubilduugskraft das Feenbild wieder
erstehen, v<>r welchem alle Wunder der Civilisation erblassen. lyoichtcr
nachzufühlen als zu beschrcil)en sind jene Sjjiegelbilder von Waldlust
und W^aldeinsamkcit, in denen Reminiscenzen der Verganp:enheit und
Genuss der Gegenwart sich traundiat't vermischen. Die Seele licii^t
sich anbetend vor ei!u»r Allgewalt der Natur, die unser »pät^j^rliorc ncs
Auge nicht mehr schauen kann, nur n<»cli ahnungsvoll und schiiclitcni in
Stunden des Glücks wieder hcraufzuhc^cliwören wagt. Hv'i solclicn
Scenen zu vci weilcn, crsclieint fast siunbetliörend. Ol» Viele tViliii; >iinl
sie durcli/.iikosten? Ks ist wiedci'uni der Wald, der durch die Ötiuime
sciuer waiiren Freunde darauf Antwoit liflicn wird.
Wir wunden uns von solchen Pliauiasinagorieu, ülier die uuMir als
<'incr den Kopf sciiuttclu wird, ciui'r innnci* noi h st luuii-n und an-
heimelnden Wirklichkeit zu. Weit ist zwar der Wei; \i»n Dichteiii wie
KicheiidorlV und Leiuiu zu praktischen Forst tu. i uuei-n, eiuüui l]urj;^<l<u r,
Pfeil oder Danckelmann. die, von jeder ('heilst liwaugiichkeit frei, lehren
wie der /.uui Forst ningewatnlelte Wald der Neuzeit zum Wohl der
Menschheit und des Staats zu l»eliandeln und zu verwalten sei. liier
herrscht positive Thatkraft m-lirn \ erstaiides^euüissein Wissen vor; hiei*
erkennt man im Wald einen wichtigen Faktor dei- Natio!ialökon(unie,
als seine Hau[>tautjnal>e die Föi-derung der im kälteren Klima doppelt
wichtigen 1 li»lzpro(|iiktioii. Es bieten sich dieser Anschauung i^eniiiss
in allerdings hmgeien Zeitabschnitten die bewundernswerlesten Stamnu»
dem Abhielt dar: die Axt tiitt erntebeieit an die Stelle von Sense und
Sichid. Der Wald hat nun anderen Zwecken zu dieiieu als denen,
welche dem ästhetischen Geschmack entsprechen. .Deshalb kann er
nicht immer schön sein. Anfang wie Ende seiner Insassen, der Bäume,
lassen oft unliebsame Züge erkennen.
Aus dem Tninm des Ideals er\^'achend, unigiebt den Ernttchterten,
der sich gegenwärtig im Forste umschaut, gar oft ein - ganz anderes
Medium als das von ihm Gewollte. Noch der Plftnterbetricb wörd«»
ootdörftig zufrieden stellen, aber statt seiner dehnen sich weite Kahl-
schlage abwechselnd mit Schonungen und grauem Stangenholz, dessen
Reizlosigkeit es kaum als den missgestalteten Jugendzustand der im
Alter so schönen, rotrindigen Kienfichte erkennen lässt Wildzäune,
Drahtgitter, Telegraphenstangen, verl>otene Stege. Man ist froh, noch
einen Weg vor sich zu sehen, den zn betreten erlaubt ist, wenn man
54
CftrlBoUe:
sich des Abweichons nach rpchts oder links hin enthält. Aber hüten
soll man sich, etwa im Grase des Ghausseegrabens lagernd, früh*
stäcken zu wollen. Der Gendann könnte kommea.
So wird der lebhaft empfandeue antike Horror sylvarnm zur heil-
samen Funlit vor Polizeiverordnungen. Wenn man darüber nachdenkt:
Genofeva dürfte es nicht mehr wagen im Tann des Wasgau oder der
Ardennen sich heimlich sesshaft zu machen; noch schlimmer würde es ihr
ergehen, wenn sie die Jangfem- oder die Wuhlhaide zum Zufluchtsort
gewählt hätte. Aufgeschrieben und wegen Vagabondagc und Obdachlosig-
keit verantwortlieh gemachte AncliKlein-Däuinliog möchte ich nicht raten«
Erbsen auf den Waldweg zu streuen, was ihm als grober Unfug aus-
gelegt werden könnte. Für den Bruder Niklas von der Flüe konnte
sein Entweichen unter den Schirm eines grossen LärchenlMiiiins der
Alpen noch als ehrenhaftes OI>daeh gegolten haben; unseren modernen
i^Naturmenschen'' ist der gleiche Vorzug nicht mehr gegönnt Dafür
durchzieht den Wald jetzt trupp weis der Radfahrer, die sonst einsamsten
Orte heimsuchend und mit Fettpapieren bestreuend: ein unvermeidliches '
modernes Kultiubild» vor welchem der uns vertrautere Reiter za Ter-
sehwinden droht.
So sieht es jetzt in dem riitionull )iewii*tsohafteteD, zum Forst um-
gestalteten Walde aus, wo jeder Fusßbreil vermessen, jedes Jagen ab-
gezirkelt, die schönsten Waldwege verboten sind und kaum ein Baum
sich mehr von selbst auszusäen wagt, weni^fstcns in der Nähe der
Grosstadt nicht. £s ist dies eben dei Wald im Lichte aufgeklärtester
Oivilisation. Der wandernde Mensch wird ungern darin gesehen und
rangirt glficli neben dem scliiullif heu Forstinsekt. Zwischen um-
friedetem Park und Wald wird, abgesehen von räumlichen Verhältnissen,
bald wenig Unterschied mehr sein, vorzüglich wo sich das Gehölz die
Üppigkeit seines, von einem Kest an Strauchwerk noch durchsetsten
Baumwiichses bewahrt hat. Schon ist nicht gerade zum Schaden der
Begriff des Schmuckwaldes, welchem Letzteren es natürlich an Unter*
holz und Blumen nicht fehlen darf, erfunden und aufgestellt worden.
Wo Busch war, ist sicher eine Fasanerie angelegt worden. Trots aUe-
dem wird N\ei sucht überall Partien finden, halbvergessne heimliche
Winkel, die dem Natursinn entsprechen und selbst noch eine bescheidene
Illusion der Wildnis in anspruchlosen Gemütern wachzurufen ver-
mögen. Zu derb grau in grau zu malen, darf daher nicht ffir alle
Orte passen und selbst fär diejenigen, die gemeint sind, nicht allzu
ernst genommen werden.
Wer denkt, ausser gelegentlicher antiquaiischer Gelehraamkeit
der socialistischer Nörgelei, noch daran, dass unendlich viel Wald einst
Eigentum freier bäuerlicher Markgenossenschaften gewesen ist und sein
Holz, seinen Honig und Wachs, seine Beeren und Pilze, seinen Vogel-
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Waadlosgtn das Waldei.
55
fang, ja sogar seiiio Jagdbeute nicht dem Einzelnen, sondern der
Gf'meinde zu gute kommen liess. Di«» Baueriiliaide. iiUordings langst
separiert, Idciht ein schwaclior Abglanz sidcher früher arkiulisclier Zu-
stände. Auch den Zeidler, der den Honig der \Yildbienen auszunutzen
veratand, kennt wenigstens der märkische Wald nicht mehr. Sein Bast
war die den ersten Fridiling rosenrot anlächelude Daphoe, der davou
noch heut der Name Seidelbast gehlieben ist.
Zur Zeit gidiört bei uns aller Wald fast ausschliesslich dem Staat
oder Latifundienherreu, in deren Händen er auch am Besten aufgehoben
sein därfte. Nor einzelne Städte sind nebenbei noch im Besitz mehr
oder weniger grosser Forsten geblieben.
Han liest in Waldsachen aus Grimms klassischen Rechtsaltertflmem
manche, nach des Autors Urteil „nnveijährbare Bitterkeit* heraus. Als
Correctiv dazu mag dienen, dass es ohne straff geregelte forstliche
Organisation wahrscheinlich überhaupt kaum noch Wald hier zu Laude
geben wurde. Unter dem Einfluss entgegengesetzter Prinzipien hat sich
seine Vernichtung anderwärts in weniger als einem Jahrhundert schon
grossenteils vollzogen. So annäherungsweise in den dstlichen Staaten
Nordamerikas.
Ausserhalb unserer Grenzen macht steh in Europa bei gesteigerter
Zerstdcklnng des Grundbesitzes eine starke Tendenz bemerkbar, den
Wald zum Garten umzuwandeln. Der Baumwuchs wQrde wohl etwas,
doch nicht allzuviel dabei verlleren. Die Olivenhaine Italiens sind eine alte
Eta^ipe auf diesem Wege. Der Umkreis unserer grossen Städte bewsgt
sich in kleinerem Maasse hie und da in analoger Richtung. Ein Schritt
ihr entgegen ist die Kolonie Grunewald, der sich die Parzellirungen
in Schönholz wie in der Heiligenseer Bauemhaide, mit Übergehung
anderer Ausschlachtungen zu Vülenterrains, nur diese wenigen Beispiele
anzuführen, zugesellen; vleUeicht sänmitlich nur Vorläufer des grossartigen
Projekts dem Gesammtareal des Grunewalds, dieses unvergleichlich
schön gel^nen Reviers, eine veränderte Bestimmung zu geben, sei es
als kunstlos sich selbst überlassener Urwald, sei es als weit ausgedehnter
Volkspark, dem Tiergarten der Berliner, diesen aber an Grösse unendlich
überflügelnd, zur Seite gestellt Das wird dann wieder ein anderer Wald
sein, der Wald des Frohsinns und allgemeinen Menschengldcks, wider-
hallend von Liedern und Klängen einer im Freien sich tummelnden
Menge, gewiss eine der schönsten Bestimmungen des Forstes. Da
werden junge Pärchen, vom Spiele abwärts, still hei Seite schleichen,
Knaben nach Nestern. Schnietterliii^en und Eidechsen ausspähen und
Mütter, leis erschreckend, ihre kleinen Mädchen, naeli l'ontanes reizenden
Worten, wie die Sehueehühner hinein und wie die i'ei'lhfihner, bespritzt
von Besingsaft, wieder herauskommen sehen.
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OmABoU«!
Dpi' märkische Wald, uns hier vorzugsweis beschäftigend, hat,
wenn auch in geringer Zahl, Bauniarten verschwinden oder sich ver-
ringern sehen, die ihm sonst eigeii waren, so den Taxus, die Elsbe«»i'o
und daneben die noch v»in Willdenow als heiniiscli gekannten IT«»( h-
sträucher der Pinipernuss (Staphylea pinuata) und des breitldättrigreu
PfatVenhuts (Evoii\iniis latitVtliaj. Wir behalten uns vor darzutliun,
welche reichliche Entschädigung für solchen Verlust durch ihm zugeführt«
Fremdlinge seinei- wartet. Auch der Wildbestaiid hat sich verändert,
indem al»oeseheu von den Verschollenen grauer Urzeit, Aueroclis nn<i
Elch, der Damhirsch mehrfach au die Stelle des aborigeuen Rotwilds
getreten ist und die Wildkatze und der Nörz, letzterer an das Wasser
gebunden, nur noch in sehr geringer Zahl v«»rlianden sind. Da.s Ver-
schwinilcn der grossen Raubtiere Bär, Wolf und Luchs, wird eher als
Cllück empfunden werden, so aucli das Einfriedigen der dem Ackerbau
zu grosse Gefahr bringenden Wildschweine.
Mehr Anlass zum Bedauern giebt das Fehlen oder dotdi die fort-
schreitende Verminderung e<ller Vogi larien. So verlassen un> mehr oder
weniger Stein- und Schlangenadler, Uhu, Nachueiher, Auerhahn, Grau-
gaus. Stark im Rückgange begrifleu >ind: schwarzer Storeh, Baumentc,
Kolkrabe, Schwarzspecht, Hohltaube und, was am meisten zu bekliigeii,
die vor nicht allzulange noch bei Berlin häufige schimmernde Blaurake,
neben dem Eisvogel das Juwel unserer Ornithologie. Unableugbar
bleibt die Veminderang vieler kleiner Waldvögel, die sich ungeachtet
aller Fangverbote und Schatzvorrichtungen in bedenklich fortBohreitendem
Maasse vollzieht. Hierher gebdrt auch als ein landschaftlicher Röck*
schritt die allerdings vom Standpunkt der Nfitzlichkeit aus gebotene
Ablösung der Weidegerechtigkeiten, welche die grasenden Heerden
zahmen Viehs, diese reisvolle Staffag«^ von Wald und See, mit ihrem
Schellengeläut aus den Forsten verwiesen hat.
Mag es in England, wo der natürliche Wald sich in die meilen-
weiten Parks der Grossen gerettet hat, mehr alte und schdne Eincel-
bänme geben, mögen Schweden und Russland ausgedehntere Waldbesirke
aufzuweisen haben, unser deutscher Wald wird immer, soweit Europa
in Betracht kommt, den ersten Rang behaupten und seine Hüter, unser
ehrenwertes Forstpersonal, kann demgemäss all seinen BernfiBgsnossen
in der Fremde zum Muster dienen. Die märkischen Reviere mögen
unter anderem stolz auf ihr altes Privilegium sein hinter denen keines
anderen Landes zurückzustehen. Ihr ausgedehnter Umfang geht» jetzt
wie früher, in fast unermessene Weiten. Wer, um nur ein Beispiel an-
zuführen, von den Sandhöhen, die wir Berge nennen, von den Kranicfas-
bergen bei Woltersdorf etwa, den Blick über wogende Wipfel des
Waldmeers uoentwegt bis zu fernen Horizonten schweifen lässt, wird
mir gern beistimmen. So die Baruther Forsten ehe die Glashütten all
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Wandhuitait det WaldM.
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das hohe Holz frasseu. Man glaubt bisweilen das Rad der Zeit rück-
wärts rollen zu hören und kann sich einbilden mit Kohlhaas, dem leizUm
iinsrer Räuber giossen Styls, durch die Spreehaiden zu reiten. Ein
Forstmann von Profesisinn würde über so geringe Exemplifikationen
lächeln, die hier angeführt werden, weil sie uns durch per^^önliche
Erinnernngen wert sind. Den viel schöneren Buchenwäldern von Ebers-
walde, Chorin, Oderberg nnd Mentz weihen wir gleichfalls ein sym-
pathisches (Jedenkeii, Zechliii nicht zu vergessen. Glänzendere Be-
waldung glciclior Art besitzen selbst Seehmd und Fünen nicht, deren
Küf als Euchen ersten Ranges erzeugend, doch weltknndig ist. Wer
vermutet wuhl ihnen Ebenbüitiges in der beim Bildungsphilister als
steril vei^clirieenen sandigen M;irk llrandeuluirg? Alle Riesengestalten
noch stehender uralter Eichen, alle pluniomenale Linden in Dorf, Stadt
nnd Wald voUstiindig aufzuzählen, wh*d selbst das in Vorbereitung be-
griflne Merkbuch Mühe haben.
Zu beklagen bleibt, dass mehr und mehr auf unseren Fluren jene
Peldhülzer Schwinden, die den Wald im Kleinen darstellten und ihn
iiiuiiiten dei' Ackerwüste verallgegenwiirtigteii : daneben jene rpställe,
die Heimstätte grosser Weissdorne, unter weh^hen Hirt und Heerde
Scluitz und Stliatten fanden. Sie haben nun meist, mit Ilütungen und
Kojipeln zugleich, aufgehört zu sein. Leider, nmss man sagen, von der
<d"t als speciell germanisch gerühmten V<>rliel»e di's Bauei n für den Hauni
ist aul unseren nächsten ländlichen N'achb;nii wenig genug gekumrnen.
Wie würde er sonst nicht jene wilden Birnbauuu^ mitleidlos gefällt
haben, die der Stolz der Feldmark seiner Väter gewu'sen waren?
Legende mag zu allen Zeiten diese dem Nationalbownsstsein schmeichelnde,
angebliche Bauinfreuudlicbkeit des Landmanns gewesen sein, nur dasK
sie jetat in noch krasserer Form anftritt als früher.
Die vorstehende Betrachtung des Waldes und seiner Wandliiugen
hat viel Herrlichee das nicht mehr ist, im Gedächtnis aufzufrischen ver-
sacht, auch viel hinter dem kaum Zurflckstehendes in der Gegenwart
anerkennend gezeigt. Von der Pracht verflossener Urzustände hat sie
vielleicht mit besserem Willen als Geschick wenigstens eine Ahnung
geben wollen. Es haben sich auch Dissonanzen zwischen tieferer Natur-
anschanung und faktisch Bestehendem enthüllt, die niemand verletzen,
noch weniger die Hingabe an den Wald trüben sollen. Vom matenelliBn
Nutzen nnd dementsprechend von kalknlatorisch-bfireaukratischer Be-
rechnung in Forstsachen zu handeln, bleibe selbstverständlich Kom-
petenteren überlassen. Nicht der Grünrock, nur der banmfreundliche
und selbst mit Vorliebe baumpflanzende und baumpflegende Dilettant hat,
das grüne Reis gern am Hute, die Liebe zum Wald warm im Herzen,
auf diesen vaterÜtndischen Blättern einmal zu Worte kommen wollen.
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Georg Schuster:
Markgräliü Margarete von Brandenburg.
Von
Q«org Schuster.
Markgrafin Margai'ete, geboren i. J. 1511, war die jaogste Tochter
des Kurfürsten Joachim I. von Brandenborg und seiner Gemahlin
Elizabeth, der durch ihre Stellung zur Reformation bekannten dänischen
Prinzessin, der Freundin und Verehrerin Alartin Luthers.
Margaretes älteste Schwester Anna, 1507 geboren, vermählte sich
im Januar 1524 mit dem Herzog Albrecht dem Schönen von Mecklen-
burg-Schwenn und starb i. J. 1567. — Die nächstälteste Elisabeth wurde in
einem Alter von l4'/s Jahren mit dem 55 jährigen Heizog Erich von Braun-
schweig-Llinebnig vermählt. Erich starb im Juli 154<), und 6 Jahre
später heiratete die 30 jährige Wittwe den um 8 Jahre jüngeren Grafen
Bopiio XVIII. von Henneberg-Scbleusingen. Aber schon im Jahre 1558
schloss (Uo hochbegabte und weit über das Durchschnittsiniiss ihrer
fürstlichen Standesgenossiunen hinaus gebildete Griilin Elisabeth die
Augen zum i*\vigeii Schhiramer. Sii' ist die erst« SchriftstelltM'in aus
{b'iii braiidenburgischeii Hause. Im Jahre 154Ö schricl» sie zu Guusten
ihres Sohnes erster Kho, des jungen Uerai^ Ei'ich 11., in einer umfang-
reichen Abhandlung „Kegienuii^s-Regeln" nicdn . Die kostbare Hand-
schrift, ein stattlicher Quartbaud, wii-d iiocli heute in Königsberg auf-
bewahrt und beansprnclit ihres kulturhistorisch interessanten Inhalts
wegen einen bleibenden Wert.
Ausser diesen Schwestern sah Margarete noch zwei Brüder, Joacliiin
und Johann, an ihrer Seite.
Eine frühzeitige Versorgung heiratstaliiger Töchter war zu allen
Zeiten das natürliclie Streben fürsorglieiier Eitern. So wurde denn aucli
unsere Margarete, über deren Jugend und Erzielning sonst nichts bekannt
ist, kaum lU Jahre ult, im Januar 15<jO auf dem kurfürstlichen Sclilo.s.se
zu Köln au der Spree mit dem Herzog Georg von Ponnnern-Wolgast
vei niiihlt. Die Ehe wurde schon nach Verlauf eines Jahres durch den
Tod ili'^ Herzogs irelöst. \l>or uiclit «^ar lange dauerte ilw Witwen-
staiul der Fürstin. Bereits uacii Jahres frist warb der Fürst Johann IT.
von Anhalt-Zerbst um ihre Hand. Sie wurde im Jahre 1534 seine Gemahlin,
Margarete brachte ihrem riemahl ein Heii-atsgut von ^000 Guldeu
in die Ehe; dieser verschriel» ihr als jährli<'hes Zins- und Renten-
einkommen]^[die sänUliciien Einkünfte von 12 Dörfern im Betrage von
4UÜÜ Gulden, sicherte ihr, im Falle sie Witwe werde, das Schloss
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JUlkgiilltt Mavgartto ton Bnuidenimig.
69
Rosslau als Witwensitz zu, ein Vermächtuis, das unter ZustimiDung
der Agnaten, des Domprobstes Georg und des Fürsten Johann von
Dessau, feierlich verbrieft, der Fürstin auf liobenszeit ^unversetst,
unverkümmert und vor aller Ansprache sicher" verbleiben sollte. Ebenso
sollten ihr, wie es in der Wittunisurkunde heisst, »das eingebrachte
Silbergeiüt, die Kleinodien, Schmuck und alles, was zu ihrem fürst-
lichen Stande gehöre, frei nnd nngehindert bleiben". Damit schien diu
Zukunft der Fürstin völlig gesichert m. sein. Und doch gestaltete sich
ihr Leben wider Erwarten zvl einem überaus traurigen. Es war ihr
Los, unter den wenigen Damen fürstlichen Standes, die vor nnd nach
ihr ein ähnliches schweres Geschick duldend getragen und handelnd
bestritten, die erste Stelle einzunehmen.
Schon im Jahre 1535 verbreitete sich bei den fürstlichen Ver-
wandten die dunkle Kunde, dass die Schwester mit ihrem ( iemahl in
Unfrieden lebe. Das Gerficht erhielt bald greifbarere Gestalt. Als
Herzog Albrecht von Prenssen bei Gelegenheit einer von ihm im
Frühjahr 1587 nach Deutschland unternommenen Reise auch dius
anhaltinische Gebiet passierm wollte, wurde ihm das erbetene Geleit
versagt. Was der Gemahl und die Schwüger verweigerten, suchte
Margarete aus eigener Machtvollkommenheit su gewähren, indem sie
den Vetter dringend zum Besuche nach Dessau in ihre »arme Behausung**
einlud. Der Herzog kam zwar aus begreiflichen Gründen der Auf-
fordemng nicht nach, bat sie aber seinerseits zu Gevatter. Margarete
beeilte sich, ihre Freude über die ihr zugedachte Ehre auszusprechen,
gleichzeitig aber der Befürchtung Ausdruck zu geben, dass der Gemahl,
der sie nicht einmal zu ihren Brüdern ziehen lasse, die Erlaubnis zu
einer Reise in das ferne Grenzland verweigern werde. In bewegten
Worten gedachte die Vereinsamte ihrer unglücklichen ehelichen Ver-
hältnisse, des „Kreuzes, das ihr von Gott auferlegt**, und ersuchte den
Herzog um etwas Bernstein, Einhorn, „rechtschaffene Elendsklauen*
und eine „rechte Otterzunge* — in damaliger Zdt beliebte Universal-
heilmittel — ; „denn ich fürchte*, so schloss sie den wortreichen Klage-
brief, „ich habe von bösen Leuten einen schlimmen Trank bekommen*.
Diesem Umstand schrieb sie auch eine Krankheit zu, an der sie vor der
Geburt ihres zweiten Sohnes Joachim Emst, des Stammvaters der
heutigen Fürsten von Anhalt, zvfanzig Wochen damiedeigelegsn hatte.
Auf des Herzogs Bitte, ihm über die zwischen ihr nnd dem
Gemahl bestehende Spannung nähere Blitteilang zu machen, bestätigte
die Fürstin zwar die Thatsache der über sie im Umlauf befindlichen
üblen Nachrede, bestritt aber deren Wahrheit Es gebe leider hose
Menschen genug in der Welt, unter deren unnützen Reden ein armes
Weib oft unschuldig zu leiden habe. „Man spricht*, sc» Ahrt sie fort,
„in Nöthen soll man erkennen, wer Freund nnd Feind ist; ich bin^s
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wohl inno gewnrflcn, nlu r Gott wird mir nocli weiter helfen! Ich bm
gtjtllob des elirlicheii (lerkoinmens, dass ich niemals etwas anderes in
iiieineu Sinn nehme und anders handeln w&rde, als ich vor Gott und
aller "Welt za ehren will bekannt seyn".
Der Grflnde zu <l»'r in diesen Zeilen sirli kiindthuenden Miss-
stimmung gab es viele. Es scheint, als ob Margarete sich in ihrem
neuen Wirkungskreise nicht habe zürecht finden können. Hierzu kam,
diiss der frühzeitig von dauerndem Siechtum befallene, willensschwaclie
Gemahl ein gefügiges Werkzeug in der Hand einer allmächtigen Hof-
kamarilla war. Die der Fürstin feierlich verbrieften Einkünfte wurden
ihr entweder gänzlich vorenthalten oder ihr nur in unzureichendere
Masse gewährt. Zu der Zeit, da sie mit dem herzoglichen Vetter in
Vei'bindnug trat, empfand sie es besonders drückend, ein ilur von ihrer
Scliwügerin, der Kurfürstin Hedwig von Brandenburg, vor Jahren vor«
geschossenes Darlehen von <HJ() Gulden nicht zurückzahlen zu können.
(Iii sie „nichts Eigenes habe**. Nur die Aussicht, diese Summe von den
Einkünften des ihr in kurzem zü überweisenden „Leibgedinge*' Rosslau
allmählich ersparen zu können, gewahrte ihr einigen Trost.
Es ist hier nicht der Ort, den Ränken und Tücken der Kamarilla
im einzelnen nachzugehen und den dunklen Pfaden zu folgen, auf denen
die Lemui'en eifrig am Werke waren, der Fürstin ein frühes Grab zu
bereiten. Der Hinweis dürfte vielleicht genfigen, dass beide Parteien
iu fast zehnjährigem Kampfe ihre Kräfte massen, bis der Widerstand
der kühneu Frau völlig gebrochen war.
Im Jahre 1547 brachen die Stürme des schmalkaldischen Krieges
verheerend über das protestantische Sachsen herein. Auch das Fürsten-
tum Anhalt wurde, obwohl der Hei*zog Johann, Margaretes Gemahl,
infolge körperlicher Schwäche an den Kriegsereignissen keinen tbätigen
Anteil genommen hatte, von den kaiserlichen Völkern schwer heim-
gesucht. Johannes Bruder Wolfgang, der auf der Seite der scbinal-^
kaldischen Verbündeten gestanden und in der Schlacht bei Mnhlberg
mitgefochten hatte, verfiel der Reichsacht, verlor Land und Leute und
irrte jahrelang in mancherlei Verkleidungen als heimatloser Flüchtling
in den Schluchten des Harzes umher, bis endlich der gutmütige Hensofg
Albrecht sich des Bedrängten annahm und ihn an seinen Hof rief
Erst durch den Passauer Vertrag (1552) erhielt Wolfgang sein Land
zurück. T>iese Zustände in den verarmten anhaltischen Ländern und
die damit verbundene weitere Schmälernng der ihr rechtlich zustellenden
Apanage war der Ausgangspunkt jener Kette schwerer Leiden, die nun
über die Fürstin hereinbrachen.
Ihr Hofstaat war bis auf zwei Mägde niederen Standes entlassen.
Die eigenen Kinder, die der unglücklichen Mutter bis dahin Trost und
Hoffnung gewahrt, waren ihr genommen. Der Gemahl siechte jammer-
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Markgrttfia Mugarate von Bnmdenborg.
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voll dahin. Ilm zu besuclieu oder gar zu püegeu, war der Gattiu
Von hein N'erkelir mit der Aiisseiiwclt al»<,H'>< liiiUten — die
KorresiHiüdi'iiz mit den (Ifscliwistci n li:itto sie liiiiust eiiistelien inüsstMi —
auf Schritt und Tritt, Ta^j; und Niiclit hewaclil luid l^tdaucrt, wiirdt»
der aniu'ii Frau das lieben zur Qual. Der eiir/iire Mensch, der in
dieser Not treu zu Margarete hielt, war ilir neseiiicUter Leibarzt
Christoph Böhmer, ein Mann von tuiUdlosem Kufe und unbestechli<-her
Kediiciikeit, derselbe, dessen Kunst sie ilire Kettung aus schwerer
Todesnot zusciiriel»,
Ihi bt^aiin die iiitrigue mit erneuter Kiaft ihr \erhiingnü^N olles
Sijiel. l{;inUesii(hti£je (^e«f']nrhtenträ*?er und klal>(li>ii(lifige (Jeliarden-
>|taluM liiiitcrlnachten dt'm Müden (irnuild dii- aufregende Kunde,
Margarete habe ihre Neigung dem Leil»ar/t Ijüinner zugewandt, habe
ihm einen Teil ihres Sill»ergeriites zum Einschmelzen überliefert und
ihm auch ihre Kleinodien ausgehändigt. Noch schlimmero l>inge w urden
der unglücklichen Fran nachgesagt, und die geschäftige Fanui war
eifrig bemäht, ihre Handlungen mit dem verfülu*erischeu Reize der
Romantik xa schmficken. XossBve Anseiehen schienen fBr die Selinld
der f&rstUchen Fi*aa zu sprechen. Sie wurde daher in Verhaft genommen.
Auch Böhmer entging seinem Schicksale nicht. Während er, einst der
gefeierte Höfling und Vertraute des Hofes, in einem finsteren Gefäng-
nisse Gelegenheit hatte, tiber die Wandelbarkeit der menschlichen ]>inge
nachzusinnen, harrte die FOrstin in einem Turmgemach des AusgangK
der angestellten umständlichen Untersuchung.
Bei dem Mangel wahrheitsgetreuer und unparteiischer Nachrichten
Ober den Gang und das Uesultat derselben ist es unmöglich, sich ein
einigermassen sicheres Bild von den Ereignissen zu maclicn. Wohl
mögen einzelne Unbesonnenheiten dem giftigen llofktatsch allzu reich-
liche Nubrung geboten imd boshaften Vermutungen Raum gegeben
^liaben. Aber daFS der Verkehr der Beschuldigten die Grenze des
Erlaubten überschritten, ist durdi nichts erwiesen worden, ist s<^r
völlig ausgeschlossen. Fast in allen ihren Briefen kunimt di«» Füi'slin
auf diesen Vorfall zu sprechen, weist aber jt'de, auch die leiseste, Ver-,
dächtigung ihrer Person energisch zurück und erbietd sieh zinn Hewcise
ihrer Unschuld. Man wii-d solchen fortgesetzten leideuM haftlidien Be-
teuerungen einer in ihren iieiligsten Ciefühlen verletzten Frau uni>edingt
Glauben schenken dürfen. Auch das mit peinlichster Schärfe geführte
Eruiittelnngsvei'fahren, bei dem wiederholte gi ausame Verhöre des Arztes
auf der Folter eine Holle spielten, war nicht imstande, etwas Nachteilige-
nach dieser Richtung an den Tag zu bringen. Nur der Verdacht hins
sichtlich der BeiseiteschatTuug der Kleinodien hatte insofern eine B»-
stätigung gefunden, als Böhmer im Auftrage der Fürstin deren eiu-
62
Georg Sohuater:
gebrachtes Silbergescliirr hatte ausRer Landes schaffen wollen. Grund
genug, Margarete und Böhmer nicht aus der Haft zu entlassen. Der
schwer gemisshand»'lte Arzt orliielt erst nach zw^i Jahren auf energische
Fürsprache der Kurfürsten von Brandenburg und Sarlisen seine Freiheit
wieder. Die leidenschaftliche Fürstin dagegen fand selber Mittel uud
Wege zu ihrer Befreiung.
Nachdem sie länger als drei Monate, von innerer Unruhe über ihr
Gescliick verzehrt, in strenger Haft zugebraclit hatte, gelang es ihr
endlich, sich mit ihrem jüngeren Sohn, dem Prinzen Joachim Emst, in
Verbindung zu setzen. To einer stürmischen Dezembernacht des
Jahres 1550 wusste der Prinz die Wächter zu entfernen, und die
Fürstin sprang nun aus dem mehrere Meter über dem Boden befiad-
lichen Fenster ihres Turine:tMnaclies auf den Wall herab. Obwohl von
dem wagehalsigen Sprungt' betäubt und am Kopfe verletzt, raffte sie
sich auf, durchwatete mit beiden Mägden, die sich inzwisclicii zu ihr
gesellt hatten, den Wallgraben und setzte unter Aufbietung der letzten
Kräfte im schützenden Nachtdunkol ihre Flucht fort.
Unter vielen Fährlichkeiten und Abenteuern erreichte Margarete
endlich, von nagendem Herzeleid, von Hunger and Kälte fast auf-
gerieben, die alte Hansestadt LIkbeck.
Von Lftbedc eilte die Ffiratin nach Travemfinde, wo sie sich einem
dftnlfldMD Kapitän anvertraute. Der wackere Mann brachte die Be-
Jammemswerte nach einer der dänischen Inseln nnd setzte anf ihren
Wunsch ihren Vetter, den König Christian III., von ihrer Ankunft und
ihren Schidcsalen in Kenntnis. Der DänenkCnig gewährte der Flflditigen
eine freundliche Heimstatt; er stattete die Verarmte mit dem Not-
wendigsten aus und ftberwies ihr das Kloster Maribo zum Wohnsits.
Nach Monaten yoU bitterer Enttäuschungen sandte die Leidvolle
im Juni 1551 einen treuen Diener mit einem noch heute im K6nig8-
berger Archiv aufbewahrten Briefe nach dem entlegenen Preussenlande.
Mit der beweglichen Gesprächigkeit eines gedrfickten Gemfites schildeite
sie darin die Schwere ihres Geschickes. »Ich arme betrübte FQrstin'*,
schreibt sie, „Icann Ew. Liebden nicht bergen, wie man tyrannisch und
mörderisch mit mir armen betrfibten Fürstin umgegangen ist, dass es
sein Lebtage nicht erhört worden ist, dass man mit einer Fttrstlu, die
so hohen Stammes gewesen, umgegangen wäre, als mit mir armen
Frau. Ich bitte £w. Liebden um Gottes Willen, weil Ew. Liebden
auch meines Fleisches und Geblüts sind, auch ein geborener Blarkgraf
von Brandenburg, und ich so gar verlassen bin von aller meiner an-
geborenen Freundschaft, Ew. Liebden wcdleii si(>}i doch Qtier midi
erbarmen, denn Gott weiss, dass ich nicht mehr liabe, als was mir
fromme Leute zuwerfen, nnd bin doch auch so gar elendiglich io
unseres lieben Herrn nnd Vetters, des Königs von Dänemark Land an-
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Markgrafln MaifBrete von Brandenbiirg.
68
gekommen, dass icli Ew. Liebden nicht davon schreiben darf. So hat
sich seine königliche Majestät über mich erbarmt und mich in ein
Kloster gethan, darin ich nnn verharrt habe bis in die sechsundzwanxig
Wochen. Ainh kann ich Ew. T/iehden nicht verhalten, dass seine
königliche Majestät mir zwei Röcke hat machen lassen und ein Stück
Kammertnch geschenkt» dass ich wieder bekleidet worden bin. dafür
ich seiner Majestät nimmer genngsam danken kann. Ich bitte Ew.
LiebdeTi um Gottes Willen, Ew. Liebden wollen mich jet2t in meiner
höchsten Betrübnis nnd Elend anch nicht verlassen.'^
Solche Offenbamngen einer verzweifelten Franenseele sind von
erschflttemder Wirkung. Sie verfehlten darum auch ihres Eindrucks
anf den Hersog nicht. Ein Ffirst von mässigen Gaben, aber mit einem
Uerzen voll ruhiger Milde, sonniger Heiterkeit und redlicher Frömmig*
keit, griff Albrecbt schlichtend, begfttigend und helfend fiberall ein, wo
es not that. So versprach er denn auch, ungesäumt die nötigen
Schritte thun zu wollen, um seine Verwandte ihrem tranrigen Lose zu
entreissen. Dem Versprechen liess er die That auf dem Fasse folgen.
Schon am 18. August fertigte er zwei Schreiben an die branden-
bniigisclien Fürsten ab, in denen er ihnen das harte Geschick der
Schwester in beredten Worten vorführte. Er habe sich fiberzeugt, dass
die gegen Margarete erhobenen Anklagen grundlos seien; ihr sei
schweres Unrecht widerfahren. Aus Mangel an den notwendigsten
Mitteln sei sie gezwangen gewesen, versrliiedene Kleinodien zn ver-
pfönden. Hierfür seien uoumstössliche Beweise vorhanden. Er schlage
ihnen voi\ Unterhandlungen zu einem l>illigen Ausgleich mit dem
anhalti.schen i lause einzuleiten nnd auf Mittel zu sinnen, die Schwester
ans ihrer unwürdigen Lage zu befreien.
Der Herzog liess es indes hierbei nicht bewenden. Um dem
augenblicklichen Notstand Margaretes etwas zu steuern, wies er ihr
durch einen Kaufmann, der Dänemark in Handelsgeschäften bereiste,
hundert Gulden an. Im Fnllgahr 1552 erhielt er jedoch die Nachricht,
das Geld habe der Ffli-stin nicht ausgehändigt werden können, da sie
im Kloster nicht mehr anzutreffen gewesen sei; auch wusste niemand
ihren Aufenthalt mit Sicherheit anzugeben. Angesichts dessen Hess
Albrecht die von ihm gespendeten Barmittel der Gräfin Elisabeth von
Henneberg mit der Bitte aushändigen, sie der Fftrstin bei nächster
Gelegenheit zu übermitteln, was dann anch geschehen ist. Ihre Flucht
ans dem Kloster Mainbo erklärt Margarete später damit, dass sie
von ihren anlialtischen Verwandten beim Könige „hoch beschwert nnd
angegeben sei, dass sie bald wieder in Haft gekommen wäre, hätte ihr
nicht ein ehrlicher aufrichtiger Geselle geholfen, dass sie weggekommen
wäre".
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64
Geoxg Schlüter:
Inzwischen traten dio brandenburgisclien Höfe mir den Söhnen
Margaretes in Verhandluni; über die fernere Versorgung der land-
tlüchtigen Muttor. Da oinr Hü<"kkelir in ihr Wittum und Leibgeding iu
Anhalt nicht tlmnlirh schien, s'» sollten sie sich verpflichten, die ihr
gebührenden Naturalleistungen und sunstisen Einkünfte iu barem Geldo
aiisziizahlon; sie selbst wüi'de eiü üoterkoumien in einem der braadeii-
burgischen Sciilösser linden.
Wir kennen die Gründe nicht, welche die iii/.\Nischen aus dein
Dunkel der Verborgenheit wieder aufgetauchte Fürstin bew<»gen haben,
von iillen diesen Vorschlagen abzusehen. Nach mehrnionatlicheni
Aufenthalte an dem Witwensitz ihrer Schwester Anna von Mecklen-
burg eilte sie nach Münden, an den llof ihrer Schwester Elisabetli.
Auf eiiu^m elenden Rauerngefiihrt, das sonst so schone Antlitz von
Gram und Schmerz durchfurcht, so dass sie „ganz alt und unge.stalten"
aussah, nur von einer jungen Magd und einem Iteitknecht begleitet,
zog sie in die gräfliche Residenz ein.
Die harte Schale des Unglücks, die bisher diirclizumachen die
FOrstin aosersehen war, scheint damals ihr Gemüt nachteilig beeinflasst
SU haben. Weuigstons schreibt die OriUin an den Herssog, nachdem sie
die Schwester fünf Wochen beobachtet liatte: „Sie ist nicht alle Zeit
bei sich selbst, nimmt viel vor, was Ew. Liebden nicht gefallen wQrde.
Sie ist ganz nnbest&ndig, kann sich mit niemand vertragen. Sie giebt
auch immer Freien vor. Sie hatte mich selbst auf den Weg gebracht,
dass ich ihr einen Grafen von Waldeclc freien sollte. Da ich nnn
meinte, es w&re was, da liefen Ihre Liebden wieder ganz znrfick nud
solches will sich in solchen Sachen nicht wohl reimen, wie Ew. Liebden
als ein verständiger Fürst wohl zu ermessen liaben.** Znm Schlnss
ersuchte sie den Herzog, Margaretes Sache eifrig bei ihren Brüdern und
Söhnen zu betreiben. Diese Schilderaiig erfüllte Albrechts Herz mit
Mitgefühl nnd bewog ihn, zu Qnnsten der beklagenswerten Base nun
auch bei den Anhaltinern energische Vorstellungen zn erheben.
Während die Verhandlungen noch schwebten und Aussicht vor^
banden war, dass Jene ihren Verpflichtungen nachkommen würden,
überraschte die leicht entzündliche Phantasie der Kranken ihre Ver-
wandten mit einem neuen abenteuerlichen Plane. Der Herzog hatte ihr
bereits früher eine sichere Zufluchtsstättt^ in seinem Lande angeboten.
Auf diese Zusicherung kam Margarete plötzlich zurück in einem merk-
würdigen, aus Münden an Albrecht gerichteten Briefe vom 15. November
1052. „Es sei ihr, der armen, betrübten, elenden, trostlosen, verlassenen
nnd verachteten Wittwe," so schrieb sie, „ein grosser Trost» dass sie
an ihm doch noch einen Freund finde, dei' sich ihrer annehmen wolle.'*
Und nun erging sie sich teils in aufregenden Klagen und Vorwürfen
gegen ihre nächsten Angehörigen, teils gab sie, die »wohl verzagen nnd
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Markgr&fin Margarete von Brandenbarg.
65
vor Leid sterben möchte", in wehmütiger Resignation dem Wunsche
Ausdruck, die wenigen ihr vonuissichtlich noch beschiedenen Tage
ohne aUes Gepränge in beschaulicher Ruhe verbringen zu dürfen, teils
aber begehrte sie im Gegensatz zu dieser Anspruchslosigkeit von dem
Herzog die Einrichtung eines eigeni n Hauses und bestimmte zugleich
ihren zukünftigen Hofstaat: ein Prätlikaiit, drei adlige Jungfern, ein Hof-
meister, eine Hofnieisteriii, zwei Mägde, eine Köchin, drei Edelknaben,
zwei an<h*re Knaben, ein Thürknecht, ein Jungfernknecht, zwei
Läufer, acht Wagenpferde, drei Zelter und noch verschiedene audcre
Dinge — das, deutete sie an, wurde etwa das Mass dessen ansinacheo,
was ilir als einer Dame von hoher Geburt snkomme.
Es war vorausznsehen, dass der Herzog, der selbst in seinem
armen Lande mit bescheidenen Ifitteln sorglich hanshalten mnsste,
einem solchen YorscfaUige widersprechen wfirde. In einem umfang-
reichen Schreiben ans dem Januar 1553 setzte er Blaigarete in
schonender Weise die Gründe aoseinander, die ihrer Anfoahme bei ihm
in der von ihr gewünschten Weise entgegenständen.
Ob dieses für die damaligen Zustände charakteristische Schreiben
in die Hände Margaretes gelangt ist, wissen wir nicht. Es ist kaum
anznnehmen. Hatte sie doch bereits um die Osterzeit des Jahres 1553
Münden wieder verlassen. Niemand wusste, wohin sie sich gewandt
Erst im Sommer erhielten die Verwandten unliebsame Kunde von der
Verschollenen. Sie kam ans einem pommerschen Dorfe, und zwar, ein
seltsames Spiel des Zufalls, von dem Grafen Boppo von Henneberg,
dem Gemahle Elisabeths. Auf der Heimreise von Königsberg begriffen,
wo er zum fiesuche des Herzogs geweilt, passierte der Graf mit seinem
Gefolge dn in der Nähe von Stolp gelegenes Dorf. Hier begegnete er
zu seinem masslosen Erstaunen der entschwundenen Schwägerin in
Begleitung eines „jungen Gesellen'^, Namens Hans Jonas von Goltz,
Seinen stürmi.schen Fragen begegnete sie mit der ruhigen Antwort, sie
sei auf dem Wege nach Preussen. Der Graf indes machte ihr begreif-
lich, dass hiervon keine Kede sein könne und führte sie und ihren
Begleiter nach Stolp. Aber bereits in der nächsten Nacht entkamen
beide unerkannt aus dem Gewahrsam des pommerschen Landeshaupt-
manns Claus Patkammer.
lui Oktober 1553 war Margarete noch nicht am Ziele ihrer
Wanderschaft angelangt, üer Winter verging, oline dass der Herzog
Albrecht oder ihre nächsten Angehörigen über ihr Schicksal das mindeste
erfuhren. In Sorge um die „ganz übel geratene Tochter" und von
tiefem Herzeleid niedergebeugt, bat die Mutter, die Kurfürstiu Elisabeth,
die selber durch das Fegefeuer heisser Seelenschmerzen gegangen war,
den Herzog, „dem ungeschickten Vornehmen des Laufens" ein Ziel zu
setzen, Margarete au einem geeigneten Orte unterzubringen und sie
5
66
Georg Schuster:
durch einen frommen Prediger erinahneu und zu der Beiclite, Jer
Absolution und zum Testamente Christi, als solle sie ihren Abschied
von dieser Welt nehmen, auf das härteste erschüttern zu lassen, bis die
Verblendete ia sicli gehe und sich „zu bessern" versprechen würde.
Aber so dringend die hartgeprüfte Mutter auch dem Herzog ihr „grosses
Kreuz und TTerzeleid" aus Herz legte, er vermochte ihr keine tröstende
Nachricht zu spenden. Sclunerz und Kummer erschütterten das in
Leiden geprüfte und bewährte Gemüt und bratht n das edle Mutterberz.
Die Kurfürstin starb am 'J. Juni 1555. Die »(uälende S<>r<i^e um das
Schfcksal des verlorenen Kindes bat die livichgesiuiite mit ins Grab
geoommen.
Im März 1554 verbreitete sich in Königsberg das Gerächt, dass
eine Ytrwandte des herzoglichen Hauses in einem samläudischeu Dorfe
hause. Die Eonde drang audi an den Hof. Albrecht liess daraufbin
n&here Erkundigungen einziehen, fond aber zn seiner Traaer alle
schlimmen Gerüchte hestätigt. Margarete waltete in einer Baaemhfitte
in Gemeinschaft ihres Gratten Hans Jonas von Goltz, der das Elend des
Daseins redlich mit ihr teilte, nnter den beschränktesten Verhältnissen
des ärmlichen Haushalts, mit ihrer Hände ungewohnter Arbeit ktim^le^
lieh das tägliche Brot erwerbend. Fortan kümmerten sich weder der
Herzog noch ihre Brfider um die Vereinsamte, und viele Jahre ve^
strichen, ehe sie wieder ein Lebenszeichen von sich gab. Was die
Unglflckliche in dieser Zeit erlebt und gelitten, vermögen wir nur so
ahnen. Über solche Dinge pflegen keine historischen Aufzeichnungen
vorhanden zu sein. Die Thränen einer unglflcklichen Frau sind über-
haupt selten Gegenstand der Geschichte. Späteren Mitteilnngen der
Ffirstin ist zu entnehmen, dass sie, von allen verlassen und verachtet,
viele Jahre in jenem samländischen Dorfe, in Gemeinschaft mit ihrem Gatten
und einer Tochter, in qualvoller Armut zugebracht habe. Die Liebe sn
ihrem Kinde war der tiefgebeugten Mutter der einzige sittliche Ebilt io
ihrem Unglück; sie war es auch, die sie das selbstverschuldete Schick*
sal mit geduldiger Fassung ertragen liess und sie endlich, nach Verlauf
von mehr als zehn Jahren, bewog, sich den erzürnten Verwandten
wieder zu nähern. Sie bediente sich dazu der Yermittlnng des ihr ans
früheren Zeiten bdtanntcn herzoglichen Rates Matthäus Horst. In
einem herzerschütternden Brief oÜ'enbarte sie dem vertrauten Manne itir
kummerbeladenes Gemüt und b:it ihn, sich bei seinem Herrn für sie^
„eine anne, elende, tit fltetrübte Frau", dahin zu verwenden, dass er als
»ein christlich denkender Fürst'' ihre Söhne, die Fürsten von Anbaif,
bewege, ihr aus dem ihr zustehenden Leibgedinge eine laufende Unter-
stützung zu gewähren. Insbesondere müge sich der Herzog ihres
armen Kindes Dorothea orltarmen, damit sie es notdürftig ernähren um!
zu Gottes Ehre und Zucht erziehen könne und es nicht nach derilatter
Digiti-
ICaripgrillii Mtigirele ▼on &and«&baif.
67
Tode in der Irre mnherziusieben braache. „Gott hat,* fligte sie in Er-
gebang hinso, „seine v&terliche Hand auf mich gelegt; damit mnss ich
safneden sein.*'
Aaf Horsts Rat wagte es Margarete bald darauf, den Herzog
selbst um Hilfe anzusprechen. Sie schilderte ihm die Ffille ihres
Elends mit folgenden Worten: „Ew. fftrstlichen Gnaden ist nnverborgen
mein gprosses, schmerzliches Elend, das ich viele Jahre gehabt und anch
noch habe, so dass ich arme elende Person Armnts halber gar kümmer-
lich znzdten nnr das liebe trockene Brot zn essen nnd Wasser zu
trinken gehabt habe und mich mit Armut und anderer Arbeit behelfen-
müssen, wie ein anderes Weib, damit ich mich habe elendiglich ernähren
mögen und oft nnd viel auf dem Felde thne arbeiten, damit ich mich
des Hungers erwehre. Da ist nichts gewesen, wovon ich hätte nehmen
können Ich habe keinen Trost in der ganzen Welt, als meinen treuen
Gott. Weil denn mein himmlischer Vater seine väterliche Hand auf
mich gelegt und mir das Krenz zuerteilt hat, muss ich in dem zufrieden
sevn und denken, dass ichs wohl verdient Imb« aus der Ursache, dass
ich mich mehr auf meine fürstliche Praciit und Gewalt verlassen habe
als auf Gott, deshalb ich mit dieser Ruthe zufrieden seyn mnss und
denken, dass mir^s zn meiner Seelen Seligkeit zum Besten geschieht,
habe aber mein Vertrauen auf meinen liehen Gott gestellt. Lieber,
gnädiger Fürst und Herr, weil Ew. fürstlichen Gnaden meinem Reich-
thnm wohl nachdenken können, so bitte ich arme, betrübte Person,
Ew. fürstlichen Gnaden wollen als ein cb ristlicher Fürst Erbarmen an
mir zeigen." Den Schhiss bildeten die iustündigsteu Bitten, sie nicht
zu \erlassen. Kr möge ihr, da sie schon alt sei und sich allein nicht
erhalten könne, in seinem T.ande ein stilles Plätzchen anweisen; sie
wolle sich dort mit ihrem (latten, der noch jung und stark sei und es
an Fleiss nicht fehlen lassen werde, einrichten und in stiller Zurück-
gezogenheit der Erziehung des geliebten Kindes leben.
Das Mass des Leidens war indessen noch nicht gefüllt. Eines
Tages wurde das armselige Häuschen, das die Schwergeprüfte ihr eigen
nannte, mit dem letzten Rest der winzigen Habe ein Raub der Flammen.
Da ratt'te sie sich noch einmal zu energischem Thun auf. Sie eilte nach
Königsberg und fand hier bei dem menschenfreundlichen Horst freund-
liches Entgegenkommen. Seinen dringenden Vorstelltiugeu vermochte
der Herzog nicht zu widerstehen. Er war geneigt, für Margarete, die
er wieder mit dem notwendigsten Hausrat versehen Hess, und ihren
Gemahl ein Landgütchen im Litauischen anzukanfen unter der Be-
dingung, dass beide den Niessbrauch desselben auf Lebenszeit haben,
und dass es nach ihrem Tode der Tochter Dorothea Erbe sein solle.
Würde diese ohne Nachkommen sterben, war der Rückfall des Gutes
an das herzogliche Uaus vorgesehen. Die Verhandlungen schienen um
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68
Georg Schosier:
l'fingstcii dos .laliivs löiJd dem Abschluss nahe zu sein. Wenigstens
hat sich aus jenen Tagen n<K'h der Entwurf ym einefti Reverse Goltzens
im Sinne der vorstellenden Abmachungen erhalten. Allein alle weiterea
Nachricliten brechen plötzlich ab, so dass es zweifelhaft erscheint, ob
die Sache überhaupt zu einem erwünschten Ende gediehen ist. Dafür
spricht besonders die Tliatsache, dass damals Preussen schwer von der
Pest heimgesucht wurde und Margarete, in richtiger Würdigung der
schwierigen T^age des Herzogs und seines armen Landes, iln*e Tochter
Georgia aus erster Ehe um thätige Beihilfe anging. Die Prinzessin, au
('inen in Schhichau ansässigen polnischen (Irafen vermählt, entsprach,
wie niciit anders zu erwarten war, den Bitten der Mutter und erbot
sich, alles mit ihr zu teilen, was in ihrem Vermögen stehe. Sie nR>ge
nur schli'iiiiigst mit der kleinen Dorothea nach Schlochau übersiedelu.
Indes stellte sie, vielleicht zur Vermeidung jeglichen unliebsamen Auf-
sehens, die lieblose Bedingung, dass Margarete dem Grafen gegenüber
sich nicht „uamenkundig'* gebe, sondern als einfache Edelfiraut beseidme
and einen Empfehlungsbrief der Herzogin mitbringe, der dem Grafen
vorgezeigt werden könne.
Margarete nahm das eigenartige Anerbieten frendig an. Was
blieb ihr auch in ihrer Bedrängnis anderes übrig? Gern erbot sich
Albrechts Gemahlin, ihr „ein emi>fehlendes Zeugnis auszustellen und ihr
, zur Reise nach Schlochau Wagen nn<l Pferdt? zu leihen, obwohl sie
selbst in dieser Zeit grade mit vielen Ausgaben sehr beladen sei." Ob
aber div Fahrt zustande gekonnnen, wissen wir nicht. Ebenso wenig
hat sich über die späteren Schicksale der schwergeprüften Fürstin uiue
sichere Kunde eihalten.
Im Jahre löijS wurde der Herzog Albrecht eine Beute der
unheimlichen Seuche. Er soll der Base in seinem Testamente ein
Legat von .'JdOn Gulden ausgesetzt haben, das aber nicht zur Aus-
zahlung i;<'koniinen ist. Die letzte Nachricht über Margarete stanmit
aus dem .Jahre 1Ö77. Es ist ein von ihr aus Königsberg an den
Admiuistratoi- in Preussen, den Markgrafen Georg Friedrich \on Bran-
denburg gerichtetes Schreil)en, woiiii sie ihn um den freundlichen
Liebesdienst ersucht, auf ihren Sohn, den regierenden Füi*sten von
Anhalt, einzuwirken, dass er ihr den ik »Ilgen Untei'halt gewähre.
Damit „ich", wie dort zu lesen ist, „uff meine alte tage einmal zu
ruhe und frieden konime uiul das Bettelbrod zu essen in fremden
Landen möchte entbrocheu sein''. — Bis dahin hatten sich also
die äusseren Lebensumstände Margaretens noch nicht günstiger
gestaltet.
Damit verschwindet die unglückliche Fürstin aus der Geschichte.
Wo 8ie ihre letzten Tage yerlebt, unter welchen YerhältnisBen, wo und
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Harkgiifln Ifaigwet« von Bnadenbnrg.
69
wann sie ihre Lebensbahn beschlossen — das za ermitteln ist der
Forschung bisher noch nicht gelungen. Wahrscheinlich hat sie, nachdem
sie noch am Knrländischen Hofe bei ihrer Nichte, einer Tochter der
Herzogin Anna, sich nnfgehalten. in Dänemark das Zeitliche geset^nct.
Margarete war nicht beraten, wie so viele andere ihrer fürst-
lichen Mitschwestern, eine weltgeschichtliche Rolle durchzuführen mit
Glanz und Erfolg. Im Gegenteil. Ein (U'korenes Opfer von Miss-
gescliicken, ist sie durch des „Lebens eitles Maskeuspiel" geschritten.
Wie schwer sie auch nach land läutigen Begrifteii in schwachen Augen-
blicken gefoblt haben mag, sie hat ihre Verirniri^cn, deren Motive
sich zum grossen Teile unserer Kenntnis entziehen, überreich gesühnt.
Schon aus diesem Grunde werden wir der Leidvollen unsere mensch-
liche Teilnahme nicht versagen dürfen. —
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70
Brandenburger in Italien
im Zeitalter der Renaissance.
FHedrlcli Kiüiier.
Die Sehnsncbt nach der landschaftlichen Schönheit des Südens,
der Wunsch, die Sch&tze der Kunst und die Fandstätten der Wissen-
schaft sich dort zu erschliessen, die Hoffnung, Gesundheit und Freade
am Leben dort wiederzugewinnen, führen jährlich Tausonde auch ans
unserer engeren Heimat fiber die Alpen. Vor vier Jahrhunderten war
es anders: zwar zog aus unseren Marken schon damals Jahr ans Jahr
pin oino stattliche Schar von Jünglingen nnd jangen Männern nach
Padua, Bologna und andern GlanzRtätten der humanistischen Wissen-
schaft, um von dort mit den höchsten akademischen £hren geschmückt
heimzukehren. Danebon waren es aber auch lange nach dem Unter-
gange der Staufer deutsche Krieger, die im WafTenscbmucke auch von
Brandenburg aus über die Alpen zogen, um dort im ehrenvollen
Dienste der italienischen Dynasten Schlachten zu schlagen, Fcstungoii
zu Rtürmen und Staaten zu orolxM'n. Zu diesen beiden Gruppen tritt
noch eine dritte, eine Reihe jugendlicher, oft noch sehr zarter Gestalten,
vielfach dem Kindesalter noch nicht entwachsen: Fürstinnen aus den
Geschlechtern der Habsburger, Wittelsbacher und Hohenzollern,
welche der Vermahlung mit italienischen Fürsten bestimmt, der neuen
Heimat zugeführt werden. Die grosse Zahl junger Dynastien in Mai-
land, Verona, Mantua, Florenz, Bologna, vielfach dem besitzlosen
Schwertadel der Lombardei entstanmiend, ist meist erfüllt von dem
Wunsche, durch verwandtschaftliche Verbindung mit einem älteren
Fürstengeschlechte nach aussen und innen hin ihr fürstliches Ansebn
zu mehren. Für alle diese Gruppen von Italienfahreru bietet unsere
beimische Mark eigenartige Beispiele.
Es war im Jahre IS22, als bei Gelegenheit des Kongresses zur
Schlichtung der südeuropäischen Wirren im Gefolge des Königs
Friedrich Wilhelms in. der Geheime Rat und 1 >irektor der preussischen
Staatsarchive Gustav Adolf von Tschoppe in Verona weilte. Dort wie
auch in den nmliegenden Gebieten waren im 14. und den folgenden
Jabrfaanderten die beiden Bettelorden von hervorragender Bedeutung
gewesen: nicht bloss dnrch ihren Eiufluss auf das niedere Volk, unter
dem nnd mit dem sie lebten nnd ans dem sie zum Teil selbst hervor-
gegangen waren, sondern in höherem Ifasse dnrch ihre Beziehung za
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Bnndenbmger in IteUen im ZMtbuc der Banaiasanoe.
71
den bildenden Künsten, welche in den Orden eifrige Pfleger fanden.
So sehen wir denn als eine dor häufigsten, fast konvontionollen Figuren
im Kirchenbau und besonders im Altarschmuck den heiligen Franz,
das Sinnbild der Weittlucht and des selbstsrewiililten Elends; auf der
andern Seite kehrt „Frau Armut" als allegorische Gestalt in den
Kirchen der Predigermöncho wieder, und in den Reihen der gefeiertsten
Maler des Quattrocento steht in erster Linie der I>oininikaner Fra
Angelico da Fiesole; in seinem „Jüngsten Gerichte", einer Perle unserer
Gemäldegalerie, sehen wir die Seligen, welclie zu den lichten Höhen
des Paradieses, von Engeln l)egleitet, emporwallen, in der Ordenstracht
der Jünger des heiligen Douiinicus. So war auch naturgemäss die
Kirche dieses Heiligen eine der ersten Kuuststätten, zu der Tschoppe in
Verona seine Schritte lenkte und dei en Besucli ihm auf anderem Gebiete
eine ungehoflfte Ausbeute braclite. Er fand dort an der östlichen Wand
Fragmente einer Inschrift, zum Teil bedeckt durch einen während der
Ligne von Cambrai erbauten Altar. Nur wenige Worte waren noch
sichtbar; zu diesen aber geliurte die Bezeichnung „brandenburgische
Ritter"; auch fand sich noch dei- Name „.lohann von Beynchel" und die
Abbildaog eines Wappens. Dieser ganz ungeahnte Fund au geweihter
Stelle veraolasste den Forscher, dem bisher kaum beachteten Aufent-
halte bnmdenburgischer Ritter in Verona nachzuspüren and den
geschichtlichen Znsanunenhang desselben anfzniclären.*)
Als der wittelsbachische Markgraf Ludwig der Ältere von Bran-
denburg l'löl seinen jüngeren Brüdern Ludwig dem Römer und Otto
die brandenburgischen Lande abtrat, Fiihm er seinen Aufenthalt in
Tirol, meist in Bozen, wohin ihn brandenburgische Ritter begleiteten.
Dort em])fing er häufip: Besuche benachbarter Fürsten, so auch am
8. Februar Ki")4 den dt s ihm verwandten Markgrafen Cau Grande 11
della Scala von Verona mit seinem Bruder Can Signoro und vielen Kdeln
von Verona und Vicenza. Der veronesische Fürst wollte mit dem Kur-
fürsten Ludwig einen Vertrag abschliessen, wie ein solcher ihn schon
mit mehreren italienischen Herren und Städten verband. Plötzlich erhielt
er in Bozen die Nachricht von einem in seiner Heimat ausgebrochenen
Aufstande**), wo sein Statthalter Azz<» von Correggio von einem
unebenbürtigen Stiefbruder des Can Grande, Frignanus, verdrängt war.
Dieser hatte sich der Herrschaft in Verona und Vicenza bemächtigt,
ZOT Anfrechterbaltang seiner Macht mit den Herrschern von Mantaa
und Verona sich verbunden und bereits den Tod seines regierenden
Bruders bekannt gemacht, dessen Ermordung er in der That plante.
*) Vgl. Ticbopp« in den „Mftridiehen F<MrBchimgen'' 1^ 17 ff.
**) Ygl. „Storia della ribellione di Frignano della flcila" (in »Ohxoiiica da
ZHItte«* L 82 £ II. 311 IL).
72
Friedlich Krftner:
Ein Teil der brandenbargischen Bitter Ludwigs begleitete den sofort in
seine Heimat zurückkehrenden veronesischen Markgrafen. Ein deutscher
Ritter Friedrich, dein Geschlechte nach nicht bekannt, eilte nach Padua
voraus und gewann dem bedrängten Markgrafen die Hilfe dieser
wichtij^en Nachl)arstadt. Auch unter den paduanischen Rittern, welch«»
zur Untoistiitzmif^ d<'s Can Grande sofort aufbradien, befanden sich
merkwürdigerweise eine Anzahl deutscher, im besonderen brandon-
burgischer Herron, deren NaTnen erhalten sind, wie Roq-er v. Opj>en,
Nicolaus V. Buch, Plülipji von Roth. Bald sah sich der Markgraf
von Verona an der Spitze einer ausreichenden ^^achf, um den Usur-
pator direkt anzugreifen. Als erster drang Philipp v. Roth über dio
Etschbrücke in die Stadt, wohin ihm seine Genossen, Deutsche wie
Italiener, stürmend folgten. Der Empörer Friguanus fiel von der Hand
jenes schon um die Gewinnung Paduas verdienten Ritters Friedrich.
Die von Mantua und von Mailand dem Em[)örer gesandte Hilfe kam zu
spät und keinte schon vor den Thoren von Verona um. Aber anch
ein von dem Markgrafen Ludwig personlich unterstützter Rachezug
des Can Grande II. gegen Mantua blieb erfolglos. Die von den bran-
denburgi.schen Rittern diesem zu teil gewordene wirksame Hilfe blieb
den italienischen Gescliichtschreibern in dankbarem Gedächtnis.se:
Matteo Villani in seiner Chronica*) wie Bfancolini in seinem Werke
über die Kirchen Veronas**) widmen den deutschen Herren Worte ehrenden
Andenkens, die ihren Widerhall linden in jener Inschrift in der
Dominikanerkirche zu Verona.
W^ie lebhaft auch immer (lie Eindiücke jener brandenburgischen
Heldenthaten den Zeitgenossen sich ein[)r:igten, wie unvergänglich auch
immer die Spuren davon in deu Kuiistdenkmalern Veronas fortleben:
eine dauernde Verstimmung zwischen den kleinen nordischen Mark-
grafen und den streitl)aren Fürstenhäusern in der Poebene hat jenes
bran<ieni)urgische Kriegsabeuteuer von l'^')4 glucklieherweise nicht zu
schaffen vermocht. Gerade das von Ludwig dem Älteren bestürmte
Mantua suchte zuerst, n(»ch vor Ablauf eines Jahrhunderts, die An-
näherung an dieselben Brandenburger, deren \ <u ta!iren einst die Heer-
fahrt gegen die un»'innehmbare Feste in den Simipfen des Mincio
uuternonmien hatten. I)as kriegslustige und kriegstüchlige Geschlecht
der Gonzaga führte dort seit einem Menschenalter di«> Herrschaft. Der
zweite in seiner Reihe, Gianfrancesco, warb jetzt durch Verniittlun-.^ (h s
Kaisers Sigismund auf dem Baseler Konzile 1488 für seinen Sohn mid
Thronfolger Lodovico um Barbara von Brandenburg, die Enkelin des
ersten hofaenzollemschen Kurfürsten, die Tochter Johanns des Alcho-
*) Chronica di MaUco ViUani ID. 90 ff.
*•) Bfancolini ddle Chiese di Venm« III. 185. VIL 176.
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BrwdmbQcger In ttalieo im Zeitalter der Benaieeanee.
73
misten. Drei hohe geistliche Herren, <n denen wohl noch der Ritter
Martin von Eyb sich gesellte, brachten*) die gewünschte Verlobung
des mantnanisohen Ffirstensohnes mit der 10 jährigen Prinzessin znm
Abschlüsse. Noch in demselben Jahre trat die kindliche Barbara die
Reise über die Alpen an, nm dort in ihrer künftigen Residenz sn deren
Herrscherin erzogen zn werden. Bis Aogsbnrg wurde sie von ihren
Verwandten geleitet, dorthin hatte Markgraf Gianfrancesco ihr 200 Reiter
als Geleit entgegengesandt; bald traf anch ihr zukünftiger Gemahl ein,
an dessen Seite sie am 12. November 1433 ihren Einzug in Bfantua
liielt. Es war keiner der reichsten Fürstenhüfe Italiens, der sie jetzt
aufnahm,, nicht veigleichbar den Herrschersitzen der Medici, Este,
Sforza, aber ausgezeichnet wie jene durch die Pflege humanistischen
Geistes und durch die Förderung der gerade damals im Anschauen der
antiken Meisterwerke neu auflebenden Kunst. Für den Unterricht der
Sühne und Töchter des Herrscherhauses, denen jetzt Barbara sich an-
scbloss, hatte Gianfrancesco den berühmtesten der grossen Humanisten
jener Tage gewonnen, Vittorino da Feltre, der mit eingehender Kenntnis
der griechischen Sprache die antike Litteratur in ihren Originalwerken
studierte**). Er war im Geburtsjahre Barbaras nach Mantua berufen,
das nm seinetwillen lange Jahre hindurch von Hunderten jugendlicher
Humanisten zum vorübergehenden Aufenthalte gewählt wurde. Unter
seiner Leitung entfalteten sich die glänzenden Geistesgaben der jungen
Prinzessin, ihm verdankte sie jene gründliche Kenntnis der lateinischen
und griechischen Sprache, jene Belesenheit in den Klassikern, welche
ihr in der Folge soviel Bewunderung eintrug. Davon zeugt noch heute
die Sammlung ihrer nach Deutscliland an ihre Verwandten gerichteten
Briefe im K. Hausarchive zu Berlin, die Quelle, aus der wir unsere
zuverlässigste Kenntnis über den mantuanischen Hof von damals
schöpfen. Mitten in ihren eifrigsten Studien hatte das emsig lernende
Fürstenkind die Freude, ihren Vater zu begrflssen, der von einer Wall-
fahrt zum heiügen Grabe heimkehrend sein Töchterlein in Mantua
besuchte.
Nach Verlauf von sieben durch Familienzwist im Hans« der
Gonzaga getrübten Jahren wurde Barbara 1440 siebzehnjährig die
Gemahlin des 2i\ jährigen Thronfolgers und 4 Jahre später diireh (U u
Tod ihres Schwiegervaters regierende Markgräfm von Mantua. Ihre
geistige Bedeutung und ihr vielseitiger Einthiss in dieser hohen Stellung
offenbart sich uns in den an ihren Vater wie besonders an ihren Olicini
Albrecbt Achilles gerichteten Briefen, in denen die liohe Politik die
*) VgL fiber Barbara: fieruhara Uufmaun im 11. Jttbresbeiicbt dt;g llist.
VereiDs f. Mitt«]fraiik6ii. Ansbach. 1881.
**) F. Kristeller im Hoheiutollenijabrbach III. cn.
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!
74 Friedrich Krüner:
erste Stelle ciimiiiinit. Durch ihren Ehrgeiz erreiclite sie es, dass das
grosse Konzil des Jahres 1459 vom Papste Tins II. nacli Mantua be-
rufen wurde. Wie gering auch die Bedeutung dieser Fürstcnversammlung
für die Bekämpfung der Türken war, so gross war der Erfolg, den
Barbara, die forstliche Wirtin der Konzilsgäste, für die spätere Ver-
sorgung ihrer Kinder hier im voraus erreiehte, und der bedeutsame
Eindruck, den der Papst von Barbaras Persönlichkeit empfing. In der
That stand dieselbe jetst unter den f&rstlichen Idaecenaten der Dichter
und Künstler in erster Reihe, und anf allen Gebieten reiften die
Früchte, welche der Kunstsinn des mantnanischen Färstenpaares m
tragen begann. Mit dem Ban der Kathedrale des h. Andreas war der
erste Architekt seiner Zeit beschäftigt, Leo Battista Alberti, wie so
viele andere seiner Genossen der Renaissance die Gäsamtheit aller
Gebiete in seinem Kunstschaffen umfassend: Baumeister, Maler, Knnst-
schriftsteller, Dichter, Priester und Doktor beider Rechte. Die f firstliche
Residenz, das Castello di corte, schmfickte der schon in seiner Vater-
stadt Padua zu hohem Ruhme gelangte Maler Andrea Mantegna mit den
noch heute vorhandenen Familienbildem der Gonzaga, in denen Barbam
bereits als 51 jährige Matrone erscheint. Filippo Bmnelleschi weilt
zweimal l&ngere Zeit in Mantua, um bei der Herstellung der Damm-
bauten durch die Sdmpfe des Mindo seinen Rat zu geben. Den grössten
Bildhauer seiner Zeit, Donatello, konnte Lodovico zwar nicht dauernd
an seinen Hof fesseln, doch verdankt Mantua jenem ausser 7 Statuen
vor allen eine Büste des Markgrafen, an der wir noch beute die Züge
von Barbaras Gemahle studieren kr)unen, jetzt im Besitze des Berliner
Museums. Bei allem pei'sönlichen Eifer für die Gewinnung der be-
deutendsten Geister ilirer Zeit und ihres Landes vergass Barbara nie
iiir deutsches Herz: nichts bereitet ihr grössere Freude als die wieder-
holten Besuche ans der Heimat, \or allen ihres Vaters, ihres Oheims,
ihrer Schwester Sophie, damals schon Königin von Dänemark, sowie
vor allen die Befriedigung, ihren Erstgeborenen, Federigo, mit einer
deutschen Furstentochter, Margarethe von Bayern, vermählt zu sehen.
Nur 8 Jahre überlebte sie ihren Gemahl nach einer 38 jährigen überaus
^dücklichen Ehe. Im Jahre 1481 wurde sie im 5U. Lebensjahre heim-
gerut'en; im Dorne des lieilij^en Andi-cas, dessen Vollendung ihr
Lieblingswuusch gewesen, ruhet sie inmitten der Helden und fürstlichen
Frauen des Hauses (Gonzaga, ein Spross aus deutscher Erde, anter der
Sonne Italiens zu herriiciistem Wachstume erlduht.
Nicht bloss den vornehmen fürstlichen und geistlichen Besuchern
aus Heimat und Fremde iiatte der Hof von Mantua zu Barbaras Zeit
eine gastliche Stiittc auf iliren Kon»- um! l'iliicifahrtou geboten: immer
' grössere Scharen Initsrher Jünglini^e zo^cn st'it dem Aufl)lülien der
huwauiätischen Studien, auch aus den brandeuburgischen Landen, über
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Bnndenlraiger in ItaBen im Zeltalter der Bcnni— unee. 75
die Alpen zu den gefeierten Hochschulen Oberiialiens. Völlig ver^
fldueden ron beute war die Wahl der UniYersitftten, denen die
studierende Jagend von damals anstrebte. Hatte am Anfrage des
Jahrhnnderts Krakau noch die mächtigste Anziehung fflr Deutschlands
wandernde Musensöhne, zählte bald nachher Padua die grösste Zahl
deutscher Studenten, so trat seit der Mitte des Quattrocento Bologna
mit seinen hochberfibmten Bechtslehrem und der dort blühenden
umbrischen Malerschule unbestritten in den Yordei'grund. Noch heute
stehen wir bewundernd im Berliner Museum vor den Madonnen
Francias mit ihrem müden, leise schwärmerischem Ausdrucke, die der
„Obmann in der GUde der Goldschmiede", später „Obmann der
4 Kfinste'', der Maler Goldschmied, Baumeister und Medailleur, in den
beiden ersten Jahrzehnten des Cinquecento in Bologna schuf. Schon
der brandenburgische Kanzler und Lebuser Bischof Friedrich Sessel-
mann, die rechte Hand der Kurffirsten Friedrichs des Eisemen und
Albrecbts, war dort Doctor beider Rechte geworden; am Ende des Jahr-
hunderts studierte mit einer grossen Zahl von Norddeutschen dort vor
allen Nicolaus Copemicns, welcher Padua mit Bologna vertauscht hatte.
Gerade in dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts finden wir eine besonders
hohe Zahl erlauchter Namen utfter den Universitätsverwandten von Bologna.
Der „Syllabus inclytae Nationis Germanicae apud Bononiam studentis*'
nennt uns ausser den oben erwähnten als Burger der Bononischen
Universität aus jener Zeit: Johann v. Schleinitz, nachher Bischof von
Meissen; Otto Truchsess v. Wallburg, später Bischof von Augsburg;
Johann v. Buch, den Verfasser des niederaächsischen Kommentars zun
Sachsenspiegel; die Humanisten Conrad Geltes, Rudolf Agricola, Ulrich
V. Hutten; deutsche Ffirstensöhne aus den Geschlechtem der Habsburger,
Zähringer, Wittelsbacher, Weifen und Wettiner, so den Herzog Ernst
von Sachsen, nachher Coadjutor von Magdeburg, den späteren Hoch-
meister Albrecht von Preossen und viele andere. Am meisten fesselt
unser heimatliches Interesse unter den Bologneser Studierenden jener
Periode Bfatthias von Jagow, der junge altmärkische Edelmann, später
der erste evangelische Bischof von Brandenburg. Nicht bloss seine Ab-
kunft, auch die grosse Rolle, welche er während seines dreijährigen
Studiums in Bologna spielte, sichern ihm ein dauerndes Andenken in
der Natio Germanica von Bologna. Epiphanien 151B trat Matthias*) mit
28 jnngen Deutschen in die Germanische Nation ein, deren Procuratoren
damals Friedrich von Leonrod, Canonicns von Eichstädt, und Hieronymus
Buchholz aus Berlin waren; an des ersteren Stelle trat bei seiner Heim-
kehr nach Deutschland bald Sigismund v. Thun, Canonicns von Trient
und Brixen; den fälligen Gulden bezahlte Matthiw«, wie die Matrikel
*) Act» Nttionis Germaii. Univ. Bonoa ed. £. Friedlttnder ei 0. Halagol».
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76
Friedrieb KrOner:
besonders hervorhebt, bar. Sowohl als eifriger Rechtshürer der Univer-
sität wie darch seine ganze Persönlichkeit gewann Matthias ein solche?
Ansehen innerhalb der „Nation*', dass dieselbe schon nacJi .Tahresfri^t
ihm die Procnratur übeilrug. Die Bedingungen für dieselbe waren, das«
der neue Procnrator geläufig lateinisch, wenigstens mässis^ italienix h
sprach, von niemandem abhinir. nber 20 Jahre alt war, von nicht zu
kleiner Stator, entweder adlig oder Doctor. liinreichend mit Geld ver-
sehen, wenigstens ein Jahr in Italien gelebt hatte. Die bunte Reih^
bemerkenswerter Ereignisse aus Matthias' Amtsjahre führt vor unsere
Augen dn lebendiges Bild des damaligen deutschen Stodeutenlebens in
Bologna:
Beschwerden der „Nation" teils gegen die Universität teils gegen
die Stadt, die unberücksichtigt blieben, fuhren zur zeitweisen Auswan-
derung der deutschen Studenten, einmal nach Siena, das andere Mal
nach Imola* Unglückliche Prozesse ^der Nation gegen das Collegium
Hispanonun nnd die Natio Flandrorum verzehren einen Teil des gemein-
samen Vermögens. Ein Student .stiftet eine Summe zu einer sonntäg-
lichen Messe für die heilige Jungfrau in der Kirche S. Fridiani. Bei
Streitigkeiten mit den Polen werden kostbare Gefässe, darunter ein
besonders wertvoller Lptuhtcr, zerbrochen. T>:i eine grössere Aii«mhi
junger Deutscher in Bologna ihren Tod fanden, kaufte die Nation einfln
eigenen, noch heute viele <rrii))er aufweisenden Friedhof, auf dem als
erster Konrad v. Steinberg bestattet wurde ,,occisu8 in rix» cum excii-
bitoribus'' (erscldagen im Streite mit den Wächtern). Kein geringerer
wie der als Humanist hervorragende dortit^e Professor BeFcaldns ver-
fasste das Epitaphium über dem Friedhof sthore:
Siste gradum, specta monnmentum hoc quaeso viator,
Quod ])ia, i|Uod cultrix legnm germana inventus,
Condldit, ut genti pateat commune sepulcmm,
Ut Germanomm manes post fata quiescant
Sacra parentali capientes annna ritn.*)
Aber auch der heimischen Volksgenossen gedachten die Procura-
toren der Bologneser Natio Germanica: zwei dort verhaftete reisende
Kaufleute aus Ingolstadt dankten der Nation ihre Befreiung. Freilich
waren es nicht ausschliesslich die edelsten Vertreter Deutschlands,
welche nach Bologna gingen: so berichten die Annalen der Nation, dass
eines ihrer Glieder, Daniel Grenzing aus Feldkircb, zuerst einen Böhmen
•) Hemme den Schritt und schane, o Wanderer, staunend das Denkmal,
Das in truuiuien Sinne die recbtäbeüisäene Jugend
DeDt8chIand$8cbuf sam Scliliunmer fflr seines Volkes Genossen,
Dsss vom Tode exiafft die sbgeschied^en Manen
Jibilicbe Opfer empfangen nach beiUgem Braodie der Vftler.
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Bntndenbiiigtr in Italien im Zeiteltw der BaneiiSMice. 77
halbtot schlug, sodann mit der Kasse der Nation das Weite snohte.
Wie konnte es auch anders sein, wenn wir erfahreu, dass im ganzen
10300 Deutsche in Bologna studiert haben; wie wäre es da der Nation
möglich gewesen, alle zweifelhaften Elemente von sich fernzuhalten?
Für das Jahr 1516 melden die Akten der Nation, dass Matthias v. Jagow
ans Aulosen in der Altmark nach Erlegung eines Dukaten Doctor beider
Rechte geworden und dann in die Heimat zurückgekehrt sei; den Rest
der Gebühren zu zahlen wurde er später von Bologna aus noch mehr-
fach gemahnt. Eine seltene Fügung war es, dass derselbe bald nach
seiner Heimkehr*) in das Vaterland Gelegenheit fand, die in Bologna
erworbenen juristischen Kenntnisse praktisch zu verweilen, als er durch
das Vertrauen des Kurfürsten Joachims I. znm Vertreter des ober-
sächsischen Kreises bei dem Reichskamroergerichte zu Nürnberg für die
Jahre 1522—1523 ernannt wurde.
Die bei dem Sturme auf Verona gefallenen brandenbui'gischcu Reisigen
haben ihre letzte Ruhe dort unter dem Schutze des heiligen Dominions
gefunden; in der Gruft von St Andreas zu Mantua schläft die branden-
burgische Fürstentochter neben Gatten und Kindern; auf dem Kirch-
hofe des heiligen Fridian zu Bologna ruht mancher allzu streitbare
jugendliche Märker von seinen Kämpfen mit Böhmen und Polen ans:
die grosse Mehrzahl unserer Landsleute aber wurde zurückgeführt in
das Vaterland durch die Empfindung, die sie nach einem halben Jahr-
tausend noch mit uns verbindet, die Liebe zur märkischen Heimat
*) Pfltter. Acta dei Beichslcammergerichta. S. 147.
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78
Georg Galland:
Zur Geschichte der Bieseadorf (Bläsendorf).
Von
Georg GatUuid.
1. Die Goldsehmlede- ond KapfeFSteeherfoinilie in Berlin.
Für den Historiker, der dem Wirlcen der unter den Branden-
bargisch-Preussischen Fürsten des 17. nnd 18. Jalurhunderts thätigen
Männer der Künste nnd technischen Wissenschaften nachgeht, Icann
auch der Name Biesendorf nicht ohne Klang und Bedeutung sein.
Weiss er doch zum Wenigsten, dass zwei Bliiglieder dieser FamUie als
Kupferstecher, namentlich durch eine Anzahl Portr&ts berühmter
Zeitgenossen, sich Rnf und Ansehen verschafft hatten. Die unten mit-
geteilten Angaben Fr. Nicolais an zwei Stellen seiner oft zitierten
^^Nachrichten von Künstlern etc.*' (1779), denen auch Kaglers KünstUn-
lexikon .(München 18.'M— 1852) fast wortgetren folgt, bildeten früher
die Hauptqnelle für die Lebonsj^escliichton der Biesendorf. Aber diese
sonst so schätzbare Quelle fliesst leider an diesen bei<len Stellen weder
tief noch rein; und unter den Irrtümern Nicolais ist der nicht der
gerillteste, welcher den gleichnamigen Kriegsingenieur des Grossen
Kurfürsten, Joaciüm Ernst Blesendorf, zu einem altern Bruder der
oben erwähnten Kujjfersteciu'r macht.
Nicolai schreibt nämlich S. iMi a. a. 0.: „Ananias Biesen -
dort!", ein künstlicher Goldschmidt, und Vater drever gescUiclkteu
S«ihne, Joachim lvr?iste«, Samuels und Konstantin Friedrichs, war einer
von den ersten Bewohnern des Friedrichswerders, bey dessen Anbau,
und ai hpitüte um für den Hof. £r starb in einem hohen Alter
um Hill)".
Bevor ich die hier durch den alten Autor beniluton Verwandt-
schaftsverhältnisse der Truger des Namens Biesendorf richtig stelle,
möchte ich mich zunächst bezüglich der Schreibweise dieses Namens
mit meinen Tiesern auseinandersetzen. Und da ist zu bemerken, dass sich
Meister Ananias in einem im (leb. Preuss. Staatsarchiv belindlichen
Aktenstück aBläsendorf schreibt, während die beiden Kupferstecher
auf ihren Arbeiten bald „Blesendorfl*" bald Blesendorf" unterzeichnen.
Ich habe hier die letztere Namensschreibung gewählt, nur um eine
bestimmte Schreibweise zu fi.vieren, obwohl auch die Zeitgenossen des
Ingenieurs häulig „Bläsendorf)'* geschriebe?i haben.
Was nun jenen „künstlichen Goldschmied'', Meister Ananias,
betriät, so hören wir erst im Jahie von ihm selber näheres. £r
Zur Geschichte der Bleaendorf (Blftsendorf).
79
ist damals weder Meister der Gilde noch Fr e imeistor in Berlin und
um ein solcher zu worden, bewirbt er sich in einem Immediatgesuch au
den Kuifürsten um die Konzession zur Bctroibuiig des Goldschmiede-
haudwerks auf dem Worder, Und die l'mstiiiide, dio er zu seinen
Gunsten anführt und die ihm auch wirklich di'ii Krfolg, das erwünschte
Privilegium, verschafften, sind für uns intt'ressaiit genug, um die Wieder-
gabe des ganzen Aktenstückes (datiert: ii. Juli iü&I) zu reclitfertigen.
„Durchlauchtigster etc.
Fnv. (^hiirfiirstl. 1 »urchlaucht kan in aller Unterthänigkeit nicht
unberichtigt laßen, wio dz mein Vater seehl. Samuel BUisendorf
liiro Churfürstl. Durchhuicht Ileirn Vater Ilöchstseehl. aiulenckens in
die 2ü Jahr. Vor einem (loltschmidt aufgewardtet, iindt in wehrend
Zeit sich ehrlich undt treü Verhalten. Weil ich dan auch soichi's bey
seinem lebezeiten gelernet mein Stücke brotli Darmit zu verdienen, mich
darauf Vor etzliclien .lalireii l)efreyet, iiihIt Altern gerteners seehl.
Meister HanC Dreiilers Tochter genoiiitnrii, die Mittidl nicht gelial)t
habe, mich alliier in ?>erlin in der Golfschmideii giilth- einzukaiiffen,
undt deshalb aufm Werder zielien nuillen friede Vor ihnen zu haben.
Doch leider erfahren wir dz sie mir gedrawet, in einem undt dem
andern Verhinderlichen Zu sein. Alß gelanget an Ew. Churfürstl.
Durclilaac ht mein Untei'thänigstes und gehorsalimes bitten, Sie geruhen
gnädigst in erwegnng Deßeu die weill mein Vater am Cliurfürstl.
Hofe so lange gedienet, wie auch meiner Fraw Vater welcher Fünf
Ilochlrdjl, Cliurfürsten aufgewardtet, mir die ITolie Gnarle zu erweisen
inult ein gnädiges |»rivili'gium uiitzütheilen, hamit ich macht luibe
gesellen nndt .hingen zu halten und aus zu lernen, mein sehildt
ans zu liengen, Das auch Kein einziger auß <ler Stadt mit schmehe
Wordton bey hoher strabfie oder abmahnung der gesellen so ich bey
mir babe oder ins kflnÜtige bekommen werde enthalten sollen, Undt
kein eiiitziger sich alliier zn setzen, Es sey den dz Ihre Churfürstl.
Durchlaucht ihm ein Privilegium mittheilt oder aber in wiedrigeu sich
mit mir abfinden soll, Damit ich raein Stficke broth den roeinigen
80 lange ich lebe Verdienen kan. GetrGhste mich gnädigster er-
hörung etc. Ananias Bläsendorf.
Die darauf folgende Erteilung des Privilegiums*) durch den Kur-
fürsten knüpft dai'an die Bedingung: . . daß bey Verlust dieser
gnädigsten concession und bej Vermeidung ernstlicher straffe dasjenige
Silber, was er Vor probesilber Verkanifen und deswegen mit seinem
Marcke bezeichnen wird, so gut undt so fein, durchaus aber nicht
geringer sUber seyn solle, als dasjenige ist, was Von hiesigen
Meistern Vor probesilber Verkauft wird, dz Wercksilber auch gleich-
*) Vgl. darttber auch Fnl. Sarre, die Berliner Goldachmieda*Zimft. Berlin 18115.
80
Geoig Gallaikd:
fals eben so gut seyn solle, wie es von obgedachten hiesigen Meistern
verarbeitet wird . .
Schon ans dieser Gegenüberstellong mit den «hiesigen Meistern''
ist der Schluss zn ziehen, dass Meister Ananias, der vor den „Schmäh-
Worten" der eingesessenen Znnftgenossen beim KnrfÖrsten Schutz
suclite und fand, von auswärts nach Berlin gekommen war. Sein
Vater Samuel Biesendorf d. A. solf zu Grantzkow in Mecklenburg
im Jahre 1598 geboren sein"^), sich in Berliu am IIA. Februar (? August)
1630 mit Katharina Keichard, Sebastian Keichards nachgelassener
Tochter vermählt**) und erst \ihV2 das Berliner Bürgerrecht erworben
haben.***) Dass er schon vor Kilo in der märkischen Residenz gcU bt
haben müsse, ist selbst angesichts der Tliatsache, da-ss er dem Kur-
fürsten Georg Wilhelm lange Jahre gedient, nicht unbedingt notwendig^;
er kann ja auch in Königsberg i. P. oder sonstwo als Goldarbeiter des
Kurfürsten gearbeitet haben. Ausserdem giebt es keinen mecklen-
burgischen Ort Grantzkow; sondern es existieren nur ähnlich lautend^^
Ortschaften: Granzin in Mecklenburg-Strelitz, Gramzow in der Uker-
niark, Granow in der Neumark. Welcher Ort könnte wohl gemeint
sein? Von der Hand zu weisen wäre hier vielleicht nicht die IlypoMicse,
dass der Name „Bläsendorf" mit dem sü(hingarisciien Oi te ^lilasendorf",
der in dem seit Alters von deutschen Kohmisten bevctlkerten Sieben-
bürgen liegt, im Zusammenhang stehe. Am 'JH. April KJöl wnrde dfc
Stammvater der Berliner Goldschmiedefumilie Biesendorf zu St. Marieu
bestattet: er hatte ein Alter von 5;} Jahren erreicht,
Ana n las, sein iiltester Sohn, diii-ric Knde IGoll oder im Jahre l('»;»l
gebitren sein, \ermutlich in Berlin, Er hat, wie er versichert, bei
seinem Natcr das (foldscluniedeliandwerk erlernt. Wohin er dann seine
Schritte lenkte, wann er heimkehrte und sich in Berlin mit Meister Hans
Dresslers Tochter verniälilte, wissen wir nicht. Fal.sch sind jedenfalls
die Angalten bei Nicolai, dass er „einer vou den ersten Bewohnern des
Friedrichswerders" war und „K'»-)- für rL'n Hol - tliiitig gewesen sei, was
der Beteiligte selbst wohl in jenem Bittgesuch an den Kurfürsten von
U'A\2 sicherlich nicht verschwiegen iiaben dürfte. Ob dagegen die bei
Nicolai ebenfalls angegebene Zeit seines Todes, um 1070, richtig ist,
vermag ich nicht festzustellen.
Von seinem nur wenig jüngern Brnder Samuel Bi. d. J. erfahren
wir, dass er am 11. Januarf) Ki.Jo in der St. Nictdailcirche in Berlin
*) Sure a. «. O. 8. 76.
**) Vgl KOater, Altes and neuM Berlin (Beriia 1737 n. 1762), ferner A. B.
König, CoIIectaneen ilManuskript in d. Berliner Kgl. Bibliothek: hier Ins ich ftls Tag
der Vermahlung 24. Februar (nicht August, wie Samce *. a. 0. «ngiebt^
♦*•; Berl. BttrgerbUcher im Stadtarchiv,
f ) Ntflb Bin«, la Königs CoIIectaneen las ich 11. August.
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Zar Oesohichte der Memadod (BHaandorf).
81
getauft wurde, mit Ursel Brechtel die Ehe eingiDg und eine Zeitlang
als Goldarbeiter im Haag (Holland) lebte*X wo er noch im Jahre 1679
nachweisbar ist. Denn ein kurfürstliches Rescript aus Potsdam vom
12. (22.) August dieses Jahres au den kurbrandenburgischen Residenten
im Haag, 7ice-Kanzler Romswiukel, verffigt über eine Goldschndedearbeit
wie folgt: «Weil ein Goldarbeiter aus Berlin, namens Biesendorf, be-
fehligt ist. Euch etwas ffir Unsere hensgeliebte Gemahlin zuzustellen, so
befehlen Wir Euch hiermit in Gnaden solches anzunehmen und es sicher
herüber zu schicken**.**) Sonderbarerweise trügt ein anderes Rescript,
das demselben Biesendorf ein Privileg als Goldschmied in Berlm be*
willigt, das Datum des 18. Oktober 1679.***) Danach wftre damals
seine Rückkehr aus Hdlland erfolg:t. Am 27. Oktober 1686 wurden
ihm auf kurfürstlichen Befehl 530 Rthlr. für ein Porträt ausgezahltf )
Lässt dieser Umstand wohl darauf schliessen, dass wir es in dem
bisherigeu Goldarbeiter zugleich mit dem künftigen Kui)ferstecher und
Ölmaler, den Nicolai als den älteren Bruder des Konstantin Friedrich
Biesendorf bezeichnet, zu thun haben, so mnss doch andererseits an
dem bei F. Snri*e angegebenen Todesjahr des Goldschmieds Samuel
Biesendorfs 1(>86 gezweifelt werden, um so mehr, als für das Geburts-
jahr sowohl des einen wie des anderen das Jahr 1()83 aogenomnien
wird.tt) Es können doch unmöglich zwei Söhne, Zwillinge, den Vor-
namen ihres Vaters erhalten haben. Also existierte nur ein Samuel
Bh'scndorf der J., der nachweislich im Jahre lf)99 als Uofkupferstecher
Kurfürst Friedrichs HI starb, nachdem er im Jahre 1696 ttue swiÄte
Ehe mit der 1 Tjälnijifen Marie Kntlmrinn Freei'sfff) eingegangen war.
Er ist zweifellos die interessanteste und bedeutendste Persönlichkeit in
dieser F;iinili*'. der Mann, der als einfacher Goldscliniied begann und
als angeseheut'i- Kinistler und Akadeniieprofessor oiidig^te.
Ans seiner t'rsten Ehe mit Ursel Bi ( < litel wunlf iliiii im Jahre 1674
der iiltcsti' Sülm Kuustantin Friedric h, sein künftiger Nachf(dger
als llnfkupfersteclit'r (seit ITlH») und Akademielelirer (seit 1702), gebr»nMi.
Dessen Eiuknmnien als llofkupferstecher betrug wie das <les Yutors
lUhlr. An der Berline)- Akademie ist er zuletzt adjunctus ujdinarius
gewesen; zu einem Prolcss^riit hat er es dort nicht gebracht. Im Jahre
1725 ist er auch aus dei- Liste der Hnfküustler verschwunden. Er ist
weder s«« ln dfutend als Kupferstecher nach so i)roduktiv wie sein Vater
gewesen. K.»ustautin Friedrich starb im Jahre 1744.
Ausser König a. n. O. vergl auch GaUaod, D. Grosse Kurffirst u. Morits
V. Nassau etc. Frankf. a. M. lt)9J.
**) Sarro « a. O. nach Kgl. Pr. Geh. St. Archiv.
***) Pr. Geh. Staata-Archiv ; Oalland a. a. O. Anmerknnii 8. 910.
t) Geh. Staata-Archiv zn Berlin,
t^) ^ TV nnch von ITans Muller, D. Kd Akii>U iii;i >ler Kanste SU Beriiu. Berlin 1896.
ttt) ^> Leichenpredigt der Marie Katiiariua Freraiu.
9
82
Georg Galland:
lieber die angeblichen Brflder Samuel (II) und Konstantin
Friedrich Bl. macht Nikolai die folgenden 2. Tl. irrtümlichen Angaben,
die durch die obigen Ansführnngen berichtigt werden:
"'. „Samuel Blesendnrf, älterer Ih uder KoBötantins, ein sehr ge-
»chickfer Kupferstecher, dor viele Biidaisse, zum Teil nach damals
lebenden Malorn, zum Tlieil auch nach eigenen Zeichnungen gestochen
hat. Er arbeitete iu der Manier P. van Gunst*). Sein bestes Stück ist
der Markgraf J(»hann Friedrich von Anspach und dessen Gemahlin,
nach einem vortreflicheu Bilde von Kaspar Netschern. Man findet in
verscliiedeuen damals in Berlin gedruckten Scliriften, unter andern iu
Lorenz B^ers antifjuarisclien Werken einige Kupferstiche von ihm. Er
nullte auch gute Bildnisse in Ölfarben; ward darauf 1696 iiofkupfer-
stecUer mit 250 Rthr. Gehalt und starb 1706.*"
„Konstantin Friedrich Biesen dort, malte schön in Miniatur
und auch in Öl. I r zeichnete auch viel für Kupferstecher, und ätzte
selbst vei'scliiedouc artige Sat licu in Kupfer. Ei' arbeitete mit an seines
Bruder.s Kuiiferstichen , iiud ward nach dessen Tude 1707 /.uui lluf-
kujiferstecher ernennet. Auch hat er für 8( hltiteru und Ensandern viel
saubore architektonische Hisse gezeichnet. Er starb etwau 1754, iu sehr
hohem Alter.'*
Ausser einem Landmesser Joachim Biesendorf, in dem ergleicli-
falls einen Verwandten der obigen Kupferstecher vermutet, erwähnt
Nicolai nach eine Schwester deraelben: Elisabeth. |,Ausser ihrem
Talent zam Singen und zur Musik, war sie auch sehr geschickt in der
Sehmelzmalerey. Die Fürstinn Menzikof nahm sie mit nach Russland,
und sie ist zu Petersburg gestorben. Der Autor schöpfte hier aus
einer lieutt- nicht bekannten Quelle. Es mnss also dahingestellt bleiben,
ob es mit dieser Schwesterschaft mehr Richtigkeit habe, wie mit der
Bruderschaft jenes ältern Ingenieurs Joachim Ernst Biesendorf, fibor
dessen Familie, noch unten Bestimmtes anzugeben wäre.
Soweit die heutigen (Quellen Aufschluss und Gewähr bieten, k<>unt4»
dci uachsteluMule genealogische Versuch gewagt werden. Man ersieht
aus meiner Zusummeu.steliuug, dass uoch mauche Lücke unausgefidlt
bleiben nuisste:
•) Nach NagliT a. a. 0. war Pieler van Gnnsl (!n. 10U7 7,n AiUHtenlam ge-
boren. Seine gestochenen Bildnisse mchaea sich durch Nettigkeit aus; mehr GeUiild
ala Genie. Als Samnel Bl. aus Holland nach Berlin nurnokkehrte, war P. van Gunst
erst la Jahre altl
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d
Zur Qetobloht« dAr Bletendort (Blisendorf).
88
IiebensnacUriclitcn
Sftmnel 1.
II.
a) AuaniaH
Sohn von T.
b) Sftmuol
•Sohn vuu I.
Hohn von I.
UI.
a) KoiiBtantin
Friedrich,
Sohn von üb.
geboren i. J.
1598 zuGrantz-
kow in Meck>
lenbnrg (?),
viclloichf
üraiuxow in
der
Vckennark.
geboren
vennntlich i. J.
1631.
getauft 11. Jan.
(Aug.) 1Ö33 in
Berlin
(St. mcoUi).
24. Febr.
mit
Katharina
Reichard,
Sfbn.stian
Reichards
nachgelassenor
Tochter in
Berlin.
mit Meister
Hanfl
Dri'ßler.s
Tuchter in
Berlin.
a) Mit Ursel
Brecbtel.
b) Mit Marie
Kath arina
Freers
l J. 1696.
bcjarraben
•JO. Aiuil 1051
ißi. Marien)
in Berlin.
War gegen 20 .Tahre
lang GoUl8cbnrK'<l in r.r-rlin
anter Kurfürst (ieurg Wil-
hehn. Im Jahre 1682
erwirbt er dos Berliner
Bürgerrecht.
um 107U.'
1689.
Erhält vom Kurfüraten
Friedrich Wilhelmim Jahre
166'J Privilegium als GoM
Scbujied auf dem Werder.
a) Lebt als Goldschmied
im Haag (Holland).
b) Erhält am 18. Oktober
1079 Privileg als Gold-
scbmieil in Berlin durch
den Kurfürsten Friedrich
WUhelm.
c) i:rh:i!i inoo Bestallung
1 als Hotkupierstecher durch
I dea Enrfftrsten Friedr. UI.
i mit 250 Rthlm. Gehalt
getauft
lü. Mai ir>40
in Berlin.
getauft
22. Febr. 1074
in Berlin
(St. Marien).
21. April 1Ü84
in Berlin.
21. Dea. 1744.
a) Erhält au\ 11. Mürz
1700 durch KOnig Friedr. 1.
Bestallung als Uofkupfer-
Stecher mit 250 Rthlra.
Gehalt.
b) Wird 1702 als Ad-
jnnctns Extraordinariua
dem Lehrerkollegium der
Akademie eingereiht.
c) (Nach dem Berliner
Adresskalender von 1707)
Adjunoti ordinarii: u. a.
Konst. Frdr. Biesendorff
Hofkupferstecber, wohnt
auf der Freiheit im Hol-
steinschen Hau^ie.
d) Seit 1715 (1714 er^
.schien kein Kalender'
Steht er der Akademie
fem.
e) .«^eit 1725 ist er niebt
mehr im Kalender zu
flnden, war er also nieht
oMhr Hoflniptoiat«cher.
6^
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Georg Gallanü:
Kaum
j Geburt '
Vei«heUcht
LebemmachriditMi
h) TliL-odor
Suhu von Iii».
1
^rctauft
10. Nov. 1076
in Berlin.
?
c) Krnst
Ludwig
Sohn yott IIb.
getauft
hi. Febr. 1(570
in Berlin.
4. April \C,m
iu Httrlin.
d) Jobann
Bamnel.
(
1
t
nach l<i99.
I. Die Kupferstiebe Sainael ßlesendorfs d. J.
1. In Sam. Pnfendorfs „Res Gestae Friderid Willieltni Magni etc".
(Bariin 1695):
s) Porträt des Korfarsten Friedrich Wilhelm (kl f'ol. Vor
dem UtelbL).
Nach A. Clerck's Gemälde. Ovaler Rahmen.
Elegantes Blatt, das in der Durchbildung des Kopfes stecherische
Feinheiten, in der Drapirnng wie in der Umrahmung 6eschmai*k verrät.
b) Titelblatt (kl. fol.). Nach M. Probners Komposition, die eine
ideale Zosaromenstellnng von Figuren giebt.
c) Kleine Vignette „Pallas und die Musen*'. Ohne Bezeichnung.
Wohl eigene Komposition des Meisters.
2. In Sam. Pufeiuloifs „De rebus gestis a Carolo Gnstavo
Sneciae Rege" (Nünibero lO'.lO).
a) Porträt Karl's XI, Königs von Schweden, (kl. fol. Vor dem
TitelbL).
Jugendliebe Erscheinung im roiclien Ovalrahmen, Hennelin»
Drapierung und Embleme. Tüchtige Arbeit.
Inschrift: Carolus XI. Sueconini, Gothomm et Vandaloriim Rex.
Untei-schrift : Ö. lilfsendorf Scr. Elect. Brand''' Sculptor Scnlp.
b) Porträt des Autors „Samuel Libor Baro dt» Pufendorf** (kl.
fol. Nach dem Vorwort). Ovaler Festonrahmen. Karl Xf. erliob im
J. 1()94 den Ilofhistoriker des Gr. Kurl'ürsteu in den schwedischen
Freilierrustand.
8. In Isaaeus de Heausobre's „Sermon fuuebre de Jean George II
Prince de Anhalt (Berlin \m:>.) 4".
a) Darstellung einer tiiumphaleu Kompusitiuu (fol. Vor dem
Titelbl.).
Der Herzog thront unter einem Baldachin. Seitwärts stehen je zwei,
vorn sitzen ebenfalls zwei allegorische Gestalten. Die letzteren sind
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Zur Geschichte der BleBendorf (BlUendori;.
85
mit „Anhalt'' und ^Dessau" l>rzoichnet. Ausserdem si«^ht man obtM'halb
eine heraldisclie Tafel, unten eine Insclirifttafel. Das Gau/,»' w irkt ziemlich
gesucht und lahm, am besten diis Portrat. Be^: S. Bieäeiidorf deliu.
et sculpsit 1094.
])) Der Pracht sarg des Uerzttgs iu Ü Abbildungen; Langäeite,
Küpt- und Fussseite.
4. Portriit des Kuriursteu Friedrich III von iiruudeuburg
10%. kl. lül.
r>. Dasselbe Rlatt mit der ünterschrilt: Servus humillimus S. Blesen-
dorß' (jui Sculp. kl. toi. Schönes Blatt.
(). Kurfürst Friedrich III. S". Sehr jugendliche Züge.
7. Porträt K<»nig Friedrichs I. kl. fol. (4 — 7 im Ovalriihnien).
Nachstich von 4 mit verändcitcr Umrahmung, kl. ful.
Ü. Porträt der Iv ur I iir.stin S()i>hie Karoline von Brandenburg,
kl. fol. Pendant zu 5 mit derselben Unterschrift.
lü. Portrat Karls XI von Schweden. 4".
Nachstich von 2 mit vereiafachtor Umrahmung (Palmen-Motiv).
11. Doppelblldniss des Markgrafen Johann Friedrich von
Anspach nnd seiner Gemahlin. Kl. Querfol.
Nach dem Gemälde von Kasper Netscher. Virtuoser geschmack-
voller Kupferstich.
12» Bildniss der Eleonore Erdmuth Luise geh* Prinzessin von
Sachsen.
Nach dem Gemälde von K. Netscher.
13. Bildniss des Angnst Friedrich Bischof xn Lttbeck. Kl. fol.
Nach dem Gemälde von L. Wiand. Mit reichem Ovalrahmen und
Kriegsemblemen. Bez: „S. Biesendorf, Berlin.*'
14. Bildniss des Heinrich von Podewils, Generalfeldmarschall
(1615—1696). Ovale Festonumrahmnng mit Kriegsemblemen. Feiner
virtuoser Stich, beseelter Ausdruck des vornehmen Kopfes.
15. Bildniss des Adam von Podewils, Ministers (1617^1697).
16. Bildniss des Eberhard von Danckelmann (f 1722).
Bez: ,D. Richer pinzit — S. Biesendorff S. E. B. Scnlptor f.*
Kl. Stich im Ovalrahmen.
17. Bildniss des Daniel Ludolph von Danckelmann, Geheimer
Kriegsrat des Kurfürsten Frietlridi III.
Bez: (Wie Ki). Kl. fol. Friiip Ailu-it von 16U8.
18. Bildniss des Sylvester Jacob von Danckelmann, Konsistorial«
Präsident. Kl. fol.
Bez: (Wie Iß).
19. Bildniss des Frd. Rud. Lud. von Canitz, Staatsminist(U'.
Nach dem Gemälde von A. Cierck. Kl. fol. — Schönes Blatt mit
Ovalrahmen.
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86 Qeois GiUnids
20. Bildnissdefi Karl August von Alvensl eben, Kanonikus am
Magdeburgor Dom. 4^
Vollendet schöner, sarter und schwungvoller Sticli.
21. BildnisB des Joachim Balthasar von Dewitx, General-
lieutenants der Kavallerie. Kl. fol.
Kriegsrüstong und Kriegsembleme.
22. Bildniss des Christoph Hanboldus von Hoawaldt
(1067—1693). 4\
Bes: S. Bl. scnlpebat Anno 16U9. In Kriegsrftstung. Ovalrahmen.
28. Bildniss des Franz von Bfeinders, Ministers Friedrichs III
(1630— 1695>
Nach dem Gemälde von G. Romandon. Kl. fol.
Eleganter Stich.
24. Bildniss der Frau Hedwig Sophie von Oppen geb. von
Kracht (1633-1694).
Nach dem Gemälde von A. Clerck. 4^
Tfichtiger reisvoller Stich«
25. Bildiiiss der Aguese Helmuth von Fleming.
26. Bildniss der Frau Maria Tugendreich von Below geb.
von Aroini.
27. Bildniss der Magdalena Sibilla Freifrau von Schweinitz
geb. Freiin von Friesen. 41 J. alt.
Nach tloni Gemälde von A. Glerck. Kl. fol.
Eleganter Sticli von \{}\)4.
l^H. Hildniss des Joh. Gebhard Raben er, Brandeobg. Rath.
iJez: A. Stech ad viv. pinx. S. Bl. sculp.
2\l Bildniss des Martin Weise, Consul et Archiater (geb. 16U5).
88 Jalir alt. Bez: S. Bl. sculpebat Bernüni Anno 1693. — 4'\
Bildai&is desselben. Probedruck mit unfertigem Rahmen ohne
Bezciclinung.
;W. Bildniss des D. Martinus Willich (1643—1607).
Schlieliter Kähmen. In 4".
o'2. Bildniss des Pastors Cluistoph Nagel.
Gediegene Arbeit von 16',M>. — 4'»,
8*1 Bildniss <U - Kurtürstl. Leibmedicus Christian Meutzel (geb.
1622 zu Fürstenwalde. IW starb 1701). In H».
Bez: „8. BL ad \i\um ping: et scnlpebat ßerolini Anno 1694.*
;U. Bildniss des Dilzems (1I)2S— U)97).
Bez: Seemann deliii, — S. Bl. sc."
Bil<lni>^ des Prof. Johannes Klein. 40 J. alt.
In 8'. Ovalrahmen. Ber: „J, Luhn pinx. Hamb. — J. Bl. 1691)."
Bildniss des Gottfried Mussigk. 56 Jahr alt.
Stich von Um in 4".
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Zur Gescbicbte der Blesendori (Bläsendorf). QJ
87. Bildniss des Matthäus Gottfried Purman, Arzt in Breslau
42 J. alt. Stich von 1691 in 8».
38. BildnisB des Job. Ohr. Sehamann» Konsols in Dresden. In 4".
Bez: «J. F. Marchant pin^. — S. Bl. Berlin sc''
39. Bildniss der Fran Jnstina Sigmund geb. Dietrich, kor*
brandenbnrgiscbe „Hoff Weematter*'. In 8<>.
Alte Frau mit Kopftach. Bez: „S. Bles. ad. viv. del. et sculp.*'
11. Gremeinsamc Werke von Samuel und Kunstantin
Friedrich Giesendorf.
1. Kupferstiche in L. Beger's Thesaaros Braadeuburgicus üto.
(Berlin Hm). ' " " •
a) Titelblatt in kl. fol. — Flotter breit ausgeführter Stich einer
idealen Komposition.
Bez: A. Tervvesten inv. — C. F. Blesendo rf f f.
b) Zierleisten. Die bezeichneten und unbezeichneteu illustrativen
Zierleisten, welche Ansichten des Schlosses, de.s kurfnrsll. Kunstkabiuets,
des Antikensaales in der Akademie umrahmen, sowie mehrere sonsti<i:o
Vi{j;netten mit idealen bezw. allegorischen Figuren sind zumeist vn
Sanniel Bl. oder Konstantin Friedri("li Bl, j^ezeichuet und j^a!stoclu'n,
oder auch nur gezeichnet. Zum kleinern Teile sind sie vtin einem un-
bekannten Stecher J. C S. (vielleicht dem englüscheu Meister John bmitli)
in Kupfer übertragen worden.
2. Illustrationen im Theatruui l^uropaeum.
Die Frage des Anteils der beiden Berliner Meister an den Kupf»'r-
sticheu dieser umfassenden Publikation des Merianschen Verlags nmss
hier leider ungelöst bleiben, da die Blätter meist unbezeiclmet sind und
die dem Verf. zugänglichen Drucke der Sauberbeit ermangeln. Vermutlich
hat K. F. Biesendorf die meisten Abbildungen damaliger Berlinei*
Bauten geliefert Darauf scheint sich wenigstens die Bemerkong Nicolais
zu beziehen: »Auch hat er fdr Schiatern und Eosandern viel saubere
architektonische Risse gezeichnet.'^ Schlüter soll ihn für geschickter
als seinen „Bruder** Samuel, besonders in der Perspektive, gehalten
haben*). Diese Geschicklichkeit kann also nnr auf architektonisch-
perspektivische Arbeiten bezogen werden. Im Figürlichen, im 'Porträt
und in der stecherischen Übung war Samuel der entschieden Tüchtigere.
(S. oben.)
III. Die K II [it er Stiche Konstantin Friedrich Biesendorfs.
1. Bil(!nis> des Phil. Ii u d wig v o n Ca ns tei n (l(>(i^t— 1 7(J8). In 4"*.
Ohne Bezeichnung. Kriegsrüstung und ovaler Kähmen.
2. Bildniss der Eleonore Gericke geb. Eltester (1006— ITUö;.
*) llauä Müller a. a. 0.
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Georg GaU&nd:
Bez: S. T. Gerike inv. C. F. Blesendoiff fecit. Kl. fol.
Das Medaillonbildniss im Profil wird v<^n einem schönen geÜügeltPn
Genius gehalten, der seinen Fuss auf einen Drachen setzt. Sinnbilder
des l odes bind der Knochenmann und das weinende Kind mit umge-
kehrter Fackel. Der Zeichner dieser gedankenvoilen Komposition ist der
Gatte der Verstorbenen, der Hofmaler Gericke (1665—1730).
3. Grabdenkmal des Medailleurs Raimond Fultz.
Nach dem Alabaster Monument des ^Ku^l. PolniscIuMi Statuarius'*
Balthaser Permoser: Obelisk auf barnckeni Lutoibau mit dem Kelief-
bildniss des Verstorl>en('n. Die Figuitii des Cliionos und von vier
weiblichen Personifikationen schmücken die Vorderseite.
Bez: ,,C. V. Biesendorff sculptor Regis fecit."
IV. Samuel und K. F. Biesendorf als Maler.
Von dem einen behauptet Nicolai: er malte auch gute Bildnisse
in Ölfarben — von dem andern: er malte schön in Miniatur und
auch in Öt Daffir vermag ich keinen Beleg zu geben.
2. Der Ingenieur Joachim Ernst Biesendorf.
Auch für den Kriegsingenieur des Grossen Kurfürsten sind Nicolais
„Nachrirbtcu", die ihn als S(»hn jciu's Goldarbeiters Ananias Rl., als
äUeni Bruder der beiden Kupierstecher bezeiclmen, bisher die gewöhn-
lich benutzte Quelle gewesen.
Nicolai schreibt (a. a. O. S. 20 u. 27): „er ward im Jahr 1640
in Zielenz ig geboren. Er arbeitete bey der Anlage des Friedrichs-
werders 1660 unter Memhard als Konducteur. Der Churfürst lieiS
ihn 1666 zwey Jahre auf seine Kosten reisen, und er hielt sich eine
Zeitlang in Rom aut". Nach .seiner Znrückkunft ward er Obcr-Ran-
ingenieur imd Baudirector, und nach de Chieze Tode auch General-
quartiermeister von der Armee. Im Jahr 1677 waid er bey der
Belagerung von Stettin mit einer Stückkugel erschossen. I'i* hat mit
de Chieze und M. M. Sniids den neuen Graben bev Mullruse an-
gegeben, und verbesserte mit dem ersten die Sclileuse und deren
Kanal, auf dem Werder. (Bei Ph. de Chieze heisst es: „Er hat
mit J. E. Blesendortf in den Jahren H)('>2 bis 1668 die Aufsicht über
den Bau des neuen Grabens bey Mullruse gehaijt, und auch mit eben
demselben den Seh leusenk anal am alten Packhofe gebauet, doch
hatte M. M. Smids auch grossen Antheil an diesen Werken."). Er
machte die erste Anlage zur Dorotheenstadt, und steckte 1678 die
Strassen ab, wird auch vermuthlich daselbst Häuser gebauet haben."
Für einen schon im Alter von -\1 Jahren veist(»rbenen I^auingenieur
sind so viele Einzelheiten innnerhin nicht unbetriu htlicli. Sie werden
durch die unten mitgeteilten Angaben eines befreundeten Zeitgenossen
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Zur GMchlchte der Btnaendorf (BllMndorf).
89
und Aktenstücke des Pr. Geh. Staatsarchivs teils bestätigt, teils
berichtigt und ergänzt.
Jen«'r Zeitgenosse ist Job. Rödiker, der eine „Stand-Rcdo und
Abdankung*) zu letzten Ehren des Hoch-Edlen, Vesten etc. Herin
Joachim Ernst Bläsendorlts" veröflientlichte („Colin a. d. Spree,
Druekts Georg Schnitze H^TH." 18 Bl. in 4". Mit LebenshiuO . . .
„als derselbe ani 22. Sept. 1()77 in der Belagerung vor Stettin, nachdem
Er, seinem Berufte nach, in den Approchen arbeiten lassen, vom Feinde
mit einem gezogenen Rohr dnrchs Hertze geschossen, und alsofort
unter (h'nen Worten: Herr Jesu, wie geschiehet mir? sein Leben
beschlossen; Ilernachmais aber am 21. Octobr. darauff* in Gegenwart
Chur- und Fürstl. Abgesandten, vornehmer Stats-l'ersonen und Volck-
reichen Versammlung St<iudesmiissig in der (Jölnischen St Peters Kirche
beygesetzet worden.*
Die Leichenrede selbst, die — nach dorn Gesclnnm k der Zeit —
mit einer aus dem Altertum geschöpften Parallele seines Todes l>eginnt,
mit dem Hinweis aui die Belagerung von Syrakus durch den römischen
Feidhcn ri Marcellus, dessen Soldaten bekanntlich den gro.ssen Mathe-
matiker Archimedes durchbohrten — bietet kein weiteres ]»ositives
Material, als dass wir am Schlüsse ei rahi eii, dass Eltern und Gattin an
der Bahre des aul dem Felde der Ehre, in treuester Pflichteriüliung
vorzeitig Dahingegangenen trauerten.
Um So wichtiger für uns ist der dieser Leichenrede als Anhang
l)eigefügte kurze Lebenslauf Bieseudorfs von Bödiker. Wir erfahren
hier, dass er zu Zielenzig am 12. September lß4() geboren wurde:
als Sohn des früheren Kommandanten von Krosseu, damaligen Amts-
kiistners zu Kottl)us Marcus Bläsendorff und dessen Frau M;irgaretha
geborenen l'asenow, einer Tochter des Lizentiaten und Bürgermeisters
von Soldin. Nach dem Schulbesuch studiei-te er auf mehreren Universi-
täten alte Sprachen, Philosophie und die mathematischen Wissenschaften
(theoretische und angewandte**) Mathematik). Bödiker lässt ihn bereits
in Leipzig, Frankfurt a. 0. n. s. w. Stipendiat des Laudesberm sein,
der bekanntermassen gern empfohlene junge Talente snbventionirte,
die sich ihrerseits dadurch verpflichtet ffihlten, ihre Kräfte und Dienste
*; Diese Bede, deien Kenntnicgabe ieb Hexm O. GQrits verdanke, gebOrl, In
einem starken Quartbande der etädtiseben ßibliothek der Göritz-Lübeck Stiftung
zu Berlin, zu einer Sammlung von Leicbenreden und Gedicliton dt s 17. Jahrbunderts;
ein Teil derselben bezieht sich aui J. E. Hesendorf und »ein tragisches Ende. (VgL
Kai. II. 1803. S. 4Ö).
**) lugenieur- und Baukunst galten Uamab als augewandte Mathematik und
worden von Mathematikern wie HeveUne (Danatg\ I^icolans Goldman (Leydeo) u. a.
an Universitiiten voiKetragen; die beiden Genannten standen beim Groeaen Korffliaten
hoch im Ansehen.
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90
Georg Galland;
dem Kurffirstcn >vie dem Land • zu widmen. Friedrich Wilhelm hat
ihm Südaun, zur weitoren küiisth risc lieii und tvchnischen Ausbildung,
die Älittol zu einem längeren Aufenthalt in Italien (Koni) und Frank-
reich gewiihrt, wiu'über die unten abgedruckten Aktün^tücke UDserea
Leäern noch näher Aufschluss geben werden.
In Rom, SU erzählt Hödiker, sei ' HIesendorf Schüler des „welt-
berühmten Jesuiten und Mathematikers A tiia u isius Kirch er'' geworden;
gleichzeitig fesselte ihn das Studium der Architektur, üm liier auch
das welsche Kriegsliandwei'k gründlich kennen zu lernen, diente er als
gemeiner Soldat in der Leibgarde Papst Alexanders Vll. Andererseits
verwertete er bereits seine ma thematischen und sonstigen wissenschaft-
lich-künstlerischen Kenntnisse als Lehrer vornehmer junger Leute, die
den Kreisen der hohen Gei.stlichkeit nahe fttandi ii. Als die Zeit dieser
Studien altgclaufeu w;ir. drängten ihn die heimatlichen Verptlichtungen
zur Kiickkehr. Leider l»ei'l( litet Bödiker weder ül>er seinen Aufenthalt
in Frankreich noch über die Dauer seimM- Abwesenheit. Wir werden
aber sjjäter erfahren, dass Blüseudorf zwei Jahre, zwischen lOtiÜ und
lliliS, auf Reisen war.
I->a aber die Ausführung des Müllroser Kanals dem Zeitraum
von 1()(>2 bis UW)H angehört hat, su kann seine Teilnahme an diesem
von de Chieze und ^L M. Smids geleiteten Werke w(»hl nur kurz und
untergeordnet gewesen sein — was also die obigt* xVngabe Nicolais
modilizirt. Ebensowenig scheint mir die Verbesserung des Schleuseu-
kanals auf dem Werder, au der Biesendorf nur mitwirkte, eine Hau|»t-
leistung des zum Oberiogeuieur ernannten Stipendiaten des Kurfui-steu
zu sein.
Das Schwergewicht seiner technischen Traxls nach HiliS liegt ohne
Fl*age in seiner umfanKi'eichen Thätigkeit als Kriegsingenieur, in einer
für seinen kurfüi stiichen Herrn 1>edeutsamen Epoche. Man erwiige, dass
er als solcher eine Lücke auszufidlen hatte, die dem Staate durch den
Verlust hervoira^ender Meister wie Hendrik Ruse*) und Ph. de Chiez«'
geschafi'en wui'de. Da-^s n sich in dieser Stellung bewahrte, kann daraus
geschlossen werden, dass ihn auswärtige Fürsten, u. a. llerzoo; Pudnlj.h
August von Brauuschweig-Lüneluirg, freilich vei geblich, berufen wollten.
|)em ( ;eneral-(^uartieriiu!ister de Chieze war er im Kriege als General-
<^>uartieruieister - Lieutenant zugeoidnel, und nach jenes Tode (H>T'))
lolgte er nicht nur in dessen Stellung, sondern auch als l)irektor .dh r
Fortitikationen und Bausaclien. Nebenbei sei noch benu'rkt, dass er die
Prinzen in der Mathematik und Fortiiikation einige Jahre hm^ unter-
richtete. Daiu'i machte er in diesem Zeitraum von neun Jahren, wie
Bödiker angiebt, ö Feldzügu mit dem Kurtürstcu mit. Zuletzt leitete
♦) GaUaud a. a. 0. S. 217.
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Zmr Ottdiiclite der Blesoodorf (BUaendort).
91
er die Belagerangsarbeiten vor Wolgast-Anklam nnd Stettin. Hier >vard
der glänzenden Lanfbahn des Mannes im noch jugendlichen Alter ein
Ziel gesetzt
Joachim Emst Biesendorf war seit dem 7. Juli 1674 verheiratet
— anscheinend kinderlos — mit Katharina Elisabeth von Peine, der
Tochter des Kriegskommissars in Halberstadt Johann Friedrich von
Peine; sie war ihm in jenem Feldznge nach Stettin gefolgt und brachte
auch die entseelte HfiUe ihres Mannes nach Berlin. Das treue Andenken,
das ihm Verwandte nnd liebe Freunde widmeten, spiegelt sich in einer
grossen Zahl r&hrender Gedichte, auf die schon oben Tiingewiesen wurde.
Die gewählten Titel: „Rnhm> und Ehren-Saal etc.*', „Trauriges Denck-
roahl . . „Klag- Ruhm- nnd Trost-Gedichte'S «Die verfinsterte
Freuden-Sonne', „Des klugen Bläsendorffes Redliches Hertz und ewiger
Ruhm, in Seinem Tode allererst recht aussgebrochen, und Seiner Ehe-
liebsten und gantzen Freundschafft zu Trost Mitleidend entworffen'* usw.,
lassen errathen, welche Gefühle der Liebe, Verehrung und Bewunderung
hier zum Ausdruck gebracht sind. Von Verfassern nenne icli nur einen
„A. A. de Peine-* und einen „Georg Laui*. Bläscndorff Chuii'i. Br. Kaht**.
Niiclitrag: Aktenstücke do Pr. Geh. St. Anh. zu Berlin.
1. Der Kurfürst an Heyderkaiiipf (Konzept. Ki». 1) A. \2).
Dat.: Kölln a. d. Spree 18. Sept. l()l)5. Wir Friedrich Wilhelm etc.
Thun kund etc. dass wir Joachim Ernst Biesendorff wegen .seiner
Zue architectur civili et militari tragenden sonderbabren beliebung
die gnädigste erlaabniss gegeben auff Zwey iahr in frembde lande
Zu reisen umb sich in solcher Kunst und Wissenschaft Desto mehr imd
besser Zu perfectioniren, Allerniassen er sich dan Zu betleissigen, dass
er solche Zwey iahr woll anlege, sich bey sputen renonimirteri und w«»ll-
erfahrenen Meistern, Architecten u. Ingenieuren, angebe, und alles das
ienige was Zu dieser Kunst gehöret, auss dein fundament und in ttnate
lerne und begreitTe, auch sonderlich getlissen sey in solchen^Diiiy;en und
Wissenschaften sich Zu üben und Zu perfectioniren, welche ihm hieriiegst
in Unsern Diensten Zu statten kommen und darin er^L'nsere Jnnge
Pi intzen inlurmiren und Unterrichten kr.mie. Zu Verrichtung solciu-r
rei.se und Denen dazu benotigten Ko.sten haben Wir Ihm ialirliche
Vierhundert Rthr. gnst. Verwilliget und Zugesagt, Allerma>.sen Wir
Un.sern [>. Ileyderkampf gnst. anbefehlen Iliin solche Sum die Zwey
iahr über wenn er reisen wii'd, iedtweden ialu> tjuartaiiter mit hundert
Kthr. Zubezahlen. Wohingegen er Blest iidorf ;^si(li Veri)flichtet,
ohne Unsere concession in keine frembde Di enste Zu gehen,-S()ndern
»0 lang er lebet, Uns.s^für alle andern Zu dienen und auftzu warten etc.
2. J. E. Biesendorf an den Kurfürsten, (Ebendaselbst). Ohne
Datum, aber v. J. Uiüö. Dass Ewre Churfürstl. Durchlauchtigkeit,
i^iijM^cj L,y Google
92
Geoig GalUnd:
Umb mehre Kiinsto undt Wissonschaften Zuorlornen, iiiicli Zu vermitteln
tindt in fremKflc lando Zuschicken gnädigst verwilligot haben, erkenne
g^en Ewre Churfiirstl. Dur< hlkt. ich niitt Unterthänigster Schuldigkeit,
Zweifle auch nicht, das solches (Vortnittels GöUicher llülffe) einen gutten
Zuwachs gutter Künste Vernhrsachen wirdt, wormit Ewr Churtl. Durcbl.
undt Dero hohem Haasse die Zeitt meines Lebens mitt üntertliänigsten
Diensten ich autt'warten könne. Als ha^t ii Zu solchem Behuef Ewre
Chuifürstl. Durchlauchtk. an Dehro Ivaht Undt geheimen Ciunmerirer
Christ. Sigism. Heydekampfgoädigst Befehl gethan, an benötigten mittein
iäbrlicb ein gewifiea gegen qnittang dana abfolgen ZulaBen. Wan ich
denn besorge, das wegen anderer hohen ausgaben ich leichtlich hinten
angesezet würde, undt sicli daunhero Zutrüf^c, das ich in der frembde
notleiden dürfte. AU wollen Ewre Churfürstl. Durchlauchtigkeit gnädigst
geruhen ZuYerordnen, das selbige mittel, an welche ich bey Heydekam})f(>n
angewiesen, mein V a 1 1 e r Ambts Castuer Zu Cotbus M a r cu s B 1 e s e n d o r f f
ans dessen Ainbtsgetallen gegen »juittung Zu znhlen, gnädigst Anbefohlen
werde. Wor vor Ew. Churfiirstl. Durchlauchtigkeit undt Dehro hohen
Familie nnterthäuigst uufzuwartten ic-h ver[iflichtt't Vun, wie ich mich
denn nenne £w. Churtl. Durchlaacbtigkeit weil ich lebe
UntertbänigHter gehorsambster Diener undt Knecht
Joachim £rnst Ble^endorff.
3. Der Enrffirst an den Amtskastner zu Kottbns M. Biesen-
dorf, (Ebendaselbst), Dat.: Klewe d. 3./12. Febr. 1666. Dekret
Seine Churfürstl. Durchlaucht Zu Brandenburg etc. befehlen Der»»
Amts Castnern Zu Cotbus Marx Bläsendortt hiermit in gnaden, Dass er
diejenigen Jahrliclie 4(X) Thlr., welche Seine Churfürstl. Durclilaiicht
Dessen Sohne Jociiim Kriist Bles e udi» rlle n Zu behuf sfiiier rei.se
nacher frank reich*) auf zwey Jahr gnädigst Verordnet, aus Denen
Aratsgefällen Zalilen undt eutricliten solle.
4. Der Kurfürst au <len Mathematiker J. ilevelius in
Danzig, (Ei>eiidort Rp. 9 K. lit. 1).). Dat: Königsberg i. P. 11. Aug.
lüOVt. (Konzept).
Dem Hochgelerten L'iiserni Helten besondem Johau lieveiio Kabts
Verwauten der Königl. Alten Stadt Dantzig
Friedrich Wilhelm Churfürst. Unsern gnd. Gruss Zuvor. Hoch-
gelehrter Liber Besonder. Es i.st Unser etc. Jochim Ernst Bläsendorff,
welchen wir ümb sich in den Mathematischen Künsten undt Curiositiiten
capabel Zu machen, einige Jahre in Frankreich undt Italien Verschicket
*) Sicherlich U«gt hier eine Ungenauigkeit de» Schreibers vor. Doc h heweist du
verspätete Dekret aus Kleve, dasB BleBendorf seine Beise nicht vor Februar 1666
angetreten haben könne.
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Zor Geiduchte der BleBendorf (Bllaendorf).
93
gehabt, gesonnen, nach Dantzig eine Reise Zo thnn und hat er Uns amb
gn&digste permission deshalb nnterthänigst aDgo<;iichet: D io weil Uns noD
eure in Diesen undt Vielen andern Wißsenscliaften erlangte sonderbare
experieots bekant, Und Wir gerne sähen, dz Uns bemelter Bläsendor£f
Von solchen ewren Mathematischen ex[ieriinenten nndt cnriositäten
einigen Bericht abstatten möchte, als Gesinnen wir an eaeh gantz gdst.,
ihr wollet euch Denselben recommandiret seyn lassen, und wie er in
Dergleichen Stichen gute Wissenscbaflfl erlanget, also anch mit demselben
\->n euren mathematischen Instrumenten Observationen undt Dergleichen
communication [»fiepten, welclios Uns Zn sonderbaren angenehnien gefallen
gereichen wird und seind wir etc.
5. Kurfürstl. Dekret an den Amtskastner za Kottbns
M. Biesendorf, (Ebendort wie 1—^6) Dat: Königsberg in Prenssen,
11. Angost lb6<.). (Auszug.)
Dem Joachim Ernst Blilsendorft' werden zu seiner Montirung
1U> Rthr. verehret, die der Ambts Castner Za Cotbus G. L,{?) Blüsen-
dorlf gegen Quittung auszahlen soll.
<). Kurfürstl. Dekret auf Benjamin Ku])fers Supplikation.
(Ebendort). Dat.: Cölln a. d. Spree August 107, *$. (Auszug.)
J. E. Bläsendorff soll von des Supplikanten Wissenschaft und
qnaUtät erkundigung einziehen, auch ihm eine Probe in Mathematicis
thnn lassen nndt. darüber Bericht abstatten.
7. Relation des Gen. Quart. Meister-Lieutenants J. E. Biesendorf.
(Ebendort, Rp. 21. 124 Potsdamer Baosachen.) Dat.: Minden 20. Febr.
— 2. März 1674. (Auszug.)
Am Schluss der für den Knrfärsten bestimmten Relation bemerkt
Bi.: er habe in Minden einen verheiratheten Mann und dessen Bruder,
die ans dem Ilildesheiroischen stammen, kennen gelernt und beide wiiren
geneigt nach Potsdam zn kommen. Ks sind Wollenweber, die kulorirte
nnd halbseidene Stoffe arbeiten. Sie verlangen freie Wohnung u. s. w.
8. Eurförstl. Rescript an Biesendorf, (Ebendaselbst). Dat:
24. Febr. 1674. (Konzept).
Der Knrfärst ist mit der Übersiedelung jener Leute nach Potsdam
wohl zufrieden, er will die freie Wohnung versprechen, doch nicht die
Reisekosten ersetzen.
9. Kurffirstl. Dekret auf die Supplikation des knrfttrstl. Baumeisters
nnd Bildhauers Michel Däbeler (vgL ftber ihn Nicolai «Nachrichten"
S. 28> (£bendort Rp. 21. 191 \) Dat.: 15. Aug. 1673.
Befehl an J. E. Biesendorff dem Supplikanten die nachgesuchte
B anstelle auf dem Werder anzuweisen.
10. Relation Biesendorfs auf vorherstehendes Dekret Mit
Planseichnung (Ebendort) 1673.
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94
(ieorg GuUund:
Auf Gnädigstem befelil St'iiier Cliurn. Diirclilauchtigkoit t^tc. halie
ich an Micliol DölJu'l Churfstl. Baiuneister undt ßildliawer (»ine baw-
stelle am Wassor hvy (Wr Mülle, welche ohne nachtheil derselben kriiuite
gebrauclu't werdtn iiiull ü:utt belinde, dass autV dei' andern seitte kegeii
das srhlosth(»r fukIi der Müllen zu. ihm der jdatz vorschrieben werde*),
Drei Ruthen itr«'itt, undt viei- Kutiien lang, von der gleiclien breitte wie
die anderen — in einer Linie . . . Undt soll das gesiciite Von dem
schlosthor uach dem Wasser otteu, uudt Lnbebauet bleibeu. Blesendorti.
MftUe
8 p r e •
Scbloaslrsiheit
w.
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8r|i
khor
Kmat
11. Snpplicati' ii 1* 1 es e n d orfs um eine Baustelle auf dem
Werder. Eigenhändig. (Mbendort). ll>74. Unterzeichnet: Joachim
Kinst lil.'sciidorfV, Ober Director aller t'ortilicationen u. bawe uuch
General C^uartier Meister-lieutenant.
12. Kurfüi'atl. Rcscri[>t mit Planzeicliniitiff. (Gbendort). Dat:
18. Jol. 1074.
Wir etc. Urkanden hiemit, das W'ir Unsonn Ober Director aller
fortificafionen n. baue, auch Gi'äl Quartir Meister Lieutenanten .Tochira
Ernst Bl iisendorffen eine Baustelle auf dem Friedrichs Werder,
nehmlich die Eckstelle gegen das packhaus am Wasser, am Canal
gelegen. Von fünf und eine halbe Kuhte breit, und nenn Ruhten lang,
also von Sieben undt Yiertzig und eine halbe Quadrat Rnhte, in gnaden
gescliencket etc.
M). Kurfürst Friedrich W^ilhelm an II(»fbildhaner Michel
Diibeler. (Ebeudort Rp. Jl. \'2:\). Dat: Kölln a. d. Spr. 14. Jnn. 1676.
(Konzept verfasst von Biesendorf, dessen eigenhändij?os Schreiben dabei
liegt. Die Anrede an Diibeler lautet wiederholt «er**} während der
Kurfürst daraus „Dvl^ machte).
*) ist UDgefftbr die Stelle, wo heoto das Natioml-I^enkiiud vor den
Schloße steht.
V
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Zar G^chiehte dwe Bl^rnndorf (BlMendorf). 95
Nacbdem Wir Unsern Ober Direetor allet Fortiiicationen und
Baae Biesendorff alß General Quartiermeister Lieutenant in Unßern
Kriegsdiensten Zn gebranchen haben nnd denselben mit nnß in*8 Felde
Zugehen beordert . . . Alß haben Wir Dir solches auftragen wollen . .
nach der von gedachtem Biesendorff Dir gegeb. Instmetion undt an-
dentnng auf den baw an beiden örtem*) gute auffsicbt Zn haben
etc. etc.
Gestalt er Dan auch acht haben sol, Dass die neue Porte an der
Fortification alhier (Cöln) vom Hol&teinmetzer recht undt nach
gegebenen leisten undt Zierrathen gemachet werde. Wie dann auch an
Schlossbaw, wo es aöhtig seyn wird, Torsorge Zu tragen und aufs
neue Stockwerck bey der Waschbank dahin Zusehen hat, dass die
Stockwerker, gleich dem, da Unsere hertzgcliebte Gemalüin Liebden
logiret, gleich hoch aufgefuhret ~ werde und in allen einerley Zierabt
haben möge etc.
14. Injurien -Sache Biesen dorf ca. Nuglisch. Ebendort Ep.
21, 123: „Irrungen zwischen Biesendorff und dem Gastellein Zn
Potsdam wie auch dem Planteur. Deshalb angeordnete Inquisition.**
1676)).
a) Kastellan Nuglisch**) und Frau Helene geb. von Boyen haben
Biesendorf wie auch den Potsdamer Plantem* Friedrich Langenar
beleidigt
b) Biesendorf thcilt dem Kurfürsten mit, dass die Zeugen des
Prozesses „Möns Marians***) nebst seiner frawen (Magdalena Uchen-
bmcli) nnd sein Vatter (Lorenz Schwencke)" sich weigern, Zeugniss ab-
zulegen. Der KurfGrst wird gebeten, den Zeugen die Aussage zu
befehlen.
c) Kastellan Nuglisch wird bestraft. Verliert seinen I*»isten als
Bausch roiber, ninss Abbitte thun und 40 Rtlilr. Strafe zahlen, die ihm
schliesslich In Gnaden erlassen werden (l(>77).
d) Amtsschreiber Moritz Palm wird an Nuglisch Stelle zum
Bauschreiber in Potsdam ernannt Seine Instruction liegt dem Akten-
stuck bei. (15. August 1677).
15. Nachfolger Biesendorfs in Potsdam betreffend.
(£bendort).
Knritirstl. Rescript vom 19. Jan. 1678. Die Inspection des
Potsdamer Bauwesens (Schloss und Armenhaus) hatten v(»rdem der
*) BesUn-KOlii.
Es ist der Vater (Georg) des Malers Frledirch Christirtn Nuglisch, der
awlschen IdSl u. lOSU auf knrfürsU. Kosten l)ei Fromantiou die Malerei eilenite.
<)fT< ti]n\r <U'i Historienmaler Joh. Marini, der „1074 den groflien Saa^ zu
Potsdam al Ireaco mahlte" ^2^icolai a. a. 0. S. 86).
96
G9org Galland: Zar Geachicbte der nesendort (Bliaendorf).
f Biesendorf und von Oppen, interimistisch alsdann M. M. Smids;
jetst wird sie dem Oberförster von Lüderits übeitragen.
Angelegenheiten eines Landmessers Joachim Biesen-
dorf (Ebendort).
a) Kurfürst!. Dekret an Nchring (Köln a. d. Spr. 21). Dez. nm).
NehringsoU ,vou des Supitlikanten Capacität, erfaiirang und Wißenschaft
in der Ingenieur^ und Lundnießer Kunsf berichton.
b) Anf ^^ eitere Supplikation de.sselben liegen kurfürstl. Yerord-
uungen vom 28. Aug. lt>H 2().:Nov. löH l^- Jan* i^^^-")» i^- Febr. mö vor.
Meine VeröflFentlichnng erhebt nicht den Anspruch das Quellen-
material für die damals in unserer Mark thätig gewesenen Mitglieder
der beiden Faroilieo Biesendorf erschöpft zu haben. Möge sie, so wie
ich sie für den vorliegenden Zweck 8. Zt zn bieten vermochte, als dn
bescheidener Beitrag sar heimischen Knltnr- und Kunstgeschichte des
17. Jahrhunderts entgegengenommen werden!
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Terdinftad Meyer: Qoethe in seinen Beiiebongen su Berlin. 97
Gpethe in seinen Beziehungen zu Berlin.
Von
Ferdinand Meyer.
Das GoetlKHli'nknuil, welclics Kaiser Williclm 11. nls ein Weiiie-
tft'.sclu'iik für Italien bestimmt liat, ruft die Kriimeruuge'ii wacli an die
lieziehuugen des Diehterfürsteii aiieli zu unserer Vaterstadt. Merk-
würdig in den Aiiiialen unserer Liteiatur- und riieatergescliiclite ist die
erste Auffidirung des ersten dramatischen, ITT^i entstandenen Goetlieschen
Werkes, des „Götz von ßer Ii (hingen". Mit diesem wegen seiner
imponierenden ( 'harakteri.-^tik (k^r mittelalterlichen Zeit enthnsiastis<'h
aufgenommenen Werke des in so genialer Freiheit anftretendtui l>ichter-
Heros war der Impuls zu der nun folgenden Hitterschauspiel-lVriode
gegeben.
.lene erste Aufführung fand auf der Koch sehen Bühne in der
Belirenstrasse 55 statt, und damit begannen die Beziehungen Goethes
zur Metropole Friedrichs dos Grossen.
Am 12. April 1774 verkündeten die Thciirerzrtiel die er>te Auf-
fiiiu'ung des „Götz v<»n Berlicliingen mit der eisernen Hand.
Ein ganz neues Seliaiispiel von 5 Akten, welches nacli einer ganz
besondern und jetzo gnnz ungewöhnlichen F^inrii lilung \on einem
gelehrten und scharfsinnigen Verfasser mit Fleiss xcrfertiget wurden.
Es S(dl, wie man sagt, nach Shakespear'scheni Geschuuick ahtjefasst
sein. Man hätte vielhMcht Bedenken getragen, solches auf die Scliau-
bOline zn bringen, aber man hat dem Verhingen viek'r Freunde nach-
gegeben und so viel, als Zeit und i'latz erlau)»en wniliMi, Anstalt
gemacht, es aufzuführen. .\uch hat man, sicli dem geehrte>ten Publik«»
gelallig zu machen, alle erforderlichen Kosten auf die nöthigen l)eko-
i*ationen und neuen Kleider gewandt, die in den damaligen Zeiten üblich
waren. In diesem Stück kommt auch ein Ballet von Zigeunern vor.
Die Einrichtung dieses Stückes ist am Eingänge aaf einem aparten
Blatte fßr 1 8gr. haben. Der Anfang ist präzise 5 Uhr.*'
Dann nennt der Zettel Brückner als Götz: Mad. Starkin als
Elisabeth: Mad. Spenglerin als Adelln id von Walldorf; Que<|Uo
(fingirtV) als Franz, und Martini als Bruder Martin. Hinter den
Namen Adalbert von Weislingen, Hans von Selbitz, und Sickingen steht
die Notiz „Ritter im Harnisch". Preise der Plätze: Erster Rang und
Parket IG Gr., Zweiter Kang 12 Gr., Amphitheater 8 und Gallerie 4 Gr.
7
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1
08 Ferdinand Meyer:
Obgleich min die erste Darstellung bemts am 12. April stattgefonden.
wurde das Pabliknm erst unterm 14. April in der sVossischen Zeitung*'
darauf anfniersam gemacht: »Heute wird die von S. K. M. von Preusseu
allei^ädigst privilegirte Gesellschaft berfihmter Schauspieler aufführen:
j,G6tz von Berlichingen mit der eisernen Hand*, worauf dann die wört-
liche Wiedergabe des Theateraettels folgte.
Ob die erste Auff&hrung nur für eine geringere Anzahl des
Publikums berechnet war, oder eine zufikllige Verspätung der Anzeige
vorlag — die Zeitung erschien nur dreimal wöchentlich (Dienstags,
Donnerstags und Sonnabends), bleibe dahingestellt Der Andrang zu
den Vorstellungen war ein so ungewöhnlicher, dass, da der Zusdianer-
raum nur 8(K) Personen aufzunehmen vermochte, das Stück an sechs
hintereinander folgenden Tagen gegeben werden musste. Damals sählte
Berlin 134,427 Einwohner.
Die drei Tage später in der „Voss. Ztg." erschienene Kritik begann
mit der eigentümlichen Einleitung: „Das so viel Aufsehen in Deutsch-
land verursachte Schauspiel**, trug im flbrigen aber der Würdigung
des Stfickes Rechnung.
Auf dem Theaterzettel vom 12. April war der Name des „gelehrten
und scharfsinnigen** Autors (wohl wegen dieser Bezeichnung) noch nicht
genannt; erst am 28. wird er als D. Göde in Frankfurt am Main
kundgetlian. Bis zum Schluss des Jahres erlebte das Schauspiel 14
Darstellungen, deren einer Goethe im November beiwohnte. So schreibt
Sulzer unterm 19. jenes Monats an Bodmer: „Die Rede geht, dass
Dr. Goethe aus Frankfurt hier sei, um die Vorstellungen seines „Götz**
und „Clavigo** auf dem Theater zu sehen. Ersteren habe ich auch
gesehen, aber das verwirf ende Schauspiel nicht bis ans Ende aushalten
können.**
Auch Lessing, verstimmt wohl durch die erhoffte, doch nicht er-
folgte Anstellung als Bibliothekar, gab seiner Gereiztheit gegen Berlin
und die Berliner in einer Äusserung über die Aufnahme des Stückes
Ausdruck. „Dass Götz von Berlichingen grossen Beifall in Berlin ge-
funden hat, ist, furchte ich, weder zur Ehre des Verfassers, noch zur
Ehre Berlins. Meil (der Kupferstecher, welcher wafarBcheinlioh die
Dekorationen und Kostüme entwoifen) bat ohne Zweifel den grössten
Anteil daran; denn eine Stadt, die kahlen Tönen nachläuft, kann auch
hübschen Kleidern nachlaufen.** Und doch waren seine eigene „Miss
Sara Sampson** und „Minna von Barnhelm** von den Berlinern mit
ungleich grösserem und andauerndem Enthusiasmus aufgenommen worden !
Es rouss daher zweifelhaft erscheinen, ob Lessing das Werk damals
überhaupt schon gekannt hat; einer Aufführung desselben in Berlin
wohnte er nicht bei, denn von 1771 bis 1775 hatte sein Fuss die von
ihm so bezeichnete „Königin der Städte** nicht betreten.
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Qoflthe ia loinOQ Beiiehungea in Beriin.
99
Auch Friedrich der Grosse äoBserte sich bei Besprechung der
deateehen Literatur: «Noch jetzt erscheint auf der Buhne ein „Götz
von Berlichingen", eine abscheuliche Nachahmung dieser schlechten
englisolien Stucke des Shakespeare, und das Parterre klatschte Beifall
und forderte mit Enthusiasmus diese ekelhaften Plattheiten.^
Wie aber der vermeintliche Ungeschmack in den Werken des
unsterblichen Briten dem grossen Könige mlssfiel, so auch nicht ver-
mochte er, dessen Geist von der franzosischen Litteratur so mrichti^
angezogen wurde, sich der aufgehenden Morgeniötho .'im Iliiiuncl der
deutschen Literatur zuzuwenden. Un^ewürdigt blieben .sie von ihm,
die Meisterwerke unserer dt iitsclien Bnrden, deren Reigen Lessing und
Klop^tock, Herder uad Wieland eröti'oeten!
Erst 17W5, als unter Kanilers Leitung und niit Fleck in der
Titelrolle das Goetliesclie Werk in dem ..Köiiiglicben Kumödienhause**,
späteren KNational-Theater" auf dem Gensdurmenmnrkt wieder zur
Aufführung gelangte, nannte der Theaterzettel am 3. Februar jenes
Jahres den Verfasser: Herrn Geb. liatb von Göthe.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass „Götz von Herlicliingen" in
dem mittlerweih' von Langhans an Stelle jenes Theaters erbanten
sogenannten „KotVerdach-Theater"- ain 4. September iyor> nach Goetlies
neuer Bearbeitung zur AutVuluung^ gelangte.
In eine, wcun auch nicht unmittelbare Beziehung zu Goetiie war
der damals nennnndvierzigjaiirige Daniel (.'hodo w iecki g<'treten, als
der jugendliche T>ichterheros seinen „Wertlier'', das Hohelied <ler
Sentimentalität, geschrieben hatte. Noch in demselben .hihre gab
Christian Fricflrich Nico];ii seinen Anti-Weithei* heraus, betitelt
„Freuden des jungen Werlliers. Lei<len und Freuden WertlM'rs
des M armes. Voran und zuletzt ein Ges|>nich. Berlin bev Friedrich
Nicolai. 17 ?.">."
Dem Helden hierin wird bekanntlich eine mit Ilühnerblut geladene
Pistole in die Hand gespif^lt, doch ini><lingt sein Selbstmordversuch.
Goethe (lat diesem Machwerk, zu welchem Ghodowiecki eines seinei-
rcizen<lsten Tiielkupfer gestochen hatte, zunächst mit den» Ge(li( ht
„Nicolai auf dem Grabe Werthers" entgegen. Dann folgte jem» „dra-
matische Antwort", über die der Dichter selbst sich äusserte: ,,lcli
schrieb einen prosaischen Prolog zwischen Lotte und Werther, der
ziemlich neckiscli ansfiel. Werther beschwert sich bitterlich, dass die
Erlösung durch Hühnerblut so schlecht abgelaufen. Er ist zwar am
Leben geblieben, hat sich aber die Augen ausgeschossen. Nun ist er in
Verzweiflung, ihr Gatte su sein und sie nicht sehen zu können, da ihm
der Anblick ihres Gesamtwesens lieber wäre, als die sflssen Einzeln-
heiten, deren er sich durchs Gefühl versichern darf. Lutten, wie man
sie kennt, ist mit dem blinden Manne auch nicht sonderlich geholfen,
7*
uiyiiizeo Dy Google
100
Ferdinand Uey«r:
und so iiiulet sich GelegenluMt, Nicolais Beginnen höchlich z\i schelten,
dass er sich ganz unborafeu in fremde Angelegenlioiten mische. Das
Ganze war mit gatem Humor geschrieben und schilderte mit freier
Vorahnung jenes nnglückliche dünkelhafte Bestreben Nicolais, sich mit
Dingen zu befassen, denen er nicht gewachsen war, wodurch er sieb
nnd andern viel Verdmss machte und darüber zuletzt bei so ent-
schiedenen Verdiensten seine litornii.sclie Achtung völlig verlor pp.**
In dem Grade nun als Goetlie die Geissei seines Spottes auch
später noch Nicolai fühlen Hess, verehrte er den Illnstrat<»r jenes
Pamphlets: „Die höclist zarte Vignette von Chodowiccki machte mir
viel Vergnügen, wie ich denn diesen Künstler über die Massen
verehrte. Ich hatte sie aiis^^ochnitten und unter meine lieWsten
Kupfer gelegt/* War der Universelle doch selbst der Radirnadel
mächtig.
Im folgenden Jahre hatte ('hodowiecki zwei Titelvignetten zu
Goethes Weither" in der fniiizösisclien Ühersetzun«»:, Mastrich \71i'\
radiert. Das eine dieser beiden kleinen Blätter gehört zu den reizvollsten
und begeh rte.*5ten unseres Peintre-Graveurs: es war ein Tiieblingsbhitt
auch der verewigten Kaiserin Friedrich und stellt den Moment dar, al.s
Lotte im ßallauzuge den sie umringenden sechs Kindern die Brot-
st linitte v»'rabreicht, während Wertlier iiereiutritt, um Lotte zum Ball
abzuholen.
Noch in demselben lahre gelangte dann das durch Chodowiccki
vervielfältigte und geradezu Epoche machende Prulil-Porträt Goethes in
die ( )ftentlichkeit. Und zwar nngenchtet des voraufgegangenen Werther-
Kiintliktes als Titelblatt zum J',*. Bande der von Nicohii herausgegebenen
„Allgemeinen Deutschen Bibliothek,"' Beituch, der Sekretär des
Herzogs von Weinuir, hatte hierzu eine eigenhändige Zeichnung von
dem im Besitze der Herzogin-Mutter befindlichen ,,ein/.igeii historischen,
von Herrn Kraus aus Frankfurt gemalten Porträt" nberschickt. Das-
selbe scheint auch dem Scbaperschen Goethestandbild im Tiergarten
als Vorwurf gedient zu haben.
Die letzte Beziehung vor dem Eintreffen Goethes in Berlin bildete
das kurz zuvor im hiesigen Verlage von George Jacob Spener
erschienene Werk „Heinrich StiUings Wandersdiaft. Eine wahrhafte
Geschichte.** Hierzu hatte Chodowiecki ebenfalls die beiden Titelknpfer-
gestochen. Das erste derselben stellt Troost und Stillung zur linken
dar, während Goethe in einem Speisehause zu Strassburg rechts zur
Thür hereintritt, gefolgt von seinem Diener. „Besonders kam einer
mit grossen hellen Augen, geistvoller Stirn nnd schönem Wuchs mutig
ins Zimmei*. Dieser zog beider Augen auf sich. Troost sagte zu
Stilling: „Das muss ein vortrefflicher Mann sein!" Sie wurden gewahr,
dass man diesen ausgezeichneten Menschen „Herr Goethe** nannte.
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Goelbe in seinen Beiiehongen sn Berlin.
101
Mit seinem Herzog Karl August von Weimar traf Goeth«^ am
Abend des 15. Mai 1778 in Berlin ein und stieg für seine Person im
Zeissbergschen „Hotel de Kussie", Unter den Linden 2)^, ab. Dasselbe
gehörte zu den neun „Gasthäusern" ersten Ranges, wurde wegen seines
Abzeichens später zur „goldenen Sonne" genannt und hatte zuletzt als
„Jngorscher Saal" eine Berühmtheit erlangt. Jetzt erhebt sieh dort,
erweitert durch das Grundstück Nn. 22, der Uiesenl)an des Aktien-
Bauvereins „Passage*^ mit deiu Kaiser-Pauorama und dem Pa^suge-
Panoptiküm.
Hier auch war, 2H Jahre nach Goetiies Anwesenheit, am 2. Mai 1S04,
Schiller mit seiner Gattin und den beiden Kindern abgestiegen,
bevor er bei seinem Freunde, dem Staatsrat von Ilufeland, in der
„Letzten" (späteren Dorotlieenstritöse) eiueu dreiwöchentlicheu Aufent-
halt nahm.
Goethe stattete dem Redaktenr der Sjunersclien Zeitung, Burmann,
der Dichterin Karscliin und dem Maler Frisch einen Besuch ab,
und begal) sich aucli zu dem vu ihm „üln'r die Massen Nurchrten"
Chüdüwiecki. In dem Briefe der Karschin an Gleim, vom 27. Mai,
heisst es: „Bei Chodowiecki ist er (Goethe) zweimahl gewesen, und
zwar das letztemahl mit dem Herzoge; die schönste Lobrede, wer
dies bort, füi* alle drey^S Eine Begegnung mit Friedrich dem
Grossen fand nicht statt, wird anch aus der Äossemng des letzteren
über „GötB von Berlichingen" erklArlich.
Chodowiecki wohnte damals und seit dem Jahre 1736 in dem
Hanse seines Schwiegervaters, des „geschiclLten** Gold- und Silberstickers
Jean Bares in der Behrenstrasse No. 81. Es war ein schHchtes
Gebände von zwei Stockwerken, dessen schmale Pforte su den Wohn-
räumen führte, die der Fuss Goethes betrat. Dahinter lag ein kleiner
Garten, nnter dessen beiden blühenden Birnbäumen später die Trauung
der ältesten Tochter des Künstlers, Jeanette, mit dem Prediger Papin
bei der französischen Gemeinde zu Burg stattfand. «Einige Orthodoxe**,
so schrieb Chodowiecki seinem Freunde, dem Hofmaler Gr äff in Dresden,
„wollten das nicht ganz gutheissen, aber es sah doch malerisch sehr
schön aus.*
„Rne de foss^** bezeichnete der Künstler auf einer flüchtigen
humorvollen Skizze die Bebrenstrasse, an deren Nordraud der Festungs-
graben sich noch hinzog.
Im ersten, zweiten und vierten Bande der 17B7 bei Göschen in
Leipzig erschienenen Goetheschen Schriften befinden sich dann ebenfalls
Chodowieckische Kupfer zum „Götz von Berliehingen**, zu „Werthers
Leiden", dem „Triumph der Empfindsamkeit" und „Stella". Und noch
als der Siebenzigjilhrige nach dem Hinscheiden Tk'rnhard Kodes
(24. Juni 1797) an Stelle desselben zum Direktor der Akademie ernannt
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IU2
Ferdinand M^yw:
worden war, x liiiiücUte «t das „Taschenbuch für Frauenzimmer auf
das .lahr 17<)!i und l<S<Hf mit drei praditigeu Illustratioaeo zu Gueihes
^ileriiiauu und Dorothea".
Auf der einstifjeu schlichten Wulinstätte Chodovviec kis. <He auch
der Fuss dos unstn hliclien Dichters ItetK lfU, crtiebt sich jetzt der
Prachtitau des liornschen BaidNgex hu tts mit eiiu-r seitens der „Stadt
Berlin'' dem Aiulenken des ersteren gewiduieten lironzetafel.
Aus dem freundlichen Verhältnisse zwischen Goethe und dem ihm
geistesverwandten Hildner Gottfried Schadow <;infj:en zwei Büsten
des ei*steren hervor, die einen früheren Kontlikt beendigten. Über die
Veranlassung zu demselben achrieb Schadow: „Herr v. Goethe hatte
Gmnd, mir nicht freundlich zu sein. In den Propyläen hatte er das
Kunsttreiben Berlins als prosaisch geschildert, in einer andern Zeitschrift
hatte ich hieriibcu- eine andere Ansicht gegebeu und w war damals der-
gleichen Dreistigkeiten nicht gewohnt.''
Inniger und bis zum Tode Goethes vrar dessen Frenndschafls-
Verhältnis mit Zelter, über das der ihm befreundet gewesene
Dr. W. Kiotel interessante Mitteilungen gebracht.
Zelter» der Maurenneister, Comi»oniBt und zuletst Dirigent der
Berliner Singakademie machte Goethes persönliche Bekanntschaft zuerst
in Weimar und besuchte ihn auf dessen dringende Einladung im
folgenden Jahre zum zweiten Male auf vierzehn Tage. Alle übrigen,
in längeren Zeiträumen wiederholten Besuche dauerten nur wenige Tage,
so dass der persönliche Verkehr beider Männer innerhalb eines Zeitraums
von dreissig Jahren sich auf etwa einhundert Tage beschränkte. Desto
umfangreicher war der Schriftwechsel.
Thatsächlich war Zelter vom Geiste des Dichters schon erfüllt,
bevor er diesen persönlich kennen gelernt, und zwar zur Zeit, als sich
in Berlin die Opposition gegen denselben breitgemacht hatte. Er nahm
Partei für ihn, der verwandte Saiten in ihm erklingen gemacht und so
gewissermassen sein Lehrmeister gewesen war.
Nacii den schonen, gemeinsimi verlebten 'lagen schrieb Zelter:
„Die Erinni'iinii; darun wird nur mit nicincin Gedächtnis aufhören.
Ein neuei' Geist ist in mir durch diese Beriihiung erweckt, und wenn
ich Je etwas hei \ oiocltracht oder noch hervorbringe, das der i^iu^e^
würdig ist, so wei>s ich, dass es Gabe ist und von wem sie kommt".
Was Cloethe zu dem Versuche bewogen, in ein näheres Verhältnis
mit Zelter zu treten, war, dass ihm, dem Universellen, von allen andern
Gebieten der Kunst das der Musik noch allein verschlossen geblieben.
T>i'' hei'zlichen Töne, welche er in Zelters Comi>ositionen seiner Lieder
zu hören meinte, erweckten in ihm den Trieb, die Mittel kennen zu
lernen, durch die eine derartige Wirkung auf ihn hervorgebracht wurde.
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Goethe in aeinen Beaebungen sa fierllo.
103
„Ich kann von Herrn Zelter^^ Coinpnsitionen uK'iner Tiierlcr äagen, das»
ich der Musik kaum solrlie lierzliclie Tone zui^etrant liiittc/'
Zelter besass nach (ioethes eigenen Worten von allen M-ltenen
Gaben die seltenste: ein Freund zu sein, und die Gabe, das Wesen seiner
Kunst in dem Sinne aufzufassen, iu welchem Jeuer alle Kunst überhaupt
aufgefasst wissen wollte. Er besass die innere und ims^cic WiirdB,
die den Mann — welehe Stellung er auch immer eiiinehuien nuig —
hochgestellten und ausgezeichneten Menschen nahe rückt, wenn nicht
ebenbürtig erscheinen lasst; er besass eine umtasseade allgemeine
Bildung und ein vortreffliches AusdrucksveruKigen.
So erwarb Zelter sich die dauernde Liebe und Schätzung Goethes
und wurde ihm ein unentbehrlicher Gen(»sse, der ihn zu nenen Gcdaidvcn
imd neuem Schatten dauernd auch dadurch anregte, wenn er die IJewegung
und fortschreit<'nde Entwickelung des hauptstädtischen Lebens dem
Freunde in der kleinen Welt Weimars schildernd, diesen zu lebhafter
Teilnahme, schätzbaren Äusserungen und Urteilen veranlasste.
Solcher Wechselwirkung haben die beiden Freunde, bis zum T(»de
Goeth(>s, in ihrem 1833 erschienenen Briei'wechsel ein dauerndes Denk-
mal gesetzt
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104
Dr. Emil Babrfeldt:
Fünfhundert und fünfzig Jahre
Berliner Münzgeschichte
1150-1700.
Von
Dr. Emil Bahrfeldt
Wie es sich in allen V«'rhHlt wissen des Lebens, auf allen Gebieten
wissenschaftlicher wie praktischer Natur, immer wieder aufs neue be-
stätigt, (lass alles Hed»nitende nicht auf einmal dafj^ewesen ist. sondern
ei-^t uiich und nach aus kleinen Antanzen heraus sich entwickelt hat —
S(» ist dieser allmali^e Werdegang auch auf dem (lebiete des Müuz- und
Geldwesens durch die .lahrhunderte hindurch zu verfolgen.
Auf diesem Felde liegt uns die Entwickelung dos deutschen Münz-
\vesens am nächsten, und für die ßrandenburgia, nül ihrem Sitze in
Berlin, steht darin in erster Reihe die Geschichte des märkischen, in
Sonderht it des lierliiier Miiuzwesens, der berliner lundebherrlicheu und
städtischen Miin/>\ ei haltnisse.
Vnii (ItMi letzleit'ii soll hi('r die Rede sein. Ich schicke indessen
Viuaus, dass hei dem weiten Umfanfje des Themas und in Berücksichti-
gung des mir hier zur Vertiigung ^tehcniien knappbemessenen Raumes
nui' ein allgemeiner L'berl)lick gegeben werden kann und die Darleguugeii
nur in grossen Zügen sich ermr>glichen lassen.
Die ersten verlässlichen Nachrichten über die Deutschen verdankeu
wir den linmern, besonders dem Geschichtschreiber Tacitus. Nacli ihm
steht es fest, dass, als die Römer mit den Deutschen in Berührung kamen,
letztere Metallgeld noch nicht kannten. In Süddeutschland waren da-
gegen bereits die sogenannten Regenbogenschüsselchen, blassgoldene
Münzen von konkaver Fonn, die von den Kelten herrühren, bekannt
geworden. Tacitus berichtet, dass in Germanien Tausclihandel bestand,
der ja überall gebriiuchlich war, bevor man gemünztes Geld kannte.
Die Deutschen lernten im Verkehre mit den RV>mern bald den Wert des
roniix'hen Geldes kenneu: hauptsächlich bevorzugten sie die Silberdenare
und von diesen wieder solche mit besonderen Ausserlicbkeiten, nämlich
diejenigen mit emeni gekerbten iiande and solche, die ein Zweigespana
im Gepräge sehen Hessen.
Unter den deutschen Königen weiterhin entwickelte sich auch in
Deutschland ein selbständiges Munzwesen. Kurl der Grosse war es, der
eine feste Basis für die Geldprägung schuf und damit den Geldverkehr
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Fflnfbundert und fflnfiig Jahre B«iliiier MOuzgeachichte 1160—1700. 105
regelte. Es wurden von ihm und sinnen Natbfolt^orn zweiseitige Silber-
pfenninge, (Denare), auch lliilblinge, (Obole) gesclihigen, die nach und nach
eine weite Verbreitung fanden. Solches (Jekl mag zuerst in il<'r Mark
etwa im 8. Viertel des U). Jahrlnindeits in grösseren Meng(Mi in dun
Verkehr gekommen sein, l>as ist uns zwar nicht schriftlich iiixM'liefert,
aber die Münzenfunde sind es, die eine deutliche und zuverlässige Sprache
reden und uns sichere Kunde von dem damaligen Geldverkehre bringen.
Diese ältesten in der Mark im Umlaufe gewesenen Pfenuinge sind
aber wohlverstanden danuils noch nicht in der Mark selbst hergestellt
worden, sondern sind westlich von der Elbe und vielfach in Siiddeutsch-
land entstanden. Mit ihnen vermischt, liefen weiter auch ausserdeutsche
Pfenninge um: skandinavische, englische, französische, böhmische, italie-
nische und andere, auch noch arabische und liyzantinische. Die letztere?!
beiden bilden die legelmässigen Beigaben in den sogenannten Hacksilber-
funden, die bei uns etwa bis zum Jahre l KKI reichen. Die einheimischen
märkischen Gepräge setzen erst zur Zeit Albrechts des Bären, Markgrafen
von Brandenburg, 11M4 — 1170, des llevellerfürsten Pribislaw, gestorben
und des köpnicker WendenfQrsten Jakza, um 1157, ein. Es ist eine
alte ErfahruDg, dass die Münzprägung, in Europa stets erst mit der Ein-
f&hrung des (Aristenthnms and seiner Knltur auftritt, und so aach in
der Mark. Die drei genaimten Herrsclier waren Christen, als sie ihre
ersten Mfinzen schlagen. Es waren dies teils zweiseitige Pfenninge nach
Art der bisher bekannten, teils grosse einseitige, fladie nnd dflnne Silber*
stficke, späterhin mit dem Kanstausdracke Bracteaten benannt, die smn
Teil schon von hohem Knnstwerte sind nnd die ihre Vorbilder meist in
magdebnrgischen Pfenningen fanden, wie denn flberhanpt dem jnngcbrist-
lichen Staate die Knltar von dem mächtigen nnd vorgeschrittenen Erz-
blstom Magdeburg kam.
Von Berlin ist immer noch nicht die Rede. Ohne die Frage der
Zeit seiner Entstehung hier zn erörtern, kann nnr gesagt werden, dass
unter den Markgrafen aas dem askanischen Hause, die in der Mark mit
Albreoht dem Bären zur Herrschaft gelangten, sich Berlin mit seinem
Geldverkehre ganz den Verhältnissen der Mark im allgemeinen ange-
passt haben muss, und dass man nicht weiss, wann überhaupt zuerst
hierselbst eine Münze, eine markgräfliche natürlich, eingerichtet , worden
ist Berlin steht in dimr Beziehung hinter andern märkischen Orten
zurück, denn die erste nrkundliche Erwähnung der Münze in Bei'lin
datiert erst aus dem Jahre 1280. Damals verkauften die markgräflichen
Brüder Otto Y., AI brecht UI. und Otto VI., 1280—1288, der Stadt Berlin
10 Mark jährlicher Hebungen aus der landesherrlichen Münze daselbst
Leider hetzen wir aber nicht den geringsten Anhalt, nm unter den
vielen, noch unbestiuuntcn brandenburgischen Münzen die berliner
herauszufinden. Die nnüaafenden Sorten waren damals, wie über^
106
Dr. Emil Bohrfeldt:
haupt Iiis zum Anfanpr clor Rejjjierung der Hnlienzollcrn in der Mark,
imiiior iiDcli zweiseitige Denare nnd Obule sowie einseitige Bracteaten,
aber von geringerer Grösse und Schwere und v»»u minderem Knnst-
werte als die aus der eisten Zeit der Askanier. Erwälint wird Herlin
als Müiizstütte erst wifdi r im .lahi-e 1319, als Herzog Rudolf von Sachsen
und Agnes von Bran(leiil)iirtr, die Wittwe Waldenaus, den Städten Berlin
und CVdn Gerechtsame und Ficiheiten lu'stiUigen und dabei den mark-
gratliehen Münzmeistei'u Weisung üiiei- die zu scldagenden Mimzen geben.
Dann folgt \IV22 ein Vergleich zwischen ik^n llalhniaiinen von Berliii-
Crdn und (h-iuTi von Brandenliurg bezüglich einiger Münzangelegenheiten
und l:L^"), \:V27, \:V2\), l'AM und sofort l^ötl, laHö wird weiternoch aus
verschiedenen Anlassen, meist liei Sclu-nkungen an Kirchen, der landes-
herrliciieu Münze in Berlin gedacht — aber immer noch nicht lassen
»ich die Mfinzen selbst nachweisen. Aus dieser Zeit werden uns aber
wenigstens zwei Munzmeister namhaft gemacht, das ist 1340 Otto von
Buch, aas alter berliner Ratsfamilie entstammend. Er lieh dem Rate
fAr den Wiederaufbau der durch Brand xeratorten Marienkirche 50 Mark
Silber. Nach einem Aufstande gegen den Markgrafen Ludwig II., 1845,
flflchtete er ausser Landes nnd starb in der Verbannung. 1354 nnd
1356 erscheint Thilo von Brügge (Tvle van Brügge); der Kurfürst nennt
ihn »seinen lieben, getreuen Richter nnd Mflmsmeister zu Berlin*. Brügge
nahm eine besondere Vertrauensstellung bei seinem Herrn ein; er ward
znra Vogt über Berlin, Göln, Spandan, Nauen und Rathenow, den alten
und neuen Bamun und das Land Teltow ernannt, auch ordnete er die
Geldangelegenheiten des iiuanziell arg bedrängten Kurffirsten. Brügges
Hans lag in der Spandauerstrasse zwischen Molkenmarkt und Rathaus.
£inige Jahre später nun, 1369, trat ein far Berlins Mflnzgeschichte
wichtiges Ereignis ein. Die Markgrafen hatten gewisse Münzbezirke
(Mflnzyser) eingerichtet, in deren Ortschaften je fiberall gleiche Veriiält-
nisse bezuglich des Munz> und Geldverkehrs obwalteten. Ein bedeu-
tender Bezirk war der berlinische. Zu ihm gehörten Berlin, Oöln,
Frankfurt a. 'Oder, Spandau, Bernau, Eberswalde, Landsbei^, Straussberg,
Muncheberg, Drossen, Fflrstenwalde, Mittenwalde, Wrlezen, Freienwalde.
Geprägt wurde nur in Berlin und in Frankfurt, und das Geld dieser
beiden Pr&gestätten liatte im ganzen Bezirke Gültigkeit and gleichen Wert.
Die fortwährenden Geldkalamitäten der Markgrafen — wir sind
mittterweile in die Zeit derjenigen aus dem wittelsbachischen Hause
gelangt — benutzten nun die Städte des Munzbezirks Berlin, am sich
mit ihrem Geldwesen selbständig und gewissermassen unabbängig vom
Landesherrn zu machen. Sie erwarben im Jahre l)]Oll vom Markgrafen
Otto dem Faulen gegen idne Kaufsumme von 6500 Mark Silber das
Münzrecht, und zwar das Recht Pfenninge schlagen zu dürfen, die der
üblichen alljährlichen Umwechselung in der Münze nicht unterlagen.
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Fflnfbondert und fOnlsig Jahn Berliner MflnsgeBchichte 1160-1700. 107
Man nannte dies Recht, etwas weitgehend, das Hecht des ewigen
l't'eiinings. Schon früher hatte auch dor Münzbezirk Stendal iu gleicher
Weise sicli emanzipiert.
Mit drr Erwerbung dieses MünzprivUegs war aber nicht itwa für
jede einzelne Stadt der vorher genannten Reihe tur sich selbst das
Prägerecht verbunden, wie das häufiger irrtündicli behauptet worden
ist, sondern es blieb auch unter städtisclier Verwaltung der (gleiche
Modus bestehen, näiuiicii nur iu Berlin und Frankfurt für den ganzen
Bezirk zu prägen. Davon ist denn auch an diesen beiden Orten alsbald
Gebrauch gemacht worden und wir können an den Stailtzeichen, die
auf den betrettenden Stücken vorkommen, dem berliner iiären und dem
frankfurter Hahn, ihre l'rägeerzeugnisse erkennen. Das sind die damals
üblichen kleinen Pfenning«^ oder Denare, die Ähnlich, aber naturlich mit
hundertfach wechselnden Bildern und von einem nach und nach sich
vermindernden Gehalte, während der ganzen Zeit der ^Markgrafen
geschhigen worden waren. Einseitige Plenninge, ßracteaten, die bis ins
14. Jahrhundert hinein dauerten, sind für den berliner Münzbezirk
unter städtischem Schlage nicht hergesteilt worden. Immerhin acheint
der städtische >rünzenschlag weder in starkem Umfange begonnen, noch
auch später sich kräftig entwickelt zu haben. Die Zeit der Markgrafen
ging zu Ende, ohne dass Berlin-Frankfurt in münalicher Hinsicht auf-
föUig hervorgetreten wäre.
Auf die vei-srhiedenen MuDZverhältnisse, Schrot und Koi n, Kurs,
Gepräge und dergleichen, wie sie fftr die markgralliche Periode
bestanden, hier näher einzugehen, muss ich mir aus den eingangs
erörterten Gründen versagen.
Wir gelangen nun in die Zeit, als die Maik Brandenburg an die
HohenzoUern kam. Das geschah mit Friedrich I. im Jahre 141*). Da-
mals wurde in der Mark sehr wenig geprägt Sie befand sii Ii all-
gemein wirtschaftlich wie im besonderen in münziioliti.scber Beziehung
auf niedergehenden Bahnen. Man behalf sich mit fremden Münzsorten,
vor allem mit böhmischen Groschen, die iu grossen Massen im Lande
umliefen, und mit mancherlei kleinen Pfenningen anderer Länder. Es
ist erwiesen, dass der erste Hohenzolier nur in beschränktem Maasse
und nur zur Herstellung von Scheidem0nzen, kleinen Pfenningen, den
Münzhammer gerOhrt hat In den Urkunden findet sich deshalb auch
die berliner Münzstätte, die landesherrliche, nur 1427, 1431, 1432 und
1436 erwähnt, während sie von der städtischen ganz schweigen.
Unter Kurfüi*st Friedrich II. kamen die ersten märkischen Groschen
auf, aber nicht in Berlin, sondern in Bi'andenbui'g und Havelbei^g,
während Berlin nur einseitige Uohlpfenninge mit dem branden-
buiigtscben Adler liefeiie, deren 8 auf 1 Groschen rechneten und die
etwa Vi lötig im Gehalte waren. Die berliner Pfenninge werden
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108
Dr. Zmfl Bahrfeldt:
envähnt 1440 in der Münzordnung des Landvog^s Wnlther Kerskorff
in der Nenmark, auch in demselben Jahre und dann 1444, 1460.
Unter dem nächsten Kurfürsten, Albrecht Achilles, der ja über-
haupt nicht mtlnxreich war, lassen sich berliner MQnzen, landesherr-
liche wie städtische, nicht nachweisen. Aber es verdient hervorgehoben
zu wei'den, dass die Stadt 1473 das alte MOnzrecht sich bestätigen Uess,
wie sie in ängstlicher Besorgnis um ihr Privileg auch unter den
folgenden Regenten fftr dessen Yerbriefung sollte, was stets mit den
Worten geschah:
„Audi dass sie dt»n ewigen Pfenning, dt»n sie gekaufot
haben, ewigliclion belialden sulien, ohn aileilei Hindernuss
unser oder unser Nachkomelinge, als sie des von unser Yor-
fahrn Maiggrafeu zu Brandenburg Briete haben."
Auch för die Zeit Johann Ciceros ist die Herstellung berliner
Geldes nicht zu belegen. Interessant aber ist die Nachricht, dass man
in Pankow bei Berlin Groschlein, das heisst halbe Groschen, etwa im
Jahre 1496 — 1496 hergestellt haben soll. Alle Schriftsteller, die sich
hieraber ausgelassen haben — Nicolai, Kdhne, Schwebel — haben ans
der etwa 1599 geschriebenen Chronik des Peter Hallt (Petrus HafflfciÜus)
geschöpft, der eine kurze Nachricht von den „Pankowschen Gröschlein**
bringt Ich meinerseits zweifle an deren Richtigkeit, wenn sie auch an-
scheinend eine Bestätigung in dem Umstände findet, dass die vor
einigen Jahren abgebrochene alte Apotheke an der Breitenstrasse zu
Pankow im Yolksmunde „die MOnze" genannt wurde.
Erst iiiittr .loachim I. gewinnen wir für Berlin wieder festen
liuden. Zu seiner Zeit sind anscheinend kurfürstliclie Pfenninge von
Berlin nicht ausgegangen, dagegen (ritt nun die Stadt etwa 1Ö08 wieder
mit einigen Pfenningen, einseitig und ghitt gejjrägt. liervor. Sie führen
zwei S<'hilder nebeneinander, in dem einen den berliner Bären, in dem
andern den kölnischen Adlei-, wie ja auch dnui;ils die Städte Frank-
furt und Crossen mit ihren Stadtzeicheu Pfeunioge schlugen, die aller-
dings noch hohl waren.
Gegen 1507 hat auch der Kurfürst teils unter seinem Namen
allein, teils gemeinsam mit seinem Bruder Albrecht, in Berlin Groscheo,
die ersten also, priigen lassen. Sie tragen den brandenburgischen
Adler und auf der Rfickseite ein Kreuz mit 4 Wappenschildern, den
gewöhnlichen Typus aller märkischen Groschen damaliger Zeit. Von
ihnen gingen etwa 100 Stück auf l Gewichtsraark. Die Berliner
Groschenreihe reicht bis zom Jahre 1518. Münzmeister war Andreas
Boldicke, der aber beim Münzbetriebe nicht reine Hand gehalten hat
und deshalb geAnglich eingezogen wurde*
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Fllnfhmidert and fO&Mg Jahn Berliner MllnigeMliteht« llfiO— 1700. IQy
Ln JAbre 1502 zuerst verordnete der Rarfürst in der Mark den
Schlag von Ooldgulden, 71 Stock aus der Mark von 18 Karat ä Grän
Feine. Das war in Frankfurt and Angerniünde. Fftr Berlin erschien
eine Verordnung erst im Jahre 1513. Die Goldgnlden tragen den Apostel
Paulos anf der einen und ein Blnmenkreuz mit 4 Wappensbhildei n auf
der andern Seite, führen aber keine Jahreszahl. Sie zählen zu den
hervorragenden Seltenheiten.
Joachim ist der erste brandenborgische Regent gewesen, der grobe
Bfflnzsorten, Thaler und Viertelthaler, in den Verkehr brachte. Das
geschah 1521. Die Mfinzschmiede fÖr die Thaler steht nicht fest, fGr
oioe Anzahl Viertelthaler ist sie Frankfurt und Stendal. Es erscheint
deshalb zulässig, auch Berlin mit «ner Anzahl von Ihnen zu bedenken.
Joachim II. liess in Berlin in ziemlich starkem Grade die Mfinz-
schmiede arbeiteu. Es sind aus ihr bekannt einseitige Pfenninge, Dreier,
Groschen, halbe Gnldenthaler zu 30, halbe Thaler zu 86 Kreuzer,
Gnldenthaler, Thaler, Goldgnlden, doppelte Goldgnlden, Dnkaten, Doppol-
dukaten, Zehndukatenstllcke, auch nach dem Relchsfnsse Kreuzer, Drei-
kreuzer, Zehnkrenzer und Zwölfkreuzer. Merkwürdig sind die sogenannten
Engelgroschen, auf denen — nach sächsischem Master — ein Engel das
brandenburgische Wappenschild hält, höchst wichtig und selten die
Mönze von 15G9 auf die Belehnung des Kurffirsten mit dem Herzogtum
Preunsen, in Berlin geprägt
Mfinzmeister in Berlin anter Knrfurst Joachim II. waren nacli
meiner Ermittelung in den Archiven
Paul Mühlrad von l.'):iS_154i>,
Hans Kni|)pp „ 1")4") — lööM,
Kurt der Ältere . l.V>;i-15r)l,
Lippold, der bekannte Giinstling des Km linsten,
Als Münzwardein fungirte bis 154<} Gregor Bach.
Der zuerst genannte Paul Mühlrad war gleichzeitig auch Münz-
meister der Stadt Berlin. Er hat für sie kleine einseitige Pfenninge
geschlagen, die den Bären- und den Adlerschild nebeneinander sehen
lassen und in die Jahre 1539—1543 gehören; sein Nachfolger war
Ulrich Bosweil, der lo4tf prägte.
Der Kurfürst Johann Georg behielt den Münzfuss seines Vaters,
21 Groseben auf 1 Guldeu, bei. Er liess nur die berliner Münzstätte
im Gang«', alle andern Münzen, zuletzt Stendal, waren eingegangen.
Daa berliner Geld bestand in Pfenningen, Dreiern, Groschen, Viertel-,
Halben-, Ganzen- und Doppelthalern, Dukaten, Zwei-, Fünf- und Zehn-
fachen Dukaten. Von Münzbeamten unter diesem Regenten sind zu
nennen der vorher schon erwähnte Mfinzmeister Lippold, der wegen
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Pr. BmU Bahrfeldt:
Roiner angeblicliPii Betrügereien einen r|iialvollei) Tod erleiden musste.
Icli habe die Akten seines Prozesses aus den .lahren 1570 und l")71
dnrclistndiert, aber irh niuss sagen, in Rrzng aiit" die ^^ünzen[)rägUDg;
kann ich ilm nicht schuldig ÜDden. Ferner die Münzunjister
llteroDyinns Wiedemann 1571,
Konrad Schreck von 1572—1580»
Michael Aschenbrenner, der zeitweilig aoch Wardein
war, von 1580 ab»
Heinricli von Rehnen seit 1597.
Wai*dein wai'eu:
Liborius Mfiller»
Peter Wolf»
Melchior Hoffmann.
Von der Münze der Stadt Berlin hört man nichts nnd dasselbe
gilt auch für die Zeit des Kurfürsten Juachiin Friedrich, der zum Teil
«lieselht n Münzbeamten hatte wie sein Vorgüuger, zu denen nur noch
der Wardein Sebastian Salomou trat.
Ks wird nun aber an der Zeit, einen lilick auf die Örtlichkeit zu
werfen, an der die beiden Münzen unserer Stadt, — die landesherrliche
und die städtische — sich befunden haben.
Die Markgrafen hatten ihr Münzliaus, soviel bis jetzt ermittelt, in
der Klosterstrasse zu Berlin, in ilirer Burg neben der Hofkirche, jetzt
Nr. 75 und 7() daselbst. Bis zu .loachims II. Zeiten mangeln dann alle
Nachrichten. In der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts soll die Münze im
kurfQrstlichen Schlosse gewexen sein. Dass der Mflnzmeister Lippold
1565 in Nr. 6 der Foststrasse gemQnst habe, ist nicht richtig. Nach
meinen Ermittelnogen aus den Akten des Kgl. Geh. Staats-Arch. ist es
das Grundstock Nr. 5 gewesen. Die heutige Poststrasse hiess damals
Fischmarktgasse, eine Nachricht» die neu ist» da sie in den lokalge-
schichtlichen Bücliern Berlins sich nicht findet. Lange hat die Mönze
ihren Stand dort nicht gehabt, denn schon 1589 wird das GmndstQck
die alte Münze genannt: es muss also anderwärts schon eine nene ge-
wesen sein. Diese lag in Goln» wohin sie spätestens 1586 verlegt
worden ist, wahrschonlich gleich in den Seitenflfigel des Schlosses. In
Ooln ist sie verblieben anch dann noch» als Kurfürst Geoig Wilhelm
in Berlin wieder eine zweite Münze emchtete. Ich nehme, zeitlich vor-
greifend» um den Zusammenhang zn wahren, auch die fernere Lokal-
geschiebte der Münze hier auf:
Von 162H bis nnter dem Grossen Kurfärston wurde nur im Schlosse
zu Ooln gemünzt. Daim siedelte die Münze in den sogenannten Iffftnz-
turm über» wo sie sich noch nnter Friedrich IH. befand. Am 9. August
1706 ward der Befehl zum Abbruche des Turmes gegeben nnd dann ein
FOnfhnndert und fOnbig Jahre Beiliner HOnsgeaohiohte 1160—1700. 1 1 1
nenes Müuicgobäadd erriclitet an der UnterwasserstrasBe Nr. 2. Ein
Wasserarm aas dem Schietisenkanal wurde mit ihr in Verbindnng i^e.
ftetsBt Unter Friedrich dem Grossen erfuhr die Anliigc eine Erweiterung,
aber die Räumlichkeiten reichten doch nicht aus, deshalb Hess der König
1752 zwischen Königs- und Spandanerthor, unter Nr. 10 12 der heutigen
MQnzstrasse, ein Munzgebäude errichten, das 1753 vollendet wni'de. Hier
ist die Geburtsstätte der irrtämlich Sterbethaler genannten Go[>riig:o von
1780. Späterhin siedelte die Mflnze nach dem Werderschen Rathauso
am Werderschen Markt dber. Als 1794 das Rathaus abgebrannt war,
wurde 1799 1800 an derselben Stelle von Bauinspektor Heinrich Gentz
ein neues Mfinzgebäude errichtet und mit der noch bestehenden alten
Mflnze in der Unterwasserstrasse in Verbindnng gesetzt. Endlich wurde
1868/71 anstatt dieser beiden Mflnzen die jetzige Anlage Unterwasser-
strasse 2/4 aufgeführt, nach einer Stfilerscheu Skizze und unter Verwen-
dung des mächtigen, von Gilly gezeichneten und von Schadow ausge-
führten Frieses von der alten Münze am Werderschen Markt. Der Bau-
meister der jetzigen Mflnze ist Bauinspektor W. Neumann.
So aoBfahrltch Über die landesherrliche Mflnze die Nachrichten sind,
so knapp sind sie Über die städtische, denn es findet sich in den Akten
keine einzige sichere Nachricht. Man ist deshalb nur auf die Ver-
mutung angewiesen, dass die städtische Mflnze in dem jeweiligen Rat-
hause eingerichtet gewesen sein wird.
Nach dieser Abschweifung kehren wir in die Zeit Joachim Friedrichs
zurück, von dem nachzutragen ist, dass er neben den flblichen Sorten
seiner Vorgängar auch berliner Schillinge und Dop[)elschilliuge und auch
grosse lODukatenstücke, sogenannte Portugaloser schlagen Hess, während
sein Nachfolger Johann Sigismund ausser den üblichen Sorten und grossen
Goldstücken, auch eine neue Sorte in Berlin aufbrachte, nämlich Drei-
krenzerstficke. Unter diesem Kurfürsten war aber der berliner Betrieb
schwächer, da er noch in Driesen eine Nebenmünze errichtet hatte.
Mit dem Kurfürsten Georg Wilhelm, 1619 — 164(>, kommen wir in
die unglückselige Kip[»er- und Wippei-zeit, die ich kui-z mit dem Hinweise
charakterisieren kann, dass man allerorten in Deutscbland geringhaltige
Münzen zu schlagen begann, die von Tag zu Tage schlechter wurdeu, und
dass das alte gutlialtige Geld aufgekauft und ausser Landes gebracht wurde.
Fürsten nnd Städte, berechtigt und unberechtigt zum Münzenschinge,
Hessen schlechtes Geld herstellen, mit dem alle deutschen Lande iibor-
schwemmt wurdeu. £$ war eine Zeit allgemein wirtschaftlichen Nieder-
gauges.
Brandenburg hat sich von diesem Geldunwesen nicht frei gehalten.
Auch Georg Wilhelm Hess grosse Massen schlecliten Geldes in lierlin
und Crossen herstellen. Ihm dient«* duzu in Berlin, bezw. Cöln, <ier
Münzmeister Liboiius Müller der Jüngere und der Wardeiu Jacob Stücke.
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Dr. Emil Buhffeldt:
Das Unwesen dauerte sam Glfiok nur von 1621 — 1623 und man kehrte
dann sn den guten Münzen sarflck. Beamtet an der -Münze warfen da-
mals die Möuzmeister Markus Kocb, Jakob Pankert, der Eisensohneider
Bergmann and die Wardeine Pfahler, Elirlich und Xrdtscbel.
Wie viele m&rkische St&dte, so hat auch die Stadt Berlin den
Kipper- nnd Wipper-Unfug mitgemacht Wir liatten von der stadtischen
Münze seit 1546, ans welchem Jahre die letzten Pfenninge mit Bären-
and Adlerschild stammen, nichts gehört. 1621 aber erscheint sie anf
dem Platze. Und zwar prägte Berlin allein kleine Knpferpfenninge mit
dem Bären and ebenso Göln allein mit dem cGlnischen Adler, aber beide
haben anch gemeinsam Pfenninge mit Bär und Adler aasgehen lassen.
Dies ist die letzte Präguug der Stadt gewesen. Fortab haben wir
es nur noch mit der landesherrlichen Prägestätte Berlin zn thnn.
Mit dem Grossrn Kurfüi-sttMi beginnt, wie allgcMmiii politiscli, so
auch in münzpolitisclier Bozifhung eine weseutlichc Andeiuug in den
bnindenburgischen Landen. Ausser Berlin wurden nach uud nach in
den verschiedenen Landesteilen Münzstätten errichtet, die, je für einen
engeren Bezirk berechnet, aiicli meist nur die Münzen, nach dem dort
üblichen Fasse lierstellten. Aber, l)leiben wir bei Berlin. Hier behielt
man zunächst den bisliei isou Münzfuss bei und prägte grobe .Silbersorten
und Gold. Sclieiilt inünze wurde garnicht hergestellt. Dadurch machte
sich ein Maugel an Kleingeld im Alltagsverkehre geltend, den im Jahre
Kiön der Kurfürst dadurch zn heben suchte, dass er die Prägung einer,
wi(^ er es nannte, „Kourant- und Handelsmüoze'' anordnete. Dagegen
wäre an sich nichts einzuwenden gewesen, wenn nicht die Absicht da-
bei bestanden hätte, gleiehzdtig anch dareh geringwertige AnsmAnanng
die Kassen des Korffirsten zn füllen. Es Warden 2 nnd 1 Groschen, 6
und 2 Pfenninge, später anch 3 und 1 Pfenninge geschlagen, die sich
aber ihrer Geringwertigkeit halber keiner Beliebtheit -erfreaten nnd die
viele Besdiwerden der Stände hervorriefen. Den Betrieb der Münze
leitete Karl Taaer als MOnzmeister nnd Wardein, dann Wilhelm Otto
nnd schliesslich Dr. Adrian Becker. Die Ansmfluzung war stark; der
Gewinn des KnrfQrsten betrug 650 000 Thaler. Allgemeine Unsnfriedenlieit
mit diesen Verhältnissen veranlasste das Einstellen dieser Münzprägung
im Jahre 1661, ja die Stände wnssten es dnrchznsetzen, dass ihnen der
Karfürst die Aasübang des Münzregals för einige Zeit überliess, eine bei
den Regiernngsgrondsätzen dieses Herrn überaus anflfäUige Erscheinang.
Mit dem Jahre 1607, mit Einführung des zinnaischen Münzfusses (nach
dem Kloster Zinna bei Jüterbog so benannt) tritt Brandenburg in das
Zeichen des Guldens. 15 '/4 Gulden giugen auf eine feine Mark. Das
sind die jetzt noch öfter vorkommenden Gnlden oder *,t Thaler. Aach
gab es >;s Thaler. Solche Sorten haben sieh während der ganzen
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Ffliifhiiiid«rt und fttnliiig Jahre Berliner tffltugeeeliichte 1160—1700. 113
Regienmg des Grossen Kürfttrsten und seines Nachfolgers, erhalten.
Nebenher worden natürlich auch Thaler nnd Gold sowie Scheidemfinzen
geschlagen.
Das Jahr 1675 ist für die brandenborgische Geschichte wichtig
durch die siegreiche Schlacht bei Fehrbellin. Anf diese Gelegenheit ist
eine Reihe schöner Stücke entstanden, wahrscheinUch in Berlin, die
aber nicht kursierendes Geld darstellen, wenn sie ancb thalerförmiges
Aussehen haben, sondern zu den Medaillen rechnen.
Die Zeit Friedrichs nL, des letzten brandenbnrgischen Kurfürsten,
ist in Bezug auf die Münzverh<nisse in der Mark ziemlich unwichtig,
der Münzbetrieb bewegte sich in beschränkten Grenzen, hauptsächlich
wurden Gulden und Halbgulden, sehr wenig Thaler und Gold, etwas
Scfaeidemflnze gepräg:t. —
Mit diesem Kurfürsten schliessen fünfhundertfün&ig Jahre Münz-
geschichte unserer Heimai Eine neue Zeit bricht an unter den Königen
von Preussen, auch in geldgeschichtlicher und münzpolitischer Beziehung;
sie fahrt, wenn auch auf wechselvollen Schicksalswegen, aufw&rts zur
Höhe uns, zur heutigen Bedeutung und heisserstrittener Bfacht
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T«tel I.
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